Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Justus Möser

Unsre Empfindungen sind das erste von allem; ihnen haben wir Gedanken und Ausdruck zu danken. Große Empfindungen aber können allein von großen Begebenheiten entstehen; die Gefahr macht Helden, und der Ozean hat tausend Waghälse, ehe das feste Land einen hat. Es müssen große Schwierigkeiten zu überwinden sein, wo große Empfindungen und Unternehmungen aus unserer Seele emporschießen sollen; und diese Überwindung muß der Ehre, der Liebe, der Rache und andern großen Leidenschaften durchaus notwendig sein, oder der Geist hebt sich nicht aus seinem gewöhnlichen Stande, die Seele umfaßt keine große Sphäre, und der Mensch bleibt das ordinaire Geschöpf, was wir täglich sehen, und nach unsern gemeinen Regeln zu sehen wünschen. Dergleichen große Gelegenheiten, wo Schwierigkeiten zu übersteigen sind, finden sich aber bei uns Deutschen nicht. Der Staat geht unter der Wache stehender Heere maschinenmäßig seinen Gang; wir suchen die Ehre fast bloß im Dienste oder in der Gelehrsamkeit, und nicht in Erreichung des höchsten Zwecks von beiden. Wo sich ja eine große Begebenheit, die das menschliche Geschlecht interessiert, zeigt, so wirkt sie auf uns so stark nicht wie auf andere Nationen. Wir haben höchstens nur Vaterstädte und ein gelehrtes Vaterland, was wir als Bürger oder als Gelehrte lieben. Für die Erhaltung des deutschen Reichssystems stürzt sich bei uns kein Curtius in den Abgrund.

Wenn wir aber so wenig große Begebenheiten haben noch mit der gehörigen Lebhaftigkeit empfinden, wie wollen wir denn zu der Höhe der Gedanken und des Ausdrucks gelangen, welche andre Nationen auszeichnet? Kann die schlaffe Seele eben das, was die hochgespannte wirken? Und müssen wir nicht, da wir kein einziges großes Interesse weder im Staate noch in der Liebe haben, bei unserm beständig kalten Blute vor dem Wagstück schaudern, das dem Manne auf dem Ozean keine einzige Überlegung kostet? Einige Deutsche können vielleicht dem Italiener an Feinheit, dem Spanier an Edelmut, dem Engländer an Freiheitsstolz, was die Kunst oder den Ausdruck angeht, gleich kommen; aber im allgemeinen geredet, wird keiner von ihnen das wahre feine Gefühl des Italieners, keiner die edle Liebe des Spaniers, keiner die Begeisterung für Freiheit und Eigentum eines Engländers damit verbinden; keiner wird in allem so wahr empfinden, denken, harren, schwärmen oder rasen als die Nationen, welche durch wirkliche Umstände genötiget werden, ihre höchste Empfindung hervorzupressen und auszudrücken; und ohne Wahrheit ist keine vollkommene Größe, so wenig in der Musik als in der Malerei und in andern schönen Wissenschaften.

 

Die wahre Ursache, warum Deutschland nach den Zeiten der Minnesinger wieder versunken, oder so lange in der Kultur seiner Sprache und der schönen Wissenschaften überhaupt zurückgeblieben ist, scheinet mir hauptsächlich darin zu liegen, daß wir immer von lateinisch gelehrten Männern erzogen sind, die unsre einheimischen Früchte verachteten, und lieber italienische oder französische von mittelmäßiger Güte ziehen, als deutsche Art und Kunst zur Vollkommenheit bringen wollten; ohne zu bedenken, daß wir auf diese Weise nichts hervorbringen könnten, was jenen gefallen und uns Ehre bringen würde.

Sie zogen Zwergbäume und Spalierbäume und allerlei schöne Krüppel, die wir mit Strohmatten wider den Frost bedecken, mit Mauern an die Sonne zwingen, oder mit kostbaren Treibhäusern beim Leben erhalten mußten. Und einige unter uns waren töricht genug zu glauben, daß wir diese unsre halbreifen Früchte den Fremden, bei denen sie ursprünglich zu Hause sind, als Seltenheiten zuschicken könnten; sie waren stolz genug, zu denken, daß die Italiener mit uns in unsern in feuchter Luft gebaueten Grotten schaudern würden; sie, die Geßners Schäferhütte allen unsern Kostbarkeiten von dieser Art vorziehen.

Schön und groß aber können unsre Produkte werden, wenn wir auf den Gründen fortbauen, welche Klopstock, Goethe, Bürger und andere Neuere geleget haben. Alle können zwar noch in der Wahl der Früchte, welche sie zu bauen versucht, gefehlt, und das Gewählte nicht zur höchsten Vollkommenheit gebracht haben. Aber ihr Zweck ist die Veredlung einheimischer Produkte; und dieser verdient den dankbarsten Beifall der Nation, so wie er ihn auch wirklich erhielt, ehe diese in ihrem herzlichen Genusse von den alten verwöhnten Liebhabern der auswärtigen Schönheiten gestöret, und durch den Ton der Herrn und Damen, die eine Pariser Pastete dem besten Stücke Rindfleisch vorziehen, stutzig gemacht wurden.

Die deutsche Sprache wird von einigen für sehr reich gehalten; mir aber kommt sie noch immer zu arm vor, nicht sowohl deswillen, weil sie in das Wesen einer Sache gar nicht eindringen kann; denn diesen Mangel haben auch unsere Begriffe, und zu etwas mehrerem als unsre Begriffe auszudrücken, ist keine Sprache gemacht; auch nicht um deswillen, weil sie eine Menge von Größen und Eigenschaften, besonders aber die feinen Unterschiede derselben nicht namentlich angeben kann; denn auch hier ist die Empfindung immer reicher als der Ausdruck – man dürfte nicht einmal wünschen, einen solchen Reichtum zu haben, womit man diesem Unterschied ins Unendliche nachfolgen könnte –; sondern weil sie wirklich an solchen Ausdrücken Mangel hat, welche das tägliche Leben, den täglichen Umgang betreffen und zu unserm nächsten Bedürfnis gehören; oder, um mich deutlicher auszudrücken, weil wir mit Hülfe derselben kein tägliches Leben, was in jedem Provinzial-Dialekt vollkommen geschildert werden kann, vorstellen können.

Dieser Mangel rührt unstreitig daher, daß die deutsche Sprache in keiner deutschen Provinz gesprochen wird, sondern eine tote Büchersprache ist, worüber sich die Schreibenden vereinigt oder verglichen haben. In eine solche Sprache ist auch natürlicher Weise nichts aufgenommen, was außer der Sphäre der Schreibenden gewesen, und solchem nach sind die Bedürfnisse des täglichen Lebens fast überall besser mit Provinzial-Worten und -Bildern als in der Büchersprache auszudrücken.

Verschiedene große Genies, welche diesen Mangel gefühlt, haben zwar seit einiger Zeit gesucht demselben abzuhelfen; aber kaum wagt ein Lessing das Wort Schnickschnack, oder beschreibt uns stiere, starre Augen, so empören sich diejenigen, welche die Buchsprache allein gebraucht wissen wollen, gegen dergleichen Bemühungen, und maßen sich das Recht an, was die französische Akademie mit so vielem Nachteil über ihre Sprache ausgeübt hat.

Der Engländer allein nimmt alles an, was er gebraucht und nützlich findet; und dieses tut mit ihm jeder Provinzial-Dialekt. Man sehe Menschen im täglichen Leben und ihrer ganzen Freiheit, wie sie in ihren Ausdrücken einen Gegenstand schildern und durch die Nachäffung vorbilden wollen: ihr Auge, ihr Gesicht, ihre Gebärde und ihre Sprache wird mutwillig, nachäffend, launicht und malerisch; sie machen Worte, nehmen eine ganz eigne Wendung ihrer Rede, verkürzen, verbessern und verderben manches Wort, und erschaffen sich eine Sprache, die ihren Gegenstand ganz natürlich darstellt, ohne sich im geringsten nach den Regeln der Buchsprache zu richten. Dieses leidet jeder Provinzial-Dialekt, und die englische Sprache ist ein Provinzial-Dialekt, der sich zur Buchsprache für die ganze Nation erhoben hat, anstatt daß alle übrigen gelehrten Sprachen in Europa nichts wie ein Buch-Herkommen zum Grunde haben, oder doch durch tyrannische Kritiker von ihrer natürlichen Macht auf eine künstliche herabgesetzt sind.

Unsre Sprache ist, so sehr sie sich auch seit Gottscheds Zeiten bereichert hat, in manchem Betracht noch immer arm; aber das ist der Fehler aller Buchsprachen, und am mehrsten der französischen, die wiederum so sehr gereiniget, verfeinert und verschönert ist, daß man kaum ein mächtiges, rohes oder schnurriges Bild darin ausdrücken kann, ohne wider ihren Wohlstand zu sündigen. Die englische Sprache ist die einzige, die, wie die Nation, nichts scheuet, sondern alles angreifet, und gewiß nicht aus einer gar zu strengen Keuschheit schwindsüchtig geworden ist; sie ist aber auch die einzige Volkssprache, welche in Europa geschrieben wird, und ein auf den Thron erhobener Provinzial-Dialekt, der auf seinem eignen fetten Boden steht, nicht aber, wie unsre Buchsprachen, auf der Tenne dörret. Alle andre Buchsprachen sind bloße Conventionssprachen des Hofes oder der Gelehrten, und das Deutsche, was wir schreiben, ist so wenig der Meißner als der Franken Volkssprache, sondern eine Auswahl von Ausdrücken, so viel wir davon zum Vortrage der Wahrheiten in Büchern nötig gehabt haben; so wie neue Wahrheiten darin zum Vortrag gekommen sind, hat sie sich erweitert, und ihre große Erweiterung seit Gottscheds Zeiten ist ein sicherer Beweis, daß mehrere Wahrheiten in den gelehrten Umlauf gekommen sind.

Unstreitig hat die französische Buchsprache frühere Reichtümer gehabt als die unsrige. So wie diese Nation früher üppig geworden ist als die unsrige, so hat sie sich auch früher mit feinern Empfindungen und Untersuchungen abgegeben. Dieses ist der natürliche Gang der Üppigkeit der Seele, die ihre Muse zu sanftem und feinern Empfindungen verwendet, und damit auch zu feinern Maßen und Ausdrücken gelangt, als der rohe Wohlstand, der alles mit Gesundheit verzehret, und die feinern Künste des Kochs glücklich entbehret.

Indes möchte ich doch nicht sagen, daß wir jetzt noch so sehr weit zurück wären, wenn wir gleich alle Nuancen des Ridiculen nicht ausdrücken, und für jede verschiedene Mischung der menschlichen Tugenden und Laster nicht alle die eigentlichen Zeichen haben, deren sich die Franzosen, von Montaigne bis St. Evremont, und von diesem bis zum Marmontel, bedienet haben. Keine Sprache hat sich vielleicht so sehr zu ihrem Vorteile verändert als die unsrige; nichts war armseliger als unsre komische Sprache; außer dem Hanswurst war keiner auf der Bühne, der einen komischen Ton hatte, und das Volk liebte diesen, weil es von ihm wahre Volkssprache hörte; alle andre redeten in der Buchsprache, der unbequemsten zum Sprechen unter allen; oder ihre Rolle gestattete ihnen nicht, sich der Volkssprache zu bedienen. Lessing war der erste, der Provinzial-Wendungen und -Wörter, wo es die Bedürfnisse erforderten, auf die glücklichste Art nationalisierte; ihm sind die Wiener gefolgt, und seitdem uns Goethe in der Sprache auf dasjenige, was Cicero »romanos veteres ac urbanos sales« und »veteris leporis vestigia« nennet, zurückgeführet hat, damit wir nicht zuletzt lauter Buchsprache reden möchten, hat jedermann unsern ehemaligen Mangel empfunden, und ihm jetzt mit hellem Haufen zu begegnen gesucht, so daß wir nunmehr wohl hoffen dürfen, bald eine Sprache zu haben, worin alle Mutwilligkeiten und Äffereien, deren sich der Mensch zum Ausdruck seiner Empfindungen und Leidenschaften bedient, dargestellt werden können. Doch ich will darauf nicht wetten, daß nicht viele, denen es schwer fällt in deutscher Luft zu atmen, die französische der deutschen immer vorziehen werden.

Eine Dichtersprache hatten wir fast gar nicht, und wir würden auch nie eine erhalten haben, wenn Gottsched die tapferen Schweizer, die sich seiner Reinigung widersetzten, besieget hätte. Haller ward unser erster Dichter; und wie Klopstock kam, begriffen wir erst völlig, was die Engländer damit sagen wollen, wenn sie den Franzosen vorwerfen, daß sie nur eine Sprache zum Versemachen, nicht aber für die Dichtkunst hätten. Auch wir hatten vor Hallern nur Versemacher, und vor Gleimen keinen Liebesdichter. Wie sehr und wie geschwind hat sich aber nicht unsre Dichtersprache mit ihren ersten Meistern gebessert! und welche Dichtungsart ist übrig geblieben, wozu sie sich nicht auf eine anständige Art bequemet hat?

In der Kunstsprache haben wir, seitdem Winckelmann, Wieland, Lavater und Sulzer geschrieben haben, uns nicht allein alles eigen gemacht, was die Ausländer Eignes hatten, sondern auch vieles auf unserm Boden gezogen; und die Verfasser verschiedener empfindsamen Romane haben in einzelnen Partien gezeigt, daß unsre Sprache auch zum wahren Rührenden geschickt sei, und besonders das stille Große sowohl, als das volle Sanfte auf das mächtigste darstellen könne. Wie stark, wie rührend, wie edel ist nicht die Sprache Woldemars! Und wie vieles haben nicht andre, die ich hier nicht alle nennen kann, in dieser Art geleistet, wenn man bloß die Sprache betrachtet, und von der Erfindung wie von dem Zwecke wegsieht! Unsre Rednersprache hat zwar keine große Muster geliefert, weil es ihnen an großen Gelegenheiten gefehlt hat; aber sie ist hinlänglich vorbereitet, und wird keinen empfindenden und denkenden Mann leicht im Stiche lassen. Die philosophische Sprache ist, seitdem sie aus Leibnizens und Wolfens Händen kam, unendlich empfänglicher und fähiger geworden, alles zu bestimmen und deutlich zu ordnen; und unser historischer Stil hat sich in dem Verhältnis gebessert als sich der preußische Name ausgezeichnet, und uns unsre eigne Geschichte wichtiger und werter gemacht hat. Wenn wir erst mehr Nationalinteresse erhalten, werden wir die Begebenheiten auch mächtiger empfinden und fruchtbarer ausdrücken. Bis dahin aber wird die Geschichte, nach dem Wunsche Millers, höchstens ein Urkundenbuch zur Sittenlehre, und ihre Sprache natürlicher Weise erbaulicher oder gelehrter Vortrag bleiben, der uns unterrichtet, aber nicht umsonst begeistert; in so fern wir nicht auch, nachdem wir, wie die Franzosen, alle Arten von Romanen erschöpfet haben werden, die ernsthafte Muse der Geschichte zur Dienerin unsrer Üppigkeit erniedrigen wollen.

 

Über die verfeinerten Begriffe

Es ist gegen die Natur der Sache, unendlich kleinen Teilchen, und unendlich feinen Unterschieden Größe und Farbe zu geben, daß sie ein jeder sehen und empfinden kann. Außer dem engen Kreise der Wissenschaften verwirret man nur damit den gesunden Menschenverstand. Die ganze Behandlung einer Sache und die zu deren Vortrag gewidmete Sprache wird dadurch entweder zu scharf bestimmt, oder zu mannigfaltig, um sie zu seinen ordentlichen Bedürfnissen zu gebrauchen. Es geht derselben wie unsern fünf Sinnen, wenn sie schärfer empfinden, als es für unsre Gesundheit und Bequemlichkeit gut ist. Das ganze Reich des Unendlichen, das für unsre Sinnen versteckt liegt, ist überdem das Feld der Speculation und Systeme. Jeder legt hier sein eignes an, bestimmt darnach seine Worte, oder erfindet für seine Hypothese besondre Zeichen; und wenn die gemeine Menschensprache damit überladen wird, so entsteht daraus, eben wie aus einer Menge zu vielerlei Münzen, Beschwerde und Verwirrung; man unterscheidet, wo man nicht unterscheiden sollte, und wird spitzfindig, anstatt brauchbar zu werden; oder ein Mensch versteht den andern nicht mehr; und unsrer jetzigen Sprache wird es wie der ehemaligen scholastischen ergehen, die durch ihre Feinheit verunglückt ist; oder sie wird der gotischen Schnitzelei ähnlich werden, welche den Mangel der Größe ersetzen sollte.


 << zurück weiter >>