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Jean Paul

Sprache-Lernen ist etwas Höheres, als Sprechen-Lernen; und alles Lob, das man den alten Sprachen als Bildungsmitteln erteilt, fällt doppelt der Mutter-Sprache anheim, welche noch richtiger die Sprach-Mutter hieße; und jede neue wird nur durch Verhältnis und Ausgleichung mit der ersten verstanden, das Ur-Zeichen wird nur wieder bezeichnet; und so bildet sich die neuere Nach-Sprache nicht der neuen, und eine der andern, sondern alle sich der ersten Vor-Sprache nach.

Nennt dem Kinde jeden Gegenstand, jede Empfindung, jede Handlung, in der Not sogar mit einem ausländischen Worte (denn für das Kind gibt es noch keines); und überhaupt gebt dem Kinde, das euern Handlungen zuschauet, da, wo es möglich, durch Beinamen aller einzelen Handlung-Teile Klarheit und Aufmerksamkeit. Hat doch das Kind überhaupt eine solche Hörlust, daß es euch oft über eine ihm bewußte Sache nur befragt, damit es euch höre; oder daß es euch eine Geschichte erzählt, damit ihr sie ihm wiedererzählt! Durch Benennung wird das Äußere wie eine Insel erobert, und vorher dazu gemacht, wie durch Namengeben Tiere bezähmt. Ohne das Zeige-Wort – den geistigen Zeigefinger, die Rand-Hand (in margine) – stehet die weite Natur vor dem Kinde, wie eine Quecksilbersäule ohne Barometer-Skala (vor dem Tiere gar ohne Quecksilber-Kugel), und kein Bewegen ist zu bemerken. Die Sprache ist der feinste Linienteiler der Unendlichkeit, das Scheidewasser des Chaos, und die Wichtigkeit dieser Zerfällung zeigen die Wilden, bei denen oft ein Wort einen ganzen Satz enthält. Das Dorfkind steht dem Stadtkinde bloß durch seine spracharme Einsamkeit nach. Dem stummen Tiere ist die Welt Ein Eindruck, und es zählt aus Mangel der Zwei nicht bis zur Eins.

Alles Körperliche werde, geistig wie leiblich, zerteilt und analysiert vor dem Kinde im ersten Jahrzehend, aber nur nichts Geistiges; dieses, das nur Einmal da ist, nämlich im Kinde selber, stirbt leicht ohne Auferstehung unter dem Zertrennmesser; die Körper aber kommen jeden Tag auferstanden und neugeboren zurück.

Die Muttersprache ist die unschuldigste Philosophie und Besonnenheit-Übung für Kinder. Sprecht recht viel und recht bestimmt, und haltet sie selber im gemeinen Leben zur Bestimmtheit an. Warum wollt ihr die Bildung durch Sprache erst einer ausländischen aufheben? Versucht zuweilen längere Sätze als die kurzen Kindersätze mancher Erziehlehrer, oder die zerhackten vielen französischen Schriftsteller sind, – eine Undeutlichkeit, die durch ihre bloße unveränderte Wiederholung sich aufhellt, spannt und stärkt. Sogar kleine Kinder strengt zuweilen durch Widerspruch-Rätsel der Rede an; z. B. dies hört' ich mit meinen Augen; dies ist recht schön häßlich. Fürchtet keine Unverständlichkeit, sogar ganzer Sätze; eure Miene, und euer Akzent, und der ahnende Drang, zu verstehen, hellet die eine Hälfte, und mit dieser und der Zeit die andere auf. Der Akzent ist bei Kindern, wie bei den Sinesen und den Weltleuten, die halbe Sprache. – Bedenkt, daß sie ihre Sprache so gut, wie wir die griechische oder irgend eine fremde, früher verstehen, als reden lernen. – Vertrauet auf die Entzifferkanzelei der Zeit und des Zusammenhanges. Ein Kind von fünf Jahren versteht die Wörter »doch, zwar, nun, hingegen, freilich«; versucht aber einmal von ihnen eine Erklärung zu geben, nicht dem Kinde, sondern dem Vater! – Im einzigen »zwar« steckt ein kleiner Philosoph. Wenn das achtjährige Kind mit seiner ausgebildeten Sprache vom dreijährigen verstanden wird: warum wollt ihr eure zu seinem Lallen einengen? Sprecht immer einige Jahre voraus (sprechen doch Genies in Büchern mit uns Jahrhunderte voraus); mit dem einjährigen sprecht, als sei es ein zweijähriges, mit diesem, als sei es ein sechsjähriges; da die Unterschiede des Wachstums in umgekehrtem Verhältnis der Jahre abnehmen. Bedenke doch der Erzieher, welcher überhaupt zu sehr alles Lernen den Lehren zuschreibt, daß das Kind seine halbe Welt, nämlich die geistige (z. B. die sittlichen und metaphysischen Anschau-Gegenstände) ja schon fertig und belehrt in sich trage, und daß eben daher die nur mit körperlichen Ebenbildern gerüstete Sprache die geistigen nicht geben, bloß erleuchten könne.

Freude wie Bestimmtheit bei Sprachen mit Kindern sollte uns schon von ihrer eignen Freude und Bestimmtheit gegeben werden. Man kann von ihnen Sprache lernen, so wie durch Sprache sie lehren; kühne und doch richtige Wort-Bildungen, z. B. solche, wie ich von drei- und vierjährigen Kindern gehört: der Bierfässer, Saiter, Fläscher (der Verfertiger von Fässern, Saiten, Flaschen) – die Luftmaus (gewiß besser als unser Fledermaus) – die Musik geigt – das Licht ausscheren (wegen der Lichtschere) – dreschflegeln, drescheln – ich bin der Durchsehmann (hinter dem Fernrohr stehend) – ich wollte, ich wäre als Pfeffernüßchenesser angestellt, oder als Pfeffernüßler – am End werd' ich gar zu klüger – er hat mich vom Stuhle herunter gespaßt – sieh, wie Eins (auf der Uhr) es schon ist – etc.

Zur Sprechbildung gehört noch, daß man, wenigstens später, die farblosen Alltagssprechbilder zur lebendigen Anschauung zurückleite. Ein junger Mensch sagt lange »alles über einen Leisten schlagen« oder »im Trüben fischen«, bis er endlich die Wirklichkeit, den Leisten bei dem Schuster oder das Trüb-Fischen am Ufer an einem Regentage, findet und sich ordentlich verwundert, daß dem durchsichtigen Bilde eine bestandfeste Wirklichkeit als Folie unterliegt.

Pestalozzi fängt die Erfüllung der Weltmaße in Maßen, der Glieder in Gliederchen am Leibe an, weil dieser dem Kinde am nächsten, wichtigsten und reichsten vorliegt, und überall mit ähnlichen Teilen wiederkommt, was bei Geräten, Bäumen nicht ist. Ein wichtiger Vorteil ist noch, daß stets zwei Exemplare davon in der Lehrstube dastehen, und daß das Kind zwischen Ich und Du, zwischen fremden sichtbaren und größern Gliedern und zwischen eignen nur fühlbaren und kleinern hin und her zu gehen und zu vergleichen hat. Indessen will Pestalozzi nicht nur mit diesen hellen Namen-Punkten, wie mit Sternen, den wüsten Äther abteilen und beleuchten, sondern indem er rückwärts das Kind die Teilchen unter den Teil, die kleinern Ganze unter das größere sammeln läßt, bildet er das Vermögen, Reihen fest zu halten, oder die Vorbildungskraft.

Fichte legt in seinen Reden an die deutsche Nation zu wenig Wert auf das Benennen und Abc äußerer Anschauungen oder Gegenstände, und verlangt es bloß für die innern (für Empfindungen), weil dem Kinde, meint er, das Benennen der ersten nur zum Mitteilen, nicht zum bessern Ergreifen diene. Aber mich dünkt, der Mensch würde (so wie das sprachlose Tier in der äußern Welt wie in einem dunkeln betäubenden Wellen-Meere schwimmt) ebenfalls sich in den vollgestirnten Himmel der äußeren Anschauungen dumpf verlieren, wenn er das verworrene Leuchten nicht durch Sprache in Sternbilder abteilte und sich durch diese das Ganze in Teile für das Bewußtsein auflösete. Nur die Sprache illuminiert die weite einfärbige Weltkarte.

Unsere Voreltern stellten, obwohl aus pedantischen und ökonomischen Gründen, doch mit Vorteil für die geistige Gymnastik und Erregung, eine sehr fremde Sprache (die lateinische) unter den Erziehung-Mächten voran. Freilich bildet das Wörterbuch fremder Wörter wenig, ausgenommen in sofern sich daran die eignen schärfer abschatten; aber die Grammatik – als Logik der Zunge, als die erste Philosophie der Reflexion – entscheidet; denn sie erhebt die Zeichen der Sachen selber wieder zu Sachen, und zwingt den Geist, auf sich zurückgewendet, seine eigne Geschäftigkeit des Anschauens anzuschauen, d. h. zu reflektieren; wenigstens das (Sprach-)Zeichen fester zu nehmen, und es nicht, wie eine Ausrufung, in die Empfindung selber zu verschmelzen. Dem unreifen Alter wird aber dieses Zurück-Erkennen leichter durch die Grammatik einer fremden Sprache, als durch die der eignen, in die Empfindung tiefer verschmolzen: daher logisch-kultivierte Völker erst an einer fremden Sprache die eigne konstruieren lernten, und Cicero früher in die griechische Schule ging als in die lateinische; daher in den Jahrhunderten, wo nur die lateinische und griechische Sprache fast als Stoff des Wissens galten, die Köpfe mehr formell sich bildeten, und stofflose Logik (wie die ganze scholastische Philosophie beweiset) den Menschen ausfüllte. Wenn gleichwohl Huart behauptet, daß ein guter Kopf am schwersten Grammatik erlerne: so kann er darunter, wenn er sie nicht mit dem Wörterbuche verwechselt, nur einen mehr zu Geschäften, oder zu Künsten, als einen zum Denken gebildeten Kopf verstehen; jeder gute Grammatiker ist ein partieller Philosoph, und nur ein Philosoph würde die beste Grammatik schreiben. – So ist auch das grammatische Analysieren der alten Schulen nur im Gegenstand von Pestalozzis Schau-Reihen verschieden. Folglich bleibt eine fremde Sprache, besonders die lateinische, unter den frühern Übungen der Denkkraft die gesündeste.

Leibniz schreibt dem dreißigjährigen Kriege noch das Einwandern oder Einlassen so vieler Wörter-Fremdlinge zu, daß unsere Sprache, wie sonst ein preußisches Regiment, halb aus Ausländern bestehen mußte. Doch ist dieses nicht ganz aus der Länge des Kriegs zu erklären – denn warum nahmen die Ausländer nicht eben so gut deutsche Wörter mit nach Haus –; sondern meistens aus dem Streben, daß der Deutsche nicht gern den Ruhm verlieren will, ein Jupiter xenius oder hospitalis fremder Wörter und Moden, der geistigen und leiblichen Einkleidungen zu sein, und dieses letztere wieder darum, weil früher so manche Völker uns an poetischer und geselliger Bildung voran liefen. Wenn wir dadurch auf der einen Seite einen höhern und uneigennützigern Duldgeist, als der bloße Handel zweien Völkern gab, errangen, indem unsere Duldung auch von geistigen Gegenfüßlern glaubt, daß sie so gut wie die geographischen ihre Köpfe nach einem und Einem Himmel richten: so entzog freilich auf der andern Seite der Hof eines Louis XIV durch seine höhere Bildung Ende des siebzehnten und anfangs des achtzehnten Jahrhunderts unserer Sprache an Höfen so viel Stimmen- und Tafelfähigkeit, daß gerade an deutschen die deutsche so wenig zu hören war, als in der Türkei ein türkischer Hund, indes umgekehrt Karl der Große in Frankreich selber Deutsch zur Hofsprache erhob.

So kommen wir denn bei der zweiten Abteilung an, welche uns zu beweisen verspricht, daß wir nach unserer Sprache wenig fragen und sie oft unsere Sache nicht ist. So viel ist erwiesen, daß man in Paris bogenlang in Zeitungen und stundenlang in Kaffeehäusern urteilt und zankt, nicht etwan über eine neue Prose oder Poesie, sondern schon über eine neue Wortfügung, ja über ein neues Wort. Aber dies offenbart wenigstens eine Liebe gegen die Sprache, von welcher die Liebe gegen das Vaterland nicht weiter entfernt liegt, als von der Zunge das Herz, das man ja sogar am Ende auf dieser haben kann. Die Muttersprachen sind die Völkerherzen, welche Liebe, Leben, Nahrung und Wärme aufbewahren und umtreiben. Dieses Herz einem Volke ausschneiden, heißt das Lebendige ins Tot-Gedruckte übersetzen und unter die Presse geben. Daher ist der Untergang oder die Vertilgung jeder, auch der ärmsten Sprache das Verdunkeln und Vertilgen einer Facette oder Fläche am polyedrischen Auge der Menschheit für das All; jede Sprache sollte heilig bewahret werden, so wie in Rußland jede einmal erbaute Kirche niemals verfallen und verschwinden darf.

Der Deutsche ist gegen keine Sprache so kalt als gegen seine so reiche.

Unsere Sprach-Kälte zeigt sich schon darin, daß bei uns, so wie Ein Schreibmeister hundert verschiedne Schreibhände und -fäuste aus seiner Schule entläßt, so der Rechtschreib-Lehrer eine Unzahl von Recht- oder Unrecht-Schreibungen erlebt. In England, Italien und Frankreich gibt's nur eine. – Aber was ist die Zahl aller deutschen Heterographien gegen den deutschen Grammatiken-Kongreß? Nicht als ob wir so viele deutsche Sprachregellehren geschrieben hätten – denn jährlich geben wir bessere und mehr lateinische, französische, griechische als deutsche –, sondern eben, um kaufmännisch zu reden, aus Mangel einer Kompagnie-Grammatik hält sich jeder Autor seine Propre-Grammatik. Er hat von dieser – die ganze Auflage der Sprachlehre macht er bloß in seinem Kopfe – nichts zu beweisen, als daß er in seiner Eigen-Grammatik fest nistend beharrt und nicht nachgibt. Ist er dann nur einige Büchermessen lang nicht auszubeißen gewesen: so darf er sich in seiner privilegierten Neu-Sprache ferner fort verschnappen.

Unter die rühmlichen Ursachen dieser Sprach-Kälte gehört das ewige deutsche Fortschreiten in Dicht-, Denk- und Prose-Kunst, das mit den Bahnen leicht die Ziele wechselt. Wir sind noch mit nichts fertig, was freilich in einem eignen und anderen Sinne der Mensch auch niemals nötig hat, denn sonst wäre ihm sowohl irdische Zukunft als überirdische entbehrlich. Ein Deutscher durchlebt in Dicht-, Denk- und Prose-Kunst so vielerlei Bildung-Alter, und diese so schnell hintereinander und alle ausländischen Bildung-Alter dabei wieder in seine einheimischen hineinziehend, daß er immer zu seinem Heute mit einiger Kälte gegen sein Gestern aufwacht, weil er sich fragen kann: »Legt' ich mich nicht gestern als Gottsched nieder und stehe heute als Klopstock auf, und morgen – merk' ich – als Goethe?« Aber an diesem Bildung-Wechsel muß natürlich die Sprache, worin ja jeder vorgeht, sich selber mit umwechseln, aber auf Kosten der Liebe gegen ihre vorige Gestalt. Allerdings sind wir – insofern als die Wörter die weiter tragenden Samenstäubchen der wissenschaftlichen Samenkörner sind – mehr den zarten stillen Blumen ähnlich, welche, ungleich den Tieren, in jedem Frühling ihre Befruchtwerkzeuge von neuem erzeugen, um mit diesen neue Blumen zu gebären. Nur zu bedauern (entweder ernst- oder scherzhaft) sind in diesem Falle Ausländer, welche mühsam unsere Sprache erlernen, aber solche, wenn sie nach ein paar Jahren wiederkommen, nicht mehr erkennen.

Eine andere Ursach unserer Sprach-Kälte ist vielleicht der vorigen im Rühmlichen verwandt. Da die Deutschen teils literarisch, teils auf der Post sich unter alle Ausländer begeben, und gleichsam auf der langen Völker-Brücke wohnen, so gehen vor uns alle fremde Völker vorüber, und wir hören sie alle ihre eigne Sprache reden, und hören gut zu, setzen aber unser Sprechen und Antworten aus Lebensart eben in gutes Zuhören oder Schweigen oder auch Übersetzen. – Geschwätzige Völker, welche den ganzen Tag die Prose abnützen, haben sich schon vorher ausgesprochen, z. B. Italiener in der Poesie, bis sogar auf die welschen Nachtigallen, deren Schlag schwächer ist als der nordischen ihrer, und welche man da öfter in der Schüssel als im Bauer findet. Hingegen wortkarge, stumme Völker, von den Arabern an bis zu den Briten und Deutschen herüber, und bis zur nordischen Mythologie, hatten in der Poesie feurige geflügelte Zungen. Die Norder sind kalte gebraute Wasser, aber leicht zu brennenden entzündbar.

 

Ein Deutscher, der eine deutsche Sprachlehre liest, dankt dem Himmel, daß er sie zum Teil mitbringt und daß man ihm gerade die schwerste erspart. Da aber wir Deutschen gern Bücklinge nach allen zweiunddreißig Kompaßecken und den Zwischenwinden hinmachen, um sowohl alle Völker zu gewinnen als etwas von ihnen: so haben wir oft recht sehr gewünscht, unsere Sprache möchte englischer, französischer, regelmäßiger, besonders in den unregelmäßigen Zeitwörtern, überhaupt mehr zu jener von den Philosophen gesuchten allgemeinen Sprache zu machen sein, damit man uns auswärts leichter erlernte. Gäbe es nur Eine ausländische neben unserer, z. B. die gallische, so hätten wir längst uns jener so vielen deutschen Wörter und Wendungen entschlagen, welche noch als wahre Scheidewände zwischen unserer und der französischen Sprache bestehen, und hätten nur folgende behalten: bei Gott – ach lieber Gott – Krieg – Abenteuer – Zickzack – Landsknecht – Bier und Brot – Hafersack – Halt – was ist das; – weil sie von selber gutes reines, nur deutsch geschriebenes Französisch sind: bigot – St. Alivergot – cri – aventure – zigzag – landsquenet – birambrot – havresac – halt – un vasistas. Allerdings erreichten wir sonst diesen Vorteil noch leichter, da wir dem ganzen Frankreich selber als einer maîtresse de langue, das sonst nur einzelne maîtres herausschickte, ganze Städte z. B. Straßburg zur Sprachbildung und Übersetzung in das Französische anvertrauten.

Auch unter den Gründen für die Vertauschung deutscher Buchstaben gegen lateinische wird – was im Munde eines jeden andern Volkes knechtisch klänge – der Vorteil mit angeführt, welchen der Ausländer haben würde, wenn er an der Stelle unserer Schrift auf einmal seine eigene anträfe. Nur muß man uns das Verdienst eines Opfers nicht durch die Anmerkung nehmen, daß wir ja gar keine eigene haben, sondern verdorbene lateinische; denn diese ist selber wieder verdorbene oder vergrößerte griechische und diese kehrt am Ende in die morgenländische zurück; daher die Römer sich den Griechen durch Annahme griechischer Buchstaben hätten nähern können, und diese durch eine orientalische Druckerei sich der ganzen aus dem Orient abstammenden Welt.

Indes sind wir im Grunde nicht so ausländisch, als wir es scheinen; wir wünschten nur gern alle Vorzüge und Kränze vereinend zu besitzen und sehen mehr nach den Zielen vor uns als nach den Zielen hinter uns. Ungemein erheben wir eine fremde Literatur in corpore und singen ein Vivat vor einer ganzen Stadt oder Landschaft draußen vor den Mauern und Grenzen. Tritt aber ein einzelner Autor hervor und will einiges vom Vivat auf sich beziehen: so unterscheiden wir ihn ganz von der Menge und Stadt und setzen tausend Dinge an ihm aus. Wie anders, wenn wir von unserer Literatur sprechen. Ihr Corpus wird hart angelassen; nicht eine Mauer zu ihrem Ruhm-Tempel bauen wir aus; hingegen jeden einzelnen Autor setzen wir auf den Triumphwagen und spannen uns vor.

Wir drucken die etwas einfältigen Urteile der Franzosen über uns ab, um uns recht abzuärgern; wie aber, wenn ein Pariser unsere über die Pariser nachdruckte? – Indes eben jenes Tun und dieses Unterlassen offenbaren freilich, daß wir weder die gallische Eitelkeit, welche Europa für ihr Echo und Odeum hält, noch den englischen Stolz besitzen, welcher kein Echo begehrt. Nur vielleicht das Schicksal unserer Philosophie, deren Kamele nicht durch das Nadelöhr eines Pariser oder Londner Tors und Ohrs durchgehen, stellet uns von dem kleinstädtischen Hausieren nach ausländischem Lobe her.

Wir kehren zu bloßem Deutsch zurück. Desto besser, sage ich, desto bereicherter ist es, je mehr Sprach-Freiheiten, Wechselfälle, Abweichungen eben da sind; für uns, die wir aus der Regel der Regeln, aus dem Sprachgebrauche schöpfen, gibt es keine Unregelmäßigkeit – nur für den Ausländer, der erst unsern Sprachgebrauch, d. h. unsern Gesetzgeber dem seinigen unterwerfen und unsere Gesetze durch seine abteilen und erlernen muß. Denn gäbe es Eine allgemeine Regel, so hätten alle Sprachen Eine Grammatik.

Ich bin daher gerade für alle Unterschiede von fremden Sprachen: und eben so für alle Doppelwörter der Grammatik. Kann man »glimmte« und »glomm« sagen, nur »gerächt«, nur »gerochen«: desto besser, so behaltet beide für den Wechsel und die Not. Daß man statt des langweiligen »welcher« auch »der«, und im altern Stile »so« setzen kann, – ferner statt »als« auch »wie«, ja »denn«, – ferner statt des gemeinen »anfangen« und des spröden »anheben« das alte »beginnen«, welches seine Vorstecksilbe nicht an das Ende werfen kann, nicht zu gedenken seines Jambus im Imperfektum: recht erwünscht und brauchbar sind ja alle diese Fälle, nicht dazu, um einige zu vertilgen, sondern um alle zu benutzen nach Verhältnis. Sogar die abgekommenen Adjektiv-Umbildungen der Adverbien sollten als Zeugen eines besondern Bildungs-Triebes und als Erben eines reichen Sinnes noch bescheiden fortgrünen; man umschreibe z. B. »einmalige, etwanige, sonstige« etc. und zähle darauf die Zeilen. – So dankt dem Himmel für den vierfachen Genitiv: Liebes-Mahl, das Mahl der Liebe, der Liebe Mahl, das Mahl von der Liebe; und bittet den Franzosen, es zu übersetzen; auch ärgert euch dabei zu spät über Klopstock, welcher die Genitivs-Voranstellung in einer grammatischen Übermuts-Stunde schwer allen Prosaisten untersagte. Desgleichen dankt für den doppelten Genitiv des Zeitworts: einer Sache genesen und von einer Sache genesen. – Hat man einmal ähnlichlautende, aber unähnlich bedeutende Wörter, so töte man doch keines zum erbenden Vorteil des andern: z. B. »Ahnen« bedeutet voraus fühlen, »Ahnden« strafen; warum will man beides mit Einem Worte ausdrücken, zu welchem einige Ahnen, andere Ahnden wählen? Wie, wenn ich nun sagen wollte: ich ahne das Ahnden, ja man wird wieder das Ahnen ahnden; d. h. ich ahne (errate) das kritische Ahnden (Strafen) dieser Stelle, denn man wird sogar dieses Erraten strafen wollen. Wenn Voß dagegen einwirft, das lateinische animadvertere habe dieselbe Doppeldeutung: so sage ich: desto schlimmer! Wenn die anderen sagen: »an« und »and« wurde erst später aus ihrem Eins zur Zwei: so sage ich: desto besser! Auch hat Ahnen für sich noch das Schwanen (mir schwant es), das einige vom weissagenden Schwanengesang ableiten.

Unsere Sprache schwimmt in einer so schönen Fülle, daß sie bloß sich selber auszuschöpfen und ihre Schöpfwerke nur in drei reiche Adern zu senken braucht, nämlich der verschiedenen Provinzen, der alten Zeit und der sinnlichen Handwerkssprache. Aber erstlich, warum dürfen wir uns gegen Provinzialismen, welche nur eine Viertelzeile einnehmen, zumal in Prose, mehr sträuben, als ein Homer sich gegen Dialekte, welche vielleicht eine Seite färben, oder als überhaupt die Griechen, bei welchen der attische Dialekt nicht eher zur Oberherrschaft gelangte, als unter der Oberherrschaft der – Römer, dieser Sklaven-Säemänner und Pflanzer der Sklaven? – Die einzige und rechte Antwort ist: die Sache ist nicht wahr; denn man gebe uns nur Kraft-Leute, welche aus Schwaben – aus der Lausitz – aus Niedersachsen – aus den Rheingegenden landschaftliche Wörter zu uns herübersteuern, z. B. einen Schiller, Lessing, Bode, Goethe, so empfangen wir die vaterländischen Verwandten nach Ehrgebühr.

Wollte man die bedeckten Goldschachten altdeutscher Sprachschätze wieder öffnen: so könnte man z. B. aus Fischarts Werken allein ein Wörterbuch erheben. Ein frommer Wunsch wäre es – und doch zu erfüllen – ein bloßes Wörterbuch aller seit einigen Jahrhunderten ergraueten Wörter zu bekommen, von welchen wir keine ähnlichen stammhaltigen Enkel haben. Ja, jedes Jahrhundert könnte sein besonderes Scheintoten-Register oder Wörterbuch dieser Art erhalten. Wollen wir Deutschen uns doch recht der Freiheit erfreuen, veraltete Wörter zu verjüngen, indes Briten und Franzosen nur die Aufnahme neugemachter wagen, welche sie noch dazu aus ausländischem Tone formen, wenn wir unsere aus inländischem. – Der immer komplette Deutsche kann leichter jedes Buch vollständig schreiben, als ein Wörterbuch seiner Sprache, welchem jede Messe einen Ergänzband voll neuester Wörter nachschickt. So reich springen aus dem Boden unserer Sprache überall neue Quellstrahlen auf, wohin der Schriftsteller nur tritt, daß er fast mehr zu meiden als zu suchen hat, und daß er oft im feurigen Gange der Arbeit kaum weiß, daß er ein neues Wort geschaffen. Diese Verwechselung eines neuen mit einem alten, dieses ungesuchte Entgegenschlüpfen führt auch zugleich den besten Beweis für den Wert eines neuen Worts; sogar Kindern entfliegen unbewußt neue sprachrechte Wörter; und der Verfasser setzt zu andern Beispielen noch dieses, daß gerade dasselbe kleine Mädchen, welches für Fledermaus Luftmaus erfand, heute, da von Fernglas und Vergrößerungsglas die Rede war, bemerkte, man sollte statt des letzten sagen, Naheglas. Das Kind hat recht; denn das Vergrößern hat das Sternrohr mit dem Mikroskop gemein.

In Schlegels Shakespeare und in Vossens Übersetzungen läßt die Sprache ihre Wasserkünste spielen, und beider Meisterstück geben dem Wunsche des Verfassers Gewicht: daß überhaupt die Übersetzer wissen möchten, wie viel sie für Klang, Fülle, Reinheit der Sprache, oft sogar mehr als selber der Urschriftsteller, zu leisten vermögen, da ihnen, wenn dieser über die Sache zuweilen die Sprache vergißt, die Sprache eben die Sache ist.

Dichter übrigens führen, sobald man ihnen eine gelehrte Wahl zutraut, neue Wörter am leichtesten ein, weil die Dichtkunst sie durch ihre goldenen Einfassungen heraushebt und dem Auge länger vorhält. Man erstaunt über den Zuwachs neuer Eroberungen, wenn man in Lessings Logau oder in den alten Straf-Rezensionen Klopstocks und Wielands das Verzeichnis erweckter oder erschaffener oder eroberter Wörter lieset, welche sich jetzt mit der ganzen Völkerschaft vermischt und verschwägert haben. Sogar das indeklinable; »wund«, das es nicht weniger war als »unpaß, feind«, hat Wieland durch einen Aufsatz für Rousseaus Band-Lüge für uns alle deklinabel gemacht.

Eines der besten Mittel, ein neues Wort einzuführen, ist, es auf ein Titelblatt zu stellen. Noch gedeihlicher und weiter pflanzen Zeitungsblätter neue Wörter (unblutige Neuigkeiten) fort, z. B. Heerschau, statt Revue.

Neue Wendungen und Wortknüpfungen drängen sich am schwersten oder langsamsten durch die enge Pforte in die lebendige Sprachwelt, z. B. viele französische von Wieland, eigentümliche von Lessing, von Klopstock; erstlich weil die Annahme einer ganzen fremden neuen Wendung einem halben Raube und Nachhalle ähnlich sieht, und zweitens, weil sich ihre Feierlichkeit nicht so leicht wie ein kurzes Wort mit der Anspruchslosigkeit der Gesellschaft und des gemeinen Stils verflicht. Indes hatten Klopstock (als Dichter) und Herder und Lessing (als Prosaisten) schon von 1760 bis 1770 in einem Jahrzehend durch die Keckheit und Kraft ihrer Wortfügungen (so wie ihrer Wortbauten) die Sprache mit einer Freiheit, Vielgliederung und Gelenkigkeit ausgesteuert, welche später von Goethe und der ganzen arbeitenden deutschen Schule wachsende Fülle bekamen. Aber ein Jahrhundert voll hundert schreibender Adelunge, Biester, Nicolais und ähnlicher hätten die Sprache nicht um eine Spanne freier gelüftet, ja kaum um eine enger gekettet. Überhaupt bildet und nährt die Prose ihre Sprachkraft an der Poesie; denn diese muß immer mit neuen Federn steigen, wenn die alten, die ihren Flügeln ausfallen, die Prose zum Schreiben nimmt. Wie diese aus Dichtkunst entstand, so wächst sie auch an ihr.

Wenn man den Reichtum unserer Sprache, gleichsam eines Spiegelzimmers, das nach allen Seiten wiedergibt und malt, am vollständigsten ausgelegt sehen will: so überzähle man den deutschen Schatz an sinnlichen Wurzel-Zeitwörtern. Überhaupt nur durch die Gewalt über die Zeitwörter erhält der Autor die Herrschaft über die Sprache, weil sie als Prädikate dem Subjekte am willigsten zulaufen, und sich in jede grammatische Einkleidung am leichtesten zerteilen; z. B. aus: die jetzige Zeit blüht, wird leicht: sie treibt Blüten, steht in Blüte, steht blühend da, die blühende Zeit, die Blüten der Zeit etc. Wer die Sprache mit erschaffenen Wörtern zu bereichern sucht, lebt meistens an alten verarmt; solche Blumen sind nur aus kranker Schwäche gefüllte, und treiben neue Blätter. Lavater hat eben darum mehr Wörter geschaffen, als Lessing und Herder und Goethe zusammen; so oft er sich nicht auszudrücken wußte, schuf er. Wer die meisten neuen im sprachlahmen Drange der Unkunde erfindet, sind Kinder. Sonst suchte der Schriftsteller das Wagen eines neuen Wortes – z. B. anno 1770 der Übersetzer Hemsterhuis das Wort Wesenheit statt Essence oder Bode das Wort Empfindsamkeit – mit einem gelehrten Ansehen, beide mit Lessings seinem, zu entschuldigen; jetzt läßt jeder sich hinlaufen und fortspulen, und bittet so wenig um Verzeihung neuer Wörter, als wären es neue Gedanken. Aber jenen Neulingen hängen zwei Nachteile an: daß sie in der scharf objektiven Dichtkunst, in der rein epischen, in der rein komischen mit ihren vordringenden Ansprüchen mehr stören als wirken; und dann, daß sie da, wo die Malerei ein Blitz ist und kein Regenbogen, viel zu lange sind. Je länger aber ein Wort, desto unanschaulicher; daher geht schon durch die Wurzel-Einsilbigkeit der »Lenz« dem »Frühling« mit seinen Ableitern vor, eben so »glomm« dem »glimmte«. Da man nicht neue Wurzeln erschafft, sondern nur die alten zu Zweigen und Ausschößlingen nötigt und verlängert: so können sie selten ohne vor- und nachsilbiges Schlepp-Werk, oder doch nicht ohne Spuren von dessen Abschnitte erscheinen.

Übrigens wird die deutsche Sprache sogar durch die größte Gastfreiheit gegen Fremdlinge niemals verarmen und einkriechen. Denn stets zeugt sie (wie alle Wörterbücher beweisen) aus ihren immer frischen Stammbäumen hundertmal mehr Kinder und Enkel und Urenkel, als sie fremde Geburten an Kindes Statt annimmt; so daß nach Jahrhunderten die aus unsern forttreibenden Wurzelwörtern aufgegangne Waldung die nur als Flugsame aufgekeimten Fremdwörter ersticken und verschatten muß, zuletzt als ein wahrer Lianenwald aufgebäumt, dessen Zweige zu Wurzeln niederwachsen, und dessen aufwärts gepflanzte Wurzeln zu Gipfeln ausschlagen. Wie fremddurchwachsen und verwildert wird dagegen nach einigen Jahrhunderten z. B. die englische Sprache dastehen, mit dem vaterländischen aber kraftlosen Stamm voll eingeimpften Wortgebüsches, keines Schaffens nur des Impfens fähig, und aus dem doppelten Amerika mehr neue Wörter als Waren abholend!

 

Die Sprache ist ein Gewölke, an dem jede Phantasie ein anderes Gebilde erblickt. Sogar sich selber, nämlich sein eignes Buch, fasset man, wenn uns eine Reihe unähnlicher Zustände umgearbeitet hat, bloß durch das Erinnern an den, worin man es machte.

 

Nicht aus Gemeinem ist der Mensch gemacht (wie Schiller sagt), sondern aus Worten. Vom Worte werden die Völker länger als vom Gedanken regiert; das Wort wohnt auf der leichten Zunge fester, als dessen Sinn im Gehirn; denn es bleibt, mit demselben Tone Köpfe zusammenrufend und an einander heftend, und Zeiten durchziehend, in lebendiger Wirkung zurück, indes der ewig wechselhafte Gedanke ohne Zeichen umfliegt, und sich sein Wort erst sucht. So gleicht das Wort – diese Gedankenschale – den Schaltieren, deren Gehäuse ohne die weichen Einwohner das bilden, was kein Tier und Riese zu bilden vermag – Inseln und Gebirge.

 

Wenn früher unsere Sprache nur ein unscheinbares Grubenkleid war, worin wir Glanz und Gold aus Tiefen holten: so ist sie jetzt schon selber mit diesem Gold besetzt und durchwirkt. Hält nun dieses freie Hineinarbeiten unserer Sprache in alle Sprach- und Dichtformen, dieses Einschmelzen, Zugießen, Ausschmieden und Feinziehen derselben nur noch ein zweites Halbjahrhundert an: ein deutscher Sprachfleiß, welchen die politischen Verhältnisse mehr befeuern, als ersticken: so öffnet sie ein so reiches volles Warenlager von Arbeit- und Reißzeug aller Art, daß, wenn ein zweiter Klopstock oder Goethe erscheint, welcher mit ihrem Reichtume so wuchert, wie die ersten mit ihrer Armut, alsdann die moderne Dichtkunst vielleicht den sechsten Schöpfungstag begrüßt.

 

Mit jedem Jahrhundert verliert eine Flur von Dichter-Blumen ihre lebendige blühende Gestalt und vermodert zu toter Materie, z. B. die Bilder »Geschmack, Verdauen, Aussicht, Ton, Berg, Gipfel«. Besonders verflüchtigen sich gerade die Metaphern der gröbern Sinne, z. B. »hart, rauh, scharf, kalt« zuerst und werden abstrakte Geister, eben weil der gröbere Sinn der dunklere ist, indes das helle Auge seine hellen Gestalten in größerer Ferne verfolgt und bewacht. Aber auch hier verfliegt, was oft erscheint; so selber das Licht, tiefe Finsternis. Der Gipfel schlägt bloß durch ein W (Wipfel) wieder körperlich und grünend aus.

Diese öftere Wiederkehr macht ein Körper-Wort oft so durchsichtig, daß ein Schriftsteller, der immer ein und dasselbe uneigentliche Wort in einer Abhandlung gebrauchen muß, leicht dessen eigentliche Bedeutung vergißt.

Aber eben dieses tägliche Aussterben der Sprech-Blumen muß uns größern Spielraum zur Nachsaat anweisen. Die Zeit mildert alles und vertreibt grelle Farben. Jetzt durch die Übung der geistigen Springfüße, durch das leichtere Verbinden aller Ideen, durch den Tauschhandel in allen Teilen des Gehirns und durch ein größeres fortgesetztes Gleich- und Ebenmachen in uns, wie außer uns, muß die Welt zuletzt mit kühnen Bildern aufhören, so wie sie damit anfing. Rede-Blumen müssen gleich den Tulipanen – wovon man vor zweihundert Jahren nur die gelbe kannte, jetzt aber dreitausend Abarten – sich durch ihr gegenseitiges Bestäuben immer vielfarbiger austeilen.

Wie man sonst in der Musik Fortschreitungen kaum durch Terzen erlaubte, aber jetzt oft durch Quinten und Oktaven: so werden in der Dichtkunst größere Fortschreitungen durch entferntere Verhältnisse verstattet. Denn es kommt bloß auf zwei Bedingungen an. Erstlich daß das sinnliche Bild sinnliche Anschaulichkeit, nicht aber eben Wirklichkeit habe, z. B. ich kann einen Regen von Funken sinnlich denken; folglich kann Schiller sagen: ein Regen von Wollust-Funken. – Diese Kühnheit gebraucht oft (mißbraucht selten) Schiller; z. B. »bei der Ebbe des Herzens betteln«; ja noch mehr: »Wunden in ein Rosen-Bild bohren« – in welcher Redensart sich das Gemälde fast aus vier Bildern ohne Tadel bildet. Görres, ein Millionär an Bildern, obwohl als Prosaist, drückt freilich, wenn er jedes Bild zum Hecktaler eines neuen hinwirft, zuweilen auf die Kehrseite seiner Bildmünze ein mit der Vorseite unverträgliches Bild; und ich brauche in dieser Allegorie nur länger fortzufahren, so ahme ich ihm nach. – Adelung (dieser soll uns von Görres heilen) tadelt »das Licht verwelkt« (von Bodmer); warum soll das Entfärben des Verwelkens nicht dem Erblassen des Strahlens gleichen? Tieck sagt: »das Licht blüht«. Da um so viele Blüten noch weiße sind: so ist diese Kühnheit nur stärkere Richtigkeit. Man müßte folglich auch sagen können – so gut als: der Geschmack blüht – »das Licht einer reinern Kritik blüht«, obwohl ein Jahrzehend später.

Das zweite Mittel, ohne Katachresen die Bilder zu wechseln, ist dies, wenn ihre Kürze, die sie mehr zu Farben als Bildern macht, sie in Einen Eindruck vereinigt wie ein Brennglas die sieben bunten Strahlen des Prisma zu Einem Weiß. So sagt z. B. Sturz ganz richtig: »gesellschaftliche Kampfspiele des Witzes, wo man sich flache, klingende, honigsüße Dinge sagt«. Diese von drei Sinnen entlehnten Metaphern legen ihre Widerwärtigkeit in Einer Wirkung ab; die Kurze, nicht aber etwan ihre heimliche Verwandlung in eigentliche Bedeutungen söhnt sie unter einander aus. Denn könnte ich sonst sagen: »das Leben ist ein Regenbogen des Scheins, eine Komödienprobe, ein fliegender Sommer voll mouches volantes, anfangs ein feuriges Meteor, dann ein wässeriges«? – Ich kann es, denn ich tue es; der Grund aber liegt im vorigen. Überhaupt ist viel Willkür in den anbefohlenen Fernen, in welchen man verschiedene Metaphern auseinander halten soll. Darf man schon im Nachsatze eine neue bringen oder erst in der nächsten Periode? Oder muß in dieser ein uneigentlicher Satz als Schranke dastehen, um die Schlagweite für die neue Metapher leer zu halten? – Oder mehr als eine? – Ja soll man die Metapher in eine immer dünnere leisere Allegorie verklingen oder zu einer stärkern schwellen lassen? Wird aber nicht im ersten Falle die Aufmerksamkeit gegen ein mattes Geräusche von Bildern und Ideen gekehrt; und springt nicht im zweiten der Ton zu straff bei der nächsten Stille ab? – Hier gibt es keine Bestimmung, sondern alles kommt auf den Geist des Werkes an. Kann dieser eine Seele fassen und wie eine Welt durch einen weiten Himmel treiben: dann werdet ihr bei der gewaltsamen Bewegung so wenig einen Schwindel spüren, als das ewige Umrollen der Erde uns einen macht. Schiffet euch aber der Autor in ein enges Marktschiff ein, so daß ihr auf alles um euch her merken und achten müsset, bis zuletzt auf die gedruckten »Hasenöhrchen«, so schwindelt ihr ekel vor allem, was schnell vorüber geht.

Dasselbe gilt für den Autor. Ist und schwebt er in jener wahren Begeisterung, welche anschauet: so werden seine Blumen von selber zu einem Kranze wachsen, weil das Unmögliche nicht anzuschauen ist. – Ist er aber kalt und tot: so verträgt das Tote alles Ungleichartige, was das Leben ausstieße. Wie Adelung schön »die abweichende Schrift einen wohltätigen Zügel für die ihrer übrigen Stützen beraubte Aussprache« nennt: so nenne ich die Begeisterung jenen Zügel des Geistes ohne Stützen.


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