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Leibniz

Das Band der Sprache, der Sitten, auch sogar des gemeinen Namens vereiniget die Menschen auf eine kräftige, wiewohl unsichtbare Weise und machet gleichsam eine Art der Verwandtschaft. In Deutschland aber hat man annoch dem Latein und der Kunst zu viel, der Muttersprach und der Natur zu wenig zugeschrieben, welches denn sowohl bei den Gelehrten als bei der Nation selbst eine schädliche Wirkung gehabt. Denn die Gelehrten, indem sie fast nur Gelehrten schreiben, sich oft zu sehr in unbrauchbaren Dingen aufhalten; bei der ganzen Nation aber ist geschehen, daß diejenigen, so kein Latein gelernet, von der Wissenschaft gleichsam ausgeschlossen worden, also bei uns ein gewisser Geist und scharfsinnige Gedanken, ein reifes Urteil, eine zarte Empfindlichkeit dessen so wohl oder übel gefasset, noch nicht unter den Leuten so gemein worden als wohl bei den Ausländern zu spüren, deren wohl ausgeübte Muttersprach wie ein rein poliertes Glas gleichsam die Scharfsichtigkeit des Gemüts befördert und dem Verstand eine durchleuchtende Klarheit gibt. Weil nun dieser herrliche Vorteil uns Deutschen annoch gemangelt, was wundern wir uns, daß wir in vielen Stücken und sonderlich in denen Dingen, da sich der Verstand mit einer gewissen Artigkeit zeigen soll, von Fremden übertroffen werden? Daher nicht allein unsre Nation gleichsam wie mit einer düstern Wolke überzogen bleibet, sondern auch die, so etwa einen ungemeinen durchdringenden Geist haben und das, so sie suchen, nicht zu Haus, sondern auf ihren Reisen und in ihren Büchern bei Welschen und Franzosen finden, gleichsam einen Ekel vor den deutschen Schriften bekommen und nur was fremd lieben und hochschätzen, auch kaum glauben wollen, daß unsre Sprach und unser Volk eines Besseren fähig sei. Sind wir also in denen Dingen, so den Verstand betreffen, bereits in eine Sklaverei geraten, und werden durch unser Blindheit gezwungen, unser Art zu leben, zu reden, zu schreiben, ja sogar zu gedenken, nach fremden Willen einzurichten.

Es haben die preiswürdigen Personen, so sich unser Sprache angenommen, viele Jahre mit der deutschen Nachlässigkeit und Selbstverachtung gestritten, aber nicht gesieget. Weil die meisten derer, so sich die Ehre der deutschen Sprache angelegen sein lassen, der Poeterei vornehmlich nachgehänget, und also gar selten etwas in deutsch geschrieben worden, so einen Kern in sich habe, auch alles gemeiniglich in andern Sprachen besser zu finden: so ist kein Wunder, daß es bei der eingerissenen Verachtung der unsrigen verblieben. Zwar es wäre wahrlich gut, wenn man deren viel wüßte, so nur ein deutsches Klinggedichte also fassen könnten, daß es ander Sprachen Zierlichkeit entgegen zu setzen. Allein das ist nicht gnugsam, unser Heldensprache Ehre bei den Fremden zu retten, oder deren unartigen Landeskinder Neid und Leichtsinnigkeit zu überwinden, dieweil diejenigen, so selbst nichts Gutes tun, auch der besten Anschläge so lange spotten, bis sie durch den unwidersprechlichen Ausgang des Nutzens überzeuget. Daraus denn folget, daß keine Verbesserung hierin zu hoffen, so lange wir nicht unser Sprache in den Wissenschaften und Haupt-Materien selbsten üben, welches das einzige Mittel, sie bei den Ausländern in hohen Wert zu bringen und die undeutsch gesinnten Deutschen endlich beschämt zu machen. Denn unser deutscher Garten muß nicht nur anlachende Lilien und Rosen, sondern auch süße Äpfel und gesunde Kräuter haben. Jene verlieren bald ihre Schönheit und Geruch, diese lassen sich zum Gebrauch behalten. Hat man sich also nicht zu verwundern, warum so viel vortreffliche Leute das Werk, so sie angegriffen, nicht genugsam gehoben, dieweil man sich gemeiniglich nur mit solchen Gewächsen beholfen, welche zwar Blumen bringen, aber keine Früchte tragen. Maßen die Blumen der zierlichen Einfälle ihre Annehmlichkeit gleichsam unter den Händen verlieren und bald Überdruß machen, wenn sie nicht einen nährenden Saft der unvergänglichen Wissenschaften in sich haben.

 

Was ist beweglicher als was einige auch ungelehrte, aber sinnreiche Leute, die ich allhier weder loben noch tadeln will, in deutscher Sprache geschrieben, und welche einen großen Anhang gefunden? Ich kann auch nicht glauben, daß möglich sei, die Heilige Schrift in anderen Sprachen zierlicher zu dolmetschen als wir sie in deutsch haben; so oft ich die Offenbarung auch in deutsch lese, werde ich gleichsam entzücket und finde nicht nur in den göttlichen Gedanken einen hohen prophetischen Geist, sondern auch in den Worten selbst eine recht heroische und, wenn ich so sagen darf, virgilianische Majestät. Wie haben es doch unser Vorfahren vor etwa hundert und mehr Jahren gemacht, daß sie ganze Folianten mit reinem Deutsch gefüllt? Denn wer sagt, daß sie nichts Lesenswürdiges geschrieben, hat sie nicht gelesen. Wer spüret nicht in den Reichsabschieden den Unterschied der güldenen und eisernen Zeit, wenn er siehet, daß die deutsche Sprache und die deutsche Ruhe zugleich übern Haufen gangen, und auf einmal unser Ruhm und unsre Sprachrichtigkeit von uns gewichen? Von der Zeit an haben deutsche Kriegsheere fremden Befehlichhabern gegen ihr Vaterland zu Gebote gestanden, und das deutsche Blut ist der Ausländer mit falschen Anerbieten übertünchter Landgierigkeit aufgeopfert worden. Von der Zeit an hat auch unsre Sprache die Zeichen unser angehenden Dienstbarkeit tragen müssen. Gott wende diese Ahndung in Gnaden ab, damit ja nicht, nachdem es nun fast an dem, daß die Sprache zu Grunde gerichtet, es mit der deutschen Freiheit geschehen sein möge.

Aus allen Geschichten befindet sich, daß gemeiniglich die Nation und die Sprache zugleich geblühet, daß der Griechen und Römer Macht aufs höchste gestiegen gewesen, als bei jenen Demosthenes, bei diesen Cicero gelebet, daß die jetzige Schreib-Art, so in Frankreich gilt, fast ciceronianisch, da eben auch die Nation in Krieg- und Friedens-Sachen sich so ohnverhofft und fast unglaublich hervortut. Daß nun solches ohngefähr geschehn, glaub ich nicht, sondern halte vielmehr dafür, gleich wie der Mond und das Meer, also habe auch der Völker und der Sprachen Ab- und Aufnehmen ein Verwandtnis. Denn, wie obgedacht, so ist die Sprache ein rechter Spiegel des Verstandes und daher vor gewiß zu halten, daß wo man insgemein wohl zu schreiben anfänget, daß alsda auch der Verstand gleichsam wohlfeil und zu einer currenten Ware worden. Solches trifft nun in Frankreich also zu, daß, wer nicht durch unzeitigen Eifer verblendet und beider Nationen Tun kündig, gestehen muß, was bei uns vor wohl geschrieben geachtet wird, sei insgemein kaum dem zu vergleichen, so in Frankreich auf der untersten Staffel stehet, und allen denen gemein, so sich nur mit Schreiben im geringsten einlassen, oder unter den andren mit so hin durchlaufen dürfen. Hingegen wer also französisch schreiben wollte, wie bei uns oft deutsch geschrieben wird, der würde auch vom Frauenzimmer getadelt und bei denen Versammlungen verlacht werden. Welches alles ich denn nicht nur von der Reinigkeit der Worte, sondern von den Arten der Vernunftschlüsse, den Erfindungen, der Wahl, der eigentlichen Deutlichkeit, der selbstwachsenen Zierde und summa der ganzen Einrichtung der Rede will verstanden haben, wobei es uns allenthalben mangelt. Irren daher diejenigen sehr, welche sich einbilden, daß die Wiederbringung der deutschen Beredsamkeit nur allein in Ausmusterung ausländischer Wörter beruhe. Ich halte dieses vor das Geringste und will keinem über ein Fremd-Wort, so wohl zu Passe kommt, den Prozeß machen; aber das ungereimte, unnötige Einflicken ausländischer, auch nicht einmal verstandener nicht zwar Worte, doch Redarten, die ganz gleichsam zerfallende Sätze und Abteilungen, die ganz unschickliche Zusammenfügungen, die untaugliche Vernunftsgründe, deren man sich schämen müßte, wenn man nur etwas zurück denken wollte: dies alles ist, was nicht nur unsere Sprache verderben, sondern auch je mehr und mehr die Gemüter anstecken wird. Man gebe Achtung darauf, so wird man befinden, daß anderswo oft Knaben von zwölf Jahren mit einander vernünftiger reden als oftmals bei uns Jünglinge von zwanzigen, und daß ein paar französische Damen von ihren Hausgeschäften und Angelegenheiten eine so ernsthafte, ordentliche und bündige Unterredung halten können, als ein paar Reichsräte von Landesgeschäften. Wem soll man dieses zuschreiben, als daß sie von Jugend auf nicht nur sowohl zierliche als auch nachdenkliche Bücher lesen und ihre Gesellschaften nicht mit (wie wir) abgeschmackten Possen, sondern mit annehmlichen Gedanken zubringen, die durchs Lesen entstanden und durchs Gespräch nützlich anbracht worden? Dies ist großenteils die Ursache ihres Vorteils, den sie vor uns haben. Denn hat's die Luft mit andern Elementen getan, warum sind denn diese Nationen lange Zeit barbarisch gewesen, es hätte sich dann der Himmel unter dessen geändert? Ich bin nicht in Abrede, daß die Lebensmittel und Nahrung, so man genießet, ein Großes vermögen, aber die Erziehung überwindet alles, und die Franzosen sagen recht: Geschäfte machen Leute, – welches billig von aller Übung zu verstehen.

Man lasse einen jungen Menschen mit denen umgehen, so ungeschickt reden, man lasse ihn abgeschmackte Bücher lesen und viel in unbelebte Gesellschaften kommen: es wird ihm lange gnug anhängen. Soll denn diese gegenwärtige fast allgemeine Grund-Verderbung der deutschen Beredsamkeit nicht ihre Wirkung bis in die zarten Gemüter erstrecken? Man muß lachen wider seinen Willen, wenn man höret und siehet, daß nunmehr manche Pfarrherrn auf Kanzeln und Advokaten in Schriften mit rotwelschen Französisch um sich werfen; aber man wird gar anders als zu lachen beweget, wenn man siehet, wie die ganze Rede so kahl ablauft, wie sogar weder Kraft noch Saft darinne, ja was noch mehr, wie die gesunde Vernunft überall nicht weniger als der deutsche Priscianus notleide. Weil nun dieses Übel gleichsam zu einer ansteckenden Land-Seuche worden, was wundern wir uns, daß die von unsren Vorfahren annoch übrige auf uns geerbte edle deutsche Tugend auch zu Grunde gehet, denn was ist die Tugend ohne Verstand? Wer siehet nicht, daß, der so blind zu fallen will, im Krieg häßlich anlauft und daß die Bälle einen guten Spieler gleichsam zu suchen scheinen?

Es wäre ein anders Werk, wenn auch von uns etwas anjetzo gefunden würde, dessen Bequemlichkeit auch die Ausländer nachzuahmen zwingen könnte; weil aber unser Reden, unser Schreiben, unser Leben, unser Vernünftlen in einer Nachäffung bestehet, so ist leicht zu erachten, daß wir die Hülsen vor den Kern bekommen. Und daß es uns fast gehet wie denen Kindern in einer kleinen Stadt, da etliche durchstreichende Comoedianten etwa acht Tage über gespielet. Denn da wollen die Kinder alle Comedi spielen, und hanget ihnen das Narrenwerk so sehr an, daß sie fast darüber ihrer Schule und andren Tuns vergessen.

 

Wenn die deutsche Tugend dergestalt in der Aschen liegen sollte, daß auch keine glimmende Funken mehr übrig blieben wären, so würde dieses, was ich bisher nicht ohne Gemüts-Bewegung ausgeschüttet, nicht nur vergebens, sondern schädlich sein. Denn wozu dienet's, daß man unsre Wunden aufdecke, wenn sie unheilbar seyn, oder auch von der scharfen Luft verschlimmert werden können? Aber gottlob, unser Unglück ist noch nicht bis auf die höchste Staffel gestiegen. Gnug ist's, daß uns die Augen geöffnet worden; es ist noch Hoffnung bei dem Kranken, so lange er Schmerzen fühlet; und wer weiß warum uns Gott gezüchtiget, dessen väterliche Rute wohl gemeinet, wenn wir uns nur selbst die Besserung nicht unmöglich machen. Und weil aus Obstehenden soviel erscheinet, daß vor allen Dingen die Gemüter aufgemuntert und der Verstand erwecket werden müsse, als der aller Tugend und Tapferkeit Seele ist, so wäre dies meine unvorgreifliche Meinung: es sollten einige wohlmeinende Personen zusammen treten und unter höherm Schutz eine deutschgesinnte Gesellschaft stiften, deren Absehen auf alle dasjenige gerichtet sein solle, so den deutschen Ruhm erhalten oder auch wieder aufrichten könne. Und solches zwar in denen Dingen, so Verstand, Gelehrsamkeit und Beredsamkeit einigermaßen betreffen können; und dieweil solches alles vornehmlich in der Sprache erscheinet, als welche ist eine Dolmetscherin des Gemüts und eine Behalterin der Wissenschaft, so würde unter andern auch dahin zu trachten sein, wie allerhand nachdenkliche, nützliche, auch annehmliche Kernschriften in deutscher Sprache verfertigt werden möchten, damit der Lauf der Barbarei gehemmet und, die in den Tag hinein schreiben, beschämet werden mögen. Weil auch viele nur deswegen übel schreiben, dieweil sie der rechten Schreibekunst nicht berichtet und eigentlich zwischen guten und schlechten Büchern nicht wohl zu unterscheiden gewußt, zumal sie sehen, daß mancher Leser so wenig, was gut oder übel geschrieben, zu unterscheiden als das Huhn die Perl vor einem Gerstenkorn zu schätzen weiß; so würde sowohl den Schreibenden verhoffentlich dadurch ein Licht angezündet als den Lesenden die Augen geöffnet werden. Da man nun dergestalt in kurzer Zeit die Wahl herrlicher deutscher Schriften haben sollte, so bin ich versichert, daß gar bald die Hof- und Weltleute, auch das Frauenzimmer selbst, und was nur sinnreich und wissensbegierig, eine große Freude daran haben würden. Dies wird denen Gemütern gleichsam ein neues Leben eingießen, in Gesellschaften, auch unter Reisegefährten und bei Briefwechselung angenehme und nützliche Materi an die Hand geben, und nicht nur zu einer löblichen Zeitverkürzung, sondern auch zu einer Öffnung des Verstandes, Zeitigung der bei uns sonst gar zu spät lernenden Jugend, Aufmunterung des deutschen Muts, Ausmusterung des fremden Affenwerks, Erfindung eigner Bequemlichkeit, Ausbreitung und Vermehrung der Wissenschaften, Aufnehmen und Beförderung der rechten gelehrten und tugendhaften Personen, und mit einem Wort zum Ruhm und Wohlfahrt deutscher Nation gereichen.

 

Es ist bei dem Gebrauch der Sprache sonderlich zu betrachten, daß die Worte nicht nur der Gedanken, sondern auch der Dinge Zeichen seyn, und daß wir Zeichen nötig haben, nicht nur unsere Meinung andern anzudeuten, sondern auch unsern Gedanken selbst zu helfen. Denn gleichwie man in großen Handels-Städten, auch im Spiel und sonsten nicht allezeit Geld zahlet, sondern sich an dessen Statt der Zettel oder Marken bis zur letzten Abrechnung oder Zahlung bedienet: also tut auch der Verstand mit den Bildnissen der Dinge, zumal wenn er viel zu denken hat, daß er nämlich Zeichen dafür brauchet, damit er nicht nötig habe, die Sache jedesmal, so oft sie vorkommt, von neuem zu bedenken. Daher wenn er sie einmal wohl gefasset, begnügt er sich hernach oft, nicht nur in äußerlichen Reden, sondern auch in den Gedanken und innerlichen Selbst-Gespräch das Wort an die Stelle der Sache zu sezzen.

Und gleichwie ein Rechen-Meister, der keine Zahl schreiben wollte, deren Halt er nicht zugleich bedächte und gleichsam an den Fingern abzählete, wie man die Uhr zählet, nimmer mit der Rechnung fertig werden würde: also wenn man im Reden und auch selbst im Gedenken kein Wort sprechen wollte, ohne sich ein eigentliches Bildnis von dessen Bedeutung zu machen, würde man überaus langsam sprechen oder vielmehr verstummen müssen, auch den Lauf der Gedanken notwendig hemmen und also im Reden und Denken nicht weit kommen.

Daher braucht man oft die Wort als Ziffern oder als Rechen-Pfennige anstatt der Bildnisse und Sachen, bis man stufenweise zum Fazit schreitet und beim Vernunft-Schluß zur Sache selbst gelanget. Woraus erscheinet wie ein Großes daran gelegen, daß die Worte als Vorbilde und gleichsam als Wechsel-Zettel des Verstandes wohl gefasset, wohl unterschieden, zulänglich, häufig, leichtfließend und angenehm seyn.

 

Ich finde, daß die Deutschen ihre Sprache bereits hoch bracht in allen dem, so mit den fünf Sinnen zu begreifen, und auch dem gemeinen Mann fürkommet; absonderlich in leiblichen Dingen, auch Kunst- und Handwerks-Sachen, weil nämlichen die Gelehrten fast allein mit dem Latein beschäftigt gewesen und die Mutter-Sprache dem gemeinen Lauf überlassen, welche nichts desto weniger auch von den so genannten Ungelehrten nach Lehre der Natur gar wohl getrieben worden. Und halt ich dafür, daß keine Sprache in der Welt sei, die, zum Exempel, von Erz und Bergwerken reicher und nachdrücklicher rede als die deutsche. Dergleichen kann man von allen andern gemeinen Lebens-Arten und Professionen sagen, als von Jagd- und Weid-Werk, von der Schiffahrt und dergleichen. Wie denn alle die Europäer, so auf dem großen Welt-Meer fahren, die Namen der Winde und viel andere Seeworte von den Deutschen, nämlich von den Sachsen, Normannen, Osterlingen und Niederländern entlehnet.

Es ereignet sich aber einiger Abgang bei unserer Sprache in denen Dingen, so man weder sehen noch fühlen, sondern allein durch Betrachtung erreichen kann; als bei Ausdrückung der Gemüts-Bewegungen, auch der Tugenden und Laster und vieler Beschaffenheiten, so zur Sitten-Lehr und Regierungs-Kunst gehören; dann ferner bei denen noch mehr abgezogenen Erkenntnissen, so die Liebhaber der Weisheit in ihrer Denk-Kunst und in der allgemeinen Lehre von den Dingen unter dem Namen der Logik und Metaphysik auf die Bahne bringen; welches alles dem gemeinen deutschen Mann etwas entlegen und nicht so üblich, da hingegen der Gelehrte und Hofmann sich des Lateins oder anderer fremden Sprachen in dergleichen fast allein und, in so weit, zu viel beflissen; also daß es denen Deutschen nicht am Vermögen, sondern am Willen gefehlet, ihre Sprache durchgehends zu erheben. Denn weil alles, was der gemeine Mann treibet, wohl in deutsch gegeben, so ist kein Zweifel, daß dasjenige, so vornehmen und gelehrten Leuten mehr fürkommt, von diesen, wenn sie gewollt, auch sehr wohl, wo nicht besser, in reinem Deutsch gegeben werden können.

Nun wäre zwar dieser Mangel bei denen logischen und metaphysischen Kunst-Wörtern noch in etwas zu verschmerzen, ja ich habe es zu Zeiten unser ansehnlichen Haupt-Sprache zum Lobe angezogen, daß sie nichts als rechtschaffene Dinge sage und ungegründete Grillen nicht einmal nenne. Daher ich bei denen Italienern und Franzosen zu rühmen gepfleget: wir Deutschen hätten einen sonderbaren Probierstein der Gedanken, der andern unbekannt; und wenn sie denn begierig gewesen etwas davon zu wissen, so habe ich ihnen bedeutet, daß es unsere Sprache selbst sei; denn was sich darin ohne entlehnte und ungebräuchliche Worte vernehmlich sagen lasse, das seie wirklich was Rechtschaffenes: aber leere Worte, da nichts hinter, und gleichsam nur ein leichter Schaum müßiger Gedanken, nehme die reine deutsche Sprache nicht an.

Alleine, es ist gleichwohl an dem, daß in der Denk-Kunst und in der Wesen-Lehre auch nicht wenig Gutes enthalten, so sich durch alle andere Wissenschaften und Lehren ergießet, als wenn man daselbst handelt von Begrenzung, Einteilung, Schluß-Form, Ordnung, Grund-Regeln, und ihnen entgegen gesetzten falschen Streichen; von der Dinge Gleichheit und Unterscheid, Vollkommenheit und Mangel, Ursach und Wirkung, Zeit, Ort und Umständen. Unter welchen allen viel Gutes ist, damit die deutsche Sprache allmählich anzureichern.

Sonderlich aber stecket die größte natürliche Weisheit in der Erkenntnis Gottes, der Seelen und Geister aus dem Licht der Natur, so nicht allein sich hernach in die offenbarte Gottes-Gelehrtheit mit einverleibet, sondern auch einen unbeweglichen Grund leget, darauf die Rechts-Lehre so wohl vom Rechte der Natur, als der Völker insgemein und insonderheit auch die Regierungs-Kunst samt den Gesetzen aller Lande zu bauen. Ich finde aber hierin die deutsche Sprache noch etwas mangelhaft und zu verbessern.

Zwar ist nicht wenig Gutes auch zu diesem Zweck in denen geistreichen Schriften einiger tiefsinnigen Gottes-Gelehrten anzutreffen; ja selbst diejenigen, die sich etwas zu denen Träumen der Schwärmer geneiget, brauchen gewisse schöne Worte und Reden, die man als güldene Gefäße der Egypter ihnen abnehmen, von der Beschmutzung reinigen und zu dem rechten Gebrauch widmen könnte. Welchergestalt wir den Griechen und Lateinern hierin selbst würden Trotz bieten können.

Am allermeisten aber ist unser Mangel, wie gedacht, bei denen Worten zu spüren, die sich auf das Sitten-Wesen, Leidenschaften des Gemüts, gemeinlichen Wandel, Regierungs-Sachen, und allerhand bürgerliche Lebens- und Staats-Geschäfte ziehen: wie man wohl befindet, wenn man etwas aus andern Sprachen in die unsrige übersetzen will. Und weilen solche Wort und Reden am meisten fürfallen, und zum täglichen Umgang wackerer Leute so wohl als zur Brief-Wechselung zwischen denselben erfordert werden: so hätte man fürnehmlich auf deren Ersetzung oder, weil sie schon vorhanden, aber vergessen und unbekannt, auf deren Wiederbringung zu gedenken und, wo sich dergleichen nichts ergeben will, einigen guten Worten der Ausländer das Bürger-Recht zu verstatten.

Hat es demnach die Meinung nicht, daß man in der Sprach zum Puritaner werde und mit einer abergläubischen Furcht ein fremdes, aber bequemes Wort als eine Tod-Sünde vermeide, dadurch aber sich selbst entkräfte, und seiner Rede den Nachdruck nehme; denn solche allzu große Scheinreinigkeit ist einer durchbrochenen Arbeit zu vergleichen, daran der Meister so lange feilet und bessert, bis er sie endlich gar verschwächet.

 

Anitzo scheinet es, daß bei uns Übel ärger worden, und hat der Mischmasch abscheulich überhand genommen, also daß der Prediger auf der Kanzel, der Sachwalter auf der Kanzlei, der Bürgersmann im Schreiben und Reden, mit erbärmlichen Französischen sein Deutsches verderbet; mithin es fast das Ansehen gewinnen will, wenn man so fortfähret und nichts dagegen tut, es werde Deutsch in Deutschland selbst nicht weniger verloren gehen, als das Engelsächsische in Engelland.

Gleichwohl wäre es ewig Schade und Schande, wenn unsere Haupt- und Helden-Sprache dergestalt durch unsere Fahrlässigkeit zu Grunde gehen sollte, so fast nichts Gutes schwanen machen dürfte, weil die Annehmung einer fremden Sprache gemeiniglich den Verlust der Freiheit und ein fremdes Joch mit sich geführet.

Es würde auch die unvermeidliche Verwirrung bei solchem Übergang zu einer neuen Sprache hundert und mehr Jahr über dauren, bis alles Aufgerührte sich wieder gesetzet und wie ein Getränke, so gegoren, endlich aufgekläret. Da inzwischen von der Ungewißheit im Reden und Schreiben notwendig auch die deutschen Gemüter nicht wenig Verdunkelung empfinden müssen; weilen die meisten doch die Kraft der fremden Worte eine lange Zeit über nicht recht fassen, also elend schreiben, und übel denken würden; wie denn die Sprachen nicht anders als bei einer einfallenden Barbarei oder Unordnung, oder fremder Gewalt sich merklich verändern.

Gleichwie nun gewissen gewaltsamen Wasserschüssen und Einbrüchen der Ströme nicht so wohl durch einen steifen Damm und Widerstand, als durch etwas, so anfangs nachgibt, hernach aber allmählich sich setzet und fest wird, zu steuren: also wäre es auch hierin vorzunehmen gewesen. Man hat aber gleich auf einmal den Lauf des Übels hemmen, und alle fremde auch so gar eingebürgerte Worte ausbannen wollen. Dawider sich die ganze Nation, Gelehrte und Ungelehrte, gesträubet, und das sonsten zum Teil gute Vorhaben fast zu Spott gemacht, daß also auch dasjenige nicht erhalten worden, so wohl zu erlangen gewesen, wenn man etwas gelinder verfahren wäre.

Wie es mit der deutschen Sprach hergangen, kann man aus den Reichs-Abschieden und andern deutschen Handlungen sehen. Im Jahrhundert der Reformation redete man ziemlich rein deutsch, außer weniger italienischer, zum Teil auch spanischer Worte, so vermittelst des Kaiserlichen Hofes zuletzt eingeschlichen. Solches aber, wenn es mäßiglich geschieht, ist weder zu ändern noch eben zu sehr zu tadeln, zu Zeiten auch wohl zu loben, zumal wenn neue und gute Sachen zusamt ihren Namen aus der Fremde zu uns kommen.

Allein wie der dreißigjährige Krieg eingerissen und überhand genommen, da ist Deutschland von fremden und einheimischen Völkern wie mit einer Wasserflut überschwemmet worden, und nicht weniger unsere Sprache als unser Gut in die Rappuse gangen; und siehet man, wie die Reiches-Acta solcher Zeit mit Worten angefüllet seyn, deren sich freilich unsere Vorfahren geschämet haben würden.

Bis dahin nun war Deutschland zwischen den Italienern, so kaiserlich, und den Franzosen, als schwedischer Partei, gleichsam in der Waage gestanden. Aber nach dem Münsterschen und Pyrenäischen Frieden hat so wohl die französische Macht, als Sprache bei uns überhand genommen. Man hat Frankreich gleichsam zum Muster aller Zierlichkeit aufgeworfen, und unsere junge Leute, auch wohl junge Herren selbst, so ihre eigene Heimat nicht gekennet und deswegen alles bei den Franzosen bewundert, haben ihr Vaterland nicht nur bei den Fremden in Verachtung gesetzet, sondern auch selbst verachten helfen, und einen Ekel der deutschen Sprach und Sitten aus Ohnerfahrenheit angenommen, der auch an ihnen bei zuwachsenden Jahren und Verstand behangen blieben.

Ich will doch gleichwohl gern jedermann recht tun, und also nicht in Abrede sein, daß mit diesem Franz- und Fremdentzen auch viel Gutes bei uns eingeführet worden. Man hat mit einiger Munterkeit im Wesen die deutsche Ernsthaftigkeit gemäßiget, und sonderlich ein und anders in der Lebens-Art etwas besser zur Zierde und Wohlstand eingerichtet und, so viel die Sprache selbst betrifft, einige gute Redens-Arten als fremde Pflanzen in unsere Sprache selbst versetzet.

Derowegen wann wir nun etwas mehr als bisher deutsch gesinnet werden wollten, und den Ruhm unserer Nation und Sprache etwas mehr beherzigen möchten, als eilige dreißig Jahr her in diesem gleichsam französischen Zeit-Wechsel geschehen, so könnten wir das Böse zum Guten kehren, und selbst aus unserm Unglück Nutzen schöpfen, und so wohl unsern innern Kern des alten ehrlichen Deutschen wieder herfür suchen, als solchen mit dem neuen, äußerlichen, von den Franzosen und andern gleichsam erbeuteten Schmuck ausstaffieren.

Es finden sich hin und wieder brave Leute, die sonderbare Lust und Liebe zeigen zur Verbesserung und Untersuchung des Deutschen. So sind auch deren nicht wenig, die sehr gut deutsch schreiben, und so wohl rein als nachdrücklich zu geben wissen, was sonst schwer und in unserer Sprach wenig getrieben. Ich finde auch, daß oft in Staats-Schriften jetziger Deutschen zu Regensburg und anderswo etwas Besonders und Nachdenkliches herfür blicket, welches, da es vom überflüssigen Fremden, als von angesprützeten Flecken, nach Notdurft und Tunlichkeit gesäubert würde, unser Sprache einen herrlichen Glanz geben sollte.

 

Der Grund und Boden einer Sprache, so zu reden, sind die Worte, darauf die Redens-Arten gleichsam als Früchte herfür wachsen. Woher dann folget, daß eine der Haupt-Arbeiten, deren die deutsche Haupt-Sprache bedarf, sein würde eine Musterung und Untersuchung aller deutschen Worte, welche, dafern sie vollkommen, nicht nur auf diejenige gehen soll, so jedermann brauchet, sondern auch auf die, so gewissen Lebens-Arten und Künsten eigen. Und nicht nur auf die, so man Hochdeutsch nennet, und die im Schreiben anjetzo allein herrschen, sondern auch auf Platt-Deutsch, Märkisch, Ober-Sächsisch, Fränkisch, Bayrisch, österreichisch, Schwäbisch, oder was sonst hin und wieder bei dem Landmann mehr als in den Städten bräuchlich.

Nur wäre zwar freilich hierunter ein größer Unterscheid zu machen, mithin, was durchgehends in Schriften und Reden wackerer Leute üblich, von den Kunst– und Land–Worten, auch fremden und veralteten zu unterscheiden. Ander Manchfältigkeiten des Gebräuchlichen selbst anjetzo zu geschweigen, wären derowegen besondere Werke nötig, nämlich ein eigen Buch vor durchgehende Worte, ein anders vor Kunst– Worte, und letztlich eines vor alte und Land–Worte, und solche Dinge, so zu Untersuchung des Ursprungs und Grundes dienen; deren erstes man »Sprach-Brauch«, auf lateinisch Lexicon, das andere »Sprach-Schatz« oder Cornu copiae, das dritte Glossarium oder »Sprach-Quell« nennen möchte.

Weiln die Deutschen sich über alle andere Nationen in den Wirklichkeiten der Natur und Kunst so vortrefflich erwiesen, so würde ein deutsches Werk der Kunst–Worte einen rechten Schatz guter Nachrichtungen in sich begreifen, und sinnreichen Personen, denen es bisher an solcher Kunde gemangelt, oft Gelegenheit zu schönen Gedanken und Erfindungen geben. Denn weil die Worte den Sachen antworten, kann es nicht fehlen, es muß die Erläuterung ungemeiner Worte auch die Erkenntnis unbekannter Sachen mit sich bringen.

Was auch ein wohl ausgearbeitetes Glossarium etymologicum oder Sprach–Quell vor schöne Dinge in sich halten würde, wo nicht zum menschlichen Gebrauch, doch zur Zierde und Ruhm unserer Nation und Erklärung des Altertums und der Historien, ist nicht zu sagen.

So viel aber einen deutschen Wörter-Schatz betreffen würde, gehöreten Leute dazu, so in der Natur der Dinge, sonderlich der Kräuter und Tiere, Feuer-Kunst oder Chymi, Wiß-Kunst oder Mathematik und daran hangenden Bau-Künsten und andern Kunst-Werken, Weberei und so genannten Manufakturen, Handel, Schiffahrt, Berg- und Salzwerks-Sachen, und was dergleichen mehr, erfahren.

Es ist auch bekannt, daß viel Worte in gemeinen Gebrauch kommen seyn, die von den Künsten entlehnet, oder doch eine gewisse Bedeutung von ihnen bekommen, deren Ursach diejenigen nicht verstehen, so von solcher Kunst oder Profession nichts wissen, als zum Exempel: man sagt »Ort und Ende«, man sagt »erörtern«; die Ursache wissen wenig, allein man verstehet es aus der Sprache der Berg-Leute: bei denen ist »Ort« so viel als »Ende«, so weit nämlich der Stollen, der Schacht oder die Strecke getrieben; man sagt zum Exempel »dieser Bergmann arbeitet vor dem Ort«, das ist, wo es aufhöret, daher erörtern nichts anders ist, als endigen (definire).

 

Ich komme nunmehro zu dem, so bei der Sprache in dero durchgehenden Gebrauch erfordert wird, darauf auch anfangs am meisten zu sehen ist; in so weit keine Frage ist von dem Ursprung und Altertum, sondern allein vom gemeinen Umgang und gewöhnlichen Schriften, allwo der deutschen Sprache Reichtum, Reinigkeit und Glanz sich zeigen soll, welche drei gute Beschaffenheiten bei einer Sprache verlanget werden.

Reichtum ist das Erste und Nötigste bei einer Sprache und bestehet darin, daß kein Mangel, sondern vielmehr ein Überfluß erscheine an bequemen und nachdrücklichen Worten, so zu allen Vorfälligkeiten dienlich, damit man alles kräftig und eigentlich vorstellen und gleichsam mit lebenden Farben abmalen könne.

Es kann zwar eine jede Sprache, sie sei so arm als sie wolle, alles geben. Allein, ob schon alles endlich durch Umschweife und Beschreibung bedeutet werden kann, so verlieret sich doch bei solcher Weitschweifigkeit alle Lust, aller Nachdruck in dem, der redet, und in dem, der höret; dieweil das Gemüte zu lange aufgehalten wird und es heraus kommt, als wenn man einen, der viel schöne Paläste besehen will, bei einem jeden Zimmer lange aufhalten und durch alle Winkel herumschleppen wollte; oder wenn man rechnen wollte wie die Völker, die nicht über drei zählen konnten.

Der rechte Probier-Stein des Überflusses oder Mangels einer Sprache findet sich beim Übersetzen guter Bücher aus anderen Sprachen. Dann da zeiget sich, was fehlet, oder was vorhanden.

Nun glaub ich zwar nicht, daß eine Sprache in der Welt sei, die ander Sprachen Worte jedesmal mit gleichem Nachdruck und auch mit Einem Worte geben könne. Cicero hat denen Griechen vorgeworfen, sie hätten kein Wort, das dem lateinischen »ineptus« antworte: er selbst aber bekennet zum öfteren der Lateiner Armut; und ich habe den Franzosen zu Zeiten gezeiget, daß wir auch keinen Mangel an solchen Worten haben, die ohne Umschweif von ihnen nicht übersetzt werden können. Und können sie nicht einmal heut zu Tag mit einem Worte sagen, was wir »reiten«, oder die Lateiner »equitare« nennen. Und fehlet es weit, daß ihre Übersetzungen des Tacitus oder anderer vortrefflicher lateinischer Schriften die bündige Kraft des Vorbildes erreichen sollten.

Inzwischen ist gleichwohl diejenige Sprache die reichste und bequemste, welche am besten mit wörtlicher Übersetzung zurechte kommen kann, und dem Original Fuß vor Fuß zu folgen vermag; und weiln, wie oberwähnet, bei der deutschen Sprache kein geringer Abgang hierin zu spüren, zumal in gewissen Materien, absonderlich da der Wille und willkürliches Tun der Menschen einläuft, so hätte man Fleiß daran zu strecken, daß man diesfalls andern zu weichen nicht mehr nötig haben möge.

Solches könnte geschehen durch Aufsuchung guter Wörter, die schon vorhanden aber jetzo fast verlassen, mithin zu rechter Zeit nicht beifallen, wie auch ferner durch Wiederbringung alter verlegener Worte, so von besonderer Güte; auch durch Einbürgerung fremder Benennungen, wo sie solches sonderlich verdienen, und letztens durch wohlbedächtliche Erfindung oder Zusammensetzung neuer Worte, so vermittelst des Urteils und Ansehens wackerer Leute in Schwang gebracht werden müßten.

Es sind nämlich viel gute Worte in den deutschen Schriften, die mit Nutzen zu gebrauchen, aber darauf man im Not-Fall sich nicht besinnet. Ich erinnere mich ehmalen bei einigen gemerket zu haben, daß sie das französische »tendre«, wenn es vom Gemüt verstanden wird, durch »innig« oder »herzinnig« bei gewissen Gelegenheiten nicht übel gegeben. Die alten Deutschen haben Innigkeit vor Andacht gebrauchet. Nun will ich zwar nicht sagen, daß dieses deutsche Wort bei allen Gelegenheiten für das französische treten könne; nichts desto minder ist es doch wert, angemerkt zu werden, damit es sich bei guter Gelegenheit angäbe.

Ferner wäre auf die Wiederbringung vergeßner und verlegener, aber an sich selbst guter Worte und Redens-Arten zu gedenken, zu welchem Ende die Schriften des vorigen Seculi, die Werke Lutheri und anderer Theologen, die alten Reichs-Handlungen, die Landes-Ordnungen und Willküre der Städte, die alten Notariat-Bücher, und allerhand geistliche und weltliche Schriften, so gar des Reinecke Voß, des Froschmäuselers, des deutschen Rabelais, des übersetzten Amadis, des österreichischen Theuerdanks, des bayerischen Aventins, des schweizerischen Stumpfs und Paracelsi, des Nürnbergischen Hans Sachsen und ander Landes-Leute nützlich zu gebrauchen.

Und erinnere ich mich bei Gelegenheit der Schweizer, ehmals eine gute alte deutsche Redens-Art dieses Volks bemerket zu haben, die unsern besten Sprach-Verbesserern nicht leicht beifallen sollte. Ich frage zum Exempel, wie man »Foedus defensivum et offensivum« kurz und gut in deutsch geben solle; zweifle nicht, daß unsere heutige wackere Verfasser guter deutscher Werke keinen Mangel an richtiger und netter Übersetzung dieser zum Völker-Recht gehörigen Worte spüren lassen würden; ich zweifle aber, ob einige der neuen Übersetzungen angenehmer und nachdrücklicher fallen werde, als die schweizerische: Schutz- und Trotz-Verbündnis. Was die Einbürgerung betrifft, ist solche bei guter Gelegenheit nicht auszuschlagen, und den Sprachen so nützlich als den Völkern. Wir Deutschen haben es weniger vonnöten als andere, müssen uns aber dieses nützlichen Rechts nicht gänzlich begeben.

Es sind aber in der Einbürgerung gewisse Stufen zu beobachten; denn gleichwie diejenigen Menschen leichter aufzunehmen, deren Glauben und Sitten den unsern näher kommen, also hätte man ehe in Zulassung derjenigen fremden Worte einzustimmen, so aus den Sprachen deutschen Ursprungs, und sonderlich aus dem Holländischen übernommen werden könnten, als deren, so aus der lateinischen Sprache und ihren Töchtern hergeholet.

Und ob zwar das Englische und Nordische etwas mehr von uns entfernet, als das Holländische, und mehr zur Untersuchung des Ursprungs, als zur Anreicherung der Sprache dienen möchte, so wäre doch gleichwohl sich auch deren zu diesem Zweck in ein und andern nützlich zu bedienen ohnverboten.

Erdenkung neuer Worte oder eines neuen Gebrauchs alter Worte wäre das letzte Mittel zu Bereicherung der Sprache. Es bestehen nun die neuen Worte gemeiniglich in einer Gleichheit mit den alten, welche man Analogie, das ist Ebenmaß nennet, und so wohl in der Zusammensetzung als Abführung in Obacht zu nehmen hat.

Je mehr nun die Gleichheit beobachtet wird, und je weniger man sich von dem, so bereits in Übung, entfernet; je mehr auch der Wohlklang, und eine gewisse Leichtigkeit der Aussprache dabei statt findet, je mehr ist das Schmieden neuer Wörter nicht nur zu entschuldigen, sondern auch zu loben.

Weil aber viel gute und wohlgemachte Worte auf die Erde fallen und verloren gehen, indem sie niemand bemerket oder beibehält, also daß es bisher auf das blinde Glück diesfalls ankommen, so würde man auch darin Nutzen schaffen, wenn durch grundgelehrter Kenner Urteil, Ansehen und Beispiel dergleichen wohl erwogen, nach Gutbefinden erhalten und in Übung bracht würde.

 

Die Reinigkeit der Sprache, Rede und Schrift bestehet darin, daß so wohl die Worte und Red-Arten gut deutsch lauten, als daß die Grammatik oder Sprach-Kunst gebührend beobachtet werde.

Gleichwie in einem sonst schönen deutschen Gedichte ein französisches Wort gemeiniglich ein Schandfleck sein würde, also sollte ich gänzlich dafür halten, daß in den Schreib-Arten, so der Poesie am nächsten, als Romanen, Lobschriften und öffentlichen Reden, auch gewisser Art Historien, und auch bei Übersetzungen aller solcher Werke aus fremden Sprachen, und summa, wo man nicht weniger auf Annehmlichkeit als Notdurft und Nutzbarkeit siehet, man sich der ausländischen Worte, so viel immer möglich, enthalten solle.

Damit aber solches besser zu Werk zu richten, müßte man gewisse noch gleichsam zwischen deutsch und fremd hin und her flatternde Worte einmal vor alle mal deutsch erklären. Es haben unsere Vorfahren kein Bedenken gehabt, solch Bürgerrecht zu geben. Wer siehet nicht, daß Fenster vom lateinischen »fenestra«? und wer Französisch verstehet, kann nicht zweifeln, daß Ebentheuer, so bei uns schon sehr alt, von Aventure herkomme, dergleichen Exempel sehr viel anzutreffen, so dieses Vorhaben rechtfertigen können.

Der ander Teil der Sprach-Reinigkeit besteht in der Sprach-Richtigkeit nach den Reguln der Sprach-Kunst. Ob wohl darin ziemlicher Mangel befunden wird, so ist doch nicht ohnschwer solchen mit der Zeit zu ersetzen.

Es ist bekannt, daß schon Kaiser Karl der Große an einer deutschen Grammatik arbeiten lassen, und nichts desto minder haben wir vielleicht keine bis dato, die zulänglich.

 

Nun wäre noch übrig vom Glanz und Zierde der deutschen Sprache zu reden, will mich aber anjetzo nicht aufhalten, denn wenn es weder an bequemen Worten noch tüchtigen Redens-Arten fehlet, kommt es auf den Geist und Verstand des Verfassers an, um die Worte wohl zu wählen und füglich zu setzen.

Und weil dazu viel helfen die Exempel derer, so bereits wohl angeschrieben und durch einen glücklichen Trieb der Natur den andern das Eis gebrochen, so würde nicht allein nötig sein ihre Schriften hervor zu ziehen, und zur Nachfolge vorzustellen, sondern auch zu vermehren, die Bücher der alten und auch wohl einiger neuen Haupt-Autoren in gutes Deutsch zu bringen, und allerhand schöne und nützliche Materien wohl auszuarbeiten.


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