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Wieland

Sendschreiben an einen jungen Dichter

Auch bei der glücklichsten Anlage bedarf es doch vieles Studierens und einer langen Übung, bis man es in allem dem, was unter dem Mechanischen und Musikalischen unsrer Kunst begriffen ist, zu einem mehr als gemeinen Grade der Vollkommenheit bringt.

Indessen ist nicht wohl zu leugnen, daß, was diesen Punkt betrifft, in unsrer Sprache selbst Schwierigkeiten liegen, die weder durch die vollständigste Kenntnis derselben, noch durch den angestrengtesten Fleiß allezeit gehoben werden können. Es ist mehr als zu wahr, daß die deutsche Sprache an Wohlklang und Sanftheit beinahe allen andern europäischen nachsteht, und daß sie insonderheit von der englischen (die von allen andern gute Beute gemacht hat) an Reichtum an Worten und an derjenigen Stärke, die aus Kürze und Gedrungenheit entsteht, von der französischen an der Tauglichkeit, Witz und Empfindung (zwei so ungleichartige und doch so nahe verwandte Dinge) bis auf den äußersten Grad der Feinheit auszuspinnen und zu verweben, und von der italienischen an Geschmeidigkeit und Überfluß an poetischen Worten zum lebendigsten Ausdruck, zur feinsten und glänzendsten Farbengebung, zur anmutigsten Modulation des Verses übertroffen werde. Ich hoffe einiges Recht erworben zu haben – ohne Scheu vor den Vorwürfen eines übertriebnen Patriotism – meine Meinung über diesen Punkt sagen zu dürfen.

Die italienische Dichtersprache wimmelt von Wörtern, besonders von Beiwörtern, für die uns die unsrige kein Äquivalent geben kann. Ich habe die Pein, die ein deutscher Dichter leidet, wenn er in allen Fächern seines Gedächtnisses vergeblich nach einem Worte sucht, welches gerade das, was er sagen will, sage und dabei nicht durch irgend ein leidiges »schr« oder »ch« oder ein dreifaches Übergewicht harter Konsonanten den schönen Gegenstand, den es bezeichnen, oder die Stelle, wo es Effekt machen soll, verunziere – zu oft erfahren, als daß ich einen kleinen Unmut über das Rauhe, Wiehernde und Unsingbare unsrer Sprache übel nehmen könnte. Der Fehler liegt freilich meistens nicht im Mangel an Wörtern, sondern im Mangel solcher Wörter, wie unser durch griechische, lateinische, welsche und französische Töne verwöhntes Ohr sie gerne haben möchte. »Zärtliche« heißt eben das, was »teneri«, und hat den nämlichen Silbenfall; aber was für einen Unterschied macht das »ch« und der Zusammenstoß der drei Mitlauter r, t, l in dem deutschen Worte? Beltà und Schönheit bezeichnen einerlei Begriff; aber wie wohlklingend ist jenes, und wie müssen die Organe arbeiten um dieses hervorzubringen? Welch ein ewiges Zischen und Hauchen, Knarren und Klirren in unserm mit h, ch, s, seh, pf und r überladenen Hochdeutschen? Alles dies, und was man mir noch sonst gegen die poetische Euphonie desselben hätte einwenden können, ist zu offenbar, um geleugnet zu werden. Aber unrecht würde man haben, wenn man darum, weil unsre Sprache nicht so sanft und sonor wie die italienische ist, die Augen vor ihren wirklichen Schönheiten und selbst vor dem, was sie gleichwohl auch in diesem Stücke ist, verschließen wollte. Ohne hier zu wiederholen, was von vielen andern und von mir selbst hierüber schon gesagt worden – bedürfen wir eines stärkern Beweises als die Dichter, die wir schon besitzen, und den ungemeinen Zuwachs an Biegsamkeit, Sanftheit und Wohllaut, den sie unter ihrer Bearbeitung nur seit vierzig Jahren gewonnen hat?

Aber auch schon lange vor der Epoche Hallers, Bodmers, Hagedorns, Gleims und Gellerts, wie sehr zeigte sie sich schon von dieser Seite zu ihrem Vorteil in vielen malerischen und musikalischen Gedichten unsers vortrefflichen und zu sehr vergeßnen Brockes. Ich brauche nur auf das ehemals berühmte Gemälde eines Ungewitters und der darauf erfolgten Stille zu verweisen, wo mehr als siebzig meistens alexandrinische Verse ohne »r« einen sehr laut redenden Beweis abgeben, daß unsre Sprache so hart nicht ist, als man ihr vorwirft; oder daß sie wenigstens einen Überfluß an weichen Wörtern hat und milde genug ist, sich in sehr sanfte Formen gießen zu lassen.

Aber wenn wir auch zugeben müssen, daß unsre Sprache bei weitem nicht so sanft ist als die größtenteils aus der lateinischen entsprungenen unsrer Nachbarn jenseits des Rheins und der Alpen – ist denn Sanftheit die einzige poetische Tugend einer Sprache? Ist die ganz vorzügliche Geschicklichkeit der unsrigen, starke und heftige Leidenschaften und große Naturszenen in dem heftigsten Kampf ihrer gewaltigen Kräfte darzustellen – und besonders, ist ihr ungemeiner Reichtum an ausdrucksvollen und alle Arten von Schall und hörbarer Bewegung nachahmenden Wörtern für etwas Geringes zu achten? Ich empfehle Ihnen, wenn Sie unsern ganzen Reichtum an Wörtern dieser Art beisammen sehen wollen, abermals, außer den schon angezogenen Gedichten meines Brockes, seine physikalischen Stanzen, die mit den trefflichsten Schilderungen angefüllt sind, besonders die Beschreibung eines feuerspeienden Berges und das große Gemälde des Untergangs unsers Planeten durch ein allgemeines Erdbeben; welche ungeachtet der unbequemsten Vers- und Reimart, die zu Gedichten dieser Art nur immer gewählt werden konnte, Sie durch die hinreißende Stärke der Sprache, deren er sich darin ganz bemächtigt hat, in Bewunderung setzen wird. Nehmen Sie nun noch hierzu, was unsre Dichtersprache seit Brockes durch die fünf schon genannten Dichter und nach ihnen durch andere, vornehmlich aber, was sie durch Klopstock gewonnen hat. Ich müßte die Hälfte der Messiade abschreiben, um Ihnen Stellen auszuzeichnen, wo ihm die Sprache zu jedem Ausdruck sanfter, zarter, liebevoller, trauriger, wehmütiger – oder erhabner, majestätischer, schauervoller, schrecklicher und ungeheurer Gegenstände oder Empfindungen freiwillig entgegengekommen ist; und die andre Hälfte, um Ihnen in Beispielen zu zeigen, wie dieser große Dichter die Sprache, die er fand, auszuarbeiten, zu formen, zu wenden, kurz, zur seinigen zu machen gewußt hat. Niemand hat besser als er die Kunst verstanden, ihre Widerspenstigkeit zu bezähmen und aus diesem oft so spröden Stoffe seinem Genius, so zu sagen, einen edeln und geschmeidigen Luftkörper zu bilden. Machen Sie sich die Verdienste eines jeden dieser Dichter in seiner Art und nach dem besondern Charakter seines Geistes und seiner Dichtart genau bekannt – und gewiß, ich müßte die Gesundheit Ihres Verstandes ganz verkennen, wenn ich zweifeln wollte, daß Sie billiger von dieser Sprache urteilen, und sich's nicht mehr leid sein lassen werden, daß das Schicksal Sie an der Donau und nicht am Tiber oder Arno geboren werden ließ.

Es ist nichts Leichters, als zu sagen, die Sprache Ariosts, Tassos und Metastasios sei ungleich sanfter und melodiöser als die deutsche. Aber ist sie darum auch mannigfaltiger, abwechselnder, nachdrücklicher, kräftiger? Und kann man in Abrede sein, daß ihre alle Augenblicke wiederkommenden a, e, i und o ihr eine dem Ohr endlich sehr langweilige Eintönigkeit geben? Doch wir haben nicht nötig, Unvollkommenheiten an den auswärtigen Sprachen zu suchen, um die Verdienste der unsrigen zu erheben. Jede Sprache ist der Organisation, der Lage, dem Genie und Charakter der Nation, von welcher sie gebildet worden ist, angemessen – und die deutsche trägt die Spuren des allgemeinen Charakters, woran man einen Deutschen (so verschieden auch die Einwohner einzelner Provinzen in Vergleichung mit einander scheinen) von einem Franzosen, Italiener, Spanier, Engländer u.s.w. sogleich unterscheiden kann, auf eine sehr merkliche Weise. In ihren häufig zusammengedrängten Konsonanten ist das Phlegma unsers Nationaltemperaments die Asche, die unsre Glut bedeckt; in ihren häufigen Hunds- und Zischlauten (r, s, sch) die cholerische Mischung, und in den ebenso häufigen und starken Aspirationen das Muntere, Kräftige und der anhaltendsten Anstrengung Fähige desselben deutlich ausgedrückt. Aber die häufige Einmischung der sanften, und der kindlichen Natur besonders eignen Laute, b, m, d, t und l, vornehmlich des letztern, der etwas vorzüglich Lebhaftes und Liebliches hat, temperiert das Schwerfällige, Rauhe und Ungestüme, das gleichsam die Grundlaute der Sprache unsrer uralten Vorfahren, der freien Waldbewohner, Jäger und Krieger ausgemacht, in solchem Maße, – und die lange Tonleiter unsrer Vokalen und Diphthongen trägt so viel bei, teils das Naturnachahmende unsrer Wörter zu verstärken, teils eine große Mannigfaltigkeit und mehr Kontrast in sie zu bringen, daß ein Dichter, wenn er seinen eignen Vorteil recht bedenkt, sich kaum eine zu allen Arten des lebendigen Ausdrucks tauglichere und alle möglichen Farbenmischungen besser zulassende Sprache wünschen kann als eben diese, die wir aus allzu großer Gefälligkeit gegen unsre Nachbarn den ihrigen (die doch so wenig Übereinstimmendes mit unserm Temperament und Charakter haben) unbilligerweise nachzusetzen uns verleiten lassen.

Ich überlasse diese Betrachtung, die das, was ich sagen wollte, nur bloß andeutet, Ihrem eignen weitern Nachdenken und bin versichert, daß Sie durch eine genauere Aufmerksamkeit auf den Gebrauch, den unsre besten Dichter von den Idiotismen unsrer Sprache zu machen gewußt haben, tausendfältige Bestätigung des Gesagten finden werden.


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