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Naama und Naam.

Rabia war einer der reichsten und vornehmsten Einwohner von Kufa. Die Geburt eines Sohnes, welche ihm das einzige noch fehlende Gut gewährte, setzte seinem Glücke die Krone auf. Rabia nahm das Kind, sobald es zur Welt kam, in seine Arme, hob die Augen gen Himmel und gab ihm den Namen Naama Allah.

Dieser Sohn war von seiner zartesten Kindheit an der Gegenstand aller Sorgfalt und Hingebung seines Vaters, der sich beeiferte, seine geringsten Wünsche zu befriedigen und ihm mit allem entgegenzukommen, was ihn ergötzen und vergnügen konnte.

Eines Tages, als Rabia über den Sklavenmarkt ging, bemerkte er eine wohlgebaute und noch junge Frau, welche eine kleine Tochter von der liebreichsten und niedlichsten Bildung auf der Welt in ihren Armen hielt.

»Wie teuer ist die Sklavin mit ihrem Kinde?« fragte Rabia, sich an den Makler wendend.

»Fünfzig Zechinen,« antwortete der Makler.

»Hier sind sie,« fuhr Rabia fort; »übergebt sie dem Eigentümer der Sklavin und machet auf der Stelle den Kaufvertrag.«

Als der Handel geschlossen war, bezahlte Rabia dem Makler seine Gebühren und nahm die Sklavin samt ihrem Kinde mit sich.

Als Rabias Gattin ihn in solcher Begleitung nach Hause kommen sah, fragte sie ihn, wer diese Frau wäre.

»Es ist eine Sklavin,« antwortete Rabia, »welche ich soeben gekauft habe. Ihre kleine Tochter erschien mir so lieblich, und ich glaube, sie wird einst die schönste Jungfrau von Arabien und Persien werden: sie ist ungefähr in Naamas Alter, und beide können zusammen spielen.«

»Du hast wohlgetan, sie zu kaufen,« sagte Rabias Gattin; »dies kleine Mädchen gefällt mir auch sehr.« –

»Wie heißt du?« fragte sie hierauf die Sklavin.

»Herrin, ich nenne mich Taufik.« –

»Und deine kleine Tochter?« –

»Sie heißt Saad.«

»Du hast recht, sie so zu nennen, denn du bist glücklich, daß du eine so liebliche kleine Tochter hast. Aber wir müssen ihr auch einen Namen von unserer Wahl geben.«

»Wie willst du«, sagte Rabias Gattin zu ihrem Manne, »dieses Kind nennen?«

»Ich überlasse es dir,« antwortete er.

»Ich habe Lust,« fuhr sie fort, »es Naam zu nennen.«

»Gut, es sei«; erwiderte Rabia; »dieser Name gleicht dem unsers Naama; du konntest keinen wählen, der passender und mir angenehmer wäre.«

Naama und Naam wurden nun bis zum zehnten Jahre miteinander aufgezogen, nahmen wetteifernd an Schönheit und Vollkommenheit zu und gaben sich gegenseitig die süßen Namen Bruder und Schwester.

Danach nahm Rabia seinen Sohn beiseite und sprach zu ihm:

»Mein Sohn, Naam ist nicht deine Schwester, sondern deine Sklavin; ich habe sie für dich gekauft, als du noch in der Wiege lagest: du mußt sie fortan nicht mehr deine Schwester nennen.«

»Wenn das ist,« erwiderte der Jüngling, »so kann ich sie ja heiraten.«

Naama lief sogleich hin zu seiner Mutter, ihr diese Neuigkeit und seinen gefaßten Entschluß zu verkünden.

»Mein Kind,« sagte diese gute und wie ihr Gemahl allen Wünschen ihres Sohnes willfahrende Mutter, »Naam ist deine Sklavin, und du kannst nach deinem Belieben mit ihr schalten.«

Naama war zufrieden mit dieser Antwort und drang nun darauf, sich mit ihr ehelich zu verbinden. Er ward sterblich verliebt in sie und verlebte mit ihr mehrere Jahre in der süßesten und innigsten Vereinigung.

Naam verdiente in der Tat die Liebe ihres Mannes. Sie verband mit einer reizenden Gestalt und einem zierlichen Wuchs ein sanftes und liebenswürdiges Gemüt und einen durch die sorgfältigste Erziehung ausgebildeten Geist. Sie las mit unendlicher Anmut und spielte allerlei Instrumente. Ihre rührende Stimme bewegte alle Herzen, wenn sie sich mit der Zither oder dem Tamburin begleitete, welche sie so vollkommen spielte, daß sie die besten Meister ihrer Zeit übertraf. Kurz, Naam konnte mit Recht für die schönste und vollkommenste Frau in Kufa gelten.

Eines Tages, als sie bei ihrem Gatten saß und beide miteinander Sorbet genossen, begann sie nach einem Vorspiel auf ihrer Zither folgende Worte zu singen:

»Weil ein edelmütiger Herr mich mit seinen Wohltaten und seinen Gunstbezeigungen überhäuft, so darf ich fortan keinen Unfall mehr fürchten: er ist mein Schwert und mein Schild.

Er allein macht mein Glück: was kümmern mich die übrigen Menschen?«

Naama bezeigte seiner Gattin sein inniges Vergnügen, sie singen zu hören, und bat sie, fortzufahren, indem sie sich mit dem Tamburin begleitete.

Sie sang also weiter:

»Ja, ich schwöre es bei dem Leben desjenigen, der meine Seele beherrscht, ich will die Hoffnung derjenigen vereiteln, die seine Glückseligkeit beneiden: ich werde stets seinen geringsten Wünschen gehorsam sein.

Ich werde mich unaufhörlich des Glückes freuen, ihn zu besitzen, und seine Liebe wird nimmer aus meinem Herzen kommen.«

Naama, immer mehr und mehr hingerissen, konnte nicht Ausdrücke finden, welche stark genug waren, sein Entzücken zu schildern. Täglich hörte er seine Gattin singen und sich mit der Zither und dem Tamburin begleiten, und täglich hörte er sie mit neuem Vergnügen.

Aber während diese jungen Gatten so glückselige Tage spannen, hatte Hedschadsche, des Kalifen Abdalmelek ebn Mervan Statthalter zu Kusa, die Reize und Geschicklichkeit der Naam rühmen gehört, so daß er einen Anschlag machte, sie zu entführen und den Händen des Kalifen zu überliefern. Er glaubte, ihm damit ein umso angenehmeres Geschenk zu machen, als er wohl wußte, daß der Kalif in seinem Harem keine Frau hatte, deren Schönheit mit Naam zu vergleichen wäre, noch eine, welche so schön sänge wie sie.

Um seinen Anschlag auszuführen, ließ Hedschadsche ein altes Weib kommen, deren Geschicklichkeit und Gewandtheit er schon oft bei dergleichen Gelegenheiten erprobt hatte. Er befahl ihr, sich in Rabias Haus Eingang zu verschaffen, Bekanntschaft mit Naam zu stiften und irgend ein Mittel ausfindig zu machen, um sie zu entführen. Die Alte versprach dem Statthalter, seinen Befehl auszuführen.

Am folgenden Morgen hüllte sich die Alte in ein grobwollenes Gewand, legte einen Rosenkranz von dicken Kugeln um den Hals und stützte sich auf einen Stock, an dessen Ende eine Kürbisflasche befestigt war.

In diesem Aufzuge wanderte sie nach Rabias Hause, indem sie so laut, daß man es hören konnte, einige Gebete hersagte und oft die Worte wiederholte:

»Ehre sei Gott, Lob sei Gott! Es ist kein anderer Gott als Er, alle Macht und alle Gewalt ist des Herrn, des Allerhöchsten, des Allergrößten!«

Zur Stunde des Mittagsgebetes gelangte sie an das Haus und klopfte an die Türe. Der Pförtner kam, zu öffnen, und fragte, was sie wollte.

»Ich bin,« antwortete die Alte, »eine arme Dienerin Gottes; die Stunde des Mittagsgebetes hat mich überrascht, und ich möchte gern in dieses heilige und ehrwürdige Haus eintreten, um mein Gebet zu verrichten.«

»Gute Frau,« sagte der Pförtner zu ihr, »dieses Haus ist weder eine Moschee noch ein Bethaus: es ist das Haus Naamas, Rabias Sohnes.«

»Ich weiß es,« fuhr die Alte fort, »und kenne durch den Ruf sehr wohl dieses Haus und die es bewohnen; denn ich gehöre, wie Ihr mich hier sehet, zu dem Palast des Kalifen: ich bin nur vor kurzem erst ausgegangen, um meine Andacht zu verrichten und mich einiger Wallfahrten zu entledigen.«

»Das alles ist ganz gut,« erwiderte der Pförtner; »aber ich kann Euch nicht hereinlassen.«

Die Alte bestand darauf und sagte mit immer mehr und mehr erhobener Stimme:

»Wie! einer Frau, wie ich bin, die zu jeder Stunde in die Paläste der Fürsten und Großen Zutritt hat, verwehrt man, in Naamas Haus einzutreten!«

Naama, der diese Worte hörte, fing an zu lachen. Er ging hinaus, gab dem Pförtner einen Wink, die Alte einzulassen, und führte sie in das Zimmer seiner Frau.

Die Alte wurde von Naams Schönheit ganz betroffen. Sie grüßte sie ehrerbietig und sprach zu ihr:

»Ich preise Euch glücklich, edle Frau, von dem Himmel mit so viel Reiz und Anmut begabt und mit einem Manne vereint zu sein, der selber für ein Muster der Schönheit gelten kann.«

Hieraus begann sie ihre Gebete und hörte nicht eher auf mit Kniebeugungen und Anrufungen, als bis die Nacht gekommen war.

Die junge Sklavin sprach hierauf zu ihr: »Meine gute Mutter, ruhet Euch ein wenig aus.«

»Gnädige Frau,« erwiderte die Alte, »wer in jener Welt glücklich werden will, muß in dieser leiden.«

Naam ließ zu essen bringen und sagte zu der Alten: »Nehmet ein wenig, gute Mutter, von dem, was ich Euch anbiete, bittet Gott, mein Herz zu rühren und sein Erbarmen auch über mich zu verbreiten.«

»Ihr seid noch jung, edle Frau,« antwortete ihr die Alte, »und in Eurem Alter muß man der Freuden des Lebens genießen, Gott wird, ich bin es versichert, eines Tages noch Euer Herz rühren; denn man liest im heiligen Koran, daß Gott denjenigen vergeben wird, die den wahren Glauben angenommen haben, weil er gut und barmherzig ist.«

Naam unterhielt sich so eine Zeitlang mit der Alten und sagte hierauf zu ihrem Manne:

»Ich wünschte wohl, daß du etwas zugunsten dieser guten Alten tätest; denn sie trägt den Ausdruck der Frömmigkeit auf dem Gesichte.«

»Nun gut,« antwortete er, »laß ihr ein Gemach bereiten, worin sie bleiben kann, und sorge dafür, daß niemand dahin komme und ihre frommen Übungen störe, vielleicht segnet uns Gott ihretwegen mit seinen Wohltaten und läßt nicht zu, daß wir jemals voneinander getrennt werden.«

Die Alte brachte die ganze Nacht mit Lesen und Beten zu. Mit Anbruch des Tages kam sie zu Naam und Naama, wünschte ihnen guten Morgen und wollte von ihnen Abschied nehmen.

»Wo wollt Ihr hin, meine Gute?« sagte Naam zu ihr. »Mein Mann hat mir befohlen, Euch ein Gemach einzurichten, wo Ihr allein sein und nach Eurer Bequemlichkeit beten könnt.«

»Möge Gott,« sagte die Alte, »Eure Tage verlängern und Euch mit seinen Segnungen überschütten! Ich gehe, die Moscheen, die Bethäuser und die Gräber der frömmsten Menschen zu besuchen, und werde es mir angelegen sein lassen, für Euch zu beten. Erlaubet mir nur, Euch manchmal zu besuchen, und befehlet Eurem Pförtner, mich einzulassen.«

Als die Alte weggegangen, war Naam, deren Vertrauen sie schon zu gewinnen gewußt hatte, und die nichts von ihrer treulosen Absicht argwöhnte, über ihre Entfernung so betrübt, daß sie sich nicht enthalten konnte zu weinen.

Die Alte begab sich auf der Stelle zu Hedschadsche, der, sobald er sie erblickte, sie fragte, wie weit sie vorgerückt wäre. Sie erzählte ihm, was vorgegangen, und gestand ihm, daß sie noch niemals eine solche Schönheit gesehen hätte. Er versprach ihr reichen Lohn, wenn ihre Unternehmung gelänge. Die Alte übertrieb die Schwierigkeiten, welche sie zu übersteigen hätte, und forderte einen Monat Frist. Der Statthalter bewilligte ihn ihr.

Die Alte kam den folgenden Tag wieder zu Naama und fuhr fort, die jungen Gatten fleißig zu besuchen, welche ihr täglich neue Beweise der Verehrung und Zuneigung gaben. Ebenso waren alle Leute des Hauses ihr zugetan und beeiferten sich, sie wohl zu empfangen.

Eines Tages, als die Alte sich mit der jungen Sklavin allein befand, sagte sie zu ihr:

»Warum könnt Ihr, gnädige Frau, doch nicht mitgehen, die Moscheen und heiligen Örter zu besuchen! Ihr würdet dort ehrwürdige Greise und andächtige Frauen sehen, welche vom Himmel alles für Euch erbitten würden, was Ihr nur wünschen könntet.«

»Ich möchte von Herzen gern Euch begleiten,« antwortete Naam. Hieraus sich zu ihrer Schwiegermutter wendend, sprach sie:

»Ich ersuche Euch, edle Frau, bittet meinen Mann, daß er mich mit Euch und der frommen Alten ausgehen lasse, um die Moscheen zu besuchen und uns unter die Armen und Diener Gottes zu mischen.«

Die Schwiegermutter versicherte darauf, es wäre ihr selber lieb, diese Andachtsübung zu verrichten, und versprach, mit ihrem Sohne davon zu reden. Als Naama über diese Verhandlungen eintrat, nahte sich ihm die Alte küßte ihm die Hand, pries seine Güte und Großmut und ging mit Segenswünschen über ihn hinaus.

Am folgenden Morgen kam die Alte wieder; sie benutzte den Augenblick, weil Naama nicht zu Hause war, ging zu der jungen Sklavin und sagte zu ihr:

»Wir haben gestern den ganzen Abend damit zugebracht, für Euch zu beten. Laßt uns heute zusammen ausgehen; kommt auf einen Augenblick mit zu unsern heiligen Personen: wir sind wieder hier, ehe Naama zurückkommt.«

Naam wandte sich zu ihrer Schwiegermutter und bat sie um die Erlaubnis, nur auf einen Augenblick, bevor ihr Mann zurückkäme, auszugehen.

»Ich habe zu Naama noch nichts davon gesagt,« erwiderte die Schwiegermutter, »und ich fürchte, es möchte ihm unlieb sein, wenn er erfährt, daß Ihr ausgegangen seid.«

»Gnädige Frau,« sagte die Alte, »wir wollen nicht weiter als in die nächste Moschee gehen und nicht säumen, heimzukommen.«

Die Alte aber führte die junge Sklavin, sobald sie mit ihr aus dem Hause getreten war, gerade nach Hedschadsches Palast, dem sie sogleich ihre Ankunft melden ließ. Als Hedschadsche in das Zimmer trat, wohin Naam von der Alten gebracht war, ward er äußerst überrascht von ihrer Schönheit: niemals hatte er etwas so vollkommnes und Regelmäßiges gesehen. Naam ließ, sobald sie ihn erblickte, den Schleier fallen.

Hedschadsche ließ auf der Stelle einen der Offiziere kommen, befahl ihm, mit fünfzig Reitern zu Pferde zu steigen, die junge Sklavin auf eins seiner besten Kamele zu setzen, sie so nach Damaskus zu führen und sie den Händen des Kalifen Abdalmelek ebn Mervan zu überliefern. Er gab ihnen überdem einen Brief an diesen Fürsten mit und gebot ihnen, die Antwort daraus zurückzubringen und sich der größten Eile zu befleißigen.

Der Offizier beeiferte sich, diese Befehle zu vollziehen. Er bemächtigte sich der jungen Sklavin, ließ sie ein Kamel besteigen und reiste ab. Während der ganzen Reise tat Naam nichts als weinen und seufzen, daß sie sich also von ihrem Gatten getrennt sah.

Als der Offizier in Damaskus ankam, bat er um Erlaubnis, den Kalifen zu sprechen, und überreichte ihm den ihm anvertrauten Brief. Als dieser Fürst ihn gelesen hatte, fragte er, wo die junge Sklavin wäre. Der Offizier stellte sie ihm nun vor und übergab sie seinen Händen.

Der Kalif ließ sie in ein besonderes Zimmer führen und ging auf der Stelle zu seiner Gemahlin, ihr zu verkünden, daß Hedschadsche ihm neulich für tausend Zechinen eine Sklavin aus dem Geschlechts der Fürsten von Kufa gekauft hätte. »Diese Sklavin,« fügte er hinzu, »ist soeben zugleich mit diesem Briefe angekommen.«

Seine Gemahlin bezeigte ihm ihr Vergnügen, eine Nachricht zu hören, welche ihm so angenehm zu sein schien.

Die Schwester des Kalifen war unterdessen in das Zimmer getreten, worin die junge Sklavin sich befand, und sobald sie dieselbe erblickte, rief sie aus:

»Der Herr, dem Ihr angehöret, hätte noch keinen schlechten Handel gemacht, und wenn er Euch sogar mit hunderttausend Goldstücken bezahlt hätte!«

Naam, ohne auf diese Worte zu achten, sprach zu ihr: »Im Namen Gottes, edle Frau, habet die Gnade, mir zu sagen, wem dieser Palast gehört, und wie die Stadt heißt, in welcher ich mich befinde.«

»Ihr seid,« antwortete ihr die Prinzessin, »in der Stadt Damaskus, und dies ist der Palast meines Bruders, des Kalifen Abdalmelek ebn Mervan. Aber Ihr fragt mich, als wenn Euch das alles unbekannt wäre?«

»In Wahrheit, hohe Frau,« antwortete Naam, »es ist mir durchaus unbekannt.«

»Wie?« fuhr die Prinzessin fort, »hat denn derjenige, der Euch verkauft und den Preis Eurer Freiheit in Empfang genommen, Euch nicht unterrichtet, daß der Kalif Euch gekauft hat?«

Bei diesen Worten überflossen Tränenströme das Angesicht der jungen Sklavin; sie verfluchte die schändliche Arglist, deren Opfer sie war, und sagte bei sich selber: »Wenn ich es auch sage, so wird doch niemand mir glauben wollen, und vielleicht werde ich bald von demjenigen zurückgefordert, der allein ein Recht auf mich hat.«

Da Naam von der Reise äußerst ermüdet schien, so ließ die Schwester des Kalifen sie den ganzen übrigen Teil des Tages ausruhen. Am folgenden Morgen brachte sie ihr Wäsche, Kleider und ein Halsband von Perlen und Armbänder und wollte, daß sie sich in ihrer Gegenwart damit schmückte.

Während sie hierbei geschäftig waren, trat der Kalif ein und setzte sich neben Naam nieder, welche sogleich ihr Gesicht mit beiden Händen bedeckte. Nachdem die Prinzessin ihrem Bruder die Schönheit und Vollkommenheiten seiner neuen Sklavin gerühmt hatte, bat er diese, ihm nicht den Anblick so vieler Reize zu entziehen. Naam aber achtete nicht auf die Bitten des Kalifen und blieb standhaft in derselben Stellung: aber ihre den Blicken des Fürsten bloßgegebenen Arme entzündeten in ihm die heftigste Leidenschaft. Er sagte zu seiner Schwester, er würde in drei Tagen wiederkommen, und fügte hinzu:

»Ich hoffe, diese junge Schönheit wird Bekanntschaft mit dir machen und empfänglicher für die Liebe sein, welche sie mir einzuflößen gewußt hat.«

Als der Kalif hinausgegangen war, begann Naam über ihre Lage nachzudenken und die Trennung von ihrem Herrn zu beseufzen. Am Abend ergriff sie ein Fieber, sie wollte keine Nahrung genießen, und bald entstellten sich ihre Züge und ihre Schönheit.

Der Kalif, von ihrem Zustande benachrichtigt, war darüber höchst bekümmert. Er ließ die geschicktesten Ärzte holen und führte sie zu der jungen Sklavin, aber keiner von ihnen konnte den Ursprung ihrer Krankheit entdecken, noch Mittel finden, sie zu lindern.

Der Zustand Naamas war vollkommen derselbe wie der seiner Sklavin. Als er nach Hause kam, setzte er sich auf ein Sofa und rief seiner geliebten Naam. Da sie nicht antwortete, so stand er schleunig auf und rief noch stärker: aber niemand erschien; denn alle Sklaven hatten sich aus Furcht vor dem Zorn ihres Herrn versteckt.

Naama begab sich nun nach dem Zimmer seiner Mutter und fand sie, mit dem Haupte auf beide Hände gestützt, in der Stellung des tiefsten Nachdenkens.

»Meine Mutter,« rief er aus, »wo ist Naam?«

»Mein Sohn,« antwortete sie ihm, »sie ist so wohl aufgehoben, als wenn sie bei mir wäre: sie ist mit der guten Alten ausgegangen, um die Armen zu besuchen, und sie muß gleich wieder heimkommen.«

»Sie pflegt doch nicht so auszugehen,« erwiderte lebhaft Naama, »und um welche Zeit ist sie weggegangen?«

»In der Morgenstunde,« antwortete sie.

»Wie, meine Mutter, habt Ihr ihr diese Erlaubnis geben können?«

»Sie hat es so sehr gewünscht, mein Sohn.«

Naama verließ, ganz außer sich, wieder das Haus und ging zu dem Befehlshaber der Wache.

»Habt Ihr,« sprach er, als er ihn traf, »durch eine treulose Hinterlist mir meine Sklavin entführen lassen? Aber ich will hingehen, mich bei dem Kalifen zu beklagen, und ihn von Eurem Betragen unterrichten.«

»Wer hat Euch denn Eure Sklavin entführt?« fragte der Befehlshaber der Wache.

»Eine alte Frau, so und so aussehend, in einen grobwollenen Rock gehüllt und gewöhnlich mit einem Rosenkranz in der Hand.«

Der Befehlshaber erkannte in dieser Schilderung die Alte, deren sich der Statthalter manchmal bediente, und vermutete, daß sie nur auf dessen Befehl gehandelt hätte; aber die Klugheit verbot ihm, Naama etwas davon merken zu lassen.

»Führet mich zu dieser Frau,« sagte er zu ihm, »und ich will Euch Eure Sklavin wieder herausgeben lassen.«

»Ich weiß nicht, wo sie wohnt,« sagte Naama.

»Wenn dem so ist,« fuhr der Befehlshaber fort, »wie soll man sie da entdecken? Gott allein weiß, wo sie sein mag.«

»Ihr könnt wohl,« entgegnete Naama, »mir meine Sklavin wiederfinden helfen, und ich gehe zum Statthalter, meine Klagen gegen Euch bei ihm anzubringen.«

Naama begab sich wirklich nach dem Palaste Hedschadsches. Da sein Vater einer der vornehmsten Einwohner von Kufa war, so fand er bald Zutritt.

»Was wollt Ihr, Naama?« fragte ihn Hedschadsche, sobald er ihn erblickte.

Naama erzählte, was ihm soeben widerfahren war. Hedschadsche ließ den Befehlshaber der Wache kommen und fragte ihn, wo wohl die Sklavin Naamas, des Sohnes Nabias, sein könnte.

Der Befehlshaber hütete sich wohl, sich merken zu lassen, er wüßte, daß die Alte die Sklavin entführt hätte, sondern antwortete, daß Gott allein das Verborgene kund wäre.

»Steiget zu Pferde,« befahl ihm Hedschadsche, »bereitet sorgfältig die Wege und suchet überall die ihrem Herrn so teure Sklavin.«

hieraus wandte er sich zu Naama und sprach: »Wenn Eure Sklavin Euch nicht zurückgestellt wird, so könnt Ihr Euch zehne von den meinigen auswählen und ebensoviele von denen des Befehlshabers der Wache, um Euch für Euren Verlust zu entschädigen.«

»Eilet doch,« rief er dem Befehlshaber zu, »und forschet der Sklavin Naamas nach!«

Der Befehlshaber der Wache ging hinaus und stellte sich, als wenn er den eben empfangenen Befehl vollzöge.

Naama, von Leid überwältigt und ein Raub der grimmigsten Verzweiflung, begab sich zu seinem Vater. Obwohl er erst vierzehn Jahre alt war und seine Wangen kaum mit einem leichten Flaume bedeckt waren, so schien ihm das Leben doch unerträglich; er vergoß Ströme von Tränen und wollte die Örter, welche ihm so teure Erinnerungen zurückriefen, nicht wiedersehen. Seine Mutter war höchst beunruhigt über seinen Zustand und brachte die ganze Nacht zu, mit ihm zu seufzen und zu weinen. Sein Vater suchte vergeblich ihn zu trösten, indem er ihm vorstellte, daß allem Anscheine nach der Statthalter selber ihm seine Sklavin hätte entführen lassen, und daß er sie vielleicht bald wiederbekommen würde. Der junge Mann war unempfindlich für alles und unfähig, irgend einen Trost anzunehmen. Sein Leid wuchs dermaßen, daß sein Verstand sich verwirrte. Er wußte nicht mehr, was er sagte, und kannte nicht mehr diejenigen, die zu ihm kamen. In diesem Zustande schmachtete er drei Monate. Vergeblich ließ Rabia die geschicktesten Ärzte zu seinem Sohne kommen; sie sagten alle einstimmig, daß allein die Gegenwart der jungen Sklavin ihn zu retten vermöchte.

Eines Tages, als Rabia, immer mehr und mehr durch den Zustand seines Sohnes beunruhigt, fast an seinem Leben verzweifelte, hörte er von einem berühmten und in der Sterndeutung sehr geschickten persischen Arzte, welcher eben zu Kufa angekommen war; er bat seine Frau, ihn kommen zu lassen. »Vielleicht,« sagte er zu ihr, »weiß dieser Arzt ein Mittel, unsern Sohn zu retten.«

Es wurde sogleich nach dem Arzte geschickt. Als er eintrat, ließ Rabia ihn neben dem Bette seines Sohnes niedersitzen und bat ihn, seine Krankheit zu untersuchen.

Der persische Arzt nahm die Hand des jungen Mannes, befühlte seine Glieder eins nach dem andern, und nachdem er die Züge seines Angesichts genau betrachtet hatte, lächelte er und sagte zu dem Vater:

»Die Krankheit Eures Lohnes hat ihren Sitz im Herzen.«

»Ihr habt recht,« sagte Rabia überrascht; und sogleich erzählte er dem Arzte, was Naama widerfahren war.

»Die junge Sklavin, von welcher Ihr mir sagt,« sprach der Arzt, »ist gegenwärtig zu Balsora oder zu Damaskus, und wir haben kein anderes Mittel, Euren Sohn zu retten, als ihn wieder mit ihr zu vereinigen.«

»Wenn Ihr das bewerkstelligen könnt,« sagte Rabia, »so steht mein ganzes Vermögen Euch zu Gebot, und ich verspreche Euch zum glücklichsten Manne zu machen.«

»Was mich betrifft,« sagte der Perser, »ist das am wenigsten Dringende.« Und sich zu Naama wendend, sagte er: »Seid gutes Mutes, mein Kind, bald soll Euch geholfen werden.«

Er fragte hierauf Rabia, ob er über viertausend Goldstücke gebieten könnte. Rabia holte sie auf der Stelle herbei und übergab sie ihm.

»Meine Absicht ist,« sagte nun der Arzt, »Euren Sohn nach Damaskus zu führen, und ich schwöre Euch, nicht ohne die Sklavin, welcher er so ergeben ist, zurückzukommen.«

Er wandte sich alsdann zu Naama und fragte ihn nach seinem Namen. Nachdem er vernommen hatte, daß er Naama hieß, rief er ihm zu:

»Wohlauf! Naama, erhebet Euch ein wenig und habet Vertrauen auf die Vorsehung, welche Euch unverzüglich wieder mit Eurer Sklavin vereinigen wird. Unterdessen mäßiget Euren Gram, der Euch verzehrt, nehmet etwas Nahrung zu Euch und bemühet Euch, wieder zu Kräften zu kommen, um die Beschwerden der Reise ertragen zu können; denn binnen acht Tagen müssen wir uns aus den Weg machen.«

Der persische Arzt beschäftigte sich alsbald mit den Vorbereitungen zur Reise. Er ließ sich Kostbarkeiten aller Art geben, forderte noch sechstausend Zechinen, um die Summe von zehntausend Zechinen vollzumachen, welche er zur Ausführung seines Entwurfs nötig erachtete, und ließ die Pferde, die Kamele und alles nötige Gepäck in Bereitschaft setzen.

Nach Verlauf von acht Tagen sagte Naama seinem Vater und seiner Mutter Lebewohl und reiste mit dem persischen Arzte ab.

Sie hielten in Halep an, um Erkundigungen über die junge Sklavin einzuziehen; aber sie konnten nichts von ihr erfahren. Als sie hierauf in Damaskus angekommen waren, ruhten sie erst drei Tage aus.

Der persische Kaufmann mietete hierauf einen Laden, welchen er mit der größten Pracht einrichtete: er war mit Schränken umgeben, die mit Goldplatten geziert und mit Gesäßen vom feinsten Porzellan besetzt waren. Die Außenseite des Ladens war mit Kristallfläschchen besetzt, welche köstliche Öle, Tränke und Säfte aller Art enthielten.

Der persische Arzt stellte nun mitten im Laden sein Sternrohr und die Tafel hin, auf welcher er seine Berechnungen anstellte. Er kleidete sich dann als Arzt, sehr prächtig, und ließ Naama ein Hemde von der feinsten Leinwand, einen atlassenen mit Seide gestickten Rock und einen Gürtel von den glänzendsten Farben anlegen.

»Fortan,« sagte er zu ihm, »müßt Ihr mich nur Euren Vater und ich werde Euch nur meinen Sohn nennen.«

Alles Volk von Damaskus strömte der Bude des persischen Arztes zu, um den Reichtum und die Zierlichkeit derselben zu bewundern, und vor allem, um Naama zu sehen, der alle Welt durch die Schönheit und Regelmäßigkeit seiner Züge bezauberte. Der Perser redete zu dem jungen Manne nur türkisch, und dieser antwortete ihm auch nur in derselben Sprache. Man sprach bald in der ganzen Stadt nur von dem persischen Arzte, von allen Seiten kam man herbei, um ihn über allerlei Krankheiten zu befragen, und er hatte Mittel für alle. Aus der bloßen Beschauung des Harns der Kranken erkannte er die Art der Krankheit, von welcher sie befallen waren, gab Heilmittel dagegen und schrieb ihnen Verhaltungsregeln vor. Er ward binnen kurzer Zeit das Orakel aller Welt; sein Ruf verbreitete sich durch die ganze Stadt und drang bis in die Paläste der Großen.

Eines Tages, als er beschäftigt war, seine Arzneien zu bereiten, hielt eine alte Frau auf einem Maultiere, dessen Sattel mit Silber gestickt war, vor seinem Laden an und machte ihm ein Zeichen, er möchte kommen und ihr beim Absteigen behilflich sein. Der persische Arzt trat höflich zu ihr heran, reichte ihr die Hand und führte sie in seinen Laden.

»Mein Herr, Ihr seid ohne Zweifel,« sprach sie zu ihm, »der persische Arzt, welcher kürzlich aus Arabien in dieser Stadt angekommen ist?«

Auf seine bejahende Antwort eröffnete sie ihm, sie hätte eine Tochter, welche von einer gefährlichen Krankheit befallen wäre, und zugleich überreichte sie ihm ein Gefäß mit dem Harne der jungen Kranken.

Nachdem er ihn mit Aufmerksamkeit beschaut hatte, fragte er die Alte, wie ihre Tochter hieße. »Denn,« fuhr er fort, »ich muß ihr Horoskop stellen, um den günstigen Augenblick zu erforschen, wann sie den Trank einnehmen muß, welcher sie wieder gesund machen soll.«

»Sie heißt Naam,« antwortete die Alte. Bei diesem Namen ward der Arzt nachdenklich und begann an den Fingern zu zählen, und die Alte starr ansehend, sagte er zu ihr:

»Edle Frau, ich kann Eurer Tochter kein Heilmittel verordnen, ohne den Namen ihres Geburtsortes zu wissen; das ist durchaus notwendig, damit ich die Verschiedenheit des Himmelstriches und den Einfluß der umgebenden Luft in Anschlag bringen kann. Ich bitte Euch also, mir den Ort anzuzeigen, wo sie aufgezogen und wie alt sie gegenwärtig ist.«

»Sie ist vierzehn Jahre alt,« sagte die Alte, »und in der Stadt Kufa aufgezogen worden.«

Wie lange ist sie schon,« fuhr der Arzt fort, »in diesem Lande?«

»Seit einigen Monaten,« antwortete die Alte.

Naama, der bei dieser Unterredung zugegen war, verlor kein Wort davon und war in der äußersten Bewegung. Der Arzt und er blickten sich unterweilen verstohlen an und machten sich Zeichen des Einverständnisses.

»Nimm dies und dies hier,« sagte jetzt der Arzt zu ihm, »und bereite davon einen Trank.«

Die Alte warf zehn Goldstücke auf den Ladentisch und betrachtete den jungen Mann genauer, der mit Bereitung des Trankes beschäftigt war.

»Mein Gott,« sprach sie zu dem Arzte, »welch ein schöner Jüngling! Ist es Euer Sklave oder Euer Sohn?«

»Edle Frau, es ist mein Sohn,« antwortete er.

Als Naama mit seiner Arbeit fertig war, schrieb er ein kleines Zettelchen, worin er Naam durch folgende Verse von seiner Ankunft benachrichtigte:

»Indem ich den Ort deines Aufenthaltes entdecke, fühle ich meine Liebe und meine Qual sich vermehren.«

Er schob diesen Zettel sehr geschickt in eine Schachtel, welche den Trank bewahrte: diese Schachtel siegelte er zu, schrieb seinen Namen darauf und übergab sie so der Alten, welche sie nahm, sich beurlaubte und nach dem Palaste des Kalifen zurückkehrte.

Bei ihrem Eintritt in das Zimmer der jungen Sklavin überreichte sie ihr die Schachtel und sagte dabei, sie käme soeben von einem sehr geschickten persischen Arzte, der neulich erst in Damaskus angelangt wäre, und den sie über die Krankheit ihrer lieben Naam zu Rate gezogen hätte. »Er hat vollkommen die Art Eurer Krankheit erkannt,« fuhr sie fort, »und seinem Sohn befohlen, für Luch einen Trank zu bereiten, welcher in dieser Schachtel enthalten ist. – Es gibt in ganz Damaskus keinen schönern und wohlgebildeteren Jüngling, als der Sohn dieses Arztes ist, noch einen Laden, welcher mit dem seinigen zu vergleichen wäre.«

Naam empfing die Schachtel aus den Händen der Alten. Kaum hatte sie die Augen auf den Deckel geworfen, als sie die Handschrift und den Namen ihres geliebten Herrn erkannte. Sie verwandelte bei diesem Anblick ihre Farbe und zweifelte nicht, daß der Herr dieses Ladens eigens von Kufa gekommen wäre, um zu erforschen, was aus ihr geworden sein möchte.

Sie bat die Alte, ihr eine Schilderung des Jünglings zu machen, von welchem sie ihr soeben gesagt hätte. Diese beschrieb ihn nun vollkommen und sagte, er hieße Naama und hätte ein Mal auf dem rechten Augenlid, wäre auf die zierlichste Weise gekleidet, und seine Gestalt wäre die schönste, welche man nur sehen könnte.

Während dieses Gesprächs nahm Naam den Trank und lächelte bei den Zügen, womit die Alte ihre Schilderung verschönte.

»In Wahrheit,« sagte sie, »dieser Trank tut mir äußerst wohl; er flößt mir Munterkeit ein, und ich fühle mich weit besser.«

»O glücklicher Tag!« rief die Alte aus; »wie wohl habe ich getan, diesen Arzt zu befragen!«

Als Naam hierauf der Alten geäußert hatte, daß sie etwas zu essen wünschte, lief die Alte hin, eine Sklavin zu rufen, und ließ geschäftig die köstlichsten Speisen austragen.

In diesem Augenblicke trat der Kalif in das Zimmer der jungen Sklavin; und da er sie beim Essen sah, bezeigte er ihr sein Vergnügen über ihre Genesung.

»Großmächtiger Beherrscher der Gläubigen,« sagte die Alte zu ihm, »das Vergnügen, welches Euch die Herstellung Eurer Sklavin gewährt, verdankt Ihr einem Arzte, der neulich in dieser Stadt angekommen ist. Niemand kennt besser als er alle Arten Krankheiten: ein einziges Mittel von ihm reicht hin, sie gründlich zu heilen.«

»Traget,« sagte der Kalif, »diesem Arzte einen Beutel von tausend Goldstücken hin für die von ihm vollbrachte Heilung.«

Der Kalif ging bald danach wieder hinaus, und die Alte beeilte sich, dem persischen Arzte die tausend Goldstücke zu bringen. Bei Überreichung der Börse sagte sie ihm, daß die junge Schöne, welche er geheilt hätte, nicht ihre Tochter, sondern die Lieblingssklavin des Kalifen wäre. Sie übergab ihm zugleich einen Brief, welchen Naam geschrieben hatte.

Der Arzt gab diesen Brief an Naama, der ihn mit einer Unruhe und Gemütsbewegung empfing, welche schwer auszudrücken sind. Der Brief lautet folgendermaßen:

»Die Sklavin, welche ihrer Glückseligkeit beraubt, von der Höhe ihres Glückes gesunken und von ihrem Vielgeliebten getrennt ist, hat den von ihm gesendeten Brief empfangen und antwortet ihm mit diesen Versen:

»Beim Empfang deines Briefes haben meine Finger von selber die Antwort verzeichnet. Umströme dich mit Wohlgerüchen und überlaß dich der Hoffnung!

Moses wurde seiner Mutter wiedergegeben, und der Rock Josephs wurde seinem Vater heimgebracht.«

Beim Lesen dieser Verse waren die Augen des jungen Mannes in Tränen gebadet. Die Alte gewahrte es und bezeigte dem Arzte ihre Verwunderung darüber.

»Wie sollte er nicht weinen?« erwiderte der Arzt; »diese junge Schöne ist seine Sklavin, welche er leidenschaftlich liebt. Denn, verehrte Frau, ich muß Euch die Wahrheit bekennen: dieser junge Mann ist nicht mein Sohn, sondern der Sohn Rabias aus der Stadt Kufa. Der Brief, welchen er an Naam geschrieben, hat dieser jungen Schönen, die keine andere Krankheit hat als das Weh, sich von ihrem geliebten Herrn getrennt zu sehen, allein die Gesundheit wiedergeben können. Behaltet, liebe Frau, diese tausend Goldstücke für Euch und rechnet auf eine noch reichere Belohnung, wenn Euer Herz sich von Mitleid mit diesem unglücklichen Liebenden rühren läßt. Ihr seid die einzige Person, welche diese Verwickelung lösen kann, und auf Euch sind alle unsere Hoffnungen gegründet.«

Die Alte war ziemlich erstaunt, aber noch mehr geschmeichelt durch dieses Vertrauen und fragte Naama, ob er wirklich der Herr der schönen Sklavin wäre. Als dieser es ihr beteuert hatte, gestand sie ihm, daß Naam unaufhörlich von ihm redete. Als der junge Mann ihr alle seine Abenteuer erzählt hatte, war die Alte innig gerührt und versicherte ihn, sie würde von ganzem Herzen daran arbeiten, sie beide wieder zu vereinigen. Sie bestieg sogleich wieder ihr Maultier und ritt eilig nach dem Palast zurück.

Beim Eintritt in das Zimmer der jungen Sklavin sah die Alte sie lächelnd an und sagte zu ihr:

»Ziemt es sich, Euch so zu betrüben und krank zu werden aus Liebe zu Naama, dem Sohne Rabias aus der Stadt Kufa?«

»Großer Gott,« rief Naam aus, »alles ist entdeckt!«

»Beruhiget Euch,« sagte die Alte zu ihr; »ich werde das mir anvertraute Geheimnis nicht mißbrauchen. Ich will Euer beider Glück machen und mein Leben wagen, um es durchzusetzen.«

Die Alte kam bald danach wieder zu Naama und sagte zu ihm:

»Ich komme von Eurer Sklavin und habe mit ihr gesprochen: ihre Liebe zu Euch gibt der Eurigen zu ihr nichts nach, und ihre Unempfindlichkeit gegen die Leidenschaft des Kalifen beweist, daß nichts ihre Standhaftigkeit zu erschüttern vermag. Ich habe einen Anschlag ersonnen, welcher Euch gefallen wird; aber Ihr müßt Euch zur Ausführung desselben mit Kühnheit und Mut waffnen. Ich gehe, ein Mittel zu finden, um Euch in den Palast des Kalifen zu bringen und Euch eine Zusammenkunft mit Eurer Sklavin zu verschaffen; denn für sie ist das Herauskommen ganz unmöglich.«

»Gott segne Eure Absichten,« sagte Naama, »und belohne Euch, wie Ihr es verdienet!«

Die Alte verließ Naama und kehrte nach dem Palast zurück; sie sagte der jungen Sklavin, ihr Herr hätte ihr soeben das glühendste Verlangen, sie zu sehen, bezeigt, und fragte sie, wie sie in dieser Hinsicht gesonnen wäre.

»Ich wünsche es ebenso heiß als er,« erwiderte Naam seufzend.

Die Alte ging bald darauf wieder aus mit einem Päckchen unter dem Arme, in welches sie ein Perlenhalsband, Juwelen und alles zu einem Frauenputze Nötige gewickelt hatte. Sie begab sich eilig damit zu Naama und bat ihn, in das Hinterzimmer des Ladens zu treten, damit sie allein wären. Hier bemalte sie ihm das Gesicht und die Arme und färbte ihm die Haare. Sie ließ ihn ein Frauenkleid und Hosen von Seide anziehen, legte ihm ein Stirnband an und putzte ihn völlig wie eine junge Sklavin des Harems heraus.

Als die Alte fertig war, beschaute sie Naama vom Kopfe bis zu den Füßen in dieser neuen Kleidung und rief aus:

»Fürwahr, ich habe niemals eine so reizende Gestalt gesehen: er ist sogar schöner als seine Sklavin. – Gehet vor mir her,« sagte sie hierauf zu ihm, »strecket die linke Seite voraus und neiget ein wenig die rechte, nehmet ein bekümmertes Wesen an und lasset Euer Oberkleid fliegen.«

Als sie ihn wohl unterrichtet hatte und ihn imstande sah, seine Rolle zu spielen, sagte sie noch zu ihm:

»Ich werde Euch morgen abend abholen und in den Palast führen. Fürchtet Euch nicht beim Anblicke der Sklaven und ihrer Befehlshaber; behaltet Eure Fassung, senket das Haupt und redet niemand an: es ist meine Sorge, für Euch zu antworten.«

Am folgenden Abend kam die Alte, Naama abzuholen, und begab sich mit ihm nach dem Palaste des Kalifen. Sie trat zuerst hinein; als aber Naama, der hinter ihr ging, ihr folgen wollte, hielt der Pförtner sie an. Die Alte sah ihn scheel an und sagte ihm, er wäre sehr kühn, daß er es wagte, Naam, die Lieblingssklavin des Kalifen, aufzuhalten, an deren Genesung der Fürst so viel Teil nähme. Der Pförtner war verdutzt und ließ Naama eintreten, der nun ohne Aufenthalt mit der Alten in den inneren Hof des Palastes trat.

»Seid getrost,« sagte sie nun zu ihm, »tretet dreist hinein und haltet Euch zur Linken: zählet sorgfältig die Zimmer, an welchen Ihr vorbeigehet, und tretet in das sechste, wo alles zu Eurem Empfang in Bereitschaft ist. Vor allen Dingen fürchtet Euch nicht, und wenn jemand Euch anredete und mit Euch schwatzen wollte, so hütet Euch wohl, ihm Rede zu stehen.«

Als sie sich der inneren Türe des Harems näherten, hielt das Oberhaupt der schwarzen Verschnittenen sie an und fragte die Alte, wer diese Sklavin wäre.

»Es ist,« antwortete sie, »eine Sklavin, welche meine Gebieterin kaufen will.«

»Hier kann niemand,« entgegnete der Verschnittene, »ohne Erlaubnis des Kalifen eintreten. Kehret wieder um, die Befehle, welche ich erhalten habe, sind bestimmt und verstatten keine Ausnahme; ich werde sie nicht eintreten lassen.« –

»Sehet wohl zu, was Ihr tut,« versetzte die Alte. »Sehet Ihr denn nicht, daß ich nur scherzte, als ich Euch von einer Sklavin sagte, welche meine Gebieterin kaufen wollte? Diese Sklavin ist ja Naam selber, die Favoritin des Kalifen: sie fängt an zu genesen und ist ihrer Gesundheit wegen ein wenig ausgegangen. Im Namen Gottes, hindert sie nicht, einzutreten: der Kalif würde Euch den Kopf abhauen lassen, wenn er erführe, daß Ihr seiner Lieblingssklavin den Eintritt in den Harem verweigert habt.«

Die Alte tat hierauf, als wenn sie zu Naam spräche, und sagte:

»Tretet hinein, Naam, und achtet nicht darauf: auch bitte ich Euch, sprechet nicht davon zu der Prinzessin.«

Naama senkte jetzt das Haupt und trat in den Harem. Aber anstatt sich auf der linken Seite zu halten, geriet er auf die rechte; und anstatt fünf Zimmer zu zählen, zählte er sechse und trat in das siebente.

Dieses war ein reich ausgestattetes Gemach: die Wände waren mit seidenen und goldgestickten Teppichen behängt; Aloeholz, Ambra und Moschus brannten in goldenen Rauchgefäßen und dufteten die köstlichsten Wohlgerüche aus. In der Mitte dieses Zimmers stand eine Art von Thron, der mit Brokat bedeckt war: und auf diesen setzte sich Naama.

Während der junge Mann mit den Gegenständen, welche er um sich sah, beschäftigt war und über sein Abenteuer nachdachte, trat die Schwester des Kalifen mit einer ihrer Sklavinnen herein. Als sie Naama auf dem Throne sitzen sah, näherte sie sich ihm, und ihn für eine junge Sklavin haltend, fragte sie ihn, wer sie wäre, und wer sie in dieses Zimmer gebracht hätte. Aber sie konnte keine Antwort von ihm herausbringen.

»Wenn Ihr eine der Sklavinnen meines Bruders seid,« fuhr die Prinzessin fort, »und er etwa gegen Euch erzürnt ist, so verspreche ich Euch, zu Euren Gunsten bei ihm zu reden und Euch wieder in seine Gnade zu bringen.«

Da die Schwester des Kalifen sah, daß Naama stets das tiefste Stillschweigen beobachtete, befahl sie ihrer Sklavin, sich an die Türe des Gemaches zu stellen und niemand hereinzulassen. Als sie hierauf noch näher zu dem verkleideten jungen Mann herantrat, erstaunte sie über seine Schönheit und redete ihn abermals mit folgenden Worten an:

»Junge Sklavin, saget mir doch, wer Ihr seid, wie Ihr heißt, und wer Euch in mein Zimmer gebracht hat. Denn ich erinnere mich nicht, Euch jemals in diesem Palaste gesehen zu haben.«

Da Naama immer noch nicht antwortete, so wollte die Prinzessin, um sein Vertrauen zu gewinnen und ihn zum Reden zu bewegen, ihm einige Liebkosungen erweisen. Da erkannte sie alsbald, daß es keine Frau wäre, und wollte ihm den Schleier abreißen, welcher sein Gesicht bedeckte, um zu sehen, wer es wäre.

»Gnädige Frau,« rief jetzt Naama, »ich bin ein Sklave: um Gottes willen, kaufet mich und nehmet mich unter Euren Schutz.«

»Fürchtet nichts,« sagte die Prinzessin; »aber saget mir, wer Ihr seid, und wer Euch in mein Zimmer gebracht hat.«

»Prinzessin,« antwortete er, »ich heiße Naama, ich bin in der Stadt Kufa geboren und habe mein Leben gewagt, um meine Sklavin Naam wiederzufinden, welche man mir durch die abscheulichste Arglist entführt hat.«

Die Prinzessin beruhigte ihn; und nachdem sie ihre Sklavin herbeigerufen hatte, befahl sie ihr, hinzugehen und Naam zu holen.

Die Alte hatte sich schon in das Zimmer dieser jungen Sklavin verfügt und sie beim Eintritte gefragt, ob ihr Herr noch nicht eingetroffen wäre. Als die junge Sklavin ihr geantwortet, daß sie ihn nicht gesehen, argwöhnte die Alte sogleich, er hätte sich verirrt und wäre in ein anderes als das ihm von ihr bezeichnete Zimmer geraten. Sie teilte Naam ihre Befürchtung mit, welche erschrocken ausrief:

»Es ist um uns geschehen, wir sind verloren!«

Indem sie noch beide beschäftigt waren, über ihre Lage nachzudenken, trat die Sklavin der Prinzessin herein und sagte zu Naam, die Prinzessin wünschte sie zu sprechen, und sie möchte sich auf der Stelle in ihr Zimmer verfügen.

Als Naam aufgestanden war, um zu gehorchen, flüsterte ihr die Alte ins Ohr: »Euer Herr ist sicherlich bei der Prinzessin, und alles ist entdeckt.«

Die Schwester des Kalifen sagte beim Eintritte der jungen Sklavin zu ihr:

»Euer Herr hat sich in dem Zimmer geirrt und ist in das meinige getreten, anstatt in das Eurige; aber fürchtet nichts, ich werde es so einrichten, daß alles glücklich abläuft.«

Bei diesen Worten begann Naam wieder Atem zu schöpfen und dankte der Prinzessin für den Schutz, welchen sie ihr zu gewähren geruhte.

Sobald Naama seine geliebte Gattin erblickte, flog er ihr entgegen und drückte sie an sein Herz. Die Freude, welche beide durchdrang, ließ sie besinnungslos einander in die Arme sinken.

Als sie wieder zu sich gekommen waren, ließ die Prinzessin sie neben sich sitzen und war nun mit ihnen auf Mittel bedacht, sie aus der üblen Lage zu ziehen, in welche sie verwickelt waren.

»Gebieterin,« sagte Naam, »unser Schicksal steht gegenwärtig in Euren Händen.«

»Ihr habt von meiner Seite nichts zu fürchten,« antwortete teilnehmend die Prinzessin, »im Gegenteil, ich werde alles tun, was von mir abhängt, um die Gefahr abzuwenden, welche unter allen andern Umständen Euch bedrohen würde.«

Hierauf sich zu ihrer Sklavin wendend, befahl sie, ihr zu essen zu bringen und Erfrischungen aufzusetzen.

Als dieser Befehl vollzogen war, bot die Prinzessin selber ihnen mehrere Sachen dar und lud sie ein, sich unbekümmert dem Vergnügen ihres Wiedersehens zu überlassen. Die beiden Gatten verbrachten einen Teil des Abends, sich gegenseitig über ihre Wiedervereinigung glücklich zu preisen und die Freude und die Seligkeit zu feiern, von welcher ihre Seele berauscht war. Die Prinzessin war von diesem Schauspiel innig gerührt und fand Vergnügen an den Ausbrüchen ihrer Zärtlichkeit.

»Niemals,« sagte Naama, »habe ich seligere Augenblicke verlebt, und wenig kümmert mich, was noch geschehen mag.«

»Ihr liebt also diese Sklavin recht sehr?« fragte ihn die Schwester des Kalifen.

»Ihr seht es, hohe Frau,« antwortete Naama, »die Gefahr, der ich mich hier aussetze, beweist genugsam das Übermaß meiner Liebe.«

»Und Ihr, Naam,« wandte sich die Schwester des Kalifen zu der jungen Sklavin, »Ihr liebt also auch Euren Herrn recht sehr?«

»Gebieterin,« antwortete Naam, »diese Liebe war die Ursache des Hinschmachtens, in welches ich versunken war.«

Die Prinzessin forderte sodann Naam auf, die Zither zu spielen, und ließ eine herbeibringen. Naam stimmte sie, machte ein Vorspiel und sang hierauf, sich begleitend, einige Verse, in welchen sie der Prinzessin die Dankbarkeit ausdrückte, von welcher sie für ihre Güte durchdrungen war, Naam gab alsdann die Zither an Naama, welcher, nachdem er einige Verse desselben Inhalts gesungen hatte, sie der Prinzessin überreichte. Diese machte keine Schwierigkeit, das Instrument anzunehmen, und sang selber einige Verse über das Glück der wahren Liebenden.

Während dieses hier vorging, trat der Kalif Abdalmelek ebn Mervan plötzlich in das Zimmer der Prinzessin. Die beiden Liebenden standen sogleich auf und warfen sich dem Kalifen zu Füßen, der sie freundlich aufstehen hieß. Seine Blicke verweilten mit Wohlgefallen auf Naam; und als er eine Zither bei ihr bemerkte, wünschte er ihr Glück zur Wiederkehr ihrer Gesundheit. Als er hierauf die Augen auf den verkleideten Naama warf, fragte er seine Schwester, wer die junge Sklavin wäre, welche er bei Naam sitzen sähe.

»Großmächtiger Beherrscher der Gläubigen,« antwortete ihm die Prinzessin, »es ist ein junges Mädchen, welches seit ihren frühesten Jahren mit Eurer Sklavin zusammen gewesen und ohne welches ihr das Leben unerträglich ist.«

»In Wahrheit,« sagte der Kalif, »diese Sklavin ist reizend und ebenso schön wie Naam: von morgen an will ich ihr ein Zimmer neben dem ihrer Gespielin bereiten lassen und ihr alle Putzsachen senden, welche ihr Vergnügen machen können, in Rücksicht der Freundschaft, welche Naam für sie hegt.«

Die Prinzessin ließ sogleich vor dem Kalifen, welcher sich gesetzt hatte, Erfrischungen auftragen; er nahm etwas davon und forderte Naam auf, die Zither zu spielen. Sie tat es und sang dazu Verse zum Lobe des Kalifen. Dieser Fürst ergötzte sich sehr, sie zu hören, und als sie geendigt hatte, dankte er für das Vergnügen, welches sie ihm gewährt hätte, und lobte sehr den Umfang und die Schönheit ihrer Stimme.

Gegen Mitternacht sprach die Prinzessin also zu ihrem Bruder:

»Großmächtiger Beherrscher der Gläubigen, Naam, die kaum in der Genesung ist, muß durch ihr Singen und durch ihre Teilnahme an der Gesellschaft den ganzen Abend hindurch äußerst ermüdet sein. Wenn es Euch angenehm ist, so will ich Euch jetzt eine Geschichte erzählen, welche ich einst gelesen habe.«

Nachdem der Kalif ihr bezeugt hatte, daß es ihm Vergnügen machen würde, sie zu hören, fuhr sie also fort:

»Herr, es lebte einst in der Stadt Kufa ein junger Mann namens Naama, Rabias Sohn, der eine Sklavin besaß, in welche er sterblich verliebt war. Diese Sklavin, die mit ihm aufgezogen war, erwiderte seine Liebe aufs zärtlichste. Kaum hatte er sie geheiratet, als das immerdar unbeständige Glück ihn mit dem härtesten Schlage traf: seine Sklavin wurde ihm eines Tages aus seinem eigenen Hause entführt. Der Räuber verkaufte sie für zehntausend Goldstücke an einen sehr mächtigen Fürsten, der vergeblich alles aufbot, um ihre Liebe zu gewinnen.

Naama, in Verzweiflung über den Verlust seiner Sklavin, verließ seine Familie, seine Habe und sein Haus, um nachzuforschen, was aus ihr geworden sein möchte, und um alle mögliche Mittel zu versuchen, sich wieder mit ihr zu vereinigen. Er setzte sich den größten Gefahren aus und wagte sogar sein Leben, um dieses Glück zu erlangen. Kaum hatte er sie wiedergefunden, so überraschte der Fürst, der sie gekauft hatte, beide beieinander, er entschied auf der Stelle ihr Schicksal und wollte sie unverzüglich töten lassen ...

Was dünkt Euch, Herr,« unterbrach sich hier die Prinzessin, »von der Übereilung und der Unbilligkeit dieses Fürsten?«

Der Kalif antwortete, der Fürst hätte, obschon er volle Gewalt über sie hatte, ihnen verzeihen sollen, und zwar aus drei Gründen: erstens, weil die beiden jungen Gatten sich so innig liebten; zweitens, weil sie sich in seinem Palast und unter seinem Schutze befänden; und drittens, weil ihm mehr Mittel als dem jungen Manne zu Gebote ständen, sich eine andere Sklavin zu verschaffen. »Dieser Fürst,« fügte er hinzu, »hat eine eines Königs unwürdige Handlung begangen.«

»Geruhet jetzt,« sagte hierauf die Prinzessin zu ihrem Bruder, »einen Augenblick anzuhören, was Naam uns singen wird.«

Und nun begann die junge Sklavin in den leidenschaftlichsten Versen die Qualen zu schildern, welche zwei durch die süßesten Gefühle vereinte Herzen empfinden müssen, welche die Härte des Schicksals getrennt hat. Ihre rührende Stimme machte dem Kalifen so viel Vergnügen, daß er ihr durch die schmeichelhaftesten Ausdrücke seine Zufriedenheit bezeigte.

Die Prinzessin ergriff diesen günstigen Augenblick und sagte zu ihm, ein großer König hätte nur ein Wort, und das einmal von ihm ausgesprochene Urteil wäre unwiderruflich. Und als sie nun Naam und Naama hatte aufstehen lassen, sprach sie zu ihrem Bruder:

»Großmächtiger Beherrscher der Gläubigen, Ihr sehet hier vor Euch die beiden Unglücklichen, deren Schicksal Ihr soeben beklagt habt: Naam ist die junge Sklavin, welche Hedschadsche ebn Jussuf ihrem Gemahl entführt hat, um sie Euch zu senden. Er hat Euch in seinem Briefe hintergangen, wenn er Euch angekündigt, er habe sie für zehntausend Goldstücke erkauft. Naama, den Ihr hier in der Verkleidung einer jungen Sklavin vor Euch seht, ist in Wahrheit ihr Herr und Gemahl. Im Namen Eurer ruhmvollen Voreltern wage ich es, Euch zu bitten, Herr, mit ihrer Jugend Mitleid zu haben und ihnen den Fehler zu verzeihen, welchen sie begangen haben. Ihr werdet in Eurem innersten Herzen die Belohnung für die großmütige Teilnahme finden, welche Ihr ihnen angedeihen laßt. Bedenket, daß sie beide in Eurer Gewalt sind, daß sie die Ehre gehabt haben, an Eurem Tische zu essen, und daß Eure Schwester es ist, welche Euch beschwört, ihr Blut nicht zu vergießen.«

Der Kalif antwortete mit Bewegung: »Du hast recht, meine Schwester; ich habe über diesen Fall schon einen Ausspruch getan, und du weißt, daß ich nimmer ein Urteil zurücknehme, welches ich einmal gefällt habe.«

Hierauf wandte er sich zu Naam und fragte: »Das also ist dein Herr?«

»Ja, mein Fürst,« antwortete in tiefer Ehrfurcht die junge Sklavin.

»Sei ohne Furcht,« sagte der Kalif freundlich, »ich vergebe von Herzen gern euch allen beiden. – Aber, Naama, wie hast du entdeckt, daß deine Sklavin sich hier befinde, und wie hast du es angestellt, hier hereinzukommen?«

»Herr,« antwortete der junge Mann, »geruhet die Erzählung meiner Schicksale anzuhören: ich schwöre Euch bei Euren glorreichen Ahnen, ich will Euch keinen Umstand davon verbergen.«

Hierauf erzählte Naama dem Kalifen alles, was ihm begegnet war, die Verpflichtungen, welche er dem persischen Arzt und der Alten hatte, wie die letztere ihn in den Palast geführt und wie er sich darin verirrt habe.

Der Kalif, voll Verwunderung über diese Geschichte, ließ den persischen Arzt kommen, bekleidete ihn mit einem Ehrenrocke und gab ihm eine ausgezeichnete Stelle an seinem Hofe. Er verheiratete ihn mit einer reizenden Sklavin und äußerte ihm verbindlich, er wünschte stets einen solchen Mann bei sich zu behalten, der so viel Verstand und Geschicklichkeit besäße, und dessen Gaben auch ihm nützlich werden könnten. Er überhäufte auch Naam und Naama mit Wohltaten, ebenso wie die Alte. – Während sieben Tagen waren nichts als Feste und Lustbarkeiten in dem Palaste.

Nach Verlaufe dieser Zeit gab der Kalif Naam und Naama die Erlaubnis, nach Kufa heimzukehren. Rabia und seine Gattin waren außer sich vor Freuden, als sie ihren Sohn wiedersahen, und hielten ihn lange fest in ihren Armen.«

Kaum hatte Scheherasade die Geschichte von Naama und Naam beschlossen, als sie die noch übrige Zeit benutzte und die Geschichte Alaeddins anfing, von welcher sie sich wohl versah, daß der Sultan von Indien die Fortsetzung würde hören wollen.

 

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