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Fünfhundertunddreiundfünfzigste Nacht.

Geschichte des Sultans Selim von Ägypten.

»Herr, wie man erzählt, so war einmal in Ägypten ein mächtiger König, der zwei Söhne hatte. Eines Tages dachte er über den Lauf dieser Welt nach, und da er sah, daß nichts darin beständig war, so faßte er den Entschluß, seinen zweiten Sohn ein Handwerk lernen zu lassen. Er gab ihn also einem der berühmtesten Schneider seiner Hauptstadt in die Lehre.

»Mein Sohn,« sprach er zu dem jungen Prinzen, »betrachte das Gewerbe, welches ich dir zu eigen zu machen wünsche, nicht als unter deinem Stande; niemand ist geborgen vor den Schlägen des Schicksals, und vielleicht wirst du eines Tages noch Gelegenheit finden, die Wahrheit dieses persischen Sprichwortes zu erkennen: »Belehrung eines Hirsekorns schwer wiegt hundert Lasten Goldes aus.«

Der junge Prinz fügte sich dem Willen seines Vaters, und in kurzer Zeit ward er in der von ihm erlernten Kunst sehr geschickt.

Die folgenden Begebenheiten rechtfertigten nur zu sehr die weise Vorsicht des Königs. Dieser Fürst kehrte in den Schoß des allbarmherzigen Gottes zurück; sein älterer Sohn bestieg den Thron, und der jüngere, wohl wissend, wie sehr er die bösen Gesinnungen seines Bruders zu fürchten hätte, sah sich, um sein Leben zu retten, genötigt, heimlich die Flucht zu ergreifen und sich nach Hedschas zu begeben. Er gesellte sich zu einer Karawane von Wallfahrern und hielt mit ihnen seinen Eintritt in die heilige Stadt Mekka.

Er wanderte ruhig durch eine der Straßen dieser großen Stadt, als sein Fuß an etwas Hartes stieß, welches einen Klang von sich gab; er streckte die Hand danach aus und erkannte mit Freuden, daß er eine Börse gefunden hatte. Aber sein Vergnügen darüber war von kurzer Dauer; denn kaum hatte er einige Schritte getan, als er einem alten Kodjah begegnete, der sich die Brust zerschlug und dabei mit dem Tone der tiefsten Verzweiflung ausrief:

»O ihr Muselmänner! Wer von euch meine Börse gefunden hat, gebe sie mir wieder, um Gottes und des heiligen Tempels von Mekka willen: die Hälfte derselben soll ihm ebenso rechtmäßig angehören wie die Milch seiner Mutter.«

Die Verzweiflung dieses Mannes ließ den jungen Prinzen nicht lange schwanken, was er zu tun hätte; er ging also auf ihn zu und sprach: »Tröstet Euch, Kodjah, ich habe gefunden, was Ihr verloren habt.« Und damit bot er ihm die Börse dar.

Selim zeigte bei dieser Gelegenheit eine Uneigennützigkeit, welche ihm das Wohlwollen des Kodjah erwarb.

»Mein Vater,« sprach er, »alles, worum ich Euch zur Erwiderung des Euch geleisteten Dienstes bitte, ist, daß Ihr die Güte habet, mir Arbeit zu verschaffen.«

»Gern, mein Sohn,« antwortete der Greis, »dein Edelmut soll nicht unbelohnt bleiben; ich wohne in Bagdad, und wenn du willst, so nehme ich dich mit nach dieser Stadt, wo ich dir sehr nützlich sein kann.«

Der Prinz nahm dieses Erbieten an, und sie verabredeten den Tag ihrer Abreise.

Nach einer langen Reise kamen sie alle beide gesund und wohlbehalten nach der Hauptstadt von Irak Arabi. Der Kodjah, der seinem jungen Reisegefährten große Teilnahme bewies, brachte ihn alsbald zu einem Schneider von seiner Bekanntschaft. Dieser, um seine Geschicklichkeit zu prüfen, ließ ihn einen Kaftan anfertigen; und als sein neuer Arbeiter ihm nach einigen Tagen das ihm anvertraute Werk wiederbrachte, war er ganz erstaunt über die Vollkommenheit der Arbeit und gestand ihm, er hätte niemals einen so geschickten Schneider gesehen.

Die Geschicklichkeit des jungen Prinzen erwarb seinem Meister und ihm selber tausend Lobsprüche, und die Arbeit nahm in seiner Werkstätte dermaßen zu, daß der erkenntliche Schneider eines Tages zu ihm sprach:

»Mein Freund, ich bin dir täglich wenigstens zwölf Kisils für alle deine Dienste schuldig: hier sind sie.«

Eine so ansehnliche Summe verstattete dem Prinzen, zu Bagdad mit der größten Bequemlichkeit zu leben.

Nun geschah es, daß der Kodjah eines Tages einen Zwist mit seiner Frau hatte, welche recht hübsch war, aber ihm triftige Ursache zum Mißvergnügen gegeben hatte, und in seiner Heftigkeit sprach er dreimal das geheiligte Wort der Verstoßung aus. Er hatte nicht sobald diese Übereilung begangen, als er sie schon herzlich bereute. Er eilte zum Kadi und bat ihn, die Ehe zu erneuen; aber dieser Beamte verweigerte es hartnäckig, bevor die verstoßene Frau nicht dem Gesetze zufolge mit einem Hülla vermählt worden. Der Kodjah war lange unschlüssig über die Wahl eines Mannes, der sein Vertrauen besäße, und entschied sich endlich, dem jungen Prinzen von Ägypten diese Rolle zu übertragen.

In dieser Absicht stellte er ihn seiner Gattin vor und sprach zu ihr: »Hier ist derjenige, dem ich dich diese Nacht anvertraue.« Und nachdem er diese Worte ausgesprochen hatte, verschloß er die Türe und ließ beide allein, so wie das Gesetz es erforderte.

Als die Frau des Kodjah ihren Mann entfernt sah, beleuchtete sie den jungen Prinzen mit der Lampe, und sie konnte sich nicht erwehren, Liebe für ihn zu empfinden; denn Adel und Liebenswürdigkeit erschienen über sein ganzes Wesen verbreitet und verrieten seine edle Abkunft. Der Prinz selber war auch nicht unempfindlich gegen die Reize der Frau des Kodjahs, und eine große Vertraulichkeit war bald zwischen ihnen beiden gestiftet. Sie zeigte ihm beträchtliche Reichtümer, welche sie als Aussteuer ihrem Manne zugebracht, und erbot ihm alle diese Güter zu eigen, wenn er den Mut hätte, am nächsten Morgen zu erklären, daß er die Frau behalten wollte, deren Hülla er gewesen, und daß es ihm unmöglich wäre, sie zu verstoßen.

Diese Worte erfüllten Selims Herz mit Freuden, und er versprach willig, vor dem Kadi die Verstoßung seiner Neuvermählten beharrlich zu verweigern.

 

Fünfhundertundvierundfünfzigste Nacht.

Am folgenden Morgen ganz früh eilte der Kodjah herbei und öffnete die Türe; der junge Mann kam ihm entgegen und küßte ihm die Hand. »Auf, auf,« sagte der Kodjah, »lasset uns schleunig zum Kadi gehen!«

»Was soll ich bei dem Kadi?« entgegnete der Prinz.

»Ei nun, Ihr sollt meine Frau verstoßen.«

»Eure Frau verstoßen? Ich werde mich wohl davor hüten; das ist nicht der Brauch meines Landes; wenn man in Ägypten eine Frau genommen hat, so behält man sie.«

»Was soll das bedeuten?« rief der Kodjah aus; »durfte ich mich eines solchen Betragens von Eurer Seite versehen?«

Aber alle seine Vorstellungen waren vergeblich: Selim blieb unerschütterlich in seinem gefaßten Entschlusse.

Hierauf rannte der Mann zu dem Kadi und trug ihm die bedenkliche Lage vor, in welcher er sich befand. Dieser Beamte antwortete ihm, wenn der Hülla in seinem gefaßten Entschlusse beharrte, so gäbe es kein gesetzliches Mittel, ihn zur Verstoßung seiner Neuvermählten zu zwingen.

Der Verdruß des armen Kodjah über den Verlust seiner Frau war so groß, daß er ernstlich krank ward; da ließ er den jungen Prinzen an sein Bette kommen und sprach zu ihm:

»Alles, was ich jetzt erleide, ist Euch nicht zuzurechnen, und ich würde unrecht tun, Euch einen Fehler vorzuwerfen, welchen ich begangen habe. Als Ihr mir die verlorene Börse mit so viel Uneigennützigkeit wiedergabet, tat ich unvorsichtigerweise folgenden Ausruf zu Gott: »O Herr! ist alles, was ich besitze, wohl hinreichend, so viel Redlichkeit zu belohnen?« Ihr seht, der barmherzige Gott hat nur zu genau mein Gebet erhört, da Ihr in einem Augenblicke Herr des größten Teils meines Vermögens geworden seid und er Euch sogar auch meine Frau gegeben hat. So will es das Schicksal; ich nehme alle hier Gegenwärtigen zu Zeugen, daß ich Euch vollends eine Schenkung von allem mache, was ich nachlassen werde.«

Nach drei Tagen gab der Kodjah seine Seele an Gott zurück, und der junge Prinz ward äußerst reich. Er lebte mit seiner Frau mehrere Jahre im besten Einverständnisse, und nichts trübte diese auf sonderbare Weise geknüpfte Ehe, als ein unerwartetes Ereignis Selims Seele in Traurigkeit versetzte.

Sobald seine Ehe anerkannt war, hatte er das Schneiderhandwerk aufgegeben; er hatte zahlreiches Hausgesinde in Dienst genommen, er bewirtete bei sich die liebenswürdigsten jungen Leute von Bagdad, und sein Haus war der Sammelplatz der besten Gesellschaft in dieser Stadt geworden.

Aber der Prinz hatte nicht bemerkt, daß unter denjenigen, die sein Haus besuchten, ein junger Mann war, der sich aufs angelegenste um seine Frau bemühte. Eines Tages, als er von einer Lustfahrt mit mehreren seiner Freunde nach Hause kam, klopfte er vergeblich an seine Türe: niemand erschien, um sie ihm zu öffnen. Verwundert über diese Stille, verdoppelt er seine Schläge und ruft seinen Leuten: niemand zeigt sich. Ungeduldig über diese Säumnis, entschließt er sich, die Türe einzustoßen; er läuft nach dem Zimmer seiner Frau, findet sie aber auch nicht darin. Vergeblich klatscht er in die Hände, ruft seinem Gesinde: das Haus ist leer. Kurz, er durchsucht alle Teile seiner Wohnung und erlangt die Überzeugung, daß alles von Wert daraus hinweggeschafft ist.

Nun zweifelte der Prinz nicht länger, daß er durch die Treulosigkeit seiner Frau hintergangen wäre, und schwor, sich zu rächen. In dieser Absicht sammelte er alle Nachweisungen, die er auftreiben konnte, über den Weg, welchen seine Frau mit ihrem Buhlen genommen hatte, und nachdem er alles, was sie noch zurückgelassen, verkauft hatte, machte er sich auf, sie zu verfolgen, und schlug den Weg nach Ispahan ein.

Indem er auf allen Seiten Erkundigungen einzog, um die Spur seiner Frau zu entdecken, hatte er schon zwei Tagereisen gemacht, als er, von Müdigkeit überwältigt, vor dem Hause eines Schusters ausruhte.

»Bruder,« sprach dieser zu ihm, »du scheinst ermüdet; die Nacht nahet heran: willst du die Matte teilen, auf welcher ich schlafe, so biete ich sie dir willig dar.«

Selim nahm dieses Erbieten mit Dank an; und da er das Bedürfnis der Ruhe fühlte, so streckte er sich in einer Ecke hin und schlief fest ein. Aber bald erwachte er, um Zeuge eines sehr seltsamen Auftrittes zu sein.

Die Frau des Schusters, bei welchem Selim sich befand, unterhielt seit langer Zeit einen Liebeshandel mit einem jungen Kaufmann, und eine gemeinsame Freundin, die Frau eines Bartscherers in der Nachbarschaft, begünstigte diese Buhlschaft. Nun geschah es, daß Geschäfte den Schuster nötigten, auf einige Zeit seine Wohnung zu verlassen. Diese Abwesenheit benutzend, machte die Frau alle Vorbereitungen zu einer Zusammenkunft mit ihrem Liebhaber und stand im Begriff, auszugehen, als ihr Mann, dessen Geschäfte bald beendigt worden, heimkehrte, ehe sie sich's versah. Er fragte sie, warum sie ausginge; und da die Vorwände, unter welchen sie sich entschuldigen wollte, ihm nicht genügten, geriet er in Zorn, mißhandelte sie ungeachtet ihrer Tränen und Bitten, und um sie noch mehr zu züchtigen, band er sie an einen der Pfeiler, welche das Haus stützten.

Selim war durch all diesen Lärm vom Schlaf erwacht, und das rohe Betragen des Schusters hatte seinen Unwillen erregt, aber er erkannte bald, daß das Unrecht nicht ganz auf seiten seines Wirtes war. Dieser war, nachdem er seine Frau so strenge behandelt hatte, endlich eingeschlafen.

Kurze Zeit darauf sah der Prinz die Frau des Bartscherers eintreten. »Was macht Ihr denn, Nachbarin?« sprach sie mit leiser Stimme: »wißt Ihr denn nicht, daß Ihr schon lange erwartet werdet, und scheut Ihr Euch nicht, jemand so lange schmachten zu lassen, der euch so inbrünstig liebt?«

»Ach!« antwortete die Gefangene, »Ihr habt gut mich anklagen: aber Ihr würdet aufhören, ungerecht zu sein, wenn Ihr all das Leid wüßtet, welches mich niederdrückt. Ich habe das Unglück gehabt, den Argwohn meines Mannes zu erregen, und dieser rohe Mensch hat mich, nachdem er mich so behandelt, wie Ihr seht, fest an diesen Pfeiler gebunden, wo ich gezwungen bin, die Nacht auszuhalten, wenn Ihr nicht die Güte habt, mich von den Banden zu befreien, welche mich gefangen halten. Ja, wenn Ihr Mitleid mit der unglücklichen Lage hättet, in welcher ich mich befinde, so würde es Euch sehr leicht sein, mir einen sehr großen Dienst zu leisten: indem Ihr auf einige Zeit meine Stelle einnehmet, würdet Ihr mir helfen, mich an meinem Manne zu rächen und ihn desto ärger zu betrügen.«

»Ich will es gerne tun, Nachbarin,« erwiderte die Bartscherersfrau: »sogleich binde ich Euch los, und Ihr bindet mich an Eurer Statt an: ich bin erfreut, daß ich Gelegenheit finde, Euch diesen Dienst zu leisten. Bleibet nur nicht zu lange aus.«

Mit diesen Worten band sie die Gefesselte von dem Pfeiler los und nahm ihre Stelle ein. Die so in Freiheit gesetzte Frau des Schusters eilte nun zu ihrem Liebhaber.

 

Fünfhundertundfünfundfünfzigste Nacht.

Über diese Vorgänge erwachte der Herr des Hauses; er rief seiner Frau zu wiederholten Malen, denn diejenige, die ihre Stelle eingenommen hatte, fürchtete, der Ton der Stimme möchte sie verraten, und hütete sich wohl, zu antworten. Der Schuster, ungeduldig über ihr hartnäckiges Stillschweigen, steht auf, ergreift sein Ledermesser, springt nach dem Pfeiler, an welchen er seine Frau gebunden hatte, und schneidet der Bartscherersfrau die Nasenspitze ab.

»Da,« sprach er zu ihr, indem er ihr ihre Nasenspitze in die Hand gab, »ich will dich lehren, mir nicht zu gehorchen; du kannst nun hingehen und damit deinem Buhlen ein neues Geschenk machen.«

Unterdessen wagte das unglückliche Schlachtopfer der Gefälligkeit aus Furcht vor dem Zorn eines so jähzornigen Mannes keineswegs, das Stillschweigen zu brechen, aber sie bedachte bei sich selber ihr schmähliches Schicksal, während diejenige, welcher die Strafe galt, sich ihrer Lust hinab.

Der Schuster hatte sich nach dieser Züchtigung seiner vermeinten Frau wieder auf seine Matte gelegt. Bald darauf kam seine wirkliche Frau heim, und als sie den kläglichen Zustand vernahm, in welchen ihr Mann ihre Nachbarin versetzt hatte, war sie innerlich zwar heilfroh, daß sie einer so unmenschlichen Behandlung entgangen war, stellte sich aber, als wenn sie Tränen vergösse, und bezeigte der Bartscherersfrau in den stärksten Ausdrücken ihren vollen Schmerz über diesen unglücklichen Zufall. Nachdem sie so ihr Beileid bezeigt hatte, nahm sie den verlassenen Platz wieder ein und ließ sich wieder an den Pfeiler binden.

Jetzt dachte sie auf Mittel, ihren Mann zu bereden, daß sie ihre Nasenspitze wiedererhalten hätte, und sie ersann folgenden Kunstgriff, um ihn durch eine neue List hinters Licht zu führen.

Nachdem sie einige Zeit schweigend dagestanden hatte, erhob sie auf einmal ihre Stimme und rief aus:

»Gnädiger und barmherziger Gott! Du, der in den Herzen lesen und die Guten von den Bösen unterscheiden kannst! Du, dem nichts verborgen ist! Willst du zulassen, daß ich zum Schlachtopfer des schmählichsten Verdachtes und der unmenschlichsten und ungerechtesten Behandlung hingegeben sei? Wenn du mein Gebet zu erhören würdigest, o Herr, so gib mir die mir geraubte Zierde meines Antlitzes und diese Wohlgestalt wieder, welche eigentlich das Erbteil edler und reiner Seelen ist! Möge dieses Wunder meine Unschuld kundtun und die Flecken vertilgen, mit welchen das Kleid meiner Ehre verunglimpft ist!«

Der Schuster, nachdem er dieses Gebet seiner Frau angehört hatte, konnte seinen Unwillen nicht zurückhalten. »Elende,« rief er ihr zu, »weißt du denn nicht, daß Gott die Bitten der Ehebrecherinnen nicht erhört? Und kannst du hoffen, daß dein Gebet bis zu seinem Throne dringen werde?«

»Großer Gott!« rief die Frau aus, »mein Gebet ist erhört; komm her, unmenschlicher Mann, und überzeuge dich selber von der Hilfe, welche die himmlische Allmacht der verfolgten Tugend angedeihen läßt. Allah hat die schmähliche Entstellung wieder ausgetilgt, womit du mich beschimpft hattest.«

Diese Worte waren mit zu viel Zuversicht gesprochen, um nicht auf den Schuster Eindruck zu machen; er lief hin, zündete die Lampe wieder an, näherte sie neugierig dem Gesichte seiner Frau und erkannte, daß ihre Nase nichts von ihrer vorigen Gestalt eingebüßt hatte. Er fragte nun nicht weiter nach, sondern warf sich ihr zu Füßen und rief aus:

»O ich Unglücklicher! Ja, ich bekenne dir jetzt mein großes Unrecht und verspreche dir, es wieder gutzumachen. Sei versichert, daß ich durch meine Unterwürfigkeit, Lenksamkeit und Gefälligkeit dich mein bisheriges Betragen vergessen machen will: gebiete gegenwärtig unbeschränkt, du bist von nun an die einzige Herrin all meiner Handlungen, und du kannst mit mir schalten wie mit deinem untertänigsten Sklaven.«

Selim, der in seinem Winkel, wo er lag, Zeuge all dieser Auftritte war, konnte sich nicht enthalten, über die Gutmütigkeit des armen Schusters zu lachen. Indem er nun sah, wie sehr dieser durch die Listen seiner Frau hinters Licht geführt wurde, tröstete er sich etwas über sein eignes Mißgeschick und schlief umso ruhiger wieder ein, ohne die Folgen der Versöhnung mit anzuhören.

Am folgenden Morgen erhob er sich mit Tagesanbruch, dankte seinem Wirte für die edelmütige Gastfreundschaft, welche er ihm erzeigt hatte, und ohne dessen Ruhe durch unvorsichtige Entdeckungen zu stören, setzte er seinen Weg nach Ispahan fort.

Selim ging traurig auf die nächste Stadt zu und traf einen Kalender, welcher denselben Weg verfolgte. »Ihr scheint sehr traurig,« sprach der Reisende zu dem Prinzen, indem er sich ihm nahte; »was ist der Gegenstand Eures Kummers?«

»Ach, Herr,« antwortete Selim, »ich suche meine Frau, die mir entlaufen ist.«

»Wie! das ist der Gegenstand Eures Kummers?« sagte der Kalender; »tröstet Euch, Herr, Ihr seid nicht das erste Opfer eines Unfalles dieser Art, und Ihr dürft Euch glücklich preisen, daß er nicht noch andere Folgen nach sich gezogen hat: ich habe von einem unglücklichen Kaufmann erzählen gehört, der nicht so leichten Kaufs davon gekommen ist.«

»Was begegnete denn diesem Kaufmann?« fragte der Prinz von Ägypten.

Da begann der Kalender, während sie zusammen fortgingen, folgendermaßen:

 


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