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Fünfhundertundeinunddreißigste Nacht.

Geschichte der beiden Prinzen von Cochinchina und ihrer Schwester.

»Herr, es herrschte einst in Cochinchina ein König, welcher der gelehrteste Mann seiner Staaten war. Als der Augenblick kam, wo er sein Haupt auf das Sterbekissen legen sollte, ließ er die Königin, seine Gemahlin, seine Tochter und seine beiden Söhne rufen. Nachdem er sie hatte geloben lassen, genau seinen letzten Willen zu befolgen, sprach er folgendermaßen zu ihnen:

»Ich beschwöre euch im Namen des großen Gottes, der über die Throne gebietet, und dem ich denjenigen verdanke, welchen ich jetzt bald verlassen werde, mit Aufmerksamkeit anzuhören und getreulich zu erfüllen, was ein sterbender Vater euch heute empfiehlt.«

Seine Gemahlin und seine Kinder beeiferten sich, unter Strömen von Tränen ihm zu versprechen, daß sie mit der gewissenhaftesten Genauigkeit seinen letzten Willen erfüllen würden, und er fuhr nun fort, indem er sich zu Chansad, seinem ältesten Sohne, wandte:

»Deine Geburt, mein Sohn, gibt dir das Recht auf die Krone, vergiß aber nicht, daß ihr schönster Glanz die Menschlichkeit ist; durch diese wirst du die Dauer deines Reichs und deine eigene Glückseligkeit sichern, zumal, wenn du mit dieser Tugend die kindliche Liebe gegen deine Mutter und eine zärtliche Anhänglichkeit an deinen Bruder Murad verbindest, welcher in seiner Kindheit noch bedarf, daß du meine Stelle bei ihm vertretest. Was deine Schwester Aischah betrifft, so habe ich dir noch Weisungen zu geben, welche dir vielleicht seltsam vorkommen werden, aber ich setze so großes Vertrauen in dein mir getanes Versprechen, daß ich glaube, du wirst nicht anstehen, sie zu befolgen. Ich will – und betrachte du die jetzt aus meinem Munde gehenden Worte wie Aussprüche des Schicksals – , ich will also, daß ihre Hand dem ersten Fremdlinge gehöre, welcher sich darbietet, wo er auch her und von welchem Stande und Vermögen er auch sei.«

Die ganze Familie des alten Königs warf sich zu seinen Füßen, und während alle ihr eben abgelegtes Versprechen wiederholten, tat er einen tiefen Seufzer und verschied.

Als der Prinz Chansad dem Könige, seinem Vater, die seinem Range gebührende Ehre erwiesen hatte, bestieg er den Thron; und nachdem er mit ebensoviel Wohlwollen und Leutseligkeit die Huldigungen der Großen und der Wesire empfangen, beschäftigte er sich mit den schwierigen Verrichtungen der Regierung und erwarb sich durch sein Betragen bald die Segnungen seiner Untertanen.

So regierte er in Frieden einige Zeit lang, als man eines Tages ihm meldete, daß ein Fremder an den Toren des Palastes stände und Einlaß begehrte. Er befahl, ihn hereinzuführen.

Dieser Mensch hatte etwas Wildes an sich und ein zurückstoßendes Äußeres. Er näherte sich indessen dem Könige ohne irgend ein Zeichen der Furcht, und als er vor ihm stand, sprach er zu ihm:

»Herr, möge Gott Euer Majestät lange Jahre verleihen, und vor allen möge er verhüten, daß Ihr durch meine Bitte um die Hand Eurer Schwester Aischah, welche ich zu tun komme, nicht beleidigt werdet.«

Die erste Bewegung des Sultans war, die Unverschämtheit des Fremden bestrafen zu lassen, der es gewagt hatte, also zu ihm zu sprechen; aber alsbald erinnerte er sich seines dem Könige, seinem Vater, gegebenen Versprechens, er war also genötigt, an sich zu halten, und ohne dem Fremdling eine bestimmte Antwort zu geben, befahl er zum großen Erstaunen der Hofleute, ihm im Palaste eine Wohnung zu bereiten. Hierauf begab er sich nach den Zimmern der Königin, seiner Mutter, um sich mit ihr zu beraten, welchen Entschluß er fassen sollte.

Als der König Chansad der Königin mitgeteilt hatte, was eben vorgegangen war, ward diese Fürstin innig betrübt, und beide überlegten, welche Mittel in solchem Unfalle anzuwenden wären. Aber sie konnten keinen Ausweg finden, das geheiligte Versprechen zu umgehen, welches sie am Totenbette des letzten Sultans abgelegt hatten, und sie beschlossen damit, daß sie hinsandten und dem Fremdling ankündigen ließen, er möchte sich bereiten, die Hand der Prinzessin zu empfangen.

Das Erstaunen am Hofe stieg aufs höchste, als man vernahm, daß die Prinzessin Aischah die Gemahlin eines armen Unbekannten werden sollte, und niemand konnte ein so seltsames Abenteuer begreifen.

Die Hochzeit wurde ohne Pracht in den inneren Zimmern des Palastes gefeiert und war vielmehr ein Gegenstand der Trauer als der Freude für die ganze Familie. Die Prinzessin vor allem, welche mit Ergebung dem Willen ihres Vaters gehorcht hatte, konnte sich nicht enthalten, bitterlich zu weinen, als ihr neuer Gemahl ihr andeutete, so wie er als solcher dazu berechtigt war, daß sie sich bereiten müßte, ihre Familie zu verlassen und ihm zu folgen. Um ihren Schmerz zu besänftigen, versprach er ihr nur, zu erlauben, daß sie ihre Verwandten, welche sie so ungern verließ, jedes Jahr besuchen und drei Wochen bei ihnen zubringen könnte.

Trotz diesen Versprechungen ihres Mannes war schon ein Jahr seit der Abreise der Prinzessin Aischah verflossen, und nichts kündigte noch ihre Heimkehr an. Die Besorgnisse ihrer Familie wurden immer lebhafter. Der Sultan sandte nun nach allen Seiten Leute aus, seine Schwester zu suchen, und verhieß demjenigen glänzende Belohnungen, der den Ort ihres Aufenthalts entdecken würde. Jedes Jahr erneuerte er seine Nachforschungen und Verheißungen. Alles war aber fruchtlos, er konnte durchaus keine Kunde von ihr erlangen.

Drei Jahre verstrichen auf diese Weise. Chansad war in Verzweiflung, daß er durch seine Befolgung des letzten Willens seines Vaters den Verlust seiner Schwester verursacht hatte, und faßte endlich den Vorsatz, wegzureisen und nicht eher in seine Staaten wieder zurückzukehren, als bis er seine Schwester wiedergefunden hätte. Er teilte diesen Entschluß seiner Mutter mit, welche in Tränen zerschmolz und ausrief:

»O mein Sohn, verlaß mich nicht! Schon habe ich meine gute Tochter verloren, und eine traurige Vorahnung sagt mir: wenn du mich verläßt, so wird der Engel des Todes das Licht meines Lebens ausgelöscht haben, bevor du heimkehrest. Und kannst du übrigens auch die Verwaltung deines Reiches aufgeben? Willst du deinem Bruder, der noch so jung ist, oder deiner von Alter, Schwachheit und Leiden gebeugten Mutter die Sorge überlassen, deine weitläufigen Staaten zu regieren und sie gegen deine Feinde zu verteidigen?«

Chansad bestand ungeachtet der Verzweiflung seiner Mutter auf seinem Entschlusse: er ließ seinen Großwesir rufen, befahl ihm, in allem den Befehlen der Königin zu gehorchen, der er die Regierung übergab; und da er nicht gekannt sein wollte, so reiste er allein auf einem guten Pferde hinweg und erreichte bald die Grenzen seiner Staaten.

Der Sultan reiste auf diese Weise mehrere Jahre. Er hatte schon viele Reiche durchzogen und überall vergebens nach seiner Schwester Aischah geforscht, als er eines Tages an eine Wüste kam, welche er auch zu durchsuchen beschloß. Nachdem er zwei Tage durch den glühenden Sand geritten war, ohne einen Tropfen Wasser zu finden, um den brennenden Durst zu stillen, der ihn verzehrte, da erblickte er in der Ferne einen Berg, nach welchem er seinen Weg richtete. Aber er verlor bald die Hoffnung, ihn zu erreichen; sein Pferd war durch die Anstrengung einer so mühseligen Reise dermaßen erschöpft, daß es keinen Schritt mehr vorwärts tun konnte; es stürzte auf den Sand hin und verschied bald danach.

Chansad, der nun gezwungen war, zu Fuße zu gehen, und seinen nahen Tod vor Augen sah, ließ jedoch seinen Mut nicht sinken, und am Abend desselben Tages befand er sich nahe bei dem Berge, an dessen Fuße er die Hütte eines Derwisches entdeckte. Dieser Anblick verstärkte seine Kräfte, er schritt bis an die Türe des Einsiedlers, wo er ohne Bewußtsein hinsank.

Der Derwisch trat sogleich heraus, und als er einen Menschen dem Verscheiden nahe sah, so kam er ihm zu Hilfe, wodurch er bald wieder ins Leben gerufen wurde. Er führte ihn hierauf in seine Behausung und setzte ihm trockene Früchte und Kamelmilch vor. Als der Sultan gegessen hatte, lud der Derwisch ihn zu ruhen ein. Er breitete eine wollene Decke auf dem Boden aus, auf welcher Chansad bis an den Morgen schlief.

Nachdem er die Abwaschung verrichtet und einige Verse des Korans hergebetet hatte, ließ der Derwisch seinen Gast neben sich sitzen, drückte ihm die Hand und sprach zu ihm:

»Junger Mann, Ihr habt sehr unrecht getan, die Reise zu unternehmen, welche Ihr gemacht habt; Ihr hättet die weisen Vorstellungen Eurer Mutter hören, auf Eurem Throne bleiben und die von unserm großen Gott Euch anvertrauten Völker nicht verlassen sollen.«

Der Sultan war überrascht, so wohl gekannt zu sein, und saß bestürzt da. Der Derwisch fuhr fort:

»Ich weiß die Ursache Eurer Reise, und ich kann Euch von nun an den Ausgang derselben verkündigen: Ihr werdet Eure Schwester wiederfinden, aber nur auf drei Tage; und durch die Bosheit eines Geistes wird es Euch lange Zeit unmöglich sein, in Eure Staaten heimzukehren. Wenn Ihr jedoch den Rat befolgen wollt, welchen ich Euch noch geben will, so hoffe ich, daß Ihr das Unglück vermeiden könnet, von welchem ich soeben gesprochen habe; aber dann müßt Ihr auf die Hoffnung verzichten, Eure Schwester zu befreien: bleibet einige Tage bei mir; die Karawane von Balsora muß bald hier vorbeiziehen, mit dieser könnt Ihr nach Bagdad reisen und von dort in Eure Staaten heimkehren. Ich empfehle Euch aber vor allem, Euch nicht weiter als zweitausend Schritte von meiner Wohnung zu entfernen, bis die Karawane von Balsora angelangt ist.«

Der Sultan dankte dem Derwisch und versprach ihm, seinen Rat zu befolgen.

 

Fünfhundertundzweiunddreißigste Nacht.

Eines Tages, als Chansad bei der Hütte des Derwisches sich erging, war er nicht wenig überrascht, nicht weit von sich und mitten in der Sandwüste einen Baum zu erblicken, der mit sehr schönen, ihm unbekannten Früchten beladen war. Mit lebhafter Begierde, ihn näher zu betrachten und von seinen Früchten zu pflücken, schritt er mehrere Stunden lang darauf los, und obgleich er gar nicht ferne von ihm schien, so konnte er ihn doch nicht erreichen. Endlich, nachdem er den ganzen Tag gelaufen war, gelangte er an den Fuß dieses außerordentlichen Baumes.

Ein Greis saß auf einem der Zweige, der grüßte den Sultan freundlich, und nachdem er von dem Baume gestiegen war, welcher sogleich verschwand, fragte er ihn, warum er ihn so hartnäckig verfolgt hätte, und was der Beweggrund seiner Reise wäre.

Chansad, der befürchtete, einen großen Fehler begangen zu haben, daß er den Rat des guten Derwischs nicht befolgt hatte, beschloß, sich mit Vorsicht zu benehmen. Demzufolge antwortete er dem Greise, er wäre ein Kamelhüter, der, angelockt durch die Schönheit der Früchte, und in der Hoffnung, einige davon zu erlangen, auf einen Augenblick seine Herde verlassen hätte; da jedoch seine Mühe fruchtlos gewesen, so würde er wieder zu den seiner Obhut anvertrauten Tieren gehen.

»Mein Sohn,« sagte lächelnd der Greis zu ihm, »du wirst heute nicht wieder nach dem Orte zurückkehren, von welchem du diesen Morgen ausgegangen bist. Dieses Land ist durch den Geist Abutawil bezaubert, welcher unaufhörlich den Reisenden Schlingen legt. Der Derwisch, welchen du heute verlassen hast, ist einer von den Dienern dieses bösen Geistes; er nahm dich nur in Obhut, um dich seinem Herrn zu überliefern; aber du bist ein guter Muselmann, und der Prophet hat dich vermittelst dieses Baumes gerettet. Sei jetzt ruhig und stärke dich wieder durch einige Früchte, welche ich dir will reichen lassen.«

Der Greis klatschte hierauf dreimal in die Hände, und auf der Stelle stand ein mit den erlesensten und köstlichsten Speisen besetzter Tisch vor ihnen. Der Sultan war ungewiß, ob er den Versprechungen seines neuen Wirtes großen Glauben beimessen sollte; weil er aber kein Mittel sah, zu dem Derwische zurückzukehren, dem er das Leben verdankte, so überließ er sich seinem Schicksale.

Als er sich wieder gestärkt hatte, fragte der Greis ihn, ob er ihm folgen wollte, und versprach, ihn in wenigen Tagen nach der Hauptstadt seines Reiches zu bringen. Chansad willigte ein, und beide schlugen einen schmalen, mit brennendem Sande bedeckten Weg ein. Kaum hatte der Fürst einen Schritt getan, als es ihm unmöglich war, weiterzuschreiten. Der Greis lud ihn jetzt ein, auf seinen Rücken zu steigen. »Die Stärkung des großen Propheten verläßt mich nie,« sprach er zu ihm, »meine Füße sind gewohnt, durch den Sand zu waten, und in einem Augenblicke kann ich dich ans Ziel des Weges versetzen.«

Der Sultan scheute sich anfangs, einen Greis zu belästigen, dessen Schwachheit ihm so auffallend erschien, doch entschloß er sich endlich, auf seinen Rücken zu steigen. Sogleich erhob sich der Greis mit ihm in die Luft, erreichte bald einen prächtigen Palast, setzte hier den Prinzen auf den Boden und verschwand.

Chansad, noch voll Furcht über die Art, wie er eben gereist war, wurde nicht wenig überrascht, als er vor sich einen unermeßlichen Palast aus einem einzigen Diamanten erblickte, welcher einen solchen Glanz ausstrahlte, daß er genötigt wurde, die Augen niederzuschlagen.

In der Hoffnung, in diesem Palast einige Hilfe zu finden, ging der Fürst mehrmals ringsumher; aber es war vergeblich, er konnte die Türe dieses Gebäudes nicht entdecken. Endlich, erschöpft von der Anstrengung, lehnte er seinen Kopf an eine Mauer und schlief ein.

 

Fünfhundertunddreiunddreißigste Nacht.

Nur kurze Zeit war der Sultan in dieser Lage, als ein Sklave, der ein Fenster öffnete, ihn erblickte. Verwundert, einen Mann bei dem Palaste liegen zu sehen, lief der Sklave hin und meldete es seiner Herrin.

Diese wurde durch den Anblick des unglücklichen Fürsten dermaßen von Mitleid gerührt, daß sie beschloß, ihn einzulassen und ihm Hilfe zu leisten ungeachtet der Bitten des Sklaven, welcher ihr vorstellte, daß sie sich dem Zorn ihres Gemahls aussetzen und vielleicht den Tod desjenigen verursachen würde, an welchem sie solchen Teil nähme.

Nachdem sie den Fürsten durch einige Früchte, welche sie ihm zuwarf, aufgeweckt hatte, ließ der Sklave auf Befehl seiner Herrin ihm eine Strickleiter hinab, mit deren Hilfe der Fürst bald in den Palast gelangte.

Indem er dem Sklaven für den ihm eben geleisteten Dienst dankte, hörte er einen lauten Schrei ausstoßen; er drehte hierauf den Kopf um und erkannte seine Schwester Aischah, welche bewußtlos ihren Frauen in die Arme gesunken war; er flog ihr zu Hilfe, und nachdem er sie wieder zu sich gebracht hatte, umarmte sie ihn mit Tränen in den Augen und fragte ihn, wie er ihren Aufenthalt hätte entdecken können.

Chansad erzählte ihr nun alle Abenteuer seiner Reise. Diese Erzählung schien den Schmerz der Prinzessin noch zu vermehren, welcher so lebhaft ward, daß es ihren Bruder verdroß.

»Warum,« sprach er zu ihr, »scheinst du über meinen Anblick in Verzweiflung, während ich froh bin, dich wiedergefunden zu haben, und dein Anblick mich über alle Mühseligkeiten tröstet, welche ich deinetwegen erduldet habe?«

»Leider,« antwortete Aischah, »bist du es auch, mein lieber Bruder, der meine Besorgnis verursacht. Ich bin überzeugt, es ist mein Mann, der in der Gestalt eines Greises dich zu diesem Palaste gebracht hat, und ich habe alle Ursache, seine Wut zu fürchten. Höre mich an, ich will dich das Ungeheuer kennen lehren, mit welchem der Wille unsers Vaters deine unglückliche Schwester verbunden hat.

Du weißt, daß wenige Tage nach meiner Heirat mein Gemahl mir befahl, ihm zu folgen. Diese Vorahnung des Unglückes, welches mir begegnen sollte, und die Verbindung, welche mich zwang, vielleicht für immer meine Verwandten zu verlassen, von denen ich so zärtlich geliebt war, entrissen mir einen Strom von Tränen. Mein unmenschlicher Gemahl war unempfindlich: ich mußte fort.

Am Abend des ersten Tages unserer Reise hielten wir in einem kleinen Gehölze von Sandel, Myrten und Aloe an. Abutawil verließ mich einen Augenblick; er kam bald mit einem Becken voll Wasser zurück, spritzte einige Tropfen davon auf meine Leute und verwandelte sie in Bäume; darauf tötete er unsere Kamele. Ich zitterte auch für mein Leben; aber ohne mir ein Leid zuzufügen, nahm er mich in seine Arme und schwang sich mit mir in die Lüfte. Wir reisten auf diese Weise die ganze Nacht.

Am Tage erreichten wir die Mitte dieser Wüste. Mein Gemahl zog einen großen Kreis um uns, und nachdem er einige Beschwörungen gemacht hatte, sahen wir diesen Palast mitten aus dem Kreise emporsteigen.

»Das ist unsere Wohnung,« sprach Abutawil zu mir; »morgen sollst du auch Frauen zur Bedienung haben.«

Seitdem bewohne ich nun diesen Ort, wo nichts an meinem Glücke fehlen würde, wenn ich bei meinen Verwandten und fern von dem Ungeheuer wäre, welches mich hier zurückhält und mich zum Zeugen seiner Grausamkeit macht. Er hat die Gewohnheit, sich auf vierzig Tage zu entfernen, um den Karawanen nachzustellen: er tötet und beraubt die Führer derselben und kommt dann auf drei Tage heim. Morgen muß er kommen, und da er ein erklärter Feind aller Menschen ist, so schaudere ich bei dem Gedanken an den Empfang, der dir von ihm bevorsteht.«

Chansad wurde durch die Erzählung seiner Schwester nicht erschreckt; er erinnerte sie daran, daß er schon im Alter von achtzehn Jahren die sieben Könige von Indien überwunden hatte, und versicherte sie, er würde nicht anstehen, den Geist anzugreifen und alle Anstrengungen machen, um sie zu befreien; aber er konnte ihre Unruhe nicht beschwichtigen.

Sie brachten die Nacht unter solchen Gesprächen zu. Mit Anbruche des Tages sah die Prinzessin auch den Augenblick herannahen, wo Abutawil erscheinen würde; sie flehte ihren Bruder an, nichts gegen ihn zu unternehmen, sondern sich bewegen zu lassen, bis zur Wiederabreise des Geistes sich verborgen zu halten. Der Sultan gab den Tränen seiner Schwester nach, und kaum hatte er sich in dem entlegensten Winkel des Palastes versteckt, als Abutawil erschien.

Alles zitterte bei seiner Annäherung. Die Prinzessin verbarg ihre Unruhe, flog ihm entgegen, und nachdem sie ihn zärtlich umarmt hatte, beklagte sie sich, so lange des Glückes seines Anblickes beraubt gewesen zu sein.

Der Geist, der wohl wußte, daß Chansad in seinem Palaste war, machte seiner Gattin lebhafte Vorwürfe über ihr Stillschweigen von ihm.

»Kannst du,« sprach er zu ihr, »wegen der Aufnahme besorgt sein, welche ich deinem Bruder zugedacht habe, der, ohne mich zu kennen, und mich für einen armen Sterblichen haltend, dennoch den Edelmut gehabt hat, mir deine Hand zu bewilligen, als ich ihn darum angesprochen habe? Verstelle dich nicht länger und beraube mich nicht des Vergnügens, ihn zu sehen; ich weiß, wo er verborgen ist, aber ich wünsche, daß du selber mich zu ihm führest.«

Die Prinzessin hatte kein großes Vertrauen auf die Beteurungen ihres Gemahls; da sie aber wohl sah, daß es unnütz war, ihm die Wahrheit zu verhehlen, so führte sie ihn nach dem Zimmer, in welches der Fürst sich zurückgezogen hatte. Abutawil empfing ihn aufs freundlichste, er umarmte ihn zärtlich und führte ihn in das Zimmer seiner Gattin, wo er ihm Erfrischungen vorsetzen ließ; kurz, er bewirtete ihn so wohl, daß Chansad, von diesen Freundschaftsbeweisen gerührt, nicht begreifen konnte, wie Aischah irgend eine üble Behandlung von ihm fürchten konnte.

So brachten sie drei Tage unter Festen und Ergötzlichkeiten hin, durch welche der Geist sich zu gefallen schien, die Zuneigung zu beweisen, welche er gegen den Bruder seiner Gattin hegte.

Als der Augenblick gekommen war, daß Abutawil wieder auf vierzig Tage abreisen mußte, lud er den Sultan ein, noch einige Zeit bei seiner Schwester zu verweilen.

»Ich habe eine kleine Reise zu machen,« sprach er zu ihm, »und ich hoffe, Euch bei meiner Heimkehr noch zu finden; bleibet hier und betrachtet Euch als den Herrn meines Palastes; aber bevor ich abreise, möchte ich Euch noch meinen Garten zeigen.«

Chansad reichte Ihm die Hand zum Zeichen seines Dankes, und sie gingen zusammen hinaus.

Die Prinzessin erwartete vergeblich bis zum folgenden Morgen die Rückkehr ihres Bruders; und überzeugt, daß er als ein Schlachtopfer der Treulosigkeit ihres Mannes umgekommen wäre, zerriß sie ihre Kleider und klagte in ihrem Schmerze sich als die Ursache des Untergangs ihrer Familie an.

 

Fünfhundertundvierunddreißigste Nacht.

Während diese Begebenheiten sich zutrugen, ging daheim die Königin Mutter voll Verzweiflung, keine Nachricht, weder von Chansad noch von Aischah, zu erhalten, mit starken Schritten dem Grabe entgegen. Als sie endlich fühlte, daß sie nur noch wenige Tage zu leben hätte, ließ sie ihren jüngeren Sohn Murad kommen, welcher damals sechzehn Jahre alt war, und nachdem sie ihn mit Tränen in den Augen umarmt hatte, vertraute sie ihm die Geschichte ihres Hauses, empfahl ihm, sie sorgfältig zu bewahren und einst dem Beispiele seiner Ahnen zu folgen. Sie befahl hieraus dem Großwesir, die vornehmsten Herren des Hofes in dem großen Saale des Palastes zu versammeln, in welchen die sterbende Königin sich nun selber tragen ließ.

Als alle um ihr Bette versammelt waren, erinnerte sie sie an die Wohltaten, welche sie von ihrem Stamm empfangen hätten, machte ihnen bemerklich, wie undankbar sie sein würden, wenn sie den letzten Sprößling desselben verließen, und forderte von ihnen den Eid einer unverletzlichen Treue.

Der Wesir faßte hierauf Murads Hand, ließ ihn den Thron besteigen und krönte ihn. Zwei Tage danach bezahlte die Königin Mutter ihre Schuld der Natur.

Der neue Sultan war mit einem überlegenen Geist und einer Besonnenheit begabt, welche sich selten in einem so zarten Alter finden, und benahm sich mit großer Klugheit. Wohl fühlend, daß es ihm noch an Erfahrung fehlte, um ein Reich zu regieren, überließ er die Besorgung der Geschäfte völlig dem Großwesir, auf den er sich verlassen konnte, und widmete sich ganz den Wissenschaften und Übungen, welche zur Bildung eines Königs gehören.

Sein erster Lehrmeister war ein alter Verschnittener, welchen seine Mutter ihm gegeben und der viel gereist hatte. Dieser unterhielt den jungen Fürsten oft von den Gebräuchen der verschiedenen Völker, bei welchen er sich aufgehalten, und was er Merkwürdiges dort gesehen hatte.

Unvermerkt bekam Murad selber Lust zum Reisen, und das Schicksal seines Bruders und seiner Schwester, welches sich vor seine Seele stellte, bestimmte ihn bald zu dem Entschlusse, die Welt zu durchziehen und alle seine Kräfte aufzubieten, um sie wiederzufinden. »Wenn das Schicksal mich begünstigt,« dachte er, »so entdecke ich den Ort, wo sie sind: ist es mir entgegen, so gehe ich unter wie sie.«

Er machte demzufolge alle Anstalten zu seiner Abreise, nahm eine volle Geldbörse und viele Diamanten mit, welche er im nächsten Hafen zu vertauschen gedachte, um Waren dafür zu kaufen, ein Schiff damit zu befrachten und so nach Indien zu fahren.

Ohne jemand seinen gefaßten Vorsatz mitzuteilen, und bloß mit Hinterlassung eines Briefes an seinen Großwesir, worin er ihm die Verwaltung des Reichs während seiner Abwesenheit auftrug, reiste Murad zu Pferde mitten in der Nacht ab und nahm seinen Weg nach einem Seehafen, welcher nur zwei Tagereisen von der Hauptstadt entfernt lag.

Gleich bei seiner Ankunft fand er hier ein Schiff, welches nach der Insel Serendib segelte, von welcher sein alter Verschnittener ihm viel erzählt hatte; bald war er mit dem Schiffshauptmann wegen der Überfahrt einig und schiffte sich ein.

Die Fahrt war sechzehn Tage lang glücklich, aber am siebzehnten mit Sonnenuntergange bedeckte der Himmel sich mit Wolken, der bisher immer günstige Wind ward widrig und blies mit solcher Wut, daß das aufgerührte Meer überall furchtbare Abgründe darbot, von welchen er jeden Augenblick verschlungen zu werden fürchtete. Dieser Sturm dauerte mehrere Tage; endlich legte sich der Wind, aber das Schiff hatte dermaßen gelitten, daß es nicht mehr zu steuern war, und die Mannschaft hatte kaum noch Hoffnung, sich zu retten, als man Land erblickte.

Dieser Anblick belebte ihren Mut wieder; man setzte die Boote aus, und mit Hilfe der Ruder gelang es, das Schiff auf das Ufer zu ziehen, und man begann, es auszubessern. Sie fanden auf der Insel, wo sie gelandet waren, und die ihnen unbekannt war, Bäume, mit Früchten beladen, Pflanzen, deren Blumen einen köstlichen Duft verbreiteten, viel Gewild und Quellen des klarsten Wassers.

Eines Tages, da Murad auf der Insel jagen gegangen war, vertiefte er sich in die Wälder weiter als gewöhnlich und verirrte sich. Die Sonne war schon untergegangen, und der Prinz, der sich nicht zum Schiffe zurückfinden konnte, suchte einen sicheren Zufluchtsort gegen die wilden Tiere; er stieg auf einen dichtbelaubten Baum und schlief darauf bis an den Morgen.

Beim Erwachen erblickte der Prinz auf dem Baume bei sich zwei Vögel, welche, Taûs genannt, vormals das Paradies bewohnten, woraus sie vertrieben wurden, weil einer von ihnen sich in eine Schlange verwandelt hatte, um die Menschen zu verführen. Murad, von der Schönheit dieser Vögel verblendet, vergaß über ihre Verfolgung seine Gefährten, welche, da der Wind günstig geworden, unter Segel gegangen waren, ohne seine Abwesenheit zu bemerken. Am Abend gereute den Prinzen seine Unvorsichtigkeit, und er nahm sich fest vor, sein möglichstes zu tun, um am folgenden Morgen sein Schiff zu erreichen. Da er aber keiner bestimmten Richtung gefolgt war, so irrte er mehrere Tage umher. Endlich erkannte er den Landungsort wieder, aber das Schiff war verschwunden. In der Verzweiflung, sich so verlassen zu sehen auf einer wüsten und allen Schiffern unbekannten Insel, verlor er jedoch nicht gänzlich den Mut. Er baute sich eine Hütte und bewahrte darin Datteln, Feigen und andere Früchte, welche er gesammelt und getrocknet hatte, und die nebst dem Wilde, das er erlegen konnte, ihm eine ebenso angenehme als reichliche Nahrung gewährten; auf solche Weise lebte er die ganze Zeit, die er auf der Insel blieb.

Schon sechs Monate bewohnte der Prinz diese Insel, als er eines Tages in ziemlich weiter Entfernung von seiner Behausung einen schwarzen, wie einen Grabstein behauenen Marmor entdeckte; dieser Stein war mit einer starken Goldplatte bedeckt, an welche ein Diamantring befestigt war. Auf dem Rande des Deckels stand eine hebräische Inschrift, welche Murad nicht entziffern konnte. Seine Neugier war durch diese Entdeckung sehr gereizt, und er wollte schon seine Kraft anstrengen, dieselbe zu befriedigen; aber kaum hatte er den Ring berührt, als der Stein sich von selber erhob. Sogleich fuhr ein starker Wind heraus, welcher den Prinzen rücklings hinstürzte. Einen Augenblick darauf schlug ein schreckliches Feuer empor, welches bis zum Himmel aufzulodern schien; bald zog sich dieses Feuer zusammen und bildete einen scheußlichen Riesen, dessen Anblick die mutigste Seele mit Schrecken zu erfüllen vermochte.

»Fürchte nichts,« sprach er zum Prinzen, »du hast mich befreit, und ich werde diesen Dienst zu erkennen wissen. Ich bin einer der vom Himmel auf die Erde herabgestürzten Geister, und ich bin es, der den Kain gereizt hat, seinen Bruder zu töten. Gott gab, um uns zu strafen, Adam einen andern Sohn namens Seth, das heißt in hebräischer Sprache Sohn Gottes, und begabte ihn mit übernatürlicher Macht und mit aller der Weisheit, welche Adam durch seinen ersten Fall verloren hatte; ja, um ihm noch besonders sein Wohlwollen zu beweisen, schenkte er ihm siebzig Huris von wunderbarer Schönheit. Eine derselben mit Namen Lea flößte mir eine brünstige Liebe ein; und während Seth beschäftigt war, Gott seine Verehrung darzubringen, näherte ich mich der Lea und streckte meine Arme aus, sie zu umfassen.

»Wie,« entgegnete sie mir, indem sie mich für Seth hielt, »jetzt ist die Stunde, Gott anzubeten, und du beschäftigst dich mit seinem nichtigen Geschöpfe?«

Indem sie diese Worte sprach, kam Seth zurück und erkannte mich. Sogleich befahl er drei Geistern, welche Gott ihm zu Dienern gegeben hatte, mich in dieses Grab zu stürzen, und er schrieb auf den Deckel den hohen Namen Gottes und sprach zu mir:

»Du sollst hier bleiben, bis ein sterbliches Wesen dich zu befreien kommt.« –

Du bist derjenige, der mir diesen Dienst erwiesen hat, sage mir nun, was du wünschest.«

Der Prinz, der von seinem Schrecken wieder zu sich gekommen war, fragte jetzt den Riesen, was aus seinem Bruder und seiner Schwester geworden wäre, und als er vernahm, daß beide sich in demselben Palaste und in der Gewalt des Geistes Abutawil befänden, verlangte er zur Vergeltung von dem Riesen ein Mittel, sie zu befreien.

»Ich will dich,« antwortete dieser ihm, »zu ihnen bringen, und sobald du in dem Palaste bist, kannst du mit dem Talisman, den ich dir gebe, Abutawils geheimes Zimmer öffnen: darin wirst du eine kleine Schachtel mit einem von Salomon verfertigten Pulver finden; stecke sie in deinen Busen, und wenn der Geist vor dir sich zeigt, so wirf ihm ein wenig von diesem Pulver ins Gesicht und ruf ihm zu: »Nieder, Elender! Salomon befiehlt es!« Der bestürzte Geist wird auf der Stelle den Boden messen: sogleich fasse Mut, ihm zu nahen, und nimm aus seinem Busen einen Vogel, an welchen sein Schicksal geknüpft ist; sobald du dich dieses Vogels bemächtigt hast, kannst du Abutawil leichtlich zwingen, alles zu tun, was du ihm befiehlst.«

Murad hatte kaum Zeit, dem Riesen zu danken: er fühlte eine heftige Erschütterung und war sehr überrascht, als er sich plötzlich in einem Palast von Diamanten befand, ohne zu wissen, wie er dahin gekommen war. Aber er dachte wohl, daß er bei Abutawil wäre, und suchte das Zimmer seiner Schwester. Diese stieg eben in den Garten hinab und war nicht wenig verwundert, zu sehen, daß ein Mann in ihren Wohnsitz eingedrungen war.

Murad erkannte wohl seine Schwester, aber er hielt es nicht für rätlich, sich sofort zu erkennen zu geben, sondern beschloß zu erwarten, bis sie ihn anreden würde. Nachdem Aischah ihn begrüßt hatte, bezeigte sie ihm ihr Erstaunen und fragte ihn, wie er vermocht hätte, in diesen Palast einzudringen.

»Gnädige Frau,« antwortete Murad, »ich bin ein Königssohn und war noch sehr jung, als mein Vater durch die Treulosigkeit eines verwegenen Wesirs ermordet wurde. Ich selber hatte viel Mühe, mich seinen Streichen zu entziehen, und nachdem ich lange umhergeirrt war, begab ich mich auf ein Schiff, welches Schiffbruch litt, so daß ich allein mich auf diese Küste gerettet habe. Als ich aus der Ferne Euren Wohnort sah, so gedachte ich ihn in wenigen Stunden zu erreichen, aber ich bin drei Tage gewandert, ohne einen Eingang in diesen Palast zu finden, in welchem ich Hilfe zu finden hoffte, deren ich so bedürftig bin: da sah ich Euren Roch, der in geringer Entfernung von mir schlief; und weil ich weiß, daß dieser Vogel immer zu den Zauberpalästen gehört, so faßte ich mir ein Herz und band mich an einen seiner Füße: sobald er aufwachte, brachte er mich hierher.«

Aischah bewunderte die Gewandtheit und Kühnheit ihres jungen Gastes; als sie aber bedachte, daß er nicht lange den Blicken ihres Gemahls verborgen bleiben könnte, sagte sie seufzend zu ihm:

»Ihr seid, um Zuflucht zu suchen, in die Wohnung eines Ungeheuers gekommen; fliehet eiligst von hinnen, binnen zwei Stunden kehrt es heim, und ungeachtet Eures Mutes hoffet nicht, ihm widerstehen zu können.«

Sie erzählte ihm hierauf verschiedene Züge von der Grausamkeit des Geistes, von seiner außerordentlichen Stärke und von seiner treulosen Schlauigkeit; sie sagte ihm, wie er ihren Bruder aufgenommen hätte, um ihn zu verderben, und diese Erinnerung erneute ihren Schmerz, so daß ihre Rede häufig von ihren Tränen unterbrochen wurde.

»Fürchtet nichts für mich, edle Frau,« sprach Murad zu ihr; »weit entfernt, zu fliehen oder mich zu verbergen, will ich vielmehr den Blicken des Geistes Trotz bieten, und ich hoffe sogar, Euch zu befreien und ihn zu vernichten; denn der Prophet wird mit mir sein, der über kurz oder lang die Bösen bestraft. Aber die Zeit drängt: geruhet, mich nach dem Wohnzimmer Eures Gemahls zu führen.«

Aischah, die seinen Entschluß nicht zu erschüttern vermochte, tat, was er begehrte: er öffnete ohne Mühe die Türe mit dem Talisman, welchen der Riese ihm gegeben hatte; und als er nach einigem Suchen die Schachtel fand, bemächtigte er sich derselben.

 

Fünfhundertundfünfunddreißigste Nacht.

Sie waren noch in Abutawils Zimmer, als der Geist, der gleich beim Eintritt in seinen Palast bemerkt hatte, daß Aischah und ihr Bruder sich in seinem Zimmer befanden, vor ihnen in der Gestalt eines furchtbaren Riesen erschien: aber Murad blieb unerschrocken, er warf ihm schleunigst etwas von dem Staube ins Gesicht und rief dabei aus:

»Nieder, Elender! Salomon befiehlt's!«

Der Geist, überrascht und bestürzt, fiel hin, so lang er war.

Sogleich stürzte sich Murad auf ihn, bemächtigte sich schleunigst des Vogels, welchen er in seinem Busen verborgen trug; sodann sprach er zu ihm:

»Du weißt, wer ich bin: bekenne mir, was du mit meinem Bruder gemacht hast.« –

»Er ist tot.« –

»Du lügst; ich weiß, daß du ihn verwandelt hast, und wenn du ihn nicht auf der Stelle auslieferst, so töte ich deinen Vogel.«

Als Abutawil sah, daß es unnütz war, länger zu leugnen, rief er Aischah, die mehr tot als lebend war, und hieß sie in den Garten gehen und ihm den Hund herführen, der bei dem Springbrunnen angekettet war. Das vollbrachte sie eilig, und er sagte nun zu ihr:

»Nimm eine kleine Glasscheibe, streich darauf ein wenig Salbe aus der goldenen Büchse (welche er ihr zeigte) und halte dieses Glas dem Hunde vor die Augen.«

Als auch dieses geschehen war, blies Abutawil ihn an und sprach zu ihm:

»Wenn der allmächtige Schöpfer aller Dinge dich so geschaffen hat, wie du gegenwärtig bist, so verwandle dich nicht; wenn du aber nur durch die Kraft meiner Beschwörungen in diesem Zustande bist, so werde wieder ein Mensch!«

Er hatte kaum diese Worte ausgesprochen, als Chansad seine ursprüngliche Gestalt wieder annahm, sogleich seinen Bruder und seine Schwester erkannte und sie zärtlich umarmte.

Murad, der nun nichts von dem Geiste zu verlangen hatte und ihn für die Leiden bestrafen wollte, welche er seiner Familie zugefügt, drehte dem Vogel den Hals um, nachdem er Abutawil alle seine Missetaten vorgeworfen hatte.

Plötzlich ließ ein furchtbares Getöse sich hören; der Palast verschwand, und der Leib des Riesen löste sich in einen dicken Rauch auf, dessen Gestank die Luft verpestete.

Bald aber zerstreute sich dieser Rauch gänzlich, ein Gewölk, das Wohlgeruch aushauchte, erschien und endigte damit, einen Mann von hoher Schönheit zu bilden.

Aischah und ihre Brüder standen noch voll Erstaunen und Bewunderung, als derjenige, der ihnen auf so wunderbare Art erschienen war, also zu ihnen sprach:

»Ihr habt nichts mehr von dem Geist Abutawil zu fürchten; diesen Morgen führte ich noch diesen Namen, aber der Hang des Bösen ist weit von mir gewichen, und ich werde euch meine Erkenntlichkeit für den mir geleisteten Dienst durch alle Wohltaten beweisen, welche ich euch zu gewähren vermag, und durch eine aufrichtige Liebe zu eurer liebenswürdigen Schwester.«

Die Prinzessin zitterte vor Freuden, als sie vernahm, daß der junge Mann, dessen Mut sie so bewundert hatte, ihr Bruder Murad wäre; sie fiel ihm um den Hals und umarmte ihn unter Tränen der Freude.

Der Geist fuhr fort: »Ich heiße Habib und bin einer der dem Könige Salomon unterworfenen Geister. Dieser große Prophet würdigte mich seines Vertrauens, und von allen, die in seiner Nähe waren, war ich derjenige, den er am meisten mit seiner Gunst beehrte.

Eines Tages hatte einer von meinen Brüdern, den ich vor allen liebte, sich Salomons Zorn zugezogen, der, um mich zu prüfen, mir die Vollziehung der Strafe auftrug. Ich fand die Strafe für ein nur leichtes Versehen zu hart und konnte es nicht über mein Herz bringen, meinen Bruder zu schlagen; ich ward dem Propheten ungehorsam und versuchte ihn zu täuschen, indem ich vorgab, seine Befehle vollzogen zu haben.

»Du lügst, Undankbarer!« sprach er zu mir, »und du hast das Vertrauen deines Herrn und deines Freundes mißbraucht; aber du sollst dafür bestraft werden.«

Auf der Stelle sprach er einige Worte aus, und ich fühlte in mir eine seltsame Veränderung.

»Geh,« sagte Salomon zu mir, »ich schicke dich auf die Erde, um die Geißel aller zu sein, die sich dir nahen: du wirst lieben und den Gegenstand deiner Liebe quälen; du wirst das Menschengeschlecht liebgewinnen, und wider deinen Willen wirst du dich gedrungen fühlen, ihm Böses anzutun: deine innern Vorwürfe werden deine Strafe sein. Ich gebe dir diesen Vogel, an dessen Dasein dein Schicksal geknüpft ist: du wirst nur nach seinem Tode wieder, was du gewesen bist, und doch wirst du dein möglichstes tun, um sein Leben zu verlängern.« Nach diesen Worten verstieß er mich weit von sich.

Seit dieser Zeit habe ich nur zu sehr mein Schicksal erfüllt, und ihr könnt nicht glauben, wie sehr ich nach jeder Missetat litt, sobald ich sie begangen hatte. Endlich vor einigen Jahren erschien der Geist, welcher die Ursache der mir auferlegten Strafe gewesen war, mir im Traume und sprach zu mir:

»Deine Strafe wird bald endigen; es ist mir erlaubt, zu ihrer Abkürzung zu helfen: verkleide dich und geh hin, um die Tochter des Sultans von Cochinchina zur Gemahlin anzuhalten; er wird sie dir gewähren; denn ich habe ihn auf solche Bewerbung vorbereitet, und diese schöne Prinzessin wird deine Erlösung bewirken.«

Ich konnte erst nach dem Tode des Sultans hinkommen; glücklicherweise hatte dieser, bevor er starb, dem Prinzen Chansad anbefohlen, die Werbung, welche ich tun wollte, gut aufzunehmen, und so wurde meine Hochzeit gefeiert. Ihr wißt nun meine Geschichte und die Ursache aller Mühseligkeiten, welche ihr ausgestanden habt, aber ich hoffe, sie euch zu vergüten.«

Es wäre unmöglich, die Freude Aischahs und ihrer Brüder zu beschreiben; sie dankten dem Geiste Habib und versicherten, daß ihre Leiden schon vergessen und sie für ihre Mühseligkeiten schon mehr als zuviel durch das Glück belohnt wären, ihn zum Beschützer und Freunde zu haben.

In demselben Augenblicke ließ Habib durch mehrere ihm untergebene Geister ein prächtiges Zelt aufschlagen, in dessen Mitte eine Tafel mit den köstlichsten Speisen besetzt stand. Während der Mahlzeit erzählten sie sich gegenseitig ihre Abenteuer. Als Murad ihnen bekanntmachte, daß die Königin Mutter aus dem Leben geschieden war, weinten sie bitterlich und warfen sich vor, durch ihre Abwesenheit zur Beschleunigung ihres Todes beigetragen zu haben.

Nachdem der erste Schmerz vorüber war, baten sie Habib um Nachricht, was seit Murads Abreise in ihrem Königreiche vorgegangen wäre.

»Eure Staaten,« sagte er ihnen, »sind durch den Sohn eines benachbarten Fürsten, welchen euer Vater in der Schlacht tötete, eingenommen. Euer Großwesir, der euch treu blieb, ist qualvoll hingerichtet. Aber beruhiget euch, eure Untertanen hangen fest an euch, und sie würden für euch die Waffen ergreifen, wenn es nötig wäre. Ich glaube aber nicht, daß wir ihrer Hilfe bedürfen werden; diese Nacht will ich euch nach eurem Königreiche bringen, und wir werden sehen, was uns am besten zu tun ist.«

Sie brachten den übrigen Teil des Tages unter Freuden hin, und als die Nacht kam, begaben sie sich zur Ruhe, deren sie sehr bedurften.

Am folgenden Morgen waren sie ungeachtet der Verheißung des Geistes doch sehr erstaunt, sich nahe bei ihrer Hauptstadt zu befinden. Sie traten bei einem Bauer ein, gaben sich für Fremdlinge aus und baten um Aufnahme, welche er ihnen auch willig gewährte. Das Antlitz dieses Bauern hatte einen solchen Ausdruck von Betrübnis, daß Chansad nicht dem Verlangen widerstehen konnte, ihn um die Ursache seiner Traurigkeit zu befragen.

»Guter Fremdling,« antwortete er ihm, »Ihr müßt sehr weit herkommen, daß Euch die Ursache meines Kummers unbekannt ist. Wisset, daß dieses Reich gegenwärtig der Raub eines Wütrichs ist, welchen wir verabscheuen. Wir hatten einen König, dessen Stamm uns seit achthundert Jahren beherrschte; und wiewohl keiner seiner Vorfahren sich verhaßt gemacht hat, so übertraf er doch alle an Weisheit und Güte: er starb, und seine Kinder, welche aus seiner Bahn fortgingen und alle unsere Hoffnung ausmachten, sind nacheinander verschwunden, und wir wissen nicht, was aus ihnen geworden ist, so daß dieses Reich, ohne Oberhaupt, es zu verteidigen, die Beute eines umso unversöhnlicheren Feindes geworden ist, als unsere Könige ihn bisher siegreich zurückgeschlagen hatten.«

Diese Rede machte den Fürsten viel Vergnügen, die daraus ersahen, wie sehr sie betrauert wurden.

Sie besprachen sich miteinander über die zu ergreifenden Mittel, den Wütrich zu bestrafen und ihr Reich wieder einzunehmen, als sie vor der Hütte des Bauern vier prächtige Rosse ankommen sahen; ein Geist, der sie führte, näherte sich und überreichte dem Prinzen Chansad den ganzen königlichen Schmuck. Zugleich nahm Habib das Wort und sprach zu ihm:

»Verwundert euch nicht, dieser Geist befolgt nur meine Befehle; bald wird ein anderer euch euren Feind in Ketten vorführen, und seine Truppen werden durch die Einwohner zerstreut werden, welche ich zum Aufstande bewogen habe. Bereitet euch nun, wieder in euren Palast einzutreten.«

Die Prinzen und die Prinzessin legten die prächtigen Kleider an, welche ihnen gebracht waren; sodann stiegen sie zu Pferde und ritten nach ihrer Hauptstadt.

Das Gerücht von ihrer Ankunft hatte sich bald durch die Stadt verbreitet, und das Volk zog ihnen haufenweise entgegen, und alle dankten Gott und dem Propheten, daß die Familie ihrer Fürsten gerettet war.« –

Da der Tag noch nicht anbrach, so begann Scheherasade auf die Bitten ihrer Schwester Dinarsade und des Sultans von Indien also die Geschichte der beiden Ehemänner:

 


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