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Geschichte Abdallahs.

»Herr, es lebte einst in einer der lebhaftesten Handelsstädte Indiens ein Muselmann im großen Rufe der Frömmigkeit und Rechtschaffenheit. Dieser heilige Mann brachte ganze Tage in den Moscheen zu, er verschärfte die Strenge der Fasten im Ramadam noch durch tausend Entbehrungen, welche er jeden Tag sich auflegte. Niemals waren seine Lippen mit der berauschenden Flüssigkeit befleckt worden, welche Dschemschyd erfand und der Prophet verboten hat. Dieser Lebenswandel hatte ihm allgemeine Hochachtung und Zutrauen erworben; mit einem Worte, er hatte sich durch seine Strenge und seinen Glaubenseifer so berühmt gemacht, daß, wenn man von der Andacht oder der Magerkeit eines Menschen eine hohe Vorstellung geben wollte, man nur sagte: »Er ist so andächtig, oder mager, wie Abdallah während des Ramadams.«

 

Fünfhundertundachtunddreißigste Nacht.

Abdallah hatte einen Nachbar, welcher einer der reichsten Kaufleute der Stadt und zugleich einer der größten Bewunderer seiner Frömmigkeit war. Es geschah nun, daß dieser Kaufmann durch seine Handelsangelegenheiten gezwungen wurde, sich einzuschiffen und auf ein Jahr lang zu verreisen. Er besaß eine ansehnliche Summe Goldes, und, um diese während seiner Abwesenheit in Sicherheit zu bringen, hatte er schon den Entschluß gefaßt, sie zu vergraben; aber er bedachte, daß der Zufall seinen Schatz entdecken könnte, und daß es viel sicherer wäre, ihn bei einem Manne niederzulegen, dessen Vermögen nicht den Handelsunfällen ausgesetzt und der seines ganzen Vertrauens würdig wäre. Er warf also seine Augen auf Abdallah und begab sich zu ihm mit der Summe, welche er in Sicherheit bringen wollte. Er traf ihn, wie er, am Boden liegend nach Mekka zugekehrt, mit lauter Stimme ein Kapitel des Korans hersagte, welchen er auswendig wußte.

»Lieber Nachbar,« redete er ihn an, »es tut mir leid, Euch in Euren frommen Beschäftigungen zu stören, aber eine Angelegenheit von der höchsten Wichtigkeit führt mich zu Euch.«

»Der Friede sei mit Euch!« antwortete Abdallah: »was ist es für eine Angelegenheit?«

»Nachbar,« fuhr der Kaufmann fort, »mein Geschäft zwingt mich, auf einige Zeit zu verreisen, und ich möchte gern eine ganz ansehnliche Summe, welche ich durch meine Sparsamkeit zusammengebracht habe, in Sicherheit bringen. Da habe ich gedacht, Ihr werdet es mir nicht abschlagen, die Bewahrung derselben während meiner Abwesenheit zu übernehmen, und ich danke Euch schon zum voraus für den Dienst, welchen Ihr mir damit leisten werdet.«

Abdallah übernahm die Aufbewahrung, und der Kaufmann setzte zu viel Vertrauen in seine Redlichkeit, um von ihm ein Anerkenntnis der übergebenen Summe zu fordern. Er ging also in voller Sicherheit zu Schiffe, nachdem er sich dem Gebete seines frommen Nachbarn empfohlen hatte, der alle Segnungen des Himmels über seine Reise herabrief.

Diese Wünsche wurden erhört: die Überfahrt des Kaufmanns war sehr glücklich, er machte seine Geschäfte mit ebensoviel Glück als Geschwindigkeit ab, und binnen weniger als sechs Monaten war er schon wieder in seiner Heimat.

Seine erste Sorge war, seinen Nachbar zu besuchen, der erfreut schien, ihn so gesund wiederzusehen, ihm zu seiner vollbrachten Reise Glück wünschte, aber kein Wort von dem ihm anvertrauten Schatze sprach. Nach einer ziemlich langen Unterhaltung sah der Kaufmann sich endlich genötigt, Abdallah um die Zurückgabe des Goldes zu bitten, dessen Aufbewahrung er so gütig übernommen, hatte.

»Großer Gott! mein Bruder,« rief Abdallah aus; »seit wann bildet Ihr Euch ein, mir etwas anvertraut zu haben? Ihr habt ohne Zweifel geträumt: niemals ist Gold in das Haus des armen Abdallah gekommen, und um alles in der Welt würde ich mich nicht mit dem Schatze belästigt haben, von welchem Ihr sprechet.«

Der Kaufmann wähnte anfangs, sein Nachbar wollte sich einen Scherz machen; als er aber erkannte, daß derselbe ganz ernsthaft redete, so konnte er seinen Unwillen nicht zurückhalten. »Wie, Elender!« sprach er zu ihm, »du erinnerst dich nicht, daß ich vor sechs Monaten gekommen bin und dir einen Beutel voll Goldstücke übergeben habe?«

»Iblis verblendet Euch, lieber Nachbar, ich wiederhole Euch, daß Ihr mir nichts übergeben habt: kommet doch wieder zur Besinnung und klaget nicht einen Mann wie mich einer Handlung an, deren ich, wie die ganze Welt weiß, unfähig bin.«

Die Drohungen des Kaufmanns taten nicht mehr Wirkung als seine Bitten; er mußte mit leeren Händen abziehen, indem er gegen den treulosen Aufbewahrer seines Schatzes alle Verwünschungen ausstieß, welche der Zorn ihm eingab.

Er verfügte sich eilig zu dem Kadi und erzählte ihm getreulich, was vorgegangen war. Nachdem der Kadi, der wie Ihr, Herr, ein Mann von tiefer Weisheit und großer Gewandtheit war, ihn aufmerksam angehört hatte, antwortete er ihm:

»Da Ihr keine Zeugen hattet, als Ihr diesem Heuchler das Geld anvertrautet, so würde es fruchtlos sein, daß ich ihn vor meinem Richterstuhl erscheinen ließe; er würde kecklich die Wahrheit Eurer Anklage leugnen, und es wäre mir unmöglich, ihn gesetzlich zu verurteilen. Man muß mit List gegen ihn verfahren, und ich habe einen Anschlag, vermittelst dessen ich auf einen glücklichen Erfolg hoffe. Kehret ruhig heim; aber zur Stunde des Asr (Gebets) geht wieder zu Abdallah, droht ihm von neuem mit einer Anklage vor mir, wenn er auf seiner Weigerung beharre, und verlasset Euch darauf, daß er heut abend ein besseres Gedächtnis haben wird als heute morgen.«

Vergnügt über die Versprechungen des Kadis, dankte der Kaufmann ihm für seine Gefälligkeit und nahm Abschied von ihm.

Unterdessen bekleidete sich der Richter sogleich mit seinem Pelze und begab sich in aller Eile zu Abdallah, der ihn mit aller seinem Range gebührenden Achtung empfing.

»Herr Abdallah,« sprach der Kadi zu ihm, »einem Manne von einer so musterhaften Frömmigkeit wie der Eurigen kann es nicht fehlen, daß er von Gott den für so viel Fasten und Entbehrungen verdienten Lohn empfange, und ich komme, Euch einen Antrag zu machen, der schon in diesem Leben Euer Glück begründen soll, welches Euch in jenem Leben nicht entgehen kann. Ich bin alt und fühle schon die Schwachheiten, welche das Alter begleiten. Die Verrichtungen eines Kadis in einer so weitläufigen Stadt, wie die von uns bewohnte ist, sind sehr mühselig, und da dieses Amt mir jetzt zu schwer wird, so habe ich beschlossen, mir einen Nachfolger zu erwählen: nun hab ich gedacht, ich könnte mich an niemand besser wenden als an Euch, der Ihr Euch der allgemeinen Achtung erfreuet und am besten das Amt verrichten werdet, das ich zu Euren Gunsten niederlegen will, habet also die Güte, diesen Abend nach der Stunde des Gebets zu mir zu kommen, und wir wollen die dienlichen Maßregeln ergreifen, um Euch Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.«

»Der Wille Gottes geschehe,« antwortete Abdallah; »weil er gewürdigt hat, einen gnädigen Blick auf den alleruntertänigsten seiner Diener zu werfen, so geziemt es mir nicht, mich seinen Beschlüssen zu widersetzen.«

Der Kadi verließ ihn und empfahl ihm noch, ja nicht bei der verabredeten Zusammenkunft auszubleiben.

Er war eben weggegangen, als der Kaufmann wieder eintrat. »Nun, Nachbar,« sprach er zu Abdallah, »seid Ihr nicht wieder auf ehrsamere Gedanken gekommen?«

»Wie, mein Bruder,« erwiderte dieser, »habt Ihr mich im Verdacht einer so unredlichen Handlung haben können? haltet Ihr mich für fähig, ein mir von Euch anvertrautes Gut zu behalten? Es ist da, ganz und unberührt, und wenn ich es Euch nicht schon diesen Morgen zurückgestellt habe, so geschah es, weil ich Eure Seele gewöhnen wollte, die Widerwärtigkeiten, welche die Vorsehung Euch zuschicken könnte, mit Ergebung zu ertragen. Da, nehmet Euer Gold und lasset uns zusammen gehen, denn ich muß zu dem Herrn Kadi, der mich mit seiner Güte beehrt und mich gebeten hat, diesen Abend zu ihm zu kommen.«

»Wir können in Gesellschaft gehen,« sagte der Kaufmann, »denn ich habe gerade auch mit ihm zu reden.«

Beide begaben sich miteinander auf den Weg. Sobald der Kadi sie erblickte, sagte er zu dem Kaufmann: »Ihr scheint zufrieden mit dem Herrn Abdallah.«

»Man kann es nicht mehr sein,« antwortete der Kaufmann.

»So muß ich ihn denn auch zufriedenstellen,« fuhr der Kadi fort; »ich habe ihm diesen Morgen eine Belohnung versprochen, und ein Beamter muß sein Wort halten.«

Und zu gleicher Zeit befahl er, ihm zweihundert Stockschläge auf die Fußsohlen zu geben, was denn auch auf der Stelle vollstreckt wurde.

Auf solche Weise, Herr Kadi,« fügte Akil hinzu, »entlarvte einer Eurer Amtsgenossen die Heuchelei und Zweizüngigkeit eines Schurken; ich hoffe, Ihr werdet ebenso glücklich die Frechheit dieses Ungläubigen zuschanden machen, welcher den Diebstahl zu leugnen wagt, dessen er sich schuldig gemacht hat: geruhet ihn nur durchsuchen zu lassen, und Ihr werdet ihn bald des begangenen Verbrechens überführen.«

Der Kadi befahl sogleich den Polizeidienern, die Kleider des Juden zu durchsuchen, und man fand bei ihm eine Börse mit Zechinen. Der Angeklagte behauptete, diese Börse gehörte ihm ganz rechtmäßig. Seinerseits versicherte Akil, er erkenne vollkommen den ihm gestohlenen Beutel. In dieser Verwicklung der Umstände gebot der Richter beiden Teilen, anzugeben, was in der streitigen Börse enthalten sein sollte.

»Es sind hundert Zechinen darin,« antwortete der Jude, »welche ich diesen Morgen genau gezählt habe.«

»Du lügst, frecher Schelm,« entgegnete Akil, »es sei denn, daß du gegen die Gewohnheit deiner Glaubensgenossen mehr wiedergibst, als man dir geliehen hat: es sind nur neunzig darin; aber mein Siegelring muß sich dabei befinden, wenn du ihn nicht herausgenommen hast; und das wird hinreichend sein, den Streit zu entscheiden.«

Diese Beschuldigung machte den unglücklichen Juden ganz verwirrt; aber er wurde noch mehr bestürzt, als er sah, daß sein Ankläger recht hatte, vergeblich wollte er etwas dagegen einwenden: der Kadi ließ ihm auf der Stelle die Bastonade geben und dem Akil das in Anspruch genommene Geld zustellen. –

Haram konnte sich nicht enthalten, seinem Genossen wegen seiner Gewandtheit und Kühnheit Glück zu wünschen. Er gestand, es würde ihm schwer werden, seinen Nebenbuhler zu übertreffen; aber gleichwohl wollte er es versuchen und gab ihm ein Stelldichein noch denselben Abend bei dem Palaste des Königs.

»Akil,« sprach er hier zu ihm, »du hast einen Juden und einen Kadi hinters Licht geführt; ich aber will ein noch größeres Stück unternehmen, und der König selber ist es, an den ich mich machen will. Ich kenne alle Irrgänge des Palastes, und mit Hilfe einer Strickleiter, mit der ich mich versehen habe, wird es uns leicht werden, in die inneren Gemächer des Harems einzubringen. Fühlst du dich kühn genug, mich zu begleiten?«

Akil war über die Verwegenheit dieses Unterfangens erschrocken; aber er schämte sich, zurückzutreten, und er half seinem Gesellen die Strickleiter auf eine der Mauern des Palastes werfen.

 

Fünfhundertundneununddreißigste Nacht.

Sie schlichen durch weitläufige Gärten, und weil die Nacht schon weit vorgerückt war, so begegneten sie niemand. Nachdem Haram eine kleine Türe gesprengt hatte, führte er seinen Gesellen durch mehrere lange Gänge in die Vorhalle der königlichen Wohnung; sie gelangten endlich an einen Teppich: Haram hob ihn leise empor und ließ seinen Gefährten den eingeschlafenen König sehen, neben welchem ein Page stand, der selber vom Schlaf überwältigt schien. In einem anstoßenden Zimmer hörte man den Schritt der Offiziere, welche die Wache bei der Person des Königs hatten.

Bei diesem Schauspiele wäre Akil fast rücklings hingesunken. »Großer Gott!« rief er aus, »wo hast du uns hingeführt? Laß uns schleunig umkehren, unser Untergang ist gewiß, wenn wir entdeckt werden.«

»Du erschrickst auch sehr leicht,« antwortete Haram; »du hast mit dem Kadi gesprochen, ich muß hingehen und mit dem Könige sprechen.«

Zu gleicher Zeit näherte er sich mit bewundernswürdiger Behendigkeit dem jungen Pagen, der, ganz schläfrig, beschäftigt war, dem Sultan die Fußsohlen zu kitzeln, und Mastix kaute, um nicht einzuschlafen: sogleich öffnete er ein Fläschchen, welches einen betäubenden Geruch ausströmte, und die Wirkung desselben war so schleunig, daß der Page auf der Stelle in den tiefsten Schlaf versank: jetzt schlang er ihm ein Seil unter die Arme und hängte ihn damit an der Decke auf; sodann nahm er seine Stelle ein, kitzelte dem Könige die Fußsohlen und machte es so, daß er ihn aufweckte.

Der Fürst gähnte, und Haram ergriff die Gelegenheit, ihn anzureden.

»Herr,« sprach er zu ihm, »da Euer Majestät nicht schläft, befehlet Ihr, daß ich Euch zum Zeitvertreib eine Geschichte erzähle?«

Der Sultan ließ sich dieses Erbieten gefallen, und Haram fuhr also fort:

 


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