Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Arzt und der junge Speisewirt zu Bagdad.

Man erzählt, daß ein von Lande zu Lande reisender persischer Arzt nach der Stadt Bagdad kam. Er nahm seine Herberge in einem der Chane, deren es dort so viele gibt, und blieb dort die Nacht.

Am folgenden Morgen durchwanderte er die Straßen, besah die Plätze und Märkte. Er bewunderte die Größe der Stadt, die Pracht der Gebäude und sprach oft bei sich selber, daß er niemals eine so schöne Stadt gesehen hätte.

Vor allen zog der Tigris seine Aufmerksamkeit an, welcher, durch einen Kanal mit dem Euphrat verbunden, mitten durch die Stadt fließt und sie in zwei Hälften teilt, eine gegen Morgen, die andere gegen Abend. Diese beiden Teile oder vielmehr diese beiden Städte sind durch sieben Brücken verbunden, welche aus Schiffen zusammengefügt sind teils wegen der gewöhnlichen Breite des Stromes, teils wegen des wiederkehrenden Steigens desselben. Diese Brücken sind stets mit Leuten bedeckt, welche ihre Geschäfte hinüber und herüber führen. An mehreren Stellen der Stadt wandelt man unter Palmen und allerlei andern Bäumen und hört um sich eine Menge Vögel, deren vielstimmiger Chor ihren Schöpfer zu verherrlichen und dem Ewigen Lob zu singen scheint.

Indem der persische Arzt so umherwanderte, kam er an den Laden eines Speisewirts, in welchem Speisen und Gerichte aller Art ausgestellt waren. Der Herr dieses Ladens war ein junger Mann von etwa fünfundzwanzig Jahren, dessen Gesicht von solcher Schönheit glänzte wie der Mond, wenn er voll ist. Seine Tracht war einfach, aber gewählt. Er trug zierliche Ohrringe, und seine Kleidung war so sauber und so nett angelegt, als wenn sie eben erst aus der Hand des Schneiders käme.

Als aber der Arzt ihn aufmerksamer betrachtete, war er verwundert, seine Gesichtsfarbe bleich, seine Augen erloschen und sein Antlitz blaß und entstellt und darauf den Ausdruck des Kummers und der Traurigkeit zu sehen: er blieb stehen und grüßte ihn.

Der junge Mann erwiderte seinen Gruß auf die höflichste und ausgezeichneteste Weise und lud ihn ein, bei ihm zu Mittag zu speisen. Als der persische Arzt in den Laden des jungen Speisewirts getreten war, nahm dieser zwei oder drei Schüsseln, bereitete in jeder ein besonderes Gericht und setzte sie dem Arzte vor.

»Setzet Euch einen Augenblick zu mir,« sagte der Arzt, »mich dünkt, Ihr seid unwohl, und Ihr habt ein so bleiches Ansehen: was fehlt Euch? Leidet Ihr Schmerzen an irgend einem Teil Eures Leibes, und befindet Ihr Euch schon lange in diesem Zustande?«

Der junge Mann stieß bei dieser Anrede einen tiefen Seufzer aus und antwortete weinend:

»Fraget mich nicht, mein Herr, an welchem Übel ich leide!«

»Warum nicht?« versetzte sein Gast, »ich bin ein Arzt und, Gott sei Dank, ziemlich geschickt; ich bin sicher, daß ich Euch heilen werde, wenn Ihr Euch mir anvertrauen und mir den Ursprung und die Kennzeichen Eurer Krankheit mitteilen wollt.«

Nachdem der junge Mann abermals geseufzt und gestöhnt hatte, antwortete er:

»In Wahrheit, mein Herr, ich fühle keinen Schmerz und spüre keine Unpäßlichkeit: aber ich bin verliebt.«

»Ihr seid verliebt?« –

»Ja, mein Herr; verliebt, und zwar verliebt ohne Hoffnung, jemals den Gegenstand meiner Liebe zu erlangen.« –

»Und in wen seid Ihr verliebt? Saget mir das.« –

»Ich habe Euch für jetzt schon genug gesagt; laßt mich meine Geschäfte abwarten und meine Gäste bedienen. Wenn Ihr diesen Nachmittag wiederkommen wollt, so will ich Euch meine Abenteuer erzählen.«

»Nun gut; gehet an Eure Verrichtungen, damit man nicht ungeduldig werde, auf Euch zu warten: ich komme diesen Abend wieder zu Euch.«

Nach dieser Unterhaltung setzte der persische Arzt sich zu Tische. Darauf wanderte er wieder in der Stadt umher, ergötzte sich damit, ihre Schönheiten zu beschauen, und am Abend kam er wieder zu dem jungen Speisewirte.

Dieser freute sich, ihn wiederzusehen, und faßte die Hoffnung, daß er wenigstens sein Leid und seinen Kummer lindern könnte. Er schloß seinen Laden und führte ihn in sein Wohnhaus. Dieses war schön und wohl eingerichtet, denn er hatte von seinen Eltern ein ziemlich ansehnliches Vermögen geerbt.

Als sie eingetreten waren, wurde ein schmackhaftes und erlesenes Abendessen aufgetragen. Nach der Mahlzeit bat der Arzt den jungen Mann, ihm seine Abenteuer zu erzählen, und dieser tat es folgendermaßen:

»Der Kalif Motaded-billah hat eine Tochter, deren Schönheit für ein Wunder gelten kann. Mit einer reizenden Gestalt, zärtlichen und zugleich feurigen Augen vereint sie eine edle Haltung, einen feinen und zierlichen Wuchs. Kurz, sie ist der Ausbund aller Vollkommenheiten, und nicht nur hat man niemals so etwas gesehen, sondern man hat sogar nicht einmal von einer so außerordentlichen Schönheit sagen gehört. Mehrere Prinzen, mehrere Könige haben bei ihrem Vater um sie geworben: aber alle hat er bisher abgewiesen, und es ist wahrscheinlich, daß er niemand einer so schönen Verbindung würdig finden wird.

Alle Freitage, wenn das Volk sich in den Moscheen versammelt und alle Kaufleute und Handwerker ihre Läden verlassen, oft ohne sich die Mühe zu geben, sie zu verschließen, tritt diese Schönheit aus dem Palaste hervor und ergötzt sich, die Stadt zu durchwandern; hierauf begibt sie sich ins Bad und kehrt dann in den Harem zurück.

Eines Tages bekam ich Lust, nicht mit den andern in die Moschee zu gehen, sondern wo möglich die Prinzessin zu sehen. Als die Stunde des Gebets gekommen und alle Welt in der Moschee war, versteckte ich mich in meinem Laden. Bald sah ich die Prinzessin erscheinen: sie war von vierzig Sklavinnen umgeben, eine immer schöner als die andere, und strahlte unter ihnen hervor wie die Sonne am vollen Mittage. Die Sklavinnen, welche um ihre Gebieterin geschäftig waren und den Saum ihres Gewandes mit goldenen und silbernen Gerten emporhielten, hemmten meine neugierigen Blicke und verhinderten mich, sie nach Gefallen zu betrachten. Endlich ersah ich sie einen Augenblick, und auf der Stelle fühlte ich mein Herz von der glühendsten Leidenschaft entzündet, und einige Tränen entrollten meinen Augen. – Seit dieser Zeit nun fühle ich eine Sehnsucht, welche mich verzehrt, und mein Übel wächst von Tage zu Tage.«

Mit diesen letzten Worten stieß der junge Mann einen tiefen Seufzer aus, daß der Arzt glaubte, er würde verscheiden.

»Was gebet Ihr mir,« sprach er zu ihm, »wenn ich es dahin bringe, Euch mit Eurer Geliebten zu vereinigen?«

Nachdem der junge Mann ihn versichert hatte, daß all sein Vermögen, ja sein Leben ihm dafür zu Gebote stehen sollte, fuhr der Arzt also fort:

»Stehet auf und bringet mir eine kleine Flasche, sieben Nähnadeln, ein Stück Aloeholz, Harz aus Judäa und Siegelerde, zwei Schulterblätter eines Hammels, ein Stück Wollzeug und Seidenfäden von sieben verschiedenen Farben.«

Als der junge Mann alles dieses zusammengeholt hatte, nahm der Arzt die beiden Hammelknochen, schrieb darauf zauberische Züge und Sprüche, wand sie in das Wollzeug und umwickelte sie mit den siebenfarbigen Seidenfäden. hierauf nahm er die kleine Flasche, drückte die sieben Nähnadeln in das Stück Aloeholz, tat dieses mit dem Judenpech in die Flasche, verklebte diese mit der Siegelerde und sprach folgende Zauberworte aus:

»Ich habe an die Türe der äußersten Enden der Erde gepocht: die Geister haben die Geister und den Fürsten der Geister gerufen. Alsbald sah ich den Sohn Amrans erscheinen, eine Schlange in der Hand und einen Drachen wie ein Halsband um seinen Hals geschlungen.«

»Wer ist,« rief er aus, »der Verwegene, der auf die Erde schlägt und uns diesen Abend erscheinen läßt?«

Ich antwortete ihm:

»Ich bin in ein junges Mädchen verliebt, und ich nehme meine Zuflucht zu euren Bezauberungen, ihr mächtigen und furchtbaren Geister! Leistet mir eure Hilfe und laßt mein Unternehmen mir gelingen! Ihr sehet, wie dieses Mädchen, die Tochter des und des, meine Huldigungen verwirft und verschmäht, machet sie empfänglich für meine Liebe!«

Die Geister antworteten mir:

»Tu, was du gelehrt worden bist: setze die Flasche auf ein lebhaftes Glühfeuer und sprich darüber folgende Worte aus:

»Wenn jenes Mädchen, die Tochter des und des, in Kaschan, in Ispahan oder irgend im Gebiete der Zauberer und Beschwörer ist, so vermag nichts, sie zurückzuhalten, daß sie hierher komme und, indem sie selber sich meinen Händen überliefert, zu mir sage: »Ihr habt zu gebieten, ich bin Eure Sklavin.« –

Der Arzt wiederholte diese Worte dreimal, hierauf drehte er sich zu dem jungen Mann und sprach:

»Leget Eure schönsten Kleider an und umströmet Euch mit Wohlgerüchen: im Augenblicke werdet Ihr Eure Geliebte sehen.«

Zu gleicher Zeit setzte er die Flasche auf das Feuer.

Der junge Mann ging sogleich hin und schmückte sich, ohne indessen sehr an die Worte des Arztes zu glauben. Kaum trat er wieder herein, so sah er ein Bett erscheinen, auf welchem die Prinzessin lag und schlief, schöner in ihrem Schlafe als die Sonne bei ihrem Aufgange.

»Was seh' ich! Welches Wunder!« rief er ganz erstaunt aus.

»Hab' ich Euch nicht versprochen,« sagte der Arzt, »Euch den Gegenstand Eurer Wünsche erreichen zu lassen? Ihr sehet hier die Erfüllung meines Versprechens.«

»In Wahrheit,« erwiderte der junge Mann, »Ihr seid ein außerordentlicher Mensch, und niemals hat der Himmel einem Sterblichen die Macht verliehen, solche Wunder zu tun.«

Er küßte hierauf dem Arzte die Hände und bezeigte ihm die lebhafteste Erkenntlichkeit für den ihm geleisteten Dienst.

»Ich entferne mich,« sagte der Arzt, indem er ihn unterbrach, »die Ihr liebt, ist in Euren Händen, es ist nun allein Eure Sache, ihr Eure Liebe annehmlich zu machen.«

Als der Arzt hinausgegangen war, näherte sich der junge Liebende der Prinzessin. Sie öffnete die Augen, und als sie einen jungen Mann an ihrer Seite erblickte, fragte sie ihn, wer er wäre.

»Der Sklave Eurer schönen Augen,« antwortete er, »der Unglückliche, der um Euch verschmachtet, und der niemals eine andere lieben wird als Euch.«

Durch diese Rede geschmeichelt, betrachtete sie den jungen Mann, wurde von der Schönheit seiner Züge getroffen und fühlte ihr Herz für ihn entbrennen.

»Seid Ihr,« sprach sie zu ihm, »ein Sterblicher oder ein Geist? Wer hat mich hierher versetzt?«

»Ich bin,« antwortete er, »der glücklichste Sterbliche, und ich möchte meinen Zustand nicht mit dem der Geister vertauschen, welche Euch auf meine Bitte hierher gebracht haben.«

»Nun wohl,« fuhr sie fort, »so schwöret mir, mein Geliebter, ihnen zu befehlen, daß sie mich alle Nächte hierher bringen!«

»Geliebte,« antwortete er, »die Versicherung der Dauer meines Glückes setzt meinen Wünschen die Krone auf.«

Die beiden auf gleiche Weise füreinander entbrannten Geliebten unterhielten sich lange über ihr Abenteuer und verlebten miteinander die köstlichsten Augenblicke.

Als die Morgenröte sich erblicken ließ, trat der Arzt in das Zimmer und rief leise den jungen Mann und fragte ihn lächelnd, wie er die Nacht zugebracht hätte.

»In einem Paradiese der Wonne,« antwortete er, »und inmitten der Huris.«

Nachdem der Arzt ihm den Vorschlag gemacht hatte, mit ihm ins Bad zu gehen, fragte er diesen, was mit der Prinzessin werden sollte, und wie sie in den Palast zurückkommen würde.

»Beunruhiget Euch über nichts,« antwortete der Arzt: »sie wird dahin zurückkommen, so wie sie hergekommen ist, und niemand wird erfahren, was vorgegangen ist.«

In der Tat schlief die Prinzessin ein und befand sich beim Erwachen wieder in ihrem Palaste. Sie hütete sich wohl, etwas von ihrem Abenteuer zu sagen, und erwartete die Nacht mit Ungeduld. Sie wurde abermals zu dem jungen Manne gebracht wie in der vorigen Nacht, und dasselbe Wunder wiederholte sich auch in den folgenden Nächten.

Nach Verlauf einiger Monate befand sich eines Morgens die Prinzessin mit ihrer Mutter auf dem flachen Dache des Palastes und stand einige Augenblicke mit dem Rücken gegen die Sonne, von der Hitze durchglüht, entblößte sie unwillkürlich ihren schwellenden Busen: ihrer Mutter fiel es auf, sie betrachtete sie aufmerksamer, legte die Hand aus ihren Leib und erkannte, daß sie schwanger war. Sogleich stieß sie ein lautes Geschrei aus, schlug sich ins Angesicht und befragte sie, wie sie in diesen Zustand gekommen wäre. Als die Frauen des Palastes auf das Geschrei der Sultanin herbeieilten, befahl sie ihnen, den Kalifen zu rufen.

Sobald der Kalif die Ursache der Verzweiflung der Sultanin vernommen hatte, geriet er in großen Zorn, zog seinen Dolch und sprach zu seiner Tochter:

»Unglückselige! Ich bin Beherrscher der Gläubigen; alle Könige der Erde haben um deine Hand bei mir angehalten; ich habe die Verbindung mit ihnen verschmäht: und also entehrst du mich nun? Ich schwöre bei dem Grabe meines Vaters und bei den Gräbern aller meiner Vorfahren: wenn du mir die Wahrheit entdeckst, so will ich dir das Leben schenken; aber wenn du mir nicht auf der Stelle bekennest, was mit dir vorgegangen, wer der Urheber dieses Verbrechens und wie es ihm gelungen ist, es zu begehen, so stoße ich selber dir den Dolch in den Busen.«

Die erschrockene Prinzessin erzählte nun ihrem Vater, daß sie alle Nächte in ihrem Bette entführt und in ein Haus versetzt worden, welches sie nicht kennte, und bei einem jungen Manne, schöner als der Tag, gewesen wäre; daß sie dann mit Aufgang der Morgenröte wieder in ihr Zimmer zurückgebracht worden: daß sie aber nicht wüßte, wie solches alles zuginge.

Der Kalif war aufs höchste erstaunt über dieses Geständnis seiner Tochter. Er schickte hin und ließ seinen Wesir holen, der ein geistvoller, geschickter und verständiger Mann war, und in welchen er großes Vertrauen setzte. Er teilte ihm mit, was er soeben vernommen hatte, und fragte ihn, was er unter diesen Umständen für ratsam hielte zu tun.

Der Wesir sagte nach einigem Nachdenken zu dem Kalifen:

»Mein Fürst, nur durch Anwendung einer List könnt Ihr den Ort entdecken, wohin Eure Tochter so entführt wird. Ich habe ein einfaches, aber gewiß wirksames Mittel im Sinne. Man nehme einen kleinen Sack, fülle ihn mit Hirse, binde ihn an das Bette Eurer Tochter zu ihren Häupten auf solche Art, daß, wenn diese Nacht wieder das Bette Eurer Tochter aufgehoben und versetzt wird, die Hirse aus einer kleinen Öffnung desselben sowohl aus dem Hinwege als auf dem Herwege sich ausstreut und uns die Spur zeiget, welche von dem Palaste nach dem Hause führt, das Ihr sucht.«

Der Kalif lobte sehr den Scharfsinn des Wesirs, fand das Mittel vortrefflich und zweifelte nicht an dem Erfolge. Er vertraute die Ausführung einem gescheiten Menschen, der es so bewerkstelligte, daß die junge Prinzessin nichts davon merkte.

Als die Nacht gekommen war, wurde das Bette wie gewöhnlich entführt. Am folgenden Morgen beim Anbruch der Morgenröte ging der Arzt mit dem jungen Manne, wie sie zu tun pflegten, ins Bad und sagte ihm, daß man die Schwangerschaft der Prinzessin erkannt und eine List angewendet hätte, um sein Haus zu entdecken, und daß man darauf ausginge, ihm übel mitzuspielen.

Der junge Mann bezeigte, ohne zu erschrecken, dem Arzte sein Genügen, das ersehnte Glück genossen zu haben, und ergab sich in den Tod. Er dankte ihm von neuem für seine Wohltaten, wünschte ihm alles mögliche Heil und riet ihm, sich zu entfernen und sich nicht selber der Gefahr auszusetzen. »Laßt den Kalifen,« beschloß er seine Rede, »über mein Leben schalten, wie es ihm beliebt.«

»Seid unbesorgt für Euer Leben,« sagte der Arzt zu ihm, »es wird Euch so wenig als mir etwas Böses widerfahren. Ich will Euch neue Wunder und Erscheinungen anderer Art sehen lassen.«

Diese Worte beruhigten den jungen Mann und erregten ihm unendliche Freude. Sie verließen beide das Bad und gingen wieder nach Hause.

Als der Kalif und der Wesir in aller Frühe in das Zimmer der Prinzessin traten, fanden sie dieselbe wieder darin und sahen, daß der Sack von Hirse leer war.

»Sicherlich,« sprach der Wesir, »haben wir nun den Schuldigen.«

Sie stiegen sogleich zu Pferde, und in Begleitung eines zahlreichen Trupps Soldaten folgten sie der Spur der Hirse nach.

Als sie nahe bei dem Hause waren, hörte der junge Mann den Lärm der Menschen und Pferde und machte den Arzt daraus aufmerksam. Dieser sagte nun zu ihm:

»Nehmet eine Kanne, füllet sie mit Wasser, steiget auf das flache Dach, gießet Wasser rings um das Haus her und steiget dann wieder herab.«

Der junge Mann tat, was der Arzt ihm geheißen hatte.

Als nun der Kalif und der Wesir mit den Soldaten hinkamen, fanden sie das Haus von einem breiten Strome umgeben, dessen empörte Fluten mit schrecklichem Getöse durcheinanderrauschten.

»Was will das sagen?« sprach der Kalif zu dem Wesir, »und seit wann fließt dieser Strom hier?«

»Ich habe sonst niemals einen Strom hier gesehen,« antwortete der Wesir, »und ich kenne keinen anderen Strom in Bagdad als den Tigris, welcher mitten durch die Stadt fließt. Dieser hier muß durchaus ein Werk irgend einer Zauberei sein.«

Von dieser Vorstellung eingenommen, versicherte der Kalif und sein Wesir die Soldaten, das Wasser, welches sie vor sich sähen, wäre nur eine Täuschung, eine leere Gaukelei, und befahlen ihnen, weiter vorzudringen, ohne etwas zu fürchten.

Ein Teil des Heeres wagte sich hierauf auch vorwärts, wurde aber sogleich von den Fluten verschlungen.

Der Wesir erkannte nun seinen Irrtum und sagte zu dem Kalifen, das klügste Mittel wäre jetzt, daß man die Leute in dem Hause aufforderte, zu sagen, wer sie wären, indem man ihnen verspräche, ihnen kein Leid zuzufügen.

Der Kalif billigte diesen Rat und ließ mit lauter Stimme ausrufen, daß die Bewohner des Hauses sich nur zu erkennen geben möchten, indem man ihnen kein Leid antun würde.

Der Arzt ließ die Leute des Kalifen lange rufen und sagte hierauf zu dem jungen Manne:

»Steiget auf das Dach und versichert den Kalifen, daß, wenn er nach seinem Palast zurückkehren will, wir alsbald vor ihm erscheinen werden.«

Der junge Mann stieg aus das Dach und verkündigte mit lauter Stimme, was der Arzt ihm eben gesagt hatte.

Als der Kalif diesen Antrag vernahm, schämte er sich, daß er nicht auf der Stelle die Entführung seiner Tochter rächen konnte und sich noch aufgehalten sah, nachdem er schon einen Teil seines Heeres eingebüßt hatte. Er wollte bleiben und irgend ein Mittel suchen, in das Haus einzudringen. Der Wesir machte ihm bemerklich, daß es von Zauberern oder bösen Geistern bewohnt würde, daß es vergeblich wäre, sich mit derlei Leuten messen zu wollen, daß er aber, wenn sie selber sich seinen Händen zu überliefern kämen, sie bestrafen lassen könnte, wie sie es verdienten. Der Kalif kehrte aber ungeachtet dieser Vorstellungen traurig und mißvergnügt zurück.

Er war kaum eine Stunde wieder in seinem Palast, als der Arzt mit dem jungen Mann an der Türe erschien. Der Kalis befahl, sie hereinzulassen; und sobald sie vor ihm standen, ließ er den Scharfrichter holen und befahl ihm, dem jungen Manne den Kopf abzuhauen.

Der Scharfrichter zerriß diesem den Schoß seines Rockes, verband ihm damit die Augen und ging dreimal um ihn her, das Schwert über seinem Haupte schwingend, und fragte, ob er zuhauen sollte.

»Es sollte schon längst geschehen sein,« antwortete der Kalif zum letzten Male.

Sogleich hob der Scharfrichter den Arm empor und tat den tödlichen Streich, aber sein Arm drehte sich unwillkürlich, und der Streich traf seinen Begleiter, der hinter ihm stand, so daß dessen Haupt zu den Füßen des Kalifen hinflog.

»Ungeschickter!« rief dieser aus, »wie kannst du so blind sein, deinen Begleiter zu treffen anstatt den Schuldigen, der vor dir steht! Sieh ihn recht an und nimm dich in acht, was du tust.«

Der Scharfrichter holte abermals aus und schlug seinem Sohne neben ihm den Kopf ab. Alle, die gegenwärtig waren, wurden von Entsetzen ergriffen.

Der Kalif konnte sich gar nicht von seinem Erstaunen erholen und fragte seinen Wesir, was das bedeuten sollte.

»Großer Fürst,« antwortete dieser, »all Eure Macht wäre hier unnütz: was soll man den Wundern und Verzauberungen entgegenstellen? Derjenige, der Eure Tochter in ihrem Bette entführt, der plötzlich aus seinem Hause eine von Wasserschlünden umgebene Insel macht, könnte der Euch nicht auch das Reich und das Leben rauben? Ich rate Euch also, dem Arzte entgegenzugehen, ihn ehrenvoll zu empfangen und ihn zu bitten, daß er uns kein Leid zufügen wolle.«

Der Kalif sah wohl ein, daß nichts besseres zu tun war, als den Rat des Wesirs zu befolgen. Er befahl, den jungen Mann aufstehen zu lassen und ihm die Binde von den Augen zu nehmen. Sodann stieg er von seinem Throne, ging zu dem Arzte hin und sprach zu ihm, indem er ihm die Hand küßte:

»O weisester aller Menschen! Ich war weit entfernt, Euren Wunsch zu ahnen, und wußte nicht, daß ich in meiner Hauptstadt einen solchen Schatz besäße. Aber wenn Euer Edelmut Euren Tugenden gleich ist, wie ich gern glaube, warum seid Ihr so mit meiner Tochter verfahren und habt einen Teil meines Heeres umkommen lassen?«

»Mächtiger König, Abbild Gottes auf Erden,« antwortete der Arzt, »ich bin ein Fremder. Bei meiner Ankunft in dieser Stadt habe ich mit diesem jungen Manne Bekanntschaft gemacht, wir haben zusammen gegessen, der krankhafte und sehnsüchtige Zustand, in welchem ich ihn gefunden, seine Liebe zu Eurer Tochter, welche er mir bekannte, haben mein Mitleid erregt und mich vermocht, mich seiner anzunehmen. Zugleich hat es mir Vergnügen gemacht, Euch zu erkennen zu geben, wer ich bin, und welche Macht mir Gott verliehen hat. Aber ich will mich dieser Gaben nur bedienen, um Gutes zu tun. Ich nehme jetzt meine Zuflucht zu Eurer Güte und flehe Euch an, diesem jungen Mann Eure Tochter zu bewilligen: sie ist für ihn geschaffen, und er ist würdig, sie zu besitzen.«

»Das scheint mir auch billig,« sagte der Kalif, »und überdies müssen wir auch gehorchen.«

Auf der Stelle ließ er den jungen Mann mit einem Rocke von unschätzbarem Werte bekleiden, ließ ihn an seiner Seite sitzen und für den Arzt einen Thron von Ebenholz hereinbringen.

Während sie sich nun miteinander unterhielten, erblickte der Arzt, indem er sich umdrehte, einen seidenen Vorhang, auf welchem zwei große Löwen abgebildet waren. Er gab ihnen ein Zeichen mit der Hand, und sogleich stürzten diese beiden Löwen aufeinander los mit einem Gebrülle, welches dem Getöse des Donners ähnlich war. Einen Augenblick darauf machte er ein neues Zeichen, und nun sah man nur zwei Katzen, welche miteinander spielten.

»Was dünkt dich davon?« fragte der Kalif seinen Wesir.

»Herr,« antwortete dieser, »ich glaube, daß Gott Euch diesen Weisen zugesandt hat, um Euch Wunderdinge sehen, zu lassen.«

»Wohlan,« fuhr der Kalif fort, »so sage ihm, daß er mich noch mehr dergleichen sehen lasse.«

Als der Wesir dem Arzte den Wunsch des Kalifen kundgetan hatte, verlangte dieser, daß man ihm ein Becken mit Wasser brächte, und bat den Wesir, seine Kleider beizulegen, sich in einen großen Schleier zu hüllen und so an das Becken zu treten, wobei er ihm versprach, ihn wunderbare und sehr ergötzliche Dinge sehen zu lassen.

Der Wesir willigte ein; aber kaum saß er in dem Becken, als er sich mitten in ein unermeßliches und furchtbar empörtes Meer versetzt sah: er fing sogleich an zu schwimmen und überließ sich den Fluten, welche ihn hin- und herwälzten. Die Kräfte versagten ihm endlich, und er wähnte sich schon verloren, da erhob sich plötzlich eine Woge, riß ihn mit sich fort und schleuderte ihn mit Blitzesschnelle an ein unbekanntes Ufer.

Kaum war er aus dem Wasser gestiegen, als er über seinen Rücken einen starken Haarwuchs herabwallen fühlte, welcher ihm bis auf die Fersen ging, verwundert über diese Erscheinung, wirft er einen Blick auf seine ganze Gestalt und gewahrt, daß er gänzlich in ein Weib verwandelt ist.

»Verflucht sei der Spaß!« sagte er bei sich selber, »ein in ein Weib verwandelter Wesir ist fürwahr etwas sehr Außerordentliches; aber was brauchte ich ein solches Wunder an mir zu erleben? Gleichwohl geschieht alles in dieser Welt nur mit Zulassung Gottes: ihm verdanken wir das Dasein, und zu ihm müssen wir dereinst zurückkehren.«

während der Wesir so über sein Abenteuer nachdachte, trat ein Fischer hervor, legte ihm die Hand auf die Schulter und sprach:

»Glücklicher Tag! Eines solchen Fanges hatte ich mich nicht versehen! Wie schön sie ist! Es ist ein Meerfräulein, und der Himmel sendet sie mir ausdrücklich, um sie meinem Sohne zur Frau zu geben: ein Fischer kann keine passendere Gelegenheit finden.«

»Wie!« sagte der Wesir bei sich, als er diese Worte gehört hatte, »nachdem ich Wesir gewesen, soll ich das Weib eines Fischers werden! Konnte ich mich eines solchen Schicksals versehen? Wer wird gegenwärtig dem Kalifen Rat erteilen? Wer wird sein Reich verwalten? Aber Gott ist der Urheber aller Begebenheiten; in seinen Willen muß man sich ergeben.«

Der Fischer war so zufrieden mit diesem Fange, daß er nicht weiter an sein gewöhnliches Fischen dachte. Er führte das Meerfräulein mit sich und brachte sie nach seiner nahe am Ufer gelegenen Hütte.

»Ein glücklicher Fang!« rief er beim Eintreten seiner Frau zu: »seit langer Zeit treibe ich das Gewerbe eines Fischers, aber niemals bin ich so glücklich gewesen wie heute! Ich habe soeben ein Meerfräulein gefangen. Wo ist unser Sohn? Diese Frau ist eigens für ihn bestimmt, und ich will sie ihm zur Gattin geben.«

»Er ist ausgegangen, die Kuh weiden zu lassen und mit ihr zu ackern,« antwortete die Frau des Fischers; »in einem Augenblicke wird er wieder hier sein.«

Der junge Mensch kam wirklich bald darauf heim.

»Verflucht sei dieses Abenteuer!« sagte leise der Wesir, als er ihn erblickte: »diese selbe Nacht noch soll ich die Frau dieses Laffen werden! Vergeblich würde ich diesen Leuten hier sagen: »Was macht ihr? Ihr seid im Irrtume: ich bin der Wesir des Kalifen«: sie würden mir doch nicht glauben: denn ich habe das Ansehn eines Weibes. Ei, ei! welchen Dingen habe ich mich ausgesetzt! Was bedurfte ich einer solchen Ergötzlichkeit?«

»Junge,« sagte der Fischer zu seinem Sohne, »du mußt unter einem glücklichen Gestirne geboren sein. Der Himmel sendet dir hier, was er noch keinem vor dir gesendet hat und wahrscheinlich auch keinem nach dir senden wird. Hier ist ein Meerfräulein, welches ich dir zuführe. Du bist jung, noch unverheiratet, mache sie diese Nacht zu deiner Frau.«

Der junge Mensch war so vergnügt über dieses Erbieten, daß er Mühe hatte zu glauben, daß sein Glück kein Traum wäre. Er heiratete seine Braut noch denselben Abend, und sie ward schwanger von ihm. Nach Verlauf von neun Monaten gebar sie einen starken Sohn, welchen sie säugen mußte. Sie ward bald darauf wieder schwanger und brachte so nach und nach sieben Knaben zur Welt.

Der Wesir war endlich dieser Lebensart überdrüssig und sprach jetzt bei sich selber:

»Wie lange soll diese verfluchte und ängstliche Verwandlung noch dauern? Kann ich denn nicht wieder heraus aus diesem Zustande, in welchen ich aus übergroßer Gefälligkeit und Neugier geraten bin? Ich muß wieder ans Ufer gehen, wo ich angelandet bin, und mich ins Meer stürzen. Ich will lieber umkommen, als länger solches Elend ertragen.«

Als der Wesir diesen Entschluß gefaßt hatte, begab er sich ans Ufer des Meeres und stürzte sich ins Wasser. Er wurde sogleich von einer Woge aufgenommen und mitten durch die Fluten gezogen. Als er hierauf den Kopf emporhob, fand er sich in dem Becken sitzend und sah den Kalifen, den Arzt und die ganze Versammlung um sich her, die ihn aufmerksam betrachteten.

Der Kalif fragte nun den Wesir, was er gesehen hatte, und dieser fing an zu lachen und antwortete:

»Herr, der Arzt ist ein erstaunlicher Zauberer. Ich habe himmlische Paradiese, die Huris, schöne Knaben und Wunderdinge gesehen, welche noch kein Auge geschaut hat. Wenn Ihr es selber versuchen wollt, so werdet Ihr eingestehen, daß es nichts Reizenderes und zugleich Außerordentlicheres gibt.«

Diese wenigen Worte erregten die Neugier des Kalifen. Er entkleidete sich, umgürtete sich mit einem Leinentuche und trat in das Becken. Der Arzt hieß ihn sich hineintauchen; und sobald der Kalif dies getan hatte, befand er sich mitten in einem Meer von unermeßlichem Umfange, fing an zu schwimmen und wurde von einer Woge an ein entferntes Ufer getragen. Nachdem er ans Land gekommen war und sich nackt sah, indem er nur von einem Tuche umgürtet war, sagte er bei sich selber:

»Ich sehe wohl, wo dieser Kunstgriff hinauswill: mein Wesir und der Arzt sind übereingekommen, mich meines Reiches zu berauben. Sie werden meine Tochter dem jungen Menschen geben, und der Arzt wird sich an meiner Statt als Kalif anerkennen lassen. Unselige Neugier!«

Während der Kalif diese Betrachtungen anstellte, sah er mehrere Mädchen, welche nach einer Quelle nahe am Meere Wasser zu schöpfen kamen. Er wandte sich an eine von ihnen, gab sich für einen fremden Schiffbrüchigen aus und fragte sie, in welchem Lande er sich befände. Sie antwortete ihm, er wäre nahe bei der Stadt Oman, er dürfte nur den Berg vor ihm besteigen, da würde er die Stadt sehen, welche am Fuße des Berges läge.

Der Kalif schlug diesen Weg ein und trat in die Stadt. Die Einwohner hielten ihn für einen schiffbrüchigen Kaufmann, und einer gab ihm aus Erbarmen ein Kleid. Als er damit bekleidet war, durchwanderte er die Stadt. Indem er über den Markt ging, machte der Hunger, der ihn quälte, daß er vor dem Laden eines Speisewirtes stehen blieb. Dieser hielt ihn auch sogleich für einen schiffbrüchigen Fremdling und trug ihm an, in seine Dienste zu treten, indem er ihm täglich zwei Drachmen und Unterhalt bot. Der Kalis wußte nichts besseres zu tun und nahm den Antrag an. Als er nun gegessen hatte und in seine Verrichtungen eingewiesen war, sprach er bei sich selber:

»Welche seltsame Lage! Welche Veränderung! Nachdem ich Kalif gewesen, einer unbeschränkten Macht genossen und in Herrlichkeit und Freuden gelebt habe, bin ich jetzt dahin gebracht, die Teller zu lecken! Ich habe außerordentliche Dinge sehen wollen: in der Tat, nichts ist außerordentlicher als mein Abenteuer: aus einem Kalifen bin ich der Diener eines Speisewirtes geworden! Aber es ist meine Schuld, was hatte ich nötig, selber die Macht dieses Zauberers erfahren zu wollen?«

Nach Verlauf einiger Tage ging der Kalif durch den Markt der Juweliere. Ihrer war eine große Anzahl, und sie trieben einen starken Handel in dieser Stadt, weil man in dem Meere nahe dabei viele Perlen, Diamanten und Korallen fischte. Indem er so durch diesen Markt ging, bekam er Lust, lieber Makler zu werden, als länger im Dienste bei dem Speisewirte zu bleiben.

Am folgenden Morgen ganz früh ging er also wieder aus diesen Markt und gab sich für einen Makler aus. Da kam ein Mann zu ihm mit einem Diamant in der Hand, dessen Glanz den Strahlen der Sonne glich, und dessen Preis die Einkünfte von Ägypten und Syrien übersteigen sollte.

Der Kalif, erstaunt über die Schönheit dieses Diamanten, fragte, ob er zu kaufen wäre. Man bejahte es: er nahm ihn und trug ihn bei mehreren Kaufleuten umher. Man bot anfangs fünfzigtausend Zechinen; dann steigerte man das Gebot bis aus hunderttausend Zechinen. Der Kalif ging wieder zu dem Eigentümer des Diamanten und fragte ihn, ob er ihn für diesen Preis lassen wollte. Er willigte ein und hieß den Kalifen das Geld in Empfang nehmen. Der Kalif kehrte zu dem Kaufmanns zurück, der die hunderttausend Zechinen für den Diamanten geboten hatte, und bat ihn, die Summe einzuhändigen, weil der Eigentümer des Diamanten ihm aufgetragen, sie für ihn in Empfang zu nehmen.

Der Kaufmann erwiderte, das wäre nicht in der Ordnung, und er würde nur dem Eigentümer und nicht dem Makler bezahlen. Der Kalif ging nun wieder zu dem Eigentümer; da er ihn aber nicht finden konnte, so kam er zurück und gab sich selber für den Eigentümer aus. Der Kaufmann wollte ihm schon das Geld auszahlen; aber als er nochmals den Diamanten betrachtete, sah er, daß er falsch war.

»Wie, Spitzbube,« rief er sogleich aus, »du bist so frech, auf öffentlichem Markte betrügen zu wollen! Du weißt wohl nicht, daß die Betrüger hier mit dem Tode bestraft werden?«

Die andern Kaufleute liefen auf diese Worte sogleich herbei, fielen über den Kalifen her, banden ihn und führten ihn vor den König von Oman. Dieser Fürst, nachdem er die Anklage und ihre Bestätigung durch die Zeugen vernommen hatte, verurteilte den Angeklagten, auf der Stelle gehängt zu werden.

Man legte ihm sogleich eine Kette um den Hals, enthüllte ihm den Kopf und führte ihn durch die Stadt, und ein Beamter ging voraus und rief aus:

»Diese Behandlung ist nur der Anfang der Bestrafung derjenigen, die das Volk und die Kaufleute aus öffentlichen Plätzen und unter den Augen des Königs betrügen!«

Der Kalif dachte über sein Schicksal nach und sprach bei sich selber:

»Ich habe nicht im Dienst eines Speisewirts bleiben wollen: ich habe mich zum Makler gemacht, und für meine Mühe soll ich nun gehängt werden! Aber ich darf mich deshalb nicht beklagen: alles dieses ist nur die Erfüllung meines Schicksals.«

Als man auf der Stelle angekommen war, wo die Hinrichtung geschehen sollte, knüpfte man dem Kalifen den Strick um den Hals und fing an zu ziehen. Indem er so emporstieg, öffnete er die Augen und sah sich im Begriff, aus dem Becken zu steigen in Gegenwart des Arztes, des jungen Mannes und des Wesirs, welche ihn alle anblickten.

Der Wesir trat sogleich lächelnd zu ihm heran und reichte ihm die Hand.

»Warum lachst du?« fragte ihn der Kalif.

»Ich lache über meine Abenteuer,« antwortete der Wesir; »denn ich bin ein Weib gewesen, habe mich verheiratet und sieben Kinder geboren.«

»Nun wohl,« fuhr der Kalif fort, »du liebtest deine Kinder und wurdest von ihnen geliebt; du hast Leiden und Freuden erfahren: aber ich komme jetzt gerade vom Galgen her.«

Der Kalif und der Wesir erzählten sich hierauf ihre Abenteuer. Alle, die gegenwärtig waren, lachten sehr darüber und verwunderten sich über die Macht des Arztes. Der Kalif lud ihn ein, bei ihm zu bleiben, und überhäufte ihn mit Ehren und Gütern.

Er ließ hierauf den Kadi holen, um den Heiratsvertrag seiner Tochter aufzusetzen.

Diese Hochzeit wurde durch Feste und öffentliche Lustbarkeiten gefeiert. Der Arzt und der junge Mann, dem er so große Dienste geleistet hatte, blieben stets innig verbunden und genossen ihr ganzes Leben lang des vollkommensten Glücks.«

Als Scheherasade diese Geschichte geendigt hatte, sagte ihre Schwester Dinarsade zu ihr:

»Ich weiß nicht, meine Schwester, ob der Sultan von Indien meiner Meinung ist; aber mich dünkt, ich höre deine Erzählungen immer mit neuem Vergnügen.«

Der Sultan bezeugte, er dächte wie Dinarsade; und Scheherasade kündigte sogleich an, daß sie in der nächsten Nacht die Geschichte von Naama und Naam erzählen würde.

 


 << zurück weiter >>