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Geschichte der Adileh.

»Es war einmal in Arabien ein junger Seidenhändler, der eine der schönsten Frauen Asiens zur Gattin hatte; er hegte für sie die zärtlichste Liebe, und Adileh (so hieß diese junge Frau) schien dieselbe zu erwidern.

Eines Tages, als beide in den Ergießungen ihrer gegenseitigen Zärtlichkeit sich ihr Leid ausdrückten, daß sie sich dereinst durch den Tod getrennt sehen müßten, sprach der junge Kaufmann zu seiner Frau: »Wenn ich das Unglück hätte, dich zu verlieren, so würde ich die ganze Nacht über deinem Grabe weinen; das schwöre ich dir hier zu.«

»Und ich,« erwiderte ihm Adileh, »wäre ich so unglücklich, dich zu überleben, so würde ich mich auf deinem Grabe durch Hunger töten, wenn der Schmerz, der mich überwältigen würde, nicht stark genug wäre, uns wieder zu vereinigen.«

Kurze Zeit nach diesem Gespräch wurde Adileh von einer heftigen Krankheit befallen, welche sie ins Grab brachte. Der Kaufmann empfand einen sehr tiefen Schmerz über den Verlust seiner Gattin, und wie er ihr versprochen hatte, brachte er die Nacht unter Weinen und Seufzen bei ihr am Grabe zu. Er befand sich schon mehrere Stunden in dieser traurigen Lage, als beim Anbruche des Tages ein Geist, der auf dieser Begräbnisstätte hauste, sein Schluchzen hörte; er hatte Mitleid mit seiner tiefen Betrübnis und fragte ihn:

»Worüber bist du denn so trostlos?«

»Ach!« antwortete ihm der Kaufmann, »ich habe mein Teuerstes auf der Welt verloren: ich hatte eine Gattin, welche ich anbetete, und von welcher ich zärtlich geliebt wurde; die hat der unbarmherzige Tod mir jetzt geraubt.«

»Wenn ich sie nun wieder ins Leben riefe?« fragte der Geist.

»So würden meine heißesten Wünsche erfüllt werden,« sagte der Kaufmann.

»Wohlan, du sollst befriedigt werden,« antwortete der Geist. Zu gleicher Zeit nahte er sich dem Leichnam der Adileh, sprach einige geheimnisvolle Worte aus, und kaum begann sie, das Haupt zu erheben, da verschwand er augenblicklich.

Die junge Frau fragte ihren Mann, wie es geschehen, daß sie wieder ins Leben gerufen wäre, und dieser erzählte ihr alles, was vorgegangen war. Adileh bezeigte ihm in den stärksten Ausdrücken ihre Erkenntlichkeit und Zärtlichkeit und gelobte ihm, durch ihre Hingebung und Liebe ihre ewige Dankbarkeit zu beweisen.

»O meine Vielgeliebte,« erwiderte der junge Kaufmann, »ist es nicht schon der süßeste Lohn für mich, dich dem Leben und meiner Liebe wiedergeschenkt zu sehen? Laß uns nach unserer Wohnung heimeilen, um wieder ruhig des Glückes zu genießen, welches der Tod so grausam unterbrochen hatte.«

Bei diesen Worten bemerkte er, daß seine Frau kein anderes Gewand an hatte als das Leichentuch, in welches man sie gewickelt, und daß er ihr unumgänglich einige Kleidungsstücke holen müßte, um sie in den Stand zu setzen, durch die Stadt zu gehen: er lief also eilig nach Hause, um das Nötige herbeizuschaffen, und bat seine Frau, einige Augenblicke auf ihn zu warten.

Während nun der junge Kaufmann heimgegangen war, um Kleidungsstücke zur Bedeckung seiner Frau zu holen, kam der Sohn des Königs in Begleitung einiger Hofleute an dem Gottesacker vorbei. Die sonderbare Erscheinung der Adileh zog von ferne schon seine Blicke an; als er sich näherte, erkannte er, daß es ein reizendes Weib war, und als er sie noch genauer betrachtete, konnte er sich eines tiefen Eindrucks nicht erwehren. Einer der Hofleute, der seine Verwirrung bemerkte, gedachte dem Prinzen einen Dienst zu leisten, indem er ihm vorschlug, diese Schöne in seinen Palast zu führen, und sein Erbieten wurde mit Freuden angenommen.

»Indessen,« sprach der Prinz, »unterlaß nicht, dich zu erkundigen, ob sie nicht durch die Bande der Ehe gebunden ist; denn ich möchte nicht einem Manne seine Frau entführen. Sie würde sonst ohne Widerspruch die schönste meines Harems sein.«

Hierauf näherte der Höfling sich der Adileh, fragte sie, ob sie vermählt wäre, und machte ihr den Antrag, sie in den Palast des Prinzen zu führen.

»Herr,« antwortete die Frau des Kaufmanns, »ich nehme willig die Ehre an, welche der Prinz mir zu erweisen geruht. Herrin meiner Handlungen und niemand angehörig, kann ich ihm meine Hand reichen.«

Man bedeckte sie hierauf mit dem Pelze eines der Hofleute und führte sie nach dem Harem, wo sie mit den reichsten Gewändern bekleidet wurde.

 

Fünfhundertundsechsundfünfzigste Nacht.

Während alles dieses vorging, war der Kaufmann mit einem Hemde und Kaftan nach der Grabstätte geeilt, wo er seine Frau gelassen hatte: er sucht, ruft – niemand antwortet. Da konnte er seine Tränen nicht zurückhalten und ließ seinen Seufzern freien Lauf:

»Großer Gott,« rief er aus, »bin ich denn so unglücklich und muß vom Leide zur Freude übergehen, nur um von neuem derjenigen beraubt zu werden, die mein Glück ausmachte? Sollte sie in die Gewalt eines andern geraten sein? Ach, wenn das, was ich befürchte, wahr ist, so bin ich noch weit unglücklicher als zuvor. Ich zweifle nicht daran, ein Vorübergehender, von ihren Reizen entzündet, wird sie wider ihren Willen entführt haben. Ich sehe sie schon, wie sie mit ihrem Entführer ringt, meinen Beistand anfleht und nach mir um Hilfe ruft.«

Voll dieser traurigen Vorstellungen machte der unglückliche Kaufmann alle möglichen Anstrengungen, um den Räuber seiner Adileh zu entdecken, und endlich vernahm er, daß sie sich in dem Harem des Prinzen befände.

Ohne einen Augenblick zu verlieren, fliegt er nach dem Palast, wirft sich dem Prinzen zu Füßen und beschwört ihn, ihm seine geliebte Gattin wiederzugeben, welche er gefangen hielte.

»Was bedeutet diese Rede?« fragte ihn der Prinz; »niemals habe ich eine Frau wider ihren Willen entführt, niemals habe ich gar eine verheiratete Frau in meinen Harem aufgenommen.«

Und als der Kaufmann standhaft behauptete, daß seine geliebte Adileh sich in dem Palaste befinden müßte, fügte der Prinz hinzu:

»Höre, ich will wohl, um dich zu überzeugen, dich alle Frauen sehen lassen, welche sich in meinem Harem befinden: aber wehe dir, wenn du die Frau, welche du suchst, nicht darunter findest; denn du müßtest deine fürwitzige Neugier mit deinem Kopfe bezahlen.«

Der junge Kaufmann ließ sich gern diese Bedingung gefallen und erwiderte: »Ja! Prinz, und müßte ich tausend Leben aufopfern, um sie wiederzufinden, so würde ich sie ohne Bedenken für die zärtlichste, die liebevollste und treuste Gattin hingeben! Ach, Ihr kennet nicht den Schatz, welchen Euer Palast in sich schließt.«

Man ließ also alle Frauen des Harems vor den Augen des Kaufmanns vorübergehen, und auf die Fragen des Prinzen antwortete er verneinend, solange er die seinige nicht darunter sah; aber sobald er seine geliebte Adileh von ferne erblickte, rief er aus:

»Da ist sie, die ich verloren habe! Ich danke Euch, Herr, für Eure Güte.«

»Kennst du diesen Mann?« fragte der Prinz die junge Frau.

»Ich kenne ihn nur zu gut,« antwortete sie sogleich mit unverschämter Stirne; »geruhet, ihn aus meiner Gegenwart zu entfernen: der vor Euch steht, ist ein ehrloser Räuber; er ist es, der, nachdem er mich beraubt hatte, mich auf dem Gottesacker, wo Ihr mich gefunden habt, lebendig begraben wollte, als ich das Glück hatte, Euch anzutreffen. Bestrafet diesen Verbrecher nach der Strenge des Gesetzes, er verdient, gehängt zu werden.«

Der Schmerz, die Verwirrung und das Erstaunen verhinderten den jungen Kaufmann, den Mund zu öffnen, um sich zu rechtfertigen.

»So also, ehrloser Räuber,« sagte der Prinz zu ihm, »wagst du es, bis in meinen Palast zu dringen, um eine Frau in Anspruch zu nehmen, welche du lebendig hast begraben wollen? Du verdientest, unter den grausamsten Martern hingerichtet zu werden: aber, danke es meiner Güte, ich will mich begnügen, dich hängen zu lassen.«

Und als der Kaufmann versuchen wollte, sich zu entschuldigen, fuhr der Prinz fort: »Füge nicht noch die Lüge zu deinen Verbrechen; alles, was du sagen könntest, wäre unnütz. – Auf! man ergreife ihn auf der Stelle und hänge ihn ohne Barmherzigkeit: ihr haftet mir für seinen Kopf.«

Mit diesen Worten gibt er den Leuten seiner Umgebung ein Zeichen, und man schleppt den Unglücklichen zum Galgen, nachdem man ihm die Hände auf den Rücken gebunden hat.

Er war nahe daran, gehängt zu werden, als plötzlich der Geist, welcher ihm auf dem Gottesacker erschienen war, sich den Augen der erstaunten Menge sichtbar machte.

»Halt,« rief er dem Henker zu, »willst du einen Unschuldigen hinrichten!«

»Das zu untersuchen ist nicht unsere Sache,« erwiderten die Beamten des Prinzen; »wir haften mit unsern Köpfen für seine Hinrichtung, und der Wille unsers Herrn muß vollzogen werden.«

»Und ich,« entgegnete der Geist, »ich nehme alle Verantwortlichkeit auf mich; und wenn ich dem Prinzen werde die Wahrheit enthüllt haben, so zweifle ich nicht, daß er Gerechtigkeit handhaben wird.«

Die durch die Worte des Geistes eingeschüchterten Beamten ließen die Hinrichtung des jungen Kaufmanns aufschieben, und dieser begab sich mit seinem Befreier zum Prinzen.

»Herr,« sprach der Geist zu ihm, »Ihr seid durch die Treulosigkeit eines Weibes betrogen: Adileh ist wirklich die Gattin des hier vor Euch stehenden Kaufmanns, und auf seine Bitten hatte ich Ihr das Leben wiedergegeben: aber ein solches Weib ist unwürdig, länger der Wohltat zu genießen, welche ich ihr erwiesen hatte: sie sterbe auf der Stelle wieder! Ihren Mann anlangend, so hoffe ich, Herr, Ihr werdet ihm durch Widerrufung Eures Urteils Gerechtigkeit angedeihen lassen.« Mit diesen Worten verschwand der Geist.«

Als der Kalender seine Erzählung geendigt hatte, antwortete Selim ihm:

»Ihr kennet nicht den ganzen Umfang meines Unglücks; es scheint, daß ich vom Mißgeschicke verfolgt werde: eine erlauchte Geburt hatte mich zu der höchsten Bestimmung berufen, und ich sah mich plötzlich in den kläglichsten Zustand versetzt. In dem Augenblicke, wo ich, in mein Schicksal ergeben, das Glück wiedergefunden zu haben wähne, stürzt ein unerwartetes Ereignis mich abermals in einen Abgrund des Elends.«

»Herr,« antwortete der Kalender, »wie groß auch die Härte des Schicksals gegen Euch gewesen sein mag, doch kann es Euch schwerlich mehr mißhandelt haben als mich, und ich trage in meinem Antlitze das unvertilgbare Andenken eines der schmerzlichsten Unglücksfälle.«

Bei diesen Worten machte er Selim auf die Narbe einer tiefen Wunde an seiner rechten Wange aufmerksam.

»Diese Wunde,« fuhr er fort, »wird mir immerdar den schmerzlichsten Augenblick meines Lebens zurückrufen; und da meine Geschichte mit dazu dienen kann, Euren Schmerz zu lindern, so will ich sie Euch gern erzählen.«

Und nun begann der Kalender auf die Bitte des Prinzen folgendermaßen:

 


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