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Geschichte Marsawans und Fortsetzung der Geschichte Kamaralsamans.

Die Amme der Prinzessin von China hatte einen Sohn namens Marsawan, Milchbruder der Prinzessin, den sie mit ihr gesäugt und aufgezogen hatte. Beider Freundschaft war während ihrer Kindheit, solange sie beisammen waren, so groß gewesen, daß sie sich wie Bruder und Schwester behandelten, selbst nachdem ihr vorgerücktes Alter ihre Trennung notwendig gemacht hatte.

Unter mehreren Wissenschaften, wodurch Marsawan seit seiner frühsten Jugend seinen Geist gebildet, hatte seine Neigung ihn besonders zum Studium der Astrologie und Geomantie und anderer geheimer Wissenschaften hingezogen, und er hatte sich darin sehr geschickt gemacht. Nicht zufrieden mit dem, was er von seinen Lehrmeistern gelernt, hatte er sich, sobald er sich stark genug für die Beschwerden fühlte, auf Reisen begeben. Es war kein berühmter Mann in irgend einer Kunst und Wissenschaft, den er nicht in den entferntesten Städten aufgesucht und bei dem er sich nicht lange genug aufgehalten hätte, um von ihm alles zu lernen, was ihm zusagte.

Nach einer Abwesenheit von mehreren Jahren kam Marsawan endlich nach der Hauptstadt von China zurück, wo die über dem Stadttore, durch welches er hereinkam, aufgesteckten Köpfe ihn höchlich erstaunten. Sobald er wieder zu Hause war, fragte er, was dieselben bedeuteten, und vor allen Dingen erkundigte er sich nach der Prinzessin, seiner Milchschwester, die er nicht vergessen hatte. Da man seine erste Frage nicht beantworten konnte ohne die zweite, so vernahm er, was er verlangte, mit großem Schmerze, in Erwartung, daß seine Mutter, die Amme der Prinzessin, ihm mehr davon sagen würde.«

Scheherasade endigte hier für diese Nacht ihre Erzählung. Sie nahm dieselbe in der nächsten Nacht mit folgenden Worten wieder auf, indem sie sich zu dem Sultan von Indien wandte:

 

Zweihundertundneunundzwanzigste Nacht.

»Herr, obwohl die Amme, Marsawans Mutter, sehr beschäftigt bei der Prinzessin von China war, so hatte sie doch nicht sobald vernommen, daß ihr lieber Sohn wieder daheim wäre, als sie die Zeit wahrnahm, hinzugehen, ihn zu umarmen und sich einige Augenblicke mit ihm zu unterhalten.

Nachdem sie ihm mit Tränen in den Augen den kläglichen Zustand der Prinzessin und die Ursache, daß der König von China, ihr Vater, sie also behandelte, erzählt hatte, fragte Marsawan, ob sie ihm nicht dazu verhelfen könnte, sie heimlich zu sehen, ohne daß der König etwas davon erführe. Nachdem die Amme einige Augenblicke darüber nachgedacht hatte, sagte sie zu ihm:

»Mein Sohn, ich kann dir jetzt darüber nichts Bestimmtes sagen: aber erwarte mich morgen um dieselbe Stunde, und ich werde dir Antwort bringen.«

Da nun außer der Amme niemand sich der Prinzessin nähern durfte ohne Erlaubnis des Verschnittenen, der die Wache an der Türe befehligte, und die Amme wohl wußte, daß dieser erst kurze Zeit im Dienste und ihm noch unbekannt war, was am Hofe des Königs von China vorgegangen, so wandte sie sich an diesen und sprach zu ihm:

»Ihr wißt, daß ich die Prinzessin gesäugt und aufgezogen habe; aber vielleicht wißt Ihr nicht, daß ich sie zugleich mit einer Tochter von gleichem Alter gesäugt, die ich kürzlich verheiratet habe. Die Prinzessin, welche sie noch immer mit ihrer Liebe beehrt, möchte sie gern sehen; aber sie wünscht es auf solche Weise, daß niemand sie weder herein- noch hinausgehen sehe.«

Die Amme wollte noch weiter reden; aber der Verschnittene unterbrach sie und sagte zu ihr: »Schon genug; ich werde immer mit Vergnügen alles mögliche tun, der Prinzessin gefällig zu sein: laßt Eure Tochter kommen oder holet sie selber, wenn es Nacht ist, und führet sie herein, nachdem der König sich entfernt hat: die Türe soll ihr offen stehen.«

Sobald die Nacht anbrach, ging die Amme zu ihrem Sohne Marsawan. Sie selber verkleidete ihn als eine Frau, dergestalt, daß niemand ihn für einen Mann erkennen konnte, und führte ihn nach dem Palaste. Der Verschnittene, der nicht zweifelte, es wäre ihre Tochter, öffnete die Türe und ließ sie beide eintreten.

Bevor die Amme den Marsawan vorstellte, näherte sie sich der Prinzessin und sagte zu ihr: »Gebieterin, es ist nicht eine Frau, die Ihr hier sehet: es ist mein Sohn Marsawan, der neulich von seinen Reisen heimgekehrt ist, und den ich unter dieser Verkleidung hereingeführt habe. Ich hoffe, Ihr werdet ihm die Ehre vergönnen, Euch seine Ehrfurcht zu bezeigen.«

Bei Marsawans Namen äußerte die Prinzessin große Freude. »Kommt näher, mein Bruder,« sagte sie sogleich zu Marsawan, »und nehmet den Schleier ab: einem Bruder und einer Schwester ist es nicht verboten, sich mit unverhülltem Angesicht zu sehen.«

Marsawan begrüßte sie mit großer Ehrerbietung; aber ohne ihn zu Worte kommen zu lassen, fuhr die Prinzessin fort: »Ich bin erfreut, Euch so gesund wiederzusehen, nachdem Ihr so viele Jahre entfernt gewesen, ohne durch ein einziges Wort Nachricht von Euch zu geben, selbst nicht an Eure gute Mutter.«

»Prinzessin,« erwiderte Marsawan, »ich bin Euch unendlich verbunden für Eure Güte. Ich erwartete aber bei meiner Heimkehr bessere Nachricht von Euch als die mir mitgeteilte, welche ich mit der innigsten Betrübnis bestätigt sehe. Ich bin indessen sehr erfreut, noch zeitig genug angekommen zu sein, um nach so vielen andern, denen es mißlungen ist, Euch die so nötige Heilung zu bringen. Wenn diese auch nur die einzige Frucht meines Fleißes und meiner Reisen wäre, so würde ich mich schon für hinlänglich belohnt halten.«

Indem Marsawan diese Worte aussprach, zog er ein Buch hervor nebst andern Dingen, mit denen er sich versehen und die er auf den Bericht seiner Mutter von der Krankheit der Prinzessin für nötig erachtet hatte.

Diese aber, als sie solche Zurüstungen sah, rief aus: »Wie, mein Bruder, Ihr seid also auch einer von denjenigen, die sich einbilden, daß ich toll bin? Enttäuschet Euch und höret mich an!«

Und sie fuhr fort, indem sie folgende Verse aussprach:

»Sie sagen: Liebe habe meinen Verstand verrückt; ich aber antworte ihnen: Ist das nicht die wahre Wonne des Lebens, der Zustand, wo Liebe den Verstand raubet?

Beweiset mir meinen Wahnsinn und bringet mir den, der mich meines Verstandes beraubt hat. Teilet er meinen Wahnsinn, o! so scheltet mich nicht allein!«

Hierauf erzählte die Prinzessin dem Marsawan ihre ganze Geschichte, ohne den geringsten Umstand zu vergessen, bis auf den verwechselten Ring, welchen sie ihm zeigte.

»Ich habe Euch alles,« fügte sie hinzu, »ohne Entstellung erzählt. Es ist wahr, es liegt darin etwas, was ich nicht begreife, und was Anlaß zu wähnen gibt, ich sei nicht recht bei Sinnen: aber man achtet nicht auf das übrige, welches sich so verhält, wie ich sage.«

Als die Prinzessin geendigt hatte, stand Marsawan voll Verwunderung und Erstaunen eine Zeitlang mit niedergeschlagenen Augen, ohne ein Wort zu sagen. Endlich erhob er den Kopf, nahm das Wort und sprach:

»Prinzessin, wenn das, was Ihr mir erzählt habt, wahr ist, wie ich davon überzeugt bin, so verzweifle ich nicht, Euch die Genugtuung zu verschaffen, die Ihr verlangt. Ich bitte Euch nur, noch einige Zeit Euch mit Geduld zu waffnen, bis ich einige Königreiche durchreiset, die ich noch nicht besucht habe; und sobald Ihr meine Heimkehr vernehmet, so seid versichert, daß derjenige, nach dem Ihr so inbrünstig seufzt, nicht weit von Euch ist.«

Nach diesen Worten nahm Marsawan Abschied von der Prinzessin; und bei seinem Weggehen hörte er sie noch folgende Verse sagen:

»Meine Sehnsucht malet dein Bild in meinem Innersten, obgleich es schon lange ist, daß wir uns besuchten. – War es denn nur ein Besuch im Traume?

Zuweilen bringt die Hoffnung dich mir nahe: gleich einem Blitze, der in die Augen dringt.

O, zögere nicht länger! Du bist ja das Licht meiner Augen: solange du dich entfernt hältst, wird nichts um mich her helle werden!«

Gleich am folgenden Morgen reiste Marsawan ab. Er zog von Stadt zu Stadt, von Land zu Land, von Insel zu Insel, und überall, wo er hinkam, hörte er nur von der Prinzessin Badur (so hieß nämlich die Prinzessin von China) und von ihrer Geschichte.

Nach Verlauf von vier Monaten gelangte unser Reisender nach Torf, einer großen volkreichen Seestadt, wo er nicht mehr von der Prinzessin Badur, sondern von dem Prinzen Kamaralsaman und seiner Krankheit sprechen hörte, dessen Geschichte man fast auf ähnliche Weise erzählte wie jene der Prinzessin Badur.

Marsawan hatte hierüber eine unbeschreibliche Freude; er erkundigte sich, in welcher Gegend der Erde dieser Prinz lebte, und erfuhr es. Es gab dahin zwei Wege, der eine teils zu Lande und teils zur See und der andere kürzere ganz zur See.

Marsawan wählte diesen letzten Weg und schiffte sich auf einen Kauffahrer ein, der eine sehr glückliche Fahrt hatte, bis sie ins Angesicht der Hauptstadt von Schachsamans Königreich kamen. Aber vor der Einfahrt in den Hafen stieß durch Ungeschicklichkeit des Lotsen das Schiff unglücklicherweise auf einen Felsen. Es scheiterte und ging zu Grunde im Angesicht und in der Nähe des Schlosses, das der Prinz Kamaralsaman bewohnte, und wo damals auch der König Schachsaman, sein Vater, mit seinem Großwesir sich befand.

Marsawan konnte meisterlich schwimmen; er säumte nicht, ins Meer zu springen, und erreichte das Ufer am Fuße des königlichen Schlosses, wo er auf Befehl des Großwesirs nach dem Willen des Königs aufgenommen und ihm Hilfe gereicht wurde. Man gab ihm trockene Kleider und bewirtete ihn wohl; und als er sich wieder erholt hatte, führte man ihn vor den Großwesir, der befohlen hatte, ihn zu ihm zu bringen.

Da Marsawan ein sehr wohlgebildeter junger Mann von gutem Aussehen war, so nahm der Minister ihn freundlich auf und faßte nach seinen angemessenen und geistvollen Antworten auf alle Fragen, welche er ihm tat, eine große Hochachtung für ihn; er bemerkte selbst allmählich, daß er tausend schöne Kenntnisse besaß. Dies bewog ihn, zu sagen:

»Aus Euren Reden ersehe ich, daß Ihr kein gemeiner Mensch seid, wollte Gott, daß Ihr auf Euren Reisen irgend ein Mittel erlernt hättet, einen Kranken zu heilen, der schon lange Zeit diesen Hof in große Betrübnis versetzt.«

Marsawan antwortete, wenn er die Krankheit wüßte, von welcher diese Person befallen wäre, so fände er vielleicht ein Mittel dagegen.

Der Großwesir beschrieb ihm nun den Zustand, worin der Prinz sich befand, und erzählte die Sache von Anfang her. Er verschwieg ihm nichts von seiner so heiß ersehnten Geburt, seiner Erziehung, dem Wunsche des Königs, ihn frühzeitig zu vermählen, seinem Ungehorsam in der Ratsversammlung, seiner Gefangenschaft, seinen ausschweifenden Behauptungen darin, die sich in eine heftige Leidenschaft für ein unbekanntes Fräulein verwandelt, die keinen andern Grund hätte als einen Ring, den der Prinz für den Ring dieses Fräuleins ausgäbe, welches vielleicht gar nicht in der Welt wäre.

Bei dieser Erzählung des Großwesirs freute Marsawan sich unendlich, daß das Unglück seines Schiffbruches ihn glücklicherweise dorthin geführt hatte, wo der sich befand, den er suchte. Er erkannte außer allem Zweifel, daß der Prinz Kamaralsaman derjenige wäre, für den die Prinzessin von China in Liebe entbrannte, und daß diese Prinzessin der Gegenstand der heißen Sehnsucht des Prinzen wäre. Er äußerte sich darüber nicht gegen den Großwesir; er sagte ihm nur, wenn er den Prinzen sähe, so würde er besser beurteilen können, wie ihm zu helfen wäre.

»Folget mir,« sagte hierauf der Großwesir, »Ihr werdet bei ihm den König finden, der mir schon angedeutet hat, daß er Euch sehen will.«

Das erste, was Marsawan beim Eintritt in das Zimmer auffiel, war der Anblick des Prinzen in seinem Bette, hinsterbend, mit geschlossenen Augen. Obwohl derselbe in solchem Zustande war, konnte sich Marsawan doch nicht enthalten, ohne Rücksicht auf den König Schachsaman, des Prinzen Vater, der neben seinem Bette saß, noch auf den Prinzen selber, den diese Freiheit stören konnte, auszurufen: »Beim Himmel, nichts auf der Welt kann ähnlicher sein!« Er wollte sagen, daß er ihn der Prinzessin von China ähnlich fände. Und in der Tat hatten beide viel Ähnlichkeit in den Gesichtszügen.

Diese Worte Marsawans erregten die Neugier des Prinzen Kamaralsaman; er schlug die Augen auf und sah ihn an. Marsawan, der ungemein viel Geist hatte, benutzte diesen Augenblick und begrüßte ihn auf der Stelle in Versen, aber auf eine so versteckte Weise, daß der König und der Großwesir nichts davon verstanden. Seine Worte waren folgende:

»Ich sehe dich in Kummer vergraben, und Seufzer des Grames höre ich von dir!

Hat Liebe sich deiner bemächtigt, oder bist du von Pfeilen (der Augen) getroffen worden? Denn der Schmerz, den ich an dir bemerke, hat nur in Sehnsucht seinen Grund. –

Erwähne mir ja nichts von nächtlichen Besuchen: denn der Mund des mir Erzählenden würde mich schon eifersüchtig machen.

Denn schon ihre Kleider beneide ich, weil sie ihren schönen Leib umgeben, und den Becher mit Getränk, wenn sie ihn an ihren Mund bringt.

Verwundet bin ich, doch nicht von einem Schwerte, sondern von Blicken, die gleich Pfeilen in mich drangen.

Bis wir endlich nach langer Trennung uns wiedersahen, war ich erstaunt, ihre Fingerspitzen mit dem Safte des Drachenblutes gefärbt zu sehen.

»Ach,« sagte ich zu ihr, »wie kannst du, wenn ich ferne von dir bin, deine Hände noch färben? Ist das der Lohn eines von Kummer bedrängten, gepeinigten Liebenden?« –

»Bei deinem Leben,« antwortete sie mir, »das ist nicht Farbe, womit ich meine Finger gefärbt habe; laß dich durch diesen Schein nicht trügen und in noch größeren Kummer versetzen.

Wisse, als ich dich ferne von mir sah, der du doch mein Alles wärest, so ist heute – da ich keine Tränen mehr hatte – Blut meinen Augen entquollen: und als ich diese Tränen mit meiner Hand abwischte, da fand ich meine Fingerspitzen vom Blute gefärbt.« –

O, schilt mich nicht, daß ich sie liebe, denn diese Liebe verursacht mir viel Schmerzen;

Denn Schönheit sondergleichen hat ihr Antlitz geschmückt, und in keinem Lande haben meine Augen etwas Ähnliches gesehen.

Schön gestaltet und anmutig ist sie: ihre Wangen sind Rosen, und ihr Mund ist Wohlgeruch.

Sie hat die Schönheit Josephs und die Weisheit Lokmans, den Scharfsinn Davids und die Keuschheit Marias.

Ich aber empfinde den Schmerz Jakobs, die Angst des Jonas, die Qualen Hiobs und die Reue Adams!«

So schilderte Marsawan dem Prinzen so deutlich, was diesem mit der Prinzessin von China begegnet war, daß es ihm keinen Zweifel übrig ließ, er kennte sie und könnte ihm von ihr Nachricht geben. Er empfand darüber eine Freude, die er sogleich in seinen Augen und auf seinem Antlitz sichtbar werden ließ ...«

Die Sultanin Scheherasade hatte nicht Zeit, in dieser Nacht noch mehr davon zu erzählen. Der Sultan aber ließ sie in der folgenden Nacht ihre Erzählung wieder aufnehmen und also zu ihm sprechen:

 

Zweihundertunddreißigste Nacht.

»Herr, als Marsawan seine poetische Anrede geendigt hatte, die den Prinzen Kamaralsaman so angenehm überraschte, nahm der Prinz sich die Freiheit, dem Könige, seinem Vater, ein Zeichen zu geben, er möchte doch seinen Platz verlassen und erlauben, daß Marsawan ihn einnähme.

Der König, voller Freuden, in dem Prinzen, seinem Sohn, eine Veränderung wahrzunehmen, welche ihm gute Hoffnung gab, stand auf, faßte Marsawan bei der Hand und nötigte ihn, dieselbe Stelle einzunehmen, welche er soeben verlassen hatte. Er fragte ihn, wer er wäre, und woher er käme; und nachdem Marsawan ihm geantwortet hatte, er wäre ein Untertan des Königs von China und käme aus dessen Staaten, sagte er:

»Wollte Gott, daß du meinen Sohn von der Schwermut befreitest; ich würde dir dafür unendlich verpflichtet sein, und die Beweise meiner Dankbarkeit sollten so auffallend sein, daß alle Welt erkennen würde, nie wäre ein Dienst besser belohnt worden.«

Nach diesen Worten ließ er den Prinzen, seinen Sohn, sich ungehindert mit Marsawan unterhalten und freute sich unterdessen mit seinem Großwesir über ein so glückliches Begegnis.

Marsawan näherte sich dem Ohre des Prinzen Kamaralsaman und sprach leise zu ihm: »Prinz, es ist endlich Zeit, daß Ihr aufhöret, Euch so jämmerlich zu betrüben. Die Schöne, für welche Ihr leidet, ist mir bekannt: es ist die Prinzessin Badur, Tochter des Königs von China, der Ghaïur heißt. Ich kann Euch versichern nach dem, was sie selber mir von ihrem Abenteuer erzählt hat, und nach dem, was ich schon von dem Euren vernommen habe, die Prinzessin leidet nicht weniger aus Liebe für Euch, als Ihr aus Liebe für sie leidet.«

Er erzählte ihm hierauf alles, was er von der Geschichte der Prinzessin wußte, seit der verhängnisvollen Nacht, in welcher sie sich auf eine so außerordentliche Weise gesehen hatten. Er vergaß nicht, wie der König von China diejenigen behandelte, die vergeblich die Heilung der Prinzessin Badur von ihrer vermeintlichen Tollheit unternehmen. »Ihr seid der einzige,« setzte er hinzu, »der sie vollkommen heilen und sich ohne Furcht dazu erbieten kann. Aber bevor Ihr eine so weite Reise unternehmet, müßt Ihr wieder gesund sein: alsdann wollen wir die nötigen Maßregeln ergreifen. Denket also unverzüglich auf die Herstellung Eurer Gesundheit.«

Die Worte Marsawans taten eine mächtige Wirkung; der Prinz Kamaralsaman wurde durch die daraus geschöpfte Hoffnung dermaßen getröstet, daß er sich stark genug fühlte, aufzustehen, und den König, seinen Vater, um die Erlaubnis sich anzukleiden bat mit einer solchen Miene, die diesen in unbeschreibliche Freude versetzte.

Der König umarmte Marsawan zum Danke dafür, und ohne sich nach dem Mittel zu erkundigen, dessen er sich zu einer so überraschenden Wirkung bedient hatte, ging er sogleich mit dem Großwesir aus dem Zimmer des Prinzen, um diese erfreuliche Neuigkeit kund zu machen. Er stellte mehrtägige Freudenfeste an; er gab seinen Beamten und dem Volke reiche Geschenke und Almosen den Armen und ließ alle Gefangenen frei. Kurz, die ganze Hauptstadt erscholl von Freuden und Fröhlichkeit und bald auch das ganze Reich des Königs Schachsaman.

Der Prinz Kamaralsaman, so äußerst entkräftet er durch das stete Wachen und durch die lange Enthaltung fast aller Nahrungsmittel war, erlangte jedoch bald seine vorige Gesundheit wieder.

Als er sich genugsam hergestellt fühlte, die Beschwerlichkeiten der Reise zu ertragen, nahm er Marsawan beiseite und sagte zu ihm: »Lieber Marsawan, es ist Zeit, das Versprechen auszuführen, das Ihr mir getan habt. Bei meiner Ungeduld, die reizende Prinzessin zu sehen und ihre unerhörten Leiden zu enden, welche sie aus Liebe zu mir duldet, fühle ich wohl, daß ich in denselben Zustand zurückfallen werde, worin Ihr mich gefunden habt, wenn wir nicht sofort abreisen. Eins nur bekümmert mich und läßt mich Aufschub fürchten. Das ist die ungestüme Zärtlichkeit des Königs, meines Vaters, der sich niemals wird entschließen können, mir die Erlaubnis zur Entfernung von ihm zu geben. Das wird mich untröstlich machen, wenn Ihr nicht ein Mittel dafür findet. Ihr seht selber, daß er mich fast nicht aus den Augen läßt.« Bei diesen Worten konnte der Prinz seine Tränen nicht zurückhalten.

»Prinz,« antwortete Marsawan, »ich habe das große Hindernis, von dem Ihr sprecht, schon vorausgesehen: es ist meine Sache, es so einzurichten, daß es uns nicht aufhalte. Die vornehmste Absicht meiner Reise war, die Prinzessin von China von ihrem Leiden zu befreien; dazu bewog mich die gegenseitige Freundschaft, die wir fast seit unserer Geburt füreinander hegen, und der Diensteifer und die Ergebenheit, die ich ihr sonst schuldig bin. Ich würde meine Pflicht verletzen, wenn ich nicht zu ihrem Troste und zugleich zu dem Eurigen diese Gelegenheit dazu benutzte und nicht alle Geschicklichkeit anwendete, die ich besitze. Höret also, was ich ersonnen habe zur Wegräumung der Schwierigkeit, die Erlaubnis des Königs, Eures Vaters, zu erhalten, so wie wir beide sie wünschen. Ihr seid, solange ich hier bin, noch nicht ausgegangen: äußert Eurem Vater den Wunsch, frische Luft zu schöpfen, und bittet ihn um die Erlaubnis zu einer Jagd von zwei oder drei Tagen mit mir: es ist nicht wahrscheinlich, daß er sie Euch versagen wird. Wenn er sie Euch bewilligt, so gebet Befehl, für jeden von uns zwei gute Pferde bereitzuhalten, eins zum Reiten, das andere zum Unterlegen, und laßt mich für das übrige sorgen.«

Am folgenden Morgen nahm der Prinz Kamaralsaman seine Zeit wahr: er bezeigte seinem Vater seine Lust, der frischen Luft zu genießen, und bat ihn um die Erlaubnis, einen Tag oder zwei mit Marsawan aus die Jagd zu reiten. »Ich bewillige es gern,« antwortete der König, »jedoch nur unter der Bedingung, daß du nicht mehr als eine Nacht ausbleibest. Zuviel Anstrengung gleich anfangs möchte dir schaden, und eine längere Abwesenheit würde mir Sorge machen. Denn ich befinde mich in dem Zustande, welchen der Dichter beschreibt:

»Wenn ich mit aller Glückseligkeit umgeben wäre und besäße das Reich der Chosroën, ja die Welt:

Doch würde dies alles in meinen Augen nicht den Wert der Flügel einer Mücke haben, wenn ich dich nicht sähe.«

Der König befahl, die besten Pferde für ihn auszusuchen, und sorgte selber dafür, daß ihm nichts fehlte. Als alles bereit war, umarmte er ihn, und nachdem er ihn in Marsawans besondere Obhut befohlen, ließ er ihn reiten.

Als der Prinz Kamaralsaman und Marsawan ins Freie kamen, stellten sie zum Scheine für die beiden Reitknechte, die ihre Handpferde führten, eine Jagd an und entfernten sich von der Stadt so weit als möglich.

Beim Anbruche der Nacht kehrten sie in eine Karawanserei ein, wo sie zum Abend speisten und ungefähr bis Mitternacht schliefen. Marsawan, der zuerst erwachte, weckte auch den Prinzen Kamaralsaman, nicht aber die Reitknechte. Er bat den Prinzen, ihm sein Kleid zu geben und ein anderes anzuziehen, das einer der Reitknechte getragen hatte. Sie bestiegen beide die mitgebrachten Handpferde; und nachdem Marsawan noch eins von den Pferden der Knechte beim Zaume genommen hatte, machten sie sich auf den Weg und jagten in vollem Laufe davon.

Beim Anbruche des Tages befanden sich die beiden Reiter in einem Walde aus einem Kreuzwege. An dieser Stelle bat Marsawan den Prinzen, ihn einen Augenblick zu erwarten, und ritt in den Wald hinein, hier tötete er das Pferd des Reitknechts, zerriß das Kleid, welches der Prinz abgelegt hatte, und färbte es mit Blut, und als er zu dem Prinzen zurückkam, warf er es mitten hin auf den Kreuzweg.

Der Prinz Kamaralsaman fragte Marsawan, was er damit beabsichtigte. »Prinz,« antwortete Marsawan, »sobald der König, Euer Vater, Euch diesen Abend nicht zurückkommen sieht oder von den Reitknechten erfährt, daß wir sie verlassen haben, während sie schliefen, so wird er nicht unterlassen, Leute auszusenden, um uns aufzusuchen. Die nun hierher kommen und dieses blutige Kleid finden, werden nicht zweifeln, daß ein wildes Tier Euch erwürgt habe, und daß ich aus Furcht vor seinem Zorn entflohen sei. Der König, nach ihrem Berichte Euch nicht mehr am Leben wähnend, wird bald aufhören, Euch suchen zu lassen, und so uns Zeit geben, unsere Reise fortzusetzen ohne Furcht vor Verfolgung. Diese Vorkehrung ist freilich hart, einen Vater, der seinen Sohn so zärtlich liebt, auf einmal durch die Nachricht seines Todes so grausam zu erschrecken: aber die Freude des Königs, Eures Vaters, wird umso größer sein, wenn er vernimmt, daß Ihr noch am Leben und glücklich seid.«

»Braver Marsawan,« erwiderte der Prinz Kamaralsaman, »ich kann deine sinnreiche Erfindung nicht anders als billigen und bin dir dafür aufs neue verpflichtet.«

Der Prinz und Marsawan, die sich mit kostbaren Juwelen für ihre Ausgaben versehen hatten, setzten nun ihre Reise zu Lande und zu Wasser fort und fanden keinen anderen Aufenthalt als die Länge der Zeit, die sie dazu anwenden mußten.

Endlich erreichten sie die Hauptstadt von China, wo Marsawan mit dem Prinzen, anstatt ihn in sein Haus zu führen, in einem öffentlichen Gasthause abstieg. Sie blieben hier drei Tage, um sich von den Anstrengungen der Reise auszuruhen, und während dieser Zeit ließ Marsawan zur Verkleidung des Prinzen ein Sterndeuterkleid machen. Nach Verlauf der drei Tage gingen beide zusammen ins Bad, wo Marsawan den Prinzen das Sterndeuterkleid anlegen ließ. So ging er mit ihm aus dem Bade und führte ihn bis an den Palast des Königs von China, wo er ihn verließ, um hinzugehen und seiner Mutter, der Amme der Prinzessin Badur, seine Ankunft zu melden, damit sie die Prinzessin davon benachrichtigte ...«

Bis hierher war die Sultanin Scheherasade gekommen, als sie bemerkte, daß der Tag schon angebrochen war; sie hörte sogleich auf zu erzählen. In der folgenden Nacht fuhr sie fort und sagte zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundeinunddreißigste Nacht.

»Herr, der Prinz Kamaralsaman, durch Marsawan von allem unterrichtet, was er tun sollte, und mit allem versehen, was zu einem Sterndeuter und dessen Kleidung gehörte, ging bis an das Tor des Palastes des Königs von China; hier stand er still und rief in Gegenwart der Wache und der Türhüter mit lauter Stimme aus:

»Ich bin ein Sterndeuter und komme zur Heilung der erhabenen Prinzessin Badur, Tochter des großmächtigen Herrschers Ghaïur, Königs von China, unter den von Seiner Majestät bestimmten Bedingungen, nämlich sie zu heiraten, wenn es mir gelingt, oder das Leben zu verlieren, wenn es mir mißlingt.«

Außer der Wache und den Türhütern des Königs versammelte diese Neuigkeit auch in einem Augenblick eine unzählige Volksmenge um den Prinzen Kamaralsaman. Denn es war schon lange Zeit vergangen, daß sich weder Arzt, noch Sterndeuter, noch Zauberer gemeldet hatten, nachdem so viele in dieser Unternehmung verunglückt waren und durch ihr tragisches Beispiel abschreckten. Man glaubte, es gäbe nicht mehr dergleichen Leute in der Welt, oder doch nicht so törichte.

Bei dem guten Aussehen des Prinzen, seinem edlen Anstande und der großen Jugend, die sein Antlitz verriet, war keiner, dessen Mitleid er nicht erregte. »Wo denkt Ihr hin, Herr?« sagten die ihm zunächst Stehenden zu ihm. »Welche Raserei treibt Euch, ein Leben, das so schöne Hoffnungen verheißt, einem gewissen Tode auszusetzen? Die abgehauenen Häupter, die Ihr über den Toren gesehen, haben sie Euch nicht abgeschreckt? Um Gottes willen, gebet diesen verzweifelten Vorsatz auf und entfernet Euch.«

Der Prinz Kamaralsaman blieb standhaft bei allen diesen Vorstellungen; und als er niemand kommen sah, ihn hineinzuführen, so wiederholte er, anstatt auf diese Ermahnungen zu achten, denselben Ausruf mit einer Zuversicht, die alle mit Grauen erfüllte; und alle riefen nun aus: »Er ist entschlossen zu sterben: Gott erbarme sich seiner Jugend und seiner Seele!«

Er rief mit lauter Stimme zum dritten Male, und endlich kam der Großwesir selber im Namen des Königs von China.

Dieser Minister führte Kamaralsaman vor den König. Sobald der Prinz diesen, auf seinem Throne sitzend, erblickte, warf er sich nieder und küßte den Boden vor ihm. Der König, der unter allen, deren übermäßiger Ehrgeiz ihre Häupter zu seinen Füßen brachte, noch keinen seiner Aufmerksamkeit würdig befunden, hatte ein wahrhaftes Mitleid mit Kamaralsaman. Er erzeigte ihm auch mehr Ehre, ließ ihn nähertreten und sich neben ihn setzen. »Jüngling,« sagte er zu ihm, »ich kann kaum glauben, daß du in deinem Alter dir schon Erfahrung genug erworben habest, um es zu wagen, die Heilung meiner Tochter zu unternehmen. Ich wünschte, daß es dir gelänge, und würde sie dir nicht allein ohne Widerwillen, sondern sogar mit der größten Freude von der Welt zur Gemahlin geben, anstatt daß ich sie einem jeglichen von denen, die vor dir hergekommen sind, nur mit großem Mißvergnügen gegeben hätte. Aber ich erkläre dir mit großem Schmerze, daß, wenn es dir fehlschlägt, deine große Jugend und dein edles Wesen mich noch nicht abhalten sollen, dir den Kopf abhauen zu lassen.«

»Herr,« erwiderte Kamaralsaman, »ich danke Eurer Majestät unendlich für die mir erwiesene Ehre und für so viel Güte gegen einen Unbekannten. Ich bin aber aus einem so weit entlegenen Lande, daß vielleicht sein Name nicht einmal in Eurem Reiche bekannt ist, nicht gekommen, um die Absicht, die mich hergebracht hat, unausgeführt zu lassen. Was würde man von meinem Leichtsinne sagen, wenn ich nach so viel überstandenen Mühseligkeiten und Gefahren ein so ruhmwürdiges Unternehmen aufgäbe? Würde Euer Majestät selber nicht die Achtung verlieren, die sie jetzt für mich gefaßt hat? Wenn ich sterben muß, Herr, so sterbe ich doch mit der Genugtuung, diese mir erworbene Achtung nicht wieder verloren zu haben. Ich flehe Euch also, lasset mich nicht länger in der Ungeduld, die Sicherheit meiner Kunst durch einen Beweis darzutun, den ich bereit bin davon abzulegen.«

Der König von China befahl nun dem die Prinzessin Badur bewachenden Verschnittenen, der gegenwärtig war, den Prinzen Kamaralsaman zu der Prinzessin, seiner Tochter, zu führen. Bevor er ihn weggehen ließ, sagte er ihm, daß es ihm noch freistünde, die Unternehmung aufzugeben. Aber der Prinz hörte nicht darauf, sondern folgte dem Verschnittenen mit einer erstaunlichen Entschlossenheit oder vielmehr Hitze.

Der Verschnittene führte den Prinzen Kamaralsaman hin; und als sie in eine lange Galerie kamen, an deren Ende das Gemach der Prinzessin war, und der Prinz sich derjenigen so nahe sah, die ihm so viel Tränen gekostet, und nach welcher er so lange unaufhörlich geseufzt hatte, da beschleunigte er seine Schritte und eilte dem Verschnittenen zuvor.

Der Verschnittene eilte ihm nach und konnte ihn kaum wieder einholen. »Wo lauft Ihr denn so eilig hin?« sprach er zu ihm, indem er ihn beim Arme festhielt. »Ihr könnt doch ohne mich nicht hinein. Ihr müßt wohl große Lust zu sterben haben, da Ihr so eilig in den Tod rennt. Nicht einer von so vielen Sterndeutern, die ich hier gesehen und dahin geführt habe, wo Ihr nur zu früh hinkommen werdet, hat eine solche Eile bezeigt.«

Der Prinz Kamaralsaman sah den Verschnittenen an und sprach folgende Verse aus, indem er seine Gedanken auf die Prinzessin Badur richtete:

»Ich kenne alle deine Schönheiten, sie haben mich fast des Verstandes beraubt und ganz bezaubert, und ich weiß nicht, was ich sagen soll.

Wenn ich dich Vollmond (Beder) nenne, so ist der Ausdruck unrichtig: denn die Vollmonde (Badur) sind dem Abnehmen unterworfen, deine Schönheit aber bleibt stets unvermindert.

Nenne ich dich Sonne, so weiß ich, daß deine Schönheit nie von meinen Augen weicht, während die Sonne sich bei Sonnenfinsternissen meinen Blicken entzieht.

Vollkommen, ohne Mangel, sind deine Schönheiten: sie zu beschreiben ist der Beredsamste unfähig und der Verständigste zu schwach!« –

»Mein Freund,« fuhr der Prinz fort, indem er sich zu dem Verschnittenen wandte und in seinem Schritte fortging, »die Sterndeuter, von denen du redest, waren ihrer Kunst nicht gewiß, wie ich es der meinigen bin. Sie wußten wohl mit Gewißheit, daß sie das Leben verlieren würden, wenn es ihnen mißlänge, aber nicht, daß es ihnen gelingen würde. Deshalb hatten sie Ursache zu zittern, indem sie dem Orte nahten, wohin ich jetzt gehe, und wo ich gewiß bin, mein Glück zu finden.«

Bei diesen Worten erreichten sie die Türe. Der Verschnittene öffnete sie und führte den Prinzen in einen großen Saal, von wo man in das Zimmer der Prinzessin trat, welches nur durch einen Türvorhang geschlossen war.

Der Prinz Kamaralsaman stand hier, bevor er eintrat, noch still, und indem er etwas leiser sprach als bisher, damit er im Zimmer der Prinzessin nicht gehört würde, sagte er zu dem Verschnittenen: »Um dich zu überzeugen, daß weder Anmaßung, noch Eigensinn, noch jugendliche Hitze bei meinem Unternehmen obwalten, so lasse ich dir die Wahl: willst du lieber, daß ich die Prinzessin in deiner Gegenwart heile oder von hier aus, ohne weiter zu gehen und ohne sie zu sehen?«

Der Verschnittene war höchst erstaunt über die Zuversicht, mit welcher der Prinz zu ihm sprach. Er hörte auf, ihn zu verspotten, und sagte ernsthaft zu ihm: »Es ist gleichviel, ob hier oder dort. Auf welche Weise es auch geschehe, Ihr werdet Euch einen unsterblichen Ruhm erwerben, nicht allein an diesem Hofe, sondern sogar auf der ganzen bewohnten Erde.«

»Es ist also besser,« fuhr der Prinz fort, »wenn ich die Prinzessin heile, ohne sie zu sehen, damit du von meiner Geschicklichkeit Zeugnis ablegest. Wie groß auch meine Ungeduld ist, eine so erhabene Prinzessin zu sehen, die mir zur Gemahlin bestimmt ist, dennoch will ich um deinetwillen mich noch einige Augenblicke dieses Vergnügens berauben.«

Da er mit allem versehen war, was zu einem Sterndeuter gehört, zog er sein Schreibzeug hervor und schrieb folgenden Brief an die Prinzessin von China:

 

Brief des Prinzen Kamaralsaman an die Prinzessin Badur.

»Gegenwärtiges ist der Brief eines Menschen, den Unglück verfolgt, den unglückliche Liebe verzehrt, den Trostlosigkeit und Kummer vor Sehnsucht vernichten: am Leben möchte er verzweifeln und den Tod für gewiß halten! Für sein betrübtes Herz ist keine Hilfe wegen des allzu großen Grames, und für sein stets wachendes Auge ist keine Ruhe wegen des übergroßen Kummers; den Tag über ist er in Flammen, während der Nacht in Qualen. Sein Unglück flößt ihm folgende Worte ein:

»Ich schreibe dir mit einem Herzen, welches von deinem Andenken schmerzlich erfüllt ist, und mit Augen, welche die Sehnsucht ausgetrocknet hat, denn sonst würden sie weinen können!

Mit einem Leibe, dessen tägliches Gewand der Schmerz der heftigsten Liebe geworden ist, so daß meine gewöhnlichen Kleider mir nicht mehr passen.

Die Liebe selbst Klage ich an wegen dessen, was sie mir getan hat, denn länger kann ich ihre Schläge nicht mehr ertragen.

Sei doch endlich geneigt gegen mich, erbarme dich mein, sei mir günstig, nimm in deinen Schutz einen Jüngling, dessen Innerstes schon ganz zerstört ist.«

Unter diesen Brief schrieb er noch folgendes:

»Heilung der Herzen ist nur bei Wiedervereinigung der Geliebten, und die schrecklichste der Qualen ist die Trennung der Liebenden. Wer seinen Geliebten hintergeht, von dem wird Gott Rechenschaft fordern; und wer von uns beiden sein Gelübde nicht hält, möge der nie seine Wünsche erreichen! – Von dem erhältst du diesen Brief, der sich nicht zu nennen braucht, um erkannt zu werden; an die Schönste und Lieblichste der Mädchen ist er gerichtet, vom treuen Liebenden an die Perle der Jungfrauen. Ihr sende ich einen Gruß! ihr wünsche ich Heil und Segen aus den unerschöpflichen Quellen der Wohltaten Gottes: ihr, bei der mein Herz und meine Seele ist!«

Von außen schrieb er auf diesen Brief noch folgende Verse:

»Forsche in meinem Briefe und in meinen Schriftzügen nach; sie werden dich von meinem Zustande und meinen Leiden benachrichtigen.

Während meine Hand schrieb, rannen die Tränen aus meinen Augen auf das Papier, wo meine Feder diese Spuren meines Schmerzes antraf.

Sei mir also huldreich, gewogen und günstig! Ich sende dir hiermit deinen Ring, sende du mir auch den meinigen.«

*

Als der Prinz Kamaralsaman den Brief vollendet hatte, machte er daraus ein Päckchen mit dem Ringe der Prinzessin, welchen er darein wickelte, ohne den Verschnittenen sehen zu lassen, was es wäre, und indem er es ihm übergab, sagte er zu ihm: »Hier, Freund, nimm dies Päckchen und bringe es deiner Gebieterin. Wenn sie nicht augenblicklich geheilt ist, sobald sie diesen Brief gelesen und gesehen hat, was darin liegt, so erlaube ich dir, öffentlich kund zu machen, daß ich der nichtswürdigste und unverschämteste aller Sterndeuter bin, die je gewesen sind, noch sind und sein werden ...«

Der Tag, den die Sultanin Scheherasade bei diesen Worten anbrechen sah, nötigte sie, hier stehenzubleiben. Sie fuhr in der folgenden Nacht fort und sprach zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundzweiunddreißigste Nacht.

»Herr, der Verschnittene trat in das Zimmer der Prinzessin von China, und indem er ihr das Päckchen überreichte, welches der Prinz Kamaralsaman ihr sandte, sagte er: »Prinzessin, ein Sterndeuter, der verwegener ist als alle anderen, wenn ich mich nicht irre, kommt soeben an und behauptet, Ihr werdet geheilt sein, sobald Ihr diesen Brief gelesen und gesehen habt, was darin ist. Ich wünsche, daß er weder ein Lügner noch ein Betrüger sein möge.«

Die Prinzessin Badur nahm den Brief und öffnete ihn mit großer Gleichgültigkeit; aber sobald sie ihren Ring erblickte, so nahm sie sich kaum noch die Zeit, ihn durchzulesen. Sie sprang mit Ungestüm auf, zerriß die Kette, die sie festhielt, lief nach der Türe und öffnete den Vorhang. Sie erkannte den Prinzen, der Prinz erkannte sie, und beide stürzten aufeinander zu und umarmten sich zärtlich; und im Übermaße der Freude keiner Worte fähig, blickten sie sich lange schweigend an voll Verwunderung, wie sie sich nun nach ihrer ersten Zusammenkunft wiedersähen, von welcher sie nichts begreifen konnten.

Die Amme, die mit der Prinzessin herbeigelaufen war, ließ beide in das Zimmer treten, wo Badur dem Prinzen ihren Ring zurückgab und dabei sagte: »Nehmet ihn wieder hin, ich könnte ihn nicht behalten, ohne Euch den Eurigen zurückzugeben, den ich mein Lebelang behalten will: weder der eine noch der andere kann in besseren Händen sein.«

Der Verschnittene war unterdessen eilig hingegangen, dem Könige von China den neuen Vorgang zu melden. »Herr,« sagte er zu ihm, »alle Sterndeuter, Ärzte und andere, die bisher die Heilung der Prinzessin unternommen haben, waren nur Unwissende. Der zuletzt Angekommene hat sich weder eines Zauberbuches bedient, noch Geisterbeschwörungen, noch Räucherwerks und anderer Dinge: er hat sie geheilt, ohne sie zu sehen.«

Hieraus erzählte er ihm die Art und Weise; und der König, so angenehm überrascht, kam sogleich in das Zimmer der Prinzessin und umarmte sie; desgleichen umarmte er den Prinzen, nahm dessen Hand, und indem er sie in die Hand seiner Tochter legte, sagte er zu ihm: »Glücklicher Fremdling, wer du auch seist, ich halte mein Versprechen und gebe dir meine Tochter zur Gemahlin. Aber schon bei deinem bloßen Anblicke kann ich mich nicht überreden, daß du bist, was du scheinen wolltest.«

Der Prinz Kamaralsaman dankte dem König in den demütigsten Ausdrücken, um ihm seine innige Erkenntlichkeit zu bezeigen. »Was meine Person betrifft,« fuhr er fort, »so ist es wahr, daß ich kein Sterndeuter bin, wie Euer Majestät richtig geurteilt hat. Ich habe diese Verkleidung nur angenommen, um leichter zu der hohen Verbindung mit dem mächtigsten Herrscher der Erde zu gelangen. Ich bin ein geborener Prinz, Sohn eines Königs und einer Königin: mein Name ist Kamaralsaman. mein Vater heißt Schachsaman und beherrscht die genugsam bekannten Inseln Chaledan.«

Hierauf erzählte er ihm seine Geschichte und machte ihm bemerklich, wie wunderbar der Ursprung seiner Liebe wäre, daß die Liebe der Prinzessin denselben Ursprung hätte und solches durch den Wechsel der beiden Ringe bewährt würde.

Als der Prinz Kamaralsaman geendigt hatte, rief der König aus: »Eine so außerordentliche Geschichte verdient der Nachwelt überliefert zu werden. Ich will sie aufschreiben lassen, und nachdem die Urschrift davon in den Archiven meines Reiches niedergelegt worden, will ich sie öffentlich bekanntmachen, damit sie aus meinen Staaten sich auch in andere verbreite.«

Die Hochzeit wurde noch an demselben Tage gefeiert, und in ganz China wurden Freudenfeste deshalb angestellt.

Marsawans wurde nicht vergessen: der König nahm ihn an seinen Hof und beehrte ihn mit einer Stelle mit dem Versprechen, ihn in der Folge zu anderen ansehnlicheren Stellen zu erheben.

Der Prinz Kamaralsaman und die Prinzessin Badur waren nun beide am Ziele ihrer Wünsche und erfreuten sich der Seligkeit ihrer Vereinigung, und mehrere Monate hindurch hörte der König von China nicht auf, durch stete Feste seine Freude zu bezeigen.

Mitten unter diesen Vergnügungen hatte der Prinz Kamaralsaman eines Nachts einen Traum, in welchem er den König Schachsaman, seinen Vater, im Bette liegen sah, wie er eben den Geist aufgab und sagte: »Dieser Sohn, dem ich das Leben gegeben habe, dieser Sohn hat mich verlassen, und er selber ist die Ursache meines Todes.« Er wachte auf, indem er einen tiefen Seufzer ausstieß, so daß auch die Prinzessin Badur erwachte und ihn fragte, worüber er seufzte.

»Ach!« rief der Prinz, »vielleicht in diesem Augenblicke, da ich davon rede, ist mein Vater nicht mehr am Leben!« Und er erzählte ihr die Ursache, weshalb ein so trauriger Gedanke ihn beunruhigte.

Die Prinzessin, die nur ihm zu gefallen strebte und erkannte, daß das Verlangen, den König, seinen Vater, wiederzusehen, sein Vergnügen bei ihr in einem so entfernten Lande vermindern könnte, sagte ihm nichts von ihrer Absicht; aber noch an demselben Tage ergriff sie die Gelegenheit, die sich ihr darbot, mit ihrem Vater allein zu reden, und sprach zu ihm, indem sie ihm die Hand küßte: »Herr, ich habe Euer Majestät um eine Gnade zu bitten, und ich flehe, sie mir nicht abzuschlagen. Damit Ihr aber nicht glaubet, ich tue sie aus Antrieb des Prinzen, meines Gemahls, so versichere ich zum voraus, daß er gar nicht darum weiß. Sie besteht darin, zu genehmigen, daß ich mit ihm hinreise, den König Schachsaman, meinen Schwiegervater, zu besuchen.«

»Meine Tochter,« antwortete der König, »wie unlieb mir deine Entfernung auch sein muß, so kann ich jedoch diesen Vorsatz nicht mißbilligen: er ist deiner würdig, ungeachtet der Mühseligkeiten einer so weiten Fahrt. Reise hin, ich erlaube es gern, doch unter der Bedingung, daß du nicht länger als ein Jahr am Hofe des Königs Schachsaman bleibest. Dieser wird gern einwilligen, wie ich hoffe, daß wir es so einrichten und wechselsweise er seinen Sohn mit seiner Schwiegertochter und ich meine Tochter mit meinem Schwiegersohne wiedersehen.«

Die Prinzessin verkündigte diese Einwilligung des Vaters ihrem Gemahl, der darüber sehr erfreut war und ihr für diesen neuen Beweis ihrer Liebe herzlich dankte.

Der König von China gab Befehl zu den Anstalten der Reise; und als alles bereit war, reiste er mit ihnen ab und begleitete sie einige Tagereisen. Die Trennung geschah unter vielen Tränen auf beiden Seiten. Der König umarmte seine Kinder zärtlich, und nachdem er den Prinzen gebeten hatte, die Prinzessin, seine Tochter, immerdar zu lieben, ließ er beide ihre Reise fortsetzen und kehrte nach seiner Hauptstadt zurück, indem er sich unterwegs auf der Jagd zerstreute.

Der Prinz Kamaralsaman und die Prinzessin Badur hatten nicht sobald ihre Tränen getrocknet, als sie nur an die Freude dachten, welche der König Schachsaman haben würde, sie zu sehen und zu umarmen, sowie an ihre eigene Freude darüber.

Ungefähr nach Verlauf eines Monats ihrer Fahrt kamen sie eines Tages auf eine Wiese von weitem Umfange und in Zwischenräumen mit großen Bäumen bewachsen, die einen sehr angenehmen Schatten verbreiteten. Da die Hitze an diesem Tage übermäßig war, fand der Prinz Kamaralsaman es rätlich, hier zu lagern, und sprach davon mit der Prinzessin Badur, welche umso lieber darein willigte, als sie ihm selber diesen Vorschlag machen wollte.

An einer schönen Stelle stiegen sie ab; und sobald das Zelt aufgeschlagen war, trat die Prinzessin Badur, die unterdessen im Schatten saß, hinein, während der Prinz Kamaralsaman noch für das übrige Lager seine Befehle erteilte. Um es sich bequemer zu machen, ließ sie sich den Gürtel abnehmen, welchen ihre Frauen neben ihr hinlegten, worauf sie, da sie ermüdet war, einschlief und ihre Frauen sie allein ließen.

Als alles im Lager angeordnet war, ging auch der Prinz Kamaralsaman nach dem Zelte; und als er sah, daß die Prinzessin schlief, trat er leise hinein und setzte sich. In Erwartung, vielleicht selber bald einzuschlafen, nahm er den Gürtel der Prinzessin in die Hand; er betrachtete die Diamanten und Rubinen, womit er geschmückt war, einen nach dem andern und bemerkte einen kleinen Beutel, der sehr geschickt an das Zeug genäht und mit einer Schnur zugezogen war. Lr faßte ihn an und fühlte, daß etwas Hartes darin war. Neugierig, zu sehen, was es wäre, öffnete er den Beutel und zog einen Karniol heraus, aus welchem Bilder und ihm unbekannte Schriftzeichen eingegraben waren.

»Dieser Stein,« sagte er bei sich selber, »muß etwas sehr Kostbares sein, sonst würde meine Gattin ihn nicht so sorgfältig bei sich tragen.«

In der Tat war es ein Talisman, welchen die Königin von China ihrer Tochter geschenkt hatte, und wodurch sie, wie sie sagte, glücklich sein würde, solange sie ihn bei sich trüge.

Um diesen Talisman besser zu betrachten, trat der Prinz Kamaralsaman aus dem Zelte, worin es dunkel war, und wollte ihn beim hellen Tage besehen. Indem er ihn nun mitten aus der Hand hielt, schoß plötzlich ein Vogel aus der Luft nieder, ergriff ihn und flog damit weg ...«

Schon ließ der Tag sich blicken, als die Sultanin Scheherasade diese letzten Worte aussprach. Sie bemerkte es und hörte aus zu erzählen. In der folgenden Nacht nahm sie dieselbe Geschichte wieder auf und sprach zu dem Sultan Schachriar:

 


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