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Geschichte des fünften Bruders des Barbiers.

Annaschar war, solange unser Vater lebte, ein sehr fauler Mensch. Anstatt zu arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu gewinnen, schämte er sich nicht, am Abend zu betteln und den folgenden Tag von den empfangenen Almosen zu leben. Unser Vater starb vor Altersschwäche und hinterließ uns im ganzen nur siebenhundert Silberdrachmen. Wir teilten dies gleichmäßig unter uns, so daß jeder hundert bekam. Annaschar, der niemals so viel Geld auf einmal besessen hatte, geriet in große Verlegenheit darüber, was er wohl damit anfangen sollte. Nachdem er die Sache lange Zeit bei sich hin und her überlegt hatte, entschloß er sich endlich, das Geld auf Gläser, Flaschen und andere Glaswaren anzulegen, die er sich sofort in dem Laden eines großen Kaufmanns aussuchte. Er tat sodann alles zusammen in einen durchsichtig geflochtenen Korb und wählte sich einen ganz kleinen Laden, worin er sich hinsetzte, den Korb vor sich und mit dem Rücken an die Mauer gelehnt, indem er erwartete, daß man kommen und von seinen Waren kaufen würde. In dieser Stellung und die Augen auf den Korb geheftet, fing er an, seinen Gedanken nachzuhängen, und in diese Träumerei versunken, führte er folgende Reden, und zwar so laut, daß sie sein Nachbar, ein Schneider, hören konnte:

»Dieser Korb,« sprach er, »kostet mich hundert Drachmen, und das ist alles, was ich auf der Welt habe. Wenn ich die Waren einzeln verkaufe, werde ich wohl zweihundert Drachmen daraus lösen, und mit diesen zweihundert Drachmen, die ich wieder auf Glaswaren anlegen will, werde ich vierhundert erwerben. So werde ich denn mit der Zeit mir viertausend Drachmen sammeln. Von diesen viertausend Drachmen werde ich es leicht bis auf achttausend bringen, habe ich dann erst zehntausend, so gebe ich den Glaswarenhandel auf, werde Juwelenhändler und lege einen Handel mit Diamanten, Perlen und allen Arten von Edelsteinen an. Besitze ich dann so viele Reichtümer, als mein Herz wünscht, so kaufe ich mir ein schönes Haus, große Landgüter, Sklaven, Verschnittene, Pferde; ich führe dann einen guten Tisch, mache Aufsehn in der Welt und lasse alles, was nur irgend an guten Tonspielern, Tänzern und Tänzerinnen in der Stadt zu haben ist, in mein Haus kommen. Übrigens werde ich es dabei nicht bewenden lassen, sondern, so Gott will, es bis auf hunderttausend Drachmen bringen. Bin ich dann ein reicher Mann von hunderttausend Drachmen, so werde ich mich als ein Fürst dünken, werde um die Hand der Tochter des Großwesirs anhalten und diesem Minister vorstellen lassen, ich hätte von der Wunderschönheit, von der Klugheit, dem Verstande und allen übrigen seltenen Eigenschaften seiner Tochter gehört und würde ihm für die Hochzeitsnacht tausend Goldstücke schenken. Sollte der Wesir so unhöflich sein, was aber gar nicht möglich ist, mir seine Tochter zu verweigern, so werde ich selber zu ihm hingehen, sie ihm geradezu entführen und ihm zum Trotz in mein Haus bringen. Sobald ich die Tochter des Großwesirs geheiratet habe, werde ich ihr zehn schwarze Verschnittene, und zwar recht junge und schöne, kaufen; ich selber werde mich wie ein Fürst kleiden und auf einem schönen Pferde, dessen Sattel vom feinsten Golde und dessen Decke von Goldstoff und mit Diamanten und Perlen besetzt sein wird, durch die Stadt reiten mit einem Gefolge von Sklaven, die teils vor, teils hinter mir einherziehen, und so vor den Augen aller Welt, vor jung und alt, die sich tief vor mir bücken werden, mich nach dem Hause des Großwesirs begeben. Bin ich dann beim Großwesir abgestiegen, so steige ich durch eine zweifache, zu beiden Seiten aufgestellte Reihe meiner Leute die Treppe hinauf, und der Großwesir empfängt mich als seinen Schwiegersohn und wird mir dann gewiß seinen Platz abtreten und sich, um mich zu ehren, tief unter mich setzen. Wenn dies nun alles so geschieht, wie ich hoffe, so sollen dann zwei meiner Leute, jeder mit einem Beutel von tausend Goldstücken, den ich ihnen selber zu tragen gegeben, dastehen. Den einen Beutel werde ich sodann nehmen und ihn dem Großwesir mit den Worten überreichen: »Hier sind die tausend Goldstücke, die ich für die erste Nacht meiner Ehe versprochen habe.« Hierauf überreiche ich ihm auch noch den andern und füge hinzu: »Da habt Ihr; ich gebe Euch noch einmal so viel, um Euch zu zeigen, daß ich ein Mann von Wort bin und noch mehr gebe, als ich versprochen.« Nach einer solchen Handlung wird die Welt von nichts als nur immer von meiner Großmut sprechen. Nachher werde ich mit demselben Pompe nach meiner Wohnung zurückkehren. Meine Frau wird ihrerseits auf den Besuch, den ich ihrem Vater, dem Großwesir, gemacht, mir einen ihrer Diener entgegenschicken, um mich zu bewillkommnen; ich werde diesem Diener ein schönes Kleid verehren und ihn mit einem reichen Geschenke zurücksenden: sollte sie es sich einfallen lassen, mir ebenfalls eines zu schicken, so werde ich es nicht annehmen und den Überbringer sogleich aus meinen Diensten entlassen. Ich werde ihr übrigens nie gestatten, unter irgend einem Vorwande ihr Zimmer zu verlassen, ohne daß sie mir es zuvor angezeigt hat, und wenn mir es gefällig sein sollte, auf ihr Zimmer zu kommen, so wird dies auf eine Weise geschehen, die ihr Ehrfurcht vor mir einflößen wird. Überhaupt soll es dann kein besser eingerichtetes Haus geben als das meinige. Ich werde stets sehr reich gekleidet sein. Wenn ich am Abend mich mit ihr zurückziehe, so werde ich mich auf den Ehrenplatz des Sofas setzen und daselbst eine ernsthafte Miene annehmen, ohne den Kopf links oder rechts hin zu wenden. Ich werde wenig sprechen, und während meine Gemahlin, schön wie der Vollmond, mit ihrem ganzen Staat sich vor mich hinstellen wird, werde ich tun, als sähe ich sie nicht. Die Frauen ihrer Umgebung werden dann zu mir sagen: »Verehrtester Herr und Gebieter, hier steht Eure Gemahlin, Eure demütige Sklavin, vor Euch: sie erwartet, daß Ihr sie liebkosen werdet, und es schmerzt sie sehr, daß Ihr sie auch nicht eines einzigen Blickes würdiget: sie ist von dem langen Stehen so müde, saget ihr doch, daß sie sich setzen dürfe.« Ich werde auf die Rede gar nichts antworten, und das wird denn ihr Erstaunen und ihre Betrübnis vermehren. Sie werden dann zu meinen Füßen stürzen, und nachdem sie da eine lange Zeit auf den Knieen gelegen und mich gebeten haben, ich möchte mich doch erweichen lassen, so werde ich endlich den Kopf aufheben, einen flüchtigen Blick auf sie werfen und dann sogleich wieder meine vorige Stellung annehmen. In der Meinung, meine Frau sei mir vielleicht nicht gut noch reich genug gekleidet, werden sie dieselbe in ihr Gemach fortführen, um sie da die Kleider wechseln zu lassen, und ich werde unterdes ebenfalls aufstehen und werde ein noch prächtigeres Kleid anlegen, als ich schon zuvor anhatte. Sie werden dann noch einmal wiederkommen und dieselben Reden gegen mich führen, und ich werde mir das Vergnügen machen, meine Frau nicht anzusehen, nachdem ich mich habe ebenso lange und ebenso dringend bitten lassen als das erstemal. Gleich am ersten Hochzeitstage werde ich anfangs ihr begreiflich machen, auf welche Weise ich sie ihr ganzes Leben hindurch zu behandeln gedenke.«

Bei diesen Worten schwieg die Sultanin Scheherasade wegen des anbrechenden Tages. In der folgenden Nacht fuhr sie in ihrer Erzählung fort und sagte zu dem Sultan von Indien:

 

Einhundertundeinundachtzigste Nacht.

»Nach Endigung der Hochzeitszeremonieen,« fuhr Annaschar fort, »werde ich aus der Hand eines meiner zunächststehenden Diener einen Beutel mit fünfhundert Goldstücken nehmen und ihn den Putzmacherinnen geben, damit sie mich mit meiner Gemahlin allein lassen. Sobald sie sich dann entfernt haben werden, wird sich meine Frau zuerst ins Bett legen; ich werde mich neben sie legen, aber ihr den Rücken kehrend, und werde so die ganze Nacht, ohne ein Wort zu reden, hingehen lassen. Den folgenden Morgen wird sie nicht unterlassen, sich bei ihrer Mutter, der Gemahlin des Großwesirs, über meinen Stolz und über meine Verachtung zu beklagen, und ich werde mich darüber im Innern der Seele freuen. Ihre Mutter wird dann zu mir kommen, mir ehrerbietig die Hände küssen und zu mir sagen: »Herr,« denn sie wird es nicht wagen, mich ihren Schwiegersohn zu nennen, aus Furcht, mir durch eine so vertrauliche Anrede zu mißfallen, »ich bitte Euch, geruhet doch, meine Tochter anzusehen und Euch ihr zu nähern; ich kann Euch versichern, daß sie bloß Euch zu gefallen sucht und Euch von ganzer Seele liebt.« Allein meine Schwiegermutter mag dann sagen, was sie will, ich werde ihr auch nicht eine Silbe antworten und werde fest in meinem Ernst verharren. Sie wird mir hierauf zu Füßen fallen, mir sie mehrmals küssen und sprechen: »Herr, sollte es möglich sein, daß Ihr wegen der Klugheit meiner Tochter irgend einen Verdacht gefaßt hättet? Ich versichere Euch, ich habe sie stets unter meinen Augen gehabt, und Ihr seid der erste Mann, der sie von Gesicht gesehen hat. Höret auf, ihr eine solche Kränkung zu verursachen, erweiset ihr die Gnade, sie anzusehen, mit ihr zu sprechen, sie in der guten Absicht, die sie hat, Euch nämlich in allen Dingen zu genügen, zu bestärken.« Das alles soll mich indes nicht rühren. Meine Schwiegermutter wird das bemerken, ein Glas Wein nehmen, es ihrer Tochter in die Hand geben und zu ihr sagen: »Gehe hin und überreiche ihm selber dies Weinglas; er wird vielleicht nicht so grausam sein, es von einer schönen Hand zu verschmähen.« Meine Frau wird mit dem Glase kommen und am ganzen Körper zitternd vor mir stehenbleiben. Wenn sie nun sehen wird, daß ich mein Gesicht gar nicht nach ihr hinwende und sie fortwährend verschmähe, wird sie mit Tränen in den Augen zu mir sprechen: »Mein Herz, meine teure Seele, mein liebenswürdiger Herr, ich beschwöre Euch bei der Gunst des Himmels, erweiset mir die Gnade, dies Glas Wein aus der Hand Eurer ergebensten Dienerin anzunehmen.« Ich werde mich gleichwohl hüten, sie anzusehen und ihr zu antworten. »Mein reizender Gemahl,« wird sie dann fortfahren, indem sie ihre Tränen verdoppeln und das Weinglas meinem Munde nähern wird, »ich werde nicht ablassen, bis ich es erlangt habe, daß Ihr trinket.« Von ihren Bitten ermüdet, werde ich ihr hierauf einen fürchterlichen Blick zuwerfen, ihr eine derbe Ohrfeige auf die Wange geben und sie mit dem Fuße so heftig zurückstoßen, daß sie weit ab vom Sofa zu Boden sinken wird.«

Mein Bruder war so sehr in seine Hirngespinste und Einbildungen versunken, daß er die Handlung mit seinem Fuße so lebendig darstellte, als ob alles wirklich so wäre; allein zum Unglück stieß er so heftig an seinen Korb mit Glaswaren, daß er ihn aus seinem Laden in die Straße hinabwarf, und daß alle Glassachen darin in tausend Stücke zertrümmert wurden.

Sein Nachbar, ein Schneider, der seine albernen Reden angehört hatte, lachte laut auf, als er den Korb fallen sah. »Oh, was bist du doch für ein nichtswürdiger Mensch!« rief er meinem Bruder zu. »Solltest du dich nicht tief in die Seele hinein schämen, eine junge Gemahlin, die dir nichts zuleide getan, so zu mißhandeln? Du mußt doch sehr roh sein, um die Tränen und die Reize einer so liebenswürdigen Person zu verachten. Wenn ich an des Großwesirs Stelle wäre, so würde ich dir hundert Hiebe mit dem Ochsenziemer geben und dich mit dem verdienten Lobspruch durch die Stadt führen lassen.«

Mein Bruder kam durch den Anblick dieses traurigen Vorfalls wieder zur Besinnung, und da er sah, daß ihm dies bloß um seines unerträglichen Stolzes willen begegnet war, schlug er sich ins Gesicht, zerriß seine Kleider und fing so laut an zu weinen und zu heulen, daß die Nachbarn herbeiliefen und die Leute auf der Straße, die soeben zum mittäglichen Gebete gingen, stehenblieben. Da es nämlich gerade Freitag war, so gingen mehr Leute als sonst vorüber. Einige hatten Mitleid mit Annaschar, andere lachten über seine Narrheit. Unterdes war seine Eitelkeit mit seiner Habe zu gleicher Zeit verschwunden, und er beweinte noch immer sein Schicksal, als eine vornehme Frau auf einer reichgeschmückten Mauleselin vorüberritt. Der Zustand, worin sie meinen Bruder sah, erregte ihr Mitleid. Sie fragte, wer er sei, und worüber er weine. Man sagte ihr nichts weiter als, er sei ein armer Mann, der sein weniges Geld auf den Ankauf eines Korbes voll Glaswaren verwendet habe, dieser Korb sei nun herabgefallen, und alle seine Gläser seien in Trümmern. Die Dame wandte sich sogleich zu einem sie begleitenden Verschnittenen und sagte zu ihm: »Gib ihm doch alles, was du bei dir hast.« Der Verschnittene gehorchte und händigte meinem Bruder einen Beutel mit fünfhundert Goldstücken ein. Mein Bruder freute sich beim Empfang derselben fast zu Tode. Er gab der edlen Frau tausendfache Segenswünsche auf den Weg, verschloß dann seinen Laden, wo seine Gegenwart nicht mehr nötig war, und ging nach Hause.

Er stellte eben über das große Glück, welches ihm begegnet war, tiefe Betrachtungen an, als er an die Tür klopfen hörte. Bevor er öffnete, fragte er, wer da anklopfe, und nachdem er an der Stimme erkannt hatte, daß es eine Frau sei, öffnete er die Tür. »Mein Sohn,« sagte sie zu ihm, »ich muß dich um eine Gefälligkeit bitten. Es ist jetzt eben die Zeit des Gebets, und ich möchte mich gern waschen, um dasselbe sodann verrichten zu können. Laß mich, wenn es dir angenehm ist, in deine Wohnung eintreten und gib mir ein Gefäß mit Wasser.« Mein Bruder sah die Frau an und bemerkte, daß sie bereits hoch in Jahren war. Obwohl er sie nicht kannte, so unterließ er doch nicht, ihr ihre Bitte zu gewähren. Er reichte ihr ein Gefäß voll Wasser und setzte sich dann wieder an seinen vorigen Platz, immer noch mit seinem letzten Abenteuer beschäftigt, und legte sein Geld in eine Art langen und schmalen Beutel, um ihn an seinen Gürtel befestigen zu können. Die Alte verrichtete während dieser Zeit ihr Gebet; als sie fertig war, kam sie zu meinem Bruder hin, warf sich zweimal mit ihrem Angesicht zur Erde, gleichsam als wollte sie Gott bitten, dann stand sie wieder auf und wünschte ihm alles Gute ...«

Die Morgenröte, welche zu scheinen begann, nötigte Scheherasaden, bei dieser Stelle innezuhalten. Die Nacht darauf fuhr sie in ihrer Erzählung fort, indem sie den Barbier immer noch fortreden ließ:

 

Einhundertundzweiundachtzigste Nacht.

»Die Alte dankte hierauf meinem Bruder für seine Gefälligkeit. Da sie sehr armselig gekleidet war und sich vor ihm so sehr demütigte, glaubte er, sie verlange von ihm ein Almosen, und überreichte ihr daher zwei Goldstücke. Sie trat überrascht zurück, gleichsam als hätte ihr mein Bruder eine Beleidigung angetan. »Großer Gott!« sagte sie zu ihm, »was soll das bedeuten? Ist es möglich, Herr, daß Ihr mich für eine jener Elenden haltet, welche ein Gewerbe daraus machen, dreist zu den Leuten in die Häuser zu gehen und von ihnen ein Almosen zu erbetteln? Nehmet Euer Geld zurück, ich bedarf dessen, Gott sei Dank, nicht; ich gehöre einer jungen Dame dieser Stadt an, die ebenso reizend als reich ist, und die es mir an nichts fehlen läßt.«

Mein Bruder war nicht fein genug, um die List der Alten zu merken, welche die beiden Goldstücke bloß darum ablehnte, um noch mehr zu erschnappen. Er fragte sie, ob sie ihm die Ehre verschaffen könne, diese Dame zu sehen. »Sehr gern,« erwiderte sie; »sie wird Euch gewiß sehr gern heiraten und Euch neben dem Besitz ihrer Person auch noch den ihres ganzen Vermögens überlassen. Nehmet Euer Geld und folget mir.« Ganz entzückt darüber, daß er zu gleicher Zeit eine so große Summe Geldes und eine reiche und schöne Frau gefunden, verschloß er gegen jede andere Rücksicht die Augen. Er nahm die fünfhundert Goldstücke und ließ sich von der Alten führen.

Sie ging voran, und er folgte ihr von weitem bis an die Tür eines großen Hauses, wo sie anklopfte. Er hatte sie eben eingeholt, als eine junge griechische Sklavin öffnete. Die Alte hieß ihn voran hineintreten und über einen schön gepflasterten Hof gehen; dann führte sie ihn in einen Saal, dessen Ausschmückung ihn in der guten Meinung bestätigte, die man ihm von der Besitzerin des Hauses beigebracht hatte. Während die Alte ihn bei der jungen Dame anmelden ging, setzte er sich nieder, und da ihm sehr warm war, nahm er den Turban ab und legte ihn neben sich. Alsbald sah er auch die junge Dame hereintreten, die ihn noch mehr durch ihre Schönheit als durch ihren reichen Anzug in Staunen setzte. Sobald er sie erblickte, stand er auf. Die Dame bat ihn mit vieler Artigkeit, seinen Platz wieder einzunehmen, und setzte sich neben ihn. Sie bezeigte viele Freude, ihn zu sehen, und nachdem sie ihm allerlei Angenehmes gesagt hatte, fügte sie hinzu: »Wir sind hier nicht ganz in unserer Bequemlichkeit, komm, gib mir die Hand.« Mit diesen Worten überreichte sie ihm die ihrige und führte ihn in ein abgelegenes Zimmer, wo sie sich noch eine Weile mit ihm unterhielt, worauf sie ihn mit den Worten verließ: »Bleibe hier, ich bin in einem Augenblick wieder bei dir.« Er wartete; allein statt der Dame trat ein großer schwarzer Sklave mit dem Säbel in der Hand herein, sah meinen Bruder mit wilden Blicken an und sagte stolz zu ihm: »Was machst du hier?« Annaschar ward bei diesem Anblick so von Schrecken ergriffen, daß er gar nicht zu antworten vermochte. Der Sklave beraubte ihn nun, nahm ihm alles Gold weg, das er bei sich trug, und versetzte ihm mehrere Säbelhiebe, doch bloß in das Fleisch. Der Unglückliche fiel zu Boden und blieb regungslos liegen, obwohl er seine Besinnung noch hatte. Der Schwarze, der ihn für tot hielt, verlangte nun Salz; die griechische Sklavin brachte ein großes Becken voll herein. Sie rieben damit die Wunden meines Bruders ein, welcher doch noch so viel Gegenwart des Geistes hatte, daß er ungeachtet des brennenden Schmerzes, den er empfand, dennoch kein Zeichen des Lebens von sich gab. Nachdem der Schwarze und die griechische Sklavin sich entfernt hatten, kam die Alte wieder, welche meinen Bruder in die Falle gelockt hatte, faßte ihn bei den Füßen und schleppte ihn zu einer Falltür, die sie öffnete. Sie warf ihn da hinunter, und er fiel in ein unterirdisches Gewölbe auf einen Haufen von Leichnamen Ermordeter. Er wurde dies erst gewahr, als er wieder zu sich kam, denn die Heftigkeit des Falles hatte ihm alle Besinnung geraubt. Das Salz, womit seine Wunden eingerieben waren, rettete ihm das Leben. Er erlangte allmählich wieder so viel Kräfte, daß er sich aufrichten konnte, und nach Verlauf von zwei Tagen öffnete er bei Nacht die Falltüre, entdeckte im Hofe einen Ort, wo er sich verstecken konnte, und blieb an demselben bis zu Tagesanbruch. Da sah er denn die abscheuliche Alte wieder erscheinen, welche die Tür nach der Straße zu öffnete und hinausging, um eine neue Beute aufzuspüren. Damit sie ihn nicht erblicken möchte, ging er aus dieser Mördergrube erst einige Augenblicke nachher heraus und flüchtete sich in meine Wohnung, wo er mir alle die Abenteuer mitteilte, die ihm in so kurzer Zeit begegnet waren.

Nach Verlauf eines Monats war er durch die Mittel, die ich ihm verordnete, von seinen Wunden völlig wieder geheilt, und er beschloß, sich an der Alten zu rächen, die ihn so grausam betrogen hatte. Zu diesem Zweck machte er sich einen Beutel von solcher Größe, daß wohl fünfhundert Goldstücke hineingingen, aber anstatt des Goldes füllte er bloß Glasscherben hinein ...«

Bei diesen letzten Worten bemerkte Scheherasade, daß es bereits Tag war. Sie sprach daher diese Nacht kein Wort weiter, und erst in der folgenden fuhr sie in der Geschichte Annaschars folgendermaßen fort:

 

Einhundertunddreiundachtzigste Nacht.

»Mein Bruder band den Geldbeutel mit Glasscherben um seinen Gürtel, verkleidete sich als alte Frau und nahm einen Säbel, den er unter seinen Rock versteckte. Eines Morgens begegnete er wieder jener Alten, welche bereits die Stadt durchstreifte und Gelegenheit suchte, irgend jemandem einen schlimmen Streich zu spielen. Er redete sie mit einer verstellten Weiberstimme an und sagte zu ihr: »Könnt Ihr mir nicht eine Goldwage leihen? Ich bin soeben aus Persien hier angekommen und habe aus meiner Heimat fünfhundert Goldstücke mitgebracht; ich möchte nun gern sehen, ob sie auch vollwichtig sind.« – »Liebe Frau,« antwortete ihm die Alte, »Ihr konntet Euch an keinen Menschen besser wenden als an mich. Kommt nur mit, ich werde Euch zu meinem Sohne führen, der ein Wechsler ist, und dieser wird sich ein Vergnügen daraus machen, sie Euch selber zu wägen und Euch die Mühe zu ersparen. Wir wollen keine Zeit verlieren, damit wir ihn noch treffen, ehe er in seinen Laden geht.« Mein Bruder folgte ihr bis zu dem Hause, wo sie ihn schon einmal hineingeführt hatte, und die Tür ward ihnen von der griechischen Sklavin geöffnet.

Die Alte führte meinen Bruder in den Saal, wo sie ihn einen Augenblick warten ließ, um ihren Sohn rufen zu können. Der angebliche Sohn erschien auch wirklich in der Person jenes nichtswürdigen schwarzen Sklaven. »Verwünschte Alte,« sagte er zu meinem Bruder, »steh auf und folge mir.« Mit diesen Worten ging er vor ihr her, um sie an den Ort hinzuführen, wo er sie umbringen wollte. Annaschar stand auf, ging hinter ihm drein, zog seinen Säbel unter dem Kleide hervor und führte ihn von hinten so geschickt nach seinem Halse, daß er ihm den Kopf abhieb. Sodann faßte er diesen mit der einen Hand und schleppte mit der andern die Leiche bis zu dem unterirdischen Gewölbe, wo er sie mit dem Kopfe hinunterwarf. Die griechische Sklavin, die an ein solches Verfahren schon gewöhnt war, erschien alsbald mit dem Becken voll Salz; aber als sie den Annaschar, der unterdes den Schleier abgeworfen, mit dem Säbel in der Hand erblickte, ließ sie das Becken fallen und entfloh. Mein Bruder indes, welcher stärker lief als sie, holte sie bald ein, und ihr Kopf flog von den Schultern. Die böse Alte lief jetzt auf den Lärm herbei; mein Bruder ergriff sie, ehe sie noch entrinnen konnte, und rief ihr zu: »Treulose, kennst du mich noch?« – »Ach, Herr,« antwortete sie zitternd; »wer seid Ihr? Ich erinnere mich nicht, Euch jemals gesehen zu haben.« – »Ich bin,« sagte er hierauf, »derjenige, zu dem du neulich ins Haus kamst, um dich zu baden und dein heuchlerisches Gebet zu verrichten. Erinnerst du dich wohl noch?« Sie warf sich jetzt auf die Kniee und bat um Gnade; aber er zerhieb sie in vier Stücke.

Jetzt war nur noch die junge Dame übrig, welche nichts von allem wußte, was in ihrem Hause soeben vorgefallen war. Er suchte sie auf und fand sie in einem Zimmer, wo sie bei seinem Eintritt fast in Ohnmacht fiel. Sie bat um ihr Leben, und er war edelmütig genug, es ihr zu schenken. »Gnädige Frau,« sagte er zu ihr, »wie könnt Ihr mit so bösen Menschen zusammenleben, als die sind, an denen ich soeben gerechte Rache genommen habe?« – »Ich war,« erwiderte sie, »die Frau eines sehr rechtschaffenen Kaufmannes, und die verwünschte Alte, deren Bösartigkeit ich nicht kannte, besuchte mich einigemal. »Verehrteste Frau,« sagte sie eines Tages zu mir, »wir haben heute eine sehr schöne Hochzeit in unserem Hause; Ihr würdet gewiß sehr viel Vergnügen haben, wenn Ihr uns die Ehre erzeigen wolltet, Euch dabei einzufinden.« Ich ließ mich überreden, zog mein schönstes Kleid an, nahm einen Beutel mit hundert Goldstücken mit und folgte ihr. Sie führte mich in dies Haus, wo ich diesen Schwarzen fand, der mich gewaltsamerweise hier behielt. Ich bin nun schon drei Jahre hier und dulde das Grausamste.« – »Bei dem Gewerbe, welches dieser abscheuliche Schwarze trieb,« erwiderte mein Bruder, »muß er wohl viele Reichtümer zusammengebracht haben?« – »So viele,« antwortete sie, »daß Ihr zeitlebens daran genug habt, wenn Ihr sie forttragen könnt. Kommt mit mir, und Ihr werdet es selber sehen.« Sie führte nun den Annaschar in ein Zimmer, wo sie ihm wirklich mehrere Kasten voll Gold zeigte, die er mit einem Staunen betrachtete, wovon er sich gar nicht zu erholen vermochte. »Jetzt geht,« sagte sie zu ihm, »und holt Euch Leute genug herzu, um dies alles fortschaffen zu können.« Mein Bruder ließ sich das nicht zweimal sagen; er ging fort und suchte zehn Männer aufzutreiben, die er sofort mit sich nahm. Als er an das Haus gelangte, fand er zu seinem Erstaunen die Tür offen; sein Staunen stieg, als er in das Zimmer, worin er die Kasten gesehen, eintrat und auch nicht einen einzigen mehr darin fand. Die Dame, welche listiger und behender als er war, hatte sie fortschaffen lassen und war selber mit verschwunden. In Ermangelung der Kasten, und weil er nicht mit leeren Händen wieder weggehen wollte, ließ er alles forttragen, was er nur irgend an Möbeln in den Zimmern und in den Gerätekammern vorfand, wo es weit mehr dergleichen gab, als nötig war, um ihn für die fünfhundert Goldstücke zu entschädigen, die ihm gestohlen worden waren. Aber als er aus dem Hause fortging, vergaß er die Tür zuzuschließen. Die Nachbarn, welche meinen Bruder erkannt hatten und die Packträger gehn und kommen sahen, liefen zum Polizeirichter und zeigten ihm dieses Ausräumen an, welches ihnen sehr verdächtig schien. Annaschar schlief die Nacht hindurch sehr ruhig; aber als er am folgenden Morgen ausgehen wollte, traf er an seiner Tür zwanzig Leute des Polizeirichters, die ihn anhielten. »Komm mit uns,« sagten sie zu ihm, »unser Herr will dich sprechen.« Mein Bruder bat sie, einen Augenblick zu warten, und bot ihnen eine Summe Geldes, damit sie ihn gehen lassen möchten. Doch anstatt auf ihn zu hören, banden sie und zwangen sie ihn, mit ihnen zu gehen. Auf der Straße begegneten sie einem alten Freunde meines Bruders, der sie anhielt und fragte, warum sie ihn so geführt brächten. Er bot ihnen sogar eine bedeutende Summe an, damit sie ihn loslassen und dem Polizeirichter melden möchten, daß sie ihn nicht gefunden; doch er konnte bei ihnen nichts ausrichten, und sie führten Annaschar vor ihren Herrn ...«

Scheherasade hörte bei dieser Stelle auf zu reden, weil sie den anbrechenden Tag bemerkte. Die folgende Nacht nahm sie den Faden der Erzählung wieder auf und sagte zu dem Sultan von Indien:

 

Einhundertundvierundachtzigste Nacht.

»Als die Gerichtsdiener meinen Bruder vor den Polizeirichter geführt hatten, sprach dieser zu ihm: »Ich frage dich, wo du alle die Möbel her hast, die du gestern in deine Wohnung tragen ließest?« – »Herr,« erwiderte Annaschar, »ich bin bereit, Euch die Wahrheit zu sagen.« Hierauf erzählte ihm mein Bruder ohne Hehl alles, was ihm begegnet war. In Hinsicht auf das, was er hatte in seine Wohnung tragen lassen, bat er den Richter, ihm wenigstens einen Teil zur Entschädigung für die ihm entwendeten fünfhundert Goldstücke zu lassen.

Der Richter schickte, ohne meinem Bruder das mindeste zu versprechen, einige von seinen Leuten nach dessen Wohnung, um alles, was da war, in Beschlag zu nehmen, und als man ihm gemeldet hatte, daß nichts mehr da wäre, und daß alles in seine Gerätekammer gebracht worden sei, befahl er meinem Bruder, sogleich die Stadt zu verlassen und in seinem Leben nie mehr zurückzukehren, aus Besorgnis, daß, wenn er darin bliebe, er zum Kalifen hingehen und über diese Ungerechtigkeit Beschwerde führen könnte.

Annaschar gehorchte indes ohne Murren und ging aus der Stadt, um sich in eine andere zu flüchten. Unterwegs traf er Spitzbuben, die ihn ausplünderten und nackt und bloß machten. Ich hatte kaum diese traurige Nachricht erfahren, als ich sogleich ein Kleid nahm und ihn aufsuchen ging. Nachdem ich ihn so gut als möglich getröstet hatte, führte ich ihn zurück und brachte ihn heimlich in die Stadt, wo ich von nun an ebenso für ihn sorgte als für meine andern Brüder.


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