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Geschichte des Abulhassan Ali Ebn Bekar und der Schemselnihar.

»Unter der Regierung des Kalifen Harun Arreschid lebte zu Bagdad ein Spezereihändler namens Abulhassan Ebn Thaher, ein Mann von großem Reichtume, wohlgebildet und von sehr angenehmer Persönlichkeit. Er hatte mehr Geist und Feinheit, als gewöhnlich die Leute seines Gewerbes haben; seine Rechtlichkeit, seine Aufrichtigkeit und seine heitere Laune machten ihn beliebt und gern gesehen bei aller Welt. Der Kalif, der seinen Wert kannte, setzte in ihn ein blindes Vertrauen. Er schätzte ihn so hoch, daß er ihm ganz die Sorge überließ, seine Favoritinnen mit allem zu versehen, dessen sie nötig haben möchten. Er war es also, der für sie die Kleider, das Hausgerät und den Schmuck auswählte, und tat dieses mit bewundernswürdigem Geschmacke.

Seine guten Eigenschaften und die Gunst des Kalifen zogen die Söhne der Emire und der andern Beamten vom ersten Range in sein Haus, und dieses war der Sammelplatz des ganzen Hofadels.

Aber unter den jungen Herren, die ihn täglich besuchten, war einer, den er höher achtete als alle die andern, und mit dem er eine besondere Freundschaft gestiftet hatte. Dieser Herr nannte sich Abulhassan Ali Ebn Bekar und stammte aus einem alten persischen Königshause, welches noch zu Bagdad bestand, nachdem die Muselmänner Persien durch Gewalt der Waffen erobert hatten. Die Natur schien ein Vergnügen daran gefunden zu haben, in diesem Prinzen alle seltenen Eigenschaften des Leibes und des Geistes zu vereinigen. Sein Gesicht war von vollendeter Schönheit, sein Wuchs schlank, sein Anstand leicht und seine Miene so einnehmend, daß man ihn nicht ansehen konnte, ohne ihn sogleich zu lieben. Wenn er sprach, so geschah es immer in treffenden und gewählten Ausdrücken, mit anmutiger und neuer Wendung; selbst der Ton seiner Stimme hatte etwas, das alle bezauberte, die ihn hörten. Dabei hatte er viel Geist und Scharfsinn und dachte und sprach über alle Dinge mit bewundernswürdiger Angemessenheit. Er war so zurückhaltend und bescheiden, daß er nie etwas behauptete, ohne mit aller möglichen Vorsicht den Verdacht abzuwenden, als ob er seine Meinung andern aufdringen wollte. Bei solchen Eigenschaften, wie ich eben an ihm gerühmt habe, darf man sich nicht wundern, daß Ebn Thaher ihn vor den übrigen jungen Herren des Hofes auszeichnete, die meistenteils seinen Tugenden entgegengesetzte Laster hatten.

Eines Tages, als dieser Prinz bei Ebn Thaher war, erschien eine Frau auf einem schwarz und weiß gefleckten Maultier in der Mitte von zehn Sklavinnen, welche sie zu Fuß begleiteten und alle sehr schön waren, soviel man aus ihrer Haltung und durch den Schleier erkennen konnte, der ihr Gesicht bedeckte. Die Frau trug einen rosenfarbenen vier Finger breiten Gürtel, auf welchem Perlen und Diamanten von außerordentlicher Größe glänzten; und in Ansehung ihrer Schönheit, wie leicht zu bemerken, übertraf sie ihre Frauen so weit als der Vollmond den zweitägigen Neumond. Sie hatte irgend einen Einkauf gemacht, und da sie mit Ebn Thaher zu sprechen hatte, so trat sie in seinen Laden, der sauber und geräumig war, und er empfing sie mit allen Zeichen der tiefsten Ehrerbietung und bat sie, sich zu setzen, indem er ihr mit der Hand den Ehrenplatz anwies.

Der Prinz von Persien, der eine so schöne Gelegenheit, seine Feinheit und Höflichkeit zu zeigen, nicht wollte vorübergehen lassen, legte das Kissen von Goldstoff zurecht, welches der Frau zur Lehne dienen sollte, und zog sich dann eilig zurück, damit sie sich niedersetzen könnte. Hierauf begrüßte er sie, indem er den Teppich zu ihren Füßen küßte, erhob sich wieder und blieb am Ende des Sofas vor ihr stehen. Da sie mit Ebn Thaher auf vertrautem Fuße stand, so nahm sie ihren Schleier ab und ließ den Augen des Prinzen von Persien eine so außerordentliche Schönheit entgegenstrahlen, daß er davon bis ins Herz getroffen wurde. Die Frau ihrerseits konnte sich auch nicht enthalten, den Prinzen zu betrachten, dessen Anblick auf sie denselben Eindruck machte.

»Herr,« sagte sie zu ihm mit freundlicher Miene, »ich bitte Euch, setzet Euch.«

Der Prinz von Persien gehorchte und setzte sich auf den Rand des Sofas. Seine Augen blieben stets auf sie geheftet, und er verschlang in langen Zügen das süße Gift der Liebe. Denn ihre Schönheit war so groß, daß man folgende Verse eines Dichters auf sie anwenden konnte:

»Sie ist die Sonne, und ihr Wohnsitz ist der Himmel: tröste also dein Herz mit dem besten Troste.

Denn zu ihr vermag man nicht hinaufzusteigen, und sie kann nicht zu dir herab.«

Sie bemerkte bald, was in seiner Seele vorging; und diese Entdeckung mußte sie vollends für ihn entflammen. Sie stand auf, näherte sich Ebn Thaher, und nachdem sie ihm ganz leise die Absicht ihres Besuches gesagt hatte, fragte sie ihn nach dem Namen und Vaterlande des Prinzen von Persien. »Herrin,« antwortete ihr Ebn Thaher, »dieser junge Herr, von dem Ihr redet, nennt sich Abulhassan Ali Ebn Bekar und ist ein Prinz von königlichem Geblüte.«

Die Frau war erfreut, zu vernehmen, daß derjenige, den sie schon so leidenschaftlich liebte, von so hohem Stande war. »Ihr wollt ohne Zweifel sagen,« begann sie wieder, »daß er von den Königen von Persien abstammt?«

»Ja, Herrin,« erwiderte Ebn Thaher, »die letzten Könige von Persien sind seine Ahnen. Seit der Eroberung dieses Königreichs haben die Prinzen seines Hauses sich am Hofe unserer Kalifen stets hervorgetan.«

»Ihr macht mir ein großes Vergnügen,« sagte sie hierauf, »mich mit diesem jungen Herrn bekanntzumachen.« – »Sobald ich diese Frau sende,« fügte sie hinzu, indem sie auf eine ihrer Sklavinnen zeigte, »um Euch zu mir zu entbieten, so bitte ich Euch, ihn mitzubringen. Ich möchte ihm gern die Pracht meines Hauses zeigen, damit er rühmen könne, daß bei den vornehmen Leuten in Bagdad der Geiz nicht herrscht. Ihr versteht wohl, was ich sagen will. Vergesset es nicht; sonst bin ich sehr böse auf Euch und komme in meinem Leben nicht wieder hierher.«

Ebn Thaher hatte zu viel Scharfsinn, um aus diesen Worten nicht die Empfindungen der Frau zu erkennen. »Meine Fürstin, meine Königin,« erwiderte er, »Gott bewahre mich, Euch jemals einen Anlaß zum Zorne gegen mich zu geben. Ich werde mir es stets zum Gesetze machen, Eure Befehle zu vollziehen.«

Auf diese Antwort nahm die Frau Abschied von Ebn Thaher, indem sie ihm eine Verneigung mit dem Kopfe machte; und nachdem sie dem Prinzen von Persien einen freundlichen Blick zugeworfen hatte, bestieg sie wieder ihr Maultier und ritt weg ...«

Bei dieser Stelle schwieg die Sultanin Scheherasade zum großen Mißvergnügen des Sultans von Indien, welcher aufstehen mußte, weil der Tag schon anbrach.

Sie setzte in der folgenden Nacht diese Geschichte fort und sagte zu Schachriar:

 

Einhundertundsechsundneunzigste Nacht.

»Herr, der Prinz von Persien, sterblich verliebt in die schöne Frau, begleitete sie mit den Augen, solange er sie sehen konnte; und als sie schon längst seinen Blicken entschwunden war, hielt er dennoch die Augen auf den Weg gerichtet, welchen sie genommen hatte.

Ebn Thaher machte ihm bemerklich, daß einige Leute ihn beobachteten und anfingen, über seine Stellung zu lachen. »Ach,« sagte der Prinz zu ihm, »die Leute und Ihr würdet Mitleid mit mir haben, wenn Ihr wüßtet, daß die schöne Frau, die eben von Euch gegangen ist, den besseren Teil meiner selbst mit sich hinwegführt, und daß der übrige Teil nicht davon getrennt zu bleiben strebt! Saget mir, ich beschwöre Euch darum,« fügte er hinzu, »wer ist diese Frau, welche die Leute zur Liebe zwingt, ohne ihnen Zeit zur Besinnung zu lassen?«

»Herr,« antwortete ihm Ebn Thaher, »es ist die berühmte Schemselnihar, die erste Favoritin des Kalifen, unsers Herrn.«

»Mit Recht führt sie diesen Namen,« unterbrach ihn der Prinz, »denn sie ist schöner als die Sonne an einem wolkenlosen Tage.«

»Das ist wahr,« erwiderte Ebn Thaher; »auch liebt sie der Beherrscher der Gläubigen sehr, oder vielmehr, er betet sie an. Er hat mir ausdrücklich befohlen, ihr alles zu liefern, was sie von mir fordert, und selbst, soviel es mir immer möglich ist, allen ihren Wünschen zuvorzukommen.«

Er sprach also zu ihm, um ihn abzuhalten, sich in eine Liebe zu verstricken, welche nur unglücklich sein konnte: aber dies diente nur dazu, ihn noch mehr zu entflammen. »Es ahnte mir wohl, reizende Schemselnihar,« rief er aus, »daß es mir nicht erlaubt sein würde, meine Gedanken bis zu Euch zu erheben, dennoch fühle ich, obwohl ohne Hoffnung, von Euch geliebt zu werden, daß es nicht in meiner Gewalt steht, aufzuhören, Euch zu lieben. Ich werde Euch also ewig lieben und mein Geschick segnen, der Sklave des schönsten Wesens zu sein, das die Sonne bescheint.«

Während der Prinz von Persien also sein Herz der schönen Schemselnihar weihte, sann diese, indem sie heimkehrte, auf Mittel und Wege, den Prinzen zu sehen und sich ohne Zwang mit ihm zu unterhalten.

Sie war kaum wieder in ihrem Palaste angekommen, als sie zu Ebn Thaher diejenige von ihren Frauen schickte, die sie ihm gezeigt und in die sie ihr ganzes Vertrauen gesetzt hatte, um ihm zu sagen, daß er ohne Aufschub mit dem Prinzen von Persien zu ihr kommen möchte.

Die Sklavin kam in Ebn Thahers Laden in dem Augenblicke, als derselbe noch mit dem Prinzen von Persien sprach und sich bemühte, durch die stärksten Gründe ihm die Liebe zu der Favoritin des Kalifen auszureden. Als sie beide beisammen sah, sagte sie zu ihnen: »Ihr Herren, meine verehrte Herrin Schemselnihar, die erste Favoritin des Beherrschers der Gläubigen, bittet euch, in ihren Palast zu kommen, wo sie euch erwartet.«

Ebn Thaher, um seinen schleunigen Gehorsam zu bezeigen, stand sogleich auf, und ohne der Sklavin etwas zu antworten, folgte er ihr nicht ohne einiges Widerstreben. Der Prinz dagegen folgte ihr, ohne an die Gefahr zu denken, welche mit diesem Besuche verbunden war. Die Gegenwart Ebn Thahers, der freien Zutritt bei der Favoritin hatte, überhob ihn aller Unruhe. Beide folgten also der Sklavin, die etwas vorausging, in den Palast des Kalifen und gelangten mit ihr an die Tür des kleinen Palastes der Schemselnihar, welcher schon geöffnet war. Sie führte beide in einen großen Saal und bat sie, sich zu setzen.

Der Prinz glaubte sich in einen jener wonnevollen Paläste versetzt, welche man uns in jener Welt verheißt. Er hatte noch nichts gesehen, was mit der Pracht des Orts zu vergleichen war, wo er sich jetzt befand. Die Fußteppiche, die Lehnkissen und das übrige Zubehör des Sofas, das Zimmergeräte, die Zieraten der Baukunst waren von einer Schönheit und einem Reichtume, die in Erstaunen setzten.

Bald nachdem er sich mit Ebn Thaher gesetzt hatte, brachte ihnen eine sehr saubere schwarze Sklavin einen mit den erlesensten Speisen besetzten Tisch, deren köstlicher Geruch die Feinheit ihrer Zurichtung ankündigte.

Während sie aßen, verließ die Sklavin, welche sie hergeführt hatte, sie nicht; sie war sehr bemüht, ihnen die Gerichte zu empfehlen, welche sie als die besten kannte; andere Sklavinnen schenkten ihnen gegen das Ende der Mahlzeit trefflichen Wein ein. Als sie fertig waren, reichte man jedem besonders ein Becken mit einem goldnen Gefäße voll Wasser, um sich die Hände zu waschen; und hierauf brachte man ihnen ein goldenes Rauchfaß mit brennendem Aloeholz, womit sie sich den Bart und die Kleider durchräucherten. Auch wohlriechendes Wasser wurde nicht vergessen; es war in einem goldenen, mit Diamanten und Rubinen besetzten, eigens dafür bestimmten Gefäße und wurde ihnen in beide Hände gesprengt, womit sie sich der Gewohnheit gemäß den Bart und das Gesicht benetzten.

Sie nahmen nun ihren Platz wieder ein; aber kaum hatten sie sich gesetzt, so bat die Sklavin sie, aufzustehen und ihr zu folgen. Sie öffnete ihnen eine Türe des Saales, darin sie waren, und sie traten in einen größeren Saal von bewundernswürdiger Bauart: er hatte eine Kuppel von zierlicher Gestalt, getragen von hundert Säulen aus schönem alabasterweißen Marmor. Die Knäufe und Füße dieser Säulen waren mit vergoldetem Bildwerke von vierfüßigen Tieren und Vögeln mannigfaltiger Art geziert. Der Fußteppich dieses außerordentlichen Saales bestand aus einem einzigen Stücke Goldstoff, gestickt mit Rosensträußen von roter und weißer Seide, und gewährte mit der ebenso mit Arabesken bemalten Kuppel einen reizenden Anblick. Zwischen jedem Säulenpaare stand ein auf dieselbe Art verziertes kleines Sofa nebst großen Gefäßen von Porzellan, Jaspis, Gagath, Porphyr, Achat und anderen kostbaren Gesteinen, geschmückt mit Gold und Juwelen. Die Zwischenräume der Säulen waren ebensoviele große Fenster mit vorspringendem, gleich den Sofas verziertem Geländer und gaben die Aussicht auf den reizendsten Garten von der Welt. Seine Gänge bildeten durch kleine Steine von verschiedenen Farben den Fußteppich des Saales nach, so daß, wenn man nach innen und außen blickte, es schien, als wenn der Saal und der Garten mit allen seinen Reizen auf einem und demselben Teppiche ständen. Der Blick war ringsum, längs der Gänge hin, durch zwei Kanäle mit kristallhellem Wasser begrenzt, die in gleichem Kreise mit dem runden Saale liefen, und von welchen der eine etwas höhere wie eine ausgebreitete Silberdecke in den unteren herabfiel. Schöne Vasen von vergoldetem Erze, worin Gesträuche und Blumen standen, waren in gewissen Entfernungen ausgestellt. Diese Grenze durchschnitten große, mit schlanken und laubigen Bäumen besetzte Bäume, wo tausend Vögel ein klangvolles Konzert anstimmten und das Auge durch Hin- und Herfliegen ergötzten sowie durch ihre bald unschuldigen, bald blutigen Kämpfe, welche sie sich in der Luft lieferten.

Der Prinz und Ebn Thaher verweilten lange bei der Betrachtung dieser großen Pracht. Bei jedem Gegenstände, der ihnen auffiel, brachen sie in lautes Erstaunen und in Bewunderung aus, besonders der Prinz von Persien, der niemals etwas anders gesehen hatte, was mit dem zu vergleichen war, was er jetzt sah. Und Ebn Thaher, obwohl er schon einigemal diesen prächtigen Ort betreten hatte, entdeckte darin noch Schönheiten, welche ihm ganz neu erschienen. Kurz, beide wurden nicht müde, so viel seltene Gegenstände zu bewundern, und sie waren noch angenehm damit beschäftigt, als sie eine Gesellschaft reichgekleideter Frauen erblickten. Sie saßen alle draußen in einiger Entfernung von dem Saale, jede auf einem Stuhle von indischem, mit Silberdraht ausgeziertem Platanenholze, mit einem Musikinstrument in der Hand, und sie erwarteten nur den Befehl, um darauf zu spielen.

Sie stellten sich beide an das Geländer, wo man das Gesicht dieser Sklavinnen sehen konnte; und indem sie von hier zur Rechten schauten, sahen sie einen großen Hof, aus welchem Stufen in den Garten heraufführten, und der von sehr schönen Gemächern umgeben war.

Die Sklavin hatte sie verlassen, und als sie so allein waren, unterhielten sie sich eine Zeitlang. »Ihr, als ein kluger Mann,« sagte der Prinz von Persien, »betrachtet ohne Zweifel auch mit großer Zufriedenheit diese Zeichen von Größe und Macht. Ich für mein Teil glaube, daß es nichts Erstaunlicheres auf der Welt gibt; aber wenn ich daran denke, daß dieses die glänzende Wohnung der nur zu liebenswürdigen Schemselnihar und daß es der erste Monarch der Erde ist, der sie hier gefangen hält, so gestehe ich Euch, daß ich mich als den unglücklichsten aller Menschen fühle. Mich dünkt, daß es keine grausamere Bestimmung gibt als die meinige, einen Gegenstand zu lieben, der in der Gewalt meines Nebenbuhlers ist, und zwar an einem Orte, wo dieser Nebenbuhler so mächtig ist, daß ich diesen Augenblick selbst meines Lebens nicht sicher bin.«

Scheherasade erzählte diese Nacht nicht weiter, weil sie den Tag anbrechen sah. In der folgenden Nacht nahm sie den Faden wieder auf und sagte zu dem Sultan von Indien:

 

Einhundertundsiebenundneunzigste Nacht.

»Herr, als Ebn Thaher den Prinzen von Persien also reden hörte, antwortete er ihm: »Herr, wollte Gott, daß ich Euch ebenso gewisse Versicherungen über den glücklichen Erfolg Eurer Liebe geben könnte als über die Sicherheit Eures Lebens! Obgleich dieser prächtige Palast dem Kalifen gehört, der ihn eigens für Schemselnihar hat bauen lassen unter dem Namen Palast der ewigen Freuden als einen Teil seines eigenen Palastes, nichtsdestoweniger müßt Ihr wissen, daß diese Frau darin in vollkommner Freiheit lebt. Sie ist nicht von Verschnittenen umgeben, die über alle ihre Handlungen wachen. Sie hat ihr eigenes Hausgesinde, worüber sie unbeschränkt schaltet. Sie geht aus in die Stadt, ohne jemand um Erlaubnis zu fragen; sie kommt wieder, wann es ihr beliebt; und niemals besucht sie der Kalif, ohne Mesrur, das Oberhaupt seiner Verschnittenen, vorauszusenden, sie davon zu benachrichtigen, um sie auf seinen Empfang vorzubereiten. Also dürft Ihr ganz ruhig sein und alle Eure Aufmerksamkeit auf das Konzert richten, womit, wie ich sehe, Schemselnihar Euch beehren will.«

Indem Ebn Thaher diese Rede endigte, sahen sie die vertraute Sklavin der Favoritin kommen, die den vor ihnen sitzenden Frauen den Befehl erteilte, zu singen und ihre Instrumente zu spielen. Sogleich spielten alle zusammen wie zum Eingange; und nachdem sie eine Weile so gespielt hatten, fing eine allein an zu singen und begleitete ihre Stimme mit einer Laute, welche sie bewundernswürdig schön spielte. Sie sang mit wohllautender Stimme folgende Verse:

»O Schönheit, zu welcher die Liebe in meinem Herzen mit jedem Augenblicke wächst, herrsche über mich, wie dir es beliebt;

Und kühle durch deine Annäherung die Flammen meines Herzens, welches deine Entfernung aufzehrt.

Nimm zum Lohne dahin, was du immer willst: – doch keinen andern Lohn kann ich dir bieten als meinen Märtyrertod!«

Da sie angewiesen war, über welchen Gegenstand sie singen sollte, so waren ihre Worte so übereinstimmend mit den Empfindungen des Prinzen von Persien, daß er sich nicht enthalten konnte, am Ende des Gesanges seinen Beifall auszudrücken. »Ist es möglich,« rief er aus, »daß Ihr die Gabe habt, in die Herzen einzudringen, und daß Eure Kunde von dem, was in dem meinen vorgeht, Euch veranlaßt habe, uns Eure reizende Stimme in diesem Gesange hören zu lassen? Ich vermöchte mich selber nicht anders auszudrücken.«

Die Sängerin antwortete nichts auf die Anrede. Sie fuhr fort und sang noch folgende Verse:

»Ich bin von Liebe für sie entbrannt, ohne je gewußt zu haben, was Liebe ist.

In meinem Herzen und Busen wütet eine Flamme, die mich wahnsinnig macht.

Tränen vergießen ist mir zur heiligen Pflicht geworden; und wider meinen Willen zu seufzen kann ich nicht mehr unterlassen.«

Der Prinz wurde hierdurch so gerührt, daß er die Worte mit Tränen in den Augen wiederholte, was genugsam zu erkennen gab, daß er den Sinn derselben auf sich anwendete. Als sie alle ihre Verse gesungen hatte, stand sie mit ihren Begleiterinnen auf, und alle zusammen stimmten folgenden Gesang an:

»Gott ist groß!

Nun erscheint der Vollmond, und die Sonne vereinigt nun die Geliebte mit dem Liebenden!

Wer hat wohl je die Sonne und den leuchtenden Mond in den Gärten des ewigen Vergnügens und der Welt vereinigt gesehen?«

Das bedeutete, daß Schemselnihar nun erscheinen und der Prinz von Persien alsbald das Vergnügen haben würde, sie zu sehen.

In der Tat bemerkten Ebn Thaher und der Prinz von Persien, indem sie nach der Seite des Hofes hinblickten, daß die vertraute Sklavin sich näherte in Begleitung von zehn schwarzen Frauen, die mit vieler Mühe einen großen, bewundernswürdig gearbeiteten Thron von gediegenem Silber trugen, welchen sie in einer gewissen Entfernung vor ihnen hinsetzen ließ, worauf die schwarzen Sklavinnen sich hinter die Bäume am Anfange eines Ganges zurückzogen.

Demnächst kamen zwanzig sämtlich schöne und sehr reich und auf gleiche Weise gekleidete Frauen in zwei Reihen daher, jede mit einem Instrument, auf welchem sie spielten und dazu sangen, und stellten sich so zu beiden Seiten des Thrones.

Alle diese Dinge fesselten die Aufmerksamkeit des Prinzen von Persien und Ebn Thahers umsomehr, als die beiden begierig waren, zu sehen, womit sie beschließen würden.

Endlich sahen sie an derselben Türe, aus welcher die zehn schwarzen Weiber mit dem silbernen Throne und die folgenden zwanzig Sängerinnen gekommen waren, zehn andere gleich schöne und reich gekleidete Frauen erscheinen, welche einige Augenblicke dort stillestanden. Sie erwarteten ihre Herrin, die endlich erschien und in ihre Mitte trat ...«

Der Tag, welcher schon das Gemach Schachriars zu erhellen begann, legte Scheherasaden Stillschweigen auf. In der folgenden Nacht fuhr sie also fort:

 

Einhundertundachtundneunzigste Nacht.

»Schemselnihar trat also in die Mitte der zehn Frauen, die sie an der Türe erwartet hatten. Sie war leicht unter ihnen zu erkennen, sowohl durch ihren Wuchs und ihre majestätische Haltung als durch eine Art Mantel von einem sehr leichten himmelblauen, mit Gold durchwirkten Stoffe; sie trug diesen auf den Schultern befestigt über ihrem Kleide, welches das sauberste, geschmackvollste und prächtigste war, das man sich nur denken kann. Die Perlen, Diamanten und Rubinen, welche ihr zum Schmucke dienten, waren nicht in Überladung ausgestreut: alles war nur in kleiner Anzahl da, aber auserlesen und von unschätzbarem Werte. Sie trat mit einer Majestät daher wie die Sonne in ihrem Laufe mitten durch das Gewölk, welches ihren Glanz aufnimmt, ohne ihn zu verhüllen, und setzte sich auf den silbernen Thron, der für sie hergebracht war.

Sobald der Prinz von Persien Schemselnihar erblickte, hatte er nur Augen auf sie. »Man erkundigt sich nicht mehr nach dem, was man suchte, sobald man es erblickt,« sprach er zu Ebn Thaher; »und aller Zweifel schwindet, sobald die Wahrheit sich offenbart. Seht Ihr diese bezaubernde Schönheit? Sie ist die Ursache meiner Leiden, die ich segne und nicht aufhören werde zu segnen, wie hart und wie langwierig sie auch sein mögen! Bei diesem Anblicke bin ich meiner selbst nicht mehr mächtig; meine Seele gerät in Unruhe und Empörung, und ich fühle, daß sie mich verlassen will. So geh denn hin, o meine Seele, ich erlaube es dir! Aber tu es zum Wohle und zur Erhaltung dieses gebrechlichen Leibes. – Ihr seid es, grausamer Ebn Thaher, der diese Verwirrung veranlaßt hat: Ihr wähntet mir ein großes Vergnügen zu machen, indem Ihr mich hierher führtet; und ich sehe, daß ich zur Vollendung meines Verderbens hergekommen bin. – Verzeihet mir,« fuhr er fort, indem er sich wieder faßte, »ich täusche mich, gern bin ich hergekommen, und ich habe nur mich anzuklagen.« Bei diesen Worten zerfloß er in Tränen.

»Es freut mich,« sagte Ebn Thaher darauf, »daß Ihr mir Gerechtigkeit widerfahren laßt. Als ich Euch sagte, daß Schemselnihar die Favoritin des Kalifen ist, tat ich es ausdrücklich deshalb, um dieser unseligen Leidenschaft zuvorzukommen, welche Ihr mit Wohlgefallen in Eurem Herzen nähret. Alles, was Ihr hier sehet, muß Euch davon abwenden, und Ihr dürft nur noch den Empfindungen der Dankbarkeit Raum geben für die Ehre, welche Schemselnihar Euch erweist, indem sie mir befahl, Euch mit mir zu bringen. Rufet also Eure verwirrte Vernunft zurück und setzet Euch in den Stand, vor ihr zu erscheinen, wie der Wohlstand es fordert. Sehet, da kommt sie. Wäre es nicht schon so weit gediehen, so würde ich andere Maßregeln nehmen; weil aber die Sache nun einmal geschehen ist, so bitte ich Gott, daß es uns nicht gereuen möge. – Was ich Euch noch einzuschärfen habe,« fuhr er fort, »ist, daß die Liebe eine Verräterin ist und Euch in einen Abgrund stürzen kann, aus welchem Ihr Euch nie wieder befreit.«

Ebn Thaher hatte nicht Zeit, noch mehr zu sagen, weil Schemselnihar herankam. Sie setzte sich auf ihren Thron und grüßte sie beide durch eine Neigung des Hauptes. Aber ihre Augen verweilten auf dem Prinzen von Persien, und beide unterredeten sich miteinander in einer stummen, mit Seufzern untermischten Sprache, durch welche sie sich in wenigen Augenblicken mehr sagten, als sie in langer Zeit durch Worte vermocht hätten. Je länger Schemselnihar den Prinzen ansah, je mehr bestärkten ihre Blicke sie in dem Gedanken, daß er gegen sie nicht gleichgültig wäre; und schon überzeugt von der Gegenliebe des Prinzen, fühlte sie sich die glücklichste Sterbliche auf der Welt. Sie wandte endlich ihre Augen von ihm und befahl den Frauen, die zuerst gesungen hatten, sich zu nähern. Diese standen auf, und während sie herantraten, kamen die schwarzen Weiber aus dem Baumgange wieder hervor, trugen ihnen die Stühle nach und stellten sie nahe an das vorspringende Fenster des Saales, wo Ebn Thaher und der Prinz von Persien saßen, dergestalt, daß die Stühle mit dem Throne der Favoritin und den Frauen zu ihren Seiten einen Halbkreis vor ihnen bildeten.

Als die Frauen, welche zuvor auf den Stühlen saßen, auf einen Wink Schemselnihars alle ihren Platz wieder eingenommen hatten, wählte ihre reizende Herrin eine von ihnen aus, zu singen. Nachdem diese Frau ihre Laute gestimmt hatte, sang sie folgendes Lied:

»Der Geliebte eilet zu der Geliebten, und die Zärtlichkeit macht beide Herzen zu einem Herzen.

Sie nahen sich dem Bache der Liebe und genießen in vollem Maße seines köstlich süßen Wassers.

Hier verweilen sie, und mit Tränen im Auge wiederholen sie sich folgende Worte:

»Warum gehöre ich nicht dir und du mir an? Allein das Geschick ist schuld daran, nicht uns ist die Schuld zuzuschreiben, die wir unter dem Einflusse des Geschickes stehen.«

Schemselnihar deutete durch Blicke und Gebärden diese Worte so sichtlich auf sich und den Prinzen von Persien, daß dieser sich nicht länger halten konnte. Er stand halb auf, lehnte sich über die Fensterbrüstung hinaus und bat eine von den nächsten Gespielinnen der Frau, die eben gesungen hatte, auf sein Tun achtzugeben; und da sie nahe war, sagte er zu ihr: »Merket auf mich und erzeiget mir die Gefälligkeit, mit Eurer Laute den Gesang zu begleiten, den ich anstimmen werde.« Und nun sang er folgendes Lied:

»Wegen der großen Entfernung, die zwischen dir und mir ist, ziemt meinem Auge nichts anders als Weinen: du Wonne und Sehnsucht meiner Augen, du einziges Ziel meiner Wünsche, du mein Abgott!

Erleichtere das Schicksal desjenigen, dessen Augen in Tränen des Kummers und der Betrübnis schwimmen, dessen Liebe sein Innerstes durchdringt, und dessen Schwermut sonst lebenslang dauern wird.«

Sobald er geendigt hatte, folgte Schemselnihar seinem Beispiele und sagte zu einer ihrer Frauen: »Merke auf mich und begleite meine Stimme.« Zu gleicher Zeit sang sie ein Lied, welches das Herz des Prinzen nur noch mehr in Flammen setzte; und dieser antwortete ihr wieder durch einen Gesang, der noch leidenschaftlicher war als der zuerst gesungene.

Als die beiden Liebenden also durch ihre Gesänge ihre wechselseitige Zärtlichkeit erklärt hatten, vermochte Schemselnihar nicht länger der Gewalt der ihrigen zu widerstehen. Ganz außer sich, erhob sie sich von ihrem Throne und näherte sich der Türe des Saales. Der Prinz, ihre Absicht verstehend, erhob sich auch sogleich und eilte ihr entgegen. Beide begegneten sich unter der Türe, wo sie einander die Hände entgegenstreckten und sich mit solcher Inbrunst umarmten, daß sie ohnmächtig wurden. Sie wären umgesunken, wenn die Frauen, welche Schemselnihar gefolgt waren, es nicht verhindert hätten; diese hielten sie aufrecht und trugen sie auf ein Sofa, wo sie sie wieder zu sich brachten, indem sie ihnen wohlriechendes Wasser ins Gesicht spritzten und sie mehrere andere Wohlgerüche einziehen ließen.

Als beide wieder zur Besinnung gekommen waren, war das erste, was Schemselnihar tat, daß sie nach allen Seiten um sich blickte; und da sie Ebn Thaher nicht sah, fragte sie hastig, wo er wäre. Ebn Thaher hatte sich aus Ehrerbietigkeit entfernt, während die Frauen um ihre Gebieterin beschäftigt waren, und fürchtete mit Recht üble Folgen von dem, was er eben gesehen hatte. Sobald er hörte, daß Schemselnihar nach ihm fragte, näherte er sich und trat vor sie hin ...«

Bei dieser Stelle hörte die Sultanin Scheherasade auf zu erzählen, weil der Tag anbrach. In der folgenden Nacht fuhr sie also fort:

 

Einhundertundneunundneunzigste Nacht.

»Schemselnihar war erfreut, Ebn Thaher zu sehen, und bezeigte ihm ihre Freude in folgenden verbindlichen Worten: »Ebn Thaher, ich weiß nicht, wie ich Euch für die unendlichen Verpflichtungen, welche ich gegen Euch habe, meine Erkenntlichkeit bezeigen soll. Ohne Euch hätte ich den Prinzen von Persien nie kennen gelernt und das Liebenswürdigste, was es auf der Welt gibt, nie geliebt. Seid indes überzeugt, daß ich nicht undankbar sterben werde, sondern daß meine Erkenntlichkeit wo möglich dem Dienst entsprechen soll, den ich Euch verdanke.«

Ebn Thaher antwortete auf diese höfliche Anrede nur durch eine tiefe Verbeugung und wünschte Schemselnihar die Erfüllung aller ihrer Wünsche.

Schemselnihar wandte sich nun zu dem Prinzen von Persien, der neben ihr saß, und indem sie ihn mit einer Art von Verwirrung über das zwischen ihnen Vorgefallene anblickte, sprach sie zu ihm: »Mein Teurer, ich bin versichert, daß Ihr mich liebt; und mit welcher Glut Ihr mich auch liebt, Ihr könnt nicht zweifeln, daß meine Liebe ebenso heftig sei als die Eure. Aber verhehlen wir es uns nicht: wie sehr auch Eure Gefühle mit den meinen übereinstimmen, so sehe ich doch auch für Euch wie für mich nichts als Sorgen, Sehnsucht und tödliches Weh. Es gibt kein anderes Mittel gegen unsere Leiden, als uns immerdar zu lieben, uns in den Willen des Himmels zu ergeben und zu erwarten, was er über uns verhängt.«

»Herrin,« antwortete ihr der Prinz von Persien, »Ihr würdet mir das größte Unrecht von der Welt tun, wenn Ihr nur einen Augenblick an der Dauer meiner Liebe zweifeltet: sie ist mit meiner Seele dergestalt vereinigt, daß sie den besseren Teil derselben ausmacht, und daß ich sie selbst nach meinem Tode noch bewahren werde. Leiden, Qualen, Martern, nichts vermag mich zu hindern, Euch zu lieben.« Indem er diese Worte aussprach, flossen seine Augen von Tränen über, und auch Schemselnihar konnte die ihrigen nicht zurückhalten.

Ebn Thaher nahm diese Zeit wahr, zu reden. »Herrin,« sagte er zu ihr, »erlaubet mir, Euch zu erinnern, daß Ihr, anstatt in Tränen zu zerfließen, lieber Euch freuen solltet, Euch so vereint zu sehen. Ich begreife nicht Euren Schmerz. Wie wird es erst sein, wenn die Notwendigkeit Euch zwingt, Euch zu trennen? Wir sind schon lange hier; und Ihr wißt, Herrin, daß es Zeit ist, uns zurückzuziehen.«

»Ach, wie grausam Ihr seid!« erwiderte Schemselnihar. »Ihr, der die Ursache meiner Tränen kennt, solltet Ihr nicht Mitleid mit dem unglücklichen Zustande haben, worin Ihr mich sehet? Traurige Notwendigkeit! Was habe ich denn verbrochen, daß ein grausames Verhängnis mir verbietet, mich dessen zu erfreuen, das ich einzig liebe?«

Da sie überzeugt war, daß Ebn Thaher nur aus Freundschaft zu ihr gesprochen, so nahm sie ihm nicht übel, was er zu ihr gesagt hatte, vielmehr benutzte sie es. In der Tat gab sie der vertrauten Sklavin einen Wink, und diese ging sogleich hinaus und brachte bald darauf einen kleinen silbernen, mit Früchten besetzten Tisch, welchen sie zwischen ihre Gebieterin und den Prinzen von Persien hinstellte. Schemselnihar wählte das beste darunter aus, reichte es dem Prinzen und bat ihn, ihr zuliebe davon zu essen. Er nahm es und brachte die Stelle an seinen Mund, welche sie berührt hatte. Er reichte seinerseits einige Früchte an Schemselnihar, die sie auch nahm und auf dieselbe Weise aß. Sie vergaß auch nicht, Ebn Thaher einzuladen, mit ihnen zu essen; dieser aber, der sich an einem Orte sah, wo er sich nicht in Sicherheit glaubte, wäre lieber zu Hause gewesen und aß nur aus Gefälligkeit mit. Nachdem abgetragen war, brachte man ein silbernes Becken mit Wasser in einem goldenen Gefäße, und sie wuschen sich sämtlich die Hände, hierauf nahmen sie ihre Plätze wieder ein, und drei von den zehn Frauen brachten jede eine Schale von Bergkristall voll köstlichen Weines auf einer goldenen Unterschale und setzten sie vor Schemselnihar, den Prinzen von Persien und Ebn Thaher hin. –

Um mehr allein zu sein, behielt Schemselnihar nur die zehn schwarzen Frauen, die singen und spielen konnten, bei sich; und nachdem sie alle übrigen weggeschickt hatte, nahm sie eine der Trinkschalen, und dieselbe in der Hand haltend, sang sie folgende zärtliche Worte, welche eine der Frauen mit ihrer Laute begleitete:

»Mein Leben gebe ich preis für denjenigen, der meinen Gruß so freundlich erwiderte; er hat meine Lust zur Liebe wieder erneuert, nachdem ich schon alle Hoffnung aufgegeben hatte.

Sooft er erscheint, so verrät bei mir die Sehnsucht meine Geheimnisse und offenbaret dem, der mich darum beneidet, was in meinem Innersten vorgeht.

Er weinet vor Neid, ich vor Liebesfreude. Jeder, der es siehet, sollte glauben, wir weinen beide vor Liebe zu ihm.«

Als sie dies gesungen hatte, trank sie; hierauf nahm sie eine der beiden andern Schalen, reichte sie dem Prinzen und bat ihn, ihr zuliebe zu trinken. Er nahm sie mit freudigem Entzücken der Liebe; aber bevor er trank, sang er auch folgendes Lied, welches eine andere der Frauen mit ihrem Saitenspiele begleitete:

»Es fließen meine Tränen, sie gleichen meinem Weine und vermischen sich mit ihm: wer hat je wie ich das Auge zum Becher gehabt?

Und wahrlich, ich weiß nicht, ob Wein aus meinen Augen quillt, oder ob ich von meinen Tränen trinke.«

Und indem er so sang, flossen seine Augen von Tränen über.

Schemselnihar reichte endlich die dritte Schale an Ebn Bekar, der ihr für ihre Güte und die ihm erwiesene Ehre höflich dankte, und eine andere Sklavin nahm die Laute und sang für ihn folgende Verse:

»Die Tränen verdrängen einander auf seinen Wangen wegen des Liebesbrandes, der in seiner Brust wütet.

Er weint in der Geliebten Nähe aus Furcht vor ihrer Entfernung. Ferne und nahe strömen die Tränen gleich stark.«

Hierauf nahm Schemselnihar einer ihrer Frauen die Laute aus der Hand und begleitete sie mit ihrer Stimme auf eine so leidenschaftliche Weise, daß sie ganz außer sich schien; und der Prinz von Persien, mit fest auf sie gehefteten Augen, saß unbeweglich, als wenn er verzaubert wäre.

Mittlerweile trat die vertraute Sklavin ganz verstört herein und sagte zu ihrer Herrin: »Gnädige Frau, Mesrur und zwei andere Hofbediente in Begleitung mehrerer Verschnittener sind an der Türe und verlangen im Namen des Kalifen mit Euch zu sprechen.« Als der Prinz von Persien und Ebn Thaher diese Worte vernahmen, veränderten sie die Farbe und fingen an zu zittern, als wenn ihr Untergang schon gewiß wäre. Aber Schemselnihar. die es bemerkte, beruhigte sie durch einen Seufzer ...«

Das anbrechende Tageslicht nötigte Scheherasaden, hier ihre Erzählung zu unterbrechen. Sie nahm sie in der folgenden Nacht wieder auf:

 

Zweihundertste Nacht.

»Nachdem Schemselnihar den Prinzen von Persien und Ebn Thaher beruhigt hatte, trug sie ihrer vertrauten Sklavin auf, hinzugehen und Mesrur und die beiden andern Hofbedienten des Kalifen so lange zu unterhalten, bis sie selber sich in den Stand gesetzt hätte, sie zu empfangen, und ihr sagen ließe, sie hereinzuführen.«

Sogleich befahl sie, alle Fenster des Saales zu schließen und die gemalten Vorhänge auf der Gartenseite niederzulassen. Und nachdem sie den Prinzen und Ebn Thaher versichert hatte, daß sie ohne Furcht dort bleiben könnten, ging sie aus der Türe, die nach dem Garten führte, und schloß sie hinter sich zu. Aber wie sehr sie ihnen auch ihre Sicherheit verbürgte, so empfanden beide gleichwohl die lebhafteste Unruhe während der ganzen Zeit, daß sie allein waren.

Sobald Schemselnihar mit ihrem Gefolge im Garten war, ließ sie die Stühle, auf welchen die Frauen nahe am Fenster vor dem Prinzen von Persien und Ebn Thaher gesessen und gespielt hatten, wieder wegtragen, und als sie alles angeordnet sah, wie sie verlangte, setzte sie sich auf ihren silbernen Thron. Hierauf ließ sie der vertrauten Sklavin befehlen, das Oberhaupt der Verschnittenen und die beiden Unterbeamten hereinzuführen.

Diese erschienen in Begleitung von zwanzig schwarzen Verschnittenen, alle reich gekleidet, den Säbel an der Seite, mit einem vier Finger breiten goldenen Gürtel. Sobald sie in der Ferne die Favoritin erblickten, machten sie ihr eine tiefe Ehrenbezeigung, welche sie auf ihrem Throne erwiderte. Als sie näher kamen, stand sie auf und ging Mesrur, der an der Spitze war, entgegen. Sie fragte ihn, was er Neues brächte; er antwortete ihr: »Gebieterin, der Beherrscher der Gläubigen, der mich zu Euch sendet, hat mir aufgetragen, Euch zu bezeugen, daß er nicht länger ohne Euren Anblick leben kann. Er hat die Absicht, Euch diese Nacht zu besuchen; ich komme, Euch davon zu benachrichtigen, damit Ihr Euch auf seinen Empfang vorbereitet. Er hofft, Herrin, daß Ihr ihn mit ebensoviel Vergnügen sehet, als er voll Ungeduld ist, bei Euch zu sein.«

Auf diese Anrede Mesrurs warf Schemselnihar sich zur Erde, um ihre Ergebung in den Befehl des Kalifen zu bezeigen. Als sie wieder aufgestanden war, sagte sie zu ihm: »Ich bitte Euch, dem Beherrscher der Gläubigen zu sagen, daß ich mir immer eine Ehre daraus machen werde, die Befehle Seiner Majestät zu vollziehen, und daß seine Sklavin sich bestreben wird, ihn mit aller ihm gebührenden Ehrfurcht zu empfangen.«

Zu gleicher Zeit befahl sie ihrer vertrauten Sklavin, den Palast durch die zu solchem Dienste bestellten schwarzen Sklavinnen zum Empfange des Kalifen in den Stand setzen zu lassen. Hierauf entließ sie das Oberhaupt der Verschnittenen mit folgenden Worten: »Ihr seht, daß einige Zeit erfordert wird, um alles vorzubereiten. Macht also, ich bitte Euch recht sehr, daß er sich ein wenig gedulde, damit er bei seiner Ankunft uns nicht in der Unordnung finde.«

Als das Oberhaupt der Verschnittenen und sein Gefolge sich entfernt hatten, kehrte Schemselnihar in den Saal zurück, äußerst betrübt, daß sie sich genötigt sah, den Prinzen von Persien früher zu entlassen, als sie erwartet hatte. Sie nahte sich ihm wieder, mit Tränen in den Augen, was noch den Schrecken Ebn Thahers vermehrte, der daraus eine üble Vorbedeutung zog.

»Herrin,« sagte der Prinz zu ihr, »ich sehe wohl, Ihr kommt, mir anzukündigen, daß wir uns trennen müssen. Wenn ich nur nichts Schlimmeres zu befürchten habe, so hoffe ich, daß der Himmel mir die Geduld verleihen wird, deren ich bedarf, um Eure Abwesenheit zu ertragen.«

»Ach, mein liebes Herz, meine liebe Seele,« unterbrach ihn die überzärtliche Schemselnihar, »wie glücklich seid Ihr, und wie unglücklich fühle ich mich, wenn ich Euer Los mit meinem traurigen Schicksal vergleiche! Ihr werdet ohne Zweifel leiden, wenn Ihr mich nicht sehet; aber das wird all Eure Pein sein, und Ihr könnt Euch mit der Hoffnung trösten, mich wiederzusehen. Ich dagegen, gerechter Himmel, auf welche harte Probe werde ich gestellt! Ich werde nicht nur des Anblickes dessen, das ich einzig liebe, beraubt, sondern muß auch noch den eines Gegenstandes ertragen, den Ihr mir verhaßt gemacht habt! Wird die Ankunft des Kalifen mir nicht Eure Entfernung ins Gedächtnis zurückrufen? Und wie könnte ich, mit Eurem Bilde beschäftigt, diesem Fürsten die Freude zeigen, welche er bisher in meinen Augen bemerkte, sooft er mich zu besuchen kam? Mein Geist wird zerstreut sein, indem ich mit ihm spreche; und die geringsten Gefälligkeiten, die ich seiner Liebe gewähre, werden ebensoviel Dolchstiche sein, die mir das Herz durchbohren. Wie können seine Schmeicheleien und Liebkosungen mir noch gefallen? Sehet, Prinz, welchen Qualen ich ausgesetzt bin, sobald ich Euch nicht mehr sehe!« Die Tränen, welche ihr hierauf entflossen, und die Seufzer verhinderten sie, noch mehr zu sagen. Der Prinz von Persien wollte ihr antworten; aber er hatte nicht die Kraft dazu: sein eigner Schmerz und der, welchen seine Geliebte ihn sehen ließ, hatten ihm die Sprache benommen.

Ebn Thaher, der nur darauf bedacht war, aus dem Palaste zu kommen, war genötigt, beide zu trösten, indem er sie zur Geduld ermahnte. Aber die vertraute Sklavin trat herein und unterbrach ihn. »Gebieterin,« sagte sie zu Schemselnihar, »es ist keine Zeit zu verlieren: die Verschnittenen kommen schon an, und Ihr wißt, der Kalif erscheint bald darnach.«

»O Himmel, wie grausam ist diese Trennung!« rief die Favoritin aus. »Eile,« sagte sie dann zu ihrer Vertrauten, »und führe diese beiden in die Galerie, die auf der einen Seite nach dem Garten und auf der andern nach dem Tigris sieht, und wenn die Nacht ihre tiefste Dunkelheit über die Erde verbreitet, so entlaß sie aus der Hintertüre, damit sie sicher heimkommen.«

Mit diesen Worten umarmte sie zärtlich den Prinzen von Persien, ohne ihm ein einziges Wort sagen zu können, und ging dem Kalifen entgegen in einer Verwirrung, die man sich leicht denken kann.

Unterdessen führte die vertraute Sklavin den Prinzen und Ebn Thaher in die Galerie, die Schemselnihar ihr bezeichnet hatte; hier ließ sie beide allein, schloß die Türe hinter ihnen zu und entfernte sich, nachdem sie sie nochmals versichert hatte, daß sie nichts zu fürchten hätten, und daß sie kommen und sie herauslassen würde, wenn es Zeit wäre ...

Aber, Herr,« sagte Scheherasade bei dieser Stelle, »der Tag, den ich anbrechen sehe, legt mir Stillschweigen auf.« Damit schwieg sie; und in der folgenden Nacht nahm sie ihre Erzählung wieder auf und fuhr fort:

 

Zweihundertunderste Nacht.

»Herr, als die vertraute Sklavin der Schemselnihar sich entfernt hatte, vergaßen der Prinz von Persien und Ebn Thaher ihre Versicherung, daß sie nichts zu fürchten hätten. Sie untersuchten die ganze Galerie und wurden von der äußersten Furcht ergriffen, als sie keinen Ausweg sahen, durch welchen sie entschlüpfen konnten, wenn es etwa dem Kalifen oder einigen seiner Leute einfiele, dorthin zu kommen.

Ein heller Schein, den sie plötzlich von der Gartenseite durch die Gitterfenster erblickten, veranlaßte sie, näherzutreten und zu sehen, woher er käme. Er entstand von hundert weißen Wachsfackeln, welche ebensoviele junge schwarze Verschnittene in der Hand trugen. Diesen Jünglingen folgten mehr als hundert ältere Verschnittene, sämtlich von der Frauenwache im Palaste des Kalifen und ebenso gekleidet und mit einem Säbel bewaffnet wie diejenigen, von denen ich schon erzählt habe. Hinter ihnen ging der Kalif zwischen Mesrur, ihrem Oberhaupte, zu seiner Rechten und Wassif, ihrem zweiten Befehlshaber, zu seiner Linken.

Schemselnihar erwartete den Kalifen am Anfange eines Baumganges in Begleitung von zwanzig Frauen, sämtlich von auffallender Schönheit und geschmückt mit Halsbändern und Ohrgehängen von großen Diamanten, so wie ihr ganzer Kopf mit andern kleineren Diamanten bedeckt war. Sie sangen zum Schall ihrer Instrumente und machten ein herrliches Konzert. Sobald Schemselnihar den Fürsten erblickte, näherte sie sich ihm und warf sich zu seinen Füßen. Aber indem sie diese Gebärde machte, sagte sie bei sich selber: »Ach, Prinz von Persien, wenn Eure betrübten Augen Zeugen sind von dem, was ich tue, so ermesset die Härte meines Schicksals! Ja, vor Euch wollte ich mich gern also demütigen: mein Herz würde kein Widerstreben dabei empfinden.«

Der Kalif war sehr erfreut, Schemselnihar zu sehen. »Stehet auf, Herrin,« sagte er zu ihr, »und tretet näher. Ich mache mir selber Vorwürfe, daß ich mich so lange des Vergnügens, Euch zu sehen, beraubt habe.« Mit diesen Worten faßte er sie bei der Hand; und indem er ihr ohne Aufhören verbindliche Sachen sagte, ging er hin und setzte sich auf den silbernen Thron, welchen Schemselnihar für ihn hatte bringen lassen. Sie selber setzte sich auf einen Stuhl vor ihm, und die zwanzig Frauen auf ihren Stühlen schlossen einen Kreis um sie, während die jungen Verschnittenen mit den Fackeln sich in gewisser Entfernung voneinander im Garten zerstreuten, damit der Kalif desto bequemer der Frische des Abends genießen könnte.

Als der Kalif sich gesetzt hatte, schaute er um sich her und sah mit großer Zufriedenheit den Garten von unzähligen Lichtern erleuchtet, außer den Fackeln der jungen Verschnittenen. Er bemerkte aber, daß der Saal verschlossen war; er verwunderte sich darüber und fragte nach der Ursache. Es war absichtlich geschehen, um ihn zu überraschen. Denn kaum hatte er davon gesprochen, so öffneten die Fenster sich alle auf einmal, und er sah den Saal von innen und von außen so glänzend und geschmackvoll erleuchtet, als er es noch nie gesehen hatte.

»Reizende Schemselnihar,« rief er bei diesem Schauspiele aus, »ich verstehe Euch. Ihr wollt mir zu erkennen geben, daß es ebenso schöne Nächte gibt als die schönsten Tage. Nach dem, was ich hier sehe, kann ich es nicht leugnen.«

Aber wir kommen wieder zu dem Prinzen von Persien und Ebn Thaher, die wir in der Galerie gelassen haben. Ebn Thaher konnte nicht genug alles bewundern, was seinen Blicken sich darbot. »Ich bin nicht mehr jung,« sagte er, »und ich habe in meinem Leben manche großen Feste gesehen: aber ich glaube nicht, daß man noch etwas so Erstaunliches sehen kann und etwas, was von so viel Größe zeugt. Alles, was man uns von bezauberten Schlössern erzählt, ist nicht mit dem wunderbaren Schauspiele zu vergleichen, welches wir hier vor Augen haben. Welcher Reichtum und zugleich welche Pracht!«

Der Prinz von Persien blieb ungerührt von allen diesen glänzenden Erscheinungen, welche Ebn Thaher so viel Vergnügen machten. Er hatte nur Augen für Schemselnihar, und die Gegenwart des Kalifen versenkte ihn in eine unbeschreibliche Traurigkeit. »Teurer Ebn Thaher,« sagte er, »wollte Gott, daß mein Geist leicht genug wäre, um wie Ihr nur bei dem zu verweilen, was meine Bewunderung erregen muß! Aber ach! ich bin in einem ganz anderen Zustande. Alle diese Gegenstände dienen nur dazu, meine Qual zu vermehren. Kann ich den Kalifen bei derjenigen sehen, die ich liebe, ohne vor Verzweiflung zu sterben? Ach, daß eine so zärtliche Liebe wie die meine durch einen so mächtigen Nebenbuhler getrübt werden muß! O Himmel, wie seltsam und grausam ist mein Schicksal! Vor einem Augenblick noch war ich der glücklichste Liebende von der Welt, und jetzt fühle ich mein Herz von einem Stoße verwundet, der mir den Tod gibt. Ich kann nicht länger widerstehen, mein Ebn Thaher, meine Geduld ist am Ende; mein Herz überwältigt mich, und mein Mut erliegt.« Indem er diese letzten Worte aussprach, sah er im Garten etwas vorgehen, was ihn unterbrach und seine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Der Kalif hatte einer der Frauen in seiner Nähe befohlen, zu ihrer Laute zu singen, und sie hub ihren Gesang an. Die Worte, welche sie sang, waren sehr leidenschaftlich; und der Kalif, in der Meinung, daß sie dieselben auf Befehl Schemselnihars sänge, die ihm oft ähnliche Zärtlichkeitsbezeigungen gegeben hatte, legte sie zu seinen Gunsten aus. Das war aber diesmal nicht Schemselnihars Absicht. Sie bezog sich auf ihren geliebten Ali Ebn Bekar, und sie wurde durch den Anblick eines Gegenstandes, dessen Gegenwart sie nicht länger aushalten konnte, von einem so heftigen Schmerze durchdrungen, daß sie in Ohnmacht fiel. Sie sank zurück auf ihrem Stuhle, der keine Armlehnen hatte, und sie würde heruntergefallen sein, wenn nicht einige ihrer Treuen ihr schleunig beigesprungen wären. Sie hoben sie auf und trugen sie in den Saal. Ebn Thaher in der Galerie erschrak über diesen Vorfall und drehte den Kopf nach dem Prinzen, aber anstatt ihn an das Gitter gelehnt zu sehen, um hindurchzuschauen wie er, sah er ihn zu seinem größten Erstaunen bewegungslos zu seinen Füßen hingestreckt liegen. Er erkannte darüber die Stärke der Liebe, von welcher der Prinz für Schemselnihar ergriffen war, und er bewunderte die seltsame Wirkung der Sympathie, die ihn aber wegen des Ortes, wo sie sich befanden, in tödliche Angst versetzte. Er tat unterdessen, was er vermochte, um den Prinzen wieder zu sich selber zu bringen; aber alles war vergeblich.

Noch war Ebn Thaher in dieser Verlegenheit, als die Türe der Galerie sich öffnete und Schemselnihars Vertraute außer Atem und wie eine Person, die nicht mehr wußte, wo sie war, hereintrat. »Kommt schleunig,« rief sie ihnen zu, »daß ich euch hinauslasse. Alles ist hier in Verwirrung, und ich fürchte, dies hier ist unser letzter Tag.«

»Ja, wie sollen wir denn von hier wegkommen?« antwortete Ebn Thaher mit einem Tone, der seine ganze Traurigkeit ausdrückte. »Ich bitte Euch, tretet näher und sehet, in welchem Zustande der Prinz von Persien sich befindet.«

Als die Sklavin ihn ohnmächtig sah, lief sie, ohne die Zeit mit Reden zu verlieren, nach Wasser und kam in wenig Augenblicken wieder zurück.

Endlich erholte sich der Prinz von Persien wieder, nachdem man ihm Wasser ins Gesicht gespritzt hatte. »Prinz,« sagte nun Ebn Thaher zu ihm, »wir laufen Gefahr, beide umzukommen, Ihr und ich, wenn wir noch länger hier verweilen; rafft Euch also zusammen und laßt uns schleunigst entfliehen.«

Der Prinz war so schwach, daß er nicht allein aufstehen konnte. Ebn Thaher und die Vertraute halfen ihm auf, faßten ihn unter beiden Armen und gingen so mit ihm bis zu einer kleinen eisernen Türe, die nach dem Tigris führte. Sie gingen hinaus bis an das Ufer eines kleinen Kanals, der mit dem Flusse in Verbindung stand. Die Vertraute klatschte mit den Händen, und sogleich erschien ein kleines Boot und nahte sich ihnen mit einem einzigen Ruderer. Ali Ebn Bekar und sein Gefährte stiegen ein, und die vertraute Sklavin blieb am Ufer des Kanals.

Sobald der Prinz sich in dem Boote niedergesetzt hatte, streckte er die eine Hand nach dem Palast hin, legte die andere auf sein Herz und rief mit schwacher Stimme aus:

»Zum Abschiede strecke ich meine schwache Hand aus und decke die andere auf den Brand, der in meinem Herzen wütet.

Möchte doch dieser Besuch nicht der letzte bei dir gewesen und dieser Abschied nicht der letzte von dir sein!

Teures Kleinod meiner Seele, nimm mein Gelübde von dieser Hand, während ich dich mit der andern versichere, daß mein Herz immerdar die Glut bewahren wird, von welcher es für dich entbrannt ist! ...«

Bei dieser Stelle bemerkte Scheherasade, daß es schon Tag war. Sie schwieg also, und in der nächsten Nacht begann sie wieder folgendermaßen:

 

Zweihundertundzweite Nacht.

»Unterdessen ruderte der Bootsmann aus aller Macht, und die vertraute Sklavin Schemselnihars begleitete den Prinzen von Persien und Ebn Thaher, indem sie am Ufer des Kanals hinging, bis sie den Tigrisstrom erreichten. Hier konnte sie nicht weiter mitgehen, nahm Abschied von ihnen und kehrte zurück.

Der Prinz von Persien war noch immer in großer Niedergeschlagenheit. Ebn Thaher tröstete ihn und sprach ihm Mut ein. »Bedenket,« sagte er zu ihm, »daß, wenn wir ans Land steigen, wir noch einen weiten Weg bis zu meinem Hause zu machen haben; denn ich finde es nicht ratsam, Euch in dieser Stunde und in solchem Zustande nach Eurer Wohnung zu führen, die weit entfernter ist als die meine; wir würden selbst Gefahr laufen, der Wache in die Hände zu fallen.«

Sie stiegen endlich aus dem Boote; aber der Prinz war so kraftlos, daß er nicht gehen konnte. In dieser großen Verlegenheit erinnerte sich Ebn Thaher, daß er einen Freund in der Nachbarschaft hatte, und schleppte den Prinzen mit vieler Mühe bis dahin. Der Freund empfing sie mit großer Freude; und nachdem er sie zum Sitzen genötigt hatte, fragte er sie, woher sie so spät noch kämen. Ebn Thaher antwortete ihm: »Ich vernahm diesen Abend, daß ein Mann, der mir eine ansehnliche Summe Geldes schuldig ist, die Absicht hätte, eine weite Reise anzutreten; ich verlor also keine Zeit und ging, ihn aufzusuchen; unterwegs begegnete ich diesem jungen Herrn, den Ihr hier sehet, und dem ich tausend Verpflichtungen habe; da er meinen Schuldner kennt, hatte er die Gefälligkeit, mich zu begleiten. Wir haben viel Mühe gehabt, unsern Mann zur Vernunft zu bringen; endlich sind wir jedoch zum Ziele gelangt: und dies ist die Ursache, daß wir erst sehr spät von ihm gegangen sind. Auf dem Rückwege, einige Schritte von hier, fühlte dieser Herr, dem ich alle mögliche Aufmerksamkeit schuldig bin, sich plötzlich von einer Übelkeit befallen, weshalb ich mir die Freiheit nahm, an Eure Türe zu klopfen. Ich schmeichelte mir, daß Ihr uns wohl die Gefälligkeit erzeigen würdet, uns für diese Nacht ein Obdach zu geben.«

Der Freund Ebn Thahers begnügte sich mit diesem Märchen, hieß sie willkommen und erbot dem Prinzen von Persien, den er nicht kannte, allen Beistand, den er nur verlangte. Aber Ebn Thaher nahm für den Prinzen das Wort und sagte, sein Übel wäre von solcher Art, daß er nur Ruhe nötig hätte. Der Freund sah wohl, daß beide sich zur Ruhe zu begeben wünschten: er führte sie also in ein Gemach und ließ ihnen Freiheit, sich niederzulegen.

Wenn der Prinz von Persien auch schlief, so war es nur ein unruhiger Schlummer voll ängstlicher Träume, welche ihm Schemselnihar ohnmächtig zu den Füßen des Kalifen vorstellten und ihn in seiner Betrübnis erhielten. Ebn Thaher, voll Ungeduld, wieder zu Hause zu sein, weil er nicht zweifelte, daß die Seinigen daheim in tödlicher Unruhe sein würden (denn es war noch nie vorgekommen, daß er außer dem Hause geschlafen hätte), stand sehr früh auf und ging heim, nachdem er von seinem Freunde Abschied genommen hatte, der auch mit Tagesanbruch aufgestanden war, um sein Gebet zu verrichten.

Endlich kam er mit dem Prinzen von Persien nach Hause, und das erste, was dieser tat, nachdem er zu dem Gange alle seine Kräfte angestrengt hatte, war, sich auf ein Sofa zu werfen, so ermüdet, als wenn er eine lange Reise gemacht hätte. Da er nicht imstande war, sich nach seinem Hause zu begeben, ließ Ebn Thaher ihm ein Zimmer bereiten; und damit man seinetwegen nicht in Sorge wäre, ließ er seinen Leuten Zustand und Aufenthalt des Prinzen melden. Er bat diesen unterdessen, sich zu beruhigen, in seinem Hause zu befehlen und über alle Dinge nach Gefallen zu schalten. »Ich nehme gern Eure freundlichen Erbietungen an,« antwortete der Prinz, »aber es muß Euch durchaus nicht beschwerlich fallen; ich bitte Euch, zu tun, als wenn ich gar nicht hier wäre. Ich würde nicht einen Augenblick bleiben, wenn ich wüßte, daß meine Gegenwart Euch im geringsten hinderlich wäre.«

Sobald Ebn Thaher einen Augenblick Zeit hatte, sich zu besinnen, erzählte er den Seinigen alles, was in Schemselnihars Palast vorgefallen war, und am Ende seiner Erzählung dankte er Gott, daß er ihn aus einer so großen Gefahr befreit hatte.

Die vornehmsten Hausbedienten des Prinzen von Persien kamen nach Ebn Thahers Hause, seine Befehle zu empfangen, und bald besuchten ihn dort auch mehrere seiner Freunde, welche sie von seiner Unpäßlichkeit benachrichtigt hatten. Sie blieben alle den größten Teil des Tages bei ihm; und wenn ihre Unterhaltung auch die traurigen Vorstellungen, welche seine Krankheit verursachten, nicht vertilgen konnte, so gewährte sie ihm wenigstens einige Zerstreuung. Gegen Abend wollte er von Ebn Thaher Abschied nehmen; aber dieser treue Freund sah ihn noch in solcher Kraftlosigkeit, daß er ihn nötigte, den folgenden Tag abzuwarten. Und um zu seiner Erheiterung beizutragen, gab er ihm am Abend ein Konzert von Gesang und Saitenspiel. Aber dies diente nur dazu, dem Prinzen das Konzert von gestern abend ins Gedächtnis zurückzurufen, und erneuerte seine Leiden, anstatt sie zu stillen, so daß am folgenden Tage sein Übel sich verschlimmert zu haben schien.

Jetzt widersetzte sich Ebn Thaher nicht länger dem Willen des Prinzen, in sein Haus zurückzukehren. Er besorgte es selbst, ihn dahin tragen zu lassen, und begleitete ihn. Und als er sich mit ihm in seinem Zimmer allein sah, stellte er ihm nochmals vor, wie ratsam es wäre, durch einen edelmütigen Zwang eine Leidenschaft zu besiegen, die weder für ihn noch für Schemselnihar ein glückliches Ende nehmen könnte. »Ach, teurer Ebn Thaher,« rief der Prinz aus, »wie leicht ist es Euch, diesen Rat zu geben, aber wie schwer ist es mir, ihn zu befolgen! Ich erkenne seine Wichtigkeit, ohne ihn jedoch benutzen zu können. Ich habe es schon gesagt: Ich werde meine Liebe zu Schemselnihar mit mir ins Grab nehmen.« Als Ebn Thaher sah, daß er bei dem Prinzen nichts ausrichten konnte, nahm er Abschied von ihm und wollte sich entfernen ...«

Scheherasade sah bei dieser Stelle den Tag anbrechen und schwieg still. In der folgenden Nacht nahm sie ihre Erzählung wieder auf:

 

Zweihundertunddritte Nacht.

»Der Prinz von Persien hielt ihn zurück. »Edler Freund,« sagte er zu ihm, »wenn ich Euch erklärt habe, daß es nicht in meiner Gewalt steht, Euren weisen Rat zu befolgen, so bitte ich Euch, es mir jedoch nicht zum Verbrechen zu machen und mir deshalb Eure Freundschaft nicht zu entziehen. Ihr könnet mir keinen größeren Beweis derselben geben, als mich von dem Schicksale meiner geliebten Schemselnihar zu unterrichten, wenn Ihr etwas davon vernehmet. Die Ungewißheit, worin ich ihretwegen bin, die tödlichen Besorgnisse, welche ihre Ohnmacht mir erregt, erhalten mich in der Mutlosigkeit, die Ihr mir vorwerft.«

»Herr,« antwortete ihm Ebn Thaher, »Ihr dürft hoffen, daß ihre Ohnmacht keine üble Folgen gehabt hat, und daß ihre Vertraute unverzüglich kommen wird, mich zu benachrichtigen, wie alles zugegangen ist. Und sobald ich es weiß, werde ich nicht säumen, es Euch mitzuteilen.«

Ebn Thaher ließ den Prinzen in dieser Hoffnung und kehrte nach seiner Wohnung zurück, wo er den ganzen übrigen Tag die Vertraute der Schemselnihar vergeblich erwartete. Er sah sie sogar auch den folgenden Tag nicht. Seine Unruhe über den Gesundheitszustand des Prinzen von Persien erlaubte ihm nicht länger, von ihm entfernt zu bleiben. Er ging zu ihm, um ihn zur Geduld zu ermahnen. Er fand ihn im Bette, noch ebenso krank als zuvor und umgeben von Freunden und einigen Ärzten, die alle Mittel ihrer Kunst anwandten, um die Ursache seiner Krankheit zu entdecken. Sobald er Ebn Thaher erblickte, sah er ihn lächelnd an, sowohl aus Freude über seine Ankunft, als um ihm zu erkennen zu geben, wie sehr seine Ärzte, die den Grund seiner Krankheit nicht erraten konnten, sich in ihren Beobachtungen täuschten.

Die Freunde und Ärzte entfernten sich einer nach dem andern, so daß Ebn Thaher mit dem Kranken allein blieb. Er näherte sich seinem Bette und fragte ihn, wie er sich befände, seitdem er ihn nicht gesehen hätte. »Ich muß Euch sagen,« antwortete der Prinz, »daß meine Liebe, die fortwährend stärker wird, und die Ungewißheit über das Schicksal der liebenswürdigen Schemselnihar mein Übel mit jedem Augenblick vermehren und mich in einen Zustand versetzen, der meine Verwandten und meine Freunde bekümmert und meine Ärzte, die es nicht begreifen können, irre macht. Ihr könnt nicht glauben,« fügte er hinzu, »wie sehr die Zudringlichkeit so vieler Leute mich belästigt, die ich doch mit Ehren nicht abweisen kann. Ihr seid der einzige, dessen Gesellschaft mich erquickt: aber nun verhehlet mir auch nichts, ich beschwöre Euch darum. Welche Neuigkeiten bringt Ihr mir von meiner Vielgeliebten? Habt Ihr ihre Vertraute gesehen? Was hat sie Euch gesagt?«

Ebn Thaher antwortete, daß er sie nicht gesehen hätte, und er hatte nicht sobald diese traurige Nachricht dem Prinzen mitgeteilt, als diesem die Tränen in die Augen traten und er folgende Verse aussprach:

»Ich verbarg die Liebe, bis sie mich schmerzte und sie den höchsten Grad erreichte; da leider offenbarten die Tränen, was ich verheimlichte.

Als diese aber mein Geheimnis kund gemacht hatten, wollte ich fliehen: ja nur in der Flucht wäre Heil gewesen.

Wohl verkünden die Tränen die Liebe, die mich quält: aber was ich in mir verberge, ist dennoch weit mehr.«

Mehr konnte er nicht sagen, so sehr war das Herz ihm beklommen.

»Prinz,« fuhr Ebn Thaher fort, »erlaubet mir, Euch zu bemerken, daß Ihr zu erfinderisch seid, Euch selber zu quälen. Um Gottes willen, trocknet Eure Tränen: einer von Euren Leuten könnte diesen Augenblick hereintreten, und Ihr wißt, wie sorgfältig Ihr Eure Empfindungen verbergen müßt.« Was aber dieser verständige Freund auch sagen mochte, es war dem Prinzen nicht möglich, seine Tränen zurückzuhalten.

»Weiser Ebn Thaher,« rief er aus, als er wieder zum Gebrauch der Sprache gekommen war, »ich kann wohl meine Zunge verhindern, das Geheimnis meines Herzens zu entdecken: aber ich habe keine Gewalt über meine Tränen in einem Augenblicke, wo ich so große Ursache habe, für Schemselnihar zu fürchten. Wenn dieser anbetungswürdige und einzige Gegenstand meiner Wünsche nicht mehr auf der Welt ist, so werde ich ihn keinen Augenblick überleben.«

»Verbannet einen so traurigen Gedanken,« erwiderte Ebn Thaher. »Schemselnihar lebt noch, Ihr dürft nicht daran zweifeln. Wenn sie Euch keine Nachricht von sich gegeben hat, so hat sie nur keine Gelegenheit dazu finden können, und ich hoffe, dieser Tag wird nicht vorübergehen, ohne daß Ihr etwas von ihr erfahret.« Er fügte noch andere tröstliche Worte hinzu und entfernte sich dann.

Kaum war Ebn Thaher wieder in seinem Hause, als die Vertraute Schemselnihars ankam. Ihre traurige Miene war ihm eine üble Vorbedeutung. Er fragte sie nach ihrer Gebieterin. »Saget mir zuvor, wie es Euch ergangen ist,« antwortete ihm die Vertraute; »denn ich bin in großer Angst gewesen, Euch mit dem Prinzen von Persien in dem Zustande, in dem er sich befand, abfahren zu sehen.«

Ebn Thaher erzählte ihr, was sie wissen wollte, und als er geendigt hatte, nahm die Sklavin das Wort und sagte zu ihm: »Wenn der Prinz von Persien für meine Gebieterin gelitten hat und noch leidet, so hat sie nicht weniger Leid als er. Nachdem ich euch verlassen hatte,« fuhr sie fort, »kehrte ich in den Saal zurück, wo Schemselnihar noch immer in Ohnmacht lag, wie sehr man sich auch bemüht hatte, ihr zu Hilfe zu kommen. Der Kalif saß bei ihr mit allen Zeichen eines wahrhaften Schmerzes; er fragte alle Frauen und insonderheit mich, ob wir keine Kenntnis von der Ursache ihres Übels hätten; wir aber bewahrten das Geheimnis und sagten ihm etwas anders als das, was uns nicht unbekannt war. Wir waren indessen alle in Tränen, sie so lange leiden zu sehen, und taten alles, was wir erdenken konnten, ihr zu helfen. Es war wohl schon Mitternacht, als sie endlich wieder zu sich kam. Der Kalif, der die Geduld gehabt hatte, diesen Augenblick abzuwarten, bezeigte große Freude darüber und fragte Schemselnihar, woher ihr dieses Übel zugestoßen sein möchte. Sobald sie seine Stimme hörte, strengte sie sich an und richtete sich auf; und nachdem sie ihm die Füße geküßt hatte, ehe er sie daran verhindern konnte, sprach sie: »Herr, ich muß den Himmel anklagen, daß er mir nicht die Gnade gewährt hat, zu den Füßen Euer Majestät zu sterben, um dadurch auszudrücken, in welchem Grade ich von Eurer Güte durchdrungen bin.« – »Ich bin überzeugt, daß Ihr mich liebt,« sagte der Kalif zu ihr; »aber ich befehle Euch, aus Liebe zu mir für Eure Erhaltung zu sorgen. Ihr habt heute vermutlich irgend eine Unregelmäßigkeit begangen, welche Euch diese Unpäßlichkeit zugezogen hat; nehmet Euch in acht, ich bitte Euch, und enthaltet Euch dergleichen ein andermal. Es freut mich, Euch wieder in einem besseren Zustande zu sehen, und ich rate Euch, die Nacht hier zu bleiben, anstatt in Euer Zimmer zurückzukehren, ich fürchte, daß die Bewegung Euch schädlich sein möchte.« Nach diesen Worten befahl er, ein wenig Wein zu bringen, welchen er ihr zur Stärkung eingab. Hierauf nahm er Abschied von ihr und begab sich wieder nach seinem Palast.

Sobald der Kalif sich entfernt hatte, gab meine Gebieterin mir einen Wink, und ich näherte mich. Voll Unruhe fragte sie mich nach euch. Ich versicherte sie, daß ihr schon längst nicht mehr in dem Palaste wäret, und beruhigte sie von dieser Seite. Ich hütete mich wohl, von der Ohnmacht des Prinzen von Persien etwas zu sagen, aus Furcht, sie wieder in denselben Zustand zu stürzen, aus welchem unsere Bemühungen sie mit so vieler Mühe gezogen hatten. Ich begnügte mich, ihr die von dem Prinzen ausgesprochenen Verse zu wiederholen, worauf sie eine Sklavin mit Namen Lehasuluschak zu sich rief und ihr befahl, folgendes Lied mit ihr zu singen:

»So wahr ich lebe, das Leben hat keinen Reiz für mich, getrennt von dir. Ach, warum ist es mir nicht vergönnt, zu wissen, wie dein Zustand ist in der Entfernung von mir!

Wohl geziemt es mir, Blut zu weinen, daß ich dein entbehren muß, da du Tränen vergossen hast, daß du mein entbehren mußtest.«

Mit diesen Worten, welche sie mit aller Heftigkeit ihrer Leidenschaft aussprach, sank sie abermals ohnmächtig in meine Arme ...«

Bei dieser Stelle sah Scheherasade den Tag anbrechen und hörte auf zu erzählen. In der folgenden Nacht fuhr sie folgendermaßen fort:

 

Zweihundertundvierte Nacht.

»Die Vertraute Schemselnihars fuhr fort, Ebn Thaher alles zu erzählen, was mit ihrer Gebieterin seit ihrer ersten Ohnmacht vorgegangen war:

»Wir, meine Genossen und ich, waren abermals lange beschäftigt, sie wieder zu sich zu bringen. Als sie sich endlich wieder erholte, sagte ich zu ihr: »Gebieterin, seid Ihr denn entschlossen, Euch zu töten und uns alle mit Euch sterben zu lassen? Ich flehe Euch im Namen des Prinzen von Persien, für welchen Ihr zu leben wünschen müßt, für Eure Erhaltung zu sorgen. Um Gottes willen, lasset Euch bewegen und tut, was Ihr Euch selber, der Liebe des Prinzen und unserer Anhänglichkeit an Euch schuldig seid.« – »Ich bin Euch sehr dankbar,« erwiderte sie, »für Eure Sorgfalt, Euren Eifer und Euren guten Rat: aber ach! kann er mir nützen? Wir dürfen uns mit keiner Hoffnung schmeicheln, und nur im Grabe müssen wir das Ende unserer Leiden erwarten.«

Eine meiner Gefährtinnen mit Namen Fulkulmaghur wollte sie von diesen traurigen Gedanken ablenken, indem sie zu ihrer Laute folgendes Lied sang:

»Man sagte mir: »Vielleicht verschafft die Geduld dir Beruhigung.« Allein wie ist die Geduld möglich, wenn man von ihm getrennt ist?

Nur immer fester hat sich das Bündnis zwischen ihm und mir geknüpft, seitdem mir alle Hoffnung schwand, als ich ihn zum letzten Male küßte.«

Aber Schemselnihar gebot ihr, zu schweigen und samt allen übrigen hinauszugehen. Mich allein behielt sie für die Nacht bei sich. Welche Nacht, o Himmel! Sie brachte sie in Tränen und Seufzern zu; und unaufhörlich nannte sie den Namen des Prinzen von Persien und beklagte sich über ihr Schicksal, das sie dem Kalifen bestimmt hätte, den sie nicht lieben könne, und nicht dem, den sie bis in den Tod liebte.

Am folgenden Morgen brachte ich sie aus dem Saale, wo sie nicht ihre Bequemlichkeit hatte, in ihr Gemach. Hier war sie kaum angelangt, als alle Ärzte des Hofes auf Befehl des Kalifen sie zu besuchen kamen, und dieser Fürst selber blieb nicht lange aus. Die Mittel, welche die Ärzte Schemselnihar verordneten, taten umsoweniger Wirkung, als ihnen die Ursache ihrer Krankheit verborgen war, und der Zwang, welchen die Gegenwart des Kalifen ihr auflegte, vermehrte dieselbe nur. Sie hat gleichwohl diese Nacht ein wenig geruht; und sobald sie aufgewacht ist, hat sie mir aufgetragen, zu Euch zu gehen, um mich nach dem Prinzen von Persien zu erkundigen.«

»Ich habe Euch schon von dem Zustande unterrichtet, worin er sich befindet,« sagte Ebn Thaher zu ihr; »drum kehret zu Eurer Gebieterin zurück und versichert sie, daß der Prinz von Persien mit derselben Sehnsucht Nachricht von ihr erwartet als sie von ihm. Ermahnet sie vor allem, sich zu mäßigen und sich zu überwinden, damit ihr in Gegenwart des Kalifen nicht ein Wort entschlüpfe, welches uns mit ihr zugrunde richten könnte.«

»Was mich betrifft,« erwiderte die Vertraute, »so fürchte ich alles von ihrer Leidenschaft. Ich habe mir die Freiheit genommen, ihr zu sagen, wie ich darüber denke, und ich bin überzeugt, sie wird es nicht übelnehmen, daß ich nochmals von Euretwegen mit ihr davon rede.«

Ebn Thaher, der eben erst von dem Prinzen von Persien gekommen, war es nicht gelegen, sogleich wieder dahin zurückzukehren, weil er wichtigere Geschäfte zu besorgen hatte, welche ihn bei seiner Heimkehr erwarteten; erst gegen Abend ging er hin.

Der Prinz war allein und befand sich nicht besser als am Morgen. »Ebn Thaher,« rief er ihm entgegen, als er ihn kommen sah, »Ihr habt ohne Zweifel viele Freunde, aber sie kennen gewiß nicht Euren Wert, so wie Ihr ihn mir zu erkennen gebt durch Euren Eifer, Eure Sorgfalt und die Mühe, die Ihr anwendet, wenn es darauf ankommt, einen Dienst zu leisten. Ich bin beschämt über alles, was Ihr mit so vieler Hingebung für mich tut, und ich weiß nicht, wie ich es Euch vergelten kann.«

»Prinz,« antwortete ihm Ebn Thaher, »ich bitte Euch, reden wir nicht weiter davon: Ich bin bereit, nicht nur allein eines meiner Augen hinzugeben, um Euch eins der Eurigen zu erhalten, sondern selbst mein Leben für das Eurige aufzuopfern. Davon ist aber jetzt nicht die Rede. Ich komme, Euch zu sagen, daß Schemselnihar ihre Vertraute zu mir geschickt hat, um Nachricht von Euch zu holen und zugleich von ihr zu bringen. Ihr könnt wohl denken, daß ich ihr nichts gesagt habe, als was das Übermaß Eurer Liebe zu ihrer Gebieterin und die Standhaftigkeit, mit welcher Ihr sie liebt, bestätigt.« Ebn Thaher machte ihm hierauf einen genauen und umständlichen Bericht von allem, was die vertraute Sklavin ihm gesagt hatte. Der Prinz hörte ihn an mit allen den abwechselnden Bewegungen der Furcht, der Eifersucht, der Zärtlichkeit und des Mitleidens, welche seine Erzählung ihm einflößte, indem er über jeden Umstand, den er vernahm, alle die betrübenden oder tröstenden Betrachtungen anstellte, deren ein so leidenschaftlich Liebender wie er nur fähig ist.

Ihr Gespräch verzog sich bis tief in die Nacht, so daß der Prinz von Persien Ebn Thaher nötigte, bei ihm zu bleiben.

Am folgenden Morgen, als dieser treue Freund nach Hause ging, sah er eine Frau auf sich zukommen, welche er für die Vertraute Schemselnihars erkannte. Als sie ihn erreicht hatte, sagte sie zu ihm: »Meine Gebieterin grüßt Euch und läßt Euch bitten, dem Prinzen von Persien diesen Brief zuzustellen.« Der treue Ebn Thaher nahm den Brief und kehrte zu dem Prinzen zurück in Begleitung der vertrauten Sklavin ...«

Scheherasade hörte bei dieser Stelle auf zu reden, weil sie den Tag anbrechen sah. In der folgenden Nacht nahm sie ihre Erzählung wieder auf und sprach zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundfünfte Nacht.

»Herr, als Ebn Thaher mit der Vertrauten der Schemselnihar in das Haus des Prinzen von Persien trat, bat er sie, einen Augenblick im Vorzimmer zu bleiben und ihn zu erwarten. Sobald der Prinz ihn erblickte, fragte er ihn mit Ungeduld, welche Neuigkeit er ihm brächte. »Die beste, die Ihr hören könnt,« antwortete ihm Ebn Thaher. »Ihr werdet ebenso zärtlich geliebt, als Ihr liebt; Schemselnihars Vertraute ist in Eurem Vorzimmer; sie bringt Euch einen Brief von ihrer Gebieterin und erwartet nur Euren Befehl, um einzutreten.«

»Laßt sie sogleich herein!« rief der Prinz voll Entzücken aus. Und indem er dies sagte, richtete er sich im Bette auf, um sie zu empfangen.

Da die Leute des Prinzen, sobald sie Ebn Thaher kommen sahen, aus dem Zimmer gegangen waren, um ihn mit ihrem Herrn allein zu lassen, so ging Ebn Thaher selber hin, die Türe zu öffnen, und ließ die Vertraute eintreten. Der Prinz erkannte sie und empfing sie auf eine sehr freundliche Weise. »Herr,« sagte sie zu ihm, »ich weiß alle die Leiden, die Ihr erduldet habt, seitdem ich die Ehre hatte, Euch zu dem Boote zu führen, welches Euch zur Rückfahrt erwartete: aber ich hoffe, daß der Brief, welchen ich Euch bringe, zu Eurer Genesung beitragen wird.« Mit diesen Worten überreichte sie ihm den Brief. Er nahm ihn, und nachdem er ihn geküßt hatte, öffnete er ihn und las folgende Worte:

 

Brief von Schemselnihar an den Prinzen von Persien Ali Ebn Bekar.

»Die Überbringerin dieses Briefes wird Euch besser von mir Nachricht geben als ich selber; denn ich kenne mich nicht mehr, seitdem ich Euch nicht mehr sehe. Eurer Gegenwart beraubt, suche ich mich zu täuschen, indem ich mich durch diese übelgeschriebenen Zeilen mit Euch unterhalte mit demselben Vergnügen, als wenn ich das Glück hätte, mit Euch zu reden.

Man sagt, die Geduld sei ein Mittel gegen alle Leiden: gleichwohl verschärft sie die meinen nur, anstatt sie zu lindern. Obschon Euer Bild tief in mein Herz gegraben ist, so begehren meine Augen doch unaufhörlich das Urbild davon zu sehen; und sie werden all ihren Glanz verlieren, wenn sie noch lange desselben beraubt sein müssen. Darf ich mir schmeicheln, daß die Euren dieselbe Sehnsucht haben, mich zu sehen? Ja, ich darf es: sie haben es mir durch zärtliche Blicke genugsam zu erkennen gegeben. Wie glücklich würde Schemselnihar und wie glücklich würdet Ihr, Prinz, sein, wenn meinen mit den Euren übereinstimmenden Wünschen nicht unübersteigliche Hindernisse im Wege ständen! Diese Hindernisse betrüben mich umso lebhafter, als sie auch Euch betrüben.

Diese Empfindungen, die meine Hand nachzeichnet, und die ich mit unglaublichem Vergnügen in Worten ausdrücke, indem ich sie oft wiederhole, strömen aus dem tiefsten Grunde meines Herzens und aus der unheilbaren Wunde, die Ihr darin gemacht habt; einer Wunde, die ich tausendmal segne, ungeachtet des tödlichen Wehs, welches Eure Abwesenheit mir verursacht. Ich würde alles für nichts achten, was sich unserer Liebe entgegenstellt, wenn es mir nur vergönnt wäre, Euch manchmal ungestört zu sehen: so lange würde ich Euch doch besitzen; und was könnte ich mehr wünschen?

Wähnet nicht, daß meine Worte mehr sagen, als ich denke. Ach! welcher Ausdrücke ich mich auch bedienen mag, ich fühle gleichwohl, daß ich noch mehr denke, als ich Euch sage. Meine Augen, die stets wachen und unaufhörlich Tränen vergießen, bis sie Euch wiedersehen; mein betrübtes Herz, das nur nach Euch allein verlangt; die Seufzer, die mir immer entschlüpfen, sooft ich an Euch denke – das heißt, jeden Augenblick; meine Einbildungskraft, die mir keinen andern Gegenstand mehr vorstellt als meinen geliebten Prinzen: meine Klage zum Himmel über die Härte meines Schicksals; endlich meine Traurigkeit, meine Unruhe, meine Qualen, die nicht nachlassen, seit ich Euern Anblick verloren habe: alles dieses ist Bürge dessen, was ich Euch schreibe.

Bin ich nicht recht unglücklich, geboren zu sein, zu lieben ohne Hoffnung, mich des Geliebten zu erfreuen? Dieser trostlose Gedanke drückt mich so darnieder, daß ich sterben würde, wenn ich nicht wüßte, daß Ihr mich liebt. Aber ein so süßer Trost beschwichtigt meine Verzweiflung und fesselt mich an das Leben. Schreibet mir doch, daß Ihr mich immerdar liebt; ich werde Euren Brief wie ein Kleinod bewahren; ich werde ihn des Tages tausendmal lesen; ich werde meine Leiden mit weniger Ungeduld tragen. Ich wünsche, daß der Himmel aufhöre, gegen uns zu zürnen, und uns Gelegenheit finden lasse, uns ohne Zwang zu sagen, daß wir uns lieben, und daß wir nie aufhören werden, uns zu lieben. Lebet wohl; ich grüße Ebn Thaher, dem wir beide so viel Verpflichtungen haben.« –

 

Zweihundertundsechste Nacht.

Der Prinz von Persien begnügte sich nicht, diesen Brief einmal zu lesen; ihm deuchte, daß er ihn mit zu wenig Aufmerksamkeit gelesen hätte. Er las ihn nochmals langsamer; und während des Lesens stieß er bald klägliche Seufzer aus, bald vergoß er Tränen, und bald brach er in Entzückungen der Freude und der Zärtlichkeit aus, je nachdem er von dem, was er las, angeregt wurde. Kurz, er ward nicht müde, mit den Augen diese Züge einer so geliebten Hand zu durchlaufen, und er war im Begriff, sie zum dritten Male zu lesen, als Ebn Thaher ihm vorstellte, daß die Vertraute keine Zeit zu verlieren hätte, und daß er daran denken müßte, zu antworten.

»Ach,« rief der Prinz aus, »wie soll ich auf einen so hinreißenden Brief antworten? In welchen Worten soll ich in der Verwirrung, worin ich bin, mich ausdrücken? Mein Geist ist von tausend qualvollen Gedanken bestürmt, und meine Empfindungen verschwinden in dem Augenblicke, wo sie entstehen, um neuen Platz zu machen. Während mein Leib noch die Eindrücke meiner Seele nachzittert, wie könnte ich da das Papier halten und den Kalam führen, um Buchstaben zu zeichnen?«

Indem er also sprach, zog er aus einem kleinen Schranke neben sich Papier, einen geschnittenen Kalam und ein Tintenfaß ...«

Scheherasade bemerkte bei dieser Stelle, daß es Tag war, und unterbrach ihre Erzählung. Sie nahm den Verfolg derselben in der nächsten Nacht wieder auf und sagte zu Schachriar:

 

Zweihundertundsiebente Nacht.

»Der Prinz von Persien gab, bevor er anfing zu schreiben, Schemselnihars Brief an Ebn Thaher mit der Bitte, ihm denselben offen vorzuhalten, damit er beim Schreiben hineinblicken und besser sehen könnte, was er darauf antworten sollte.

Er fing nun an zu schreiben; aber die Tränen, die ihm aus den Augen auf das Papier fielen, nötigten ihn mehrmals, innezuhalten, um sie frei strömen zu lassen.

Er ward endlich mit dem Briefe fertig, reichte ihn Ebn Thaher und sagte zu ihm: »Leset ihn, ich bitte Euch, und sehet, ob auch die Verwirrung meines Geistes mir erlaubt hat, geziemende Antwort zu geben.«

Ebn Thaher nahm ihn und las wie folgt:

 

Antwort des Prinzen von Persien an Schemselnihar.

»Ich war in tödliche Betrübnis versunken, als Euer Brief mir gebracht wurde. Sobald ich ihn sah, wurde ich von unaussprechlicher Freude ergriffen; und bei dem Anblicke der von Eurer schönen Hand gebildeten Züge empfingen meine Augen ein neues und lebhafteres Licht, als sie damals verloren, da die Eurigen sich so plötzlich zu den Füßen meines Nebenbuhlers schlossen. Die Worte dieses entzückenden Briefes sind ebensoviel leuchtende Strahlen, die das Dunkel zerstreut haben, von welchem meine Seele umnachtet war. Sie verkünden mir, wieviel Ihr aus Liebe zu mir leidet; zugleich sagen sie mir, daß Ihr auch wohl wisset, was ich für Euch leide, und trösten mich dadurch in meinem Kummer. Auf der einen Seite lassen sie mich einen Strom von Tränen vergießen, auf der andern fachen sie in meinem Herzen eine Glut an, welche ihm wohltut und verhindert, daß ich vor Schmerz den Geist aufgebe. Seit unserer grausamen Trennung habe ich keinen Augenblick Ruhe gehabt. Euer Brief allein brachte meiner Pein einige Linderung. Ich habe bis zum Augenblicke seines Empfanges ein düsteres Stillschweigen beobachtet: er hat mir die Sprache wiedergegeben. Ich war in eine tiefe Schwermut begraben: er hat mich mit einer Freude belebt, die alsbald aus meinen Augen und auf meinem Gesichte hervorleuchtete. Aber meine Überraschung durch eine Gunstbezeigung, welche ich noch nicht verdient habe, war so groß, daß ich nicht wußte, wo ich anfangen sollte, um Euch meine Dankbarkeit dafür zu bezeigen. Endlich, nachdem ich ihn, als ein kostbares Pfand Eurer Huld, mehrmals geküßt, habe ich in ihn gelesen und wieder gelesen und bin durch das Übermaß meines Glücks ganz verwirrt worden. Ihr verlangt die Versicherung, daß ich Euch immerdar liebe. Ach! wenn ich Euch nicht schon so vollkommen liebte, als ich Euch liebe, so könnte ich doch nach so vielen Beweisen, die Ihr mir von einer so seltenen Liebe gebt, nicht widerstehen, Euch anzubeten. Ja, ich liebe Euch, meine teure Seele, und es soll mein Ruhm sein, mein Lebelang in dem Feuer zu brennen, welches Ihr in meinem Herzen entzündet habt. Ich werde mich niemals über die heftige Glut beklagen, womit ich mich von demselben verzehrt fühle; und wie hart auch die Leiden sein mögen, welche Eure Abwesenheit mir verursacht, ich werde sie jedoch standhaft ertragen in der Hoffnung, Euch eines Tages wiederzusehen. Wollte Gott, daß es heute noch geschähe, und daß es mir, anstatt Euch diesen Brief zu senden, vergönnt wäre, selber zu kommen und Euch zu versichern, daß ich aus Liebe für Euch sterbe. Meine Tränen verhindern mich, Euch mehr zu sagen. Lebet wohl.«

*

Ebn Thaher konnte diese letzten Zeilen nicht lesen, ohne selber zu weinen. Er gab dem Prinzen von Persien den Brief zurück und versicherte ihn, daß er nichts daran zu bessern wüßte. Der Prinz legte ihn zusammen; und als er ihn versiegelt hatte, sagte er zu der Vertrauten Schemselnihars, die etwas entfernt von ihm stand: »Ich bitte Euch, tretet näher: hier ist meine Antwort auf den Brief Eurer teuren geliebten Herrin. Ich beschwöre Euch, sie ihr zu überbringen und sie von mir zu grüßen.«

Die Sklavin nahm den Brief und entfernte sich mit Ebn Thaher ...«

Bei diesen Worten sah die Sultanin von Indien den Tag anbrechen und schwieg. Und in der folgenden Nacht fuhr sie also fort:

 

Zweihundertundachte Nacht.

»Nachdem Ebn Thaher eine Strecke mit der vertrauten Sklavin gegangen war, verließ er sie und kehrte nach seinem Hause zurück, wo er in tiefe Gedanken versank über die geheime Liebesgeschichte, in welche er sich unglücklicherweise verwickelt sah. Er bedachte, daß der Prinz von Persien und Schemselnihar, so sehr ihnen daran gelegen sein mußte, ihr Einverständnis zu verbergen, sich jedoch mit so wenig Mäßigung betrugen, daß es wohl nicht lange geheim bleiben konnte. Er zog daraus alle Folgen, welche ein Mann von gesundem Verstande daraus ziehen mußte.

»Wenn Schemselnihar,« sagte er bei sich selber, »eine Frau von gemeinem Stande wäre, so würde ich gern alles mögliche dazu beitragen, sie mit ihrem Geliebten glücklich zu machen: aber sie ist die Favoritin des Kalifen, und niemand darf ungestraft sich unterfangen, der zu gefallen, die er liebt. Sein Zorn wird sogleich auf Schemselnihar fallen; es wird dem Prinzen von Persien das Leben kosten, und ich werde mit in sein Unglück verschlungen. Gleichwohl habe ich für die Erhaltung meiner Ehre, meiner Familie und meiner Habe zu sorgen; ich muß also, weil ich es noch kann, mich von einer so großen Gefahr befreien.«

Er war den ganzen Tag hindurch mit diesen Gedanken beschäftigt. Am folgenden Morgen ging er zu dem Prinzen von Persien in der Absicht, noch einen letzten Versuch zu wagen, um ihn zur Besiegung seiner Leidenschaft zu bewegen. Er stellte ihm nochmals vor, was er ihm schon oft vergeblich vorgestellt hatte, daß er viel besser tun würde, alle seine Kraft anzuwenden, die Neigung für Schemselnihar zu unterdrücken, als sich von ihr hinreißen zu lassen; daß diese Neigung umso gefährlicher, je mächtiger sein Nebenbuhler wäre. »Kurz, Herr,« fügte er hinzu, »wenn Ihr mir folgen wollt, so seid nur darauf bedacht, Eure Liebe zu besiegen. Sonst lauft Ihr Gefahr, Euch zu verderben mitsamt Schemselnihar, deren Leben Euch doch teurer sein muß als das Eurige. Ich gebe Euch diesen Rat als Freund, und Ihr werdet mir eines Tages dafür danken.«

Der Prinz hörte Ebn Thaher ziemlich ungeduldig an. Dennoch ließ er ihn ausreden; dann aber nahm er das Wort und erwiderte: »Ebn Thaher, glaubt Ihr wirklich, daß ich aufhören könnte, Schemselnihar zu lieben, die mich mit solcher Zärtlichkeit liebt? Sie fürchtet nicht, ihr Leben für mich in Gefahr zu setzen: und Ihr verlangt, daß die Sorge für das meinige mich beschäftigen soll? Nein, welches Unglück mir auch begegnen mag, ich will sie lieben bis zum letzten Atemzuge.«

Ebn Thaher, beleidigt durch die Hartnäckigkeit des Prinzen, verließ ihn ziemlich ungestüm und begab sich nach Hause, wo er die gestrigen Betrachtungen wieder vornahm und ernsthaft überlegte, welchen Entschluß er fassen sollte.

Indem kam ein Juwelier, einer von seinen vertrautesten Freunden, ihn zu besuchen. Dieser Juwelier hatte wahrgenommen, daß Schemselnihars Vertraute öfter zu Ebn Thaher kam als gewöhnlich, und daß Ebn Thaher fast beständig bei dem Prinzen von Persien war, dessen Krankheit aller Welt bekannt war, obwohl niemand ihre Ursache wußte: alles dieses hatte Verdacht bei ihm erregt. Da er nun Ebn Thaher so in Gedanken vertieft fand, erkannte er wohl, daß irgend eine wichtige Angelegenheit ihm zu schaffen machte; und seiner Sache ziemlich gewiß, fragte er ihn, was die vertraute Sklavin Schemselnihars bei ihm wollte. Ebn Thaher, etwas betroffen über diese Frage, wollte ausweichen und sagte ihm, es wäre eine geringfügige Sache, weshalb sie so oft zu ihm käme. »Ihr redet nicht aufrichtig mit mir,« versetzte der Juwelier; »und Ihr überzeugt mich eben durch Eure Verstellung, daß diese Geringfügigkeit viel wichtiger ist, als ich anfangs glaubte.«

Als Ebn Thaher sah, daß sein Freund so sehr in ihn drang, gestand er ihm: »Es ist wahr, daß diese Sache von der höchsten Wichtigkeit ist. Ich hatte beschlossen, sie geheim zu halten; da ich aber weiß, welchen Anteil Ihr an allem nehmt, was mich betrifft, so will ich sie Euch lieber anvertrauen, als Euch etwas davon denken zu lassen, was nicht wahr ist. Ich empfehle Euch nicht erst Verschwiegenheit; Ihr werdet aus der Sache schon erkennen, wie wichtig es ist, sie geheim zu halten.«

Nach diesem Eingange erzählte er ihm die Liebesgeschichte Schemselnihars und des Prinzen von Persien. »Ihr wißt,« fügte er hinzu, »in welchem Ansehn ich am Hofe und in der Stadt bei den größten Herren und den vornehmsten Frauen stehe. Welche Schande nun für mich, wenn diese verwegene Liebesgeschichte entdeckt würde! Aber was sage ich? Wären wir nicht verloren, ich samt allen den Meinigen? Das ist es, was mich so nachdenklich macht: aber ich habe schon meinen Entschluß gefaßt. – Man ist mir schuldig, und ich bin schuldig: ich gehe unverzüglich hin, meine Gläubiger zu befriedigen und meine Forderungen einzuziehen, und sobald ich all meine Habe in Sicherheit gebracht habe, werde ich mich nach Balsora zurückziehen und so lange dort bleiben, bis der Sturm, welchen ich voraussehe, vorüber ist. Meine Freundschaft für Schemselnihar und den Prinzen von Persien läßt mich herzlich bedauern, was ihnen Übles begegnen kann; ich bitte Gott, daß er sie die Gefahr einsehen lasse, der sie sich aussetzen, und sie in ihre Obhut nehme: wenn aber ihr böses Schicksal will, daß ihre Liebe zur Kenntnis des Kalifen gelangt, so bin ich wenigstens vor seinem Zorne geborgen; denn ich halte sie nicht für so boshaft, um mich in ihr Unglück zu verwickeln. Es wäre die größte Undankbarkeit von ihnen, wenn das geschähe; es wäre eine üble Vergeltung der Dienste, die ich ihnen geleistet, und der guten Ratschläge, die ich ihnen gegeben habe, besonders dem Prinzen von Persien. Dieser könnte sich und zugleich seine Geliebte noch aus dem Abgrunde retten, wenn er wollte. Er dürfte nur Bagdad verlassen so wie ich, und die Abwesenheit würde ihn unvermerkt seine Leidenschaft vergessen lassen, welche dagegen nur zunehmen wird, solange er darauf beharrt, in dieser Stadt zu bleiben.«

Der Juwelier hörte mit äußerstem Erstaunen den Bericht Ebn Thahers an. »Was Ihr mir da erzählt,« sagte er darauf, »ist von so hoher Wichtigkeit, daß ich nicht begreife, wie Schemselnihar und der Prinz von Persien sich einer so heftigen Liebe hingeben konnten. Welche Neigung sie auch zueinander hinziehen mochte, so hätten sie doch, anstatt ihr weichlich nachzugeben, ihr widerstehen und einen bessern Gebrauch von ihrer Vernunft machen müssen. Wie konnten sie sich über die verderblichen Folgen ihres Einverständnisses täuschen? Wie beklagenswert ist ihre Verblendung! Ich sehe wie Ihr alle Folgen davon voraus. Aber Ihr seid klug und vorsichtig, und ich billige den Entschluß, den Ihr gefaßt habt. Dadurch könnt Ihr allein Euch den traurigen Ereignissen entziehen, welche Ihr zu fürchten habt.«

Nach dieser Unterredung stand der Juwelier auf und nahm Abschied von Ebn Thaher ...

»Herr,« sagte Scheherasade bei dieser Stelle, »der Tag, den ich anbrechen sehe, verhindert mich, Euer Majestät jetzt länger zu unterhalten.« Damit schwieg sie; und in der nächsten Nacht nahm sie ihre Erzählung folgendermaßen wieder auf:

 

Zweihundertundneunte Nacht.

»Bevor der Juwelier sich entfernte, unterließ Ebn Thaher nicht, ihn bei ihrer beider Freundschaft zu beschwören, an niemand etwas von alledem zu sagen, was er ihm mitgeteilt hatte. »Seid ganz ruhig deshalb,« antwortete ihm der Juwelier, »ich werde Euer Geheimnis auf Gefahr meines Lebens bewahren.«

Zwei Tage nach der Unterredung ging der Juwelier an Ebn Thahers Laden vorbei; und als er ihn geschlossen sah, zweifelte er nicht, daß er seinen Vorsatz ausgeführt, von welchem er ihm gesagt hatte. Um darüber gewiß zu sein, fragte er einen Nachbar, ob er nicht wüßte, warum der Laden nicht offen wäre. Der Nachbar antwortete ihm, er wüßte nichts weiter, als daß Ebn Thaher eine Reise angetreten hätte. Der Juwelier brauchte nicht mehr zu wissen und dachte sogleich an den Prinzen von Persien.

»Unglücklicher Prinz,« sagte er bei sich selber, »welchen Schmerz wird Euch diese Neuigkeit verursachen! Durch welche Vermittelung werdet Ihr nun Eure Verbindung mit Schemselnihar unterhalten? Ich fühle Mitleid mit Euch; ich muß Euch für den Verlust eines so furchtsamen Vertrauten entschädigen.«

Das Geschäft, deswegen er ausgegangen, war nicht sehr wichtig; er verschob es also, und obschon er den Prinzen von Persien nicht weiter kannte, als daß er ihm einige Juwelen verkauft hatte, so ging er gleichwohl zu ihm hin. Er wandte sich an einen seiner Leute und bat ihn, seinem Herrn zu melden, daß er ihn wegen einer sehr wichtigen Angelegenheit zu sprechen wünschte.

Der Bediente kam bald zurück und führte den Juwelier in das Zimmer des Prinzen, der auf dem Sofa halb ausgestreckt lag, das Haupt auf ein Kissen gestützt. Da er sich erinnerte, ihn schon gesehen zu haben, richtete er sich auf, ihn zu empfangen, und hieß ihn willkommen; und nachdem er ihn eingeladen hatte, sich zu setzen, fragte er ihn, ob er ihm irgend einen Dienst leisten könnte, oder ob er ihm etwa eine Neuigkeit brächte, die ihn selber beträfe.

»Prinz,« antwortete ihm der Juwelier, »obwohl ich nicht die Ehre habe, Euch näher bekannt zu sein, so hat doch das Verlangen, Euch meinen Diensteifer zu beweisen, mich so dreist gemacht, zu Euch zu kommen, um Euch eine Neuigkeit mitzuteilen, die Euch betrifft; ich hoffe, daß Ihr meine Dreistigkeit durch meine gute Absicht entschuldigen werdet.«

Nach diesem Eingange kam der Juwelier zur Sache und fuhr also fort: »Prinz, ich habe die Ehre, Euch zu sagen, daß schon seit langer Zeit Übereinstimmung der Gemüter und einige gemeinsame Geschäfte mich mit Ebn Thaher zu einer engen Freundschaft verbunden haben. Ich weiß, daß Ihr ihn kennt, und daß er sich bisher bemüht hat, Euch in allem, was er vermochte, gefällig zu sein; ich habe es von ihm selber vernommen, denn er hat nie ein Geheimnis für mich gehabt. Nun kam ich eben an seinem Laden vorbei und war sehr verwundert, diesen verschlossen zu sehen. Ich wandte mich an einen seiner Nachbarn und fragte nach der Ursache davon; und der antwortete mir, daß Ebn Thaher schon vor zwei Tagen Abschied von ihm und den andern Nachbarn genommen und ihnen seine Dienste in Balsora angeboten hätte, wohin er, wie er sagte, wegen einer sehr wichtigen Angelegenheit reiste. Diese Antwort genügte mir nicht; und meine Teilnahme an allem, was ihn angeht, hat mich bestimmt, hierher zu kommen, um Euch zu fragen, ob Ihr nichts Näheres von einer so plötzlichen Abreise wißt.«

Auf diese Rede, welche der Juwelier also gewendet hatte, um leichter zum Ziele zu gelangen, verwandelte der Prinz seine Farbe und sah den Juwelier mit einer Miene an, welche ihm deutlich zu erkennen gab, wie betrübt er über diese Neuigkeit war.

»Was Ihr mir da sagt, überrascht mich,« antwortete er ihm; »es konnte mir kein größeres Unglück begegnen. Ja,« rief er aus, mit Tränen in den Augen, »es ist um mich geschehen, wenn das wahr ist, was Ihr mir sagt! Ebn Thaher, der mein ganzer Trost war, auf den ich alle meine Hoffnung setzte, verläßt mich! Nach einem so harten Schlage darf ich nicht mehr ans Leben denken.«

Der Juwelier brauchte nicht mehr zu hören, um von der heftigen Leidenschaft des Prinzen, von welcher Ebn Thaher ihm gesagt hatte, völlig überzeugt zu sein. »Die bloße Freundschaft,« sagte er bei sich selber, »redet nicht diese Sprache: nur die Liebe ist imstande, solche Gefühle hervorzubringen.«

Der Prinz blieb einige Augenblicke in die traurigsten Gedanken versunken. Endlich erhob er wieder das Haupt und sagte zu einem seiner Leute: »Geh nach Ebn Thahers Hause und erkundige dich bei einem von seinem Gesinde, ob er wirklich nach Balsora verreist ist. Lauf und komm schleunig wieder, mir Bescheid zu bringen.«

Bis zur Rückkehr des Bedienten bemühte sich der Juwelier, den Prinzen von gleichgültigen Dingen zu unterhalten; aber dieser gab fast gar nicht acht darauf: er war der Raub einer tödlichen Unruhe. Bald konnte er nicht glauben, daß Ebn Thaher weggereist wäre; bald zweifelte er nicht mehr daran, wenn er an die Vorstellungen dachte, welche dieser Vertraute ihm bei seinem letzten Besuche gemacht, und an das ungestüme Wesen, womit er ihn verlassen hatte.

Endlich kam der Bediente des Prinzen zurück und meldete, er hätte mit einem von Ebn Thahers Leuten gesprochen, der ihn versichert, daß er nicht in Bagdad, sondern schon seit zwei Tagen nach Balsora verreist wäre. »Als ich aus Ebn Thahers Haus trat,« fügte der Bediente hinzu, »kam eine wohlgebildete Sklavin auf mich zu, und nachdem sie mich gefragt, ob ich nicht die Ehre hätte, Euch anzugehören, sagte sie zu mir, daß sie Euch zu sprechen wünschte, und bat mich zugleich, sie mitzunehmen. Sie ist in dem Vorzimmer, und ich glaube, daß sie Euch einen Brief von irgend einer vornehmen Person zu übergeben hat.«

Der Prinz befahl sogleich, sie hereinzulassen; er zweifelte nicht, daß es die vertraute Sklavin Schemselnihars wäre; und in der Tat war sie es. Der Juwelier erkannte sie auch, weil er sie einigemal bei Ebn Thaher gesehen und dieser ihm gesagt hatte, wer sie wäre. Sie konnte nicht gelegener kommen, um die Verzweiflung des Prinzen zu verhindern. Sie grüßte ihn ...

Aber, Herr,« sagte Scheherasade bei dieser Stelle, »ich sehe, daß es schon Tag ist.« Sie schwieg, und in der folgenden Nacht fuhr sie folgendermaßen fort:

 

Zweihundertundzehnte Nacht.

»Der Prinz von Persien erwiderte den Gruß der Vertrauten Schemselnihars. Der Juwelier war sogleich bei ihrem Eintritt aufgestanden und beiseite getreten, damit beide sich ungehindert besprechen könnten. Nachdem sie einige Zeit mit dem Prinzen geredet hatte, nahm sie Abschied und ging wieder hinaus. Dieser war auf einmal ganz verändert: seine Augen erschienen glänzender und sein Gesicht froher als zuvor, woraus der Juwelier erkannte, daß die gute Sklavin ihm günstige Nachrichten für seine Liebe gebracht hatte.

Als der Juwelier seinen Platz bei dem Prinzen wieder eingenommen hatte, sagte er lächelnd zu ihm: »Wie ich sehe, Prinz, so habt Ihr wichtige Geschäfte im Palaste des Kalifen.«

Der Prinz von Persien, sehr erstaunt und beunruhigt durch diese Anrede, antwortete dem Juwelier: »Woraus schließt Ihr, daß ich wichtige Geschäfte im Palaste des Kalifen habe?«

»Ich schließe es aus der Sklavin, welche eben hinausgegangen ist.«

»Und wem, glaubt Ihr, daß diese Sklavin angehört?« fragte der Prinz weiter.

»Schemselnihar, der Favoritin des Kalifen,« antwortete der Juwelier.

»Ich kenne,« fuhr er fort, »diese Sklavin und selbst ihre Gebieterin, die mir einigemal die Ehre erzeigt hat, mich zu besuchen und Juwelen zu kaufen. Ich weiß noch mehr, daß Schemselnihar kein Geheimnis vor dieser Sklavin hat, welche ich seit einigen Tagen sehr verlegen, wie es mir scheint, durch die Straßen hin- und hergehen sehe. Ich stelle mir vor, daß es irgend eine wichtige Angelegenheit ihrer Gebieterin betrifft.«

Diese Worte des Juweliers beunruhigten den Prinzen von Persien gar sehr. »Er würde nicht so zu mir reden,« sagte er bei sich selber, »wenn er keinen Verdacht hätte, oder vielmehr, wenn er mein Geheimnis nicht wüßte.« Er schwieg einige Augenblicke, unschlüssig, wie er sich verhalten sollte. Endlich nahm er wieder das Wort und sagte zu dem Juwelier: »Ihr sagt mir da Dinge, nach welchen ich glauben muß, daß Ihr noch mehr wißt, als Ihr sagt. Es ist wichtig für meine Ruhe, völlig darüber im klaren zu sein: und ich beschwöre Euch, nicht zurückzuhalten.«

Der Juwelier, der nichts anderes gewünscht hatte, machte ihm hierauf einen genauen Bericht von seiner Unterhaltung mit Ebn Thaher. Dadurch gab er ihm zu erkennen, daß er von seinen Verhältnissen zu Schemselnihar unterrichtet war, und er vergaß nicht, ihm zu sagen, daß Ebn Thaher aus Furcht vor der Gefahr, worin er als Vertrauter schwebte, den Entschluß gefaßt hätte, sich nach Balsora zurückzuziehen und dort zu bleiben, bis das von ihm befürchtete Ungewitter sich zerstreut haben würde. »Und das hat er ausgeführt,« fügte der Juwelier hinzu, »und ich bin verwundert, daß er sich hat entschließen können, Euch in einem Zustande zu verlassen, wie er mir ihn beschrieben hat. Was mich betrifft, Prinz, so gestehe ich Euch, daß ich von Mitleid mit Euch gerührt wurde: ich komme, Euch meine Dienste anzubieten; und wenn Ihr mir die Gnade erzeiget, sie anzunehmen, so verpflichte ich mich, Euch dieselbe Treue zu leisten wie Ebn Thaher. Ich verspreche Euch überdem mehr Standhaftigkeit: ich bin bereit, meine Ehre und mein Leben für Euch aufzuopfern; und damit Ihr an meiner Aufrichtigkeit nicht zweifelt, so schwöre ich bei dem Allerheiligsten unserer Religion, Euer Geheimnis unverletzlich zu bewahren. Seid also überzeugt, Prinz, daß Ihr in mir den Freund wiederfindet, den Ihr verloren habt.«

Diese Rede beruhigte den Prinzen und tröstete ihn über die Entfernung Ebn Thahers. »Ich bin hocherfreut,« sagte er zu dem Juwelier, »durch Euch meinen Verlust wieder ersetzt zu sehen. Ich weiß nicht genugsam Euch meine Erkenntlichkeit auszudrücken. Ach,« fügte er hinzu, indem er folgende Verse aussprach:

»Ach, wenn ich behaupten wollte, daß ich auch diese Trennung mit Geduld ertrage, so würden doch meine Seufzer mich Lügen strafen.

Nunmehr weiß ich wahrlich nicht, ob meine Tränen, die ohne Unterlaß fließen, wegen der Trennung von meiner Geliebten oder wegen der Entfernung meines Freundes strömen.

Mein Auge ist stets in Tränen versunken um die getrennte Geliebte und um den entfernten Freund.« –

Ich bitte Gott, Euren Edelmut zu belohnen, und nehme willig Euer freundliches Anerbieten an. Solltet Ihr wohl glauben, daß Schemselnihars Vertraute eben von Euch zu mir gesprochen hat? Sie behauptet, Ihr seid es, der Ebn Thaher geraten hat, sich von Bagdad zu entfernen. Das waren ihre letzten Worte beim Weggehen, und sie schien mir fest überzeugt davon. Aber man tut Euch unrecht; nach allem, was Ihr mir gesagt habt, zweifle ich nicht, daß sie sich täuscht.«

»Prinz,« erwiderte ihm der Juwelier, »ich habe die Ehre gehabt, Euch einen treuen Bericht von der Unterredung zu geben, welche ich mit Ebn Thaher gehabt habe. Es ist wahr, als er mir erklärte, daß er sich nach Balsora zurückziehen wollte, so tadelte ich sein Vorhaben nicht, sondern nannte ihn einen klugen und vorsichtigen Mann: aber dies darf Euch nicht abhalten, mir Euer Vertrauen zu schenken; ich erbiete mich, Euch mit allem nur erdenklichen Eifer zu dienen. Und wenn Ihr auch keinen Gebrauch davon macht, so soll das mich doch nicht abhalten, Euer Geheimnis so heilig zu bewahren, als ich durch meinen Eid mich verpflichtet habe.«

»Ich habe Euch schon gesagt,« erwiderte der Prinz, »daß ich den Worten der Vertrauten keinen Glauben beimesse. Ihr Diensteifer hat ihr diesen ungegründeten Verdacht eingegeben, und Ihr müßt sie entschuldigen, wie ich sie entschuldige.«

Sie setzten ihre Unterhaltung noch eine Zeitlang fort und berieten sich über die füglichsten Mittel, die Verbindung des Prinzen mit Schemselnihar zu unterhalten. Sie vereinigten sich darin, daß man vor allen Dingen die Vertraute enttäuschen müßte, die so ungerechterweise gegen den Juwelier eingenommen war. Der Prinz übernahm es, sie beim ersten Wiedersehen aus ihrem Irrtume zu ziehen und sie zu bitten, sich an den Juwelier zu wenden, wenn sie ihm Briefe zu bringen oder sonst etwas von ihrer Gebieterin an ihn zu bestellen hätte. Denn sie hielten für ratsam, daß dieselbe nicht so oft bei dem Prinzen erscheine, weil sie dadurch Anlaß zur Entdeckung dessen geben könnte, was so wichtig war zu verbergen.

Endlich stand der Juwelier auf; und nachdem er den Prinzen von Persien abermals gebeten hatte, ihm sein ganzes Vertrauen zu schenken, entfernte er sich ...«

Die Sultanin Scheherasade hielt bei dieser Stelle inne, weil der Tag anbrach. In der folgenden Nacht nahm sie den Faden ihrer Erzählung wieder auf und sagte zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundelfte Nacht.

»Herr, der Juwelier sah auf dem Wege nach seinem Hause auf der Gasse einen Brief liegen, den jemand verloren hatte. Er hob ihn auf; und da er nicht versiegelt war, öffnete er ihn und las folgendes:

 

Brief von Schemselnihar an den Prinzen von Persien.

»Ich erfahre soeben durch meine Vertraute eine Neuigkeit, die mir nicht weniger Betrübnis verursacht, als Ihr darüber haben müßt. Indem wir Ebn Thaher verlieren, verlieren wir in der Tat viel: aber das muß Euch nicht mutlos machen, teurer Prinz, für Eure Erhaltung zu sorgen. Wenn unser Vertrauter aus übertriebener Furcht uns verläßt, so laßt es uns als ein unvermeidliches Übel betrachten: wir müssen uns darüber trösten. Ich bekenne, daß Ebn Thaher uns gerade in einem Augenblicke abgeht, da wir seiner Hilfe am meisten bedürfen: aber waffnen wir uns mit Geduld gegen diesen unvorhergesehenen Schlag, und lassen wir nicht ab, uns standhaft zu lieben. Stählet Euer Herz gegen diesen Unfall: man erreicht nicht ohne Mühe, was man wünscht. Lassen wir uns nicht abschrecken: hoffen wir, daß der Himmel uns günstig sein wird, und daß wir nach so viel Leiden die glückliche Erfüllung unserer Wünsche erleben werden. Lebet wohl.«

*

Während der Juwelier sich mit dem Prinzen von Persien unterredete, hatte die Vertraute Zeit gehabt, nach dem Palast zurückzukehren und ihrer Gebieterin die unangenehme Neuigkeit von der Abreise Ebn Thahers zu verkünden, Schemselnihar hatte sogleich diesen Brief geschrieben und ihre Vertraute damit zu dem Prinzen von Persien zurückgeschickt, und diese hatte ihn aus Unachtsamkeit fallen lassen.

Der Juwelier war froh, ihn gefunden zu haben; denn er verschaffte ihm ein gutes Mittel, sich bei der Vertrauten zu rechtfertigen und sie so zu stimmen, wie er wünschte. Als er ihn ausgelesen hatte, erblickte er die Sklavin, die ihn mit großer Unruhe suchte, indem sie sich nach allen Seiten umsah. Er faltete ihn schleunig wieder zusammen und schob ihn in seinen Busen; aber die Sklavin hatte seine Bewegung wahrgenommen und lief auf ihn zu. »Herr,« sagte sie zu ihm, »ich habe den Brief fallen lassen, den Ihr jetzt eben in der Hand hieltet; ich bitte Euch, habt die Güte und gebt ihn mir wieder.« Der Juwelier tat, als hörte er's nicht, und setzte, ohne zu antworten, seinen Weg bis zu seinem Hause fort. Er ließ die Türe offen, damit die Vertraute, die ihm folgte, auch eintreten konnte.

Sie blieb auch nicht zurück, und als sie in sein Zimmer kam, sagte sie zu ihm: »Herr, der Brief, den Ihr gefunden habt, kann Euch keinen Nutzen gewähren; und Ihr würdet keine Schwierigkeit machen, mir ihn wiederzugeben, wenn Ihr wüßtet, von wem er kommt, und an wen er gerichtet ist; übrigens erlaubet mir, Euch zu sagen, daß Ihr ihn anständigerweise nicht wohl behalten könnt.«

Bevor er der Vertrauten antwortete, ließ der Juwelier sie niedersetzen und sagte dann zu ihr: »Nicht wahr, der Brief, von welchem die Rede, ist von der Hand Schemselnihars und an den Prinzen von Persien gerichtet?« Die Sklavin, die sich dieser Frage nicht versah, entfärbte sich. »Die Frage macht Euch verlegen,« fuhr er fort; »aber wisset, daß ich sie nicht aus Unbescheidenheit an Euch tue: ich hätte Euch den Brief auf der Straße wiedergeben können, aber ich wollte Euch hierher locken, weil ich mich mit Euch zu verständigen wünsche. Ist es billig, sagt mir, ein widriges Ereignis Leuten aufzubürden, die gar nichts dazu beigetragen haben? Das aber habt Ihr getan, als Ihr dem Prinzen von Persien gesagt, daß ich Ebn Thaher geraten habe, seiner Sicherheit wegen Bagdad zu verlassen. Ich will nicht die Zeit damit verlieren, mich bei Euch zu entschuldigen: genug, daß der Prinz von Persien völlig von meiner Unschuld hierin überzeugt ist. Ich will Euch nur sagen, daß, anstatt zur Abreise Ebn Thahers beigetragen zu haben, ich äußerst bekümmert darüber war, nicht so sehr aus Freundschaft zu ihm als aus Mitleid mit dem Zustande, in welchem er den Prinzen verließ, dessen Verbindung mit Schemselnihar er mir entdeckt hatte. Sobald ich gewiß wußte, daß Ebn Thaher nicht mehr in Bagdad war, eilte ich, mich dem Prinzen, bei dem Ihr mich gefunden habt, vorzustellen und ihm diese Neuigkeit kund zu tun und ihm dieselben Dienste anzubieten, welche jener ihm geleistet hatte. Meine Absicht gelang mir; und sofern Ihr zu mir dasselbe Vertrauen habt, das Ihr zu Ebn Thaher hattet, so kommt es nur auf Euch an, Euch meiner Vermittelung mit Nutzen zu bedienen. Unterrichtet Eure Gebieterin von dem, was ich Euch eben gesagt habe, und versichert sie völlig, daß, wenn ich durch die Verwickelung in ein so gefährliches Geheimnis auch umkommen sollte, es mich jedoch nicht gereuen würde, mich für zwei einander so würdige Liebende aufgeopfert zu haben.«

Die Vertraute hörte den Juwelier mit großer Zufriedenheit an und bat ihn dann, die üble Meinung, welche sie von ihm gefaßt hatte, ihrem Eifer für das Wohl ihrer Gebieterin beizumessen. »Ich bin unendlich erfreut darüber,« fügte sie hinzu, »daß Schemselnihar und der Prinz in Euch einen Mann wiederfinden, welcher so geschickt Ebn Thahers Stelle ersetzt. Ich werde nicht verfehlen, meiner Gebieterin den guten Willen zu rühmen, welchen Ihr für sie bezeiget ...«

Scheherasade bemerkte bei dieser Stelle, daß es Tag war, und hörte auf zu reden. In der folgenden Nacht setzte sie ihre Erzählung also fort:

 

Zweihundertundzwölfte Nacht.

»Nachdem die Vertraute dem Juwelier gesagt hatte, wie erfreut sie wäre, ihn so dienstwillig für Schemselnihar und den Prinzen von Persien zu finden, zog der Juwelier den Brief aus seinem Busen und gab ihn ihr wieder mit den Worten: »Nehmet und traget ihn schleunig zum Prinzen von Persien, und auf dem Rückwege kommt wieder her, damit ich sehe, was er darauf antwortet. Vergesset nicht, ihm unsere Unterredung mitzuteilen.«

Die Vertraute nahm den Brief und trug ihn zu dem Prinzen, der auf der Stelle darauf antwortete. Sie kam zu dem Juwelier zurück und zeigte ihm die Antwort, welche folgendermaßen lautete:

 

Antwort des Prinzen von Persien an Schemselnihar.

»Euer teurer Brief macht auf mich eine große Wirkung, jedoch keine so große, als ich wünschte. Ihr bemühet Euch, mich über den Verlust Ebn Thahers zu trösten. Ach, wie empfindlich mir derselbe auch ist, so ist das doch nur das kleinste meiner Leiden! Ihr kennt diese Leiden, und Ihr wißt, daß nur Eure Gegenwart imstande ist, sie zu heilen. Wann wird die Zeit kommen, daß ich derselben ohne Furcht, ihrer wieder beraubt zu werden, genießen kann? Wie entfernt scheint sie mir noch! Oder vielmehr, dürfen wir uns schmeicheln, sie je zu erleben? Ihr gebietet mir, für meine Erhaltung zu sorgen: ich werde Euch gehorchen, weil ich ganz auf meinen eigenen Willen verzichtet habe, um nur den Euren zu befolgen. Lebet wohl.«

*

Nachdem der Juwelier diesen Brief gelesen hatte, gab er ihn der Vertrauten wieder, die im Weggehen zu ihm sagte: »Herr, ich werde es schon dahin bringen, daß meine Gebieterin auf Euch dasselbe Vertrauen setze, wie sie auf Ebn Thaher hatte. Ihr sollt morgen wieder Nachricht von mir erhalten.«

In der Tat sah er sie am folgenden Tage mit vergnügtem Gesichte daherkommen. »Euer bloßer Anblick,« sagte er zu ihr, »gibt mir zu erkennen, daß Ihr Schemselnihar in die Stimmung versetzt habt, welche Ihr wünschtet.«

»Es ist wahr,« antwortete die Vertraute, »und Ihr sollt sogleich hören, auf welche Weise ich zum Ziele gelangt bin. Ich fand gestern,« fuhr sie fort, »Schemselnihar in ungeduldiger Erwartung; ich gab ihr den Brief des Prinzen; sie las ihn mit Tränen in den Augen; und als sie ihn durchgelesen hatte, sah ich sie wieder ihrem gewöhnlichen Kummer sich hingeben und sagte zu ihr: »Gebieterin, es ist ohne Zweifel die Entfernung Ebn Thahers, die Euch bekümmert; aber erlaubet mir, daß ich Euch im Namen Gottes beschwöre, Euch hierüber nicht mehr zu beunruhigen. Wir haben einen andern Mann gefunden, der sich erbietet, Euch mit ebensoviel Eifer zu dienen und, was sehr wichtig ist, mit noch mehr Mut.« Hierauf sagte ich ihr von Euch,« fuhr die Sklavin fort, »und erzählte ihr die Veranlassung, die Euch zu dem Prinzen von Persien führte. Kurz, ich versicherte sie, daß Ihr unverletzlich ihr und des Prinzen von Persien Geheimnis bewahren würdet, und daß Ihr entschlossen wäret, ihre Liebe aus allen Euren Kräften zu begünstigen. Sie schien mir durch diese Nachricht sehr getröstet und rief aus: »Ach, welche Verpflichtung haben wir, der Prinz von Persien und ich, dem braven Manne, von dem du mir sagst! Ich will ihn kennen lernen, ihn sehen, um aus seinem eigenen Munde alles zu vernehmen, was du mir eben gesagt hast, und ihm für eine so unerhörte Großmut gegen Personen zu danken, an deren Schicksal mit so viel Wärme teilzunehmen nichts ihn verpflichtet. Sein Anblick wird mir Vergnügen gewähren, und ich werde nicht unterlassen, ihn in so guten Gesinnungen zu bestärken. Vergiß nicht, morgen hinzugehen und ihn zu mir zu führen.« Und darum, lieber Herr, bemühet Euch mit mir nach ihrem Palaste.«

Diese Rede der Vertrauten setzte den Juwelier in Verlegenheit. »Eure Gebieterin,« erwiderte er, »erlaube mir, zu bemerken, daß sie nicht wohl bedacht hat, was sie da von mir fordert. Das Ansehen, in welchem Ebn Thaher bei dem Kalifen stand, gab ihm überall freien Zutritt, und die Hausbeamten, die ihn kannten, ließen ihn ungehindert in Schemselnihars Palast kommen und gehen: aber ich, wie dürfte ich wagen, ihn zu betreten? Ihr sehet selber wohl ein, daß das unmöglich ist. Ich bitte Euch also, Schemselnihar die Gründe vorzustellen, die mich verhindern, ihr hierin zu genügen, samt allen unangenehmen Folgen, welche daraus entstehen könnten. Wenn sie dieses nur ein wenig erwägt, so wird sie finden, daß sie mich unnützerweise einer großen Gefahr aussetzen würde.«

Die Vertraute bemühte sich, den Juwelier zu beruhigen, und sagte zu ihm: »Glaubt Ihr denn, daß Schemselnihar so unbesonnen ist, Euch der geringsten Gefahr auszusetzen, indem sie Euch zu sich entbietet? Euch, von welchem sie so wichtige Dienste erwartet? Seid versichert, daß kein Anschein von Gefahr für Euch dabei ist. Es ist zu sehr unser, meiner Gebieterin und mein eigener Vorteil, als daß wir Euch zur Unzeit darin verwickeln sollten. Ihr könnt deshalb auf mich vertrauen, hinterher werdet Ihr mir selber eingestehen, daß Eure Furcht ungegründet war.«

Der Juwelier ließ sich durch die Rede der Vertrauten bewegen und stand auf, ihr zu folgen; aber welche Festigkeit er sich auch von Natur zutraute, die Furcht hatte sich seiner dermaßen bemächtigt, daß er am ganzen Leibe zitterte. Da sagte die Vertraute zu ihm: »In solchem Zustande, sehe ich wohl, ist es besser, daß Ihr zu Hause bleibet, und daß Schemselnihar ein anderes Mittel erwähle, Euch zu sehen, und Ihr dürft nicht zweifeln, daß sie, um diesen ihren Wunsch zu befriedigen, selber herkomme, Euch zu besuchen. Demnach, lieber Herr, bleibet zu Hause: ich bin versichert, es wird nicht lange währen, so sehet Ihr sie kommen.«

Die Vertraute hatte richtig geweissagt: sie hatte nicht sobald Schemselnihar die Furcht des Juweliers kund getan, als diese sich zu ihm begab.

Er empfing sie mit allen Zeichen einer tiefen Ehrfurcht. Als sie, von dem zurückgelegten Wege etwas ermüdet, sich gesetzt hatte, entschleierte sie sich und ließ den Juwelier eine Schönheit sehen, welche den Prinzen völlig bei ihm entschuldigte, sein Herz der Geliebten des Kalifen geschenkt zu haben. Hierauf grüßte sie den Juwelier mit anmutiger Miene und sagte zu ihm: »Ich habe unmöglich hören können, mit welchem Eifer Ihr Euch meiner und des Prinzen von Persien annehmet, ohne sogleich den Vorsatz zu fassen, Euch selber dafür zu danken. Ich danke dem Himmel, daß er uns so bald für den Verlust Ebn Thahers entschädigt hat ...«

Scheherasade war genötigt, an dieser Stelle innezuhalten, weil sie den Tag anbrechen sah. In der nächsten Nacht fuhr sie in ihrer Erzählung fort:

 

Zweihundertunddreizehnte Nacht.

»Schemselnihar sagte dem Juwelier noch mehrere verbindliche Sachen und begab sich dann nach ihrem Palast zurück.

Der Juwelier ging sogleich hin, dem Prinzen von Persien von diesem Besuche Nachricht zu geben. Dieser sagte zu ihm, als er ihn erblickte: »Ich erwartete Euch mit Ungeduld. Die vertraute Sklavin hat mir einen Brief von ihrer Gebieterin überbracht; aber dieser Brief hat mich keineswegs getröstet. Was auch die liebenswürdige Schemselnihar mir entbieten mag, ich wage nicht, etwas zu hoffen, und meine Geduld ist am Ende. Ich weiß keinen Rat mehr; die Abreise Ebn Thahers bringt mich zur Verzweiflung. Er war meine Stütze; mit ihm habe ich alles verloren. Durch den Zutritt, welchen er bei Schemselnihar hatte, konnte ich mir noch mit einiger Hoffnung schmeicheln.«

Auf diese Worte, welche der Prinz mit solcher Lebhaftigkeit aussprach, daß er dem Juwelier keine Zeit ließ, zu Worte zu kommen, konnte dieser ein sanftes Lächeln nicht unterdrücken, was den Prinzen veranlaßte, folgende Verse auszusprechen:

»Wenn derjenige, der bei meinem Anblick über meine Betrübnis lachen kann, das erfahren hätte, was mich betroffen hat, so würde es ihn zum Weinen bringen.

Denn nur der Mann, der ähnliche Trübsale erduldet hat, kann Mitleid empfinden mit dem, der unter denselben Unglücksfällen leidet.«

Der Juwelier bemühte sich nun, den Prinzen zu versichern, daß niemand aufrichtigeren Teil nehmen könnte an seinen Leiden als er, und wenn er nur die Geduld haben wollte, ihn anzuhören, so würde er sehen, daß er ihm Linderung verschaffen könnte.

Auf diese Rede schwieg der Prinz und hörte ihn an. »Ich sehe wohl,« fuhr nun der Juwelier fort, »das einzige Mittel, Euch zufriedenzustellen, ist, zu bewirken, daß Ihr ungehindert Euch mit Schemselnihar unterhalten könnt. Diese Genugtuung will ich Euch verschaffen und gleich morgen dazutun. Ihr dürft es nicht wagen, den Palast Schemselnihars zu betreten: Ihr wißt aus Erfahrung, daß das ein sehr gefährlicher Schritt ist. Ich weiß einen gelegeneren Ort für diese Zusammenkunft, wo Ihr in Sicherheit seid.«

Als der Juwelier diese Worte aussprach, umarmte ihn der Prinz mit Entzücken und sagte: »Ihr erweckt durch dieses reizende Versprechen einen unglücklichen Liebenden vom Tode, zu welchem er sich schon verurteilt hatte. Wie ich sehe, so ist mir der Verlust Ebn Thahers völlig ersetzt. Alles, was Ihr tut, ist wohlgetan: ich überlasse mich Euch gänzlich.«

Nachdem der Prinz dem Juwelier für den Eifer gedankt hatte, welchen er ihm bezeigte, ging der Juwelier nach Hause.

Gleich am folgenden Morgen kam die Vertraute wieder zu ihm. Er sagte ihr, daß er dem Prinzen von Persien Hoffnung gemacht hätte, recht bald Schemselnihar zu sehen. »Ich komme gerade deshalb,« antwortete sie ihm, »um die Maßregeln dazu mit Euch zu verabreden. Mir scheint,« fuhr sie fort, »dieses Haus sehr bequem für ihre Zusammenkunft.«

»Ich könnte wohl,« sagte er darauf, »sie beide hierher kommen lassen; aber ich habe bedacht, daß sie in einem andern Hause, das mir gehört, und wo gegenwärtig niemand wohnt, noch ungestörter sind. Ich werde es alsbald zu ihrem Empfange einrichten lassen.«

»Unter diesen Umständen,« erwiderte die Vertraute, »kommt es nur noch auf Schemselnihars Einwilligung an. Ich gehe, ihr davon zu sagen, und ich werde Euch in kurzer Zeit ihre Antwort bringen.«

In der Tat war sie sehr geschwinde; sie kam bald wieder und meldete dem Juwelier, daß ihre Gebieterin nicht verfehlen würde, sich gegen Abend am verabredeten Orte einzustellen. Zu gleicher Zeit übergab sie ihm eine Börse mit dem Auftrage, dafür ein Mahl bereiten zu lassen.

Er führte sie sogleich nach dem Hause, wo die Liebenden zusammenkommen sollten, damit sie den Ort wüßte und ihre Gebieterin dahin führen könnte. Und sobald sie weg war, ging er hin zu seinen Freunden und borgte von ihnen goldenes und silbernes Geschirre, Teppiche, reiche Kissen und anderes Hausgerät, womit er dieses Haus sehr prächtig ausschmückte. Als er alles darin angeordnet hatte, begab er sich zu dem Prinzen von Persien.

Stellt Euch die Freude des Prinzen vor, als der Juwelier ihm sagte, er käme, um ihn in das Haus zu führen, welches er zu seinem und Schemselnihars Empfang in Bereitschaft gesetzt hatte. Diese Nachricht ließ ihn all seiner Sorgen und Leiden vergessen. Er legte ein prächtiges Kleid an und ging ohne Gefolge mit dem Juwelier, der ihn durch mehrere abgelegene Gassen führte, damit niemand sie beobachtete, und ihn endlich in das Haus brachte, wo sie sich bis zur Ankunft Schemselnihars miteinander unterhielten.

Diese leidenschaftlich Liebende ließ sie nicht zu lange warten. Sie kam gleich nach dem Abendgebete mit ihrer Vertrauten und zwei andern Sklavinnen. Ich kann Euch das Übermaß der Freude nicht ausdrücken, von welchem die beiden Liebenden ergriffen wurden, als sie einander erblickten; sie setzten sich auf das Sofa und sahen sich einige Zeit an, ohne sprechen zu können, so sehr waren sie außer sich. Aber als sie den Gebrauch der Sprache wiedererlangt hatten, entschädigten sie sich hinlänglich für dieses Stillschweigen. Sie sagten sich so zärtliche Dinge, daß der Juwelier, die Vertraute und die beiden Sklavinnen darüber weinten.

Der Juwelier trocknete jedoch seine Tränen, um das Mahl zu besorgen, welches er selber auftrug.

Die Liebenden aßen und tranken wenig und setzten sich darnach beide auf das Sofa. Schemselnihar fragte den Juwelier, ob er nicht eine Laute oder irgend ein anderes Saitenspiel hätte. Der Juwelier, der für alles gesorgt hatte, was ihr Vergnügen machen könnte, brachte ihr eine Laute. Sie stimmte dieselbe und sang ...«

Hierauf hielt Scheherasade inne, weil der Tag eben anbrach. In der folgenden Nacht fuhr sie also fort:

 

Zweihundertundvierzehnte Nacht.

»Indem Schemselnihar den Prinzen von Persien bezauberte und ihm ihre Leidenschaft durch Worte ausdrückte, welche sie auf der Stelle erfand, ließ sich ein lautes Geräusch hören, und ein Sklave, den der Juwelier mitgebracht hatte, trat plötzlich ganz erschrocken herein und meldete, daß man die Tür einstieße; er hätte gefragt, wer anklopfte, aber anstatt der Antwort wären die Schläge verdoppelt worden.

Der aufgeschreckte Juwelier verließ Schemselnihar und den Prinzen und ging selber hin, um sich von dieser unangenehmen Neuigkeit zu überzeugen. Er war schon in dem Hofe, als er in der Dunkelheit eine Schar mit Äxten und Säbeln bewaffneter Leute erblickte, welche die Tür eingeschlagen hatten und gerade auf ihn zukamen. Er drückte sich schleunigst an eine Mauer, und ohne bemerkt zu werden, sah er sie, zehn an der Zahl, vorbeigehen.

Da er dem Prinzen von Persien und Schemselnihar nicht sonderliche Hilfe leisten konnte, so begnügte er sich, sie bei sich selber zu beklagen, und beschloß zu fliehen. Er schlüpfte aus dem Hause und flüchtete sich zu einem Nachbar, der noch nicht zu Bette war; denn er war überzeugt, daß diese unversehene Gewalttätigkeit auf Befehl des Kalifen geschähe, dem ohne Zweifel die Zusammenkunft seiner Favoritin mit dem Prinzen von Persien wäre verraten worden. In dem Hause, wohin er sich gerettet hatte, hörte er noch den großen Lärm, welchen man in dem seinigen machte, und dieser Lärm dauerte bis um Mitternacht.

Hierauf, als ihm alles wieder darin stille schien, bat er seinen Nachbar, ihm einen Säbel zu leihen; und hiermit bewaffnet, ging er wieder hin, näherte sich der Tür des Hauses und trat in den Hof, wo er mit Schrecken einen Mann erblickte, der ihn fragte, wer er wäre. An der Stimme erkannte er, daß es sein Sklave war. »Wie hast du es gemacht,« fragte er ihn, »daß dich die Wache nicht ergriffen hat?«

»Herr,« antwortete ihm der Sklave, »ich habe mich in einem Winkel des Hofes versteckt und bin wieder hervorgekommen, als ich keinen Lärm mehr hörte. Aber es war nicht die Wache, welche in Euer Haus eingebrochen ist, es sind Räuber, die in diesen letzten Tagen schon ein Haus dieses Stadtviertels geplündert haben. Ohne Zweifel haben sie den Reichtum des Gerätes bemerkt, welches Ihr habt hierher bringen lassen, und das hat ihnen in die Augen gestochen.«

Der Juwelier fand die Vermutung seines Sklaven sehr wahrscheinlich. Er durchsuchte sein Haus und sah in der Tat, daß die Räuber all das prächtige Gerät des Zimmers, worin er Schemselnihar und ihren Geliebten empfangen, ausgeräumt, das Gold- und Silbergeschirr weggetragen, kurz, nicht das geringste darin gelassen hatten. Er war trostlos darüber. »O Himmel,« rief er aus, »ich bin ohne Rettung verloren! Was werden meine Freunde sagen, und welche Entschuldigung bringe ich ihnen, wenn ich ihnen sage, daß Räuber mein Haus erbrochen und gestohlen haben, was sie mir so großmütig geliehen? Muß ich sie nicht für den Verlust entschädigen, den ich ihnen verursacht habe? – Und dann, was ist aus Schemselnihar und dem Prinzen von Persien geworden? Dieser Vorfall wird ein so großes Aufsehen machen, daß er unausbleiblich dem Kalifen zu Ohren kommen muß. Er wird diese Zusammenkunft erfahren, und ich werde ein Opfer seines Zornes sein.«

Der Sklave, der ihm sehr zugetan war, bemühte sich, ihn zu trösten, und sagte: »Schemselnihar betreffend, so werden die Räuber sich wahrscheinlich begnügt haben, sie auszuplündern, und sie wird dann mit ihren Sklaven in ihren Palast zurückgekehrt sein, und der Prinz von Persien wird dasselbe Schicksal gehabt haben. Also dürft Ihr hoffen, daß der Kalif dieses Abenteuer nie erfahren wird. Was den Verlust Eurer Freunde anlangt, so ist das ein Unglück, welches Ihr nicht vermeiden konntet. Sie wissen wohl, daß die Räuber so überhand genommen haben und so verwegen geworden sind, daß sie nicht allein das Haus, von welchem ich Euch gesagt habe, sondern auch mehrere andere Häuser der vornehmsten Herren des Hofes ausgeplündert haben, und ihnen ist nicht unbekannt, daß trotz den ergangenen Befehlen, sie einzufangen, man noch keinen von ihnen hat ergreifen können, wie viele Mühe man auch angewendet hat. Ihr werdet also damit davonkommen, daß Ihr Euren Freunden den Wert der geraubten Sachen ersetzet, und es wird Euch, Gott sei Dank, noch Vermögen genug übrigbleiben.«

Bis der Tag anbrach, ließ der Juwelier durch seinen Sklaven, so gut es möglich war, die eingeschlagene Türe nach der Gasse wieder herstellen und kehrte dann mit demselben nach seinem Wohnhause zurück unter traurigen Betrachtungen über das vorgefallene. »Ebn Thaher,« sagte er bei sich selber, »war wohl klüger als ich; er hatte das Unglück vorausgesehen, in welches ich mich blindlings gestürzt habe. Wollte Gott, daß ich mich nie in einen Liebeshandel gemischt hätte, der mir vielleicht das Leben kostet.«

Kaum war es Tag, so verbreitete sich das Gerücht von der Plünderung seines Hauses in der Stadt und zog einen Schwarm von Freunden und Nachbarn herbei, von welchen die meisten unter dem Vorwande, ihm ihr Beileid zu bezeigen, nur zu ihm kamen, um die Sache umständlich zu erfahren. Er unterließ nicht, ihnen für die ihm bezeigte Teilnahme zu danken, und hatte wenigstens den Trost, zu hören, daß niemand weder von Schemselnihar noch von dem Prinzen von Persien zu ihm sprach, woraus er schloß, daß beide zu Hause oder doch an irgend einem sicheren Orte wären.

Als der Juwelier wieder allein war, brachten seine Leute ihm zu essen; aber er aß fast gar nichts. Es war gegen Mittag, als einer seiner Sklaven hereintrat und ihm meldete, daß ein unbekannter Mann an der Türe stände und ihn zu sprechen verlangte. Der Juwelier, der keinen Unbekannten zu sich hereinlassen wollte, stand auf und ging hin, mit ihm an der Türe zu reden. »Obwohl Ihr mich nicht kennet,« sagte der Mann zu ihm, »so kenne ich doch Euch, und ich komme, von einer wichtigen Angelegenheit mit Euch zu reden.« Auf diese Worte bat der Juwelier ihn, einzutreten. »Nein!« fuhr der Unbekannte fort, »bemühet Euch vielmehr, wenn's Euch beliebt, mit mir nach Eurem andern Hause.«

»Wie wißt Ihr,« versetzte der Juwelier, »daß ich noch ein anderes Haus habe als dieses hier?«

»Ich weiß es,« erwiderte der Unbekannte. »Ich bitte Euch nur, mir zu folgen; und fürchtet nichts, ich habe Euch etwas mitzuteilen, das Euch Vergnügen machen wird.«

Der Juwelier ging sogleich mit ihm hin und erzählte ihm unterwegs, auf welche Weise das Haus, wohin sie gingen, beraubt worden und nicht in dem Zustande wäre, ihn darin zu empfangen.

Als sie vor dem Hause standen und der Unbekannte die Türe halb zerbrochen sah, sagte er zu dem Juwelier: »Gehen wir fürder, ich sehe wohl, daß Ihr mir die Wahrheit gesagt habt. Ich will Euch an einen Ort führen, wo wir bequemer sind.«

Indem er dies sagte, setzten sie ihren Weg fort und gingen so den ganzen übrigen Tag, ohne sich aufzuhalten. Der Juwelier war ermüdet von dem langen Wege, und ängstlich, als er die Nacht herannahen und den Unbekannten noch immer fortschreiten sah, ohne ihm zu sagen, wohin er ihn zu führen gedächte, fing er schon an, die Geduld zu verlieren, als sie auf einen Platz gelangten, der nach dem Tigris führte. Sie gingen ans Ufer des Flusses hinab, bestiegen ein kleines Boot und setzten auf die andere Seite über.

Nun führte der Unbekannte den Juwelier durch eine lange Gasse, wo dieser in seinem Leben nicht gewesen war; und nachdem er ihn noch, ich weiß nicht wie viel abgelegene Gassen hatte durchwandern lassen, stand er endlich vor einer Türe still und öffnete sie. Er ließ den Juwelier eintreten, schloß die Türe wieder zu, verriegelte sie mit einer starken Eisenstange und führte ihn in ein Zimmer, wo sich zehn andere Männer befanden, welche dem Juwelier ebenso unbekannt waren als derjenige, der ihn hergeführt hatte.

Diese zehn Männer empfingen den Juwelier ohne sonderliche Höflichkeitsbezeigungen. Sie hießen ihn sich setzen, und er tat es. Er hatte es auch sehr nötig: denn er war nicht allein von dem langen Marsch außer Atem, sondern auch die Furcht, die ihn ergriff, als er sich unter Leuten sah, die so geeignet waren, ihm solche zu erregen, hätte ihm nicht verstattet, sich aufrecht zu erhalten. Da sie mit dem Abendessen auf ihr Oberhaupt gewartet hatten, so wurde gleich bei seiner Ankunft aufgetragen. Sie wuschen sich die Hände und nötigten den Juwelier, dasselbe zu tun und sich mit ihnen an den Tisch zu setzen.

Nach der Mahlzeit fragten die Männer ihn, ob er wüßte, mit wem er spräche. Er antwortete: Nein, und daß er selbst nicht das Stadtviertel und den Ort kenne, wo er wäre.

»Erzählet uns Euer Abenteuer von der letzten Nacht,« sagten sie zu ihm, »und verschweiget uns nichts.«

Der Juwelier, stutzig über diese Rede, antwortete ihnen: »Meine Herren, dem Anscheine nach seid Ihr davon schon unterrichtet?«

»Es ist wahr,« erwiderten sie, »der junge Mann und die junge Frau, die gestern abend bei Euch waren, haben uns davon gesagt; aber wir wollen es aus Eurem eigenen Munde hören.«

Es bedurfte nicht mehr, um den Juwelier zu überzeugen, daß er mit den Räubern spräche, die sein Haus erbrochen und geplündert hatten. »Meine Herren,« rief er aus, »ich bin sehr in Sorgen wegen dieses jungen Mannes und dieser jungen Frau: könntet ihr mir nicht Nachricht von ihnen geben?«

Scheherasade unterbrach sich bei der Stelle, um den Sultan von Indien zu erinnern, daß der Tag anbräche, und schwieg alsdann. In der folgenden Nacht nahm sie ihre Erzählung also wieder auf:

 

Zweihundertundfünfzehnte Nacht.

»Herr, auf die Frage des Juweliers an die Räuber, ob sie ihm keine Nachricht von dem jungen Manne und der jungen Frau geben könnten, antworteten sie: »Seid ihretwegen unbesorgt, sie sind an einem sicheren Orte und befinden sich wohl.« Indem sie ihm dieses sagten, zeigten sie ihm zwei Gemächer und versicherten, daß beide, voneinander abgesondert, darin wären. »Sie haben uns gesagt,« fügten sie hinzu, »daß allein Ihr Kunde von ihren Angelegenheiten habt. Sobald wir dies vernommen, haben wir in Rücksicht auf Euch sie mit aller möglichen Achtung behandelt. Weit entfernt, die mindeste Gewalt zu gebrauchen, haben wir im Gegenteil ihnen alles Gute erzeigt, und keiner von uns möchte ihnen das geringste Leid zufügen. Wir versichern Euch dasselbe in Ansehung Eurer Person, und Ihr könnt volles Vertrauen zu uns fassen.« Der Juwelier, durch diese Rede beruhigt und erfreut, daß der Prinz von Persien und Schemselnihar geborgen waren, beschloß, die Räuber in ihrem guten Willen noch zu bestärken. Er lobte sie, schmeichelte ihnen und wünschte ihnen tausend Segen. »Ihr Herren,« sagte er zu ihnen, »ich gestehe, daß ich nicht die Ehre habe, euch zu kennen; aber es ist ein großes Glück für mich, euch nicht unbekannt zu sein, und ich kann euch nicht genug danken für die Güte, welche diese Bekanntschaft mir von euch zuwege gebracht hat. Einer so menschenfreundlichen Handlung zu geschweigen, sehe ich wohl, daß nur Menschen eurer Art imstande sind, ein Geheimnis so treulich zu bewahren, daß man dessen Entdeckung nie fürchten darf: und wenn es auf eine gefährliche Unternehmung ankommt, so darf man sie euch nur auftragen; ihr wißt durch euren Eifer, euren Mut und eure Unerschrockenheit sie befriedigend hinauszuführen. Im Vertrauen auf Eigenschaften, welche euch mit so großem Rechte beigelegt werden, trage ich kein Bedenken, euch meine und der beiden von euch bei mir angetroffenen Personen Geschichte mit Aufrichtigkeit zu erzählen, die ihr von mir verlangt.«

Nachdem der vorsichtige Juwelier auf solche Weise die Teilnahme der Räuber für dasjenige gewonnen hatte, was er ihnen in vollem Vertrauen entdecken wollte, so daß es seiner Beurteilung nach nur einen guten Eindruck hervorbringen konnte, erzählte er ihnen umständlich, ohne etwas zu übergehen, die Liebesgeschichte des Prinzen von Persien mit Schemselnihar von Anfang an bis zu der Zusammenkunft, die er ihnen in seinem Hause verschafft hatte.

Die Räuber gerieten in großes Erstaunen über all die Umstände, welche sie hier vernahmen. »Wie,« riefen sie aus, als der Juwelier geendigt hatte, »ist es möglich, daß der junge Mann der erlauchte Prinz von Persien, Ali Ebn Bekar, und die junge Frau die schöne und berühmte Schemselnihar ist?« Der Juwelier schwor ihnen, daß nichts gewisser wäre, als was er ihnen gesagt hätte; und er fügte hinzu, es dürfte sie nicht befremden, daß so vornehme Personen sich gesträubt hätten, sich zu erkennen zu geben.

Auf diese Versicherung gingen die Räuber hin und warfen sich einer nach dem andern dem Prinzen und Schemselnihar zu Füßen und baten sie um Verzeihung, indem sie beteuerten, daß nichts von dem Vorgefallenen geschehen sein würde, wenn sie vor dem Einbruche in das Haus des Juweliers von ihrem Stande unterrichtet gewesen wären. »Wir werden uns bemühen,« fügten sie hinzu, »den Fehler wieder gutzumachen, den wir begangen haben.«

Hierauf kamen sie wieder zu dem Juwelier und sagten zu ihm: »Es tut uns sehr leid, Euch nicht alles erstatten zu können, was Euch aus dem Hause entführt worden ist: ein Teil davon ist nicht mehr in unserer Gewalt. Wir bitten Euch, mit dem Silberzeuge zufrieden zu sein, welches wir Euch sogleich wiedergeben werden.«

Der Juwelier schätzte sich überglücklich durch die Gnade, die ihm erwiesen wurde. Bis die Räuber ihm das Silberzeug überliefert hatten, ließen sie den Prinzen von Persien und Schemselnihar hervortreten und sagten ihnen und dem Juwelier, sie würden sie an einen Ort bringen, von wo jeder von ihnen sich heimbegeben könnte; zuvor aber müßten sie durch einen Eid sich verbinden, sie nicht zu verraten.

Der Prinz von Persien, Schemselnihar und der Juwelier antworteten, sie könnten auf ihr Wort schon vertrauen; weil sie es aber wünschten, so wollten sie ihnen feierlich unverbrüchliches Stillschweigen beschwören. Durch diesen Eid zufriedengestellt, gingen die Räuber sogleich mit ihnen hinaus.

Unterwegs beunruhigte den Juwelier, daß er die Vertraute und die beiden Sklavinnen nicht sah, er nahte sich Schemselnihar und bat sie, ihm zu sagen, was aus ihnen geworden sei. »Ich weiß nichts von ihnen,« antwortete sie. »Ich kann nichts weiter sagen, als daß man uns aus Eurem Hause wegführte, mit uns übers Wasser setzte und uns in das Haus brachte, wo wir jetzt herkommen.«

Damit endigte die Unterredung zwischen Schemselnihar und dem Juwelier; sie ließen sich mit dem Prinzen von den Räubern führen und gelangten an das Ufer des Flusses. Die Räuber nahmen ein Boot, stiegen mit ihnen ein und setzten sie ans jenseitige Ufer über.

Indem der Prinz von Persien, Schemselnihar und der Juwelier ans Land stiegen, hörte man ein lautes Geräusch von der Wache zu Pferde, welche daherritt und in dem Augenblick ankam, als das Boot eben wieder abgestoßen war, und die Räuber ruderten aus aller Macht von hinnen.

Der Befehlshaber der Wache fragte den Prinzen, Schemselnihar und den Juwelier, woher sie so spät kämen, und wer sie wären. Von Schrecken ergriffen und aus Furcht, etwas zu sagen, das ihnen nachteilig sein könnte, schwiegen sie bestürzt. Gleichwohl mußte man antworten, und das tat der Juwelier, der etwas mehr Fassung behielt. »Herr,« antwortete er, »ich kann Euch zuvörderst versichern, daß wir rechtliche Leute aus der Stadt sind. Die Leute dort in dem Boote, die uns soeben ausgesetzt haben und wieder auf die andere Seite überfahren, sind Räuber, die in der letzten Nacht das Haus, worin wir waren, erbrachen, es plünderten und uns nach ihrer Wohnung führten. Nachdem es dort durch alle erdenklichen Mittel der Begütigung uns gelungen, sie für uns einzunehmen, haben sie uns endlich in Freiheit gesetzt und bis hierher geführt. Sie haben uns sogar einen guten Teil ihrer gemachten Beute wiedergegeben, wie Ihr hier seht.« Indem er dies sagte, zeigte er dem Befehlshaber das Silberzeug, das er trug.

Der Befehlshaber begnügte sich nicht mit dieser Antwort des Juweliers; er näherte sich ihm und dem Prinzen von Persien und betrachtete einen nach dem andern. »Saget mir aufrichtig,« fragte er sie, »wer ist diese Frau? woher kennt ihr sie? und in welchem Stadtviertel wohnt ihr?«

Diese Frage machte sie sehr verlegen, und sie wußten nicht, was sie antworten sollten. Schemselnihar machte dieser Verlegenheit ein Ende. Sie zog den Befehlshaber beiseite, und sie hatte nicht sobald mit ihm gesprochen, als er mit großen Zeichen der Ehrerbietung und Höflichkeit vom Pferde stieg. Er befahl sogleich seinen Leuten, zwei Boote herbeizuschaffen.

Als die Boote gekommen waren, ließ der Befehlshaber Schemselnihar in das eine steigen und den Prinzen von Persien und den Juwelier in das andere und gab jedem Boote zwei von seinen Leuten mit dem Befehle, sie bis zu ihrer Bestimmung zu begleiten. Die beiden Boote fuhren in verschiedener Richtung ab. Wir begleiten gegenwärtig das Boot, worin sich der Prinz von Persien und der Juwelier befanden.

Der Prinz von Persien wollte den ihm mitgegebenen Begleitern und dem Juwelier die Mühe ersparen und sagte zu jenen, er wollte den Juwelier mit in sein Haus führen, und nannte ihnen das Stadtviertel, darin er wohnte. Auf diese Anzeige ließen die Begleiter das Boot vor dem Palaste des Kalifen anlegen. Der Prinz von Persien und der Juwelier gerieten in großen Schrecken darüber, wagten aber nicht, ihn laut werden zu lassen. Obwohl sie den Befehl gehört hatten, welchen der Anführer der Wache erteilt hatte, so bildeten sie sich nichtsdestoweniger ein, daß man sie nach dem Wachthause brächte, um sie am folgenden Morgen dem Kalifen vorzustellen.

Das war indessen nicht die Absicht ihrer Begleiter. Als sie sie ans Land gesetzt hatten, kehrten sie zu ihrer Schar zurück, nachdem sie sie einem Offizier von der Leibwache des Kalifen befohlen hatten; und dieser gab ihnen zwei von seinen Soldaten mit, um sie nach der Wohnung des Prinzen von Persien zu begleiten, die ziemlich weit vom Flusse entfernt war. So gelangten sie endlich dorthin, aber so matt und müde, daß sie kaum sich regen konnten.

Bei dieser großen Müdigkeit war der Prinz von Persien überdies noch so niedergeschlagen durch den unglücklichen Vorfall, der ihn und Schemselnihar betroffen hatte und ihn fortan aller Hoffnung zu einer neuen Zusammenkunft beraubte, daß er in Ohnmacht sank, indem er sich auf ein Sofa niederließ. Während der größte Teil seiner Leute um ihn beschäftigt war, ihn wieder zu sich zu bringen, drängten sich die andern um den Juwelier und baten ihn zu sagen, was dem Prinzen begegnet wäre, dessen Abwesenheit sie in unaussprechliche Unruhe versetzt hatte.«

Bei diesen letzten Worten unterbrach sich Scheherasade, weil das Licht des Tages sich schon blicken ließ. In der folgenden Nacht nahm sie ihre Erzählung wieder auf und sprach zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundsechzehnte Nacht.

»Herr, ich erzählte gestern Euer Majestät, daß, während man beschäftigt war, den Prinzen aus seiner Ohnmacht wieder zu sich zu bringen, andere von seinen Leuten den Juwelier fragten, was ihrem Herrn begegnet wäre. Der Juwelier, der sich wohl hütete, ihnen irgend etwas zu entdecken, was ihnen nicht gebührte zu wissen, antwortete ihnen, es wäre eine außerordentliche Sache, aber jetzt nicht die Zeit, davon zu erzählen; sie sollten lieber darauf bedacht sein, dem Prinzen Hilfe zu leisten. Zum Glück erholte sich der Prinz von Persien in diesem Augenblicke wieder, und diejenigen, die so dringend diese Frage getan hatten, traten nun ehrerbietig zurück und waren sehr erfreut, daß die Ohnmacht des Prinzen nicht länger gedauert hatte.

Obgleich der Prinz von Persien das Bewußtsein wiedererlangt hatte, blieb er dennoch so schwach, daß er den Mund nicht zum Sprechen öffnen konnte. Er antwortete nur durch Zeichen, selbst seinen Verwandten, die ihm zusprachen.

Er war in diesem Zustande noch am folgenden Morgen, als der Juwelier Abschied von ihm nahm. Der Prinz antwortete ihm nur durch Zuwinken, indem er ihm die Hand reichte; und als er ihn mit dem Silberzeuge beladen sah, das die Räuber ihm wiedergegeben hatten, gab er einem seiner Leute ein Zeichen, es zu nehmen und ihm nach Hause zu tragen.

Die Familie des Juweliers hatte ihn indessen mit großer Ungeduld erwartet, seitdem er mit dem unbekannten Mann, der ihn zu sprechen gekommen, weggegangen war, und man hatte nicht gezweifelt, daß etwas anderes noch Ärgeres als zuvor ihm begegnet wäre, nachdem die Zeit verflossen war, da er wieder zurückkommen mußte. Seine Frau und Kinder und sein Hausgesinde waren in großer Unruhe, und sie weinten noch, als er anlangte. Sie hatten große Freude, ihn wiederzusehen, waren aber bekümmert, als sie ihn in der kurzen Zeit, daß sie ihn nicht gesehen hatten, so auffallend verändert fanden. Die große Ermüdung vom vorigen Tage und die in großer Beängstigung und schlaflos zugebrachte Nacht waren die Ursache dieser Veränderung, welche ihn fast unkenntlich gemacht hatte. Da er selber sich sehr entkräftet fühlte, so hütete er zwei Tage das Haus, um sich herzustellen, und nahm nur den Besuch von einigen seiner vertrautesten Freunde an.

Am dritten Tage fühlte der Juwelier seine Kräfte wieder ein wenig hergestellt und glaubte, sie würden zunehmen, wenn er wieder ausginge, frische Luft zu schöpfen. Er ging also zu einem seiner Freunde, einem reichen Kaufmanne, in den Laden und unterhielt sich ziemlich lange mit ihm. Als er aufstand, von seinem Freunde Abschied zu nehmen und sich zu entfernen, erblickte er eine Frau, die ihm einen Wink gab, und erkannte sie für die Vertraute Schemselnihars. Zwischen Furcht und Freude darüber entfernte er sich umso schleuniger, ohne sie anzusehen. Sie folgte ihm, wie er wohl wußte, daß sie tun würde, weil der Ort, wo er sich befand, nicht gelegen war, sich mit ihr zu besprechen. Da er so rasch ging, rief die Vertraute, die nicht gleichen Schritt mit ihm halten konnte, ihm von Zeit zu Zeit zu, er solle doch auf sie warten. Er hörte es wohl; aber nach dem, was ihm begegnet war, durfte er nicht öffentlich mit ihr sprechen aus Furcht, den Verdacht zu erregen, daß er mit Schemselnihar Verkehr hätte. In der Tat wußte man in ganz Bagdad, daß sie dieser Favoritin angehörte und alle Einkäufe derselben besorgte. Er blieb also in seinem Schritte, bis er eine wenig besuchte Moschee erreichte, in welcher er wohl wußte, daß niemand wäre. Sie folgte ihm hinein, und beide hatten hier volle Freiheit, ohne Zeugen miteinander zu reden.

Der Juwelier und die Vertraute Schemselnihars bezeigten sich gegenseitig ihre Freude, sich nach dem seltsamen, durch die Räuber verursachten Abenteuer wiederzusehen.

Der Juwelier verlangte, die Vertraute sollte ihm erst erzählen, wie sie mit den beiden Sklavinnen entkommen wäre, und wie Schemselnihar sich befände, seitdem er sie nicht gesehen hatte. Aber die Vertraute bezeigte ihm ein so dringendes Verlangen, zuvor zu erfahren, was ihm seit ihrer unversehenen Trennung begegnet wäre, daß er genötigt war, ihre Neugier zu befriedigen, »Da habt Ihr,« sagte er am Schlusse seiner Erzählung, »was Ihr von mir zu wissen verlangtet: saget mir nun, ich bitte Euch, auch Eurerseits das, worum ich Euch schon ersucht habe.«

»Sobald ich die Räuber erscheinen sah,« erzählte nun die Vertraute, »bildete ich mir ein, ohne sie recht genau zu betrachten, daß es Soldaten von der Leibwache des Kalifen wären, daß der Kalif von diesem Schritte Schemselnihars unterrichtet worden und jene abgeschickt hätte, ihr und dem Prinzen von Persien und uns allen das Leben zu nehmen. In diesem Wahne stieg ich sogleich auf das flache Dach Eures Hauses, während die Räuber zu dem Prinzen von Persien und Schemselnihar in das Zimmer drangen. Die beiden Sklavinnen Schemselnihars säumten nicht, mir zu folgen, von Dache zu Dache gelangten wir endlich zu dem Hause braver Leute, die uns sehr freundlich aufnahmen, und bei denen wir die Nacht zubrachten.

Am folgenden Morgen früh, nachdem wir dem Herrn des Hauses für die uns bewiesene Gefälligkeit gedankt hatten, kehrten wir nach Schemselnihars Palast zurück. In großer Verwirrung traten wir hinein und waren umso bekümmerter, als wir nicht wußten, welches Schicksal die beiden unglücklichen Liebenden getroffen hatte. Die übrigen Frauen Schemselnihars waren verwundert, uns ohne sie zurückkommen zu sehen. Wir sagten ihnen, wie wir uns zuvor verabredet hatten, sie wäre bei einer ihrer Freundinnen geblieben und würde uns rufen lassen, sie abzuholen, wenn sie zurückkehren wollte, und sie begnügten sich mit dieser Ausrede.

Ich brachte indessen den Tag in großer Unruhe hin. Als die Nacht kam, öffnete ich eine kleine Hintertüre, trat hinaus und sah ein kleines Boot auf dem Kanale, der in den Fluß ausläuft. Ich rief den Schiffsmann und bat ihn, auf beiden Seiten den Fluß entlang hinzufahren, um zu sehen, ob er nicht eine vornehme Frau erblickte, und wenn er sie anträfe, sie hierher zu führen.

Ich erwartete seine Rückkehr mit den beiden Sklavinnen, die in derselben Unruhe waren wie ich; und es war schon nahe an Mitternacht, als dasselbe Boot anlangte mit zwei Männern und einer im Hinterraume ruhenden Frau. Sobald er das Boot angelegt hatte, halfen die beiden Männer der Frau aufstehen und aussteigen, und ich erkannte sie für Schemselnihar mit unaussprechlicher Freude, sie wiederzusehen und wiedergefunden zu haben ...«

Scheherasade endigte hier ihre Erzählung für diese Nacht. Sie nahm dieselbe in der folgenden Nacht wieder auf und sprach zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundsiebzehnte Nacht.

»Herr, wir verließen gestern die Vertraute Schemselnihars in der Moschee, wo sie dem Juwelier erzählte, was ihr, seitdem sie sich nicht gesehen hatten, begegnet war, und die Umstände von der Rückkehr Schemselnihars in ihren Palast. Sie fuhr also fort:

»Ich reichte Schemselnihar die Hand, um ihr ans Land zu helfen. Sie hatte dieser Hilfe sehr nötig, denn sie konnte sich kaum aufrecht erhalten. Als sie ausgestiegen war, sagte sie mir ins Ohr mit einem Tone, der ihre Betrübnis ausdrückte, ich sollte hingehen, einen Beutel von tausend Goldstücken holen und ihn den beiden Soldaten geben, die sie begleitet hatten.

Ich überließ sie den Händen der beiden Sklavinnen zur Unterstützung; und nachdem ich den beiden Soldaten gesagt hatte, sie möchten einen Augenblick warten, lief ich hin, die Börse zu holen, und kam schleunig zurück. Ich gab sie den beiden Soldaten, bezahlte den Schiffsmann und verschloß die Türe.

Dann eilte ich wieder zu Schemselnihar, die noch nicht in ihr Zimmer gelangt war. Wir verloren keine Zeit, sondern brachten sie hinein, entkleideten sie und legten sie in ihr Bette, wo sie sogleich und die ganze übrige Nacht in einem Zustande lag, als wenn sie im Begriff wäre, den Geist aufzugeben.

Am folgenden Tage bezeigten ihre übrigen Frauen großes Verlangen, sie zu sehen; aber ich sagte ihnen, sie wäre äußerst ermüdet zurückgekommen und bedürfte der Ruhe, um sich herzustellen. Wir, die beiden andern Frauen und ich, leisteten ihr unterdessen alle mögliche Hilfe, die wir nur erdenken und sie von unserm Eifer erwarten konnte. Sie weigerte sich anfangs, irgend etwas zu sich zu nehmen, und wir mußten an ihrem Leben verzweifeln, wenn wir nicht bemerkt hätten, daß der Wein, welchen wir ihr von Zeit zu Zeit einflößten, ihr wieder Kräfte gab. Endlich durch anhaltendes Bitten gelang es uns, ihre Hartnäckigkeit zu überwinden, und wir nötigten sie zu essen. Als ich sah, daß sie wieder imstande war zu reden (denn sie hatte bis dahin nichts getan als weinen, stöhnen und seufzen), bat ich sie um die Gnade, mir doch zu sagen, durch welches Glück sie den Räubern entkommen wäre. »Warum verlangst du von mir,« antwortete sie mit einem tiefen Seufzer, »daß ich einen solchen Gegenstand der Betrübnis erneue? Wollte Gott, die Räuber hätten mir das Leben genommen, anstatt es mir zu erhalten! Meine Leiden hätten ein Ende; jetzt lebe ich nur, um noch mehr zu leiden.«

»Herrin,« erwiderte ich, »ich flehe Euch an, es mir nicht zu versagen. Ihr wißt wohl, daß die Unglücklichen eine Art Trost darin finden, ihre Begegnisse, auch die widerwärtigsten, zu erzählen. Es wird also Euren Schmerz lindern, wenn Ihr die Güte habt, mir meine Bitte zu gewähren.«

»So höre denn,« sagte sie darauf, »die trostlose Begebenheit, welche einer so leidenschaftlich Liebenden als mir, die sich schon am Ziel ihrer Wünsche wähnte, begegnen konnte. Als ich die Räuber mit Säbel und Dolch in der Hand hereintreten sah, glaubte ich, daß der letzte Augenblick unsers Lebens, für den Prinzen von Persien und für mich, gekommen wäre, und ich beklagte meinen Tod nicht in dem Gedanken, mit ihm zu sterben. Aber anstatt auf uns loszustürzen und uns das Herz zu durchbohren, wie ich erwartete, wurden zwei Räuber befehligt, uns zu bewachen, und die übrigen packten unterdessen alles zusammen, was in dem Zimmer und in den Seitengemächern sich befand. Als sie damit fertig waren und die Ballen auf ihre Schultern geladen hatten, gingen sie weg und führten uns mit sich.

Unterwegs fragte mich einer von unsern Begleitern, wer ich wäre, und ich antwortete ihm: »Eine Tänzerin.« Er tat dem Prinzen dieselbe Frage, und dieser gab sich für einen Bürger aus.

Als wir in ihrer Wohnung angelangt waren, wo uns neue Schrecken erwarteten, versammelten sich alle um mich, und nachdem sie meine Kleidung und meinen reichen Juwelenschmuck betrachtet, hatten sie Verdacht, daß ich meinen Stand verleugnet hätte. »Eine Tänzerin sieht nicht aus wie Ihr,« sagten sie zu mir. »Saget uns aufrichtig, wer Ihr seid.«

Als sie sahen, daß ich nicht antwortete, fragten sie den Prinzen von Persien: »Und auch Ihr, wer seid Ihr eigentlich? Wir sehen wohl, daß Ihr kein bloßer Bürger seid, wie Ihr gesagt habt.«

Er befriedigte ebensowenig als ich ihre Neugier, sondern sagte ihnen bloß, er wäre bei dem Juwelier, den er nannte, zum Besuch gewesen, um sich mit ihm zu ergötzen, und demselben gehörte das Haus, wo sie uns gefunden hätten.

»Ich kenne diesen Juwelier,« sagte sogleich einer der Räuber, der unter ihnen das meiste Ansehen zu haben schien. »Ich habe ihm einige Verpflichtung, obwohl er nichts davon weiß, und ich weiß, daß er noch ein anderes Haus hat; ich nehme es auf mich, ihn morgen herzubringen. Wir werden Euch nicht eher loslassen,« fuhr er fort, »als bis wir wissen, wer Ihr seid. Es wird Euch indessen kein Leides geschehen.«

Der Juwelier wurde am folgenden Tage gebracht; und dieser brave Mann, in der Absicht, uns einen Dienst zu leisten, wie er auch wirklich tat, entdeckte den Räubern, wer wir wirklich wären. Die Räuber kamen nun, mich um Verzeihung bitten, und ich glaube, sie taten dasselbe bei dem Prinzen von Persien, der in einem andern Zimmer war; sie beteuerten mir, sie würden in das Haus, worin sie uns gefunden, nicht eingebrochen sein, wenn sie gewußt hätten, daß es dem Juwelier gehörte.

Sie nahmen uns sogleich, den Prinzen von Persien, den Juwelier und mich, und führten uns an das Ufer des Flusses, ließen uns in ein Boot steigen und setzten uns auf diese Seite über; aber kaum waren wir ans Land getreten, als eine Schar von der Wache zu Pferde auf uns zukam.

Ich nahm den Anführer derselben beiseite, nannte mich und sagte ihm, die Räuber, die wieder auf jene Seite hinüberruderten, hätten mich am vorigen Abend auf dem Rückwege von einer Freundin angehalten und nach ihrer Wohnung geführt; aber als ich mich ihnen zu erkennen gegeben, hätten sie mich wieder losgelassen und in Rücksicht auf mich den beiden Personen, die er hier sähe, dieselbe Gnade erwiesen, nachdem ich versichert, daß sie zu meiner Bekanntschaft gehörten. Er stieg sogleich vom Pferde, mir seine Ehrerbietung zu bezeigen; und nachdem er mir seine Freude bezeigt hatte, mir einen Dienst leisten zu können, befahl er, zwei Boote herbeizuschaffen, und ließ mich das eine besteigen mit zweien seiner Leute, die, wie du gesehen hast, mich hierher begleitet haben. Ebenso ließ er den Prinzen von Persien und den Juwelier in dem andern Boote durch zwei seiner Leute sicher nach Hause geleiten.

Ich hoffe,« fügte sie zum Schlusse hinzu, indem sie in Tränen zerfloß, »daß ihnen seit unserer Trennung kein Unfall wird begegnet sein, und ich zweifle nicht, daß der Schmerz des Prinzen dem meinen gleich sei. Der Juwelier, der uns mit so viel Bereitwilligkeit gedient hat, verdient, für den Verlust belohnt zu werden, welchen er um unsertwillen erlitten hat. Vergiß nicht, morgen früh zwei Börsen, jede von tausend Goldstücken, zu nehmen, sie ihm in meinem Namen zu überbringen und dich bei ihm nach dem Prinzen von Persien zu erkundigen.«

Als meine gute Gebieterin so ihre Erzählung geendigt hatte, bemühte ich mich, in Betreff des letzten mir erteilten Befehls, der Erkundigung nach dem Prinzen von Persien, sie zu bereden, sie möchte doch alle ihre Kräfte aufbieten, um sich selber zu besiegen, nachdem sie in einer solchen Gefahr geschwebt hätte, der sie nur eben durch ein Wunder entronnen wäre. »Mache mir keine Einwendungen,« sagte sie hierauf, »sondern tu, was ich dich heiße.«

Ich mußte also schweigen, und ich komme, um ihr zu gehorchen; ich war in Eurem Hause, wo ich Euch nicht fand, und aus Furcht, Euch dort nicht anzutreffen, wo man mir sagte, daß Ihr wohl sein könntet, war ich schon im Begriff, zu dem Prinzen von Persien zu gehen; jedoch wagte ich es nicht. Ich habe die beiden Börsen im Vorbeigehen bei einem Bekannten gelassen: erwartet mich hier, ich will sie Euch ungesäumt holen ...«

Scheherasade bemerkte nach diesen letzten Worten, daß der Tag anbrach, und schwieg. Sie setzte ihre Erzählung in der folgenden Nacht fort und sagte zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundachtzehnte Nacht.

»Herr, die Vertraute kam bald wieder zu dem Juwelier in die Moschee, wo sie ihn verlassen hatte; sie gab ihm die beiden Börsen und sagte: »Nehmet und befriedigt Eure Freunde.«

»Hierin ist viel mehr,« erwiderte der Juwelier, »als dazu nötig; aber ich wage nicht, die Gnade auszuschlagen, welche eine so großmütige Frau ihrem Diener zu erzeigen geruhet. Ich bitte Euch, sie zu versichern, daß ich immerdar das Andenken ihrer Güte bewahren werde.«

Er verabredete mit der Vertrauten, daß sie ihn in dem Hause aufsuchen sollte, wo sie ihn zum ersten Male gesehen hatte, wenn sie ihm von seiten Schemselnihars etwas mitzuteilen hätte und Nachrichten von dem Prinzen von Persien einziehen wollte. Hierauf trennten sie sich.

Der Juwelier ging nach Hause, sehr vergnügt nicht allein darüber, daß er nun die Mittel in Händen hatte, seine Freunde völlig zu befriedigen, sondern auch, weil er sah, daß niemand in Bagdad wußte, daß der Prinz von Persien und Schemselnihar sich in seinem Hause befunden hatten, als dasselbe geplündert wurde. Freilich hatte er den Räubern das Geheimnis entdeckt, aber er vertraute auf ihre Verschwiegenheit. Sie hatten überdies auch nicht so viel Verkehr mit der Welt, daß von ihrer Seite Gefahr zu befürchten gewesen wäre, wenn sie es auch verbreitet hätten.

Gleich am folgenden Morgen ging er zu den Freunden, die ihm gefällig gewesen waren, und es kostete ihn keine Mühe, sie zu befriedigen. Er behielt sogar noch Geld genug übrig, um sein anderes Haus sehr anständig mit Gerät zu versehen, welches er nur von einigen seiner Leute bewohnen ließ. Auf solche Weise vergaß er bald der Gefahr, der er entronnen war, und ging gegen Abend zu dem Prinzen von Persien.

Die Bedienten des Prinzen, die den Juwelier empfingen, sagten ihm, er käme zur rechten Zeit, der Prinz wäre, seitdem er ihn nicht gesehen, in einem Zustande, der für sein Leben fürchten ließe, und man könnte kein einziges Wort aus ihm herausbringen.

Sie führten ihn, ohne Geräusch zu machen, in sein Zimmer; und er fand ihn in seinem Bette liegen mit geschlossenen Augen und in einem Zustande, der sein Mitleid erregte. Er grüßte ihn, indem er seine Hand berührte, und ermahnte ihn, Mut zu fassen.

Der Prinz von Persien erkannte die Stimme des Juweliers. Er öffnete die Augen, in denen sich seine ganze Betrübnis malte, die noch viel stärker war als jene, die er bei der ersten Zusammenkunft mit Schemselnihar empfunden hatte. Er faßte seine Hand und drückte sie, um ihm seine Freundschaft zu bezeigen, und dankte ihm mit schwacher Stimme, daß er sich die Mühe gäbe, einen so unglücklichen und so betrübten Prinzen als ihn zu besuchen.

»Prinz,« erwiderte der Juwelier, »ich bitte Euch, schweigen wir von dem Danke, welchen Ihr mir schuldig sein könntet: ich wünsche nur, daß die guten Dienste, welche Euch zu leisten ich mich bemühte, einen bessern Erfolg gehabt hätten. Reden wir vielmehr von Eurer Gesundheit: nach dem Zustande, worin ich Euch sehe, fürchte ich sehr, daß Ihr Euch selber sinken lasset, und daß Ihr nicht die nötige Nahrung zu Euch nehmet.«

Die Leute, welche um den Prinzen, ihren Herrn, waren, ergriffen diese Gelegenheit, dem Juwelier zu sagen, daß sie alle ersinnliche Mühe anwendeten, den Prinzen zu bewegen, etwas zu genießen, daß er aber alle Hilfe verschmähe und schon lange Zeit nichts genossen hätte. Dieses bewog den Juwelier, den Prinzen zu bitten, daß er sich von seinen Leuten Speise bringen ließe und davon genösse, und er erreichte es durch anhaltendes Bitten.

Nachdem der Prinz von Persien auf Zureden des Juweliers reichlicher gegessen als bisher, befahl er seinen Leuten, ihn mit demselben allein zu lassen, und als sie hinausgegangen waren, sagte er zu ihm: »Neben dem Unglücke, das mich niederbeugt, bin ich noch äußerst betrübt über den Verlust, welchen Ihr um meinetwillen erlitten habt, und es ist billig, daß ich daran denke, ihn Euch zu vergütigen; aber zuvor bitte ich Euch, mir zu sagen, ob Ihr nichts von Schemselnihar vernommen habt, seitdem ich mich von ihr trennen mußte?«

Der Juwelier erzählte ihm alles, was er aus dem Berichte der Vertrauten wußte, von der Rückkehr Schemselnihars in ihren Palast und von dem Zustande, worin sie seitdem gewesen, bis sie sich wieder besser befunden und die Vertraute abgeschickt hatte, sich nach ihm zu erkundigen.

Der Prinz von Persien antwortete auf die Erzählung des Juweliers nur durch Seufzer und Tränen; dann stand er mit Anstrengung auf, ließ seine Leute rufen und ging selber nach seiner Vorratskammer, die er sich öffnen ließ; hier ließ er mehrere Ballen von reichem Zimmergeräte und Silberzeuge zusammenpacken und gab Befehl, sie nach dem Hause des Juweliers zu tragen.

Der Juwelier wollte sich weigern, das Geschenk anzunehmen, welches der Prinz ihm machte; aber obgleich er diesem vorstellte, daß Schemselnihar ihm schon mehr geschickt hätte, als er nötig gehabt, um den Verlust seiner Freunde zu ersetzen, dennoch wollte der Prinz sich nicht abweisen lassen. Dem Juwelier blieb also nichts übrig, als ihm auszudrücken, wie sehr er durch seine Freigebigkeit beschämt wäre, und daß er ihm nicht genug dafür danken könnte. Er wollte nun Abschied nehmen; aber der Prinz bat ihn, noch zu bleiben, und sie unterhielten sich einen guten Teil der Nacht miteinander.

Am folgenden Morgen besuchte der Juwelier vor dem Weggehen noch den Prinzen, und dieser ließ ihn neben seinem Bette niedersitzen und sagte zu ihm: »Ihr wißt, daß es bei allen Dingen ein Ziel gibt; das Ziel eines Liebenden ist, den Gegenstand seiner Liebe ungestört zu besitzen; wenn er einmal diese Hoffnung verliert, so darf er auch gewiß nicht mehr ans Leben denken. Ihr begreift wohl, daß dieses die traurige Lage ist, in welcher ich mich befinde. In der Tat, während ich mich zweimal auf dem Gipfel meiner Wünsche wähnte, gerade da wurde ich von dem, was ich liebe, auf die grausamste Weise hinweggerissen. Demnach bleibt mir nichts mehr übrig, als an den Tod zu denken: ich würde ihn mir schon selber gegeben haben, wenn meine Religion mir nicht den Selbstmord verböte; aber ich habe nicht nötig, ihm vorzugreifen: ich fühle wohl, daß ich nicht lange mehr darauf warten darf.«

Nach diesen Worten schwieg er unter Seufzen, Schluchzen und Tränen, die er in Überfluß vergoß.

Der Juwelier, der kein anderes Mittel wußte, ihn von diesem verzweiflungsvollen Gedanken abzulenken, als daß er ihn an Schemselnihar erinnerte, um ihm wenigstens einen Schatten von Hoffnung zu geben, sagte zu ihm, er fürchtete, die Vertraute wäre schon bei ihm gewesen, es würde also gut sein, daß er ohne Zeitverlust nach Hause ginge. »Ich lasse Euch gehen,« sagte der Prinz darauf; »aber wenn Ihr sie sehet, so bitte ich Euch, schärfet ihr wohl ein, Schemselnihar zu versichern, daß, wenn ich auch bald sterbe, wie ich erwarte, ich sie jedoch bis zum letzten Seufzer, ja bis ins Grab lieben werde.«

Der Juwelier ging nach Hause und blieb dort in der Hoffnung, daß die Vertraute kommen würde. Sie kam auch einige Stunden darnach, aber ganz in Tränen und in großer Verwirrung. Der Juwelier, dadurch beunruhigt, fragte sie hastig, was ihr fehlte.

»Schemselnihar, der Prinz von Persien, Ihr und ich,« antwortete die Vertraute, »wir alle sind verloren. Höret die traurige Neuigkeit, welche ich gestern, nachdem ich Euch verlassen hatte, beim Eintritt in den Palast vernahm. Schemselnihar hatte eines Vergehens wegen eine der beiden Sklavinnen, die Ihr am Tage der Zusammenkunft in Eurem andern Hause bei ihr sahet, bestrafen lassen. Die über diese üble Behandlung erboste Sklavin fand die Türe des Palastes offen und schlüpfte hinaus: und wir zweifeln nicht, daß sie einem der Verschnittenen von unserer Wache, der ihr eine Zuflucht gegeben, alles verraten hat. Das ist noch nicht alles: die andere Sklavin, ihre Gefährtin, ist auch entflohen und hat sich in den Palast des Kalifen geflüchtet, und wir haben Ursache zu glauben, daß sie ihm alles entdeckt hat. Höret, weshalb: heute eben ließ der Kalif durch zwanzig Verschnittene Schemselnihar holen und nach seinem Palaste führen. Ich habe Mittel gefunden, mich wegzustehlen und zu kommen, um Euch von all diesem zu benachrichtigen. Ich weiß nicht, was vorgegangen sein mag, aber ich weissage hieraus nichts Gutes. Wie dem nun sei, ich beschwöre Euch, das Geheimnis gut zu bewahren.«

Der Tag, dessen Licht sich schon blicken ließ, nötigte die Sultanin Scheherasade, bei diesen letzten Worten selber zu schweigen. Sie fuhr in der folgenden Nacht fort und sprach zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundneunzehnte Nacht.

»Herr, die Vertraute fügte dem, was sie dem Juwelier sagte, noch hinzu, es wäre gut, daß er ohne Zeitverlust zu dem Prinzen von Persien ginge und ihn von dem Vorgange benachrichtige, damit er sich auf jeden Fall gefaßt machte, und empfahl ihm, der gemeinsamen Sache getreu zu bleiben. Mehr sagte sie ihm nicht, sondern entfernte sich plötzlich, ohne seine Antwort abzuwarten.

Was hätte auch der Juwelier in dem Zustande, worin er sich befand, antworten können? Er stand unbeweglich und wie vom Schlage gerührt. Er erkannte nichtsdestoweniger, wie dringend die Sache war: er raffte sich also zusammen und ging schleunig zu dem Prinzen von Persien.

Er nahte sich ihm mit einer Miene, welche schon die üble Botschaft ankündigte, die er ihm zu bringen kam, und sprach zu ihm: »Prinz, waffnet Euch mit Geduld, mit Standhaftigkeit und Mut und bereitet Euch auf den furchtbarsten Sturm, den Ihr in Eurem ganzen Leben zu bestehen habt.«

»Saget mir mit zwei Worten, was es gibt,« sagte hierauf der Prinz, »und laßt mich nicht in der quälenden Ungewißheit: ich bin bereit zu sterben, wenn es sein muß.«

Der Juwelier erzählte ihm nun, was er soeben von der Vertrauten vernommen hatte. »Ihr sehet wohl,« fügte er hinzu, »daß Euer Untergang gewiß ist. Stehet auf und rettet Euch schleunigst: die Zeit ist kostbar. Ihr dürft Euch dem Zorne des Kalifen nicht aussetzen, noch weniger der Gefahr, auf der Folter etwas bekennen zu müssen.«

Wenig fehlte, so hätte der Prinz in diesem Augenblicke vor Schmerz und Schreck den Geist aufgegeben. Er erholte sich wieder und bat den Juwelier, ihm zu raten, welchen Entschluß er unter diesen Umständen fassen sollte, wo er keinen Augenblick unbenutzt lassen durfte. »Es bleibt nichts anderes übrig,« antwortete der Juwelier, »als eiligst zu Pferde steigen und den Weg nach Anbar einzuschlagen, um noch morgen vor Tage dorthin zu gelangen. Nehmet von Euren Leuten, so viel Euch dazu gut dünken, und gute Pferde und vergönnet mir, mit Euch zu entfliehen.«

Da der Prinz von Persien sah, daß ihm nichts anderes übrigblieb, so gab er Befehl nur zu den nötigsten Zurüstungen, versah sich mit Geld und Juwelen; und nachdem er von seiner Mutter Abschied genommen hatte, reiste er ab und ritt mit dem Juwelier und seinen dazu erwählten Leuten eiligst aus Bagdad.

Sie reisten den übrigen Tag und die ganze Nacht, ohne sich irgendwo aufzuhalten, bis zwei oder drei Stunden vor Anbruch des folgenden Tages, wo sie, ermüdet von einem so langen Ritte, und weil ihre Pferde nicht mehr fortkonnten, abstiegen, um sich auszuruhen.

Sie hatten kaum Zeit gehabt zu verschnaufen, als sie sich plötzlich von einer großen Räuberbande angefallen sahen. Sie verteidigten sich eine Zeitlang sehr tapfer; aber die Leute des Prinzen wurden getötet. Das nötigte den Prinzen und den Juwelier, die Waffen zu strecken und sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Die Räuber schenkten ihnen das Leben; aber nachdem sie sich der Pferde und des Gepäcks bemächtigt hatten, plünderten sie sie aus, zogen dann mit ihrer Beute ab und ließen beide dort zurück.

Als die Räuber sich entfernt hatten, sagte der Prinz von Persien trostlos zu dem Juwelier: »Wohlan, was sagt Ihr zu unserm Abenteuer und dem Zustande, worin wir uns hier befinden? Wäre es nicht besser gewesen, wenn ich in Bagdad geblieben und dort den Tod erwartet hätte, auf welche Weise ich ihn auch empfangen mußte?«

»Prinz,« versetzte der Juwelier, »dies ist ein Ratschluß Gottes: es gefällt ihm, uns durch Leiden über Leiden zu prüfen. Wir müssen nicht darüber murren, sondern diese Widerwärtigkeiten aus seiner Hand in völliger Unterwerfung hinnehmen. Laßt uns aber nicht länger hier verweilen, sondern irgend einen Zufluchtsort suchen, wo mitleidige Menschen uns in unserm Unglücke helfen.«

»Laßt mich hier sterben,« erwiderte der Prinz; »es ist gleichviel, ob ich hier oder anderswo sterbe. Vielleicht ist selbst in diesem Augenblicke, da wir miteinander sprechen, Schemselnihar nicht mehr, und ich darf sie nicht überleben.«

Der Juwelier überredete ihn endlich durch anhaltendes Bitten. Sie gingen eine Strecke fort und fanden eine offenstehende Moschee, traten hinein und brachten den übrigen Teil der Nacht darin zu.

Mit Anbruch des Tages kam ein einzelner Mann in diese Moschee. Er verrichtete hier sein Gebet; und als er es geendigt hatte, erblickte er, indem er sich wieder umdrehte, den Prinzen von Persien und den Juwelier, die in einem Winkel saßen. Er näherte sich ihnen, grüßte sie sehr höflich und sagte zu ihnen: »Wie es scheint, seid ihr Fremdlinge.«

Der Juwelier nahm das Wort und erwiderte: »Ihr irret Euch nicht; wir sind diese Nacht auf dem Wege von Bagdad beraubt worden, wie Ihr wohl an unserm Zustande sehen könnt, und wir haben Hilfe nötig; aber wir wissen nicht, an wen wir uns wenden sollen.«

»Wenn ihr euch bemühen wollt, in mein Haus zu kommen,« versetzte der Mann, »so will ich euch gern helfen, so viel ich vermag.«

Auf dieses freundliche Erbieten wandte sich der Juwelier zu dem Prinzen von Persien und sagte ihm ins Ohr: »Prinz, dieser Mann kennt uns nicht, wie Ihr sehet, und wir müssen befürchten, daß irgend ein anderer kommt, der uns kennt. Wir dürfen also, wie mich dünkt, den Dienst nicht verschmähen, welchen er uns so willig erbietet.«

»Tut nach Eurem Gefallen,« erwiderte der Prinz, »ich willige in alles, was Ihr wollt.«

Als der Mann sah, daß der Juwelier und der Prinz sich miteinander berieten, merkte er wohl, daß sie Bedenken fänden, sein Erbieten anzunehmen; er fragte sie also, was sie beschlossen hätten. »Wir sind bereit, Euch zu folgen,« antwortete der Juwelier; »was uns aber verlegen macht, ist, daß wir nackt sind, und wir schämen uns, in diesem Zustande zu erscheinen.«

Glücklicherweise hatte der Mann so viel Kleidung bei sich, daß er jedem etwas geben und damit ihre Blöße bedecken konnte, um sie in sein Haus zu führen. Sobald sie hier angekommen waren, ließ ihr Wirt jedem ein anständiges Kleid bringen; und da er nicht zweifelte, daß sie Hunger hätten und gern allein sein möchten, so ließ er ihnen durch seine Sklavinnen mehrere Speisen auftragen. Aber sie aßen fast gar nichts; der Prinz von Persien besonders war in einer Betrübnis und Niedergeschlagenheit, welche den Juwelier alles für sein Leben fürchten ließ.

Ihr Wirt besuchte sie mehrmals während des Tages, und gegen Abend verließ er sie bei guter Zeit, da er wohl wußte, daß sie der Ruhe bedürften. Aber bald darauf war der Juwelier genötigt, ihn zu Hilfe zu rufen bei dem Tode des Prinzen von Persien. Er bemerkte, daß der Prinz stark und gewaltsam Atem holte, und schloß daraus, daß er nur noch wenige Augenblicke zu leben hätte. Er nahte sich, und der Prinz sagte zu ihm: »Es ist, wie Ihr sehet, um mich geschehen, und ich bin froh, daß Ihr Zeuge von dem letzten Seufzer meines Lebens seid. Ich gebe es willig hin, und ich brauche Euch nicht zu sagen, warum, Ihr wißt es. Das einzige, was ich bedaure, ist, daß ich nicht in den Armen meiner Mutter sterbe, die mich immer so zärtlich geliebt hat, und für die ich immer die gebührende Ehrfurcht gehabt habe. Sie wird auch sehr beklagen, daß sie nicht den traurigen Trost gehabt hat, mir die Augen zu schließen und mich mit ihren eigenen Händen einzukleiden. Bezeuget ihr ja den Schmerz, den ich deswegen habe, und bittet sie in meinem Namen, meinen Leichnam nach Bagdad bringen zu lassen, damit sie mit ihren Tränen mein Grab betaue und durch ihr Gebet dort mir hilfreich sei.« Er vergaß auch nicht den Wirt des Hauses; er dankte ihm für seine edelmütige Aufnahme und bat ihn um die Gefälligkeit, seinen Leichnam so lange in Verwahrung zu behalten, bis man ihn abzuholen käme.

In diesem Augenblicke versank der Prinz in eine tiefe Ohnmacht, während welcher sich die Stimme eines Mädchens hören ließ, die folgendes Lied sang:

»Beschleunigt hat sich der Tag der Trennung, um uns zu scheiden nach einer kurzen Dauer unserer Liebe, Freundschaft und gegenseitigen Zuneigung.

Was ist bitterer als Trennung nach innig bestandener Vereinigung! Möchte doch nie mehr einem Liebenden Trennung bevorstehen!

Der Todeskampf währet nur eine kurze Zeit, dann endet er; aber der Schmerz der Trennung zweier Liebenden bleibet im Herzen.

Vereinige, o Gott! alle Liebenden und beginne mit mir; denn ich sehne mich nach ihm!«

Hier schwieg die Stimme, in demselben Augenblicke verschied der Prinz von Persien ...«

Bis hierher war Scheherasade in ihrer Erzählung gekommen, als sie bemerkte, daß der Tag anbrach. Sie schwieg also; aber in der folgenden Nacht nahm sie den Faden wieder auf und sprach zu dem Sultan von Indien:

 

Zweihundertundzwanzigste Nacht.

»Herr, gleich am folgenden Tage nach dem Tode des Prinzen von Persien benutzte der Juwelier die Gelegenheit einer zahlreichen Karawane, die nach Bagdad zog, und langte wohlbehalten wieder dort an. Er trat nur in sein Haus, um seine Kleider zu wechseln, und begab sich sogleich nach der Wohnung des verstorbenen Prinzen von Persien, wo alles in Unruhe geriet, als man den Prinzen nicht bei ihm sah. Er bat, der Mutter des Prinzen zu sagen, daß er sie zu sprechen wünschte, und es währte nicht lange, so wurde er in einen Saal geführt, wo sie mit mehreren ihrer Frauen war.

»Gnädige Frau,« sagte der Juwelier zu ihr mit einer Miene und einem Tone, welche schon die traurige Botschaft ankündigten, die er ihr zu bringen hatte. »Gott erhalte Euch und überhäufe Euch mit seinem Segen! Ihr wißt wohl, daß Gott mit uns schaltet, wie es ihm gefällt ...«

Die Mutter ließ dem Juwelier nicht Zeit, noch mehr zu sagen. »Wehe!« rief sie aus, »Ihr verkündet mir den Tod meines Sohnes!« Zugleich stieß sie ein entsetzliches Jammergeschrei aus, welches, vermischt mit dem ihrer Frauen, die Tränen des Juweliers erneute. Sie quälte sich und jammerte lange, ehe sie ihn seine Botschaft aussagen ließ. Endlich unterbrach sie ihre Tränen und Seufzer und bat ihn, fortzufahren und ihr keinen Umstand einer so traurigen Trennung zu verhehlen. Er tat, was sie verlangte; und als er geendigt hatte, fragte sie ihn, ob der Prinz, ihr Sohn, ihm nicht noch etwas Besonderes an sie aufgetragen hätte. Er versicherte sie, daß er nichts stärker beklagt hätte, als von ihr entfernt zu sterben, und es wäre sein einziger Wunsch gewesen, daß sie dafür sorgen möchte, seinen Leichnam nach Bagdad bringen zu lassen.

Gleich am folgenden Morgen in aller Frühe machte sie sich auf den Weg in Begleitung ihrer Frauen und des größten Teils ihrer Sklavinnen.

Als der Juwelier, den die Mutter des Prinzen von Persien seither zurückgehalten hatte, sie abreisen sah, ging er wieder nach Hause mit niedergeschlagenen Augen, voll tiefer Trauer über den Tod eines so vollkommenen und liebenswürdigen Prinzen in der Blüte seiner Jahre.

Als er so in sich gekehrt hinging, trat eine Frau heran und blieb vor ihm stehen. Er schlug die Augen auf und erkannte in ihr Schemselnihars Vertraute, die in Trauer gekleidet war und weinte. Bei diesem Anblick erneuerten sich abermals seine Tränen, ohne daß er den Mund öffnete, mit ihr zu reden, und so ging er ohne Aufenthalt fort bis in sein Haus, wohin die Vertraute ihm folgte und mit ihm hineintrat.

Sie setzten sich, und der Juwelier nahm zuerst das Wort und fragte die Vertraute mit einem tiefen Seufzer, ob sie schon den Tod des Prinzen von Persien erfahren hätte und ihn beweinte. »Wie, dieser liebenswürdige Prinz ist tot? Er hat nicht lange seine geliebte Schemselnihar überlebt. – Schöne Seelen,« fügte sie hinzu, »wo ihr jetzt auch sein möget, ihr werdet zufrieden sein, euch fortan ungestört lieben zu können. Eure Leiber waren das Hindernis eurer Wünsche, und der Himmel hat euch davon befreit, um euch zu vereinigen.«

Der Juwelier, der von Schemselnihars Tode nichts wußte und noch nicht beachtet hatte, daß die Vertraute, die mit ihm sprach, in Trauer gekleidet war, fühlte bei dieser Neuigkeit neuen Schmerz. »Schemselnihar ist also tot?« rief er aus.

»Sie ist tot,« wiederholte die Vertraute weinend, »und sie ist es, um die ich in Trauer gehe! Die Umstände ihres Todes sind sonderbar und verdienen, daß Ihr sie vernehmet. Aber bevor ich Euch Bericht davon gebe, bitte ich Euch, mir die Umstände von dem Tode des Prinzen von Persien mitzuteilen, welchen ich mein Lebelang beweinen werde zugleich mit dem Tode Schemselnihars, meiner teuern und verehrten Herrin.«

Der Juwelier erfüllte das Begehren der Vertrauten; und als er ihr alles erzählt hatte bis zur Abreise der Mutter des Prinzen, die sich eben auf den Weg gemacht hatte, um den Leichnam desselben nach Bagdad bringen zu lassen, sagte sie zu ihm:

»Ihr werdet Euch erinnern, wie ich Euch schon erzählt habe, daß der Kalif Schemselnihar nach seinem Palaste holen ließ; es war richtig, wie wir allen Grund gehabt hatten zu fürchten, daß der Kalif von der Liebe Schemselnihars und des Prinzen von Persien durch die beiden Sklavinnen unterrichtet worden, die er, jede besonders, verhört hatte. Ihr werdet Euch nun vorstellen, daß er gegen Schemselnihar in Zorn geriet, und daß er von Eifersucht und schleuniger Rache gegen den Prinzen tobte. Keineswegs: er dachte nicht einen Augenblick an den Prinzen von Persien; er beklagte nur Schemselnihar, und es ist glaublich, daß er sich selber beimaß, was vorgegangen war, weil er ihr die Erlaubnis gegeben, frei in der Stadt umherzugehen ohne Begleitung von Verschnittenen. Es läßt sich nichts anderes vermuten nach der außerordentlichen Weise, auf welche er mit ihr verfuhr, wie Ihr sogleich hören werdet.

Der Kalif empfing sie mit heiterem Antlitz; und als er die Traurigkeit bemerkte, welche sie niederbeugte, jedoch ihre Schönheit keineswegs verringerte (denn sie erschien vor ihm ohne ein Zeichen von Überraschung und Schrecken), sprach er zu ihr mit einer seiner würdigen Güte: »Schemselnihar, ich kann nicht ertragen, daß Ihr vor mir mit einer Miene erscheint, welche mich unendlich betrübt. Ihr wißt, mit welcher Leidenschaft ich Euch stets geliebt habe: Ihr müßt davon überzeugt sein durch alle die Beweise, welche ich Euch davon gegeben habe. Ich verändere mich nicht, und ich liebe Euch mehr als jemals. Ihr habt Feinde, und diese Feinde haben mir nachteilige Berichte von Eurem Wandel hinterbracht; aber alles, was sie mir sagen mochten, hat nicht den geringsten Eindruck auf mich gemacht. Legt also die Schwermut ab und schickt Euch an, mich diesen Abend durch irgend etwas Angenehmes und Ergötzliches zu erfreuen, wie Ihr sonst pflegtet.« Er sagte ihr noch mehrere andere sehr verbindliche Sachen und ließ sie in ein prächtiges Zimmer neben dem seinigen eintreten mit der Bitte, ihn darin zu erwarten.

Die trostlose Schemselnihar war innig gerührt durch die große Hochachtung, welche der Kalif ihrer Person bezeigte, aber je mehr sie erkannte, welche Verpflichtungen sie ihm hatte, je tiefer war sie von dem Schmerze durchdrungen, vielleicht für immer von dem Prinzen von Persien getrennt zu werden, ohne welchen sie nicht mehr leben konnte.

Dieses ging zwischen dem Kalifen und Schemselnihar vor,« fuhr die Vertraute fort, »während ich zu Euch gekommen war, um mich mit Euch zu besprechen, und ich habe die einzelnen Umstände davon durch meine Gefährtinnen erfahren, die zugegen waren. Aber sobald ich Euch verlassen hatte, ging ich wieder zu Schemselnihar, und ich war Zeuge von dem, was am Abend vorging.

Ich fand sie in dem Zimmer, wovon ich gesagt habe; und da sie vermutete, daß ich von Euch käme, ließ sie mich nahe zu sich herantreten, und ohne daß sonst jemand es hörte, sagte sie zu mir: »Ich danke dir sehr für den Dienst, welchen du mir eben geleistet hast; ich fühle wohl, daß es der letzte ist.«

Mehr sagte sie mir nicht, und es war nicht der Ort, daß ich ihr mehr hätte sagen können, um sie zu trösten.

Am Abend trat der Kalif unter dem Schalle der Instrumente, welche Schemselnihars Frauen spielten, herein, und das Mahl wurde sogleich aufgetragen. Der Kalif faßte Schemselnihar bei der Hand und ließ sie neben sich auf dem Sofa niedersitzen. Sie tat sich so große Gewalt an, sich ihm gefällig zu bezeigen, daß wir sie wenige Augenblicke darauf den Geist aufgeben sahen. Denn kaum hatte sie sich niedergesetzt, als sie rücklings hinsank. Der Kalif wähnte, es wäre nur eine Ohnmacht, und wir alle hatten denselben Gedanken. Wir bemühten uns, sie wieder zu sich zu bringen: aber sie kehrte nicht wieder ins Leben zurück; und auf diese Weise haben wir sie verloren.

Der Kalif ehrte sie durch seine Tränen, die er nicht zurückhalten konnte; und bevor er sich in sein Zimmer begab, befahl er, alle die Instrumente zu zerbrechen, was auch geschah.

Er ließ sie hernach in sein Zimmer bringen, wo er die ganze Nacht bei ihr zubrachte, und am folgenden Morgen gab er die nötigen Befehle zum Waschen ihres Leichnams, zur Einkleidung und zur Bestattung in einem prächtigen Grabmale. Er enthielt sich seitdem aller Nachforschungen über die traurigen Verhältnisse, welche die Ursache ihres Todes waren. – Da Ihr nun sagt,« fügte sie hinzu, »daß die Leiche des Prinzen von Persien nach Bagdad geführt werden soll, so bin ich entschlossen, es dahin zu bringen, daß man ihn in demselben Grabmale beisetze.«

Der Juwelier war sehr erstaunt über diesen Entschluß der Vertrauten und wandte ein: »Ihr bedenkt nicht, daß der Kalif das nimmer zugeben wird.«

»Ihr haltet die Sache für unmöglich,« erwiderte die Vertraute; »sie ist es keineswegs, und Ihr werdet es selber zugeben, wenn ich Euch sage, daß der Kalif allen Sklavinnen Schemselnihars die Freiheit und eine hinlängliche Versorgung geschenkt und daß er mir die Pflege und Aufsicht ihres Grabmals übertragen hat mit einem ansehnlichen Einkommen zur Unterhaltung desselben und zu meinem eigenen Unterhalt. Übrigens wird der Kalif, dem die Liebesgeschichte des Prinzen von Persien und Schemselnihars nicht unbekannt ist, wie ich Euch schon gesagt habe, und der daran keinen Anstoß genommen hat, keineswegs unzufrieden hiermit sein.«

Der Juwelier hatte hierauf nichts mehr zu sagen; er bat nur noch die Vertraute, ihn nach dem Grabmale zu führen, um dort sein Gebet zu verrichten.

Groß war sein Erstaunen, als er dort anlangte und eine große Volksmenge beiderlei Geschlechts von allen Seiten aus Bagdad dahin strömen sah. Er mußte von ferne stehenbleiben; und nachdem er sein Gebet verrichtet hatte, ging er wieder zu der Vertrauten und sagte zu ihr: »Ich halte es nun nicht mehr für unmöglich, das auszuführen, was Ihr im Sinne habt. Wir, Ihr und ich, dürfen nur kund machen, was wir von der Liebesgeschichte beider wissen, und besonders, daß der Tod des Prinzen von Persien fast in demselben Augenblicke mit dem Tode Schemselnihars erfolgt ist. Bevor noch sein Leichnam ankommt, wird ganz Bagdad zusammenlaufen und verlangen, daß er nicht von Schemselnihars Leiche getrennt werde.«

Der Plan gelang; und an dem Tage, wo man wußte, daß der Leichnam ankommen würde, ging ihm eine zahllose Volksmenge über zwanzig Meilen weit entgegen.

Die Vertraute wartete am Stadttore, wo sie sich der Mutter des Prinzen darstellte und sie im Namen der ganzen Stadt bat, ihnen den sehnlichen Wunsch zu gewähren, daß die Leiber der beiden Liebenden, die vom Beginn ihrer Liebe bis zu ihrem Tode nur Ein Herz gehabt hatten, auch nur Ein und dasselbe Grab hätten ...

Die Mutter willigte drein; und im Geleit einer zahllosen Volksmenge von allen Ständen wurde der Leichnam des Prinzen von Persien in das Grabmal Schemselnihars getragen und an ihrer Seite beigesetzt.

Seit dieser Zeit haben die Einwohner von Bagdad und selbst die Fremden aus allen Weltgegenden, wo es Muselmänner gibt, stets eine große Verehrung für dieses Grabmal gehabt und gehen noch immer dorthin, ihr Gebet zu verrichten.

Dies ist es, Herr,« sagte Scheherasade, die zu gleicher Zeit bemerkte, daß es Tag war, »was ich Euer Majestät von der Liebesgeschichte der schönen Schemselnihar, Favoritin des Kalifen Harun Arreschid, und des Ali Ebn Bekar, Prinzen von Persien, zu erzählen hatte.«

Als Dinarsade sah, daß die Sultanin, ihre Schwester, schwieg, dankte sie ihr aufs verbindlichste für das Vergnügen, welches sie ihr durch die Erzählung einer so anziehenden Geschichte gemacht hatte.

»Wenn der Sultan geruhet, mich noch bis morgen zu fristen,« fuhr Scheherasade fort, »so will ich dir die Geschichte des Prinzen Kamaralsaman erzählen, die du noch viel anmutiger finden wirst.«

Hiermit schwieg sie; und der Sultan, der sich noch nicht entschließen konnte, sie töten zu lassen, willigte ein, sie in der folgenden Nacht zu hören.

 

Zweihundertundeinundzwanzigste Nacht.

In der folgenden Nacht, sobald die Sultanin Scheherasade von ihrer geschäftigen Schwester Dinarsade geweckt worden war, erzählte sie dem Sultan von Indien die Geschichte Kamaralsamans, wie sie versprochen hatte, und begann:


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