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Einhundertundneunundachtzigste Nacht.

Geschichte des Ali Schach oder der angebliche Kalif.

Scheherasade begann in der nächsten Nacht die Geschichte des angeblichen Kalifen folgendermaßen:

»Harun Arreschid, der Kalif von Bagdad, hatte eines Abends in einem Saale seines Palastes vierundzwanzig seiner ausgezeichnetsten Hofleute versammelt, worunter sich der Minister Ibrahim Isaak el Nedim, der Dichter Abul Newas, der Großwesir Giafar der Barmekide und Mesrur, der Vollstrecker seiner erhabenen Befehle, befanden. Die Unterhaltung begann und handelte diesmal von der Prosa, der Dichtkunst und der Beredsamkeit. Jeder erzählte eine Geschichte, sagte Verse her, gab Rätsel auf, sang Lieder, und so war die Mitternacht herangekommen, ohne daß man den Flug der Zeit bemerkt hatte. Sie baten jetzt den Kalifen um die Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen, und er gewährte sie ihnen. Der Wesir Giafar und Mesrur blieben bis zuletzt und schickten sich ebenfalls an, nach Hause zu gehen; doch der Kalif hielt sie zurück und sagte: »Giafar, setze dich.« Giafar gehorchte. »Weißt du wohl,« fuhr der Kalif fort, »warum ich dich diese Nacht bei mir behalte?« – »Gott allein kennt das Verborgene!« rief Giafar. – »Nun gut, ich habe da einen Einfall, daß wir uns nämlich alle drei verkleiden und bis zu Anbruch des Tages auf dem Tigris zu Schiffe spazierenfahren. Die Langweile drückt mich, es liegt mir wie ein Stein auf dem Herzen, und ungeachtet dessen, daß so viel Anziehendes und Interessantes in unserer Unterhaltung vorgekommen ist, so habe ich doch keine Freude daran gefunden. Vielleicht gelingt es mir jetzt, mich zu zerstreuen. Wir sind ja eben in der Jahreszeit, wo man dergleichen nächtliche Lustfahrten auf dem Tigris unternimmt, und du weißt, daß die Armen wie die Reichen da spazierenfahren.« – »Mächtiger Fürst,« erwiderte der Großwesir, »es steht ganz in deinem Belieben; und wenn du bei Tag oder Nacht auf dem Tigris fahren willst, wer könnte dich daran hindern?« – »Nun gut, so wollen wir fort!« – Sogleich legten der Kalif, Giafar und Mesrur ihre Kleider ab, verkleideten sich als Kaufleute und gingen durch eine verborgene Tür, die sie nach den Ufern des Tigris führte. Wie groß war ihr Erstaunen, als sie niemanden da sahen, obgleich gerade um diese Zeit mehr als hundert Gondeln daselbst hätten sein müssen! Alljährlich haben nämlich die Bewohner Bagdads während des Sommers die Gewohnheit, einen Teil der Nacht auf dem Tigris hinzubringen. Jeder hat da nach seinem Vermögen eine mehr oder minder stattliche Barke oder Gondel.

Der Kalif, der sich von seinem Staunen gar nicht erholen konnte, sagte zum Großwesir: »Warum ist der Fluß denn so einsam und öde? Wer hindert denn die Einwohner Bagdads, hier spazierenzufahren?« – »Die Menschen,« sagte Mesrur, »sind nicht zu allen Zeiten froh und vergnügt, großer König, und gerade dieser Zeitvertreib sagt nur denjenigen zu, die nach ihrer Bequemlichkeit leben können, weil nur sie, wenn sie die Nacht durchwacht haben, den folgenden Morgen schlafen können, ohne daß ihre Gelegenheiten darunter leiden. Doch der Arme, der sich durch seine Arbeit seinen Lebensunterhalt verdienen muß, und der in der Tat den ganzen Tag lang arbeitet, ist bei Anbruch der Nacht müde und denkt nicht leicht an Spazierfahrten auf dem Tigris, und gesetzt, er käme hierher, würde er dann wohl den folgenden Morgen wieder an sein Tagewerk gehen können, um für sich und die Seinigen das Brot zu verdienen? Das ist ohne Zweifel der Grund, warum wir niemanden hier antreffen.«

»Dieser Grund ist ganz richtig in Hinsicht auf die arbeitende Klasse; allein welcher Ursache soll man das Ausbleiben der Kaufleute, der Reichen, der Beamten beimessen?« – »Ich gestehe, das ist mir ein Rätsel,« antwortete Giafar. – »So wollen wir wenigstens ein Fahrzeug zu bekommen suchen, um darauf zu fahren.« – Unter diesen Gesprächen gingen sie das Ufer des Tigris entlang. Auf einmal bemerkten sie einen alten Mann, der in seinem Kahne eingeschlafen war. Der Kalif schickte Mesrur mit dem Befehl hin, ihn zu wecken und herbeizuführen. Der Schiffer kam heran und fragte, was sie wollten. Harun sagte ihm, er möchte die Hand herreichen: er tat es. Der Kalif legte ihm zwanzig Goldstücke hinein und sagte: »Da hast du; jetzt mußt du uns aber auch in deiner Barke einige Stunden spazieren fahren.« – »Tritt herein; Gott behüte uns vor Unglück.« Sie traten in das Schiff, ohne den Sinn dieses Ausrufes zu verstehen.

Der Schiffer gewann bald die Mitte der Strömung und fing an, sie den Tigris herunterzufahren. Auf einmal bemerkte man eine Gondel, welche immer näher kam; sie war von vergoldeten Fackeln erleuchtet, in welchen harzreiches Holz brannte, und die von zwei Männern in Atlaskleidern getragen wurden. Bei diesem Anblick rief der Fährmann erschrocken: »Großer Gott, behüte uns vor dem Unglück, das uns droht; unsere letzte Stunde ist da! Verwünscht sei die Habsucht! Denn sie hat mich ins Verderben gelockt und verleitet, eure zwanzig Goldstücke anzunehmen.« Und in dieser Art fuhr er weinend in seinen Verwünschungen gegen den Kalifen und seine Begleiter fort, die er für bloße Kaufleute hielt. Der Kalif lachte aus vollem Halse und sagte: »Mein lieber Fährmann, warum überhäufst du uns so mit Schmähungen?« – »Und warum sollte ich euch nicht verwünschen, da ihr mich in den Abgrund des Unglücks gestürzt habt!« – »Fürchte nichts; es soll dir nicht mehr zuleide geschehen als uns.« – »Das glaube ich; man wird euch den Kopf abschneiden wie mir, und zwar in wenigen Augenblicken, und dann werden wir freilich ein gleiches Los haben.« – »Und wer wird uns denn den Kopf abschneiden?« – »Seht ihr denn nicht jene Gondel, die uns zur Seite fährt? Der Herr dieser Gondel wird uns das antun lassen.« – »Wer ist es denn?« – »Es ist der Kalif Harun. Er hat bekanntmachen lassen, daß demjenigen, der des Nachts auf dem Tigris spazierenfahren würde, der Kopf abgeschnitten werden solle, und er wird es uns gewiß nicht schenken.« – Harun Arreschid antwortete ihm: »Da du dies Verbot kanntest, warum hast du uns denn nicht davon benachrichtigt, so würden wir uns keiner solchen Gefahr ausgesetzt haben.« – »Als ihr mir die zwanzig Goldstücke überreichtet, bewog mich mein Elend, zu schweigen. Aber warum habt ihr nicht beim Eintritt in mein Boot auf meinen Ausruf gehört: Gott behüte uns vor Unglück!« – Der Kalif sagte darauf: »Wie sollen wir uns jetzt aus diesem Handel herausziehen?« – »Wir haben jetzt keine Hoffnung mehr, außer auf Gott allein,« fuhr er fort, fing an zu weinen und sagte einige Gebete her, um sich zum Tode vorzubereiten.

Die Verzweiflung dieses Unglücklichen rührte den Kalifen, und um ihn zu trösten, bot er ihm noch zwanzig Goldstücke mit den Worten an: »Lieber Freund, führe uns in jene dunkle Bucht, damit wir die Gondel des Kalifen vorbeifahren lassen; vielleicht entgehen wir seinen Blicken.« Der Fährmann nahm die zwanzig Zechinen an.

Zufällig waren sie nicht weit von einem Lusthause entfernt, welches auf hohe Grundpfähle gebaut war. Dies war für sie ein wahrhaft gefundener Zufluchtsort, und zwei Barken hätten sich da ganz bequem verbergen können. Der Fährmann war so glücklich, da hineinzuschlüpfen, ehe die andere Gondel sie bemerkte.

Als sie vorübergesegelt war, fingen Harun, Giafar und Mesrur an, sie aufmerksam zu betrachten. Diese Gondel war prächtig zu nennen; von allen Ecken und Enden blickte Gold, mit den zierlichsten Malereien untermischt. Beim Scheine zweier goldnen Fackeln sah man Waffen von allen Gattungen, Schwerter, Säbel, Lanzen und Köcher von bewundernswürdiger Arbeit blitzen. Das Hinterteil des Schiffes war mit kostbaren Teppichen bedeckt und mit einem Sofa, das mit Sammetkissen belegt war, die mit Gold, Perlen und Korallen besetzt waren. In der Mitte erhob sich ein goldener, mit Perlen und Edelsteinen besetzter Thron, auf welchem ein junger Mann von der schönsten Gestalt und in kostbaren Kleidern nachlässig hingelehnt saß. Auf seiner Stirn schimmerte eine königliche Binde, reich mit kostbaren Steinen geschmückt. Zu seiner Rechten saß ein Mann, der dem Wesir Giafar dem Barmekiden glich, und zu seiner Linken ein anderer, der die Rolle des Isaak el Nedim spielte. Mesrur stand vor ihm, und hinter ihnen standen reihenweise zwanzig junge Sklaven, deren Gesichter so rund und glänzend waren wie der Vollmond. Dieser Teil der Gondel war mit einem Sammetstoffe überdeckt, an welchem man weder Gold noch Edelsteine gespart hatte, so daß er mit den Sternen, die bereits am Himmel funkelten, wetteifern konnte.

Der junge Mann hatte einen mit Blumen geschmückten Tisch vor sich, den zwei massivgoldene Leuchter, aus denen Wachskerzen brannten, erleuchteten; zu seinen Füßen dampften vier Räucherpfännchen voll der auserlesensten Wohlgerüche. Zwanzig Ruderer, die ebenso schön als kraftvoll und mit einer erstaunlichen Pracht gekleidet waren, beflügelten die Gondel auf der Stromfläche hin.

Harun, der selber von der Schönheit dieses Schauspiels überrascht war, konnte sich von seinem Staunen gar nicht erholen. Seine Verwunderung verdoppelte sich, als er einen Mann vom Vorderteil des Schiffes herab rufen hörte: »Alles Volk, Reiche und Arme, Freie und Sklaven, Eingeborene und Fremde, gehorcht dem erhabenen Befehl des Fürsten der Gläubigen, der da ist der Schatten Gottes auf Erden, der König der Könige, der Schatz der Gnaden, die Stütze der Unglücklichen, der Gegenstand des Lobes der Weisen und Dichter, die unversiegbare Quelle der Macht und des Ruhms, der erhabene Geist, der Kalif Harun Arreschid. Er verbietet euch, auf dem Tigris spazierenzufahren und eure Fenster zu öffnen; der Ungehorsam wird mit dem Tode und mit Beschlagnahme des Vermögens bestraft werden!«

Während dieses ganzen Aufrufes hatte Harun seine Augen beständig auf dem angeblichen Kalifen gehabt. Je mehr er ihn betrachtete, desto mehr Anmut, Adel und Schönheit fand er an ihm, und zu Giafar sich wendend, fragte er diesen, ob er diese Person kenne. »Nein, ich kenne ihn gar nicht,« erwiderte der Wesir. – »Meiner Treu,« fuhr der Kalif fort, »er versteht sich vollkommen auf das Hofzeremoniell, denn er hat nichts vergessen, was irgend zur äußeren Darstellung des Kalifen gehört. Was mich aber am meisten überrascht, ist die Ähnlichkeit, die ich zwischen dir und demjenigen finde, der zu seiner Rechten ist; die Person, die vor ihm steht, gleicht nicht minder dem Mesrur, und seine Hofleute spielen die Rolle der meinigen nicht übel. In der Tat, ich kann mich von meinem Staunen gar nicht erholen.«

Sie verloren ihn nicht aus dem Gesicht, bis er an dem benachbarten Ufer anlandete. Der falsche Kalif stieg nun ans Land und setzte sich auf ein prächtiges Pferd, während eine Menge von Bedienten mit Fackeln und eine zahlreiche Schar von Sklaven paarweis vor ihm hergingen. Vor dem ganzen Staatsgefolge zog ein Herold voran, der das Lob des Herrschers verkündigte.

Als Harun bemerkte, daß niemand mehr am Ufer sei, forderte er den Fährmann auf, sie ans Land zu bringen. Sie wollten dem jungen Abenteurer nachgehn, aber, da sie nicht wußten, wohin er seinen Weg genommen, so kehrten der Kalif und seine Begleiter nach dem Palaste zurück. Harun hatte das Fahrzeug an derselben Stelle wieder verlassen, wo er es zuerst angetroffen, und dem Fährmann noch zwanzig Zechinen gegeben und zu ihm gesagt: »Wir rechnen auf deine Willfährigkeit. Morgen abend erwarte uns hier; wir sind Fremde, die in einer Karawanserei wohnen; wir lieben die Freude und wünschten gern einige Stunden auf dem Fluß angenehm hinzubringen. Du kannst übrigens auf unsere Großmut rechnen.«

 

Einhundertundneunzigste Nacht.

Das seltsame Zusammentreffen in dieser Nacht ließ den Kalifen kein Auge schließen: alles, was er gesehen hatte, dünkte ihn ein unauflösliches Rätsel. Sobald der Tag anbrach, verrichtete er sein Morgengebet, rief den Propheten an und ließ das Frühstück bringen. Bald erschien auch Mesrur und sagte zu ihm: »Stellvertreter Gottes, die Minister und Staatsbeamten, welche den Saal der Ratsversammlung erfüllen, bieten einen wahrhaft stattlichen Anblick dar; bloß du fehlst noch; komm und verschönere ihn durch deine Gegenwart, zeige dich den Kriegern, die dich lieben, sprich deinen Untertanen, die dich anbeten, Recht und verbreite deine Wohltaten über alle Geschöpfe Gottes.« Der Kalif stand auf, legte seinen Mantel und all den Schmuck an, der die höchste Herrschergewalt ankündigt und ehrwürdig macht, trat in den Diwan und bestieg den Thron. Sogleich reihten sich um ihn her, und zwar jeder nach seinem Range, die Großen, die Feldherren, die Minister, die Weisen, die Dichter, mit einem Wort, alle die Personen, welche den Staatsrat bilden. Nun tat der Obertürsteher mit lauter Stimme die gewöhnlichen Wünsche für das Wohl des Kalifen, und alle Anwesenden antworteten im Chor. Hierauf trat ein anderer Staatsbeamter auf, wendete sich zu dem Kalifen und sagte: »O du, der du die Gipfel der Macht und des Ruhmes erreicht hast, hüte dich vor der Trunkenheit des Stolzes, morgen geht deine Herrschaft schon zu Ende. Ewige Dauer der Herrschaft ist bei Gott allein. Wie oft hat nicht die Welt ihre Gestalt und ihren Gebieter vertauscht! Sprich mit mir: Ehre und Herrlichkeit dem, dessen Herrschaft keinem Wechsel unterliegt!«

Nach diesem las der Vorleser Sprüche der Religion und der Sittenlehre vor.

Der Kalif gab hierauf dem Vorleser das Zeichen zu schweigen und ging an die Abfertigung seiner Regierungsgeschäfte, ohne von seinem Abenteuer gegen irgend jemanden ein Wort zu erwähnen. Zur gewöhnlichen Stunde stand der Diwan von seinen Sitzen auf, die Kriegerscharen entfernten sich, und Harun ging in den Saal der Privataudienzen, worin er bis gegen Abend blieb, indem er den Anbruch der Nacht mit der größten Ungeduld erwartete. Endlich zeigten sich die ersten Sterne, und man vernahm den Hahnenruf, welcher verkündet: »Ihr Trägen, die ihr schlafet, bezeuget die Einheit und Größe dessen, der da nimmer schläft.« Harun wendete sich jetzt an Giafar und sagte: »Wesir, wir wollen uns jetzt den neuen Kalifen ansehen gehn.« Giafar fing an zu lachen und fragte ihn, ob es denn einen alten und einen neuen Kalifen gäbe. »Ganz gewiß,« erwiderte Harun, »ich bin der alte Kalif, und unser junger Mann ist der neue. Dies ist ein gewaltiger Vorzug, den er vor mir voraus hat; denn du kennst ja die Worte des Dichters:

»Die Neuheit hat stets einen großen Reiz; doch finde ich keinen in der Erscheinung der Vorboten des Alters.

Unnütze Klage! Jugend, die du dich so herrlich ankündigst, warum endest du so traurig?«

Giafar, man wird alles dessen, was alt ist, endlich müde, und die Einwohner von Bagdad könnten, auch wohl meiner Herrschaft überdrüssig geworden sein.« – »Du täuschest dich, Fürst der Gläubigen,« antwortete ihm der Wesir; »du bist und wirst stets der mächtigste und geliebteste der Herrscher bleiben, und wir werden nie aufhören, deine treuen Untertanen zu sein.« Harun brach das Gespräch ab und ließ die Verkleidung herbeibringen, die ihnen zu ihrem heutigen Vorhaben dienen sollte. Sie traten darauf, als Kaufleute verkleidet, durch die geheime Tür des Palastes und begaben sich raschen und munteren Schrittes nach den Ufern des Tigris, wo der Fährmann sie erwartete. »Gott segne dich!« rief Harun, als er ihn von weitem bemerkte, »hier sind zwanzig Zechinen zum Lohn für deine Pünktlichkeit.« Zugleich stiegen sie in das Schiff und begannen ihre Lustfahrt. Alsbald entdeckte man auch die Gondel des neuen Kalifen, welche sich näherte. Der Fährmann erreichte schnell den Zufluchtsort, wohin er sich bereits in der vorigen Nacht geflüchtet hatte, und von da aus konnten sie mit Muße sie vorüberschiffen sehen, vor dem Kalifen standen sechzig Mameluken, noch schöner als die vorigen und auch noch prächtiger gekleidet.

Die Gondel landete nicht weit von ihrem Zufluchtsorte, und der falsche Kalif stieg mit seinem ganzen Gefolge ans Land. Harun bat gleichfalls den Fährmann, ihn ans Ufer zu bringen, weil er diesem Abenteurer folgen wollte. Dieser gehorchte, und sie holten jenen bald so weit ein, daß er ihnen nicht mehr aus dem Gesicht entschwinden konnte. Sie folgten ihm nun Schritt vor Schritt, ohne daß man sie bemerken konnte, denn sie waren im Dunkeln und konnten beim Lichte der zahlreichen Fackeln, welche diesen Zug erhellten, alles genau unterscheiden.

Der falsche Kalif hatte ein prächtiges arabisches Pferd bestiegen, welches mit einem kostbaren Geschirr angetan war, nach Art der Abbassiden. Vor ihm her zogen alle seine Mameluken in der schönsten Ordnung, und ein Diener eröffnete den Zug, der auf Befehl des Fürsten der Gläubigen mit lauter Stimme rief: »Wer irgend aus seinem Hause gehen oder aus dem Fenster sehen wird, dessen Vermögen wird in Beschlag genommen und er selbst mit dem Tode bestraft werden. Gott bewahre uns vor dem Zorn der Könige!«

Dieser Ausruf brachte Harun zum Lachen, welcher zu Giafar sagte: »Hörst du die Drohungen, die er gegen seine Untertanen ausstößt?« – »Glücklicherweise,« erwiderte Giafar, »sind wir es nicht und überhaupt nicht willens, seinen Befehlen zu gehorchen. Gott erhalte uns den Kalifen Harun Arreschid.« – »Wesir, nimm dich in acht,« erwiderte Harun, »jener da ist der wahre Kalif.« – »In der Tat, wenn Ihr nicht bei uns wäret, so könnten wir uns dadurch leicht täuschen lassen. Allein, mächtigster Fürst, wohin wollt Ihr uns denn führen?« – »In sein Gefolge. Ich bin entschlossen, ihm überallhin zu folgen, wohin er sich nur wenden mag, und, wenn es sein muß, die ganze Nacht so hinzubringen, um das Ende des Abenteuers zu sehen.« Sie gingen nun hinter ihm her und gelangten nach einem sehr langen Gange an die äußersten Gärten der Stadt. Allmählich kamen sie so nahe, daß sie sich unter das Gefolge mischten. Doch sie wurden hier bald entdeckt; man hielt sie für Kaufleute und verhaftete sie.

Als man sie festgenommen hatte, gereute den Wesir seine Nachgiebigkeit, und er sagte ganz leise zu dem Kalifen: »Du hast uns an den Abgrund des Verderbens geführt; es ist sehr möglich, daß dieser Mensch auf uns zornig wird und uns das Leben nehmen läßt.« – »Bewaffne dich mit Geduld,« sagte Harun, »Gott verläßt die Geduldigen nicht.«

Unterdes führten die Trabanten, die sich ihrer bemächtigt hatten, sie vor den neuen Kalifen und sagten zu ihm: »Stellvertreter Gottes, hier sind drei Männer, welche mitten unter uns einhergingen; es sind Fremde, wir haben sie angehalten und führen sie vor dich. Du hast jetzt über ihr Schicksal zu entscheiden.«

Als der falsche Kalif sie erblickte, stieß er einen entsetzlichen Schrei aus und sprach zu ihnen: »Elende! Wer seid ihr? Wer hat euch hierher geführt? Habt ihr nicht die öffentliche Bekanntmachung vernommen? Bei meinen erhabenen Vorfahren schwöre ich, wofern ihr mir die Wahrheit verhehlt, so will ich euch die Hände und Beine abhauen lassen! Solltet ihr die Absicht gehabt haben, mir zu trotzen, meine Würde zu beleidigen und euch gegen meine erhabenen Befehle zu empören?«

»Kalif, mächtiger Herr der Erde, beruhige dich,« erwiderte Harun, »bis wir uns werden näher erklärt haben. Wenn du uns unsere Entschuldigungsgründe genehmigst, so wird dies ein Beweis von deiner Güte sein; und wofern du uns das Leben nimmst, so werden wir deine Gerechtigkeit nicht tadeln können.«

»Wir wollen sehen. Was könnt ihr zu eurer Entschuldigung anführen?« – »Wir sind Fremde, die heute zum erstenmal nach Bagdad gekommen sind. Wir durchstreiften die Straßen und Märkte, und da wir zu unserer Verwunderung sie menschenleer fanden, fragten wir, wo denn die Bewohner einer so volkreichen Stadt alle geblieben wären; man antwortete uns, daß jetzt alle an den Ufern des Tigris lustwandelten oder auf seiner Stromfläche spazieren führen; denn dies sei jetzt das Vergnügen der Jahreszeit. Wir, meine Gefährten und ich, lieben die Fröhlichkeit; wir begaben uns daher auf diese Nachricht nach dem Ufer des Flusses, welcher mit einer unermeßlichen Menschenmenge bedeckt war, die sich hier belustigte. Es wurde da gegessen und getrunken, und wir folgten diesem schönen Beispiel. Sodann fanden wir einen Kahn; der Schiffer nahm uns ein und führte uns ohne Schwierigkeit an das jenseitige Ufer, wo wir ausstiegen und uns eine lange Weile belustigten. Unser Fährmann hatte Lust zu schlafen; er streckte sich also in seiner Barke hin und empfahl uns dringend, ihn noch vor Abend zu wecken, damit er uns in die Stadt zurückfahren könne. Wir selber, nachdem wir einen weiten Spaziergang gemacht, schliefen ein und erwachten später als der Fährmann, als es schon sehr dunkel geworden war. Dieser machte uns jetzt wegen unserer Unachtsamkeit Vorwürfe, »Hatte ich euch nicht gebeten, mich noch vor Abend zu wecken?« – »Der Schlaf hat uns ebenfalls beschlichen, wie konnten wir dich da wecken? Allein was ist es weiter? Wir werden die Nacht hier zubringen.« – »Aber wir sind ja hier nicht vor Räubern sicher; ich fürchte für euch und mich.«

Mit diesen Worten steuerte unser Schiffer in die offene Strömung hinein. Die Nacht war schon weit vorgerückt. Er führte uns an dies Ufer. Zufällig bemerkte er einen sehr hellen Schein und sagte zu uns: »Sehet ihr jene Fackeln dort? Es ist ein Neuvermählter, der jetzt soeben heimfährt. Folget ihm nach, so werdet ihr dann dem Hochzeitsschmause beiwohnen können. Seine Sklaven spielen geschickt alle Instrumente; ihr werdet euch da bis zu Tagesanbruch belustigen können und nach eingenommenem Frühstück tun können, was euch beliebt, und hingehen, wohin ihr wollt; denn hier zu Lande ist alles sicher und ruhig, und ihr habt nichts zu fürchten.« – Dies, Herr, bewog uns, Euch zu folgen in der Meinung, wir würden an einem Hochzeitsmahle teilnehmen können. So mischten wir uns dann unter Euer Gefolge, wo man uns anhielt, und die öffentliche Bekanntmachung, wovon Ihr sprecht, haben wir gar nicht gehört.« – »Es ist ein Glück für euch,« erwiderte der falsche Kalif, »daß ihr nicht Einwohner von Bagdad seid; ihr würdet sonst der gerechten Strafe nicht entgangen sein. Da ihr indes Fremde seid, so seid mir willkommen, beruhigt euch und fürchtet nichts. Ich lade euch ein, den noch übrigen Teil der Nacht hindurch meine Gäste zu sein.« – »Ihr erweiset uns sehr viel Ehre,« antwortete Harun, »und wir bitten Euch, o Fürst der Gläubigen, unseren Dank anzunehmen.« Giafar näherte sich hierauf dem Harun und sagte ganz leise zu ihm: »Stellvertreter Gottes, du bist sehr fein.« –

»Schweige still.«

Sie zogen nun mit dem übrigen Gefolge bis zu dem Palaste des falschen Kalifen fort, der am hintersten Ende der Gärten lag. Die Stockwerke dieses Palastes wurden von Säulen getragen, die einen herrlichen Anblick darboten. Die Haupttüre war von Ebenholz, mit Riegeln und Beschlägen von gediegenem Golde und von der glänzendsten Politur ...

 

Einhundertundeinundneunzigste Nacht.

Der angebliche Kalif stieg ans Land und ließ Harun nebst seinen Gefährten hineintreten. Man führte sie in einen geräumigen Saal, in dessen Mitte ein großes Becken mit einem prächtigen Springbrunnen war. Ringsherum lief eine Erhöhung, die mit einem Teppich und reich gestickten Kissen bedeckt war. Über der Tür des Saales las man folgende Verse:

»Heil und Friede möge an diesem Orte wohnen, der mit allen Segnungen des Glücks überschüttet ist. Er schließt Wunder in sich, welche die beredteste Feder nicht zu schildern vermöchte.«

Er setzte sich sodann auf einen Thron von gediegenem Golde, der mit Perlen und Edelsteinen geschmückt war, und über welchem ein grünseidener Thronhimmel mit goldenen Troddeln schwebte, dergleichen man noch nie in den Palästen der mächtigsten Fürsten gesehen hat. Er ward durch Kloben von Sandelholz festgehalten, welche einen köstlichen Geruch verbreiteten. Seine Hofleute reihten sich ehrfurchtsvoll um ihn her; Harun und seine Begleiter erhielten ebenfalls Erlaubnis, sich zu setzen.

Der angebliche Kalif gab nun dem Haushofmeister und den Mundschenken ein Zeichen. Augenblicklich wurden die Tische gedeckt und mit den auserlesensten Speisen und den köstlichsten Weinen besetzt. Eine junge Sklavin füllte eine Schale und sang folgende Verse:

»Überlasse die Moschee den Frömmlern, die darin ihren beständigen Aufenthalt nehmen, und komm mit uns, guten Wein zu kosten.

Der Koran sagt nicht: wehe den Trunkenen! aber wohl: wehe den Heuchlern!«

Hierauf überreichte der Mundschenk dem neuen Kalifen die Schale, der sie austrank. Sie ging sofort die Reihe herum und kam bis zu Harun, der so wie seine Begleiter sich weigerte zu trinken.

»Meine Gäste,« sagte der neue Kalif, »warum wollt ihr es nicht machen wie wir?« – »Herr,« erwiderte Harun, »wir haben alle drei bei Gelegenheit eines schrecklichen Ereignisses, das uns zustieß, das Gelübde getan, niemals Wein zu trinken.« – »Gott behüte mich, daß ich euch ein Verbrechen daraus machen sollte.« Und augenblicklich ließ er ihnen ein anderes Getränk bringen, indem er zu ihnen sagte: »So versucht denn anstatt des Weins diesen Sorbet; kein König hat besseren, als dieser hier ist.«

Die Mahlzeit dauerte lange, und Harun, der über alles, was er da sah, erstaunt war, sagte zu Giafar: »Ich bin außer mir vor Verlangen, zu wissen, wer dieser junge Mann wohl sein mag. Welche glänzende Tafel! Ich habe niemals etwas Ähnliches gesehen und nie besser gespeist.«

Der neue Kalif bemerkte diese Zwiesprache zwischen beiden und fragte: »Welche Geheimnisse teilt ihr euch da mit?« – »Verzeihe, Fürst der Gläubigen,« antwortete Harun, »wir haben nicht die Absicht, dich zu beleidigen. Mein Begleiter, der schon sehr hoch an Jahren ist und die Welt durchreist hat, teilte mir seine Überraschung mit. Er hat nie etwas gesehen, was der Pracht und dem Aufwande gleichkäme, den du hier zeigst, und es würde, wie er meint, nicht das mindeste fehlen, wenn noch Musik dabei wäre, denn eine Mahlzeit ohne Musik ist wie ein Baum ohne Frucht. Wie kann doch der Kalif bei einem solchen Festmahle die Musik missen? Dies waren die einzigen Bemerkungen, die wir ganz leise für uns machten, und du weißt jetzt unser Geheimnis.«

Der Wein fing bereits an, seine Wirkung auf die Gäste zu äußern, und der Kopf des angeblichen Kalifen war schon sehr warm geworden. Die vertrauliche Eröffnung Haruns entlockte ihm ein Lächeln. Er schlug in die Hände; sogleich öffnete sich eine Tür, und man sah einen kleinen schwarzen, prachtvoll gekleideten Sklaven erscheinen, der einen goldenen Sessel trug. Ihm folgte eine junge Sklavin, nicht minder reizend als jene, die der Dichter in folgenden Versen schildert:

»Siehest du jene entzückende Schönheit, die auf uns zukommt? Siehest du jene beiden Granatäpfel auf jener Alabasterbrust und jene reizende Gestalt, welche die Herzen fesselt? Ach, bedarf es noch weiter etwas, um vor Liebe zu sterben?«

Beim Hereintreten warf sie sich vor dem neuen Kalifen nieder, und Harun rief bei dem Anblick so vieler Reize: »Dank sei dem Urheber einer so vollkommenen Schönheit!« und sogleich fühlte er, daß sein Herz für sie von Liebe entbrannt war.

Ihr Herr indes befahl ihr, sich zu setzen. Sie nahm nun auf dem Sessel Platz, der für sie hingestellt war, und der kleine Neger überreichte ihr eine kunstreich gearbeitete Laute. Sie legte diese an ihren Busen, fing an zu stimmen, durchlief die vierundzwanzig Töne der Musik und spielte darauf mehrere Lieder, eines immer wollüstiger als das andere. Alle Zuhörer waren von Vergnügen und Bewunderung hingerissen, und auch nicht ein einziger blieb bei kaltem Blute und bei ruhigem Verstande, als sie folgendes Lied zur Laute sang:

»Meine Augen sind die Dolmetscher meiner Gefühle; sie haben dir längst die Liebe verraten müssen, die du mir eingeflößt hast.

Ihr Schmachten bezeugt die Qual, die ich empfinde; bei dem bloßen Gedanken an deine Entfernung seufzt mein verwundetes Herz.

Wie lange werde ich die Liebe verhehlen müssen, die mich verzehrt? Unwillkürliche Tränen verraten mich unaufhörlich.

Ich kannte bisher die bezwingende Gewalt der Liebe nicht; doch wer kann dem unbezwinglichen Arm des Schicksals widerstehen?«

Kaum war dieser Gesang geendigt, als der neue Kalif einen durchdringenden Schrei ausstieß und sein Kleid zerriß; seine Kräfte verließen ihn, er fiel in Ohnmacht. Seine Diener waren um ihn geschäftig, sie zogen die Vorhänge des Thronhimmels zu und legten ihm ein anderes Kleid an. Sobald er wieder zu sich gekommen war, bemerkte er wohl, daß die Sängerin sich entfernt hatte, aber er fragte nicht mehr nach ihr. Ein junger Mundschenk füllte ihm die Schale und überreichte sie ihm; er trank, und dann machte sie die Runde durch die ganze Gesellschaft. Harun und seine beiden Begleiter, die über alles, was sie da sahen, erstaunt waren, verloren sich immer mehr in diesen Anblick.

Bald darauf nahm der neue Kalif einen Stab in die Hand und schlug mit demselben an eine benachbarte Tür, welche sich augenblicklich auftat. Ein junger Neger trat aus derselben, der einen vergoldeten Sessel, noch schöner als den vorigen, trug, hinter ihm folgte ein junges Mädchen, noch reizender und noch reicher gekleidet als die vorige Sängerin. Nachdem sie sich vor dem Throne niedergeworfen, blieb sie in einer ehrerbietigen Stellung stehen. Harun empfand bei ihrem Anblick eine noch lebhaftere Herzensregung als bei der vorigen. Sie erhielt Befehl, sich zu setzen, und sie legte auf ihren Schoß einen Psalter, der von Ebenholz und mit Gold verziert war; an den vier Ecken waren vier Perlen, so groß wie Taubeneier, eingelegt. Nachdem sie ihr Instrument gestimmt hatte, schlug sie dasselbe mit einer Leichtigkeit, daß es den Zuhörern war, als sähen sie das ganze Zimmer um sich her tanzen. Sie entzückte sie zuletzt vollends durch folgendes Lied:

»Wie sollte ich nicht die Geduld verlieren, da ein loderndes Feuer mein Herz verzehrt? Da aus meinen Augen Tränen strömen wie ein unversiegbarer Gießbach?

Die Welt hat für mich allen Reiz verloren, und wenn ich nicht den Gegenstand meiner Wünsche erlange, so wird der Tod meine einzige Zuflucht sein.«

Am Ende dieses Liedes stieß der neue Kalif wieder einen durchdringenden Schrei aus, zerriß seine Kleider und fiel rücklings um. Seine Diener liefen herbei, ließen die Vorhänge nieder und warfen ihm ein noch prächtigeres Kleid über, als das vorige war. Als er sich von seiner Ohnmacht erholt hatte, fing er an zu essen und zu trinken wie zuvor, und nachdem seine Schale zwei- bis dreimal die Runde durch die Gesellschaft gemacht hatte, schlug er in die Hände. Eine Tür tat sich auf, und man sah einen kleinen schwarzen Sklaven und eine junge Sängerin, noch schöner und geschmückter als die vorigen, hereintreten. Harun glaubte die Mittagssonne am wolkenlosen Himmel zu erblicken und sagte ganz leise zu seinem Wesir: »Ich habe wahrhaftig kein so schönes Geschöpf in meinem ganzen Harem.« Sie warf sich vor ihrem Gebieter nieder, der ihr ein Zeichen gab, sich zu setzen; dann nahm sie die Gitarre und sang nach einem harmonischen Vorspiel folgendes:

»Wo wird das Ziel seiner Kälte und unserer langen Trennung sein? Werden jene schönen, zu schnell verflossenen Tage je wiederkehren? Jene Tage, die uns an einem und demselben Zufluchtsorte im Schoße des Glücks, in Sicherheit vor den Neidern vereinigt sahen? Ein grausames Schicksal hat uns getrennt, und wir mußten jenen köstlichen Aufenthalt verlassen.

O du, der du meine Beständigkeit tadelst, was forderst du von mir? Nie werde ich ihn vergessen, nie wird mein Herz deinen Ratschlägen folgen; sie sind überflüssig. Laß mir meine Liebe, laß mir den Trost, über die Grausamkeit meiner Freundin zu seufzen.

Mag sie mich meiden, mag sie mich verabscheuen; ich werde doch nie aufhören, sie anzubeten, selbst mit Gefahr meines Lebens. Sie hat sich geändert, sie hat ihre Schwüre gebrochen; doch ich werde mich nie ändern, ich werde nie die meinigen brechen.«

Dieses Lied machte auf das Gemüt des neuen Kalifen keinen geringern Eindruck als die vorigen. Aber während man seine Kleider wechselte, enthüllte das zufällige Wegschieben eines Stücks vom Vorhange den Augen der Zuschauer ein ganz einziges Schauspiel. Sein Körper war mit frischen Wunden bedeckt, welche die Folgen einer harten Mißhandlung zu sein schienen. Harun, der ihn aufmerksam beobachtete, sagte ganz leise zu Giafar: »Das ist doch ein schöner junger Mann; aber ich vermute jetzt, daß er nichts weiter als ein großer Räuber ist.« – »Und warum das?« fragte Giafar. – »Hast du nicht bemerkt, daß sein Körper voll Narben ist, die ihn sogar zwingen, sich vor Schmerz zu krümmen?« –

Während sie so sprachen, hatten die Diener des vermeintlichen Kalifen den Vorhang fest zugezogen und kleideten ihren Herrn an. Er setzte sich darauf wieder an den Tisch, und man fing wieder an zu trinken.

Harun fuhr fort, ganz leise mit Giafar zu reden. Ihr Wirt hatte kaum dieses verstohlene Flüstern bemerkt, als er sie anredete: »Meine lieben Gäste, habe ich euch nicht schon einmal bemerkt, wie unschicklich diese leisen Gespräche sind?«

»Herr,« erwiderte Harun, »der Mann, der hier zu meiner Rechten sitzt, ist ein sehr großer Kaufmann; er hat viele Reisen in die verschiedensten Teile der Welt gemacht, er hat Fürstenhöfe, reiche und arme, besucht, und doch gestand er mir, nie etwas dem Ähnliches erlebt zu haben, was er heute gesehen. Du hast soeben mehrere prachtvolle Kleider zerrissen, die sehr bedeutende Summen kosten müssen; dergleichen kommt einem doch nicht alle Tage vor, und wir wünschten daher wohl die Ursache davon zu wissen. Sind wir dereinst einmal zu unserm Hause und Herde heimgekehrt, so werden wir nicht unterlassen, deine Pracht und Herrlichkeit zu rühmen und alles zu erzählen, was wir an deinem Hofe gesehen haben. Man wird uns dann gewiß fragen, welche Gründe du wohl gehabt haben magst, so kostbare Kleider zu zerreißen; für uns ist dies ein Rätsel, welches du allein lösen kannst.«

Der neue Kalif antwortete ihm: »Gute Freunde, alle diese Reichtümer gehören mir so wie meine Kleider, und diese deine Frage könnte meine Diener und Sklaven beunruhigen, denn die Kleider, die ich zerreiße, fallen ihnen zu, und ich bezahle ihnen auch noch den Wert derselben, das Stück zu fünfhundert Zechinen.«

Harun antwortete ihm durch folgende Verse:

»Die Freigebigkeit hat ihren Sitz in deinen Händen aufgeschlagen; du läuterst deinen Reichtum durch den Gebrauch, den du davon machst; und wenn die Wohltätigkeit ihren Tempel auf Erden verschlösse, würdest du seine Pforten wieder öffnen.«

Geschmeichelt durch ein so prächtig klingendes Lob, befahl der neue Kalif, ihm tausend Zechinen auszuzahlen. Harun bat lächelnd seinen Begleiter Giafar, sie in Empfang zu nehmen. Dieser nahm sie und sagte: »wir sind Dichter geworden, wir empfangen Wohltaten von Königen.«

Die Trinkschale fing wieder an, unter den Gästen umherzukreisen; alle überließen sich ohne Rückhalt der Fröhlichkeit, und der Wein verbannte jede Art des Zwanges. Harun benutzte die Freiheit, welche dieser Augenblick zu gestatten schien, um ihn wegen der Narben zu fragen, womit sein Körper bedeckt war; da er indes keine Antwort erhielt, so sagte er zu Giafar, er möchte dieselbe Frage tun. Dieser gab vor, daß der gegenwärtige Augenblick hierzu nicht günstig genug sei, und daß man sich noch etwas gedulden müsse. Harun bestand aber darauf und drohte, ihm den Kopf abhauen zu lassen.

Der neue Kalif, der ihre geheime Zwiesprache bemerkte, rief aus: »Wie oft soll ich es euch wiederholen, daß nichts unschicklicher ist als diese geheimen Unterredungen mitten in einer Gesellschaft? Ich will wissen, was ihr miteinander habt, aber hütet euch ja, mir die Wahrheit zu verhehlen.«

Giafar nahm das Wort und sagte zu ihm: »Herr, wir haben an deinem Körper Spuren von Schlägen bemerkt, die uns sehr in Verwunderung gesetzt haben, und wir besprechen uns soeben, dich um die Ursache davon zu befragen.«

Der neue Kalif lächelte bei dieser Frage und sprach: »Da ihr neugierig seid, meine Geschichte zu wissen, so will ich sie euch sehr gern erzählen; sie ist wirklich von außerordentlicher Art.« Nachdem er so gesprochen, stieß er einen Seufzer aus, ließ einige Tränen seinem Auge entschlüpfen und sagte folgende Verse her:

»Es ist ein Gewebe seltsamer Abenteuer, und ihr selber mögt entscheiden, ob ihr mir einige Aufmerksamkeit schenken wollt. Ich verspreche, euch einen treuen Bericht davon zu geben, woraus ihr einigen Vorteil schöpfen könnt. Ihr sehet hier ein trauriges Opfer der Liebe vor euch. Die, welche mein Herz verwundet hat, ist über jeden Lobspruch erhaben; ihre schönen schwarzen Augen, ihre rosigen Lippen, ihre hochgewölbten Augenbrauen sind die Waffen, die sie zu meiner Besiegung gebraucht hat. Doch wenn ich mich nicht täusche, so erzähle ich meine Leiden dem unumschränkten Herrn, dem Kalifen der Welt. Er ist hier mit seinem Großwesir Giafar, der mir oft Beweise der zärtlichsten Freundschaft gegeben, und mit Mesrur, dem Vollstrecker seiner erhabenen Befehle. Wenn meine Vermutung zutrifft, so bin ich am Ziele meiner Leiden, der Stern des Glücks wird dann für mich aufgehen, und ich überlasse schon mein Herz dieser süßen Hoffnung.«

Diese Verse kündigten deutlich genug an, daß unser Abenteurer seine Gäste erkannt hatte. Doch Giafar, um ihn wieder irre zu machen, sagte zu ihm: »Stellvertreter Gottes, es befindet sich unter uns keiner von denen, die du soeben genannt hast.« – »Höre auf, mich Stellvertreter Gottes oder Fürst der Gläubigen zu nennen,« sagte lächelnd der falsche Kalif, »denn ich bin es nicht. Ich habe diesen Titel bloß in der Hoffnung angenommen, daß er unter dem Volke Aufsehen erregen und daß der Kalif Harun Arreschid, davon benachrichtigt, mich vor sich rufen lassen würde, daß ich ihm dann meine Leiden erzählen könnte, die unfehlbar sein Mitleid erregen würden, so daß mir vielleicht noch einige glückliche Tage zuteil werden könnten.«

Harun nahm das Wort und sagte: »Deine Aufrichtigkeit verdient, daß man sie erwidert. Wir wollen dir also nur gestehen, daß wir keine Kaufleute, sondern Leute von der Hofdienerschaft des Kalifen sind; wir haben einigen Zutritt bei ihm, und wir werden unseren ganzen Einfluß anwenden, um dir zu dienen. Erzähle uns daher dein Abenteuer, damit wir es ihm mitteilen und dir den gewünschten Zutritt zu seiner Person verschaffen können; übrigens sei unbesorgt, es wird sich alles zu deiner völligen Zufriedenheit endigen.«

 

Einhundertundzweiundneunzigste Nacht.

Der falsche Kalif begann nun seine Erzählung wie folgt:

»Mein Vater hieß Mohammed, und ich heiße Ali Schach. Mein Vater hinterließ bei seinem Tode ein seltenes Vermögen: eine Million Zechinen in barem Golde, zwanzig Gärten, zehn Dampfbäder, zwanzig Gasthäuser, vierzig Häuser, fünfzehn Mühlen, zwölf Märkte, jeden zu vierundzwanzig Kaufläden, außerdem eine Menge von Edelsteinen aller Art. Nachdem ich ihm die letzten Pflichten erzeigt hatte, Almosen an die Armen verteilt und Schulden bezahlt hatte, trat ich seinen Handel an; ich beschäftigte mich nämlich mit Einkauf und Verkauf von Edelsteinen.

Als ich eines Tages ganz ruhig in meinem Laden saß, umgeben von meinen Sklaven und Bedienten, kam auf einmal ein junges Mädchen von hoher Schönheit auf mich zu. Du hast eine treue Schilderung von ihr in folgenden Versen:

»Der Mond in der Mitte des Nachthimmels ist nicht so glänzend als sie. Ihr halbgeöffneter Schleier ließ prachtvolle Haarlocken durchblicken. Ich fragte sie nach ihrem Namen. »Ich bin die,« antwortete sie, »welche die Herzen aller derer entflammt, die mich anblicken.« Ich suchte ihr meine Liebe und meine Wünsche zu schildern; sie begnügte sich, mir zu sagen: »Du merkst wohl nicht, daß du zu einem Steinfelsen sprichst.« – »Wenn du ein Steinfelsen bist,« erwiderte ich, »so weiß ich wenigstens, daß Gott auch Felsen zu erweichen versteht und Wasser aus ihnen hervorquellen läßt.«

Je näher sie kam, einen desto tieferen Eindruck machte der Anblick ihrer Reize auf mein Gemüt; ich wurde leidenschaftlich für sie eingenommen, und meine Augen hafteten starr auf ihr. Sie saß auf einer stattlichen Mauleselin, begleitet von drei Sklaven von der seltensten Schönheit; sie stieg an der Tür meines Ladens ab und setzte sich in demselben nieder, während ihre Sklaven in der ehrerbietigsten Stellung neben ihr stehenblieben. In dem Augenblick, wo ihr Fuß meine Schwelle berührte, richtete ich folgende Verse an sie:

»Sei gegrüßt, o Frühling, der bei mir einkehrt, bekränzt mit Anemonen, Narzissen, Perlen und Rosen!«

Sie grüßte mich voll Huld, und ich erwiderte ihren Gruß mit den Worten: »Edle Frau, Euere Gegenwart ist ein Zeichen von der glücklichsten Vorbedeutung; bedürft Ihr vielleicht meiner Dienste?« – »O ja, gar sehr, und in einer sehr wichtigen Sache; denn wenn du mir verschaffst, was ich wünsche, so werde ich dir dafür zu großem Dank verpflichtet sein.« – »Was steht Euch zu Diensten?« – »Ich wünschte ein schönes Diamantenhalsband.« – »Ich kann Euch mehrere dergleichen zeigen.« Ich legte ihr hierauf ein Halsband zu dem Preise von zweihundert Zechinen hin. »Ich wünschte ein noch kostbareres.« Ich zeigte ihr eines von vierhundert Zechinen; sie nahm es auch noch nicht an. So machte sie es mit mehreren andern, bis ich ihr endlich eines von siebzigtausend Zechinen wies. Bei dem Anblick desselben rief sie: »Das ist's, was ich schon so lange suchte; wieviel willst du dafür?« – »Ich habe bereits den Preis aufs genaueste gesagt,« erwiderte ich; »soviel kostet es mich selber.« – »Da es so ist, so werde ich dir tausend Zechinen als Profit obendrein geben.« – »Ich mag von Euch keinen Profit nehmen.« – »Das ist nicht recht; du bist Kaufmann und mußt von deinem Handel leben.« Sie stand sodann auf, bestieg ihre Mauleselin wieder und sagte mir, ich möchte mitkommen, um mein Geld in Empfang zu nehmen. Ich verschloß meinen Laden, und sie führte mich nach einem großen Gebäude, über dessen Eingang folgende Verse mit goldenen Buchstaben geschrieben waren:

»Friedliche Wohnung, möge nie der Unmut und die schwarze Sorge in deinen Umkreis dringen, und möge dein Besitzer stets hier vor den Streichen des Schicksals gesichert leben! Das schönste Haus ist dasjenige, welches wie du jedermann offen steht, und worin die Gäste nach Bequemlichkeit Platz finden.«

Beim Eintritt in das Gebäude,« fuhr Ali Schach fort, »wurde ich von der Pracht und dem Aufwand überrascht, der sich da zur Schau bot, und ich war darüber ganz in Gedanken vertieft, als eine Sklavin zu mir trat und sagte: »Meine Gebieterin sendet mich, um dir zu sagen, es zieme sich nicht für dich, so dazustehen; sie läßt dich einladen, in den Saal hereinzutreten und da auszuruhen bis zu der Ankunft ihres Zahlmeisters, der dir die verabredete Summe auszahlen wird.« Ich folgte ihr; sie hieß mich auf einem prachtvollen Sofa Platz nehmen, und meine Augen waren ganz geblendet von dem Reichtum der Teppiche und von der Schönheit der Gemälde und Inschriften, womit der Saal verziert war. Ich hatte mich kaum gesetzt, als eine andere Sklavin erschien und mich bat, in das innere Zimmer einzutreten. Ich glaubte in einen Zauberpalast versetzt zu sein; aber was mich am meisten überraschte, war ein goldener Thron, über welchem ein Thronhimmel hing mit zwei seidenen Vorhängen, die zu beiden Seiten emporgezogen waren, und durch welche man ein junges Mädchen dasitzen sah. Ich erkannte in ihr sehr bald diejenige, welche mein Halsband gekauft hatte; es war um ihren Hals befestigt und glänzte wie die Sterne im Nachtdunkel. Ihr entschleiertes Gesicht hatte den Glanz des Vollmonds.

Bei dem Anblick so vieler Reize wurde ich ganz betäubt, ein verzehrendes Feuer durchloderte mein Herz, und ich war fast nicht mehr Herr meines Entzückens. Sobald sie mich erblickte, stand sie auf, kam mir entgegen und sagte: »Der schönste der Liebenden fliegt sonst gewöhnlich seiner Geliebten entgegen, und ich mache es umgekehrt.« – »Einziges und vollkommenstes Ideal der Schönheit,« antwortete ich, »alle meine Huldigungen gebühren dir allein; der geringste deiner Reize wäre hinlänglich, eine Sterbliche schön zu machen.« – »Ali Schach«, sagte sie zu mir, »ich kann dir nicht länger die Liebe verhehlen, die ich zu dir gefaßt habe, lange schon sehnte ich mich nach dem Glück, dich zu sehen.« Indem sie so sprach, stürzte sie in meine Arme, umschlang mich und drückte mich fest an ihre Brust. Ich wollte den günstigen Augenblick benutzen; indes sie bemerkte sogleich meine Absicht und sagte zu mir: »Ali Schach, solltest du wohl die Rechte, die ich dir über mein Herz eingeräumt, auf die strafbarste Weise mißbrauchen wollen? Merke dir wohl, daß ich aus einer berühmten Familie stamme, und daß ich die Gesetze der Schamhaftigkeit und die Pflichten, die mir meine Geburt auflegt, wohl zu achten weiß. Weißt du nicht, wer ich bin?« – »Nein, schöne Frau!« – »Du hältst in deinen Armen Sittadunya, die Tochter eines Barmekiden und die Schwester des Großwesirs Giafar.« Bei diesen Worten ward ich von Entsetzen ergriffen, meine Augen hefteten sich an den Boden, und mit einer zitternden Stimme sagte ich: »Edle Frau, die Schuld lag nicht an mir, sondern an der Allgewalt Eurer Reize.« – »Fürchte nichts,« sagte sie hierauf, »wir werden bald durch ein rechtmäßiges Band vereinigt sein, ich darf über meine Hand frei verfügen. Der Kadi von Bagdad ist mein Vormund, und du kannst mich von diesem Augenblick an als deine Gemahlin betrachten.« Sogleich ließ sie den Kadi und Zeugen holen und sagte zu dem ersteren: »Hier ist der Juwelenhändler Ali Schach, der mich zur Ehe begehrt und mir dies Halsband, welches ich trage, zum Brautgeschenk gegeben hat. Ich habe seinen Antrag genehmigt und will ihn zu meinem Ehegatten.« Der Kadi machte keine Schwierigkeit, er faßte unsern Ehevertrag ab, und er empfing so wie auch die Zeugen reiche Geschenke. Als sie alle entlassen waren, befahl Sittadunya ihren Sklaven, das Hochzeitsmahl anzurichten. Man trug uns die ausgesuchtesten Speisen und die auserlesensten Weine auf. Von dem herrlichen Schmause erhitzt, legten wir diejenigen unserer Kleider ab, die uns unbequem waren. Eine junge Sängerin kam, um uns durch ihr Lautenspiel zu erheitern, und entfaltete den ganzen Zauber ihrer Stimme in dem Liede:

»Freund, ich beschwöre dich bei dem Namen des Höchsten, eile zu meiner Gebieterin und unterlaß nichts, um sie zu bewegen, mich zu sprechen. Stelle ihr die Ungerechtigkeit ihrer Sprödigkeit vor. Vielleicht werden deine zarten Vorwürfe sie sanfter machen. Scheint sie deinen Reden einige Aufmerksamkeit zu schenken, so sage ihr im Laufe des Gesprächs: Warum willst du den, der dich anbetet, zur Verzweiflung bringen? Sollte ihr ein Lächeln entschlüpfen, so fahre du mit derselben Sanftheit fort und erdreiste dich, ihr zu sagen: Wie wenig würde es dich kosten, ihn glücklich zu machen, wenn du ihm auch nur eine einzige Zusammenkunft bewilligtest! – Bemerkst du dann die geringste Veränderung in ihren Mienen oder irgend ein Zeichen von Zorn, so suche sie zu beruhigen und, wofern es nötig ist, sage sogar: Ich kenne ihn nicht.«

Die Musik nebst der melodischen Stimme entflammte meine Sinne und erfüllte meine Seele mit Lust. Zehn Sängerinnen sangen darauf die anmutigsten Lieder. Endlich ergriff meine Neuvermählte selber eine Laute, stimmte sie, spielte dann noch weit vorzüglicher als alle vorigen und sang dazu folgenden Gesang:

»Das Antlitz meines Geliebten hat den Glanz des Mondes: aber das Nachtgestirn hat nicht jenes anmutige Lächeln, das mich bezaubert. Wie schlank und dünn ist sein Wuchs! Jener Binsenstengel darf sich mit ihm an Zierlichkeit und Geschmeidigkeit messen! Der dunkle Streif seiner Oberlippe macht mich eifersüchtig; doch was mich tröstet, ist, zu sehen, wie der Kristall gegen die Perlen seiner Zähne weit zurücksteht. Wenn ich ihn in meinen Armen halte, so fühle ich die Lust durch meine Adern rollen, und doch wünschte ich, mich ihm noch enger anschließen zu können. Ich sauge an seinen Lippen, um die Glut zu löschen, die mich verzehrt, und mein inneres Feuer nimmt immer mehr überhand. Nein, ich werde nicht eher völlige Befriedigung fühlen, als bis ich meine Seele in die seinige verschmolzen sehe.«

Von Verwunderung und Entzücken hingerissen, rief ich aus: »Wiederhole dies letzte Lied, meine Vielgeliebte, wiederhole es, ich beschwöre dich!« Sie lächelte und sagte zu mir: »Ja, aber unter der Bedingung, daß du nachher auch singest.« – »Ich verspreche es dir.« – Sie wiederholte es, indem sie fortwährend ihre schönen schmachtenden Augen auf mich heftete. Als sie geendigt hatte, richtete ich folgende Verse an sie:

»Dank dem Höchsten, der an dich alle nur ersinnlichen Reize verschwendet hat; ich reihe mich mit Vergnügen unter die Zahl deiner Sklaven. O du, die du durch einen Blick deines Auges die Herzen der Sterblichen fesselst, wie konnte ich mich sichern vor dem mächtigen Zauber deiner Blicke! Deine Gesichtsfarbe ist so klar und so frisch wie das Wasser der Springquellen, und Rosen blühen auf deinen Wangen. Du bist zu gleicher Zeit die Qual und die Wonne meines Lebens. Welche Freudigkeit flößt mir deine Person ein! Habe Mitleid mit einem Unglücklichen, den alle Flammen der Liebe verzehren; ich kann nirgend anders das Glück finden als in deinem Besitze.«

Wie viel Süßigkeit auch immer die von dir gesungenen Verse für mich haben mögen,« fuhr ich fort, »so würde ich doch dessen weit mehr von deinen Lippen kosten.«

Dieser sinnreiche Einfall brachte die junge Prinzessin zum Lachen. »Ich werde mich wohl hüten, dir zu widersprechen,« rief sie aus; »es ist Zeit, uns zurückzuziehen, um andere Genüsse zu kosten. Sklavinnen, entfernt euch, ihr werdet jetzt Ruhe nötig haben.« Wir waren sehr bald allein; sie nahm mich nun bei der Hand und führte mich in das Zimmer, wo das Hochzeitsbette bereitet war. Das Bettgestell war von Ebenholz und mit Gold überzogen.

Meine junge Gemahlin war so gefällig, mich auszukleiden; jeden Augenblick unterbrach sie ihr Geschäft dadurch, daß sie mich an ihren Busen drückte, der von Moschus und Ambra duftete. Kaum war sie im Bette, als ich auch schon ihre süßeste Gunstbezeigung zu erlangen trachtete; aber sie verteidigte sich, verhüllte ihr Gesicht und entschlüpfte meinen Armen wie eine schüchterne Gazelle.

Betroffen über ihren Widerstand, rief ich: »Geliebte, was soll ich von diesem seltsamen Benehmen denken? Ich bin nun in Hinsicht deiner Gesinnungen zweifelhaft und weiß nicht, ob ich dir Liebe oder Haß eingeflößt habe.« – »Höre, Ali,« sagte sie zu mir, »wünschest du mich wohl zu besitzen?« – »Ganz gewiß, und um jeden Preis.« – »Nun so habe ich dir bloß eine Bedingung zu machen; wenn du diese erfüllst, so wirst du der geliebteste, der glücklichste der Sterblichen sein: solltest du sie aber verletzen, so kannst du auf meinen Zorn und auf meine Rache rechnen.« Ich ging alle Bedingungen, die sie etwa machen würde, im voraus ein. »Nun gut,« fuhr sie fort, »ich verlange, daß du nie ein anderes Weib erkennest außer mir.« »Ich schwöre es dir,« rief ich. Nun überließ sie mit vollem Vertrauen auf meinen Schwur sich ganz meinem Ungestüm, und wir brachten die ganze Nacht in Wonne hin, wie sie jener Dichter so schön schildert:

»Köstliche Nacht, im Schoße der Wollust verlebt: der Nachhall deiner Wonne wird mein ganzes Leben lang dauern. Eine junge Schöne, munter und lebhaft wie eine Gazelle, reichte mir meinen Becher, gefüllt mit funkelndem Trank. Ihr Wuchs ist so zart wie der Tag, und ihre harmonische Stimme weckt Sehnsucht in jedermanns Herzen. Beim Anblick so vieler Reize entbrannte ein verzehrendes Feuer in meinen Adern. Ihr Lächeln erregte es nur noch mehr. Ein Duft, süßer als Ambra, wehte aus ihrem Munde. Zähne oder vielmehr Perlen von blendender Weiße schmückten ihn. Die süßen Töne ihrer Stimme machten mich vollends trunken. Aber wie ward mir, als sie damit noch den Klang eines melodischen Instruments vereinigte! Bald darauf stand sie auf und ahmte in ihrem leicht hinschwebenden Gange das Schwanken der vom Morgenlüftchen bewegten Zypresse nach. Ich war nicht mehr Herr meiner selbst. Zu ihr hinfliegen, sie in meine Arme schließen, sie mit tausend feurigen Küssen bedecken, war für mich nur eins. Allmächtiger Gott, welche reizende Schätze entdeckte ich! Meine Geliebte teilte meinen Rausch, wir waren allein und vor allen Zudringlichen und Mißgünstigen sicher. Hütet euch wohl, Neugierige, in die Geheimnisse der Liebe eindringen zu wollen!«

Als die Morgenröte anbrach«, fuhr Ali Schach fort, »fand sie uns beide noch einander in den Armen liegend. Die ganze Nacht war vergangen, ohne daß wir auch nur ein Auge geschlossen hätten; indes, dem Übermaß von Lust und Ermattung erliegend, überließ ich mich endlich dem Schlaf. Ich schlief noch ganz fest, als eine leichte Hand über meine Schenkel und Füße hinfuhr und mich aus meiner Schlaftrunkenheit weckte; ich öffnete die Augen und erblickte eine junge Sklavin damit beschäftigt, mich zu krauen. Meine Blicke hefteten sich unwillkürlich auf sie; ich empfand das heftigste Verlangen; der Teufel führte mich in Versuchung, und gewiß war er es selber, der sich unter der Gestalt dieses jungen Mädchens zu mir hereingeschlichen hatte; denn sie war von hinreißender Schönheit. »Mein Kind,« sagte ich zu ihr, »woher kommst du? Wer bist du?« – »Ihr sehet hier eine Eurer Sklavinnen vor Euch, die sich sehr glücklich schätzen würde, wenn sie Euch zu gefallen imstande wäre, und deren Gefühle nur zu sehr mit ihren Pflichten übereinstimmen.« – »Aber ich erblicke ja nicht Sittadunya; wo ist sie denn geblieben?« – »Sie befindet sich im Bade und hat mir befohlen, Euch zu wecken, damit Ihr nachkommen könntet; allein, liebenswürdigster Gebieter, dürfte ich nicht in diesem Augenblick bei euch Sittadunyas Stelle vertreten? Vielleicht würdet Ihr in meinen Armen nicht weniger Genuß und Vergnügen finden als in den ihrigen.« – »Kann ich auf deine Verschwiegenheit rechnen?« – »Ich muß Euch darum bitten.« – Ihre zärtlichen Geständnisse entflammten meine Einbildungskraft; ich ergriff sie, um sie an meine Brust zu drücken. Aber wie groß war mein Erstaunen, als ich sah, daß sie sich sträubte. »Warum denn dieser Widerstand?« rief ich aus.

Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, als Sittadunya mit zornfunkelnden Augen und mit einer Peitsche hereintrat. »Verräter,« rief sie, »wo sind deine Schwüre? Kaum hast du sie getan, so sind sie auch schon gebrochen. Diese Sklavin hat bei dir bereits den Vorzug vor mir. Aber vernimm jetzt, daß ich sie selber zu dir geschickt habe, um deine Gesinnungen zu prüfen. Ich habe alles gesehen, alles gehört und darf jetzt an deiner Untreue nicht mehr zweifeln. Ungeheuer wie du verdienen nicht zu leben.«

In diesem Augenblick rief sie ihre Sklavinnen. Zwanzig Frauen ergriffen und banden mich, und man schickte sodann nach dem Polizeirichter. Sobald er kam, übergab man mich an ihn, und Sittadunya sagte zu ihm: »Hier ist ein Räuber, der auf frischer Tat ertappt worden; er hat uns verschiedene Sachen von Wert gestohlen. Laß ihn mit Ruten hauen, bis er seinen Diebstahl eingesteht; vor allen Dingen aber setze ihn ja nicht in Freiheit ohne meine Genehmigung.«

Nach dieser Anempfehlung verhüllte man mir den Kopf und führte mich in das Haus des Polizeirichters. Überall auf meinem ganzen Wege rief man: »Ein Dieb, ein Dieb!« Bei meiner Ankunft befahl der Polizeibeamte seinen Leuten, mir Stockschläge zu geben, bis ich das Verbrechen, dessen ich angeklagt war, eingestanden haben würde. Auf der Stelle fing man an, mich zu entkleiden und mit verdoppelten Hieben mich auf den Rücken zu schlagen, indem man immerfort rief: »Wo sind die Sachen, die du genommen hast?« Ich mochte zu ihnen immerhin sagen: »Ich habe ja gar nichts genommen; ich bin unschuldig«; alle meine Beteurungen halfen nichts, und sie schlugen immerfort auf mich los, bis ich die Besinnung verlor. Als der Beamte mich in diesem Zustande sah, ließ er mich in ein finsteres Loch werfen. Die Nacht kam heran, und meine sich abkühlenden Wunden verursachten mir brennende Schmerzen, welche mir dumpfe Seufzer entlockten. Während ich mich so beklagte, öffnete sich auf einmal die Mauer, und ein junges Mädchen, glänzend wie die Sonne nach einem Ungewitter, trat daraus hervor, näherte sich mir und sagte: »Junger Mann, du hast mir diese Nacht viel Unruhe gemacht. Seit langer Zeit habe ich hier meinen Aufenthalt, ich habe schon viele Gefangene hier gesehen, aber keiner hat so bittere Klagen geführt als du.« – »Schöne Unbekannte,« sagte ich zu ihr, »solltest du die Ursache meiner Klagen wissen, so würdest du, anstatt sie zu tadeln, ihnen dein Mitleid schenken. Sieh einmal die schreckliche Behandlung an, die ich hier erfahren habe.« Zugleich zeigte ich ihr die Wunden, womit ich bedeckt war. Sie konnte sich beim Anblick derselben einer Anwandlung von Mitleid nicht erwehren und sagte: »Solltest du bloß durch Zufall ein Dieb gewesen sein?« – »Nein, ganz und gar nicht,« antwortete ich, »ich schwöre es bei dem Allmächtigen, nie habe ich etwas entwendet, nie einem etwas zuleide getan; meine Leiden sind einzig und allein das Werk eines feindlichen Geschicks.« Die Unbefangenheit meiner Antwort überzeugte sie; ich erregte sogar ihre Neugierde und Teilnahme, und sie bat mich, ihr mein Abenteuer zu erzählen. Ich suchte ihren Wunsch mit der größten Aufrichtigkeit zu befriedigen. Nachdem sie meine Erzählung angehört hatte, sagte sie zu mir: »Würdest du wohl dich zu rächen wünschen? Wenn du willst, so werde ich zu der grausamen Sittadunya einen meiner Diener senden, der sie quälen und sogar verhindern wird, Nahrung zu sich zu nehmen.« – »Gott behüte,« erwiderte ich, »daß ich je einwillige, ihr den geringsten Schmerz zu verursachen. Sie ist immer noch meine Heißgeliebte, und mein Herz gehört ihr; ich werde selbst ihre Ungerechtigkeit stets verehren.«

»Junger Mann, ich begreife dich nicht. Die Grausame hat dich in die Hände des Polizeirichters gebracht, der an dir eine ebenso strenge als ungerechte Strafe vollzogen hat, und jetzt, wo Gelegenheit ist, dich zu rächen, verschmähest du meine Anträge.« – »Erinnere dich,« sagte ich darauf zu ihr, »jenes alten Sprichwortes: Die Schläge von der Hand einer Freundin scheinen so süß wie Weintrauben, und die Steine, die sie auf uns wirft, sind Granatäpfelkörner.« Zugleich zerfloß ich in Tränen und sagte folgende Verse:

»Lebe glücklich, meine zarte Freundin, laß mich seufzen und im stillen dich anbeten. Ich werde stets alles lieben, was von dir kommt, und selbst deine Härte wird mir eine Wohltat dünken.«

Die schöne Unbekannte lächelte. »Junger Mann,« sagte sie zu mir, »diese Gesinnungen gefallen mir, denn sie zeigen die Reinheit deines Herzens an. Es würde nur von dir abhängen, augenblicklich aus diesem Gefängnis herauszukommen; ich würde dich in einen prächtigen Palast führen, deine Vielgeliebte würdest du da in tiefem Schlummer antreffen, und sie würde nicht eher erwachen, als bis du sie in deine Arme schließen würdest. Aber ich fürchte bloß, daß sie, anstatt über die Aufrichtigkeit deiner Rückkehr erfreut zu sein, immerfort noch böse sein und dich fragen könnte, wer dein Befreier gewesen. Du würdest ihr dann antworten: Es war eine Frau, die ich nicht kenne. Da sie nun mich noch viel weniger kennen und nicht wissen würde, wie gefährlich es ist, mir zu mißfallen, so wäre es möglich, daß sie dich wieder in die Hände des Polizeirichters ablieferte, der dann nicht unterlassen würde, dir, bevor ich es noch erführe, den Kopf abschlagen zu lassen. Um für eine solche Ungerechtigkeit Rache zu nehmen, müßte ich dann einen meiner Diener zu ihr mit dem Auftrage absenden, sie zu mißhandeln und bis auf den Tod zu peitschen; allein du hast mir zu viel Freundschaft eingeflößt, als daß ich dich einer so großen Gefahr aussetzen könnte. Ich habe ein sicheres Mittel, das mit keiner Gefahr verknüpft ist. Ich werde dir nämlich einen Talisman geben, der dir nichts zu wünschen übriglassen wird; du wirst dann keine Macht der Erde fürchten dürfen, und nichts wird dir unmöglich sein; deine Heißgeliebte wird ganz von deiner Willkür abhängen, du wirst sie nach deinem Gutdünken verderben oder begnadigen können, du wirst unumschränkt in der Stadt Bagdad gebieten können und wirst von keiner Seite her den mindesten Widerstand finden; es wird bloß von dir abhängen, den Kalifen abzusetzen, ihn umbringen zu lassen und sogar diese Hauptstadt von Grund aus zu zerstören.« Mit diesen Worten zog sie einen Ring aus ihrem Busen, den sie mir an den Finger steckte und dabei sagte: »Sobald du etwas wünschen solltest, darfst du nur den Kasten dieses Ringes drehen, und sogleich wirst du vor dir meinen vertrauten Diener erscheinen sehen, dessen Macht sozusagen unbeschränkt ist. Es ist einer von jenen Geistern, die sich gegen Salomon empörten, und wird pünktlich alle deine Befehle vollziehen. Probiere in meiner Gegenwart die Eigenschaft des Ringes.«

 

Einhundertunddreiundneunzigste Nacht.

Ich drehte sogleich den Kasten des Ringes und sah sogleich die Gestalt erscheinen, wovon meine Befreierin mir gesagt hatte. »Hier bin ich, Herr,« sagte die Gestalt zu mir; »was verlangst du?« – »Wie ist dein Name?« – »Ich heiße Heïlfus.« – Er hatte ein fürchterliches Ansehn; zwei ungeheure Zähne, so groß wie Mühlsteine, ragten aus seinem Munde hervor. »Könntest du mir wohl,« sagte ich zu ihm, »einen Palast mit einem sehr hohen Saale bauen?« – »Sehr gern, ich mache mich sogar anheischig, ihn aufs prächtigste zu möblieren und ihn mit allen den Dienern und Sklaven anzufüllen, die zu deinen Diensten erforderlich sind, und wenn du dich darin eingerichtet haben wirst, so darfst du bloß deine Wünsche äußern, und du wirst sie augenblicklich erfüllt sehen.« – »Wieviel Monate werden erforderlich sein, ehe ich diesen Palast beziehen kann?« – »O wer wird da von Monaten reden!« – »Oder wieviel Wochen?« – »Du darfst da weder eine Woche noch auch einen einzigen Tag warten; noch in dieser Nacht soll alles angeordnet werden. Sage mir bloß, welcher Platz dir am besten gefallen würde; ist er zufällig etwa schon besetzt, so werde ich die Bewohner desselben vertilgen. Dein Palast soll noch vor Sonnenaufgang fertig gebaut sein, und ich hoffe sogar, er wird deine Erwartung übertreffen.« – »Gott bewahre mich,« sagte ich hierauf, »daß ich je einem seiner Geschöpfe ein Leides zufügen oder die Ruhe desselben stören sollte.« – »Willst du lieber, daß ich deinen Palast auf den Ruinen des Schlosses des Kalifen oder auf denen seines Wesirs Giafar aufführen soll? Du darfst es bloß sagen.« – »Heïlfus,« antwortete ich ihm, »ich habe mich weder über den Kalifen noch über seinen Wesir zu beklagen, und ich werde niemals ein Glück auf Kosten des ihrigen annehmen. Wenn es in deiner Macht steht, mir einen Palast zu verschaffen, so erbaue ihn an irgend einem äußersten Ende der Stadt an einem Orte, wo er niemandem schadet.« – »Folge mir,« sagte darauf die Gestalt. Er führte mich nun aus der Stadt hinaus, errichtete mir auf einer kleinen Anhöhe ein Zelt und brachte mir dahin die köstlichsten Stärkungsmittel. Nachdem ich gegessen und getrunken hatte, überließ ich mich dem Schlafe, und die Morgenröte begann eben anzubrechen, als ich meine Augen aufschlug. Ich befand mich in einem Palaste, der bereits mit aller Pracht möbliert war, ganz so, wie du ihn hier siehst. Eine zahlreiche Schar von Sklaven und Sklavinnen umgab mich. »Wem gehört dieser Palast?« fragte ich Heïlfus. – »Er gehört dir, und alle Sklaven, die du da siehst, stehen zu deinen Befehlen.« – »Woher kommt dies alles?« – »Herr, wir gehören zu der Zahl jener Geister, denen nichts unmöglich ist, und ich habe eine Menge geringerer Geister zu meinen Befehlen. Einigen gab ich den Auftrag, mir einen Knaben und ein Mädchen zu verschaffen, und sie haben dergleichen unter den Kindern der Fürsten und Großen dieser Erde ausgesucht; andere waren mit dem Bau des Gebäudes beschäftigt, und ein jeder von ihnen durfte bloß einen einzigen Stein oder ein einziges Möbel zu diesem Palaste herbeibringen. Übrigens sind keineswegs alle meine Diener dabei beschäftigt gewesen, denn ich habe bloß den zehnten Teil derselben dazu gebraucht; solltest du noch etwas wünschen, so wird dein Wunsch schnell erfüllt sein.« Ich nahm jetzt von meiner neuen Wohnung Besitz; die Sklaven traten rings um mich her und erwarteten schweigend meine Befehle. Ich verlangte von meinem Geiste eine Gondel, und augenblicklich verschaffte er mir die, welche du gesehen hast; ich bediente mich derselben zu Lustfahrten auf dem Tigris, indem ich vor mir her das Verbot ausrufen ließ, daß sich niemand auf dem Strom, ja nicht einmal am Fenster blicken lassen solle. Zugleich nahm ich den Kalifentitel an, damit diese Neuigkeit von Mund zu Mund gehen und endlich bis vor die Ohren Harun Arreschids kommen möchte; ich hatte dabei keine andere Absicht als die, seine Neugier zu reizen und seinen Argwohn rege zu machen. Er wird mich ohne Zweifel augenblicklich holen lassen, und ich werde ihm dann mein Abenteuer erzählen. Es ist unmöglich, daß er nicht meinem Schicksale irgend einige Teilnahme schenken sollte. Er allein kann mich von den Verfolgungen Sittadunyas befreien, wenn er ihrem Bruder Giafar befiehlt, mich mit ihr auszusöhnen; alle ihre Ungerechtigkeiten haben meine Liebe zu ihr nicht zu schwächen vermocht; der Schlaf flieht fern von meinen Augen hinweg, und mein Dasein ist mir lästig. Diese Frau ist mir übrigens zu teuer, als daß ich je daran denken könnte, mich für ihre Grausamkeit an ihr zu rächen, und wie könnte ich überhaupt gegen ihren Bruder Giafar irgend Haß fassen? Er weiß ja nicht, was zwischen uns vorgefallen ist. Sie war es, welche unsere Verbindung wünschte, sie warf in mein Herz die ersten Funken jenes verzehrenden Feuers, sie hat mich in den Abgrund der Leiden gestürzt, worin du mich siehst. Doch alle diese Ereignisse waren ohne Zweifel im Buche der Schicksale geschrieben, und wenn denn einmal der Wille des Höchsten so ist, so können sie auch wohl noch einen glücklichen Ausgang nehmen.«

Die Erzählung aller dieser seltsamen Abenteuer versetzte den Kalifen in das größte Staunen; nicht ohne einen geheimen Schauder sah er die fast unbegrenzte Macht Ali Schachs. »Junger Mann,« sagte er zu ihm, »hast du je Ursache gehabt, dich über den Kalifen zu beklagen?« – »Nein,« antwortete dieser, »Harun Arreschid ist ein Fürst, der ebenso groß als gerecht ist; er kennt mich nicht, und er hat wohl nie von mir reden hören; doch wofern Ihr einigen Zutritt bei ihm habt, so seid so gefällig, mein Vermittler zu sein und ihn zu veranlassen, daß er meinen Qualen ein Ende macht und mich mit Sittadunya aussöhnt.« – »Ali Schach,« erwiderte Harun, »wie solltest du bei dem Besitz so vieler Mittel noch des Kalifen oder irgend eines andern bedürfen? Vermagst du nicht die Ereignisse nach deinem Belieben zu lenken?« – »Wenn ich meine Macht anwenden sollte, so würden daraus unvermeidliche Unannehmlichkeiten entstehen. Da meine Untreue das Herz meiner Gemahlin von mir entfremdet hat, so müßte ich fürchten, daß jeder Schritt der Annäherung von meiner Seite ihr nur noch mehr Stolz einflößen würde. Sie würde nicht unterlassen, das Unrecht, welches ich ihr getan, zum Anlaß zu nehmen, um mich noch einmal mit derselben Härte zu behandeln; ich würde dann meinen Zorn nicht mehr unterdrücken können; sie würde sich gewiß dafür zu rächen suchen, denn sie ist Frau; endlich wäre es sogar möglich, daß der Kalif, für welchen ich die aufrichtigsten Wünsche hege, über meine unkluge Verwegenheit ergrimmt, mir es niemals verzeihen würde, daß ich mir seinen Titel und seine Rechte angemaßt.« – »Je nun, was würdest du dir aus seinem Zorne machen, da seine Rache dich ja nicht erreichen kann? Du besitzest einen Talisman, der eine Macht gibt, die weder der Kalif noch seine Vorfahren jemals besessen haben, und die dich vor allen seinen Verfolgungen sicherstellt.« – »Du hast recht; aber Gott selbst beschützt die Majestät des Thrones, und es würde die höchste Ruchlosigkeit sein, gegen denjenigen sich aufzulehnen, der im Besitz der höchsten Gewalt ist; denn der Höchste sagt selber in seinem Koran: »Seid den Gewaltigen der Erde untertan!«

Diese Antwort befriedigte und beruhigte den Kalifen. »Deiner Hochachtung gegen die heiligen Rechte des Fürsten zufolge werden wir uns beeifern, deine Angelegenheit dem Kalifen vorzutragen, und wir hoffen, daß uns alles nach Wunsche gelingen wird.«

Nach dieser Unterredung bat Harun nebst seinen Begleitern um die Erlaubnis, sich entfernen zu dürfen. Ali Schach wollte sie noch aufhalten und lud sie ein, noch eine Nacht bei ihm zuzubringen; allein sie entschuldigten sich damit, daß sie sagten: »Wir fürchten, daß der Kalif nach uns fragen und uns dann finden könnte; auch können wir uns nicht auf so lange entfernen. Indes rechne auf unsere Pünktlichkeit. Morgen wird er einige Beamte seines Hofes, ein Musikchor und ein Ehrenkleid an dich schicken nebst der Einladung, daß du in den Diwan kommen und dort deine Angelegenheit zu Ende bringen möchtest.« – »Es ist meine Pflicht,« antwortete Ali Schach, »ihm ein Geschenk zu schicken; ich hoffe, daß ihr gefälligst es übernehmen werdet, um es ihm in meinem Namen zu überreichen und ihn zur Annahme desselben zu bewegen.« Zugleich nahm er aus einem Schmuckkästchen zwei Diamantenhalsbänder. Harun weigerte sich, sie anzunehmen, wegen ihres unermeßlichen Wertes; doch Ali Schach bestand darauf und übergab sie bei der hartnäckigen Weigerung Haruns an den Wesir Giafar, der sie auch übernahm.

Der Tag begann schon anzubrechen, als sie nach dem Palaste des Kalifen zurückkehrten. Der Kalif hatte, bevor er im großen Sitzungssaale den Thron bestieg, noch eine geheime Unterredung mit dem Großwesir. »Deine Schwester also,« sagte er zu ihm, »ist die Hauptursache der Abenteuer, die wir soeben vernommen haben, sowie auch derer, die uns selber begegnet sind.« – »Herr, ich wußte nichts von alledem.« – »Ich will es wohl glauben,« erwiderte der Kalif; »doch ich befehle dir, deine Schwester aufzusuchen und sie zu bewegen, daß sie sich mit ihrem Manne aussöhnt; ihre Weigerung würde dein und ihr Verderben nach sich ziehen.« – »Ich eile, um deinen hohen Befehlen zu gehorchen, Fürst der Gläubigen,« antwortete der Wesir. Zitternd ging er aus dem kaiserlichen Palaste fort. Beim Eintritt in sein Haus fand er seine Schwester in Tränen schwimmen; denn sie liebte den Ali Schach fast mehr noch, als sie von ihm geliebt wurde. Die Rache, die sie an diesem Ungetreuen genommen, war bloß eine natürliche Folge ihrer heftigen Liebe gewesen; doch kaum hatte sie ihn dem Polizeibeamten überliefert, so machte der Zorn bei ihr dem Mitleid Platz, und sie hatte sehr bald ihre Grausamkeit bereut. Den folgenden Tag schon hatte sie den Befehl hingeschickt, ihn aus dem Gefängnis herauszulassen und in ihr Haus zu führen; aber er war verschwunden. Bei dieser schrecklichen Nachricht hatte sie sich ganz der Verzweiflung überlassen, der Schlaf war von ihren Augen geflohen, Ströme von Tränen entrollten ihr Tag und Nacht, und in diesem Zustande befand sie sich noch, als ihr Bruder sie aufzusuchen kam. »Warum vergießest du Tränen, meine teure Sittadunya?« fragte er sie. Sie wollte ihm anfangs die Ursache ihrer Betrübnis verhehlen; doch wie vielen Zwang sie sich auch antat, der Name Ali Schach, welcher ihr mitten unter ihren Seufzern entschlüpfte, verriet ihr Geheimnis. »Wer ist denn dieser Ali Schach, dessen Namen du so oft aussprichst?« fragte sie ihr Bruder. – Nachdem die junge Prinzessin sich wieder gefaßt hatte, erzählte sie ihre Geschichte ganz treu. »Wie?« rief Giafar, »das alles ist vorgefallen, ohne daß ich darum wußte?« – »Ich fürchtete deinen Beifall nicht zu erhalten; denn du würdest mir unfehlbar vorgestellt haben, wie tief die Tochter und Schwester eines Wesirs unter ihrem Stande heirate, wenn sie sich mit dem Sohne eines Kaufmanns vermähle, und die Liebe, die er mir eingeflößt, zwang mich nun, vor dem teuersten Bruder ein Geheimnis zu haben.«

Giafar wollte sich nicht länger verstellen; er erzählte ihr die Reihe von Abenteuern, die ihrem Gemahl begegnet waren, und fügte dann hinzu: »Wenn der Kalif mir nicht aufgetragen hätte, euch zu versöhnen, so würde ich dich in diesem Augenblick erdolcht haben; indes laß alle Furcht fahren, du wirst den, welchen du so zärtlich liebst, wiedersehen; suche ihm die schlechte Behandlung, die er auf deinen Befehl erlitten, vergessen zu machen.«

Als Giafar nach dem kaiserlichen Palaste zurückkehrte, waren schon die Hofbeamten nebst dem Musikchor abgegangen, um an Ali Schach das Ehrenkleid zu überbringen. Bald darauf kam dieser selbst. Als er erschien, stand Harun auf, trat ihm einige Schritte entgegen und geruhte, ihn neben sich Platz nehmen zu lassen. Unter andern angenehmen Sachen sagte er ihm auch: »Du hattest gestern an deiner Tafel drei Gäste, die dich aufrichtig lieben; nämlich mich, den Wesir Giafar und Mesrur. Ich will dich nicht länger aufhalten. Mein Wesir ist beauftragt, dich zu deiner Gemahlin zu führen; ich wünsche, daß du ihre Entschuldigungen nicht zurückweisen und ihr dein Herz wiederschenken magst, ich hoffe, sie wird von nun an minder streng sein und diejenige Achtung gegen dich beweisen, die einem Ehegatten und besonders einem Manne, wie du bist, gebührt.« Giafar führte ihn auch wirklich in seinen Palast, wo Sittadunya sie erwartete. Als er hineintrat, stand sie auf, entschuldigte sich gegen ihn, und ihre Versöhnung ward durch gegenseitige Umarmungen besiegelt. Ali Schach brachte den übrigen Teil des Tages und die ganze Nacht bei ihr in dem Schoße der süßesten Vergnügungen hin.

Den folgenden Tag ging er nach dem Diwan. Der Kalif ließ ihn nochmals neben sich Platz nehmen und überhäufte ihn mit Ehrenbezeigungen. Ali Schach verwendete die übernatürliche Macht, womit er begabt war, dazu, um die Unternehmungen Haruns zu unterstützen und seinen Ruhm zu vermehren. So verlebten sie denn ein ganzes Jahr in der innigsten Freundschaft.

Als er eines Tages in seinen Palast zurückkehrte, fand er seine geliebte Sittadunya von einer tödlichen Krankheit befallen. Er setzte sich neben sie und verließ sie nicht während der ganzen Krankheit, die bloß drei Tage dauerte; am vierten starb sie. Dieser Verlust verursachte ihm eine so tiefe Betrübnis, daß er jede Art von Trost verschmähte und bald darauf selber starb. Man beerdigte beide in demselben Sarge und in demselben Grabe, nachdem man ihre Körper sorgfältig gewaschen hatte. Harun war selber bei dem Leichenbegängnis zugegen und beweinte lange Zeit Ali Schach; denn er liebte ihn sehr. Indes, da die Könige nie ihren Vorteil aus dem Auge verlieren, so befahl er dem Giafar, jenen Zauberring zu suchen; allein wie sehr man auch nachsuchte, es war nicht möglich, ihn zu finden.«

Als Scheherasade diese Geschichte vollendet hatte, bezeigte ihr der Sultan, wie viel Vergnügen sie ihm dadurch gemacht habe; und da der Tag noch nicht anbrach, so genehmigte er gern, noch folgendes Abenteuer anzuhören:


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