Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Frauenlist.

»Man erzählt, daß in der Stadt Bagdad einst ein liebenswürdiger Jüngling von der anmutigsten Gestalt und dem zierlichsten Wuchs gelebt habe; es war dies der ausgezeichnetste unter allen Kaufmannssöhnen. Als er eines Tages in seinem Laden saß, ging ein reizendes Mädchen vorüber. Sie schlug die Augen empor, sah ihn an und bemerkte über der Tür seines Ladens in sehr schönen Zügen folgende Worte geschrieben: »Es gibt keine List außer der Männerlist; denn sie übertrifft noch die List der Frauen.« Sie ärgerte sich darüber, und nachdem sie eine Weile nachgedacht, sagte sie: »Ich schwöre es bei meinem Schleier, er soll ein Spiel der Frauenlist werden und diese Inschrift ändern!«

 

Einhundertundvierundneunzigste Nacht.

Den folgenden Tag kam sie wieder. Sie hatte das zierlichste Gewand an, war mit den kostbarsten Juwelen geschmückt, ihre Hände waren mit Henna gefärbt, und ihre Haarflechten rollten auf ihre Schultern herab. In ihrem Gange schwebte sie voll Adel und Leichtigkeit dahin, ihre Sklavinnen folgten ihr, bis sie sich endlich in den Laden dieses Kaufmanns hinsetzte unter dem Vorwand, nach allerlei Waren zu fragen. Nachdem sie ihn gegrüßt hatte, knüpfte sie das Gespräch mit ihm an. »Seht doch einmal,« sagte sie zu ihm, »meinen schönen Wuchs an, und wie gerade gewachsen ich bin; ist es wohl erlaubt, sich über mich aufzuhalten und zu sagen, ich sei bucklig?« Zugleich enthüllte sie einen Teil ihrer Brust. Bei dem Anblick dieses blendendweißen Busens wurden dem Kaufmann alle Sinne betäubt, er verlor alle Fassung und rief: »Gott, verhülle dich mit einem Schleier!« – »Kann man sich wohl erlauben,« erwiderte sie, »zu sagen, daß ich eine gemeine Figur habe?« Zugleich zeigte sie ihm ihren entblößten Vorderarm, den man für Kristall gehalten haben würde; sie entschleierte ihr Gesicht, welches dem Vollmonde glich, wenn er seiner vierzehnten Nacht entgegengeht, und sagte darauf zu ihm: »Wer kann wagen, zu behaupten, daß mein Gesicht durch Blattern entstellt sei, und daß ich bloß auf einem Auge sehe?« Der Kaufmann gestand, daß sie recht habe. »Aber, edles Fräulein, welcher Grund hat Euch denn bewogen, mir die Teile Eures Körpers enthüllt zu zeigen, die sonst gewöhnlich durch einen Schleier verhüllt sind?« – »Ihr werdet wissen, Herr,« erwiderte sie, »daß ich die unglückliche Tochter eines Vaters bin, welcher der ärgste Tyrann und der verächtlichste Geizhals ist, der die geringste Ausgabe scheut und keine Aufopferung machen will, um mich zu versorgen, ungeachtet der Wohltaten, womit der Höchste ihn gesegnet hat; er ist zugleich einer der mächtigsten Männer dieser Zeit und mit allen Vorzügen und Glücksgütern dieser Welt reichlich ausgestattet.« – »Wer ist denn dein Vater, und welches ist denn sein Stand?« – »Mein Vater ist Großkadi bei dem Gerichtshofe, zu welchem alle Beamten in der Stadt gehören.« Mit diesen Worten verließ sie ihn und ging hinweg. Der trostlose Kaufmann, der von Liebe und Staunen hingerissen war, wußte nicht, ob er lebendig oder tot sei. Augenblicklich verschloß er seinen Laden und eilte nach dem Gerichtshofe zu dem von ihr bezeichneten Staatsbeamten. Er tritt ein, begrüßt ihn, setzt sich nieder und sagt zu ihm: »Ich komme mit einem Gesuche zu Euch; ich bin nämlich leidenschaftlich für Eure geliebte Tochter eingenommen.« – »Freund,« erwiderte der Richter, »meine Tochter paßt nicht für Euch. Sie ist weder einen so jungen Mann wert, noch Eurer liebenswürdigen Eigenschaften und Eurer freundlichen Bewerbung würdig.« – »Diese Reden ziemen sich nicht wohl für Euch; Eure Tochter gefällt mir; warum wollt Ihr meiner Absicht entgegen sein?«

Sie wurden endlich eins und setzten in dem Ehevertrag fest, daß der zukünftige Ehemann fünf Beutel vor der Hochzeitfeierlichkeit und fünfzehn Beutel nachher als Wittum, um einer etwaigen Ehescheidung vorzubeugen, zahlen solle. Der Vater ließ es nicht an Vorstellungen bei ihm fehlen, doch dieser achtete nicht darauf und verlangte schon für die nächste Nacht Zutritt bei ihr. Als sie nun wirklich in der folgenden Nacht zusammenzukommen im Begriff waren und der künftige Ehemann sein Abendgebet verrichtet hatte, trat er in das Zimmer, welches für ihn bereitet war. Er zog den Schleier von dem Gesicht seiner Verlobten, betrachtete sie aufmerksam und erblickte ... ein Ungeheuer von Mißgestalt. Man fand in diesem Mädchen alles vereinigt, was zur vollständigsten Häßlichkeit gehört. Er brachte also die Nacht mit ihr so zu, als ob er sich in den Gefängnissen des Deylem befunden hätte. Er sehnte sich bloß nach dem Anbruch des Morgens, um sie zu verlassen und in ein Bad gehen zu können.

Er schlummerte da eine Weile, verrichtete seine Abwaschungen, begab sich dann in seinen Laden, öffnete ihn und trank seinen Kaffee. Die Leute vom Hafen, die Kaufleute und die angesehensten Privatpersonen fingen an, sich bei ihm einzufinden, einige einzeln, andere in zahlreicher Gesellschaft beisammen. Sie scherzten mit ihm und sagten: »Du hast uns also nicht für würdig geachtet, uns eine Schale Kaffee bei dir einnehmen zu lassen? Die Reize deiner jungen Gattin haben dir vermutlich den ganzen Kopf und Verstand eingenommen. Der Höchste mache euch recht glücklich!«

Als der Tag schon etwas weiter vorgerückt war, kam auch die Urheberin dieses Scherzes gegangen. Sie neigte sich und schwebte sanft daher wie ein junger Zweig in einem Garten. Sie war noch zierlicher gekleidet und noch wollüstiger geschmückt als den vorigen Tag, und zwar so, daß die Vorübergehenden sich in zwei Reihen stellten, um sie zu sehen. Sie setzte sich in den Laden und wünschte ihm einen guten Tag mit den Worten: »Möge dieser Tag für dich glücklich sein, mein lieber Olaeddin! Gott beschütze dich, er mache dich fröhlich und über alle Maßen zufrieden!« Auf dem Gesicht des Kaufmanns spiegelte sich seine Traurigkeit ab, er runzelte die Stirn, ehe er antwortete, und sagte dann zu ihr: »Erkläre mir, was ich dir getan habe, daß du so gegen mich gehandelt hast?« – »Du hast mir nichts getan,« erwiderte sie, »aber jene Inschrift über der Tür deines Ladens hat mich beleidigt. Kannst du sie ändern und das Gegenteil hinschreiben lassen, so will ich dich aus diesem schlimmen Handel ziehen.«

Augenblicklich zog der Kaufmann ein Goldstück hervor, gab es einem Sklaven und sagte zu ihm: »Geh zu dem und dem Schreiber und sage ihm, er solle mit den schönsten Buchstaben blau und golden die Worte hinschreiben: »Es gibt keine List außer der Frauenlist; denn sie übertrifft noch die Männerlist.« – »Laufe nur augenblicklich,« rief das junge Mädchen.

Der Sklave suchte den Schreiber auf, der sofort die Inschrift hinzeichnete. Der Sklave brachte sie seinem Herrn, und dieser brachte sie über seinem Laden an. Das junge Mädchen sagte hierauf zu ihm: »Stehe jetzt auf, gehe nach der Gegend der Zitadelle, triff da mit den Possenreißern, den Affen- und Bärenführern eine Verabredung und befiehl ihnen, morgen früh dich im Justizpalaste aufzusuchen. Du wirst alsdann dasitzen und bei deinem Schwiegervater, dem Kadi, Kaffee trinken. Sie werden dir dann Glück wünschen, dich mit Segenswünschen überhäufen und ausrufen: »Deine Tage mögen recht glücklich sein, lieber Vater, o du, unser Augapfel! Solltest du dich unser auch schämen, so werden wir uns doch eine Ehre daraus machen, mit dir verwandt zu sein; selbst wenn du uns fortjagen und von dir weisen solltest, wir werden dich dennoch nicht verlassen; denn du bist ja der Sohn unseres Oheims.« Dann mußt du anfangen, Geld und allerlei Münze unter sie auszustreuen. Der Kadi wird dich darüber befragen, und du mußt ihm dann antworten: »Mein Vater war eigentlich ein Affenführer, und dies ist mein Familiengewerbe; indes, da uns Gott wohlhabend gemacht hat, so haben wir uns als Handelsleute bei dem Aufseher des Hafens in einige Achtung gesetzt.«

Er tat es, und alles kam so, wie es das junge Mädchen vorausgesagt hatte.

»Du bist also,« sagte der Oberrichter zu seinem neuen Schwiegersohne, »ein Herumführer von Affen und gehörst also zu der Possenreißertruppe?« – »Ich kann,« erwiderte der Kaufmann, »deiner Tochter zuliebe nicht meine Familie verleugnen.« – »Aber deshalb ziemt es sich immer nicht,« fuhr der Richter fort, »daß die Tochter eines Rechtsgelehrten, der auf dem Teppich sitzt, wo die Urteilssprüche gefällt werden, und dessen Geschlecht bis zu den Verwandten des Propheten Gottes hinaufsteigt, dir zur Frau gegeben werde; es ziemt sich nicht, daß die Tochter eines solchen Mannes einem Affenführer oder Taschenspieler preisgegeben werde.« – »Allein,« sagte der Kaufmann zu ihm, »ehrwürdiger Gesetzlehrer, bedenket, daß es jetzt meine rechtmäßige Frau ist; jedes ihrer Haare wiegt tausend Leben auf, und ich würde mich von ihr nicht trennen, auch wenn Ihr mir alle Reiche der Welt geben wolltet.«

Endlich kam man doch zu dem Entschlusse, die Ehescheidungsformel auszusprechen; die Ehe wurde aufgelöst, und man befreite den einen von dem andern.

Der Kaufmann kehrte jetzt zu der Urheberin des Scherzes zurück. Sie war die Tochter des Ältesten der Schmiedezunft. Er hielt bei ihrem Vater um sie an und heiratete sie. Sie blieben von nun an beisammen und lebten in Wohlstand, Zufriedenheit und Lebensgenuß, der bis an ihr Ende fortdauerte.«

Der Sultan hatte sich an der gutherzigen Einfalt des Richters und an der Gewandtheit des Mädchens sehr belustigt. »Herr,« sagte Scheherasade, »wenn Euer Majestät mich noch länger leben lassen wollte, so würde ich Euch morgen die Geschichte der Liebschaften des Ali Ebn Bekar und der Schemselnihar, der Favoritin des Kalifen Harun Arreschid, erzählen.« Der Sultan von Indien genehmigte es, auch noch die Geschichte anzuhören, und stand auf, um sich in die Ratsversammlung zu begeben.

 

Einhundertundfünfundneunzigste Nacht.

Dinarsade, die nie versäumte, ihre Schwester zu wecken, rief sie diese Nacht zur gewöhnlichen Stunde. »Meine liebe Schwester,« sagte sie zu ihr, »der Tag wird bald anbrechen; ich bitte dich, uns bis dahin noch eine der anmutigen Geschichten zu erzählen, die du weißt.«

»Du brauchst keine andere zu wählen,« sagte Schachriar, »als die von der Liebe des Abulhassan Ali Ebn Bekar und der Schemselnihar, Favoritin des Kalifen Harun Arreschid.«

»Herr,« sagte Scheherasade, »ich will sogleich Eure Neugier befriedigen.« Zu gleicher Zeit begann sie folgendermaßen:


 << zurück weiter >>