Claude Anet
Ariane
Claude Anet

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XXI

Am nächsten Morgen erwachten sie müde und zerschlagen, wie nach einer schweren Krankheit. Ariane war bleich und stumm. Lautlos glitt sie durch die Zimmer. Sie frisierte sich eben, als Konstantin ausgehen wollte. Schon hatte er die Hand an der Klinke.

»Du sagst mir nicht adieu?«

Er näherte sich ihr und drückte gedankenlos seine Lippen auf ihre Stirn.

»Du bist mittag zu Haus?«

»Nein, ich habe zu tun.«

»Aber abends?«

»Ich bin eingeladen ...«

»Das ist ausgeschlossen. An unserem letzten Abend ...«

Tränen, die sie nicht mehr zu verbergen suchte, strömten aus ihren Augen.

»Gut,« sagte er gleichgültig, »wo willst du essen?«

»Hier. Ich bin heute zu häßlich. Du hast mich zum Weinen gebracht. Ich bin sonst ...«

Er ging fort.

Nachmittags bemerkte er auf der Marschallsbrücke Ariane Nikolajewna, von einem Mediziner begleitet. Er hatte ein wehes Gefühl, das er nicht unterdrücken konnte: »Mein Nachfolger«, dachte er. Er betrachtete ihn genau. Ein junger Mann, glattrasiert, blond, ungleiche Züge, intelligenter Kopf. Er sprach eifrig.

»Acht Tage wird er sich halten«, sagte sich Konstantin. Ariane war schön; mit ihren vor Kälte geröteten Wangen, ihren glänzenden Augen und dieser gewissen Ungezwungenheit in der Haltung, die nur ihr eigen war und die eine ungezügelte Lebenskraft verriet. Sie sah Konstantin nicht, der unbeweglich stehen geblieben war und ihr nachblickte. Als das Paar im Gedränge verschwunden war, wandte er sich mit einem Ruck ab und murmelte: »Vorwärts.«

Er war nachmittags bei einer Sitzung und hatte bis abends keine freie Minute. Trotzdem fand er Zeit, Natascha anzurufen. Er plauderte eine Weile mit ihr, kündigte seine Reise nach Petersburg an und seine baldige Rückkehr.

»Bereiten Sie ein würdiges Festessen für meine Rückkehr vor, der Abend muß feierlich begangen werden. Ich werde an den Ufern der Newa viel an Sie denken. Vergessen Sie mich nicht.«

Abends ging er zu Fuß nach dem Hotel zurück. Er war sehr müde und fürchtete diese letzten Stunden mit Ariane. Wieder sollte er kämpfen und war doch so müde und seine Kräfte waren erschöpft. Er öffnete die Tür seiner Wohnung mit dem Gefühl eines Tierbändigers, der den Käfig einer jungen, ungezähmten Tigerin betritt, die ihn zitternd erwartet.

Ariane Nikolajewna hatte eine sehr geschmackvolle Toilette für den Abend gewählt: ein seidenes Pyjama von leuchtendem Blau mit einem breiten, kirschroten Gürtel und Ballschuhe mit hohen Stöckeln. Am Hals war die duftige Jacke tief dekolletiert und zeigte einen Ausschnitt ihrer jugendlichen Brust. Die offenen Haare waren durch ein Band von gleicher Farbe wie das Pyjama im Nacken gehalten und fielen von dort frei über Rücken, Schultern und Brust. Über dem Ähre steckte eine blutrote Rose. – Sie war in sprühender Laune, die Ereignisse des Vortages schienen verlöscht, kein Morgen drohte ...

»Gefalle ich dir?« fragte sie, sich kokett mit Kavaliersgesten nähernd und machte eine tiefe Herrenverbeugung vor ihm.

Konstantin betrachtete sie überrascht. Das war eine ganz neue Ariane, die da vor ihm stand als verwirrender, übermütiger Knabe, als berückender Page, der einem Drama Shakespeares zu entstammen schien und dessen geschwungenen Lippen gleich ein Hagel von sprühenden Worten entströmen mußte. Konstantin entzückte der Gedanke, daß diese Verkleidung eine ganz unerwartete Stimmung für den letzten Abend geben werde.

»Du bist entzückend. Ich werde sofort Kaviar und Champagner bestellen.«

Ariane spielte ihre Rolle wundervoll. Sie war überschäumend von Geist und Fröhlichkeit. Mit einem Male beugte sie sich zu Konstantin und fragte schmeichelnd:

»Bitte, sag' mir, Großfürst, ich bitte dich, später einmal, wenn du vergessen haben wirst, wie schlimm ich war, und du zurückkommst, wirst du mich einmal zum Souper einladen? Oh, bloß zum Souper, weiter nichts. – Schau, du wirst noch vielen Frauen begegnen; tausend Vorzüge werden sie haben, die mir fehlen; sie werden gut, unterwürfig, zärtlich, treu sein, – treu bin ich eigentlich auch, da ich dich nie betrogen habe – vielleicht auch schöner als ich. Aber, beachte es wohl, was ich dir jetzt sage, mit allen wirst du dich langweilen und noch gerne an das kleine Scheusal denken, das dich fast ein Jahr in Moskau quälte. Und noch etwas«, sie flüsterte fast in sein Ohr, so nahe hatte sie sich zu ihm gebeugt. »Glaubst du, daß du meine heiße Jugend so bald vergessen wirst? Findet sich das so bald wieder?«

»Du hast recht, ich werde dich nicht vergessen können, denn in dir ist eine gepfefferte Mischung vom Besten und Schlechtesten, nach der alles andere ohne Geschmack sein wird.«

»Und doch müssen wir uns trennen. Es wäre wirklich zu lächerlich, wenn zwei Menschen wie du und ich, die für tausend Abenteuer geschaffen sind, wie zwei Eheleute lebten. Aber, weißt du, bevor wir Abschied nehmen, muß ich dir ein großes Geheimnis anvertrauen, ein Geheimnis, das ich auf der ganzen Welt nur dir sagen kann und das du niemals verraten darfst, sonst müßte ich vor Scham sterben. Schwöre mir das.«

»Ich schwöre alles, was du willst!« beeilte sich Konstantin zu versichern, der in der Abschiedsstimmung nochmals von dem leidenschaftlichen Verlangen gequält war, ein wenig weiter in das verschlossene Herz des Mädchens einzudringen.

»Gut, ich werde es dir morgen sagen. – Morgen, auf dem Perron, wenn die drei Glockenschläge verklingen, wenn der Zug sich in Bewegung setzt und jede Möglichkeit der Rückkehr vorbei ist. Und wenn ich zu diesem Geständnis im letzten Augenblick keinen Mut habe, werde ich dir schreiben. Das verspreche ich dir.«

Vergeblich versuchte Konstantin Ariane gleich zum Sprechen zu bringen. Er konnte weiter nichts aus ihr herausbringen, als das feierliche Versprechen, daß er endlich das Geheimnis erfahren werde, dessen Enthüllung ihr schon lange auf der Zunge brannte.

Im stillen zerbrach er sich den Kopf, um zu erraten, was das junge Mädchen ihm zu enthüllen haben könne. Den unerhörten Stolz und das Selbstbewußtsein Arianes kennend, glaubte er bald die Fährte gefunden zu haben, die ihm Klarheit gab. Sie liebte ihn, würde aber lieber sterben, als sich durchschauen lassen; sie liebte ihn und hatte ihn immer geliebt, das war das Geheimnis, das sie nicht früher als in der Stunde der unwiderruflichen Trennung ausliefern konnte.

Die Gewißheit erfüllte ihn nur noch mit dumpfer Freude. »Also,« dachte er, »habe ich doch einen Sieg erfochten. Sie kämpfte mit einem Lächeln auf den Lippen und der Wunde im Herzen und sie gibt sich besiegt. – Dies unbezähmbare Mädchen hat seinen Meister gefunden. – Und trotzdem ist alles zu Ende zwischen uns. Sie hat meine Liebe unmöglich gemacht.« Und Konstantin verabscheute sie in dieser Stunde.

Sie schliefen, zum letztenmal vereint, ein.


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