Claude Anet
Ariane
Claude Anet

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XII

Trotz der neuen Intimität eines gemeinsamen Lebens, in dem die Bande der Sinne und des Geistes, die sie verknüpften, ohne daß sie es fühlten, täglich zahlreicher und fester wurden, blieb ihr gefühlsmäßiges Verhältnis innerlich das gleiche wie zu Beginn und das zwischen ihnen spielende Drama entwickelte sich weiter zu tiefer Tragik.

Mit wahrer Erbitterung suchten sie jede Gelegenheit, einander zu beweisen, daß nichts anderes, als ein Abenteuer sie vereine, dessen einziges Ziel und letzter Zweck das Vergnügen sei und daß Liebe niemals mitspreche.

Ariane besonders war unerschöpflich im Erfinden immer neuer Variationen zu diesem Thema. Eines Tages begann sie mitten im Zimmer vor Freude zu tanzen.

»Was ist mit dir?« fragte Konstantin.

»Ich bin sehr zufrieden. Ich fühle mich glücklich. Du weißt doch, es hätte mir ein Unglück geschehen können. Wenn ich dich geliebt hätte...! Ich wäre sentimental geworden (sie blickte schmachtend aufwärts und rang die Hände), ich hätte geseufzt (sie tat es herzzerreißend ), ich hätte meine Fröhlichkeit verloren, ich wäre wie meine Tante wegen ihres schönen Wladimir blöde geworden. Ich könnte mich nicht von dir trennen, ich würde dich solange mit Liebeserklärungen verfolgen, bis du deren überdrüssig wärst, Eifersucht würde mich quälen. Überwachen würde ich dich, dich in deinem Bureau überraschen. Ich müßte wissen, wohin du gehst, welche Frauen mit dir zusammentreffen. Wenn du Besuche machst oder eingeladen bist, würde ich dich anrufen. Kurz, ich wäre lächerlich. – Vielleicht würde ich sogar weinen. – Kannst du dir meine Augen rot von Tränen denken? – Gott sei Dank, daß ich alle diese Schrecken niemals kennen lerne. Ich danke dir, Großfürst, daß du es nicht versucht hast, dich meines Herzens zu bemächtigen, ich weiß gar nicht, wie ich dir meine Erkenntlichkeit dafür ausdrücken soll, daß du die Lust so veredeltest, daß sie sich selbst genügt, und es verstanden hast, sie unverfälscht zu erhalten. Du bist ein wahrer Künstler. Ich neige mich vor dir, du bist der Meister.«

Und sie kniete vor ihm nieder, neigte den Kopf tief zum Boden, und machte, sich erhebend, tausend zeremonielle Verbeugungen.

Ein andermal wieder sprach sie:

»Ich muß dir ein Geständnis machen. Ein oder zweimal glaubte ich schon besiegt zu sein. Oh, wie viel Angst habe ich ausgestanden! Nie hätte ich bei unserem Abschied gelitten! – Wie mußte ich mich wehren, aber ich habe mich gehalten. – Nun, da ich dir so lange widerstanden habe, ist keine Gefahr mehr, hurra!«

Während sie immer wieder dieses Thema entwickelte, lauschte Konstantin mit größter Aufmerksamkeit, wog jedes ihrer Worte, achtete auf die geringsten Nuancen, auf den Klang ihrer Stimme, auf ihre Betonung, auf ihren Ausdruck. meinte sie das alles ernst? Versuchte sie ihn zu täuschen? Niemals überraschte er sie bei einem falschen Ton. Sie schien sich mit vollster Wahrhaftigkeit auszudrücken.

Er begnügte sich mit einer kurzen Erwiderung:

»Mein Kind, ob du willst oder nicht: du liebst mich. Du endest in dem Kreislauf, der deinem Geschlecht seit ewigen Zeiten vorgeschrieben ist: als Sklavin.«

Je nach ihrer Stimmung lachte sie dazu, oder sie zuckte bloß mit der linken Schulter oder – sie wurde wütend.

Manchmal sagte sie zu ihm:

»Und du, liebst du mich?«

Das erstemal, als sie ihm diese Frage stellte, war er überrascht. Aber er hütete sich, sein Erstaunen merken zu lassen. Er erhob sich aus dem Lehnstuhl, in dem er gesessen hatte, nahm Ariane in seine Arme und sprach zu ihr mit zärtlich vorwurfsvoller Stimme:

»Aber mein liebes Kind, daran kannst du doch nicht ernstlich denken! Wie sollte ich wohl so ein kleines schlimmes Mädchen, wie du es bist, lieben können?«

Ariane war geschlagen. Wem sollte sie glauben, den ironischen Werten oder der zärtlichen Stimme? Konstantin war ihr, wie immer, entschlüpft; im Augenblick, da sie ihn durch eine plötzliche Wendung zu fassen meinte, entglitt er schon wieder ihren Fingern. Was waren alle Männer, die sie von früher kannte, neben ihm? Aus den stolzesten von ihnen hatte sie in kürzester Zeit Sklaven gemacht, die allen ihren Launen gehorchten. Konstantin aber war ein würdiger Gegner, mit dem sie sich messen konnte, und der sogar sie aus dem Gleichgewicht brachte. Warum schlug er ihr gegenüber mit Vorliebe diesen Ton scherzender Zärtlichkeit an, wie man ihn Kindern gegenüber anzuwenden pflegt? –

Sie versuchte ihn auch eifersüchtig zu machen. Sie beschrieb ihm in begeisterter Weise einen der Hochschüler, der zu ihren Freitagsgästen gehörte. Keine Frau könne ihm widerstehen; er sei wahnsinnig verliebt in sie.

»Dieser Junge hat Geschmack«, sagte Konstantin ruhig.

»Unlängst versuchte er mich zu küssen.«

»Dazu ist er als Mann verpflichtet.«

»Das wäre dir wahrscheinlich ganz gleichgültig?«

»Liebes, kleines Mädchen, es könnte nichts Leichteres für dich geben, als mich zu betrügen. Warum aber solltest du es tun? Wenn du mich nicht liebst, was machst du dann hier? Warum bleibst du bei mir? Wenn du mich aber liebst, und das ist der Fall, welches Vergnügen könntest du in den Armen eines andern finden? Ich lebe nicht acht Monate mit dir, ohne dich zu kennen. Du hattest deine kleinen Schwärmereien und du wirst sie haben, aber du bist treu. In deinem Wesen ist ein seltener Stolz. Einmal wirst du mich verlassen, aber betrügen wirst du mich nie.«

Nun war es an Ariane, der Rede ihres Geliebten aufmerksam zu lauschen und erraten zu wollen, was sich hinter seinen Worten verbarg. Sein Ton war nie leidenschaftlich. Er schien keinerlei Gefühle in seine theoretischen Liebesbetrachtungen zu legen. Handelte es sich denn überhaupt um sie und ihn? Man konnte daran zweifeln.

Nur ein einziges Gebiet war es, auf dem sie Konstantin Michael überlegen war. Sie hatte es am fünften Tage ihrer Bekanntschaft entdeckt und seither diese Wahrnehmung in vollendetster Weise ausgenützt. Der »Großfürst« wollte, daß die Vergangenheit Arianes mit Schleiern bedeckt bliebe. Nach den ungeschriebenen Gesetzen der Liebe sind dies Dinge, von denen man nicht spricht. Es gibt Illusionen, auf die man nicht verzichten kann und jede Frau versteht es, sie aufrecht zu erhalten. Ariane jedoch beharrte dabei, ihre Vergangenheit in allen Einzelheiten grell zu beleuchten.

Aber die Barschheit, mit der Konstantin ihr das Wort abschnitt, sobald sie in dies verfemte Gebiet eindrang, zwang sie jetzt zu allen möglichen Listen, um ihren Zweck zu erreichen. Ihr erfinderischer Geist zeigte ihr tausend Umwege, die ihr doch ermöglichten, den »Großfürsten« aus seiner Ruhe aufzuscheuchen. Sie hatte es verstanden, ihm von ihrem Flirt mit dem bekannten Schauspieler zu erzählen, ohne sich in gefährliche Einzelheiten einzulassen und war doch davon überzeugt, daß er über den Charakter ihrer Beziehungen keineswegs im Zweifel sein konnte. In häufigen, aber unregelmäßigen Zwischenräumen verstand sie es, diesen Schauspieler immer wieder im Gespräch zu erwähnen und damit die Erinnerung an seine Beziehungen zu ihr in Konstantin nicht ruhen zu lassen. Es war dies, wie alles, was sie gegen Konstantin unternahm, gewiß nicht nur die Bosheit eines ungezogenen Kindes, es war vielmehr eine ihr selbst nicht ganz bewußte Mischung, teils Launenhaftigkeit, teils der Wunsch, wenigstens in diesem einen Punkt über ihren Tyrannen zu triumphieren und nach dem Grade seiner Erregung doch seine wahren Gefühle zu ihr zu prüfen.

Man sprach von dramatischer Kunst und plötzlich hatte sie den Namen ihres früheren Freundes geschickt in einen Satz hineingeschmuggelt. Sie sprach von seinen großen Fähigkeiten, beleuchtete Einzelheiten seiner Kunst, deutete die Feinheiten seiner Hauptrollen an, beschrieb seine Kostüme, seine Masken, die Art seines Auftretens und die wunderbare Charakteristik, die er einzelnen historischen Personen verlieh. Sie sprach selbstverständlich nicht anders von ihm als eine Zuschauerin von einem Schauspieler, eine begeisterte Zuschauerin von einem vergötterten Schauspieler spricht. Aber schließlich sah sie doch diese gewisse Falte, die sie so gut kannte, auf Konstantins Stirne und er schloß die Unterhaltung mit einer trockenen Bemerkung.

»Schauspieler interessieren mich nicht. Es gibt kein seichteres Gesprächsthema.«

Dann jubelte Ariane innerlich, aber sie hütete sich erkennen zu lassen, daß sie einen Sieg errungen habe.

Lange Zeit drängte sie ihn, mit ihr zusammen jenen Helden in diesem oder jenem Stück seines Repertoirs zu bewundern. Konstantin lehnte glatt ab. Sie kam immer wieder darauf zurück. Endlich sagte ihr Konstantin eines Tages:

»Wenn du ins Theater gehen willst, lasse ich dir einen Sitz besorgen; wenn du nicht allein gehen willst, lade einen deiner jungen Verehrer ein und ich lasse zwei Sitze besorgen. Ich werde dann an dem betreffenden Abend bei Frau X speisen, die mich schon oft eingeladen hat.«

Sie erreichte langsam, daß Konstantin sich im Geiste immer mehr mit diesem Künstler befaßte. Schließlich war er doch der letzte Geliebte gewesen, aus dessen Armen Ariane in die seinen fiel. Auch ihm hatte sie all die wunderbaren Geschichten aus ihrem Leben erzählt. Er hatte dieses schlimme Kind drei Monate zu halten verstanden. Was war das wohl für ein Mensch? Welche war seine Art mit Frauen umzugehen? Konstantin meinte, er werde Ariane nicht eher ganz begreifen, bevor er nicht mit seinen eigenen Augen diesen Vorgänger gesehen hätte, der, ob er wollte oder nicht, in seinem Kopfe umging. Aber es wäre ihm unmöglich gewesen, neben Ariane eines Abends vor der Bühne zu sitzen, auf der jener mit dem ganzen Ruhm des großen Schauspielers unter dem Beifall des Publikums erschienen wäre. Das junge Mädchen hatte mit ihren fortgesetzten Anspielungen seine Nerven bis zu einem solchen Grade erregt, daß sie eine derartige Probe nicht mehr ertragen hätten. Und doch wollte er diesen Mann sehen; es war das einzige Mittel, um sich aus seinen Zwangsvorstellungen zu befreien. Er verfolgte die Theaterankündigungen und als er an einem Freitag den bekannten Namen auf dem Programm las, ließ er für sich einen Platz reservieren. Er würde gewiß frei sein, da Ariane ihre Freunde empfing.

Er nahm allein, gereizt sein Abendessen ein; gereizt über Ariane, gereizt über sich selbst und ging dann schnellen Schrittes zum Theater. In seine Gedanken versunken war er unempfindlich gegen die Kälte von dreißig Grad, die ihm ins Gesicht schnitt. Bei der Kasse öffnete er seinen Pelz und übernahm die Karte. Plötzlich fuhr er zusammen. Er zerriß die Karte, warf die Fetzen auf den Boden, ging hinaus und rief einen Schlitten. – Er fühlte überrascht, wie heiß ihm war. Sein Atem ging hastig.

»Das, wäre eine schöne Feigheit gewesen!« sagte er laut zu sich selbst.


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