Claude Anet
Ariane
Claude Anet

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X

Gleich in den ersten Septembertagen war Ariane nach Moskau zurückgekehrt. Sie hatte darauf verzichtet bei Onkel und Tante zu wohnen und ein hübsches Zimmer in der modernen Wohnung einer gutmütigen Frau gemietet, wo sie ihre Freunde empfangen und jene kleinen Abende veranstalten konnte, die bei den Studierenden beiderlei Geschlechts in Rußland so beliebt sind. Man genießt dabei die Reize leidenschaftlicher philosophischer Debatten, die sich bis spät in die Nacht ausdehnen; es werden ebenso viele Gedanken geboren, wie Gläser Tee getrunken. Abstraktes und Konkretes vermischen sich in widersprechendster Art. Die aufgestellten Lebensregeln sind um so bestimmter, je mehr ihnen die Lebenserfahrungen abgehen. Zwischendurch umwerben die Studenten die jungen Mädchen, wie dies in allen Ländern und unter allen Breitegraden üblich ist.

Ariane hatte von Konstantin keine weiteren Nachrichten erhalten. Als sie ihre Wohnung gewählt hatte, hinterlegte sie Adresse und Telephonnummer in einem an ihn adressierten Brief beim Portier des Hotels. Aber Wochen waren ohne ein Lebenszeichen von ihm vergangen. In schlechtester Stimmung hatte sie einmal versucht ihren Brief aus dem Hotel zurückzuerhalten, aber man hatte sich geweigert, ihr, der Unbekannten, den für einen alten Stammgast bestimmten Brief auszufolgen.

»Wenn er ankommt, werde ich mich verleugnen lassen«, dachte sie.

Eines Spätnachmittags, als sie allein in der Wohnung war, läutete das Telephon. Sie hatte die bestimmte Empfindung, daß es der »Großfürst«, wie sie ihn auch schon nannte, sei. Sie wurde bleich und beschloß, sich nicht zu melden. Aber ihre Füße trugen sie gegen ihren Willen zum Apparat, sie nahm den Hörer und rief mit halber Stimme: »Hallo?« Und ohne zu fragen, wer am Telephon sei, rief eine männliche Stimme freudig am andern Ende der Linie:

»Ich bin angekommen! Endlich. Ich erwarte dich ohne eine Minute Verzögerung. Nimm das schnellste Pferd und gib ein fürstliches Trinkgeld!«

Sie hängte ab, lief zum Spiegel, um ihre Haare zu richten und wollte eben das Zimmer verlassen, als sie sich besann. Sie ging zu ihrem Schreibtisch zurück, öffnete eine Schublade und kramte in dem Wust von Papieren, die da hineingestopft waren, bis sie einen schmutzigen Bogen fand, ihn zusammenlegte und in ihrem Täschchen barg.

Eine Viertelstunde später pochte sie an Konstantins Tür. Sie hatte sich unterwegs eine entsprechend herzlose Begrüßung ausgedacht, als sie aber den »Großfürsten« mit ihr entgegengestreckten Armen vor sich sah, ließ ihre Zunge sie im Stich und sie war erstaunt sich sprechen zu hören:

»Ich muß sagen, mein Herr, Sie haben hübsch lange auf sich warten lassen.«

Sie speisten ganz nahe aneinandergeschmiegt im Zimmer Konstantins. Er fand kaum Zeit, ihr das Wichtigste von seinen Geschäften zu berichten. Ariane hörte ihm nicht zu. Sie war ganz selig, ihm erzählen und beschreiben zu können, welch herrliches Leben sie während des Sommers in ihrem südlichen Königreich geführt hatte. Sie ließ alle ihre vielen Erlebnisse vor seinen Augen vorüberziehen. Kaum hatten sie das Essen beendet, als sie erstaunt sah, daß Konstantin sich zum Ausgehen fertig machte und sie bat, sich ebenfalls anzukleiden.

»Wir gehen zu dir«, sagte er.

»Zu mir kannst du nicht kommen und wirst du auch niemals kommen. Was willst du dort?«

»Kleiner Dummkopf, weißt du nicht, daß ich dich heute nacht bei mir behalte? Aber im Hotel muß wegen dieser weisen Polizeivorschriften dein Paß erlegt werden. Also gehen wir ihn holen.«

Ariane errötete ein wenig verlegen.

»Zufällig habe ich ihn bei mir.«

Sie öffnete ihr Täschchen, um ihm den Bogen zu reichen, den sie aus ihrem Schreibtisch genommen hatte.

Sie schliefen beide in einem Bett. Drei Monate der Trennung hatten sie weit auseinandergerissen und in so entgegengesetzte Lebensweisen verpflanzt, daß es ihnen schien, als hätten sie auf verschiedenen Planeten gewohnt. Von wo kamen sie, um endlich wieder zusammenzutreffen? Dank der lebendigen Schilderungen Arianes, sah Konstantin wie mit eigenen Augen jene südliche Hauptstadt vor sich, deren Herrscherin sie war und kannte selbst bis zu den physischen und moralischen Eigentümlichkeiten alle, die sie umgeben hatten. Sie selbst aber blieb undurchdringlich. Welche geheimnisvollen Kräfte lebten in ihr und wohin war sie wohl von ihnen gedrängt worden? Wen hatte sie dort wiedergefunden, den er haßte? In welcher Weise war sie ihren alten Freunden begegnet? Welche neuen Bekanntschaften hatte sie angeknüpft? Nichts wußte er. – Und Ariane wieder konnte sich nicht vorstellen, in welcher Umgebung der »Großfürst« gelebt hatte. Er war immer mit Berichten über sich selbst zurückhaltend gewesen. Trotzdem kannte sie den Blick, mit dem er Frauen zu begegnen pflegte. War es nötig Näheres zu erfahren?

Da lagen sie nebeneinander, ermüdet, an der Schwelle des Schlafes. Aber ihre Gedanken waren so lebendig, daß jeder von ihnen meinte, sie müßten Gestalt annehmen und dem andern, der regungslos daneben lag, sichtbar werden. »Ist es möglich, daß sie nicht weiß, was in mir vorgeht?« sagte sich Konstantin und Ariane dachte zitternd: »Gott verhüte, daß ich mich verrate und ihn in meinem Herzen lesen lasse.« Endlich schliefen sie ein.


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