Claude Anet
Ariane
Claude Anet

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VI

Von nun an war Konstantin zwei- oder dreimal wöchentlich bei Baronin Korting und sah weiterhin jeden Abend Ariane. Daß er bei letzterer Fortschritte machte, war nicht zu bemerken. Schon war Mitte Mai und Ariane blieb die gleiche, die sie immer gewesen; an einem Tag lustig, kindlich, voll Geist und Witz, um am nächsten mit ihrer zu einer wahren Kunst ausgebildeten Verständnislosigkeit auf die Konstantin verhaßten Themen zurückzukommen und mit anscheinendem Vergnügen dabei zu verweilen.

»Du lügst zu wenig«, sagte ihr Konstantin lachend. »Noch immer hast du das Geheimnis nicht begriffen, in dem das Glück ruht: Illusionen, die sorgsam genährt und eifersüchtig bewahrt werden.«

»Es gibt viele Arten glücklich zu sein, wer weiß, ob nicht meine ebenso gut ist, wie Ihre? Kann ich mich denn beklagen, habe ich nicht einen so schönen, wie klugen Freund?«

»Ariane, ich liebe es nicht, daß man sich über mich lustig macht!«

»Da ich aber doch gerade Sie, ohne auch nur zu überlegen, unter allen gewählt habe, ist es doch zweifellos, daß in Ihrem Äußern, – sicher nur in Ihrem Äußern – ein unwiderstehlicher Reiz liegen muß. Denn Sie können es mir glauben, der Student, der mich damals ins Theater begleitete, ist wirklich sehr verführerisch. Aber Sie scheinen ihn zu übertreffen, da ich doch hier bei Ihnen und nicht in seinen Armen bin. – Der Ärmste, seit drei Monaten hatte er mir in der unermüdlichsten und achtungsvollsten Weise den Hof gemacht und glaubte schon seinem Glück nahe zu sein. Der Theaterabend sollte alles entscheiden, denken Sie bloß, er hatte doch ein Auto bestellt. Wir wären zusammen soupieren gefahren ...«

Konstantins Nerven waren am Zerreißen. Um sich zu strafen, fragte er wie ein Flagellant, der seine Qualen verlängert:

»Und was wäre weiter geschehen?«

»Nun, das, was in solchen Fällen zu geschehen pflegt, teurer und verehrter Freund. Wir hätten gegessen und Champagner getrunken, dann wären wir im Automobil zurückgefahren ...«

»Und dann? Hat er denn eine Wohnung? Man nimmt doch mitten in der Nacht in einem anständigen Hotel keine Gäste auf.« Konstantin sprach mit halber Stimme.

»Bleiben eben die nicht anständigen Hotels! Und überhaupt vom Petrowski-Park, wo wir bei Jahr gespeist hätten, bis in die Stadt sind zwanzig Minuten.

Man kann auch Umwege machen und langsam fahren. – Und dann – ein geschlossener Wagen, das einschläfernde Rütteln, der kleine Schwips von Jahr, ein Arm, der einen umschlingt, leidenschaftliche Küsse von heißen Lippen ... Schließlich bin ich ja nicht aus Holz, das sollten Sie doch am besten wissen!« –

Am nächsten Tage beschloß Konstantin endgültig seine Kiewer Reise und machte der Baronin am Nachmittag davon Mitteilung. Am Abend kündigte er es auch Ariane an. Sie war empört.

»Wie, gerade an meinem Geburtstag wollen Sie abreisen? Das ist wirklich häßlich von Ihnen.«

»Das hättest du mir sagen müssen, kleines Mädchen, daß morgen dein Geburtstag ist. Wie kann ich denn das wissen? Jedenfalls werden wir den Abend zusammen sein, mein Zug geht erst um elf. Übrigens wie alt wirst du morgen?«

»Nun achtzehn doch.«

»Was, achtzehn Jahre? Du ließest mich in der Meinung, du seist mindestens zwanzig.« Er tat als hätte sie ihn in einer Sache von größter Wichtigkeit hintergangen.

»Achtzehn Jahre,« wiederholte er, »achtzehn Jahre! Aber das ist doch unglaublich. Man ist doch nicht achtzehn Jahre alt! Da warst du doch, als wir uns kennen lernten, erst siebzehn. Das hättest du mir wirklich sagen können, das hättest du mir sagen müssen!«

Er redete sich immer mehr in seine Erregung hinein. Sie beruhigte ihn.

»Ich weiß nicht, was unser Alter mit unserem Abenteuer zu tun hat? Ich habe Sie nie nach dem Alter gefragt. Als wir einander zum ersten Male begegneten – gesegnet sei der Tag! – fehlte mir nur ein Monat zu meinen achtzehn Jahren. Ein Monat! Was ist das schon. Ich hoffe, Sie werden doch wegen eines Monats keinen Streit anfangen?«

Aber Konstantin Michael beruhigte sich nicht und in der Aufregung, in die ihn dieser ganz neue Tatbestand, wie er es nannte, versetzte, vergaß er sein Vorhaben und warf sein ganzes Programm um.

Ariane erzählte von ihrer Tante. Sie sprach von ihrer Lebensweisheit, ihrem vollkommen harmonischen Dasein, von der Klugheit, mit der sie es verstanden hatte, der Liebe nur die guten Seiten abzugewinnen.

»Tante Varwara sagte mir, daß sie mit keinem ihrer Freunde jemals eine ganze Nacht zusammen blieb. Man müsse verstehen, im richtigen Moment aufzubrechen, oder den andern fortzuschicken. Nach ihrer Ansicht gibt es kein besseres Mittel, die Liebe zu töten, als zusammen zu schlafen. Man schläft schlecht, man erwacht schlechter Laune und früh ist man immer häßlich. Man soll sich nur zum Vergnügen des Geliebten an- oder auskleiden. Das Alltägliche ist nur für die Ehe gut, aber die Ehe, das ist weder Liebe noch Vergnügen ...«

»Deine Tante versteht mit allen ihren Erfahrungen wenig vom Leben. Wie unabhängig sie sich auch zu sein einbildet, ist sie doch nur eine Frau voll Vorurteilen und nach dem, was du mir jetzt erzählst, halte ich nicht gerade viel von ihr. Zwischen Leuten, die einander lieben, wird nicht viel nach der Zeit gefragt. Sie verlassen einander weder bei Tag noch bei Nacht, essen zusammen, schlafen zusammen und erwachen Seite an Seite. Findest du es angenehm, wenn wir das gleiche Bett teilen, wenn wir einander so nahe sind, daß alle körperlichen und seelischen Schranken gefallen sind, wenn die Wärme des einen gemeinsamen Bettes uns durchdringt und betäubt, wenn du von den Fußen bis zum Kopfe meine Nähe fühlst, dein Körper sich an meinen schmiegt und wir nur ein einziges Leben zu atmen glauben, unsere Herzen nur in einem Schlag zu klopfen scheinen, findest du es dann angenehm, dich von mir loszureißen, aufzustehen, dich anzukleiden? Fühlst du nicht die Mauer, die gleich wieder zwischen uns aufsteht, die mit jedem Kleidungsstück, das du anziehst, sich verstärkt? Du wirst wieder zu einer Fremden, zur Feindin.«

Konstantin hatte sich merkwürdig ereifert und staunte selbst darüber. Ariane klatschte in die Hände und spottete über ihn.

»Wie beredt Sie sein können!«

»Das sind nur die Dummheiten deiner Tante, die mich in Wut bringen. Es handelt sich weder um dich noch um mich. Der Teufel soll sie holen mit all ihrem Unsinn, den sie dir in den Kopf gesetzt hat.«

Er ging lange im Zimmer hin und her. Ariane blieb stumm. Plötzlich blieb er vor ihr stehen.

»Weißt du, was wir tun werden? Wann hast du deine letzte Prüfung?«

Sie nannte einen Tag der nächsten Woche.

»Gut, bis dahin bin ich aus Kiew zurück. Du wirst an der Universität fertig sein, du brauchst Erholung und auch ich will ausruhen. Ich hatte viel zu tun und Moskau geht mir diesmal merkwürdig auf die Nerven. Ich entführe dich in die Krim, wir verbringen vierzehn Tage in der warmen Sonne bei den roten Felsen am Meer, mitten unter Bäumen und Blumen. Wie die Götter werden wir leben, ohne zu denken, ohne zu streiten. Mein Plan steht fest, nichts daran zu rütteln, nur zu gehorchen!«

Kaum hatte er geendet, als er schon selbst über seine Worte erschrak. Was hatte er da angestellt? So wollte er dieses Abenteuer, in das er sich eingelassen hatte, beenden? Es schien sicher, daß die beunruhigende Gegenwart Arianes seinen Verstand verwirrte.

Indessen erhob sie mit ruhiger Stimme eine Menge Einwände. Ihre Tante erwartete ihre sofortige Rückkehr nach der Prüfung, drei, vier Briefe in der Woche beschworen sie keine Stunde mit der Heimreise zu zögern. Das Verhältnis zwischen Varwara und dem schönen Wladimir schien sich zu einem Drama zuzuspitzen; man brauchte Ariane. Auch ihre Freunde machten ihre Rechte geltend und zählten auf sie. Schließlich war es auch noch ein anderer Grund, den sie indes nicht näher erklärte, der ihr die ungesäumte Rückkehr zur Pflicht machte.

Je mehr sie sprach, desto überzeugter war Konstantin von der Vortrefflichkeit seiner Idee. Er schloß die Unterhaltung, indem er mit jener ruhigen Sicherheit, deren Wirkung auf Ariane er schon kannte, sagte:

»Ich will mit dir in die Krim reisen, damit habe ich begonnen und dabei bleibe ich, daher wird es auch geschehen. Du wirst mich niemals davon überzeugen können, daß ein Mädchen mit deiner Erfindungsgabe sich nicht vierzehn Tage, die wir brauchen, freimachen könnte. Ich überlasse das ruhig dir und werde mich hüten, dir Ratschläge zu geben. Heute ist der achtzehnte. Am achtundzwanzigsten, am Tage deiner letzten Prüfung komme ich aus Kiew zurück und am neunundzwanzigsten sind wir im Schnellzug nach Sebastopol. Zwischen dem fünfzehnten und zwanzigsten Juni bist du wieder frei.«

Nach diesen Worten lehnte er jede weitere Debatte ab. Am nächsten Abend stand er mit Ariane, die ihn begleitete, auf dem Perron des Kiewer Bahnhofes. Zum ersten Male seit ihrer sechswöchentlichen Bekanntschaft war es ihm gelungen, sie anläßlich ihres Geburtstages zur Annahme eines Geschenkes zu bewegen und eine Armbanduhr schmückte ihr Handgelenk.

»Also für den neunundzwanzigsten halte dich bereit.«

»Aber es ist ganz unmöglich. Ich versichere Ihnen.«

Die Glocke läutete. Er schloß sie in seine Arme. Es schien ihm, als hätte sie ihn niemals vorher so geküßt, als hätte sie sich niemals noch so rückhaltlos gegeben, wie in diesem flüchtigen Kuß auf dem Bahnsteig.

Im Zuge dachte er noch lange darüber nach. »Sollte ich mich getäuscht haben? War es nur eine Einbildung? – Nein, es ist kein Irrtum, dieses Mädchen, das sich so gut zu beherrschen weiß, hat sich diesmal verraten.«


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