Gerhard von Amyntor (= Dagobert von Gerhardt)
Für und über die deutschen Frauen
Gerhard von Amyntor (= Dagobert von Gerhardt)

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Die Hausfrau und das Gastmahl.

Ueber das unglückselige Wort »Dîner«, welches die verkehrte deutsche Vorliebe für das Fremde in unsern Sprachschatz eingeschmuggelt hat! Das Dîner des Franzosen ist unser gutes, altes, ehrliches Mittagsmahl – nichts mehr, nichts weniger; die Einfalt des deutschen Michels hat daraus etwas besonders Festliches und Opulentes gemacht, und wir sind soweit gekommen, daß uns die Dame des Hauses, deren Tischgast wir sind, ernsthafter Miene versichert: »Sie müssen sich an dieses Gericht halten – es giebt sonst nichts; erwarten Sie kein Diner bei mir, sondern nur ein einfaches Mittagessen!« – Ja, mein Gott! ist denn das Diner nicht oft ein sehr einfaches Mittagessen?

Ich möchte in der That die liebenswürdigen Hausfrauen dringend bitten, auf ihren Einladungskarten das exotische und zu so vielen Mißverständnissen Anlaß gebende Wörtlein »Diner« für die Folge ganz zu unterdrücken und sich dafür eines deutschen Ausdruckes zu bedienen. Auch ist es eines deutschen Hauses würdig, 139 auf dem Tische, an welchem Deutsche mit Deutschen tafeln, deutsche Speisen verzehren und meist deutsche Weine trinken sollen, eine deutsche Speisekarte auszulegen. Mir verdirbt es immer Laune und Eßlust, wenn ich neben meinem Teller solch ein albernes »Menu« finde, auf dem die zu erwartenden Herrlichkeiten in französisches Küchenkauderwälsch verballhornt sind. Dieser Brauch hat allenfalls noch an den Tafeln einer internationalen Diplomatie einen Sinn, denn es würde einer gelehrten Akademie bedürfen, wollte man jedem Ausländer die Tischkarte in seiner Muttersprache vorlegen, und so behilft man sich mit dem Allerwelts-Küchenfranzösisch, dessen Geheimnisse jedem Zimmer- und Saalkellner keine Schwierigkeiten mehr bereiten. In einem deutschen Familienhause erinnert aber die französische Speisekarte an den Gasthof, und wer durch Auslage eines »Menu« seine Tafel festlich zu veredeln meint, der hat Urtheil und Geschmack unwiederbringlich eingebüßt. Die Schüsseln eines deutschen Mahles, meine hochverehrten Hausfrauen, lassen sich wirklich mit deutschen Namen bezeichnen; ich erinnere Sie nur an die Festtafel im Gürzenich bei der Kölnischen Domvollendungsfeier; da gab es eine deutsche »Tischkarte« und sie lautete folgendermaßen: »Kaviar, Venetianischer Salat; Klare Suppe, Hühnersuppe; Feines Fleisch in Muscheln; Steinbutte mit Erdschwämmen; Schinken in Madeira; Fasanen und Sauerkraut; Kleine Erbsen mit Zunge und geräuchertem Lachs; Gänselebern mit Trüffeln; Getrüffelte Kapaunen; Rehziemer; 140 Eingemachtes Obst, Salat; Seekrebse; Eis, Früchte, Nachtisch, Aufsätze, Kaffee.« – Sie sehen, meine Damen, es geht wirklich; mit einem Gefühle freudiger Genugthuung nahm die Festgesellschaft diese Karte in die Hand, und es war eine Festgesellschaft in des Wortes bester Bedeutung; es waren königliche und kaiserliche Herren dabei.

Es dürfte in der That nicht überflüssig sein, der deutschen Hausfrau einige Pflichten ins Gedächtniß zu rufen, die sie als Wirthin ihren Tischgästen gegenüber unbedingt zu erfüllen hat, wenn sie anders die Hüterin guter deutscher Sitte sein und bleiben will.

Sie muß pünktlich zur angesagten Stunde anrichten lassen. Bei einem Mittagsmahle ist das sogenannte akademische Viertel vom Uebel; höchstens bewilligt man den Spätlingen eine Frist von fünf Minuten; ist diese Frist abgelaufen, dann erscheint der Diener mit der Meldung, daß angerichtet ist, und ohne Rücksicht auf irgend welche noch nicht erschienenen Herrschaften wird zur Tafel gegangen. Es giebt immer noch Hausfrauen, welche die feine Aufmerksamkeit, die ein solcher Brauch gegen die Gäste in sich schließt, nicht begreifen wollen. Auf Verspätete warten, heißt gegen die Pünktlichen undankbar sein. Die rechtzeitig Erscheinenden bilden doch in der Regel die überwiegende Mehrheit; soll denn diese Mehrheit durch das Warten auf einen oder zwei Unhöfliche grausam bestraft werden? Ja – höre ich einwenden –, wenn nun aber eine hochstehende Person, vielleicht die Hauptperson des ganzen Festes 141 noch fehlt? Soll ich mich auch dann nur nach der Uhr richten und die Suppe pünktlich auftragen lassen? Gewiß, meine Gnädige, auch in solchem Falle gebietet der feine Ton, pünktlich zu sein; an der Tafel der Hausfrau hören alle Rangunterschiede auf; man würdigt das Alter oder Verdienst wohl durch den Ehrenplatz neben der Wirthin, aber man mißhandelt nicht dem Alter oder dem Verdienst zu Liebe die anderen Gäste. Und es ist eine Mißhandlung in des Wortes fürchterlichster Bedeutung, einem Kreise hungriger Menschen eine halbe oder ganze Stunde lang deshalb das versprochene pflichtschuldige Mahl vorzuenthalten, weil es vielleicht Seiner Excellenz dem Herrn Präsidenten oder Seiner Erlaucht dem Herrn Grafen beliebt, dem Brauche der gebildeten Welt ein Schnippchen zu schlagen und sich um eine halbe oder ganze Stunde zu verspäten.

Pünktlich läßt die Wirthin anrichten; das bleibt die Regel ohne Ausnahme und die zarteste Rücksicht gegen Alle. Dem sich Verspätenden wird sein Gedeck aufgespart, und wenn er erscheint, wird er weniger beschämt Platz nehmen, da er weiß, daß er Keinem an der Tafel durch sein Zögern die Laune verdorben hat; er wird aber in einem so feinen und auf gleiche Behandlung aller Gäste haltenden Hause gewiß kein zweites Mal zu spät kommen.

Noch peinlicher und unhöflicher ist die Unpünktlichkeit der Hausfrau, wenn die Geladenen alle rechtzeitig erschienen sind. Wen ich um 4 Uhr zu Tisch lade und durch eine im Stehen geführte Unterhaltung eine Stunde 142 lang martere, so daß er thatsächlich erst um 5 Uhr vor seiner Suppe sitzt, den muß ich für einen außerordentlich geduldigen, langmüthigen und nachsichtigen Menschenfreund halten. Nicht Jeder verträgt solche Behandlung; die Meisten ergrimmen in solchem Falle innerlich, werden übellaunig, gereizt, verwünschen das gastliche Haus sammt Wirthin und Mittagstafel und schwören sich im Stillen zu, niemals wieder auf den Köder einer Einladung an diesem Orte anzubeißen. Alles das, was eine geladene Gesellschaft vor dem Essen plaudert, kann sie nach demselben viel behaglicher und gemüthsruhiger bei der Mokkatasse erledigen.

Keine Uebertreibung hinsichtlich der Zahl der Schüsseln – also vornehmes Maß in der Bewirthung, heißt die zweite Hauptregel. Es giebt Gastgeber, die durch eine Ueberfülle des materiell Gebotenen dem Gaste eine besondere Ehre zu erweisen denken, und doch ist dies ein bäuerisches Bemühen. Niemand kann mehr, als sich satt essen. Die Maximalgrenze des Statthaften wäre: eine Suppe, ein Vorgericht, ein Fisch, eine Zwischenspeise, ein Braten, ein Gemüse und der erforderliche Nachtisch; giebt man mehr, so läuft man Gefahr, den Gast zu belästigen und einen Emporkömmlingsgeschmack zu verrathen. Will man durchaus sein Mahl zu einem besonders festlichen gestalten und man verfügt nicht über eine ausreichende Dienerschaft, so miethe man mehr als den üblichen einzigen Lohndiener und gebe für je zwei Gäste eine besondere Aufwartung. Dies ist die Quintessenz der 143 Aufmerksamkeit für die Geladenen, denn es ermöglicht einen flotten Tellerwechsel, ein flinkes Herumreichen der Speisen und einen beschleunigten Fortgang des Mahles. In einem wirklich vornehmen Hause wird man selten länger als eine Stunde bei Tisch sitzen wollen. Das stundenlange Tafeln, die geradezu ekelerregende Uebermenge der Gerichte, ist eine diätetische Ungeheuerlichkeit, die schon die Alten empfunden und nach Gebühr gegeißelt haben. Das Gastmahl des Trimalchio, von Petronius beschrieben, wird meinen schönen Leserinnen gewiß nicht bekannt sein. Dieser cynische Gernegroß gab Oliven, in Honig eingemachte Haselnußkerne, Bratwürste mit syrischen Pflaumen und Granatäpfeln, aus Teig gebackene Pfaueneier, die je mit einer feisten Weindrossel und gepfeffertem Dotter gefüllt waren, als Vorgericht; dann erst erschienen als eigentliches Mahl: Bockserbsen, Ochsenfleisch, Nieren, afrikanische Feigen, Schinken, Pasteten, Seefische, Hasen- und Gänsebraten, Seebarben und verschiedene Süßigkeiten – Alles auf einem riesenhaften Auftragbrette, das die zwölf Himmelszeichen enthielt, angerichtet. Die Mitte dieses Prachtstückes bildete ein Honigkuchen auf einem Aufsatze, und als dieser entfernt worden war, kam der zweite Haupttheil des Mahles zum Vorschein: fettes Geflügel, Schweinsbrüste, mit Federn verzierte Hasen, und Fische, die aus den Schläuchen kleiner Statuetten mit einer kostbaren Gewürzbrühe berieselt wurden. Der ungebildete römische Wüstling hatte an diesen Gängen noch nicht genug; er wollte prahlerisch seinen Reichthum und 144 seine raffinirte Zunge zur Schau stellen, und ließ nun ein ganzes wildes Schwein hereintragen, an dessen Hauern Palmzweigkörbchen mit thebanischen Datteln hingen und an dessen Brüsten kleine, aus Teig gebackene Frischlinge wie saugend lagen. Als dieses Schwein zerlegt wurde, flatterten aus seinem Bauche lebende Krammetsvögel, die sofort gefangen und den Gästen als Geschenk übergeben wurden. Nun erschienen Weintrauben und nach diesen wurden die Tische gewechselt, um mit dem dritten Haupttheile des Mahles beginnen zu können. Man trug jetzt ein ganzes zahmes Schwein auf, das mit – Würsten gefüllt war; dann ein gebratenes Kalb auf silberner Schüssel. Nun öffnete sich die Zimmerdecke, und es senkte sich eine Art Kronleuchter herab, an dem goldene Kränze, kostbare Balsambüchschen und ein kleines Weinfaß hingen – Alles Geschenke für die Tafelnden. Nach dieser Ueberraschung wurden mehrere Kuchen aufgetragen und ein gebackener Gott, in dessen Schooße Obst und Trauben lagen: dann gemästete Hennen, gefüllte Gänseeier, gestopfte Krammetsvögel, mit Zimmet gespickte Quittenäpfel und die lächerlichsten Atrappen, z. B. Gänse, Fische, Wild, Alles aus Speck nachgebildet. Den Beschluß machten Austern, Muscheln und Schnecken.

Es ist gar nicht so lange her, daß der deutsche Emporkömmling eine Wiederherstellung so widerlicher Uebertreibungen aus dem Zeitalter des Nero versuchte, und ich könnte eine Geschichte aus den Gründerjahren erzählen, wo ich als Tafelgast in dem Hause eines 145 Börsenfürsten – – doch decken wir lieber den Schleier des Vergessens auf so trübe Erinnerungen.

Das Speisezimmer muß kühl und gut gelüftet sein – für diese dritte und letzte Hauptregel erbitte ich mir noch auf einen Augenblick die Aufmerksamkeit meiner nachsichtigen Leserin. Im Sommer wähle man einen nach Norden gelegenen Raum und speise möglichst bei offenen Fenstern; im Winter gebe man diesem Raum nicht mehr als 13 Grad Wärme nach Réaumur. Nichts ist entsetzlicher als heiße Eßzimmer! Wenn es gewiß auch bevorzugte Naturen giebt, die selbst in einem Backofen behaglich zu speisen vermöchten, so ist doch der größere Theil der Bewohner der gemäßigten Zone empfindlicher organisirt und verliert in erdrückender Hitze jede Eßlust und jedes körperliche Behagen. Die Temperatur steigert sich so wie so während des Mahles immer noch erheblich; dafür sorgt das brennende Gas, der genossene Wein, die lebhaftere Unterhaltung und der Prozeß des Essens selbst, denn die genossenen Speisen bilden die Kohlenfeuerung, mit der wir unser Blut erhitzen. Wer also in einem Zimmer mit 15, 16 Grad Wärme anrichten läßt, der muß gewärtigen, daß die Temperatur noch auf 17 und 18 Grad steigen wird, und eine derartige Spekulation auf eine Apoplexie der Gäste sollte eigentlich durch den Strafrichter geahndet werden. Nach dem Mahle mögen sich fischblütige Naturen im Kaffeezimmer an einen heißen Ofen retten; ich hoffe aber, die liebenswürdigen Hausfrauen werden dafür Sorge tragen, daß es auch ein Rauchzimmer 146 giebt, in welchem die Herren bei der Cigarre über den Zauber eines umsichtig angeordneten und durch die Anwesenheit von Damen verschönten Mahles nachdenken können.

Dadurch, daß ich die Beobachtung dieser Regeln der deutschen Hausfrau ans Herz lege, verrathe ich schon, daß ich mir ein vollkommenes Gastmahl nur unter Betheiligung von Damen denken kann. Die Festtafeln, welche von Junggesellen oder Wittwern nur für Junggesellen gegeben werden, und wenn sie noch so seltene Speisen und noch so kostbare Weine bieten, sind im besten Falle schwelgerische Gelage, denen jedes künstlerische Maß und jeder ästhetische Gehalt abgeht. Die Gegenwart geschmückter Frauen hebt die Feststimmung der Gäste, breitet duftigen Zauber über die Tafel, hält die Unterhaltung in den diätetisch nothwendigen Grenzen und verklärt den rein sinnlichen Akt des materiellen Genießens zu einem lieblichen Kulte des Schönen. Wer kann sich dem bestrickenden Einflusse schöner Augen, die ihm gegenüber leuchten, so entziehen, daß er die Geister durch eine politische Kontroverse entflammen und aufeinanderplatzen lassen möchte? Wen stimmt das blumengeschmückte Haupt, der weiße Arm, die glänzende Schulter einer Nachbarin nicht sofort friedlich und duldsam, so daß er es nicht wagt, durch ein Schlagwort aus den religiösen Streitigkeiten unserer Tage die gemüthliche Tischplauderei zum Entgleisen zu bringen? Die Unterhaltungsgegenstände bei einem fröhlichen Gastmahle sind deshalb der Zahl nach nicht beschränkt; der 147 Mann von Geist, die Dame von Takt, wird sie aus allen möglichen Gebieten holen dürfen; aber gerade die letztere wird es immer zu verhindern wissen, daß der Eßsaal zur Arena werde, auf der sich politische Leidenschaftlichkeit und religiöse Unduldsamkeit austobt. Nichts zerstört den behaglichen Genuß mehr als eine erregte, schlagfertig geführte Debatte; sie ist die Feindin aller Digestion. Der Wein löst die Zungen; leicht entschlüpft dem Angegriffenen ein scharfes Wort der Abwehr, und die bloße Möglichkeit eines Streites, der noch außerhalb des Gastzimmers eine Fortsetzung haben könnte, verdirbt jedem der Mittafelnden die Eßlust. Durch die Anwesenheit der Damen wird den Geistern ein wohlthätiger Dämpfer aufgesetzt; die Herren sind gezwungen, das Rüstzeug des Kampfes, als welchen sie das Leben nehmen müssen, abzulegen und sich rein menschlich und brüderlich zu geben: Herkules sitzt friedlich und freundlich neben seiner Omphale. Daß die Damen bei den tafelnden Männern ausharren, bis die Tafel aufgehoben wird, daß sie sich nicht früher zurückziehen, um den Herren dadurch Gelegenheit zur Entfesselung der Zungen oder zur Bethätigung eines unmäßigen Durstes zu geben, das ist eine alte, gute, deutsche Sitte, auf die wir stolz sind und um die uns die Schwesternation jenseits des Kanals zu beneiden hat. 148

 


 


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