Gerhard von Amyntor (= Dagobert von Gerhardt)
Für und über die deutschen Frauen
Gerhard von Amyntor (= Dagobert von Gerhardt)

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Zur Naturgeschichte der Frau.

Der Mangel an gesetzlichem Sinn.

Es hat geregnet. Der Sohn des Nachbars steht mit einer langen Peitsche auf dem Bürgersteige und beschäftigt sich damit, jeden Vorübergehenden zu bespritzen, indem er mit der Peitsche kräftige Hiebe in die hochgeschwollene Gosse führt. Eine Dame sieht vom Fenster aus unwillig diesem Spiele zu. Endlich geht der Gatte dieser Dame vorüber, und wie er ebenfalls beschmutzt wird, wendet er sich entrüstet gegen den Straßenjungen und schüttelt ihn energisch an den Ohren. »Das ist recht!« denkt die Dame am Fenster, »der böse Bube hätte längst eine Züchtigung verdient! Ich begreife die Leute gar nicht, daß sie sich solchen Unfug gefallen lassen. Mein guter Mann, der hat das Herz auf dem rechten Flecke, er hält immer auf Ordnung!«

Dieselbe Dame guckt ein paar Stunden später wieder zum Fenster hinaus. Ihr Fritzchen, ein hoffnungsvoller 85 Tausendsasa von acht bis neun Jahren, spielt vor der Hausthür; er hat eine hölzerne Spritze mit Wasser aus der Gosse gefüllt und versucht, jedem Vorübergehenden unbemerkt eine volle Ladung hinterher zu senden. Ein paar Mal hat die liebe Mama ängstlich hinuntergerufen: »Aber, Fritzchen, das ist nicht artig! Du darfst die Leute nicht naß machen!« Fritzchen hat aber auf die freundliche Mahnung nicht geachtet, setzt seinen Sport mit ungeminderter Dreistigkeit fort, und die Mama muß heimlich lachen über die Schlauheit und das unverkennbare Schauspielertalent, das der Junge bei seinen meuchlerischen Unthaten mit der Spritze entwickelt. Wenn sich ein unversehens Angespritzter argwöhnisch umkehrt, dann versteckt Fritzchen die Spritze so schnell hinter seinem Rücken und macht dabei ein so einfältig-harmloses Gesicht, daß das Herz der beobachtenden Mutter vor Freude und Bewunderung hüpft. »Welch' ein Pfiffikus!« denkt sie, »der wird sich einmal nicht die Butter vom Brote nehmen lassen.« Da geht ein alter, griesgrämiger Herr vorüber, und gerade wie Fritzchen losdrückt, sieht er sich um und bekommt einen Theil der Ladung in's Gesicht. Empört geht er auf den in flagranti ertappten Sünder los und versetzt ihm eine, wenn auch väterlich gemäßigte, doch immerhin nachdrückliche Ohrfeige, so daß der Knabe verblüfft die Spritze fallen läßt und heulend und beschämt den Rückzug in's Haus antritt.

Was thut nun die Mama oben am Fenster? Denkt sie wieder befriedigt: »Das ist Recht! Der Bengel 86 hat diese Züchtigung längst verdient! Der alte Herr hat das Herz auf dem rechten Fleck – er hält auf Ordnung!« Denkt sie so oder spricht sie es gar aus? Keineswegs! Als hätte sie selbst die Ohrfeige bekommen, so heftig fährt sie vom Fenster auf und stürmt nach dem Flur und der Treppe, um ihr geliebtes Schoßkindchen in Empfang zu nehmen und über die erlittene Unbill zu trösten. »Der Grobian der!« knirscht sie durch die kleinen, bläulichweißen Zähne, »ein Kind zu schlagen! Welche Gemeinheit! Das Bischen Wasser wird den rohen Menschen auch nicht umbringen – wegen solcher Kleinigkeit gleich so pöbelhaft dreinzufahren! Wenn nur mein Mann zu Hause wäre! Er sollte mir gleich hinterhergehen und den Unverschämten zur Rede stellen! Da bist Du ja, mein armer Junge! Hat Dir der böse Mensch wehgethan? Nein? Das freut mich, daß Du den Schlag parirt hast. Bleib jetzt bei mir – die ungebildeten Leute verstehen eben keinen Spaß. – – So, mein armer Schelm, setze Dich! Ich werde Dir ein Bilderbuch bringen.«

Solch ein Verhalten bedarf keines Commentars (ich habe es oft als Augen- und Ohrenzeuge beobachtet); nicht nur ungebildete Frauen handeln so, es passirt auch den Besseren des schönen Geschlechts, es ist geradezu typisch.

Man wird mir entgegnen, daß es die Mutterliebe ist, welche zu so ungleichförmigem Verhalten verführt, und ich will keinesweges in Abrede stellen, daß die Mutterliebe in vielen Fällen die Erklärung, wenn auch nicht 87 die Entschuldigung, solcher Ungerechtigkeit ist. In vielen Fällen – nicht in allen. Eine Dame verurtheilt mit offenem Sinne für das Unpassende so Manches an Andern, was sie sich selbst mit kaltem Blute ohne Weiteres gestattet. Um das zu erkennen, braucht man beispielsweise nur einen Blick in vornehme oder geringe Miethshäuser zu werfen, wo zahlreiche Frauen in Frieden mit oder wenigstens neben einander verkehren sollen – selten bekommen sie es fertig. Die Frau, die ihre auf dem Trockenboden aufgehängte Wäsche mit Argusaugen bewacht und mit der scrupulösesten Gewissenhaftigkeit vor jeder Unbill behütet, dieselbe Frau läßt dicht neben dem Trockenboden Staub ausklopfen oder Kohlen zerkleinern, wenn die Wäsche einer anderen Familie daselbst aufgehangen ist. Die nervöse Frau Geheimräthin, welche es unverschämt findet, daß die über ihr wohnende Frau Professorin immer des Nachmittags um drei Uhr, zu welcher Zeit sie – die Geheimräthin – zu schlafen pflegt, ihre Clavierübungen vornimmt, macht sich gar kein Gewissen daraus, am Geburtstage des ältesten Töchterchens eine geladene Gesellschaft von vierzig Personen bei sich tanzen zu lassen, obgleich die Wittwe, welche unter ihr wohnt, bettlägerig ist und der Hausarzt erklärt hat, sie bedürfe der größten Ruhe. »Es thut mir recht leid, daß es sich so trifft,« erklärt sie halb mitleidig, halb verdrießlich zu einer Freundin, »aber, mein Gott, ich kann doch nichts dafür, daß gerade heute der Geburtstag ist, und ich kann doch meinem Kinde nicht den ganzen 88 Spaß verderben, blos weil es der alten Dame unten einfällt, just am Geburtstage meiner Tochter krank zu werden. Und dann – man kennt ja die Krankheiten solcher alten Leute: Verdrießlichkeit und Langeweile! Von dem Bischen Tanzmusik wird sie nicht gleich sterben, und die Tänzer sind lauter junges Volk – das tritt nicht schwer auf.«

Es giebt gewiß ehrenvolle Ausnahmen – aber wir sprechen hier vom Durchschnitt des schöneren Geschlechtes. Als Junggesell bewohnte ich einmal ein Haus, das ich mit mindestens einem Dutzend unverheiratheter Herren, Offizieren, Assessoren, Gelehrten, zu theilen hatte. Die verschiedenen Diener und Burschen dieser Herren lebten in der vollkommensten Eintracht und ahmten so nur das Beispiel nach, das ihnen ihre Herren gaben. Nun blicke oder horche man einmal in ein Haus, in welchem nur sechs Familien leben, und man wird sofort Zeuge der erbittertsten Kämpfe sein, die von den weiblichen Familienmitgliedern leise und heimlich, von den weiblichen Dienstboten laut und offen geführt werden. Gewiß weiß das weibliche Geschlecht den Werth des Friedens eben so hoch zu schätzen, wie die Männer, daß es aber den Frieden nicht immer zu bewahren versteht, das ist die Folge des Mangels an gesetzlichem Sinne, an welchem merkwürdiger Weise viele Frauen und Jungfrauen leiden. Ich sage: merkwürdiger Weise, weil wir im Uebrigen gewöhnt sind, die Frau als die Wahrerin der guten Sitte, als Vertreterin der zartesten Rücksichtnahme zu verehren und zu lieben; sonst ist die Sache an und 89 für sich gar nicht so merkwürdig, da der gesetzliche Sinn nur auf dem Boden der Objectivität und Abstractionsfähigkeit gedeiht, die Frau aber durchaus subjectiv ist und alle Dinge und Personen jederzeit nur sub specie des eigenen Ich's betrachtet.

Dieser Ueberschuß an Egoismus im Weibe ist eine Thatsache. Berührt man dieses Thema den Damen gegenüber, dann muß man sich auf eine leidenschaftliche Abwehr und Zurechtweisung gefaßt machen, denn keine Frau will zugeben, daß man Recht habe. In der That geht auch dieser Egoismus mit der rührendsten Opferfreudigkeit Hand in Hand. Das scheint wieder unvereinbar; dennoch vollzieht sich diese Vereinigung heterogener Eigenschaften mit Leichtigkeit in der Frau, deren Herz und Sinn ein wahrer Rattenkönig von Widersprüchen und Paradoxien ist. Für den Gatten, den Geliebten, das Kind ist eine Frau zu jedem Opfer bereit, denn die Liebe macht sie hochherzig und selbstvergessen in einem Grade, zu dem wir Männer nur bewundernd aufblicken können; der übrigen Welt gegenüber kehrt aber die Frau ihren Egoismus nur um so rücksichtsloser hervor. Und sie sucht ihn nicht einmal als Tugend aufzuschminken, da sie sich desselben gar nicht bewußt wird. Ein Professor der Aesthetik würde, wenn er z. B. eine Wurst mit mir zu theilen hätte und sich das größere Stück derselben nähme, diese ungleiche Theilung wahrscheinlich als eine nach dem goldenen Schnitte bewirkte erklären, meine Uebervortheilung als eine rein zufällige entschuldigen und seiner Bereitwilligkeit, 90 sich auch mit der kleineren Hälfte der Wurst begnügen zu wollen, einen lebhaften Ausdruck geben – eine Dame, welche eine Wurst zwischen ihren Kindern und denen der Nachbarin zu theilen hat, wird in neunzig unter hundert Fällen den eigenen Kindern die größere Hälfte zuwenden, ohne eine innere Nöthigung zu verspüren, dies Verfahren erst entschuldigen zu müssen. Die Mutterliebe erstickt eben den gesetzlichen Sinn und das Manco an Gesetzlichkeit überträgt sich dann auch auf alle anderen Verhältnisse.

Aus diesem Grunde wären Frauen untauglich zu jeder Art rechtswissenschaftlicher Arbeit, und die Emancipationsbestrebungen, welche auch für die Frau eine Theilnahme etwa an gesetzgeberischen Verhandlungen bezwecken, verkennen einfach die Naturanlage des Weibes. Der Mangel an Rechtssinn macht die Frau zur geborenen Uebertreterin der Gesetze und die Strafbestimmungen eines civilisirten Volkes müßten auf diese Thatsache weit mehr Rücksicht nehmen. Jede Frau ist z. B. leidenschaftliche Schmugglerin. Man braucht nur mit mehreren Damen eine Zollgrenze zu passiren und man wird mit Staunen gewahr werden, daß es auch die vornehmste und reichste Dame nicht verschmäht, den Zollbeamten ein Schnippchen zu schlagen, ohne sich dabei im mindesten vor den Mitreisenden wegen der oft kleinlichen Defraudation zu geniren. Es ist nicht der materielle Gewinn, welcher die Schönen zur Uebertretung der Gesetze reizt; die Uebertretung erscheint ihnen eben gar nicht verdammenswerth, da sie keine 91 Ader von Rechtssinn besitzen: und es ist allein der prickelnde Reiz der Gefahr, welcher zum Unrecht verführt.

Die Natur hat jedenfalls sehr weise gethan, die Frau so zu organisiren, wie sie ist, denn ihr liegt der erste Schutz und das gedeihliche Aufbringen der Kinder ob, und eine Mutter wird unbedenklich lieber Anderen Unrecht zufügen, als das Wohl und Wehe ihrer Pflegebefohlenen zu Gunsten einer Rechtstheorie auch nur einen Augenblick in Frage stellen. Das Wort »fiat justitia, pereat mundus« ist für die Ohren einer Mutter ein Gallimathias oder eine Immoralität – sie wird es immer »pereat justitia, fiat mundus« umkehren, d. h. sie wird in der Sicherstellung der Continuität der Menschheit ihre Lebensaufgabe erblicken und bei Erfüllung dieser Aufgabe sich möglichst wenig Scrupel machen. Es ist daher keine Anklage, wenn wir der Frau den gesetzlichen Sinn absprechen, sondern nur die Feststellung einer natürlichen Thatsache.

Wenn wir diese constitutionelle Eigenthümlichkeit der Frau bescheidentlich erwähnen, so geschieht es, wir wiederholen es, nicht um anzuschuldigen; aber wir sind überzeugt, daß die Besseren und Edleren des weiblichen Geschlechtes, welche die Richtigkeit unseres Satzes einräumen, eine verstärkte Aufforderung empfinden werden, ein natürliches Deficit nicht ausarten zu lassen, sondern es in seinen ursprünglichen Minimalgrenzen eingeschränkt zu erhalten. Die holdseligste Frau, die bezauberndste Salondame, die hingebendste Mutter wird an Huld und Reizen noch außerordentlich gewinnen, wenn sie sich 92 bestrebt, zu ihren vielen Tugenden auch die der Gerechtigkeit hinzuzufügen; ohne gesetzlichen Sinn kann der wahrhafte Hausfrieden und die echte und rechte Nächstenliebe auf die Dauer nicht bestehen.

Wer uns kopfschüttelnd hierzu bemerken wollte, daß doch die stets bereite Parteinahme und Opferwilligkeit für Unterdrückte, sowie der feinfühlige Ausgleich sozialer Ungerechtigkeiten seitens der Frauen die Kriterien des Rechtssinnes bei ihnen durchaus nicht verkennen lasse, der würde dennoch zugeben müssen, daß dieser Rechtssinn im Conflikte mit den Interessen der eigenen Familienmitglieder jedesmal schwankend, daher nicht formfest und ungenügend ausgeprägt erscheine, und das ist es gerade, worauf wir kurz haben hinweisen wollen, denn die Frauen definiren im allgemeinen mehr mit dem Herzen als mit dem Verstande. 93

 


 


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