Gerhard von Amyntor (= Dagobert von Gerhardt)
Für und über die deutschen Frauen
Gerhard von Amyntor (= Dagobert von Gerhardt)

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Die Erschleichung geistiger Genüsse.

»Ein neues Buch! Der Novellist Y., der Dichter Z. hat uns ein neues Werk gebracht! Wenn man nur erst wüßte, wo man es wird leihen können!«

So ruft schmachtend ein Fräulein aus, das sich außer für Plattstichstickerei und das Einlegen von Salzgurken auch für schöne Literatur interessirt, und es wirst einen neugierig verlangenden Blick nach dem Bücherschrank im Salon der Geheimräthin, bei deren Tochter es zum Kaffee eingeladen ist.

Die Geheimräthin, welche nebenan in ihrem Boudoir sitzt und in der neuesten Nummer einer Romanzeitung blättert, hat den Stoßseufzer der jungen Dame gehört und ruf gutmüthig:

»Liebes Fräulein Agnes, ich will Ihnen helfen; Sie sollen das Buch lesen, aber Sie müssen sich noch eine Woche gedulden. Meine Schwägerin hat es augenblicklich in Händen; sie wollte mir es schon gestern zurückgeben; Ende der Woche hoffe ich es bestimmt wieder zu haben.«

49 »Ach, Sie sind zu gütig, gnädige Frau!« erwidert Agnes, hoch erfreut; »von Herzen gern nehme ich Ihr freundliches Anerbieten an; wenn Sie erlauben, komme ich nächste Woche, mir selbst das Buch zu holen.«

Das Fräulein hält Wort, die Geheimräthin ebenfalls, und nach einer Woche hat der Dichter Y. oder Z. eine neue Leserin gewonnen.

So gleichgültig dieses Ereigniß erscheint, so tief bedeutsam ist es, und ich möchte bei dieser Gelegenheit an die Frauen und Jungfrauen meines großen Vaterlandes eine Bitte und eine kleine Belehrung richten.

Die vorzüglichsten Träger und Förderer unserer schöngeistigen Literatur sollen heute die Damen sein, und es läßt sich nicht leugnen, daß, während der größere Theil der Männer nur dem Erwerbe und der politischen Projectemacherei und Kannegießerei hingegeben scheint, fast nur noch Frauen an den neuen belletristischen Erscheinungen regen Antheil nehmen. Aber dieser Antheil ist kein herzlicher; er hat nicht die Förderung der Kunst, nicht die Unterstützung des Talentes im Auge; es ist mehr Neugier, welche die Damen nach einem neuen Werke greifen läßt, mehr Genußsucht, welche hastig die Blätter desselben nach sogenannten spannenden oder »pikanten« Scenen durchsucht. Der neue Gesang wird überlesen, der neue Roman durchgepeitscht, die Neugier, ob »sie sich endlich bekommen«, wird befriedigt, und gähnend oder aufathmend legt das Fräulein oder die Frau den Band aus den wohlgepflegten Händchen, um das Gelesene so schnell wie möglich zu vergessen, 50 damit das entlastete Gedächtniß wieder empfänglich für neue schöngeistige Nahrung werde.

Nur wenige Leserinnen wissen den Namen des Autors, die allerwenigsten nehmen Theil an seinem Geschicke; ein Urtheil über das, was sie gelesen haben, suchen die Damen sich selten zu bilden; sie wissen nur, ob sie sich unterhalten haben oder nicht, und nehmen die Kritik des Werkes willig und ohne selbständiges Denken von dem anonymen Scribenten hin, der im literarischen Theile der Zeitung für wenige Groschen sein dunkles Wesen treibt. Da keine dieser Literatur-Gönnerinnen mehr ein Werk kauft, sondern nur, wie ein Zeitgenosse behauptet, im Wege »der Erschleichung« von den Früchten der neueren Dichtung kostet, so wird ein solches Werk auch nie zum zweiten Male gelesen, sondern nach beendeter Durchpeitschung auf Nimmerwiedersehen an die Besitzerin oder den Leihbibliothekar zurückgegeben.

Es fragt sich nun, ob unter solchen Umständen eine Pflege der Literatur möglich ist, ob die Damen irgend welchen bleibenden Nutzen von ihrer Lectüre haben; – leider müssen diese Fragen auf das Bestimmteste verneint werden.

Wie kommt ein schöngeistiges Buch zu Stande? Antwort: es muß ein Dichter da sein, der es verfaßt und niederschreibt, und ein Verleger, der das Manuscript erwirbt, auf seine Kosten und Gefahr drucken läßt und herausgiebt.

Meine gnädigste Leserin, erschrecken Sie nicht und 51 befürchten Sie nichts! Ich beabsichtige nicht, mit der Erfindung der Buchdruckerkunst zu beginnen; also unterdrücken Sie das Gähnen, das schon durch die Muskeln Ihres schönen Angesichtes zuckt, und schenken Sie mir noch eine Minute Gehör.

Also ein Verleger muß da sein, wenn ein Buch zu Stande kommen soll. Sie behaupten, daß Sie dies längst wissen, und ich glaube Ihrem reizenden Munde; aber es giebt Evas-Töchter, die darüber in der That noch nie nachgedacht haben, die überhaupt allen Erscheinungen der Kunst eine bemerkenswerthe Naivetät entgegenbringen. In einer Gemälde-Ausstellung fragte mich die junge Frau eines Geheimrathes, ob die Künstler ihre Bilder im Wege des Oeldruckes herstellten, und in einem Sculpturen-Museum stand ich einmal hinter einem allerliebsten Pärchen (er trug eine Uniform und sie einen wundervollen Seeotter-Pelz), und hörte, wie das Frauchen sich mit der köstlichen Frage an das Männchen wandte: »Sag' mal, Karl, werden diese Statuen auch in Fabriken mit Dampfbetrieb angefertigt?« Sie sehen, meine Gnädigste, nicht jede Ihrer Schwestern besitzt Ihre Kenntnisse und Ihre Erfahrung.

Also ein Verleger muß da sein. Im Allgemeinen lebt ein Verleger von den Erträgen seines Gewerbes, und diejenigen, welche Zinscoupons abschneiden und für den Werth derselben unbegehrte Bücher herstellen, bilden nur die Ausnahme. Das Gewerbe des Verlegers bringt aber nur dann einen Ertrag, wenn die Werke, die er herausgiebt, in Tausenden von Exemplaren gekauft 52 werden. Bedenken Sie, gnädigste Leserin, daß der Verleger dem Autor meistens ein sogenanntes Honorar zu zahlen hat, daß er für Satz und Druck, für Papier, Broschiren oder Einbinden des Werkes bedeutende Auslagen zu machen hat, und daß der Versand, die Ankündigung des neuen Buches in den Zeitungen und oft auch die Reclame, die in Scene gesetzt wird, ebenfalls schweres Geld kosten. Häufig wagt der Verleger nicht mehr als eintausend Exemplare zu drucken, und wenn dieselben binnen Jahresfrist alle baar verkauft sind, – wofür der unternehmende Mann seinem Gotte schon sehr dankbar zu sein pflegt, – dann hat er vielleicht gerade die Kosten gedeckt und muß mit einer zweiten Auflage von tausend Exemplaren den Versuch machen, ob er nun, da er kein Honorar mehr zu zahlen hat, oder doch nur einen geringen Theil des erst bewilligten, für sich einen Gewinn einzustreichen vermag.

Die Mehrzahl deutscher Verleger, die noch obenein so ehrenhaft ist, gewisse ideale Ziele zu verfolgen und dem Publikum nicht blos die leckere Waare zu liefern, nach welcher es vielleicht gerade lüstern ist, treibt kein goldreiches Gewerbe und muß auf ein einschlagendes Unternehmen mindestens zehn verfehlte rechnen. Aber immer wieder drängt es den wagenden Verleger zur Herausgabe neuer Werke; immer wieder hofft er auf die Gunst der Literaturfreunde und besonders der für das Gute, Wahre und Schöne empfänglichen Damen. »Dies Werk werden die Damen kaufen!« so denkt er bei mancher neuen Unternehmung; »dies Werk wird 53 dem Autor ehrenvolle Anerkennung und mir einen Gewinn für meinen Muth einbringen!« Und was thun die Damen? Kaufen sie das neue Buch? Das Buch, auf dessen Erscheinen sie längst gespannt waren, nach dessen Inhalt sie so großes Verlangen trugen? Nein und abermals nein! Die deutsche Frau und Jungfrau sucht das Werk zu leihen und entwickelt bei diesen Leihbemühungen eine wahrhaft staunenswerthe Umsicht, Beharrlichkeit und Unverfrorenheit.

Ich meinerseits lege auf einen großen materiellen Gewinn kein Gewicht; ich bin kein Honorar-Speculant, kein literarischer Tagelöhner; ich schreibe nicht des Geldes wegen, wenngleich ich hohe Honorare eben so gut brauchen könnte, wie ein Tenorsänger oder der Chef eines Bankinstitutes; und doch sehe ich nicht ohne wehmüthige Empfindung auf meine französischen, englischen und russischen Kameraden von der Feder, die sich in Passy, am »Strande« und in den Vorstädten von Petersburg Landhäuser kaufen, die sie unmittelbar dem Ehrensolde ihres Verlegers, mittelbar der Gunst bücherkaufender Leser, verdanken. Ich speculire nicht auf diese Gunst; ich bin eben ein Deutscher, und ich weiß, daß jeder Deutsche in einem Professor einen Mann mit schäbigem Rocke und einer Brille, in einem Dichter einen Hungerleider in einer Dachstube voraussetzt; ich kenne diese berechtigte deutsche Eigenthümlichkeit und bemesse meine Ansprüche und Erwartungen nach diesem charakteristischen Grundzuge meiner ehrenwerthen Landsleute. Freilich, ich wiederhole es, wird es mir 54 manchmal schwer genug; man muß sich das Gedächtniß abgewöhnen, man muß nicht daran denken, daß Tennyson für ein Gedicht »The Defence of Lucknow«, das ungefähr die Länge des Schiller'schen »Taucher« hat, und das er in dem »Nineteenth Century« veröffentlichte, ein Honorar von 350 Pfund Sterling, ungefähr 7000 Mark, erhalten hat, – das »Nineteenth Century« wird eben gekauft und nicht blos geliehen; man muß es sich aus dem Sinne schlagen, daß Macaulay für seine Geschichte Englands, von welcher der Verleger Longmans in zehn Wochen 27,000 Exemplare und in einem Jahre 150,000 Exemplare verkaufte, einen Ehrensold von einer halben Million Mark erhielt; – die englischen Damen haben selbst dieses rein wissenschaftliche Werk gekauft, nicht geliehen; man muß zu vergessen suchen, daß Pissemskij'sche und Tolstoi'sche Romane von den Herausgebern der russischen Wochenschriften »Ogonek« und »Niwa« mit 10,000 Silberrubeln honorirt wurden; – man muß Vieles vergessen, um sich mit jener Eigenthümlichkeit deutscher Literaturfreunde auszusöhnen.

Mir ist diese Aussöhnung gelungen, zumal ich mich weder mit Macaulay, noch mit Tennyson, noch mit irgend einem russischen Romancier oder französischen Dramatiker vergleichen will; bescheidener, wie ich es bin, kann man gar nicht sein, und deshalb will ich auch nicht vom Autor und seinem Schicksale in Berlin oder Schilda oder Krähwinkel, sondern nur vom deutschen Verleger reden.

Der Verleger, meine Gnädigste, muß in der That 55 seine Bücher verkaufen, wenn er nicht verhungern soll. So lange die Damenwelt nur geliehene Bücher liest, so lange kränkelt der deutsche Büchermarkt; der Verleger, der eben nicht zu Grunde gehen will, wird nur solche Werke zu verlegen wagen, die zweifellos auf einen immerhin noch mäßigen Absatz rechnen können, für deren Erwerb auch der sparsamste Deutsche, wenn er das Werk nicht beim Leihbibliothekar vorräthig findet, doch noch einige Groschen aus dem Beutel holt.

Was sind das für Werke? Antwort: in erster Linie die Werke der wenigen verdienten Lieblinge des Publikums, die mindestens von sämmtlichen Buchverleihern angeschafft werden; in zweiter Linie solche Werke, die dem allerpersönlichsten Klatsch und Scandal Vorschub leisten oder durch mehr oder minder verdeckte Frivolitäten dem schlechten Geschmacke des großen Haufens schmeicheln. Wer nicht zu den lebenden Klassikern gehört und dennoch ein gutes und anständiges Buch auf den Markt bringen will, das zu den üblen Gewohnheiten der Menge nicht heruntersteigt, wird heute immer seine Mühe haben, einen willigen Verleger zu finden; denn der Verleger kennt eben sein Publikum und weiß, was er von demselben zu erwarten hat. Es giebt Schriftsteller, die mit den besten Werken ihrer Muse drei, fünf, sieben Jahre lang auf der vergeblichen Jagd nach einem Verleger gewesen, schließlich verzweifelt und an Leib und Seele gebrochen, elend dahingesiecht und zu Grunde gegangen sind, und lange nach ihrem Tode ist ihr Werk im Buchhandel erschienen 56 und von der richtenden Nachwelt den besten Schätzen unserer Literatur beigezählt worden.

Die traurige Folge solcher kläglichen Zustände ist das Verdrängen namhafter Talente aus der literarischen Arena, die Herabdrückung des Preises der wahrhaften Kunstwerke und die schädliche, den Geschmack der Menge mehr und mehr untergrabende Concurrenz seichter, eitler, aber beharrlicher Scribenten, die für einen Hungerlohn dem unwählerischen, speculativen Verleger ihre schlechte Waare überlassen. Die Kataloge der Leihbüchereien füllen sich auf diese Weise mit immer neuen Nummern solcher Werke, die in einem Lande, wo es anständigere literarische Zustände giebt, gar nicht das Licht der Welt erblicken würden.

Wenn irgend wo, so ist dem Schriftsteller im heutigen Deutschland der Weg zum Erfolge mit Dornen und Nesseln übersät; die schmerzlichsten Dornen und Nesseln sind die rührendnaive Indolenz, die genußsüchtige Frivolität, die übertriebene, dicht an Geiz streifende Sparsamkeit des Lesepublikums. Nur wenn sich die Leser wieder entschließen, gute Bücher grundsätzlich zu erwerben, – nur so werden sie auch zum geistigen Eigenthum der Besitzer, – wenn es die gebildete und bemittelte Dame für unpassend hält, schmutzige Leihbücher in die Hand zu nehmen, – nur dann werden die enorm hohen Bücherpreise sinken, und es wird auch dem weniger Bemittelten wieder möglich werden, ein neues Buch zu kaufen. Dann wird auch neuer Unternehmungsgeist in die Brust der Verleger 57 einziehen, die Penny-a-liner werden vom Markte verschwinden, und der Stand der von der Gunst der Massen getragenen Autoren wird sich heben.

Deutsche Frauen und Jungfrauen! Denkt diesem Mahnrufe etwas nach, und wenn Ihr seine Berechtigung anerkennt, so beherzigt ihn und legt die üble Gewohnheit der »Erschleichung« Eurer geistigen Genüsse ab. Es wird zu Eurem Besten und zum Besten der deutschen Literatur selbst sein! 58

 


 


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