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X.
Eine Krone und elf Köpfe

Die Idee der Legitimität ist sicherlich eine schöne, große und erhabene, und die Geschichte hat bewiesen, daß ein Staat nur zu seinem Unheil und Verderben an dem Legitimitätsprinzip, also dem Grundsatz der Unveränderlichkeit der Monarchie, des Königtums von Gottes Gnaden, rütteln darf. Aber die Idee der Legitimität selbst, die Rechtmäßigkeit eines Anspruches, die eigentlich doch nur dem einen Ziel zustrebt, kann dennoch verschiedenen Auffassungen unterworfen sein. Das beweisen uns die Legitimitätsfragen der Geschichte zur Genüge – sind es doch Fragen, die zu blutigen Kriegen führten, Fragen, in denen jede der Parteien im Recht zu sein glaubte und noch glaubt. Ich meine damit nicht die Kämpfe, in denen die Gewalt vor das Recht gestellt wurde, in denen der Stärkere den Schwächeren eben verdrängte, sondern die erbitterteren Kämpfe um die Legitimität. Um Beispiele anzuführen, brauchen wir nur die neuere Geschichte aufzuschlagen: die spanischen, bayerischen und österreichischen Erbfolgekriege beweisen es, wie die Idee der Legitimität verschieden aufgefaßt werden kann von den beteiligten Parteien, wenn sie dem Außenstehenden auch noch so klar und zweifelsohne dünkt. Die neueste Geschichte beweist auch, wie der uralte Kampf um das wirkliche und das eingebildete Recht nicht zum Schweigen kommt, sind doch die Karlisten und Isabellisten oder Christinos in Spanien noch unvergessen, und den letzten Tagen erst gehört das Manifest an, in dem der spanische »Herzog von Anjou« sich für den legitimen Erben der französischen Krone erklärte als Bourbone, und dem Herzog von Orleans nicht allein das Recht abspricht, sich als Haupt der französischen Bourbonen zu betrachten, sondern ihm auch geradezu die Führung des Lilienwappens ohne Brisure, welche die jüngere Linie kennzeichnet, verbietet. Don Francisco de Bourbon, Herzog von Sevilla, der sich auch kraft eigener Verleihung Herzog von Anjou zu nennen beliebt, scheint ganz durchdrungen von seinem »Rechte«, doch dieses Recht will uns Laien doch etwas mit den Haaren herbeigezogen erscheinen. Er ist der Sohn des Infanten Enrique von Spanien, Herzogs von Sevilla, aus dessen morganatischer Ehe mit Donna Elena de Castelvi y Shelly Fernandez de Cordova, und da die Ehe ausdrücklich als eine morganatische bezeichnet wird, so ist damit gesagt, daß die Kinder derselben zur Erb- und Thronfolge nicht berechtigt sind, was der verstorbene Graf von Chambord wohl auch in Betracht gezogen haben muß, als er testamentarisch den Grafen von Paris und seine Deszendenz zu dem Erben aller seiner Ansprüche auf den verwaisten Thron von Frankreich und zum Chef des Hauses Frankreich ernannte. Der Graf von Chambord war aber das verkörperte Legitimitätsprinzip und wenn er die Linie des Herzogs von Sevilla nicht für erbberechtigt angesehen hat, so dürfte sie's nach den Hausgesetzen wohl auch kaum sein. Indes – die spanischen Bourbonen sind anderer Ansicht, denn auch Don Carlos hat gegen die Erbfolge der Orleansschen Linie einen Protest erlassen, den der Herzog von Sevilla wegwerfend einen »platonischen« nennt, auf den er sich nicht zu beschränken gedächte. Will es uns nun scheinen, als wäre der Graf von Chambord im Rechte mit seiner Auffassung, so werden andere sicherlich wiederum auf der Seite der spanischen Bourbonen stehen und das ist eben der Beweis dafür, daß die Idee der Legitimität verschiedenen Auffassungen unterworfen sein kann. Hat doch die allerneueste Geschichte in Deutschland selbst in der Lippeschen Thronfolgerfrage bewiesen, daß der alte Kampf ewig neu bleibt. Und auch hier möchte es scheinen, als wenn die Sache zweifellos wäre, denn, wenn der Sohn Graf Simons IV. zur Lippe, Graf Philipp von Alverdissen, die Linie von Schaumburg-Lippe gründete und sein Enkel, seines Sohnes Sohn, erst die Linie Biesterfeld und Weißenfels, so ist doch die Schaumburger Linie die ältere, selbst wenn der Graf Philipp jünger an Jahren gewesen wäre, als sein Neffe, der Graf Jodocus Hermann zu Biesterfeld, was aber nicht der Fall war. In keinem Lande aber ist die Legitimität gleichzeitig mehr bestritten gewesen, wie in England, als König Eduard VI., der letzte männliche Tudor, die jungen Augen schloß, denn da streckten nicht weniger als elf Prätendenten die Hand aus nach der Krone und ein jeder von ihnen glaubte das beste Recht darauf zu haben. Es ist vielleicht zu viel gesagt, daß sie sämtlich die Hand nach der Krone ausstreckten, denn einige von ihnen thaten es nicht und sie gerade mußten am meisten in Betracht gezogen werden. Sieben dieser englischen Kronprätendenten waren allein weiblich und unter ihnen besaß Maria Tudor, die als die erste ihres Namens mit dem düsteren Prädikate »die Blutige«, fünf Jahre lang mit den anderen Prätendenten zu rechnen hatte, auf den Thron von England sicher die ersten und berechtigsten Ansprüche als die älteste Tochter König Heinrichs VIII., der freilich seine Ehe mit ihrer Mutter, Katharina von Aragonien, für illegitim erklärte und Maria Tudor damit gleicherzeit auch. Wir wissen, daß das Motiv dazu sein Wunsch war, die Lady Anna Boleyn zu heiraten, und wir wissen auch, daß seine sogenannten »Gewissensskrupeln« auch seine Ehe mit Anna Boleyn, als er ihrer überdrüssig war, für illegitim erklärten, was sie nach der Auffassung der katholischen Kirche auch ganz sicher war. Und diese Auffassung war und blieb auch das Gespenst im Leben der zweiten Prätendentin, der späteren Königin Elisabeth, König Heinrichs und der Anna Boleyn Tochter, wenn sie von ihrem Prinzip ja in der Folge natürlich auch niemals um eines Haares Breite wankte. Aber das Gespenst, das Eduards VI. Tage nie trüben konnte, weil von den zwei ersten Frauen seines Vaters keine mehr lebte, als der Letztere seine Mutter heiratete, war und blieb nun einmal für die Königin Elisabeth da und war der Dorn im Purpurfutter ihrer bestrittenen Krone, der Krone Englands. Daß Heinrich VIII. seine beiden Töchter brandmarkte und für unecht erklärte, gab der dritten Prätendentin, der Herzogin Frances von Suffolk, das Recht, die vierte Prätendentin, ihre Tochter, Lady Jane Grey, auf den Thron zu heben. Auch hier liegt die Prätendentschaft noch klar genug. Heinrichs VIII. Schwester, die Prinzessin Maria Tudor, die in erster Ehe mit König Ludwig XII. von Frankreich vermählt gewesen, heiratete, Witwe geworden, in zweiter Ehe den Geliebten ihrer Jugend, Lord Charles Brandon, Herzog von Suffolk, mit dem sie zwei Söhne und zwei Töchter hatte. Erstere starben früh und die älteste der Töchter, Lady Frances Brandon, wurde Herzogin von Suffolk im eigenen Recht. Sie vermählte sich mit Lord Henry Grey, der durch sie Herzog von Suffolk wurde, und dem sie drei Töchter schenkte, von denen die älteste das Opfer werden sollte für die Ansprüche, welche ihre Linie nach dem Ableben Eduards VI. auf den Thron erhob, trotzdem diese Ansprüche sehr zu bestreiten waren, weil es dann ältere gegeben hätte. Nun, in diesem Falle, wie in so vielen anderen, mußte die Legitimität den Namen hergeben für die Herrschergelüste, und da Lady Frances zurücktrat, so zwang man ihre Tochter, die junge sechzehnjährige Lady Jane Grey, welche mit dem siebzehnjährigen Lord Guilford Dudley, des ehrgeizigen Herzogs von Northumberland Sohn, vermählt worden war, dazu, die Krone selbst auf ihr junges Haupt zu setzen und sich zur Königin ausrufen zu lassen. Das Ende der Königin von neun Tagen ist bekannt – den Schritt, der ihr aufgezwungen worden war, mußte sie mit ihrem jungen und reinen Leben büßen, um sie herum fielen die Häupter ihres Gatten, des harmlosen Knaben, ihres Vaters und ihres Schwiegervaters – Maria Tudor hat die Thronfolgergelüste der Suffolkschen Linie in Strömen von Blut ertränkt. Weder die Nachkommen der Schwester der Lady Frances, die mit Henry Clifford, dem Grafen von Cumberland, vermählt war, noch auch die Nachkommen ihrer eigenen jüngeren Töchter, Katharina, vermählt mit Eduard Seymour, Grafen von Herford, und Maria, vermählt mit Sir Henry Key, haben je wieder ihre »Rechte« geltend gemacht – der blutige Schatten der armen, unschuldigen, kindlichen Lady Jane Grey stand so warnend vor dem Throne, daß keines von ihrer Sippe ihn je wieder zu besteigen versuchte.

Ernster und legitimer waren schon die Ansprüche, die dringend und gebietend von Schottland herüberschallten und geradezu Form annahmen, als die legitime Maria Tudor ihrer, nach jener Ansichten – und diese Ansichten wurden ziemlich von ganz Europa geteilt – illegitimen Schwester Elisabeth Platz machte. Die ältere Schwester König Heinrichs VIII., die Prinzessin Margaret Tudor, hatte sich 1509 mit König Jacob II. von Schottland vermählt, nach dessen Tode mit Lord Archibald Douglas, Grafen von Angus, und nach dessen Tode mit dem Prinzen Henry Stuart. Aus den beiden ersten Ehen hatte sie Kinder – den König Jakob V. von Schottland und die Lady Margaret Douglas, die sich mit dem Prinzen Mattew Stuart, Grafen von Lennox, vermählte. Die Tochter König Jakobs V., die unglückliche Maria Stuart, war nun von Rechts wegen, nach Maria Tudor, die nächste Erbin der englischen Krone und nahm das Wappen und den Titel einer Königin von England nach Mary Tudors Tode offiziell an – es sollte auch ihr in der Folge das Haupt kosten! Die Illegitimitätserklärung Maria Tudors durch ihren eigenen Vater ernst genommen, stand aber schon nach Eduards VI. Tode die junge Königin Maria Stuart als fünfte Prätendentin auf den Thron von England da, und für den Fall ihres Ablebens trat dann die Tochter der Königin Margaret Tudor von Schottland aus deren anderen Ehe, die Lady Margaret Douglas, Gräfin von Lennox, in ihre Rechte. Diese wurden später insofern vereint, als die Tochter Jakobs V. von Schottland, die Königin Maria Stuart, sich mit dem Sohne von ihres Vaters Halbschwester vermählte, mit dem Prinzen Henry Stuart, Lord Darnley und Herzog von Rothesay, und beider Sohn bestieg in der Folge ja auch den Thron von England als Jakob I. Henry Stuart von Darnley hatte aber noch einen Bruder, Charles Stuart, Herzog von Lennox, der mit Lady Elisabeth Cavendish vermählt, Vater einer Tochter, der Prinzessin Arabella Stuart, wurde, die unter Jakob I. eine gewisse Partei für ihre politischen Umtriebe ausnutzte, aber ihr Vorschieben in den politischen Vordergrund im Tower zu büßen hatte. Sie war die letzte aus der Linie der Stuarts von Lennox.

Das waren nun die sechs Prätendenten aus dem Hause Tudor, und von allen hatte, nächst Maria Tudor, die junge Königin von Schottland das stärkste Recht auf ihrer Seite. Aber es standen noch andere Prätendenten auf, die ihre Ansprüche aus den älteren Häusern, Lancaster und Plantagenet, herleiteten und mit ihren älteren Ansprüchen auch ernsthaft in Betracht zu ziehen waren. So war die Prätendentschaft auch eines der treibenden Motive für die Werbung König Philipps II. von Spanien um die Hand der Königin Maria Tudor von England, und sie war auch der Hauptgrund, weshalb man diese dem Volke so unsympathische Heirat betrieb. Der eigentliche Prätendent dieser ältesten der noch auftretenden Thronansprüche war aber Philipps II. Sohn aus seiner ersten Ehe mit der Infantin Maria von Portugal, Don Carlos, der Thronerbe von Spanien, der Held von Schillers Tragödie. Philippa von England, die Tochter Johns of Gaunt, Herzogs von Lancaster und Schwester König Heinrichs IV. von England, hatte sich 1387 mit König Juan I. von Portugal vermählt, und Don Carlos von Spanien als ihr Urenkel in der sechsten Generation war nun, nach dem Absterben der übrigen Glieder des Hauses Lancaster, der nächste Blutserbe dieser königlichen Linie – ein Prätendent, welcher der englischen Regierung wichtig genug schien, um ihn den Prätendenten auf englischem Boden aus dem jüngeren Hause Plantagenet oder York voranzusetzen. Als Don Carlos 1568 starb, ohne Nachkommen zu hinterlassen, waren die Ansprüche des Hauses Spanien auch als erloschen zu betrachten.

Was nun die noch in England selbst auftretenden übrigen vier Prätendenten aus dem Hause Plantagenet anbetrifft, so hat man freilich viel Umstände mit ihnen nicht gemacht. In diesen Familien räumte der Henker mit der Axt in einer Weise auf, bis jeder Tropfen des alten unruhigen Plantagenets-Blutes auf dem Schafott vergossen war und das Tudor-Blut nicht mehr bedrohte.

Allen voran standen unter diesen englischen Prätendenten die Nachkommen Richards von York, Eduards III. Urenkel, hergeleitet von George Plantagenet, Herzog von Clarence, dem Bruder König Eduards IV. Dieser unglückliche Prinz, den sein eigener Bruder, das Scheusal Richard III., als ein Hindernis zu seiner eigenen Thronbesteigung, im Tower in einem Fasse Malvasier ersäufen ließ, hinterließ von seiner Gemahlin, der Lady Isabel Neville, (des Königmachers Grafen von Warwick Tochter, und Schwester der unglücklichen Königin Anna Neville, Richards III. Gemahlin) zwei Kinder, den Prinzen Eduard, Erben der Grafschaft Warwick von seinem Großvater, und die Prinzessin Margarethe, Gräfin von Salesbury im eigenen Recht. König Heinrich VIII. ließ den Prinzen Eduard wegen politischer Unruhen am 28. November 1499 im Tower hinrichten und glaubte für sein Haus damit jedem Bürgerkrieg ein Ziel gesetzt zu haben. Die Gräfin von Salesbury aber vermählte sich mit ihrem Vetter, Sir Richard de la Pole, Grafen von Montague, einem Sohne des Herzogs von Suffolk und seiner Gemahlin, der Prinzessin Elisabeth Plantagenet, des Herzogs von Clarence Schwester, durch welche Heirat das königliche Blut wieder vereint wurde. Sie hatte in dieser Ehe fünf Kinder. Die einzige Tochter, Lady Ursula, vermählte sich mit Lord Henry Stafford, königlichen Geblütes, dem Sohne des letzten Herzogs von Buckingham, der auch auf dem Schafott starb. Die vier Söhne sollten mit ihrer Mutter in der englischen Geschichte eine blutige Spur hinterlassen. 1540 ließ Heinrich VIII. den ältesten Sohn der Gräfin von Salesbury, Henry Pole, Grafen von Montague, hinrichten, weil es ruchbar ward, daß er mit Reginald Pole, seinem Bruder, korrespondierte, den Heinrich VIII. seinen Feind nannte und der Denunziant dieser Korrespondenz war Sir Geoffrey Pole, den der mißtrauische König im Tower gefangen hielt, und der sich seine Freiheit dadurch erkaufte, daß er Mutter und Bruder verriet. Die Gräfin von Salesbury wurde gleichfalls festgenommen und Cromwell, der Lordkanzler, legte als Beweis ihrer Schuld und ihres Hochverrates dem Parlamente ein Kleid vor, das man in ihrem Besitz gefunden: ein weißes seidenes Gewand, bestickt mit dem Wappen von England und mit Emblemen der katholischen Kirche. Auf diesen »Beweis« hin wurde die Gräfin, nachdem noch festgestellt war, daß sie mit ihrem Sohne, Reginald Pole, korrespondierte, des Hochverrates für schuldig erklärt und zum Tode verurteilt, ohne daß ihr erlaubt wurde, sich zu verteidigen. Dennoch wurde ihre Hinrichtung aufgeschoben, bis eine in Berkshire ausgebrochene Unruhe Heinrich VIII. die willkommene Gelegenheit gab, die letzten Sprossen des Hauses Plantagenet auf das Schafott zu führen, indem ungerechterweise ihr treibender Einfluß in der Unruhe gesucht wurde. Am 27. Mai 1541 wurde die ehrwürdige alte Dame auf das Schafott geführt, und hier weigerte sie sich entschieden, ihr Haupt auf den Block zu legen. »Das mögen Verräter thun, – ich aber bin keiner!« rief sie aus. Eine grausige Szene folgte nun, die damit endete, daß Heinrichs VIII. schurkiger Minister Cromwell die blutende Fürstentochter bei ihren weißen Haaren ergriff und sie daran zu dem Blocke schleifte, wo sie, wie Augenzeugen sagen, »langsam abgeschlachtet wurde«.

Und nun der dritte ihrer Söhne, Reginald Pole! Er war in den geistlichen Stand getreten und hatte sich der gesetzlosen Scheidung der Ehe Heinrichs VIII. von Katharina von Aragonien so energisch widersetzt, daß der König ihn als seinen bittersten Feind von da ab betrachtete. Diese Animosität veranlaßte Reginald Pole, sich zu flüchten. Er ging nach Rom, wo er bald stieg und zum Kardinal ernannt wurde; aber so groß war der Haß Heinrichs VIII. gegen den Mann, der es gewagt hatte, aus innerer Überzeugung sich seinen Wünschen zu wiedersetzen, daß seine Mutter und sein Bruder als Opfer dafür bluten mußten.

Als Maria Tudor den Thron bestieg, war es ein Akt der Gerechtigkeit, daß sie ihren Verwandten, der die gerechte Sache ihrer Mutter so warm verteidigt, zurückberief und ihn nach Cranmers Sturz zum Erzbischof von Canterbury und ihrem ersten Minister machte. Er überlebte seine Jugendfreundin und Verwandte nur um wenige Stunden, demselben schleichenden Fieber erliegend wie die Königin – zu seinem Glücke vielleicht, denn Elisabeth Tudor hatte, wie ihr Vater, nichts übrig als Haß für die Poles, und eine ihrer ersten Regierungshandlungen war, den jüngsten Bruder des Kardinals, Sir Arthur Pole, gefangen zu nehmen und ihn auf Lebenszeit im Tower schmachten zu lassen.

Heinrich Pole, Lord Montague, hatte, als er auf dem Schafott starb, aus seiner Ehe mit Lady Joan Neville, Tochter des Lord Abergaveny, zwei Töchter hinterlassen, die Ladies Katharina und Winifred Pole, und die ältere war es, die nun das Haus Plantagenet repräsentierte und von ihrer Partei bei Eduards VI. Tode als Kronprätendentin aufgestellt wurde. Maria Tudor rechnete auch mit ihr, die keine Lust zeigte, ihre Prätendentschaft geltend zu machen. Sie hatte sich, sehr jung noch, mit Lord Francis Hastings, dem Grafen von Huntington, vermählt, und dieser trat, als Maria den Thron bestieg, offen auf ihre Seite und war es auch, der bei Coventry den Aufstand der Greypartei für immer unterdrückte. So waren die verfolgten Poles sicher, solange die darin unabänderlich treue Königin Maria regierte. Geoffry Pole, dem sie aber seinen Verrat an Bruder und Mutter, der beide auf das Schafott brachte, nicht vergeben konnte, hatte sich nach seiner perfiden Befreiung mit seiner Gemahlin, Constance Packenham, von London entfernt und scheint um 1560 gestorben zu sein. Er hinterließ zwei Söhne, die, da die Gräfin von Huntington ihre Prätendentschaft nicht geltend machte, nunmehr ihrerseits als Prätendenten auftraten und ein Dorn in Elisabeths Seite zu werden versprachen. So lange Maria lebte, hielten diese zwei weiteren Prätendenten sich indes zurückgezogen, doch als Elisabeth den Thron bestieg, ließen sie von sich hören und nicht davon abschrecken, daß ihr Onkel Arthur Pole im Tower verschwand. Sie sammelten Anhänger und Truppen und fielen in Wales ein, wurden aber zurückgeschlagen und beide gefangen genommen. Im Tower haben sie dann Jahre lang geschmachtet und liegen in der Kirche Sankt Peter in Vincula begraben. Im Tower zeigt man noch die Inschriften, die sie in die Wand ihres Gefängnisses gekratzt haben, sie lauten:

 

 

Dio Semin
In Lachrimis in
Exultatione Meter
AE 21. E. Pole. 1562.


 

I. H. S. A Passage Perillus
Maketh a Porte
Pleasant.
A. D. 1568.
Arthur Pole, AE. 37. A. P.

 

Das war das Ende des Geschlechtes der Pole aus dem königlichen Blute Plantagenet im Kampfe um die Legitimität.

Der elfte und nicht unwichtigste Prätendent war ein Gefangener im Tower, als Maria Tudor den Thron bestieg. Eduard Courtenay, Graf von Devon, war im Tower großgezogen worden, sorgsam verborgen vor den Augen der Welt, die ihn, den Urenkel Eduards IV., als »weiße Rose von Plantagenet« mit günstigen Augen betrachtete und einer großen Schar von Anhängern versicherte. Katharina von York, Prinzessin von England, die jüngere Schwester der Gemahlin Heinrichs VII., hatte sich 1504, also noch zu Lebzeiten ihres Schwagers, mit Wilhelm Courtenay, Grafen von Devon, vermählt, der indes 1502 vom König gefangen, im Tower festgesetzt und seiner Güter beraubt wurde. Er war in Verdacht geraten, den unter der Anklage des Hochverrates stehenden Brüdern Pole zur Flucht geholfen zu haben und alle nahe Verwandtschaft zu der königlichen Familie konnte ihm die Freiheit nicht zurückgeben. Auch als Heinrich VIII. den Thron bestieg, war er nicht geneigt, dem Gatten seiner Lieblingstante zu befreien, – im Gegenteil wurde ihm schließlich eine Art Prozeß gemacht und er starb im Tower: »wegen zu naher Beziehungen zum Thron« am 9. Januar 1511.

Den einzigen Sohn des Unglücklichen, Edmund Courtenay, Grafen von Devonshire, nahm der König indes ganz an seinen Hof und er schien sein besonderer Günstling zu sein. Er vermählte ihn in erster Ehe mit Lady Elisabeth Grey, Tochter des Viscount Lisle, und als diese nach kurzer Zeit starb, mit der schönen Lady Gertrud Blount, Tochter des Lord Montjoye. Auch an äußeren Ehren kargte Heinrich VIII. nicht für seinen Cousin, er gab ihm seine Güter zurück und ernannte ihn zum Marquis von Exeter; aber die Geschichte hat gelehrt, daß die Freundschaft Heinrichs VIII. ein unbeständiges und gefährliches Ding war. Der Marquis von Exeter gehörte auch zu den gewissenhaften Männern, die sich gegen die gewissenlose Trennung und Annullierung der ersten Ehe Heinrichs VIII. aussprachen und sich offen auf die Seite der armen, mißhandelten Königin stellten. Wie wir schon sahen, mußte der Kardinal Pole fliehen, um dem Zorn des Königs zu entgehen, sein Bruder, der Lord Montague, wurde als Hochverräter hingerichtet, sein Freund, der schöne, elegante Marquis von Exeter aber, wurde mit Frau und Sohn in den Tower geführt und sein Haupt fiel zur selben Stunde mit dem des Lord Montague. Die unglückliche Witwe des um seine Überzeugung so jäh gestürzten Günstlings und Blutsverwandten des Königs wurde unter der Sentenz des Todes noch über ein Jahr im Tower gefangen gehalten, doch als es gelang, die Mutter der unglücklichen Poles, die Gräfin von Salisbury, unter die Axt zu bringen, wurde das Urteil auch an der Marquise von Exeter vollstreckt. Sie starb 1539 auf dem Schafott. Heinrich VIII. ist durch Ströme von Blut zum Traualtar mit Anna Boleyn gewatet.

Eduard Courtenay, der Sohn des unglücklichen Paares, war noch zu jung, um eine Klage gegen ihn einzubringen – mit zehn Jahren pflegt man noch nicht bewußt Hochverrat zu treiben. Das arme Kind wurde also als Gefangener zurückbehalten, und die »weiße Rose«, wie seine Anhänger ihn nannten, im Tower vergessen. Dort wuchs er heran, dürftig unterrichtet von den Geistlichen des Tower, ein träumerischer Jüngling, dem die wenigen Bücher, die man ihm in erbarmender Freundlichkeit gab, die ganze Welt waren. Und im Tower blieb er auch, als Heinrich VIII. starb, nicht ahnend, daß er ja ein Prätendent auf die englische Krone war, und die Jahre von Eduards VI. Regierungszeit gingen über sein Haupt dahin, wie die neun Tage der Königin Jane Grey. Nun aber zog Maria Tudor in London ein als Königin und sie ließ am Tower halten, um ihren »viellieben Vetter«, den Grafen von Devonshire, zu befreien, – das war ihre erste Regierungshandlung, die nicht nur ein dankbares Herz zeigte, da sie sich dessen erinnerte, wie die Eltern dieses Gefangenen für die Gerechtigkeit der Sache ihrer Mutter und ihrer eigenen Sache gestorben waren, sondern die auch von großer Staatsklugheit zeugte. Ja, es war ganz deutlich durchzublicken, daß Maria nicht abgeneigt war, durch ihre eigene Vermählung mit der »weißen Rose« die Häuser Plantagenet und Tndor abermals zu vereinen.

Eduard Courtenay ward zunächst von der ungewohnten Freiheit wie berauscht. Er sah sich plötzlich, 26 Jahre alt, in Glanz und Pracht, geschmeichelt, verwöhnt, und sein Spiegel sagte ihm auch, daß die Schönheit seiner Eltern ihm nicht versagt worden war. Da war es eigentlich nicht zu verwundern, wenn der jähe Wechsel dem jungen Mann zu Kopfe stieg und ihn zu Tollheiten verleitete, deren Chronik bald durch ganz London lief. Auch er war ganz sicher, von seiner königlichen Base zum Gemahl erwählt zu werden, und wenn er auch andere Damen schöner fand, als die vergrämte, elf Jahre ältere Maria Tudor, so wog ihre Krone diese Nebensächlichkeit doch auf. Da aber kam die Werbung des Königs Philipp von Spanien, und aus tieferen politischen Gründen wurde sie von der Königin angenommen. Renard, der spanische Minister, den Philipp II. seiner Braut in England zur Seite stellte, sah sehr bald, daß Marias Herz sie aus Neigung und aus Gerechtigkeitsliebe zu ihrem schönen Verwandten hinzog, und er benutzte seinen ganzen Einfluß und seine ganze diplomatische Kunst, um ihn ihrer Gunst zu entfremden. Zunächst machte er sie darauf aufmerksam, daß er mit der Prinzessin Elisabeth, der künftigen Königin in einem Liebesverhältnis stand, das ihm jedenfalls sehr ernst war. Das mußte unter allen Umständen hintertrieben werden, denn Elisabeth und Eduard Courtenay waren zu populär in England, um daraus nicht einen Nutzen zu ziehen, – Renard riet der Königin, beide festzunehmen und womöglich ganz beseitigen zu lassen, wenn ihre eigene Sicherheit ihr lieb sei.

Aber davon wollte Maria nichts wissen, – sie ließ wohl ihre Halbschwester, der sie politische Umtriebe mit Recht gern zutraute, in Woodstock genau bewachen, aber Courtenay blieb frei. Von seiner Lady-love getrennt, führte er nun kein sehr mustergültiges Leben, er trieb sich in den niedersten Schenken herum und verkehrte mit Leuten, die durchaus keinen guten Ruf hatten. Man behauptete, er sei überhaupt ein Werkzeug Renards gewesen und von ihm als Spion benutzt worden, aber hinter dieser Behauptung steht denn doch noch ein großes Fragezeichen. Als die Verschwörung Wyatts ans Licht kam, wurde er damit indes doch so eng vertraut befunden, daß seine Verhaftung die unabänderliche Folge war; doch Maria widersetzte sich energisch dem Rate Renards, den Verschwörer Courtenay hinrichten zu lassen.

Sie sandte ihn nach der Feste Fotheringay – demselben Schlosse, in welchem das Haupt der unglücklichen Maria Stuart fiel – und dort blieb er bis nach der Vermählung Marias mit dem Könige von Spanien, die ihr Herz ganz diesem zuwandte. Eduard Courtenay, Graf von Devonshire und Marquis von Exeter, wurde nun auf ein Schiff gebracht und mit einer Summe Geldes auf dem Kontinent gelandet, wo ihm freigestellt wurde, zu gehen, wohin ihm beliebte – nur nicht zurück nach England. Er wanderte nun zwei Jahre ziellos über den Kontinent und weilte zuletzt längere Zeit in Padua, wo der Heimatlose ernsthafte Pläne gemacht haben soll zur Rückkehr nach England, dessen Pforten seine eigene Thorheit ihm geschlossen. Aber die Pläne blieben Luftschlösser, denn am 4. Oktober 1556 starb er – an Gift. Wer es ihm beigebracht, ist nie ans Licht gekommen, – vielleicht war Renards Hand dabei nicht allzuweit zu suchen, denn thatsächlich hat er den jungen Mann nicht aus den Augen verloren, der sich seiner Prätendentschaft auf den englischen Thron ganz bewußt geworden war, als er mit Elisabeth Tudor, der Vielgewandten, gegen seine Wohlthäterin, die Königin Maria, konspirierte.

Der letzte Sprosse des Hauses Courtenay, aus dem königlichen Blute der weißen Rose, liegt zu Padua begraben in der Kirche zu San Antonio – ein gewaltiges, imposantes Grab, wie es königlicher kaum zu denken ist – und doch, unter all den prächtigen Denkmälern, an denen » Il santo", wie die Kathedrale kurzweg genannt wird, so reich ist, ist keins, das dem Besucher sagt, daß hier der Prätendent einer Krone schläft bis zu dem Tage, da der König und der Bettler gerufen werden wird, um vor dem Richterstuhle Gottes zu stehen.

Das ist in kurzen Zügen das Geschick derer, die auf Englands Krone nach Eduards VI. Tode ein Anrecht hatten oder zu haben glaubten, – eine elffache Tragödie, ein Roman in elf Kapiteln, eines ergreifender als das andere in seiner Art – doch sollten sie alle elf noch einmal leben, hoffen und wirken dürfen, so bin ich überzeugt, daß sie trotz allem und allem gleich handeln und dem gleichen Ziele zustreben würden, denn die Idee der Legitimität ist ein » Noblesse oblige", das auch den Tod und das bitterste Ende nicht scheut, um ohne Wanken auf seinem Posten zu verharren, und nun und nimmermehr fahnenflüchtig wird.


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