Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII.
Ein namenloses Kapitel

Wir sprachen einmal von König Heinrich VIII. von England und seinen sechs Frauen, insbesondere aber von jenen beiden, die er unter der Anklage der Untreue und anderer Verbrechen vor ein »Gericht« stellen und hinrichten ließ. Die Frage der Berechtigung zu diesem grausigen Schritte wurde aufgeworfen und Heinrich VIII. als Unikum, als Blaubart verurteilt. Die Verkörperung des letzteren ist er sicher, aber ein Unikum in der Geschichte ist er auf diesem Felde nicht. Zweifellos besaß er als regierender König des Landes das Recht über Leben und Tod seiner Unterthanen, und das waren jene beiden Frauen, Anna Boleyn und Katharina Howard; aber jeder andere Souverän Europas besaß und besitzt wohl noch das gleiche Recht, das sich auch auf die Frau erstreckte, die aus anderen Landen gebürtig, durch die Vermählung gewissermaßen in ein Unterthanenverhältnis zu ihm getreten war. Maßte sich doch noch seine Tochter, die Königin Elisabeth, das Recht über Leben und Tod ihrer Gefangenen an und ließ die Königin Maria Stuart zum Tode führen! Als Heinrich VIII. die Prinzessin Anna von Cleve heiratete und sie nicht nach seinem Geschmacke fand, nahm sie den Vorschlag zu einer gütlichen Lösung des Verhältnisses, zu einer Scheidung mit einer Bereitwilligkeit, einem Entgegenkommen und einem Enthusiasmus an, aus dem die Todesangst vor dem Blocke und dem Henker grell hervorleuchtete, denn sie wußte wohl, was ihr Schicksal gewesen wäre, wenn sie sich geweigert hätte, die gütliche Lösung herbeizuführen und auf einem Rechte ihrerseits zu bestehen, das in ideellem Sinne sicherlich auf ihrer Seite gewesen wäre. Aber sie wußte eben auch, daß sie durch ihre Vermählung in ein abhängiges, in ein Unterthanenverhältnis zu dem Könige getreten war und er Gewalt hatte über ihr Leben. Vielleicht hätten ihre Verwandten ihren Tod, als an einer Fürstentochter begangen, gerächt oder doch zu rächen versucht, aber sie überlegte sehr richtig, daß diese nachträgliche Rache sie nicht mehr lebendig gemacht und ihr persönlich verzweifelt wenig geholfen hätte, und darum ging sie auf alles ein, was man von ihr verlangte, – sie ließ sich bereitwilligst scheiden und verzehrte die ihr ausgesetzte Pension als »ehemalige Königin von England« wie begehrt wurde, im Lande, das sie gewissermaßen als Präservativ gegen etwaige Unbequemlichkeiten von seiten ihrer Verwandtschaft zurückbehielt und war froh, daß man ihr nur den Kopf ließ. Sie hatte nichts gethan, was eine so düstere Lösung ihrer Ehe gerechtfertigt hätte, aber daß Beschuldigungen und Anklagen nicht wahr zu sein brauchen und doch bestraft wurden, das bezeugte ja der »Prozeß« der Königin Anna Boleyn, über den man jenseits des Kanals ganz gut unterrichtet gewesen sein muß.

Anna von Cleve hat nach der Trennung ihrer Ehe niemals den Titel einer Königin von England gebraucht, aus Furcht, es könnte dies dem Könige mißfallen, in ihren Briefen und Dokumenten unterzeichnet sie sich als »Anna, die Tochter von Cleve«, und als Heinrich VIII. sie einstmals, kurz nach seinem vorläufig geheim gehaltenen Ehebund mit der unglücklichen Katharina Howard, zu Chelsea, ihrer Residenz, besuchte, um sie über eine von ihm zu schließende Ehe zu sondieren, da er doch nicht genau wußte, wie sie eine solche nach der etwas reichlich illegalen Scheidung ihrer eigenen Ehe aufnehmen, resp. den Schritt bei ihren Verwandten vertreten würde, da behandelte sie die Sache vollständig indifferent und wünschte dem Könige alles Glück, was ihn sehr entzückte. Alles das beweist, wie wenig sicher die fremde Fürstentochter ihren Kopf in den Händen eines Monarchen fühlte, dessen Skrupeln in dieser Hinsicht ein überwundener Standpunkt waren, es beweist aber auch, daß er das Recht für sich hatte, wenn er, mit der nötigen Anklage ausgerüstet, den Kopf seiner Frauen auf den Block legte. Soweit das Recht, das jeder andere Dynast mit ihm teilte, ob derselbe nun in einem Königreich oder auf ein paar Quadratmeilen souverän war, wie viele Beispiele aus der Geschichte beweisen.

Was nun die Schuld betrifft, die doch natürlich auf der anderen Seite vorhanden sein mußte, so zeigt gerade die Geschichte Heinrichs VIII., daß es damit, wie in anderen Fällen, wenn auch aus verschiedenen Motiven traurig genug für die Zustände jener Zeit aussah.

Anna Boleyn war insoweit sicher keine Märtyrerin, als sie den Werbungen des Königs Gehör gab und sie die Ursache war zu jenem unwürdigen Scheidungsprozesse gegen seine edle erste Gemahlin, Katharina von Aragonien, Ferdinands und Isabellas Tochter, die ihr, Anna Boleyn, eine gütige und nachsichtige Herrin gewesen. Andererseits muß Anna Boleyn die Gerechtigkeit wiederfahren, daß sie thatsächlich den Werbungen des Königs lange energischen Widerstand geleistet hat. Ihre Schwester, Lady Mary Boleyn, später vermählt mit Sir Wiliam Carey, soll des Königs Geliebte gewesen sein, doch viel Beweis für diesen Klatsch liegt nicht vor, – Anna Boleyn aber gab erst nach, als ihr heimlich Verlobter, Lord Henry Percy, der Sohn des Herzogs von Northumberland, durch den Willen seines Vaters von ihr getrennt wurde. Dépit hieß also zunächst das Motiv, das sie in des Königs Arme trieb, – daß der Glanz der Königskrone auch ein treibendes Motiv für sie war, ist dabei ganz menschlich: Onmia vanitas.

Anna Boleyns Leben als Königin war vorwurfsfrei, – der Grund zu ihrem tiefen Sturze lag bei dem Könige in dem Umstande, daß sie ihm keinen männlichen Erben geboren und daß sein veränderliches Herz den Reizen und den Fallstricken erlag, die ihm die sanfte, anmutige Lady Jane Seymour sehr geschickt und mit großer Ausdauer legte, – hier also wurde Anna Boleyn mit dem bestraft, womit sie selbst gesündigt: sie brach als Dame der Königin deren Herz, indem sie ihr des Gatten Liebe entfremdete und Jane Seymour that in der gleichen Stellung das Gleiche. Die zweite Ursache ihres Sturzes war die Eifersucht ihrer eigenen mütterlichen Verwandten, die durch sie eine Macht bei Hofe zu erreichen hofften, zu der sie ihnen aber nicht verhalf, oder nicht verhelfen konnte. Vor allem war es der Haß ihrer Schwägerin, deren schamloser Ehrgeiz es war, die Stellung von ihres Mannes Schwester selbst einzunehmen. –

Die Anklagen gegen Anna Boleyn lauten neben Untreue und einem Attentat auf des Königs Leben so ungeheuer, daß die Feder sie nicht wiederholen kann. Die Akten haben es längst bewiesen, daß sie bei den Haaren herbeigezogen, sämtlich nichtswürdige Erfindungen waren. Aber man war zu weit gegangen, um damit umzukehren, und – der König wünschte Lady Jane Seymour zu heiraten, folglich mußte die Unglückliche sterben und mit ihr die Reihe der mit ihr Angeklagten, in erster Linie ihr Bruder, Henry Boleyn, Lord Rocheford. Und sie starben alle wie Helden um ein Nichts, oder vielmehr um ein unheimliches, ungenanntes Etwas, für das ein häßlicher Name erfunden werden mußte. Als Anna von dem Verhör zurückkehrte in ihre Zelle im Tower, schrieb sie, die mit der Feder Vielgewandte, die Verse nieder:

»Defiled is my name full sore,
Through cruel spite and false report,
That I may say for evermore,
Farewell to joy, adieu comfort!
For wrongfully ye judge of me,
Unto my fame a mortal wound;
Say what ye list, it may not be,
Ye seek for that shall not be found.«

Und wenige Stunden vor ihrem Tode noch schrieb sie ein pathetisches Gedicht nieder, dessen erste Strophe also lautet:

»Oh, Death, rock me asleep,
Bring on my quiet rest,
Let pass my very guiltless ghost
Out of my carefull breast.
Ring out my dolefull knell,
Let its sound my death tell.
For I must die,
There is no remedy,
For now I die.«

Freitag, den 19. Mai 1536 legte Anna Boleyn ihr schönes Haupt auf den Block unter Gebet und Beteurungen ihrer Unschuld, umgeben von einigen wenigen treuen Freunden, die ihre Sache immer hoch gehalten haben, und kaum war der Kanonenschuß verhallt, der den Tod der einst so heiß begehrten Frau dem Könige anzeigte, als er sich auf das Pferd warf und in voller Eile nach Wolf-Hall jagte, wo am folgenden Tage seine Vermählung mit Jane Seymour stattfand – und mit dieser That hat Heinrich VIII. die Beweise für die Unschuld Anna Boleyns besiegelt. Mehr noch, André Thévet, ein Franziskanermönch, bezeugte, daß der König auf seinem Totenbette seiner Reue Ausdruck gegeben habe, die ihn darüber verfolgt, daß er Anna Boleyn unter einer falschen und unwahren Anklage zu Tode führen ließ!

Anna Boleyn war eine sehr schöne Frau – die Bilder von Hans Holbeins Hand, die wir von ihr haben, beweisen das, sie besiegte mit ihrer Schönheit sogar das Ungetüm von einer fünfspitzigen Haube, in der die Damen jener Zeit sich gefielen.

Über ihre Abstammung herrscht noch manche unrichtige Angabe – ja, in Geschichtswerken selbst habe ich die Bemerkung gefunden, sie sei von niederer Herkunft gewesen. Dem ist nicht so. Die Familie Boleyn stammt aus Frankreich und schrieb sich dort Boulen; sie kam schon im 14. Jahrhundert nach England, wo sie sich in Norfolk niederließ und durch Heirat mit den Adelsfamilien der Grafschaft verband. Ein Sohn dieses Hauses widmete sich dem Handel und gelangte dabei zu großen Reichtümern, die ihm ermöglichten, die schönen Schlösser Blicking-Hall, Blicking-Manor und Hever-Castle zu erwerben. Er war mit einer Lady Hastings vermählt und sein Sohn, Sir William Boleyn, nahm eine hervorragende Stelle bei Hofe ein. Er war der Großvater der Königin Anna Boleyn, vermählt mit Lady Margaret Butler, der Tochter und Erbin des Grafen Ormond, dessen Titel und Güter auf Sir William übergingen, der nun Graf von Ormond wurde. Sir Thomas Boleyn, Annas Vater, vermählte sich mit der anerkannten Schönheit des englischen Hofes, Lady Elisabeth Howard, der Tochter des Herzogs von Norfolk, deren Stiefmutter wiederum eine englische Prinzessin war. Anna Boleyn war also von durchaus edlem Blut und gehörte den ersten Familien des Landes an, ebenso wie die zweite hingerichtete Gemahlin Heinrichs VIII., die schöne, fröhliche, liebenswürdige Katharina Howard, die der Königin Anna Boleyn rechte Cousine war. Ihr Vater, Lord Edmund Howard, der Sohn des Herzogs von Norfolk und Bruder der Lady Boleyn, sowie ihre Mutter Joyce, Sir Richard Culpepper von Holingbournes Tochter, waren durch mancherlei Unglück genötigt, ihre Tochter der Sorge ihrer Großmutter, der Herzogin-Witwe von Norfolk, anzuvertrauen, und was immer auch die Schuld der Lady Katharina war, kommt auf das Haupt dieser schlechten Hüterin, die das ihr anvertraute Enkelkind geradezu verwahrloste und statt sich selbst um sie zu kümmern, einer Kammerfrau, Namens Mistreß Isabel, überließ, die das erblühende Mädchen in die ärgste Gesellschaft brachte, unter der wiederum eine gewisse Mary Lassels verderblich auf die Unschuld des Herzens der jungen Lady Katharina einwirkte. In dieser schlechten Gesellschaft, in der die eigene Großmutter sie willig ließ, wurde ihre erste Liebschaft mit einem Musikanten am Hofhalt der Herzogin – einem gewissen Henry Manox, ins Werk gesetzt und begünstigt – eine kindische Liebschaft sicherlich, aber höchlich unpassend für eine junge Dame ihres Standes. Nachdem das vorüber, faßte ein entfernter Verwandter des Hauses, Francis Derham, der als »Gentleman« des Herzogs in dessen Schlössern herumlungerte, eine heftige Leidenschaft für die junge Lady Katharina, die diese nur zu sehr erwiderte, begünstigt von ihrer gewissenlosen Umgebung, und dieser Mensch wurde der Nagel zu ihrem Sarge. Erst die Ernennung der Lady Katharina zum Ehrenfräulein der Königin Anna von Cleve machte dem Verhältnis mit ihm ein Ende, von dessen Existenz die Herzogin-Witwe übrigens voll unterrichtet war. Als dann der König der schönen jungen Hofdame seine Anträge machte, trug die alte Herzogin unendliche Sorge, ihre Enkelin auf den Thron zu bringen und empfahl sie dem Könige wiederholt als eine Dame, die würdig wäre, seine Krone zu teilen. Diese Empfehlung von ihr, welche die Vergangenheit der Enkelin kannte, sollte später ihren eigenen grauen Kopf in lange Gefangenschaft bringen – vielleicht hat sie damit gesühnt, was sie an dem unschuldigen Kinde verbrochen hatte.

Katharina selbst besiegelte ihr trauriges Schicksal dadurch, daß sie als Königin ihren vormaligen Geliebten, Francis Derham, bei Hofe aufnahm und ihn nicht nur zum Kammerherrn, sondern zu ihrem eigenen Privatsekretär machte. Wahrscheinlich hat Derham sich alles dieses durch Drohungen von der verängstigten, schuldbewußten Königin erzwungen und zwar durch die Herzogin-Witwe von Norfolk, die nun auch alles that, um diesen gefürchteten Zeugen der Vergangenheit zum Schweigen zu bringen. Und wer hier zuerst Verdacht schöpfte und aufpaßte, das war eben jene Lady Rocheford, welcher es gelungen war, die Königin Anna Boleyn und ihren Bruder, den eigenen Gatten auf das Schafott zu bringen!

Nach Francis Derham kamen auch noch der Musikant Manox und jene Weiber, welche in diesen Sachen geholfen hatten und verlangten, von der Königin angestellt zu werden, und da sie ganz in ihren Händen war, so hatte sie auch keine andere Wahl, als den frechen Wünschen Folge zu leisten. Nun, das Ende kam, wie es kommen mußte, wenn man abhängig ist mit einem gefährlichen Geheimnis von dem Schweigen gemeiner Seelen. Die Ankläger fanden sich nur zu willig, und unter heftigem Sträuben, Schreien und Jammern wurde die schöne, junge Königin festgenommen am Tage Allerheiligen 1541, während der König in der Kapelle zum Gottesdienste war, wo das Schreien seiner dem Tode geweihten Frau ihn im Gebet störte! Katharina gestand in ihrem Verhör ihren früheren Fehltritt unumwunden ein, leugnete aber vehement, als des Königs Gemahlin, je die Treue gebrochen zu haben. Die Aussagen der Zeugen bestätigten ihre Worte in dieser Beziehung, doch es blieb genug übrig gegen sie, um im Verein mit einem tödlichen Haß gegen ihre eigene Persönlichkeit und ihre Familie das düstere Ende herbeizuführen.

Derham büßte zuerst, indem er gehangen wurde, dann wurden Lord William Howard und seine Gemahlin »wegen Mitwisserschaft« hingerichtet, ebenso die Tante der Königin, Lady Bridgewater, und am 13. Februar 1542 legte auch Katharina Howard ergeben, mutig und demütig ihr schönes junges Haupt auf den Block. Sicherlich hätte ihr Tod im Volke noch mehr Sympathie erweckt, wäre nicht mit ihr die schamlose Angeberin, Lady Rocheford, enthauptet worden, doch die Verwünschungen, welche deren Ende begleiteten, übertönten die Rufe des Beileids für die trotz allem und allem arme junge Königin, von deren Mord man wohl sprechen darf, weil ein Dokument über ihre Verurteilung und ihre stattgefundene Hinrichtung nie ausgefertigt wurde, und infolge dessen von dem Könige auch nie unterschrieben worden ist. So rächte der Herzog von Norfolk, der mächtigste Mann seiner Zeit es, daß seine beiden Nichten, Anna Boleyn und Katharina Howard sich nicht unter seine politische Vormundschaft gestellt hatten. Man verzeihe uns, diese beiden bekannten Fälle noch einmal eingehender berührt zu haben, doch es gab darin einige Punkte, über die Irrtümer allgemein verbreitet sind.

König Heinrich VIII. von England hat, wie gesagt, nicht allein damit gestanden, seine Frauen auf Grund einer erhobenen Anklage zum Tode verurteilen zu lassen. Ich will dabei gar nicht jene Fälle berühren, die davon reden, wie diese oder jene hochgestellte Dame glücklicherweise längstvergangener Zeiten infolge eines begangenen oder unverschuldeten Unrechtes einen gewaltsamen, verfrühten Tod fand – diese Fälle – man denke an Ines de Castro, an Jakobea von Holland, an Johanna von Neapel – sie sind ein dunkler Fleck auf den Blättern der Geschichte und kommen einfach ins Ressort des Mordes. Freilich, nicht weniger dunkel sind die Fälle, von denen ich rede, denn der Schein des Rechtes, der sie begleitet, hat mit dem Lichte des Himmels nichts gemein, er ist ein trübes, künstliches Licht, hergestellt, um die öffentliche Meinung zu täuschen, nicht um sie zu versöhnen. Der blutigrote flackernde, trübe Schein dieses sogenannten Rechtes ist vor dem Lichte unserer heutigen Forschung längst verblichen und erloschen – auch dieses Zeichen der »guten, alten Zeit« kann uns nicht wünschen lassen, daß sie je zurückkehre.

Die Präzedenzfälle für das Vorgehen Heinrichs VIII. finden wir zumeist in Italien. In dem Kapitel: »Die zehn Töchter des Fürsten von Mailand«, habe ich schon des ganz ähnlichen, traurigen Geschickes, wie das der Königinnen Anna Boleyn und Katharina Howard gedacht, das die Tochter des Fürsten Barnabò Visconti von Mailand, Agnese, die Gemahlin des Fürsten Francesco I. Gonzaga, Podestàs von Mantua, hatte. Francesco Gonzaga war aber kein Blaubart; die Geschichte rühmt ihn als gerecht, gütig und weise und das möchte für die Annahme sprechen, daß er das schöne blonde Haupt seiner Gemahlin nicht schuldlos opferte. Die Tradition will aber, daß sie unschuldig gestorben ist – wer soll heute noch die Wahrheit ergründen? Agnese Visconti hat, sich zu verantworten, vor keinem Gerichtshofe gestanden, wie ihre englischen Kolleginnen; – das Verhör, dem sie unterworfen wurde, war nach den Berichten jener Tage eine Formsache ohne jede Bedeutung, – die Folter ersetzte alles. Sie wurde jedenfalls nur bei den sogenannten Komplizen zur Anwendung gebracht, – deren Aussage, – und wie konnte sie anders als kompromittierend sein, entschied über Leben und Tod. Das ganze Verfahren war kurz und ohne Zeremonien, und der Henker wartete während desselben schon mit Strick oder Schwert, – er behielt ja sicher das letzte Wort. In den unterirdischen Räumen des Schlosses von Mantua, dessen unheimliche, düstere Mauern die Wellen des Lago del Mezzo und des Lago inferiore umspülen, fand die Tragödie der Fürstin Agnese Gonzaga ihr Ende, dort verblutete sie ihr junges Leben, dort soll sie der Sage nach ruhelos umherirren und ihr unschuldig vergossenes Blut beklagen. Der Fürst Francesco hat erst zwei Jahre nach ihrem Tode, nach dem er niemals wieder gelacht haben soll, eine zweite Ehe geschlossen, um seine Dynastie nicht aussterben zu lassen, doch überlebte er auch seine zweite Gemahlin, eine Prinzessin aus dem Hause Malatesta von Rimini, das durch seine Fürstin Francesca zum Schauplatz der bekannten Liebestragödie wurde.

Wenn nun, wie man annehmen möchte, der Fürst Francesco Gonzaga im vollen Glauben an die Schuld seiner Gemahlin diese der schweren Strafe des Todes für ihre Untreue unterwarf – gegen die Untreue der Männer fand sich indes kein Gesetz, das die Frauen dafür rächte, notabene, – so handelte der Fürst Felipe Maria Visconti von Mailand unter ganz anderen Motiven gegen seine erste Gemahlin. Er hatte sich 1412 mit der Witwe des Administrators des Fürstentums Mailand, Facino Cane – der schönen Beatrice Lascaris von Ventimiglia zu Tenda vermählt, die eine reiche Mitgift mitbrachte, welche wichtig war für die Erweiterung des mailändischen Staates. An dem Tage, da Gian Maria von Mailand, der Wüterich, unter den Dolchen der Verschwörer fiel, starb auch Fascino Cane, und übergab dem Bruder und Erben Gian Marias die eigene Gemahlin, um durch deren reiche Mitgift den Staat zu erweitern und dem Fürsten neue Anhänger zu schaffen. Fürst Felipe Maria nahm die großmütige Erbschaft des treuen Cane an und vermählte sich an dessen Totenbette mit seiner Witwe, die angesichts des letzten Wunsches ihres Gemahles keine Einsprache erhob. Felipe Maria war nicht viel besser als sein schrecklicher Bruder, und Glück, wenn auch nur ein kurzes, wird Beatrice di Tenda an seiner Seite kaum als Gegengabe für ihr zweifelloses Opfer gefunden haben. Felipe Maria litt dabei an einem ganz ausgesprochenen Verfolgungswahn, der im Gewande des harmlosesten Menschen den Dolch vermutete. Natürlich trieb diese wahnsinnige Furcht auch fürchterliche Früchte, unter deren Schatten der letzte Visconti sein verfluchtes Geschlecht zu Grabe schleppte. Seine Ehe mit Beatrice di Tenda war kinderlos, – keine tiefere Regung fesselte ihn dabei an die Begründerin seiner Herrschaft, an die anmutige Frau, die ihren Fürstenrang so würdevoll repräsentierte. Da, im Jahre 1418, trat ihm in dem Hoffräulein der Herzogin, Agnese del Maino, ein Wesen gegenüber, das über ihn bald eine unendliche Herrschaft ausübte, für die er alles opferte. Agnese del Maino wurde seine Geliebte, aber sie scheint von Beginn an auch auf den Platz an seiner Seite als Herzogin gehofft zu haben, und dazu stand ihr nur die Herzogin Beatrice im Wege. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß auf ihr Anstiften hin Beatrice di Tenda unter lauter absurden Anklagen von Hochverrat und Untreue festgenommen und nach dem festen, düsteren Kastell von Binasco, von dem heute nur noch Trümmer vorhanden sind, abgeführt wurde. Hier wurde sie der Komödie eines Verhörs unterworfen, das der Sache den Schein des Rechtes geben sollte, und da das Verhör infolge gefolterter Mitschuldiger natürlich ganz nach Wunsch gelang, so fiel das Haupt der Herzogin Beatrice di Tenda am 13. September des Jahres 1418 im Kastell von Binasco unter dem Beile des Henkers. Wiederum ein Opfer jenes furchtbaren »Rechtes«!

Herzog Felipe Maria aber machte es nicht wie Heinrich VIII. mit Jane Seymour, d. h. er vermählte sich nicht mit Agnese del Maino. Was ihn daran verhindert, ist unbekannt, – fremde Einflüsse können es kaum gewesen sein, denn er war viel zu sehr Tyrann, um auf andere zu hören, aber trotzdem er leidenschaftlicher denn je an der Geliebten hing, machte er sie doch nicht zur Herzogin. Sie schenkte ihm eine Tochter, Blanca Maria, die er, da eine 1427 geschlossene zweite Ehe mit Maria von Savoyen ihm auch keine Erben brachte, legitimierte und zu seiner Erbin machte. Er gab sie seinem Condottiere Francesco Sforza, Grafen von Pavia, zur Frau, und dieser wurde durch sie 1447 Herzog von Mailand.

Im benachbarten Ferrara spielte sich fast um dieselbe Zeit, 1425, eine gleiche Tragödie ab, nur daß sie, die ihr zum Opfer fiel, nicht schuldlos war, wie Beatrice di Tenda, die unglückliche Herzogin von Mailand. Als Fürst von Ferrara herrschte damals Niccolo III. von Este, in erster Ehe vermählt mit Cäcilia Carrara von Padua, die 1416 starb und ihm einen Sohn, Ugolino hinterließ. Zwei Jahre später führte der Fürst eine zweite Gemahlin heim, Parisina Malatesta, die kaum sechzehnjährige Tochter des Fürsten von Rimini, die ihm vier Kinder schenkte. Zum Schluß des Jahres 1424 kam nach langer Abwesenheit der Prinz Ugolino d'Este heim von seinen Studien zu Bologna und seinen Reisen – ein schöner, junger Mann, der seine junge Stiefmutter in einem sah und liebte. Und Parisina erwiderte diese Liebe, sie, die ohne Liebe Fürst Niccolos Gemahlin geworden war. Die sündige Liebe des unglücklichen jungen Paares konnte nicht verborgen bleiben und der Fürst, der sich in seinen Gefühlen als Gatte und Vater schwer und unversöhnlich gekränkt fühlte, ließ die Schuldigen im Löwenturm des Kastells einschließen. Der Prozeß, der ihnen gemacht wurde, konnte auf Grund der belastenden Zeugenaussagen kurz und bündig sein: sie wurden beide zum Tode verurteilt, und im März 1425 fielen ihre Häupter in dem Gefängnis unter dem Uhrturm. Ob diese schauerliche Rache den Fürsten Niccolo in der That befriedigt hat, ob der Gatte, oder der Vater doch mindestens nachträglich niemals Reue empfunden, – wer kann das sagen? Das Menschenherz ist ein eigenes Ding – es kann viel verraten, aber auch viel verschweigen. Das Herz des Fürsten Niccolo hat vielleicht auch viel von seinen Gefühlen verschwiegen, trotzdem es vor der Welt nicht so den Anschein hatte. Er vermählte sich noch einmal 1431 mit Richarda von Saluzzo, die ihn lange überlebte.

Diesen drei italienischen Fürstinnen gesellt sich als vierte Schicksalsgenossin Violanta Diaz de Garloni, die Herzogin von Paliano. Das war ein kleines Herzogtum auf einer Hügelung des Hernikergebirges auf dem Wege zwischen Rom und Neapel, sein Souverän, Giovanni Caraffa, Graf von Montorio und Herzog von Paliano wäre heutzutage kaum mehr als ein größerer Grundbesitzer, aber er besaß alle Rechte des Souveräns, unbeschränkte Gerichtsbarkeit, Gewalt über Tod und Leben seiner Unterthanen. Von Charakter war er kein Held, er war flatterhaft und wenig zuverlässig, aber er besaß in seiner Gemahlin eine Frau von hervorragenden Eigenschaften des Geistes und des Herzens, eine Frau, deren Tugend unerschütterlich war, wie jedermann wußte, die aber trotzdem einem Phantom aufgeopfert werden sollte, was man damals »die Ehre des Hauses« nannte.

Bei dem Herzog von Paliano befand sich eine Anzahl von Damen und Kavalieren, die in Ermangelung von etwas Besserem dessen Hofhalt bildeten und als arme adlige Hungerleider dort, wenn auch nicht an den großen, so doch an den kleinen Fleischtöpfen Ägyptens saßen. Da war ein gewisser Don Marcello Capece, dem hohen Adel angehörend, der es vielleicht ja nicht nötig gehabt hätte, dem kleinen Herzog von Paliano zu folgen, der aber eine mächtige Leidenschaft für die schöne Herzogin Violanta gefaßt hatte, und auch wiederholt Gelegenheit nahm, ihr das zu gestehen. Aber die Herzogin war, wie schon gesagt, eine tugendhafte Frau, die es unter ihrer Würde gehalten hätte, auch nur eine nichtssagende Liebelei einzugehen. Sie wies den Kavalier ernst und würdig zurück, hatte aber die Unklugheit, die Sache einer Verwandten, Diana Brancaccio, zu erzählen, die bei ihr lebte und gewissermaßen als ihr Ehrenfräulein fungierte. Diese hatte zu einem anderen Kavalier des Herzogs, Dominiziano Fornari, eine Leidenschaft gefaßt, und obwohl dieser Dianas Liebe nicht in dem gleichen Maße oder vielleicht auch gar nicht erwiderte, fand er es doch sehr vorteilhaft für sich, in die Familie hineinzuheiraten und warb bei dem Herzoge um die Hand seiner Verwandten. Der Herzog aber wies den Freier sehr erzürnt über sein Unterfangen zurück, da Fornari dem hohen Adel der Brancaccio durchaus nicht ebenbürtig sei, und die Herzogin gab ihm recht. Diana, verzweifelt, suchte nun Capece mit allen Mitteln der Herzogin zu nähern, denn wenn diese einmal nachgab, hatte sie die strenge Herrin in ihrer Hand und hoffte damit eine mächtige Fürsprecherin zu ihrer eigenen Verbindung mit Fornari zu erhalten. Aber die Herzogin, obwohl für einen Augenblick verwirrt, wies die Verführerin energisch ab. Inzwischen hatte Fornari die Sache als aussichtslos und den Boden zu Paliano für sich als zu heiß befunden, und um der ihm im Grunde ganz gleichgültigen Diana zu entgehen, durch die er ja nur steigen wollte, empfahl er sich mit polnischem Abschiede, – d. h. er verschwand eines Tages ohne Sang und Klang. Diana aber glaubte unvernünftigerweise in der Verzweiflung über die Entfernung des Geliebten, die Herzogin habe ihn beiseite schaffen lassen, und beschloß, sich zu rächen. Sie ging zu dem Herzog und beschuldigte vor diesem seine Gemahlin der Untreue mit dem Don Marcello Capece. Der Herzog, der selbst kein Held in der Treue war, kannte aber seine stolze schöne Gemahlin besser, – er lachte die Denunziantin aus, und gebot ihr, den Mund zu halten, worauf sie erwiderte, daß sie die Sache bereits an den Kardinal Carlo Caraffa, des Herzogs Bruder, geschrieben habe, – die Ehre des Hauses war also schon am Pranger. Der Herzog war außer sich, aber es geschah nicht, was Diana erwartet hatte, sondern er that, als hätte er nichts gehört. Als dann die Zeit verging, erschien der Kardinal selbst zu Galese, wo der Herzog sich damals aufhielt, sagte, die Sache sei in ganz Rom Stadtgespräch, die Ehre des Hauses wäre unheilbar verletzt und erheische dringend Rache. Der Herzog erwiderte, daß die Sache Unsinn sei, Verleumdung, Hirngespinst und daß an seiner Gemahlin kein Makel wäre. Der Kardinal ließ das gelten, aber dennoch drängte er zum Blutgericht, denn die einmal in den Staub gezogene Ehre des Hauses könnte auf andere Weise nicht gereinigt werden – was er und der Herzog glaubten, wäre Privatsache. Trotz alles Drängens zögerte der Herzog, der im tiefsten Herzensgrunde von der Schuldlosigkeit seiner Gemahlin überzeugt war, den entscheidenden Schritt zu thun und auf Betreiben des Kardinals, der den Inhalt von Dianas Brief natürlich selbst verbreitet hatte, trafen Don Ferrante Garloni, Graf von Alife, der Bruder der Herzogin Violanta und zwei weitere Verwandte des Hauses, Don Leonardo di Cardine und Don Antonio Toraldo in Galese ein – das Blutgericht war versammelt und trieb leidenschaftlich zum Entscheide. Also gedrängt, selbst von der Verklagten eigenem Bruder, blieb dem Herzog kein Ausweg mehr. Don Marcello Capece wurde gefangen genommen, nach Soriano gebracht und nach kurzem Verhör vor dem Blutgerichte so lange gefoltert, bis er nach hartem Kampfe gestand, was seine Richter hören wollten, und sein Geständnis unterschrieb – er wußte, daß er damit auch das Schicksal der Herzogin besiegelte! – Der Herzog, dessen Glauben an seine edle Gemahlin auch nicht einen Moment wankte, schrie auf vor Schmerz, als Capece unterschrieb, nannte ihn einen Lügner und stieß ihn auf dem Flecke nieder, und denselben Dolch stieß er in das Herz der Anstifterin alles dieses Unheils, in das Herz Diana Brancaccios, die man zu weiterer Zeugenvernehmung eben hereinführte. Darauf versank der Herzog in tiefe Melancholie und wies jeden ferneren Versuch, ihn zur »Strafe« der Herzogin zu bewegen, hartnäckig zurück. Der Kardinal, durchaus nicht zufrieden und unterstützt durch den Grafen von Alife, der die Ehre seiner Schwester durch das »Geständnis« Capeces vollständig vernichtet glaubte, ließ nicht nach, dem Herzog einen Befehl zur Hinrichtung seiner Gemahlin abzuringen, doch während er sich noch darum bemühte, traf die Nachricht ein, daß Papst Paul IV., des Herzogs und sein Oheim, im Sterben läge und er mußte zum Konklave eilen, aus dem er Grund hatte zu glauben, daß er selbst als Papst hervorgehen würde. Auf Grund dieser Aussicht wirkte er nun mit der Kraft seiner Autorität in der Unglückssache seines Bruders, er zwang diesen förmlich zu dem entscheidenden Schritt und geschwächt durch die langen Seelenqualen, hochgradig nervös geworden durch all diese Vorgänge, hatte der Herzog von Paliano keine moralische Kraft mehr zu widerstehen und unterschrieb das Todesurteil seiner Gemahlin, von deren Unschuld er im tiefsten Grunde seines Herzens überzeugt war.

Die Herzogin Violanta war sich längst nicht mehr über ihr Schicksal im Zweifel, – sie wußte, wer büßen mußte, wenn die Ehre des Hauses angegriffen war, gleichviel ob wahr oder unwahr, aber sie sah sich durch den eigenen Gatten doch unterstützt, und wenn sie noch hoffte, so hoffte sie doch nicht ganz unberechtigt. Als darum das Blutgericht, an dessen Spitze ihr Bruder stand, in Begleitung von zwei Kapuzinern, bei ihr erschien, wollte sie erst nicht an den grausigen Zweck ihres Kommens glauben, – aber man ließ ihr keinen Zweifel. Da kniete sie nieder zum Gebet mit den Mönchen, die sogleich und später feierlich für ihre Unschuld eintraten, doch umsonst – sie konnten ihr Leben nicht retten, denn die Ehre des Hauses mußte gesühnt werden. Der Graf von Alife legte selbst die tödliche Schlinge um den Hals seiner Schwester, und da die anderen sich weigerten, so zog er sie auch selbst an. Natürlich riß der Strick, und bis man einen anderen gefunden hatte, ließ man das arme Opfer eines falsch verstandenen Begriffes in seiner Todespein zurück, bis endlich, endlich dieser gräßlichen Schlächterei ein Ende gemacht wurde.

Nach Aussage der Kapuziner, der Fratres Antonio Petrini und Antonio de Salazar, starb die Herzogin Violanta von Paliano in der Glorie ihrer Unschuld »wie ein Engel und wie eine Heldin«.

Im Gegensatz zu ihren anderen Schicksalsgenossinnen blieb ihr Tod schon auf Erden nicht ungerächt. Der Kardinal Gian Caraffa wurde nämlich nicht zum Papst gewählt, sondern der Kardinal Medici bestieg den heiligen Stuhl als Pius IV. und der hielt ein schreckliches Gericht ab über die Mörder der Herzogin von Paliano, zu denen er auch den Kardinal erbarmungslos zählte, ebenso den Herzog, dessen Machtvollkommenheit als Souverän in diesem Falle als ein mörderischer Übergriff betrachtet wurde. Zudem fielen dem letzteren noch die Morde an Don Ferrante Capece und Diana Brancaccio zur Last, trotzdem es sicher ein mildernder Umstand gewesen wäre, daß er jene beiden im unbezwinglichen Zorn und Schmerz um sein armes, verleumdetes Weib angefallen. In der Engelsburg zu Rom sind die Häupter der Fünf gefallen zur Sühne für das unschuldig vergossene Blut der Herzogin von Paliano – der irdischen Gerechtigkeit war Genüge geschehen.

Wenden wir uns nach Deutschland, so finden wir in dem traurigen Ende der allbekannten Agnes Bernauerin einen ganz analogen Fall. Es ist unrichtig, daß die schöne, blonde Baderstochter aus Augsburg nur die Geliebte des Herzogs Albrecht von Bayern gewesen ist. Wäre sie nicht mit ihm vermählt gewesen, so hätte man nicht dieses Mittels bedurft, sie von dem Herzog zu trennen, – aber daß sie mit auf Erden unlösbaren Ketten an ihn gefesselt war, das machte ihr Verbrechen aus. Ein solches Ziel konnte sie ja natürlich nach der Auffassung jener Zeit nur durch Behexung des Herzogs erlangt haben, und als Hexe mußte sie den Tod dafür erleiden, daß ein Fürst sie mehr geliebt hatte, als alles in der Welt. Sie wurde am 12. Oktober 1435 zu Straubing ertränkt, öffentlich hingerichtet, während Herzog Albrecht abwesend war. Dieser im rasenden Schmerz um sein geraubtes Glück, befehdete den Vater, Herzog Ernst, versöhnte sich aber im kommenden Jahre mit ihm und besiegelte diese Versöhnung durch seine Vermählung mit der Prinzessin Anna von Braunschweig-Grubenhagen. Von ihr weiß man heute nichts mehr, wohl aber lebt das Andenken der schönen Bernauerin nicht nur in Augsburg, sondern allüberall fort, und manche Dichter, und solche die es zu sein glauben, haben den traurigen Stoff dramatisch und episch verwertet.

Die letzte dieser Tragödien, soweit ich sie finden konnte, hat sich nach Heinrichs VIII. von England Zeit, zum Schlusse des sechzehnten Jahrhunderts in Düsseldorf abgespielt. Der letzte Herzog von Jülich-Cleve-Berg, Johann Wilhelm, geboren 1562, hatte sich 1585 mit der um vier Jahre älteren Prinzessin Jacobea von Baden, Tochter des Markgrafen Philibert und der Prinzeß Mathilde von Bayern vermählt. Nach zwölf Jahren, während welcher Zeit der Herzog monatelangen Anfällen von Geistesstörungen unterworfen war und an unheilbarer Melancholie litt, beschuldigte er in solch einem Anfall die Herzogin der allerbösesten Sitten und der Untreue gegen ihren Gemahl. Ein Beweis für diese Anklage ist nicht beigebracht worden, trotzdem wurde die Herzogin Jacobea am 2. September 1597 zu Düsseldorf enthauptet, ohne daß von ihrer Heimat oder sonstwoher ein Einspruch erfolgt wäre. Darum ist auch dieser Fall in einem mysteriösen Dunkel geblieben, das Dichter vergeblich zu klären versuchten, und wird es auch wohl bleiben bis an das Ende der Tage – eine düstere Tragödie, deren blutigen Schleier kein Lichtstrahl verklärt.

Der Herzog Johann Wilhelm hat sich noch einmal mit der Prinzessin Antoinette von Lothringen vermählt, doch auch sie hinterließ dem geistesgestörten Gemahl keine Erben und 1609 sank sein Geschlecht mit ihm ins Grab und der Schatten, den die Gestalt der Herzogin Jacobea darauf wirft, macht es nur noch düsterer und melancholischer, als das anderer erloschener Geschlechter.

Es war unseres Wissens der letzte Fall in der Geschichte, daß die Gemahlin eines regierenden Fürsten unter der Anklage einer ehrenrührigen Beschuldigung den Tod erleiden mußte. In allen den angeführten Fällen war Untreue der Kernpunkt der Anklage, und wo dieser nicht ganz auszureichen schien, mußte Hochverrat die Anklage stützen und verdoppeln. Heutzutage ist die Fürstin auf dem Throne gottlob eine vor der Berührung durch das Gesetz geheiligte Persönlichkeit, und wenn die Untreue vielleicht auch nicht gestorben ist und noch ausgeübt wird, so ist das Gewissen und der große ewige Richter über den Sternen das einzige Tribunal, vor dem eine gekrönte Frau stehen darf. Jene Blätter aber, in denen ich die vorstehenden Tragödien fand, sie sind geschlossen für allezeit mit dem großen Siegel der Kultur, und zwischen den Registern der Geschichte liegen sie geschlossen für immer als ein namenloses Kapitel.


 << zurück weiter >>