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IX.
Eine romantische Brautfahrt

In der Skizze: Eine Brautfahrt durch Prokuration ist eine originelle Version des allbekannten Kapitels: »Woans ick to mine Fru kam« geschildert worden – dort handelte es sich um den Vater, die vorliegende Skizze aber soll erzählen, in welch romantischer Weise der Sohn »to sin Fru kam«. Beim Vater lagen die Dinge freilich anders und ungleich günstiger, denn Prinz Jacob Stuart, der Herzog von York, war der Erbe des englischen Thrones und durfte sich den Luxus, unter den Fürstentöchtern Europas zu wählen, schon gestatten, und wenn die gewählte Braut auch der Gegenstand von Intriguen wurde, die eine gewisse Partei gegen sie spann, um ihren Einzug in das Reich zu verhindern, so bot ihre erhabene Stellung ihr selbst im schlimmsten Falle einen Schutz, den damals wenigstens noch niemand unterschätzte. Aber das Blatt wandte sich, – König Jacob II. wurde vertrieben, und seine edle Gemahlin mußte unter großen Gefahren fliehen, den Prinzen von Wales, ihren Sohn, im Arm, den das Parlament nicht nur vom Throne ausschloß, mit seinen Nachkommen, sondern dazu beschuldigte, ein Impostor, ein untergeschobenes Kind zu sein. Die Hinfälligkeit dieser letzteren Beschuldigung ist längst erwiesen worden, die Ausschließung vom Thron aber wurde niemals widerrufen.

Als Jacob II. 1701 starb, war sein Sohn und Erbe aller seiner Ansprüche erst 13 Jahre alt. Er nahm sogleich den leeren Königstitel an, zugleich aber das Inkognito eines Chevaliers von St. George, das er auch in der Folge beibehielt, doch wurde seine »Thronbesteigung« von den Königen von Frankreich und Spanien, dem Papste und dem Herzog von Savoyen anerkannt. Es ist nicht unsere Aufgabe, von den mannigfachen Unternehmungen, Abenteuern, Intriguen und Bemühungen zu berichten, welchen Jacob III., wie er sich stets unterschrieb, sein ganzes Leben lang widmete, um den vorenthaltenen Thron zurückzuerlangen, interessant, wie dieses Leben auch gewesen ist.

Er war bald nach seiner Rückkehr von seiner nichtigen Expedition nach Schottland, im Jahre 1715 von seinen Freunden gedrängt worden, sich zu vermählen, in der Hoffnung, ihn durch eine geordnete Häuslichkeit dem wilden Leben zu entziehen, dem er sich leider ganz ergeben hatte. Er war dem Gedanken nicht abgeneigt, doch war es natürlich schwer, eine Prinzessin zu finden, die geneigt gewesen wäre, die unsichere Existenz und die recht fragwürdigen Aussichten des Prätendenten zu teilen, resp. deren Eltern ihr Kind einer ungewissen Zukunft anvertraut hätten. Dazu kam, daß die englische Regierung eine Vermählung des Prätendenten unter keinen Umständen wünschte aus sehr naheliegenden Gründen, und wo immer damals in Europa die Jacobiten ihre Spur zur Einfädelung irgend einer Intrigue zeigten, da waren ebenso sicher die Agenten der englischen Regierung da, um durch Gold oder politischen Hochdruck die Pläne der vertriebenen Stuarts zu durchkreuzen. Diese sollten erlöschen und ohne Nachkommen vom Erdboden verschwinden – deshalb wurde besonders jedes Vermählungsprojekt des Chevaliers von St. George mit nie zur Ruhe kommender Wachsamkeit ausspioniert, durchschaut und hintertrieben, was eine um so dankbarere Aufgabe war, als man an den meisten, wenn nicht allen europäischen Höfen feine Veranlassung hatte, sich mutwillig mit dem mächtigen England zu brouillieren. In diesem Spezialfalle aber waren die Jacobiten dennoch die Klügeren und Feineren, und was fast unmöglich schien, gelang durch die Gewandtheit des jacobitischen Gesandten und durch den Mut der erwählten Braut.

Diese an den regierenden Höfen zu suchen, gab der Prätendent nach mehreren fruchtlosen Versuchen bald auf, – die Anwartschaft, die verlorene Krone wieder zu gewinnen, war nicht allzu groß, seine Aussichten nicht nahe genug, um ihm eines regierenden Hauses Tochter zu gewinnen, und wie gesagt, die regierenden Fürsten fanden sich auch nicht veranlaßt, den Unwillen Englands auf sich zu laden, vom deutschen Kaiser angefangen, dem damals besonders viel daran lag, mit England auf gutem Fuß zu stehen, da er der englischen Flotte zur Förderung seiner Ansprüche in Sizilien bedurfte. Die Wahl des Prätendenten und seiner Anhänger fiel auf den Zweig eines nicht mehr regierenden Hauses, – die Erwählte war die Prinzessin Clementine Maria Sobieska von Polen, Enkeltochter des großen Königs Johann Sobieski. Wenn auch nicht mehr regierend, so hatte die Familie der Prinzessin Clementine doch Verbindung mit den größten Regentenhäusern Europas. Ihr Vater, Prinz Jacob von Polen war vermählt mit der Schwester der deutschen Kaiserin, der Prinzessin Hedwig Elisabeth von der Pfalz, die zudem noch Schwester der Königinnen von Portugal und Spanien, sowie der Herzogin von Parma war. Die Schwester des Prinzen Jacob, Therese Kunigunde Sobieska, Prinzessin von Polen, war vermählt mit dem Kurfürst Max Emanuel vou der Pfalz – also alles Familienverbindungen, die für den Prätendenten nur erwünscht sein konnten. Als er sich im Jahre 1718 dazu entschloß, unter den Bewerbern um die Hand der Prinzessin Clementine aufzutreten, war die Tochter des polnischen Kronprinzen, der am Hofe seines Schwagers, des Fürstbischofs von Breslau, Wolfgang Georgs von der Pfalz, lebte, siebzehn Jahre alt, von reizender Schönheit, liebenswürdig, romantisch und unternehmenden Geistes. Seit ihrer frühesten Jugend war sie eine leidenschaftliche Anhängerin der vertriebenen Stuarts gewesen, und hatte namentlich für den Stnartkönig Jacob III., ohne ihn je gesehen zu haben, eine Schwärmerei in ihrem Herzen großgezogen, die ihr von ihren Spielgefährtinnen und den Damen des Hofes den Spitznamen »Königin von England« eintrug – einen Spitznamen, an dem sie selbst den größten Gefallen fand. Als daher eines schönen Tages ganz unvermutet der Gesandte des Prätendenten, Mr. Charles Wogan, zu Breslau bei dem Prinzen Jacob erschien, und im Namen seines Herrn, des rechtmäßigen Königs von England, um die Hand der Prinzessin Clementine warb, da war diese in ihrem Enthusiasmus sogleich bereit, das Los des Helden ihrer Träume zu teilen und das junge romantische Herz in Feuer und Flamme für die Sache der Stuarts, begann sie die Vorbereitungen zu ihrer Brautfahrt nach Bologna, wo der Prätendent damals residierte. Zum Unglück dauerten die Vorbereitungen, die unter der größten Heimlichkeit betrieben werden mußten, so lange, daß die Agenten der englischen Regierung hinter das Projekt kamen, und der englische Gesandte zu Wien schlug alsbald Lärm. Der Kaiser, der, wie schon bemerkt, Englands im Moment dringend bedurfte, gab den Vorstellungen des Gesandten nach und ließ seine Tante und Cousine, als diese auf ihrer Reise nach Bologna Innsbruck passierten, daselbst festnehmen und in einem Kloster internieren.

Der Prätendent war es sich ganz klar, daß eine Einsprache von seiner Seite gegen diesen Gewaltakt absolut erfolglos gewesen wäre – dafür sorgte schon die Kaiserin-Mutter Eleonora, die König Jacob II. einst verschmäht, und deren Animosität gegen die Stuarts größer war als ihre schwesterliche Zuneigung zu der Prinzessin Jacob Sobieska. Hier konnte nur List etwas ausrichten, List und Intriguen, und zu diesen notwendigen Hilfsmitteln griff der Chevalier von St. George ohne Verweilen. Indes er sich in geheimer Expedition nach Madrid begab, verschaffte sich sein treuer Anhänger Mr. Charles Wogan von dem österreichischen Gesandten einen Paß auf den Namen des Grafen von Cernes mit Familie, der aus den Niederlanden nach Loretto zurückkehrte. Im Besitz dieses Passes, begab er sich unter falschem Namen nach Innsbruck und zog dort einen in österreichischen Diensten stehenden Irländer, Major Misset, und dessen Frau ins Vertrauen. Diese beiden sollten als Graf und Gräfin von Cernes fungieren, während die Prinzessin und Mr. Wogan als Geschwister des Grafen gelten sollten. Ferner wurde noch der Kammerherr der Prinzessin Jacob, Mr. de Châteaudeau, ins Vertrauen gezogen, und dieser brachte das Schwerste bei dem Plane zu Wege, nämlich eine junge Innsbruckerin, Dienerin der Frau Misset, die natürlich ebenfalls eingeweiht werden mußte, in das Kloster zu schmuggeln, in dem die beiden Prinzessinnen gefangen gehalten wurden. Mit diesem jungen Mädchen sollte die Prinzessin die Kleider wechseln und unter dem Schutze der Nacht, von Châteaudeau begleitet, das Kloster verlassen. Prinzessin Clementine ging auf den immerhin gefährlichen Plan ohne Zögern und ohne Furcht ein – sie hüllte sich in die Kleider der intelligenten Dienerin, nahm einen thränenreichen kurzen Abschied von ihrer Mutter und ging mit dem treuen Kammerherrn unangehalten hinaus in die finstere, kalte, sternenlose Nacht, und bestieg den schon harrenden Wagen mit den außer Wogan ihr völlig fremden Menschen, denselben mutig genug ihr Geschick anvertrauend. Die Flucht gelang, und trotz fürchterlichen Wetters und noch fürchterlicherer Wege erreichte bei sorgsam gelegten Relais der Wagen mit der jungen Stuart-Braut die venetianische Grenze – man war in Sicherheit. Die Fortsetzung der langsamen, ermüdenden Reise bis Bologna verlief ohne Zwischenfall, doch als man da anlangte, war der Prätendent noch in Madrid, und die Vermählung mußte ohne Verzug durch Prokuration am 8. Mai 1719 stattfinden, wollte man nicht noch etwaige Schachzüge der englischen Regierung riskieren.

Jacob Stuart war entzückt von seiner schönen, mutigen, enthusiastischen Braut, als er sie bei seiner Rückkehr zuerst sah, und ließ eine Medaille schlagen mit ihrem Bildnis und der stolzen Umschrift: »Clementia, Königin von Großbritannien, Frankreich und Irland.« Auf der Rückseite war sie abermals abgebildet in einem Triumphwagen, oben begleitet von den Worten: » Fortunam causamque sequor" und unten: » Deceptis custodibus 1719«.

Und doch, was so romantisch und von ihrer Seite mit so vielem Enthusiasmus, mit so großem Mut und mit so reiner Absicht begonnen hatte, es endete mit bitterer Enttäuschung, mit vielem, schwerem Herzensleide und häuslichem Elend für die schöne mutige Clementine Sobieska. Nachdem der Prätendent den Reiz der Neuheit in ihr, die für seine Sache so mutig eingetreten war, nicht mehr fand, wandte sich sein flatterhaftes Herz ab von ihr und neueren Sternen zu – das alte wüste Leben nahm wieder Besitz von ihm, und es war für immer vorbei mit dem erträumten Glücke der armen, thronlosen Stuartkönigin. Zwar wurde durch die Vermittelung des Papstes noch einmal eine kalte, förmliche Aussöhnung der entfremdeten Gatten erzielt, doch eine innere Annäherung fand niemals mehr statt, und ein Jahr vor ihm, für dessen Person und Sache sie durchs Feuer gegangen wäre, ging sie dahin im Jahre 1765, ein Schatten ihrer selbst nur noch, enttäuscht, verletzt, verwundet im tiefsten Herzensgrunde. Wer in die Peterskirche zu Rom kommt, kann dort ihr Grab sehen – ein prächtiges, überreiches Monument von weißem Marmor und Giallo antico, in dessen Mitte Engelsfiguren ihr in Öl gemaltes Portrait emporhalten. Es steht im Eingang vom linken Seitengange der Kathedrale, gegenüber dem geschmacklosen, an einen Backofen erinnernden Monumente Canovas mit den Bildnissen ihres Gatten und ihrer Söhne, den Prinzen Charlie Stuart, Grafen von Albany, dessen Aussichten auf die verlorene Krone in der Schlacht bei Culloden ein blutiges Grab fanden, und des Kardinals, Heinrich Stuart. Unten in der Krypta der Peterskirche ruhen sie alle vier vereint in einfachen Steinsarkophagen, gemeiniglich die letzten Stuarts genannt, und auch die Geschichte, die sonst so gerechte und wahre, giebt ihnen diesen Namen. Und doch leben noch legitime und direkte Nachkommen des alten unseligen Geschlechtes, Nachkommen des Sohnes des Prinzen Charles und seiner Gemahlin Luise, Gräfin von Albany, geb. Prinzessin von Stolberg-Gedern, der gleich nach feiner Geburt von einem Getreuen vor allen Nachstellungen in Sicherheit gebracht und unter dessen Namen erzogen wurde. Jetzt ist diese Linie im Mannesstamme erloschen; sie geht dahin, wie die anderen Zweige des großen Hauses dahingegangen sind, ungekannt und in strikter Zurückgezogenheit, fern jedem politischen Getriebe.

Wenn der Kardinal Stuart nach dem Tode seines Bruders eine Medaille von sich schlagen ließ mit der Umschrift: »Henricus Nonus, Angliae Rex dei Gratia sed non voluntate hominum«, so geschah das, weil er das Prinzip zu vertreten hatte, und weil er von dem festen Entschlusse seines Neffen, alle Thronansprüche fallen zu lassen, unterrichtet und überzeugt war. Noch heute hat diese letzte, direkte Linie der Stuarts ihre zahlreichen Anhänger in den Königreichen und außerhalb, doch da es sich mit dem aussterbenden königlichen Geschlechte absolut nicht agitieren und intriguieren läßt, weil es eben kein Verlangen trägt nach der Krone, die übereifrige »Legitimisten« ihm aufdrängen wollten, so hat die Sucht, mit der bestehenden Ordnung zu brechen, in den letzten Jahren noch eine wunderliche Blüte getrieben. Die Stuart-Patrioten, als sie einsehen mußten, daß ihre Stuarts nicht die Ritter von der traurigen Gestalt beraubter Thronanwärter spielen wollten, erkoren sich die Prinzessin Ludwig von Bayern zur Stuartkönigin und haben sogar Briefmarken mit ihrem Bildnis anfertigen lassen, für deren Gebrauch sie unter sich wahrscheinlich viel Strafporto zahlen werden. Sie begründen ihre Königswahl mit der Abstammung der erlauchten Frau von der Prinzessin Henriette Stuart, der Tochter des unglücklichen Königs Karl I., welche mit dem Bruder Ludwig XIV. von Frankreich, Philipp I., Herzog von Orleans vermählt war und zwei Töchter hinterließ, von denen die älteste, mit König Karl II. von Spanien vermählt, kinderlos starb, während die zweite, die Prinzessin Anna, mit dem Könige Viktor Amadeus II. von Sardinien vermählt, eine zahlreiche Nachkommenschaft hinterließ. Mit ihrem Urenkel, König Viktor Emanuel I. von Sardinien, erlosch diese Linie des Hauses Savoyen im Mannesstamme, und von seinen vier überlebenden Töchtern vermählte sich die älteste, Prinzessin Beatrix von Savoyen, mit dem Herzoge Franz IV. von Modena ans dem Hause Österreich und wurde die Großmutter der Letzten des Hauses Este, der Prinzessin-Erzherzogin Marie Therese, seit 1868 vermählt mit dem Prinzen Ludwig von Bayern. Dieser »Legitimitätsnachweis« wäre danach vollkommen richtig, aber in dem Übereifer, den gewisse Leute besitzen, um gegen das Bestehende etwas Legitimeres ins Treffen zu führen, vergessen diese Legitimisten anscheinend ganz, daß König Jakob I. von England der Vater König Karls I. war, und dessen Nachkommen mithin das ältere, also legitimere Recht besitzen. Und wenn also die Tochter König Jakobs I., die schöne Elisabeth Stuart, Kurfürstin von der Pfalz und Königin von Böhmen mit ihren Nachkommen vor der Herzogin von Orleans kraft ihres zweifellosen Rechtes der Erstgeburt in Frage kommt, so wird niemand, der nicht blind sein will, verkennen, wie das jetzt in England regierende Königshaus, als direkte Nachkommen der Elisabeth Stuart das Vorrecht vor den Nachkommen der Henriette Stuart auf den britischen Thron hat.

Wenn also nicht noch besondere Motive bestehen, um jener Partei eine andere Stuartkönigin aus dem Welfenhause wünschenswert zu machen, die Legitimitätsfrage dürfte ernsthaft sonst wohl niemand in diesem Falle zu erörtern wünschen.

Wenn wir zurückblicken aus das uralte Geschlecht der Stuarts, so nimmt es kaum Wunder, daß jene schon erwähnte, von nur so wenigen gekannte Linie der Stuarts es vorgezogen hat, im Hintergrunde ihres Privatlebens zu bleiben. Es war ein stolzes, starkes Geschlecht vordem, ehrgeizig, krafterfüllt, mit Geist und körperlicher Schönheit ausgestattet, und doch hing es über ihm wie eine schwere, schwarze Wolke, wie die Engländer sagen: »It was a doomed race.« – Schon die älteste der Familiensagen will, daß das Geschlecht in der Wiege verflucht ward von der schönen Edith, des Prinzen Fleance von Schottland Gattin, die er verließ, als er mit den Brüdern nach seines Vaters, König Duncans, Ermordung durch Macbeth, den Than von Fife, fliehen mußte. Er begab sich nach Nord-Wales, an den Hof des Königs Griffith, mit dessen Tochter Nesta er sich vermählte, und als die schöne Edith davon erfuhr, verfluchte sie den treulosen Gemahl samt seinem ganzen Geschlechte, eine echte Schottin in ihrem festen Glauben an die Macht ihres Fluches. Prinz Fleance und die schöne Nesta von Wales aber hatten einen Sohn, Walter genannt, der sich nach seines Vaters frühem Tode zurück nach Schottland begab, an den Hof König Malcolm III., seines Oheims, der den Neffen freundlich aufnahm und ihn in der Folge zum Oberhofmeister oder Stewart von Schottland ernannte. Da nun auch Walters Sohn diese Würde erhielt und ihm erblich verliehen wurde, so nannte sich diese Linie des königlichen Hauses Fergus von nun ab auch »Stuart«, und die Würde, das Amt wandelte sich so in den Familiennamen, der in der Geschichte eine hervorragende und hochbedeutsame Rolle spielte.

Walter, der Stewart von Schottland, starb ums Jahr 1116, – sein Urenkel, Walter II., gründete die Linie von Darnley-Lennox im jüngeren, und die spätere königliche Linie im älteren Zweige, denn 1370 wurde sein Ururenkel Robert Stuart nach dem Interregnum der Häuser Balliol und Bruce zum Könige von Schottland successive seinem Großvater, König Robert I., Bruce, mit dessen Tochter Marjorie sein Vater vermählt war, ausgerufen, und das Haus Stuart bestieg den Thron, um ihn bis zur Verschmelzung mit dem englischen Throne in ununterbrochener Reihe zu behaupten. So waren denn äußerer Glanz, Macht und Größe an das Haus Stuart gekommen, aber kein innerer Friede, denn die Familienzwiste und Fehden nahmen nicht ab, und die Tragödien, die sich im Schoße dieses Geschlechtes abspielten, geben eine Chronik voll blutiger Blätter von jenen grauen Zeiten an, da Fleance von Schottland auszog, Nesta von Wales zu freien, – Jahrhunderte hindurch nichts als Krieg, Familienkämpfe, Mord und Totschlag, Unruhe, Flucht und zuletzt Verbannung, bis der wilde Mannesstamm endlich Ruhe fand – im Grabe. Man braucht nicht den einzelnen Mitgliedern des einst so zahlreich blühenden Geschlechtes nachzngehen – ein kurzer Blick auf die Reihe der Könige aus dem Hause Stuart allein zeigt, wie wenig Glück sie mitnahmen auf den glänzenden Thron und dort fanden. Schon Robert II. soll an Gift gestorben sein, nachdem er zwanzig Jahre in Unruhe von außen und innen regiert und den Engländern große Niederlagen bereitet, – seinem Sohne, Robert III. brach das Herz über das Leid, das seine Kinder ihm bereiteten. Jakob I., den die Geschichte, tapfer, gerecht und gelehrt nennt, erlag einer Verschwörung seiner Großen, die ihn erdolchten, vergeblich geschützt von seiner Gemahlin, die sich auf des Gatten blutenden Körper warf und selbst schwere Verletzungen dabei erlitt. Jakob II. fiel in dem Sturm auf Roxburgh, erst 30 Jahre alt, durch ein Stück Holz, das eine unbekannte Hand nach ihm geschleudert, und Jakob III. wurde in der Mühle bei Stirling-Castle von seinen Unterthanen erschlagen. Jakob IV. starb, 21 Jahre alt, den Heldentod bei Flodden, und sein Sohn, Jakob V., glaubte, auch erst 30 Jahre alt, seine Niederlage gegen die Engländer nicht überleben zu können, und nahm sich selbst das Leben, während ihm daheim seine Nachfolgerin, die schöne und unglückliche Maria Stuart, geboren wurde, um nach einem wahren Kreuzwege auf Erden endlich einer politischen Intrigue zum Opfer zu fallen, die einer unserer Gelehrten so treffend: »Eine von schwarzen Bösewichtern in Scene gesetzte Tragödie« genannt hat. Und der Sohn und Nachfolger, den sie hinterließ, als ihr Haupt zu Fotheringay auf dem Block durch den Henker gefallen war! Ein hochbegabter, ja gelehrter König, aber welch' ein Charakter. Seit der zartesten Jugend ein Spielball in den Händen der Parteien und Gegenparteien, wurde er von diesen hin und her geschleudert und gelehrt, vor der Königin Elisabeth von England sich zu beugen, die seine Mutter in einer, jedem Völkerrecht hohnsprechenden Gefangenschaft hielt, und sich sogar erkühnte, sie richten und hinrichten zu lassen, – dieser König, der, nachdem der Thron von England ihm nun auch zugefallen war, erst der Vernichterin seiner Mutter, und dann dieser erst ein Denkmal setzte! So lange seine Gemahlin, Anna von Dänemark, die leidenschaftliche Jägerin, lebte, hielt sie den Hof in der besten Ordnung und Würde, doch als sie vor ihm leider starb, da wurde aus dem englischen Hofe eine wüste Trinkstube, die den Abscheu von ganz Europa bildete. Freilich kam mit Karl I., dessen häusliches Leben einen lichten Punkt in der Chronik dieses Hauses bildet, wieder Ordnung und königliche Würde an den Hof von St. James, aber der Bürgerkrieg vertrieb die Königin mit ihren Kindern und mordete den König in der Blüte seiner Jahre. Als mit seinem Sohne, Karl II., die Stuarts wieder ihren Einzug hielten aus dem Throne der britischen Insel, da kam wohl französischer Glanz mit ihm, aber auch französische Lasterhaftigkeit, in deren Sumpf die beiden Königinnen Katharina von Braganza und Beatrice von Este allein stehen wie zwei reine Lilien. Karl II. ging dahin in seinen Sünden, und sein Bruder und Nachfolger, König Jakob II., wurde schon nach drei Jahren vertrieben und sein Sohn von der Thronfolge ausgeschlossen. Wir haben zu Anfang dieser Skizze schon gesehen, wie er, der »Chevalier von St. George«, in der Verbannung lebte, unablässig bemüht, den verlorenen Thron wiederzugewinnen, wie sein Sohn, »Bonnie Prince Charlie«, wie die Schotten ihn heute noch nennen, in der Schlacht von Culloden endlich alle seine Hoffnungen auf den Thron begrub, und sein Sohn in einen Hintergrund zurücktrat, in dem ihm unsere Historiker nicht mehr folgten, dessen Existenz von einigen – Alfred von Reumont z. B. geradezu geleugnet wird.

Und auch über den beiden letzten Herrscherinnen aus dem Hause Stuart, den unkindlichen und undankbaren Töchtern Jakobs II., schwebte kein guter Stern. Maria II. die ihren Gemahl, Wilhelm III. von Oranien, mitnahm auf den verwaisten Thron, war nicht glücklich in ihrer kinderlosen Ehe, und vollendete in jungen Jahren noch ihr verfehltes und verbittertes Leben. Ihre Schwester, die ihrem Schwager 1702 als Königin Anna I. auf dem Throne folgte, war, wenn auch von weitgehender Herzensgüte beseelt, ein schwankendes Rohr, ein schwaches Weib in des Wortes verwegenster Bedeutung in den Händen ihrer Günstlinge. Ihr Gemahl, Prinz Georg von Dänemark, mit dem sie jung schon vermählt worden war, war ein notorischer Säufer und gab seiner schwachen Gemahlin keinen Halt. Von den dreizehn Kindern, die sie geboren, ist nur eines, der Herzog von Gloucester, elf Jahre alt geworden, und so ging Anna, die letzte Stuartkönigin auf dem Throne, in das Grab ohne Erben, unbetrauert, beerbt von dem Geschlechte der Welfen zu Hannover, welche die englische Krone heute noch, und wie mich dünkt, mit vollster Legitimität tragen, da der Mannesstamm König Jakobs II. in seinen letzten Generationen niemals Anspruch darauf erhoben hat.

Wo immer wir die Geschichte des Hauses Stuart auch aufschlagen, so wird sie uns anmuten, nicht wie ein ruhig in seinem Bette dahingleitender Fluß, sondern wie ein reißender Strom, der jeden Augenblick seine Dämme durchbricht und über Gestein dahinbraust in wildem, tosendem Laufe. In großen Zügen hat die Geschichte und die Spezialgeschichte erzählt von dem Werden, Erblühen, Erstarken und Verwelken dieses interessanten und eigenartigen Königsstammes, was aber in der Rumpelkammer der Geschichte aus der Chronik des Hauses Stuart aufgespeichert liegt, damit könnte man fast eine Bibliothek für sich gründen. Nur zwei Brautfahrten habe ich daraus gewählt: Die Brautfahrten von Vater und Sohn, – zwei verklungene, altmodische Romanzen von eigenem Reiz, wenn auch mit wehmütigem Ende, aber das muß wohl so sein und gehört zu der Eigenart der Romanze, die nicht wie die Märchen, mit der frohen Versicherung schließen: »Wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch.«


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