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VIII.
Virago

Seitdem die Königin Semiramis von Assyrien bewiesen hat, daß es durchaus nicht außerhalb der weiblichen Fähigkeiten liegt, sich weit über das Maß des Gewöhnlichen zu erheben und männliche Thaten zu vollbringen, hat es die Geschichte geliebt, ähnliche Kraftnaturen mit ihr zu vergleichen und sie mit ihrem Namen auszuzeichnen. So hat die skandinavische Geschichte ihre nordische Semiramis in der Gestalt der Königin Margaretha der drei Königreiche Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland hat seine Semiramis in Gestalt der Zarin Katharina II., England legt diesen Namen als Ehrentitel seiner Königin Elisabeth Tudor bei und Österreich seiner unvergeßlichen Kaiserin Maria Theresia. Sie alle preist die Geschichte und widmet ihnen ganze Abschnitte, wie es recht und billig ist.

Alles in allem ist die Königin Semiramis aber das Urbild jener weiblichen Kraftnaturen, die scheinbar über jeder weiblichen Schwäche stehend, Virago genannt werden, – Mannweib, d. h. ein Weib, das männliche Thatkraft, Energie und Unternehmungslust in sich vereint. Die Virago ist aber keine so seltene Erscheinung, wie es den Anschein haben möchte, – in allen Klassen der menschlichen Gesellschaft ist sie zu finden, und wer möchte nicht dabei auch an die biblische Judith, an Margarethe von Anjou, an Gräfin Emilie Plater, an Jeanne d'Are, die Jungfrau von Orleans, denken? Bis in die neueste Zeit hinein hat es Frauen gegeben, die der Spur der Königin Semiramis bewußt und unbewußt folgend, die Überfülle an Kraft, Herrschsucht und Unternehmungsgeist zur Virago gemacht, d. h. sie verleitet haben, getrieben von freilich sehr verschiedenen Motiven, Manneswerke zu verrichten.

Die obengenannten Herrscherinnen sind sozusagen die Paradegestalten der Geschichte, – sie mag ihren Bericht in noch so enge Grenzen zusammendrängen müssen, die Königin Semiramis und ihre vier Nachfolgerinnen aus verschiedenen Zeiten werden immer darin zu finden sein. Zurückgeschoben in dem Dunkel ihrer Rumpelkammer hat die Geschichte aber noch mehr dergleichen weibliche Kraftgestalten aufzuweisen, die unter ihresgleichen hervorragen, wenn auch nicht durch besondere Gaben des Geistes und des Herzens, so doch durch den unbezähmbaren Drang in ihrer Brust, die Grenzen zu überschreiten, welche die Natur ihnen nun einmal gezogen hat. Sie alle hervorzusuchen aus den verborgenen Winkeln der Weltgeschichte, könnte eine ganz eigenartige Litteratur veranlassen, die zugleich für die Kulturgeschichte der Frau von hohem Interesse wäre, und wir würden finden, daß die Virago eine Erscheinung ist, die wie eine Naturnotwendigkeit in bestimmten Phasen aufzutreten beliebt.

Der Raum ist zu eng, um sie eingehend zu nennen, die ich meine, doch aus der Zahl der Viragos, die in der Rumpelkammer der Weltgeschichte vergessen und verstaubt und spinnwebenüberzogen träumen, hat mich besonders eine Dreizahl gefesselt, die verschiedenen Zeiten angehörend, doch derselben Rasse entstammt.

Die erste von ihnen, – um sie chronologisch zu nennen, – müssen wir weit zurück, im Mittelalter, suchen. Als Erbin der Grafschaft Poitou geboren, die dem Herzogtum Aquitanien benachbart war, das wiederum aus dem uralten Königreiche der Provence entstand, wuchs Eleonora von Aquitanien, Wilhelms X. von Poitou und der Eleonora von Châtelherault Tochter, in einer geistigen Atmosphäre auf, die damals sicher ungewöhnlich zu nennen war, so weit überflügelte sie die anderer Höfe. Ihr Großvater, Wilhelm IX. von Aquitanien, gilt heute noch in der alten Litteratur als Ur- und Musterbild aller späteren provençalischen Troubadoure: er sang, »wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet«, so recht, weil es ihn von innen heraus dazu trieb; die Künste zu fördern und zu unterstützen, war ihm Herzensangelegenheit. Die Sitten des Hofes von Aquitanien waren nicht gerade sonderlich streng. Die Prinzessin Eleonora wuchs zu einer blendenden, ungewöhnlichen Schönheit empor, und als sie vierzehn Jahre alt war, resignierte ihr Großvater zu Gunsten dieses seines Lieblings auf seine Erbländer und machte das junge Mädchen zur Souveränin eines Staates, dessen Besitz für Frankreich höchst begehrenswert war. Das wußte der Herzog und trat darum in Verhandlungen mit Paris, um den Dauphin mit seiner Enkelin zu vermählen, die indes in ihren Erbländern volle Souveränetät genießen sollte. Die Verhandlungen führten zu einem guten Resultat, die beiden Hauptpersonen fanden Gefallen aneinander, und am 1. August 1137 wurde Ludwig, der Dauphin von Frankreich, mit der Herzogin Eleonora von Aquitanien zu Bordeaux vermählt, – er siebzehn, sie fünfzehn Jahre alt. Wenige Tage später starb König Ludwig VI. von Frankreich, und der Gemahl Eleonorens bestieg den Thron Hugo Capets als König Ludwig VII. Die junge Königin von Frankreich entzückte zunächst den Hof von Paris durch ihre wunderbare Schönheit und durch ihre hohe Begabung für Poesie und die Musik, – ihre zeitgenössischen Troubadoure betonen es ausdrücklich, daß sie lesen und schreiben konnte. Aber ihr heiteres Temperament und ihre freie Behandlung der steifen höfischen Sitten, ihr gewandter, freier Verkehr mit jedermann, war am Hofe von Paris, der unter den strengen Regeln des heiligen Bernhard stand und eher einem Kloster, als einem Hofe glich, mehr denn ungewöhnlich, sie fand in der neuen Heimat nicht, was sie in der alten verloren. Nach provençalischer Sitte gründete sie einen sogenannten »Liebeshof«, dem sie als Königin, Preisverteilerin und Dichterin vorstand, aber die alten wie die neuen Forschungen sind darüber einig, daß dieser Liebeshof nicht auf der Höhe der Moral gestanden hat. Die Königin Eleonora kümmerte sich aber nicht im geringsten um die Beistimmung oder Mißbilligung der Leute und um die schwachen Gegenvorstellungen ihres Gemahls schon lange nicht, denn sie besaß über ihn einen Einfluß, den sie sehr genau kannte und bei jeder Gelegenheit auch ausnutzte. Sie war es, die ihn zu einem blutigen Kriege mit dem Grafen von Champagne trieb, weil dieser es gewagt hatte, sich in Familienangelegenheiten zu mischen, die den Stolz der Königin verletzten und der furchtbare Sturm auf Vitry, der die Fehde mit unerhörten Strömen Blutes beschloß, krönte im Triumph die befriedigte Rache Eleonorens von Poitou, die nun, 1147, kein Kind mehr war, sondern genau wissen konnte, was sie that. Vitry sollte aber doch eine Wendung in ihrem Liebeshof-Leben bezeichnen, und zwar eine ganz unerwartete. Der heilige Bischof Bernhard nämlich, den die Metzelei von Vitry mit Recht auf das äußerste empört hatte, predigte damals zu Vezelay in Burgund die Kreuzzüge ins heilige Land, und der König und die Königin von Frankreich kamen, ihn zu hören. Der Heilige benutzte die Gelegenheit, um das Gewissen des Königs des ungerecht vergossenen Blutes wegen zu erwecken und mit solcher Beredsamkeit geschah dies, daß Ludwig VII. hingerissen und im tiefsten Herzen bewegt als Buße einen Kreuzzug ins heilige Land gelobte und dabei begeisterte Unterstützung in der Blüte seines jungen Adels fand. Aber der heilige Bernhard wußte auch, wer den König zu den Greueln von Vitry angestachelt hatte, und seine herzbewegenden Predigten brachten die Königin in einen Zustand von Reue und Zerknirschung, der zu jedem Extrem fähig war. Sie schmolz hin in Reue, fastete, betete, geißelte sich – alles das aber mit einer solchen Vehemenz und Übertreibung, daß man beim Lesen dieser verschollenen Berichte unwillkürlich an den bekannten englischen Spruch denken muß:

»When the devil got sick, the devil a saint would be,
But when the devil got better, the devil a saint
was he!«

zu deutsch ungefähr:

»Wenn's dem Teufel schlecht geht, ein Heil'ger zu
sein sich vermißt er,
Doch wenn's dem Teufel dann gut geht, den Teufel
ein Heiliger ist er.«

Und aus der bittern Reue der Königin Eleonora erwuchs demgemäß auch eine wunderliche Frucht: es kam ihr die Idee, selbst an dem Kreuzzug des Königs teilzunehmen. Der König widersetzte sich diesem Wunsche nicht und darum spann die Königin diese Idee aus und kam auf den tollen Gedanken, einen weiblichen Kreuzzug zu organisieren. Da sie damit Anklang fand bei einer Schar der Damen ihres Liebeshofes, so war Reue, Bußübung und alles andere vergessen und mit dem alten Geiste der Unternehmungslust ging sie, Feuer und Flamme für ihre Idee, daran, ihr Amazonenheer zu organisieren. Ein amazonenartiges Kostüm wurde angelegt, das Heer der Damen beritten gemacht, Waffenübungen wurden vorgenommen und das Amazonenregiment beging, mit der Königin an der Spitze, öffentlich eine Reihe von Tollheiten, die manchen vernünftig denkenden Mann von dem Kreuzzuge des Königs zurücktreten ließ. Am Pfingstsonntage 1143 empfing der König zu St. Denis die geweihte Oriflamme und das Heer brach auf zu dem unseligen Kreuzzuge, der das Zeichen des Verfehltseins schon in dem Amazonenheere der Königin Eleonora mit sich nahm. Sie folgten der Spur des Heeres des Kaisers Konrad, durchsegelten den Bosporus und landeten in Thrazien. Der König sandte unter der Bedeckung seiner besten Truppen die Amazonen sogleich voraus und befahl ihnen, ein Lager einzunehmen, das ihnen vollen Überblick über das Thal von Laodicea gewährte. Kaum außer Sicht, handelte die Königin aber auch im direkten Widerspruch mit den Befehlen des Königs und bestand darauf, das Lager in einem köstlichen grünen Thale aufzuschlagen, das ihr viel hübscher erschien. Die Folge davon war, daß der König, der mit dem enormen Gepäck nachkam, seine Gemahlin nicht vorfand und nun gezwungen wurde, sie zu suchen, wobei er von den Arabern angegriffen wnrde. Eine blutige Schlacht wurde geschlagen, die sonst hätte vermieden werden können, und 7000 Mann büßten mit ihrem Leben den Eigensinn der Königin von Frankreich. Dazu wurde das Gepäck und der Proviant von den Sarazenen geplündert und das ganze Heer in einem Zustande tiefster Niedergeschlagenheit aus der Schlacht zurückgelassen. Zum Glück war Antiochien in der Nähe, dessen Fürst ein Onkel der Königin war. Raimund von Poitou öffnete seine Pforten freudig dem französischen Heere, das sich nun an den Ufern des Orontes von seinen Strapazen und seiner Niederlage erholte.

Der junge Fürst Raimund war begeistert von seiner Nichte, die er zum erstenmale sah, und Eleonora gab dem schönen Onkel sein Entzücken reichlich zurück. Kaum hatte sie sich von den ausgestandenen Strapazen etwas erholt, als sie, den heiligen Zweck ihres Kommens wie von Anbeginn total vergessend, mit Raimund von Antiochien ein kokettes Spiel begann, das manchem ihrer Chronisten mehr dünkte als ein bloßes Spiel. Thatsächlich war es in Antiochien, daß Eleonora zuerst erklärte, sie wolle nicht in der Ehe leben mit einem Manne, der im vierten Grade ihr Cousin sei, und hier war es auch, wo sie trotz des Verbotes des Königs kostbare Geschenke empfing von dem Sultan Saladin, die er ihr, als souveräner Fürstin, darbrachte. Der König, den der Ungehorsam seiner Gemahlin, der ihm so viele seiner tapfern Krieger gekostet und nun seinen Stolz als Souverän verletzte, aufs bitterste erzürnt hatte, wurde durch ihr rücksichtsloses Betragen mit seinem Gastfreunde, dem Fürsten Raimund aufs tiefste verletzt. Irgend ein Vorkommnis hat ihn dann zur Entscheidung getrieben, und eines Nachts sandte er sie, trotz ihres Widerstandes und trotz ihrer deutlichen Empörung aus Antiochien fort nach Jerusalem, wo sie denn auch im Frühling 1149 eintraf in der denkbar ungnädigsten Laune, geneigt, alles zu thun, womit sie ihren Herrn und Gatten kränken und für seine Autorität strafen konnte. König Balduin III. von Jerusalem, aus dem Hause Rethel-Anjou, empfing seinen hohen Gast mit allen königlichen Ehren, doch scheint ihr Aufenthalt in Jerusalein einer Gefangenschaft, natürlich unter den günstigsten Bedingungen, verzweifelt ähnlich gewesen zu sein. Das Tischtuch zwischen ihr und Ludwig VII. war zu Antiochien unheilbar zerschnitten worden, und daß sie sich zu rächen verstand, geht aus einem Schreiben des ersten Ministers von Frankreich, Suger, hervor, in welchem dieser mitteilt, wie der König sich darüber beklagt hätte, daß Eleonora ein ganz offenkundiges Verhältnis mit einem schönen jungen sarazenischen Emir, Sal-Addin mit Namen, unterhalte, wofür er, der König, sich von ihr zu trennen gedächte, sobald sie Paris wieder erreicht haben würden.

Dies geschah im November 1149, doch die Trennung fand nicht statt unter der Erwägung, daß die Tochter des Königspaares, die Prinzessin Marie, wahrscheinlich ihres mütterlichen Erbteiles beraubt werden würde, wenn die Königin wieder frei wäre, sich anderweit zu verheiraten. Eleonora durfte sich also nach wie vor der Ehren einer Königin von Frankreich erfreuen. Sie ließ sich als Kreuzfahrerin feiern, als hätte sie als solche die herrlichsten Siege erfochten, statt dem französischen Heere die schmählichsten Niederlagen zu bringen, und machte sich öffentlich lustig über den König, dessen Aussehen ihr mehr das eines Mönches als eines kriegerischen Fürsten dünkte.

Im Jahre 1150 erschien am französischen Hofe der Prinz Gottfried Plantagenet, Herzog von Anjou, um seinen Sohn Heinrich, einen siebzehnjährigen Jüngling, dem Könige vorzustellen. Gottfried Plantagenet war damals vermählt mit der Erbin der englischen Krone, Maud, der Witwe des deutschen Kaisers Heinrich V., die ihre Rechte gegen den König Stephan daheim schwer zu verteidigen hatte. Doch die ferne kaiserliche Gemahlin hinderte Eleonora durchaus nicht, dem Herzog von Anjou ein Interesse entgegenzubringen, das in ganz Paris Stadtgespräch ward. Achtzehn Monate später, während welcher Zeit Eleonora noch einer Tochter das Leben gab, erschien Heinrich Plantagenet abermals am französischen Hofe, und Eleonora übertrug die Gunst, die sie einst dem Vater geschenkt, nun dem Sohne, der zwar nur ein Jüngling war, aber im Äußeren voraus seinen Jahren, schön, gewandt in allen ritterlichen Künsten, voll Kraft, Energie und Leben, dabei gelehrt, unternehmend, hinreißend. Die Avancen, die er von der immer noch sehr schönen Königin empfing, berauschten ihn total, – er turnierte unter ihrem Zeichen und richtete glühende Liebeslieder an sie. Bald sangen die fahrenden Sänger und Troubadoure ein Lied, das von ihm stammen soll mit dem Refrain:

Ach, du nahmst mir Glück und Ruh,
Leonora von Poitou,
Galliae Regina!

Ludwig VII. nahm gerechten Anstoß an dem Verhältnis, und der Herzog von Anjou verließ Paris. Eleonora aber brachte beim heiligen Stuhle eine Klage ein auf die Ungültigkeit ihrer Ehe wegen zu naher Verwandtschaft, und der aufs tiefste verletzte König schloß sich der Petition an. Seine Gründe zur Lösung der Ehe waren jedenfalls die überzeugenderen, und im März 1152 wurde die Ehe des Königs von Frankreich auf Grund zu naher Blutsverwandtschaft für null und nichtig erklärt. Eleonora begab sich nach ihren heimatlichen Landen zurück, doch nicht ohne unterwegs mehrere persönliche Eroberungen gemacht zu haben, die ihr fast die Freiheit gekostet hätten. Sie entrann der Gefahr indes mit der ihr eigenen Kühnheit, und schon im folgenden Monat, im Mai 1152, vermählte sie sich zu Bordeaux mit dem herbeigeeilten Herzog von Anjou. Vier Monate später wurde ihr ältester Sohn Richard, geboren, der nachmals so berühmt gewordene König Richard Löwenherz von England. Zwei Jahre später erhielt nach König Stephens Tode Heinrich Plantagenet das Erbe seiner Mutter, den englischen Thron, Eleonora von Aquitanien konnte abermals eine Königskrone auf ihr immer noch so schönes Haupt setzen, und Heinrich II. durfte nun singen:

Ach, du gabst mir Glück und Ruh,
Leonora von Poitou,
Angliae Regina!

Aber ein Glück, das auf Sünde aufgebaut ward, konnte keinen Bestand haben. Der junge König, der in die Vollkraft seiner Jahre eben erst eintrat, wurde der um elf Jahre älteren Gemahlin, die ihn mit Eifersucht verfolgte, bald genug müde und fand ein geheimes Glück mit der schönen Rosamond Clifford in den tiefen, verschwiegenen Wäldern von Woodstock. Womit sie gesündigt, damit wurde Eleonora von Poitou nun bestraft, – das Leid, das sie verursacht, sollte sie nun selbst spüren, schärfer fühlen, weil der Altersunterschied zwischen ihr und dem Könige den Dorn noch verletzender machte.

Sie kam hinter das Geheimnis des Königs, indem sie der Spur eines Knäuels rosa Seide folgte, das aus ihrem Arbeitskorb gefallen, sich in dem Sporn des Königs festgehackt hatte, und von dem Gebüsche, das er durchdrang, in Fasern zurückbehalten wurde. Dort fand sie ihn mit Rosamond Clifford, und ihr Zorn erreichte, was der Zorn Ludwigs VII. nie vermocht: Rosamond wurde in das Kloster zu Godstow gebracht und mußte dort den Schleier nehmen. Die neuere Geschichtsforschung hat übrigens konstatiert, daß Heinrich II. Rosamond schon lange vorher kannte, ehe er Eleonora von Poitou als Königin nach England brachte, und einzelne behaupten, er sei rechtskräftig mit ihr vermählt gewesen. Diese Version, die dem Stolze der Königin Eleonora natürlich den Todesstoß geben mußte, giebt auch ihrer Verfolgung der Rivalin und deren Einschließung im Kloster mehr Motiv. Dafür spricht auch, daß Rosamond von den Nonnen von Godstow schwärmerisch geliebt wurde, was sich kaum so sehr manifestiert hätte, wäre sie das gewesen, wofür man sie lange gehalten hat – des Königs Geliebte. Ihr plötzlicher Tod in den Klostermauern wird von der Überlieferung vor die Schwelle Eleonorens von Poitou gelegt, als diese erfahren, daß nicht sie, sondern jene des Königs rechtskräftige Gemahlin sei, – sei dem wie ihm wolle: Rosamond wurde von den Nonnen wie eine Heilige betrauert und verehrt und König Johann, Eleonorens zweiter Sohn, hat ihr späterhin ein Monument gesetzt, das die lateinische Inschrift trug:

Dies Grab umschließt, bis es zerfällt,
Die schönste Rose von der Welt.
Wie Rosen schnell verblüh'n,
Mußt' sie hinüberzieh'n. –

König Heinrich II. vergab seiner Gemahlin nicht ihr Eingreifen in seine Beziehungen zu Rosamond Clifford. Der Friede des Paares war dahin und Eleonora sogar in eine Art von Gefangenschaft gehalten. Außer sich, beschloß sie Schutz bei dem Könige von Frankreich zu suchen und da es unmöglich schien, sich offen zurückzuziehen, so entfloh sie, unternehmend, wie sie immer war, in Männerkleidern, doch wurde sie eingeholt, ehe sie Frankreich erreicht hatte, und nach Bordeaux gebracht, wo sie nun als Gefangene scharf bewacht wurde. Heinrich sah ihre Flucht als eine Aufreizung fremder Mächte gegen ihn an, und nun begann, was man die dritte Epoche im Leben Eleonorens nennen muß, – ihre Gefangenschaft. Es ist dies ein ziemlich mysteriöser Abschnitt ihrer und des Königs Geschichte, – er bestätigt die oben genannte Version der Geschichte Rosamond Cliffords in gewissem Grade. In Aquitanien war man empört über die Behandlung der Souveränin, und die Troubadoure zogen umher und reizten das Volk auf zu ihrer Befreiung, – Attentate auf den König waren das Resultat. Im Jahre 1186 durfte Eleonora ihren Gatten nach Bordeaux begleiten, doch nur, um auf ihre Erblande zu Gunsten ihres Sohnes Richard zu verzichten. Darauf wurde sie nach England zurückgebracht und zu Winchester-Castle abermals gefangen gehalten. Drei Jahre später starb Heinrich II., und die erste Regierungshandlung König Richards war, seiner Mutter die Freiheit wiederzugeben, und sie zur Regentin während seiner Abwesenheit von England zu ernennen. Als solche hat sie sich über jedes Lob erhaben bewiesen und regierte »mit großer Weisheit und Popularität«, wie eine alte Geschichte sagt. Zwar hatte sie mit vielen Widerwärtigkeiten zu kämpfen, aber sie arbeitete gewissenhaft, und so war das Leid, das ihre eigene Sünde über sie gebracht, zum Heil für sie schon auf Erden geworden, die sich bis an ihr Ende zu nennen liebte: »Wir Eleonora, durch den Zorn Gottes Königin von England.« Sie ist indes eines von den wenigen Beispielen, in denen ein segensreiches Alter die wilde Jugend sühnt. –

Weit fort von dem Nebelland England, im sonnigen Italien finden wir dreihundert Jahre später auch eine Frau, deren stürmisches Leben und unbezähmbarer Charakter sie in den Vordergrund der Geschichte ihrer Zeit stellt. Wir meinen Caterina Sforza, eine Tochter des Herzogs Galeazzo Maria von Mailand, aus einer nicht legitimen Verbindung. Sie war ein seltsames Gemisch von Schönheit, Bildung, Mut, Verstand, Wollust und Grausamkeit, – so recht der Stoff, aus dem die Natur eine Virago macht. Sie wurde zum erstenmale vermählt mit einem Verwandten Papst Sixtus' IV., Girolamo Riario, Grafen von Forli, der unter den Dolchen von Verschwörern starb, die seine Leiche vor den Angen Caterinas zu den Schloßfenstern herausstürzten. Aber Caterina verlor Kopf und Mut nicht einen Augenblick, – sie sammelte die treu gesinnte Schloßbesatzung um sich, schlug die Verschwörer, nahm die Rädelsführer gefangen und ließ sie grausam hinrichten. Bald war das Schloß von Forli, das Caterina nun im eigenen Recht gehörte, von Freiern umlagert, wie sie zahlreicher die sinnige Penelope nicht gehabt haben mag. Aus dieser Schar wählte sich die schöne junge Witwe Giacomo Feo, den Fürsten von Savona. Doch es war ein böser Posten dazumal in Italien, souverän zu sein, wenn auch auf einem noch so kleinen Eckchen Landes, denn die Verschwörer gegen den »Tyrannen« waren stets zur Hand, es hatten immer andere Gelüste auf das Thrönchen und nicht vielen war es beschieden, nach einer ruhigen Regierung im hohen Alter zu sterben. Giacomo Feo von Savona ward vor den Augen seiner Gemahlin nach dem alten, erprobten Rezept umgebracht, und als das Schloß gesäubert war von den mörderischen Eindringlingen, setzte sich Caterina zu Roß, führte ihre Söldner vor die Quartiere der Mörder und ließ dort in Stücke hauen, was da lebte und atmete, und schonte auch der Frauen, Kinder und Säuglinge nicht. Und als kein menschliches Wesen mehr lebte, da gab sie ein kurzes Kommando, wandte ihr Roß und ritt an der Spitze ihrer Wachen zurück nach dem Schlosse, als ob nichts geschehen wäre.

Wiederum kamen die Freier, um die schöne junge Witwe zu werben, und dieses Mal trug ein Medici den Preis davon. Giuliano de' Medici, der Vetter Lorenzos des Prächtigen, führte die Braut heim, – genau genommen, sie ihn, denn er zog mit ihr nach Forli. Hier wurde sie die Mutter des berühmten Kriegshelden Giuliano de' Medici im Jahre 1497. Es war aber nicht in den Sternen geschrieben, daß die Gemahle Caterina Sforzas lange lebten und auch über Giuliano Medici dem Älteren schwebte sozusagen schon der Schatten des Todes, als er mit Caterina vor den Altar trat. Zu Ende des Jahres 1499 belagerte Cesare Borgia, der Furchtbare, Forli und während eines Ausfalles fiel Giuliano Medici, – Caterina Sforza war abermals Witwe. Unerschrocken und ruhig leitete sie die Verteidigung persönlich weiter, aber am Ende, was konnte sie mit ihren geringen Streitkräften ansrichten gegen einen so mächtigen Feind? Am 12. Jannar 1500 nahm Cesare Borgia Forli im Sturm, und im Triumph führte er Caterina in Ketten nach Rom, wo sie als seine Kriegsgefangene im Belvedere untergebracht wurde. Es hätte gar nicht ihrer Natur entsprochen, wenn sie von da nicht Fluchtversuche jeder Art unternommen hätte, und ihre Schuld war es sicher nicht, daß diese sämtlich fehlschlugen. Ihren Ketten wollte die stolze Frau entrinnen und sich rächen, und ihrem Quäler wollte sie auch entgehen, dem furchtbaren Cesare, der täglich kam und um die Liebe seiner Gefangenen warb. Doch ihr tödlicher Haß erlaubte ihr nicht einmal zu heucheln, was ihr die Freiheit vielleicht verschafft hätte, und da er so nichts ausrichten konnte, so suchte Cesare seine schöne Feindin aus dem Wege zu räumen. Sie aber war auf ihrer Hut und entging durch eine nie ruhende Wachsamkeit seinen Giften, die sich ihr nur zu oft nahten. –

Die Gefangennahme ihrer beiden Oheime Ludovico Sforza und des Kardinals Ascanio Sforza bei Novara am 10. April war ein neuer Schmerz für sie, und als ein erneuter Fluchtversuch resultatlos verlief, wurde sie in der Engelsburg in strengem Gewahrsam gehalten. Hier schmachtete sie im wahren Sinne des Wortes ein und ein halbes Jahr. Caterina war in Rom nicht ohne Freunde, und der treueste von ihnen war Ivo d'Allegre, der auch schließlich ihre Befreiung erwirkte. Gebrochen an Leib und Seele verließ sie ihren Kerker und beraubt ihrer Güter, begab sie sich nach Florenz, wo die Medici aber auch vertrieben und verbannt waren. Sie ging in ein Kloster, nahm dort den Schleier und starb 1509. Das war ein überraschender Schluß für ein Leben, welches in so ganz anderen Bahnen hätte auslaufen müssen, wenn es konsequent genannt werden sollte.

Die dritte der Frauen, die ich meine, endete nur hundert Jahre später, – sie ist einer der dämonischsten Charaktere, denen man in der Geschichte begegnet, – drohend und düster ragt sie hervor aus einem Hintergrunde von Scharlach, doch ein schwarzer Schleier spannt sich darüber, das ist das Dunkel der Geschichte, das noch nicht gelüftet ist und vielleicht auch nie gelüftet werden wird, weil es in der Sage und Legende verschwimmt.

Es muß zu Beginn des Jahres 1605 gewesen sein, als ein Mönch, der sich Grisca Utrepejow nannte, bei dem Woywoden Mniczek, Fürsten von Sendomir, anpochte und um ein Nachtquartier bat. Mniczek fand Gefallen an dem intelligenten jungen Manne, und Gefallen schien auch des Bojaren Tochter an ihm zu finden, die schöne Marina Mniczek, die ihm gegenübersaß, und das Auge nicht von ihm wendete. Es gab ein Wort das andere und schließlich sagte sie ihm auf den Kopf zu, er sei nicht, was er scheine. Der junge Mönch zögerte lange, ehe er gestand, daß er in der That kein Mönch sei, sondern nur unter dem Schutze der Kutte reise, um sich seine Heimat zurückzuerobern, der man ihn entfremdet, – kurz, er sei der Zar Demetrius von Rußland, der Sohn Zar Iwans IV. und der Zaritza Marpha Nagoris. Freilich herrsche im Volke der Glaube, der junge Demetrius sei zu Uglitsch, acht Jahre alt, gestorben, d. h. ermordet auf den Befehl seines wilden Schwagers, Boris Godunow, weil er diesem im Wege stand zum Zarenthron, den er danach auch bestieg, aber treue Diener hätten den Knaben gerettet und in einem Kloster den mörderischen Gelüsten Godunows verborgen. Nun liege der Zar Boris im Sterben und da habe er, der falsche Mönch Grisca Utrepejow, sich aufgemacht, um zu sehen, ob er das geraubte Erbe seines Vaters wiedergewinnen könnte, wenn er genug Freunde fände, die an ihn glaubten. Und als Beweis für seine Erzählung zeigte er ein griechisches Missale hervor, das seine Mutter ihm einst gegeben und einen Ring und einen Dolch, alles mit dem Wappen und Monogramm des Zaren Iwan verziert, den die Geschichte den Schrecklichen genannt hat. Der Fürst von Sendomir war sichtlich bewegt worden durch die Erzählung seines Gastes, Marina Mniczek, seine Tochter aber war Feuer und Flamme. Allein gelassen mit dem falschen Mönch und vielleicht auch falschen Zaren, sagte sie ihm, wie sie und ihr Haus sehr reich seien, reich genug, um die Summen beschaffen zu können, ohne die es dem Prätendenten schwer fallen dürfte, seine Rechte zu unterstützen, aber jedes Ding habe doch seinen Preis. –

Demetrius – denn so muß er doch wohl genannt werden – verstand seine schöne Wirtin vollkommen und er versprach, sie zur Zaritza zu machen, wenn es ihm gelänge, den verlorenen Thron zurückzuerhalten. Georg Mniczek gab nur zu bald dem Drängen seiner Tochter nach, die begeistert eintrat für die Rechte des Zaren Demetrius und seine Sache mit einer seltenen Energie zu ihrer eigenen machte. Und doch hat sie nicht einen Augenblick geglaubt, daß der Mönch Grisca der war, für den er sich ausgab. Sie kannte den Zaren Boris Godunow und wußte, daß er nicht der Mann war, der das Beiseiteschaffen eines so wichtigen Hindernisses, wie den jungen Prinzen Demetrius, leichtsinnig betrieben haben sollte, wie es der Fall gewesen sein mußte, wenn es möglich gewesen wäre, den Knaben entkommen zu lassen. Aber Grisca Utrepejow glaubte an sich selbst und der Fürst von Sendomir glaubte an ihn, und wenn sie Zarin wurde, verschlug es der stolzen Marina nichts, ob der Mann, der ihr die Zarenkrone reichen sollte, wirklich purpurgeboren war oder nicht. Und als der Zar Boris Godunow am 13. April 1605 wirklich starb und Demetrius vortrat mit seiner Geschichte, da fand er auch eine große Zahl Anhänger, die den Jüngling-Zar Fedor II., Godunows Sohn, samt seiner Mutter Maria Skuratow am 10. Juni ermordeten und den Demetrius als seines Namens der Dritte auf deu Thron hoben, kraft der Beweise und kraft seiner Ähnlichkeit, die er mitgebracht und mehr noch, kraft der Unterstützung, die er durch Mniczeks Einfluß von dem König Sigismund II. von Polen empfing. Die Zaritza Marpha, Iwans IV. Witwe, die lange schon im Kloster weilte, wurde mit dem Sohne konfrontiert – sie erkannte ihn zuerst, wenn auch zögernd, als ihren Sohn an, widerrief dann ihre Anerkennung, und zog sich schwankend und von furchtbaren Zweifeln gequält wieder in ihre stillen Klostermauern zurück. Am 29. Juni aber bestieg Demetrius den Thron, und als er sich im Besitze desselben leidlich sicher glaubte, dachte er seines Versprechens und holte Marina Mniczek als Zarenbraut heim. Unter großem Pompe ward sie ihm am 29. April 1606 vermählt und gleichzeitig als Zarin gekrönt, etwas ganz unerhörtes in Rußland, wo bisher nie eine Zaritza neben dem Brautkranz auch die Krone als gleichberechtigt von dem kaiserlichen Gatten erhalten hatte. Und durch diese Vermählung und Krönung seiner Gemahlin zerstörte Demetrius mit einem Schlage das künstliche Gebäude seiner Existenz und seine wachsende Beliebtheit, denn Marina war den Russen doppelt unsympathisch als Polin sowohl wie als Katholikin, und Demetrius mußte das wissen. Es ist kaum anzunehmen, daß er sich darüber im Unklaren war, doch die Ursachen, die ihn an Marina fesselten, lagen zu tief, als daß er sie umgehen konnte, ohne sich wiederum ihren Anhang zu erbitterten Feinden zu machen. Denn einmal hatte der Reichtum des Woywoden ihm den Weg zum Thron gebahnt, sein mächtiger Einfluß am Hofe König Sigismunds II. von Polen hatte ihm dessen Unterstützung bei seiner Thronbesteigung gesichert, wie konnte er anders, als sein Versprechen lösen, das der Preis gewesen für seine Krone? Die fatalen Folgen seiner Vermählung zeigten sich ohne Verzug: schon am Tage, da Marina Mniczek zur Zarin gekrönt wurde, brach der Aufstand los, und nur vierzehn kurze, schreckensreiche Tage hindurch genoß sie den so schwer erkauften Triumph, Zarin zu sein. Schön wie sie war, übte doch ihre Persönlichkeit nicht den gewünschten Einfluß aus auf die sie verwünschende Menge, auf die sie kalt und verächtlich lächelnd hohnvoll herniederblickte; drohender und drohender wurde mit jedem Tage ihre Lage, und am 17. Mai schon wurde Demetrius im Kreml ermordet, Marina aber gefangen genommen. Ob Demetrius der gewesen, für den er sich ausgab, ist ein Mysterium geblieben – die Geschichte brandmarkt ihn mit dem Namen: »der falsche Demetrius« – warum sollte er aber nicht dennoch der echte gewesen sein? Es scheint doch, als hätte er selbst fest an sich geglaubt, wie der Uhrmacher Naundorf fest und heilig von sich glaubte, daß er Ludwig XVII., der Sohn König Ludwigs XVI. von Frankreich gewesen sei? Nur eine hat an ihn nicht geglaubt, von Anfang an nicht, das war Marina Mniczek, die nun nach seinem Tode im Gefängnis saß und über das Unglück brütete und Pläne schmiedete und nicht erkennen wollte, das alles eitel sei in dieser Welt. Und im Gefängnis gab sie in den ersten Tagen des Februar einem Sohne das Leben, den sie Demetrius nannte, nach seinem Vater. Bald darauf gab ihr der nunmehrige Zar Wassili III. Schuiski die Freiheit wieder und sandte sie zu ihrem Vater nach Sendomir, den kleinen Demetrius aber behielt er zurück.

Der Zarin Marina die Freiheit zurückzugeben, war zwar sehr großmütig, sicher aber auch sehr unvorsichtig, denn kaum hatte sie den Fuß wieder auf polnischen Boden gesetzt, als sie auch Himmel und Erde aufbot, um ihr verlorenes »Recht« für sich und ihren Sohn wiederzugewinnen, und da es anders nicht ging, so hat sie, die an den ersten falschen Demetrius nicht geglaubt, sondern ihn nur als Staffel für ihre eigene Größe gebraucht, selbst den zweiten falschen Demetrius gesucht und gefunden. In einem Lande, wo der slavische Typus noch so unvermischt dominierte, wie damals in Rußland und Polen, war es nicht gar so schwer, die gewünschte Ähnlichkeit zu finden. Und sie fand sich. Eines Tages trat ein Mann auf, welcher sagte, er sei der Zar Demetrius III., er habe sich, schwer verwundet, an jenem mörderischen 17. Mai des Vorjahres aus dem Kreml gerettet und komme nun, seinen Thron zurückzufordern. Eine noch recht frische Narbe seiner Wunden wies er auch vor. Mit der Zarin Marina konfrontiert, erkannte diese ihn ohne Zögern als ihren Gemahl an und folgte ihm, dem Betrüger, auf seinem Zuge nach Moskau, unterstützt von den Polen. Wirklich gelang es ihnen, mit dieser Hilfe den Zaren Wassili derart zu bedrängen, daß er aus Moskau fliehen mußte, wo nun der zweite falsche Demetrius im Triumph einzog, im Kreml Wohnung nahm und den Knaben Demetrius als Sohn und Thronfolger proklamierte.

Wer dieser zweite Demetrius gewesen, woher er stammte und wie er eigentlich hieß, hat man nie erfahren, die Zarin Marina hat ihr Geheimnis wohl gehütet. Doch, wenn auch ihr zweiter Zarentraum länger währte, als der erste – kurz genug war er immerhin, denn auch er währte nur ein halbes Jahr. Am 17. Juni 1610 war der zweite Demetrius eingezogen in Moskau, doch verlassen von den heimkehrenden Polen, konnte er sich gegen das einmal rege Mißtrauen gegen sich selbst und gegen den Haß gegen seine sogenannte Gemahlin nicht halten und auch er fiel, wie sein Vorgänger, unter den Dolchen der Rebellen am 11. Dezember zu Kaluga. Abermals allein und verlassen stand Marina wiederum schutzlos der Volkswut gegenüber. Sie proklamierte ihren kleinen Sohn zwar ohne Verzug zum Zaren Demetrius IV. und fand für ihn Anhänger, aber die hatte auch der Zar Wassili und Michael Romanow, der Enkel Iwan des Schrecklichen. Abermals wurde Marina gefangen genommen von dem Zaren Wladislaus I., dem polnischen Kronprinzen, der nun gekommen war, den verwaisten Thron zu besteigen, um den wilde Parteikämpfe ununterbrochen tobten, und während dieser Zeit vegetierte die stolze Marina im Gefängnis hin, nie wissend, was der nächste Tag ihr bringen werde.

Das Jahr 1613 brachte endlich den Zaren Michael Romanow, und da öffnete man die Gefängniszelle der Zarin Marina, um ihr die Hiobspost vom neuen Zaren zu hinterbringen, und wie der Knabe Demetrius ihr Sohn zu selben Stunde erdrosselt worden sei. Da riß sie dem Unglücksboten den Dolch aus dem Gürtel und stieß sich ihn in das Herz – das war das Ende des Liedes vom falschen Demetrius, ein Ende, wie es konsequenter das Leben dieser stolzen Frau nicht beschließen konnte, die, um nur groß zu sein und mächtig, alles gewagt und alles verloren hatte.

Seltsam, daß unsere Dichter sich diese Frauengestalt bisher entgehen ließen. Zwar wollte Schiller in seinem »Demetrius«, die dramatische Kraft dieser Frau erkennend, sie unsterblich machen, aber sein Werk blieb ja nur ein Fragment, und Laubes Ergänzung hat sie zu wenig in den Vordergrund gebracht. Auch Hebbel hat den falschen Demetrius zum Helden eines Dramas gemacht – es wird nirgends gegeben und ist vergessen – auch er ist der dämonischen Gewalt der Marina nicht gerecht geworden.

Sicher sind ihre Motive keine edeln gewesen, und sie verdient vielleicht gar nicht, zur Heldin gemacht zu werden. Wenn man aber den dankbaren Stoff vom falschen Demetrius verwendet, hieße es die treibende Kraft dieser Tragödie ignorieren, stünde die Zarin Marina Mniczek nicht im Vordergrunde: eine dämonisch schöne, düstere und drohende Frauengestalt auf einem Hintergrunde von Scharlach, den ein schwarzer Schleier, das Dunkel der Geschichte überspannt.


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