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Das Hochzeitsmahl

Eine Zwergengeschichte.

Zu jener Zeit, wo die graubartumbuschten,
Hilfreichen Zwerglein die Häuser durchhuschten
Und heimlich, in gütigem Sinnen und Trachten,
Mit den winzigen Händen Werke vollbrachten,
Zu denen sich kaum ein Riese bequemt,
Wurden die Leute oft unverschämt!

So auf einem Gut in fruchtbarer Au
Eine schwerreiche Bauernfrau.

Die hatte in unbescheidnem Verlangen
Durch Erbsenstreuen ein Zwerglein gefangen,
Das sein Käppchen verlor und nicht mehr fand,
Und hielt es sichtbar in grober Hand.

Es flehte, es fauchte, es war wie von Sinnen,
Es weinte und greinte: »O laß mich entrinnen!
O gib mir mein Käppel, o zwick' mich nicht mehr!«
Die Bäuerin sagte: »Ich lass' dich nicht eh'r,
Als bis du versprichst, für die sechs Dutzend Gäste
Zu meines Töchterchens Hochzeitsfeste
Die Weine zu schaffen, die Tafel zu decken
Und Speisen zu geben, die königlich schmecken!«

Das Zwerglein gelobte: »Gewißlich, das tu' ich!
Lad nur die Gäste und pflege dich ruhig,
Am Abend vorm Feste soll alles gemacht sein,
Ich schwör es dir heilig, es soll eine Pracht sein!
Die Speisen bereitet, die Tafel gedeckt!
Nur eines beachte: Daß keiner dran schleckt

Die Bäuerin verschwor sich, das sollt' nicht geschehn!

Das Männlein entwischte, – hui, – hast du gesehn!
Die Bauersfrau wußte, sie dürfe ihm trauen,
Sie wußte, auf Zwergenwort könne man bauen.

Sie bäckt nicht, sie schlachtet nicht, rupft keinen Hahn,
Sie schält keinen Apfel, sie schnitzt keinen Span,
Lädt Gäste um Gäste, der Hilfe gewärtig,
Und richtig, das Essen ist abends schon fertig.
Gekocht und schön zugedeckt stand's auf dem Tische.
Wie dufteten Braten, Gemüse und Fische!
Wie glänzten die Hühner in Butter und Saft!
Wie strotzten und protzten die Brühen von Kraft!
Wie lecker war alles geschmückt und geschmort!
Der Bäuerin hat es im Magen rumort.
Sie will ja nicht schlecken! Sie weiß, daß Gefahr ist!
Nur rasch mit dem Finger mal sehn, ob's auch wahr ist!
Und rasch dann, ganz rasch, mal am Finger geleckt.
O Wunder, wie hat dies Gemüslein geschmeckt!
Sind's wirklich nur Rübchen? Sie kann's fast nicht glauben!
Und sind dies da wirklich gewöhnliche Tauben?
Nein so was! Wie sind die gespickt und garniert!
Sie wundert sich, wundert sich, probt und probiert.
Hat schließlich, von gieriger Eßlust bezwungen,
Ein Viertelchen Taube hinuntergeschlungen,
Mit schlechtem Gewissen, grad darum noch schneller.
Doch Wunder, o Wunder! Auf dampfendem Teller
Liegt duftend und rauchend, in bräunlichem Glanz
Die Taube, von der sie gegessen hat, ganz.

Wie herrlich! Das muß sie doch weiter versuchen!
Nun aß sie vom Hühnerfleisch, brach sie vom Kuchen,
Doch was sie auch nahm, was sie schöpfte und brach,
Wuchs, eh sie den Bissen verschluckt hatte, nach.

Nun jauchzte sie froh, nun ging's dreister ans Schlecken.
Dann eilte sie, Tochter und Gäste zu wecken.
Da ging's an ein Schmausen, da gab es kein Zieren,
Ein jeglicher wollte gern jedes probieren,
Von dem eine Handvoll, von dem einen Happ.
Die dampfenden Speisen nahmen nicht ab,
Soviel man versuchte von jedem Gerichte.

Die Hausfrau erzählte die Zwergengeschichte.
Drob schallte das Lachen, drob dröhnte das Haus.
Bis morgens beschwatzten die Leute den Schmaus,
Der immer verlockend stand, sauber und lecker,
Trotz schmutziger Finger, trotz näschiger Schlecker.

Gesättigt begab sich die Sippschaft zur Ruh.

Viel Gäste noch kamen am Morgen hinzu.

Ein mächtiger Brautzug folgte der Braut.
Die hat gar vergnügt auf die Menge geschaut.
Das soll heut ein Schmaus sein! Soll keins ihn vergessen!
Statt an das Gebet dachte jeder ans Essen.
Statt zu singen, sehnte sich jeder zum Schmaus.

So rasch kam kein Brautzug vom Trauen nach Haus!
Wie stürzten sie alle auf Braten und Fische.
Doch weh! Welch ein Wirrwar war da auf dem Tische!
Da hatten wohl Räuber gehaust und gesessen!
Die Hühner, die Schinken, dreiviertel gegessen!
Die Schüsseln geleert, das Tischtuch beschmutzt,
Die Saucen verschüttet, die Löffel benutzt.

Wer tat das? Wer war das? Wer hat da voll Gier
Genascht?

Eine zirpende Stimme sprach: »Ihr!«
Ein lachendes Stimmchen schrie: »Laßt mal das Lästern!
Ihr wart's ja! Ihr schlecktet die Mahlzeit ja gestern!
Heut seht ihr's im Tageslicht, wie ihr gehaust!
Mich schaut ihr nicht wieder! Mir hat es gegraust
Bei euerer Gier, die ihr nicht überwunden!«

Und dabei war plötzlich die Mahlzeit verschwunden,
Die Schüsseln, die Teller, die Brotkörbe leer. –

Die fleißigen Zwerge sah keiner mehr.

*

 


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