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Taubenmär

Einer armen Witwe ganzer Goldschatz,
Ihres Herzenskindes goldne Löckchen,
Feuchtete und straffte heißes Fieber.

Ihren ganzen kleinen Rosenreichtum,
Ihres Kindes rosenrote Bäckchen,
Blies der Tod zu weißer, eisiger Starrheit.

Mutterseele, arme Mutterseele!
Aus den wilden Höhen der Verzweiflung
Fiel sie abgrundtief in schwarze Schwermut.

Nichts mehr gab es Liebliches zu schaffen,
Nichts zu hoffen. – Tatlos saß die Blasse,
Auf ein Löckchen, auf ein Röckchen weinend.

Nie ein Feuer mehr auf ihrem Herde,
Nie ein frohes Brodeln! Schmerzlich schluckend
Aß sie nur ihr schwarzes Brot – und Kummer.

Niemand bei ihr! Denn die Nachbarinnen
waren's müde. – Eines Tages aber
Flog zu ihr durchs Fenster eine Taube,

Eine hungermatte, eine fremde
Weiche Bettlerin mit Bittgebärden,
Und die Frau verstand sie, gab ihr Krumen.

Gurrend flog die weiße fort, doch traulich
Kam sie andern Tags zur Mittagsstunde
Wieder, so am dritten, so am vierten,

Immer hungernd, bettelnd, futtergierig.
Trautes Heischen ward ihr sanftes Bitten,
Und die Witwe gab ihr, gab ihr lächelnd.

Roggen kochte sie und Mais. Die Taube
Saß auf ihrem Schüsselrand zu Mittag.
Jeden Mittag kam sie, bat und pickte.

Und ein leises, schimmerweißes Etwas
Kam mit ihr, der Frau kam Mut zur Arbeit,
Und die Ordnung kam der Ordentlichen.

Finster eifrig fing sie an zu spinnen.
Spann erst lauter Schwermut, tränennasse,
Aber immer feiner, ebner spann sie.

Eine Meisterin ward sie des Rades,
Spann jetzt so wie keine Frau im Kreise.
Weither brachte man ihr Flachs zum Spinnen.

Weiß und stolz saß sie am Rad und schweigsam.
Silbersegen floß in ihre Truhen
Und sie spann und spann und sann Verlornes.

Aber immer mehr des Segens kam. Allmählich
Ward sie ihn mit Gier gewahr, allmählich
Dachte sie des Gutes viel und zählend.

Enger ward ihr Sinn, sie lernte rechnen.
Silberklingen kam in ihre Ohren,
Harte Lust kam ihr am Mehr der Habe.

Zeit verging, und niedre Tröstung kam ihr. – –
Arme Tröstung! Ihre enge Freude
War der Sparschatz; dazu nur die Taube.

Denn die Taube, schien es, sei ihr Segen,
Weiße Flügel blitzten jeden Mittag
Durch die Stube, Frauenaugen lachten.

Einst jedoch erschrack die Frau. Ins Zimmer
Trat die Nachbarin. Die Taube sehend
kreischte sie im Zwielicht auf: »Ein Geier!«

Sah den Irrtum, rieb die Stirn und lachte
Und die andre auch, jedoch ein eigner
Argwohn funkelte durch deren Seele.

Grübelnd sann und spann sie diesen Abend.
Sann und spann ungutes Garn; verdrossen,
Hart und wirr und rechnend war ihr Sinnen.

Ja, ein paarmal war's ihr auch gewesen,
Wenn die Taube sich so gierig atzte,
keine Taube sei's, ein – größrer Vogel.

Peinvoll sann sie. Deutlich nachts im Traume
Sah sie einen grauen großen Vogel,
Den sie nährte, der ihr Gut verzehrte.

Als die Taube einflog nächsten Mittag,
Fand die Frau kein Streicheln. Bange Mißgunst
Lähmte ihr wie Gift die kranke Seele.

Dann durchrann sie glühende Beschämung.
›Willst du mir die Brocken heut nicht gönnen?‹
Schien die Taube traurig-sanft zu fragen.

Zärtlich strich ihr da die Frau die Federn.
Aber Geiz und Mißgunst kamen wieder,
Konnte sich des Gastes nicht mehr freuen.

Geizige Angst kam ihr, daß sie verarme,
Wilder Zorn kam. Sie erschlug die Taube! – –
O wie strahlte die Erschlagne eigen!

Durch die Stube klang ein wehes Wimmern.
Rief die Frau? Wer rief? Hauchleis verklang es.
Wie ein rauher Reif durchzog's das Stübchen.

Und im Nebel sah die Frau ihr Mägdlein,
Weiß, schneeweiß im steifen Sterbehemdchen,
Nur drei Jahre älter als beim Sterben.

Irres Schrei'n! – Die Frau lag lang im Fieber.
Glück und Heil erschlagen. Bis zum Todbett
War ein Geier ihr Genoß, die Reue.

*

 


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