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Der Blitzschlag ins Rokokotheater

Die ersten Augustwochen von 1785 finden die Königin ungemein beschäftigt, aber nicht etwa, weil die politische Situation besonders schwierig geworden ist und der Aufstand der Niederlande die französisch-österreichische Allianz auf die gefährlichste Probe stellt: immer noch erscheint Marie Antoinette ihr Rokokotheaterchen in Trianon wichtiger als die dramatische Bühne der Welt. Ihre ungestüme Aufregung gilt diesmal ausschließlich einer neuen Premiere. Man ist schon ungeduldig, den »Barbier von Sevilla«, die Komödie des Herrn von Beaumarchais, im Schloßtheater aufzuführen, und welch erlesene Besetzung heiligt die profanen Rollen! Der Graf von Artois in höchsteigner Person soll den Figaro, Vaudreuil den Grafen und die Königin das muntere Mädchen Rosina spielen.

Des Herrn von Beaumarchais? Doch nicht desselben, des polizeibekannten Herrn Caron, der vor zehn Jahren jenes niederträchtige Pamphlet »Avis important à la branche espagnole sur ses droits à la couronne de France«, das die Impotenz Ludwigs XVI. in die Welt hinausbrüllte, angeblich aufgestöbert, in Wirklichkeit aber selbst geschrieben und der erbitterten Kaiserin Maria Theresia überbracht hat? Den die kaiserliche Mutter einen »fripon«, einen Lumpen, Ludwig XVI. einen Narren und ein »mauvais sujet« genannt hat? Der in Wien auf kaiserlichen Befehl als frecher Erpresser in Haft gesetzt wurde, der im Gefängnis von Saint-Lazare die damals übliche Tracht von Rutenstreichen zum Empfang bekam? Jawohl, ebenderselbe! Sobald es ihr Vergnügen gilt, hat Marie Antoinette ein schrecklich kurzes Gedächtnis, und Kaunitz in Wien übertreibt nicht, wenn er sagt, ihre Torheiten täten nichts, »als wachsen und immer schöner werden« (croître et embellir). Denn nicht nur, daß dieser betriebsame und gleichzeitig geniale Abenteurer sie selber verhöhnt und ihre Mutter erbittert hat, knüpft sich außerdem die furchtbarste Blamage der königlichen Autorität an den Namen dieses Komödiendichters. Die Literaturgeschichte, auch die Weltgeschichte, sie wissen nach hundertundfünfzig Jahren noch von dieser kläglichen Niederlage eines Königs durch einen Dichter; nur die eigene Frau hat sie nach vier Jahren schon völlig vergessen. 1781 hatte die Zensur mit klugen Nüstern gewittert, daß die neue Komödie dieses Dichters, die »Hochzeit des Figaro«, bedenklich nach Pulver riecht und, an der feurigen Laune eines skandalisierten Theaterabends entzündet, das ganze alte Regime in die Luft sprengen könnte; einstimmig verbot der Ministerrat die Aufführung. Aber Beaumarchais, immer unvergleichlich rührig, wenn es um seinen Ruhm oder gar um sein Geld geht, findet hundert Wege, sein Stück immer wieder vorzubringen; schließlich erreicht er, daß es zu letzter und endgültiger Entscheidung dem König selbst vorgelesen wird. So dumpf dieser brave Mann sonst sein mochte, er ist doch nicht beschränkt genug, um das Aufrührerische dieser göttlichen Komödie zu verkennen. »Dieser Mann macht sich über alle Dinge lustig, die man in einem Staat achten muß«, schimpft er verdrossen. »Das Stück wird also wirklich nicht gespielt werden?« fragt enttäuscht die Königin, der eine interessante Premiere wichtiger ist als das Staatswohl. »Nein, ganz bestimmt nicht,« antwortet Ludwig XVI., »da kannst du sicher sein.«

Damit scheint dem Stück das Urteil gesprochen; der Allerchristlichste König, der unumschränkte Herrscher von Frankreich wünscht die »Hochzeit des Figaro« nicht in seinem Theater gespielt zu sehen: da gibt es keinen Widerspruch. Die Angelegenheit ist für den König erledigt. Aber keineswegs für Beaumarchais. Der denkt nicht daran, die Segel zu streichen; ihm ist zu wohl bekannt, daß der königliche Kopf nur auf den Münzen und Amtspapieren gebietet, aber über den Herrscher herrscht doch in Wirklichkeit die Königin, über die Königin wieder die Polignacs. Also heran an diese höchste Instanz! Beaumarchais liest das Stück – durch das Verbot ist es in Mode gekommen – eifrigst in allen Salons vor, und mit jenem geheimnisvollen Trieb zur Selbstzerstörung, der für die entartete Gesellschaft jener Zeit so charakteristisch ist, begönnert der ganze Adel begeistert die Komödie, erstens weil sie ihn selbst verhöhnt, zweitens weil Ludwig XVI. sie unpassend gefunden hat. Vaudreuil, der Geliebte der Polignac, erfrecht sich, das vom König verbotene Stück in seinem Gutstheater aufführen zu lassen; aber nicht genug daran: der König muß öffentlich unrecht behalten und Beaumarchais öffentlich recht, die Komödie muß im eigenen Hause des Königs gespielt werden, der sie verboten hat, und gerade weil er sie verboten hat. Heimlich, und wahrscheinlich mit Wissen der Königin, der ein Lächeln ihrer Polignac wichtiger ist als das Ansehen ihres Gatten, erhalten die Schauspieler Auftrag, ihre Rollen einzustudieren; schon werden Billetts verteilt, schon drängen sich die Wagen vor der Tür des Theaters – da besinnt sich der König im letzten Augenblick doch noch auf seine bedrohte Würde. Er hat verboten, das Stück zu spielen; jetzt geht es um seine Autorität. Eine Stunde vor Beginn untersagt Ludwig XVI. die Aufführung durch eine Lettre de cachet. Die Lichter werden verlöscht, die Equipagen müssen nach Hause fahren.

Abermals scheint die Angelegenheit erledigt. Aber dem frechen Klüngel der Königin macht es Spaß, jetzt erst recht zu beweisen, daß ihre vereinte Macht größer sei als die eines gekrönten Schwächlings. Der Graf von Artois und Marie Antoinette werden vorausgeschickt, den König zu bedrängen; wie immer knickt der willenlose Mann ein, sobald seine Frau etwas von ihm fordert. Er verlangt nur, um seine Niederlage zu decken, Änderungen der herausforderndsten Stellen, also jener, die in Wirklichkeit jeder längst auswendig weiß. Für den 17. April 1784 wird im Théâtre Français die »Hochzeit des Figaro« angesetzt: Beaumarchais hat über Ludwig XVI. triumphiert. Daß der König die Aufführung verbieten wollte und die Hoffnung aussprach, das Stück werde durchfallen, macht den frondierenden Edelleuten den Abend zur Sensation. Der Andrang wird so groß, daß die Türen eingedrückt, die Eisenstangen zerbrochen werden; mit rasendem Beifall empfängt die alte Gesellschaft das Stück, das ihr moralisch den Genickfang gibt, und dieser Beifall ist, sie ahnen es nicht, die erste öffentliche Geste der Auflehnung, das Wetterleuchten der Revolution.

Das geringste Maß von Anstand, von Takt, von Vernunft müßte Marie Antoinette bei solchem Sachverhalt gebieten, sich bei einer Komödie dieses Herrn von Beaumarchais abseits zu halten. Gerade dieser eine Herr von Beaumarchais, der frech ihre Ehre mit Tinte beschmutzt und den König vor ganz Paris lächerlich gemacht hat, dürfte sich nicht rühmen können, eine seiner Theaterfiguren von der Tochter Maria Theresias, von der Gattin Ludwigs XVI., die ihn beide als Lumpen einsperren ließen, persönlich verkörpert zu sehen. Aber – summa lex, höchste Instanz für die mondäne Königin – Herr Beaumarchais gilt seit seinem Sieg über den König als große Mode in Paris; und die Königin gehorcht der Mode. Was zählen da Ehre und Anstand, man spielt doch nur Theater. Und dann, welche entzückende Rolle, dieses schalkhafte Mädchen! Wie heißt es nur im Text? »Stellen Sie sich das hübscheste Schätzchen vor, sanft, zärtlich, zuspringig, frisch und appetitlich, mit fliehenden Füßchen, schnurgerader schwingender Taille, mit rundlichen Armen, taufrischem Mund! Was für Hände! Welche Zähne! Welche Augen!« Darf wirklich eine andere – wer hat so weiße Hände, so weiche Arme? – diese bezaubernde Rolle spielen als die Königin von Frankreich und Navarra? Also unter den Tisch alle Bedenken und Rücksichtnahmen! Den vortrefflichen Dazincourt von der Comédie Française her, damit er den vornehmen Dilettanten die rechte graziöse Haltung beibringe, und die anmutigsten Kostüme bei Mademoiselle Bertin bestellt! Man will sich doch wieder einmal amüsieren, nicht ewig an die Gehässigkeiten des Hofes, an die Bosheiten der lieben Verwandten, an die dummen Widrigkeiten der Politik denken. Tag für Tag ist jetzt Marie Antoinette mit dieser Komödie in ihrem entzückenden weißgoldenen Theaterchen beschäftigt, ahnungslos, daß sich bereits über einer andern Komödie der Vorhang hebt, in der sie ohne Wissen und Willen ausersehen ist, die Hauptrolle zu spielen.

 

Die Proben des »Barbier von Sevilla« gehen zu Ende. Marie Antoinette ist noch immer äußerst beunruhigt und beschäftigt. Wird sie auch wirklich jung genug, hübsch genug aussehen als Rosinchen, wird ihr nicht wieder das anspruchsvoll verwöhnte Parterre der eingeladenen Freunde zum Vorwurf machen, sie sei zu wenig behend und unbefangen und doch mehr Dilettantin als Schauspielerin? Wahrhaftig, sie macht sich Sorgen sonderbare Sorgen einer Königin! Und warum kommt denn Madame Campan heute noch immer nicht, mit der sie die Rolle durchproben soll? Endlich, endlich erscheint sie, aber, was geht denn da vor? Sie tut so merkwürdig aufgeregt. Gestern sei der Hofjuwelier Böhmer ganz verstört bei ihr erschienen, um sofort Audienz bei der Königin zu erbitten, stottert sie schließlich heraus. Eine ganz tolle und konfuse Geschichte habe dieser sächsische Jude erzählt; die Königin hätte bei ihm vor einigen Monaten das berühmte kostbare Diamantenhalsband heimlich kaufen lassen, und damals hätte man Ratenzahlungen ausgemacht. Aber der Termin für die erste Rate sei längst vorbei und nicht ein Dukaten bezahlt. Seine Gläubiger drängten ihn, er brauche sofort sein Geld.

Wie? Was? Welche Diamanten? Welches Halsband? Welches Geld? Was für Raten? Die Königin versteht zuerst nicht. Das große kostbare Kollier am Ende, das diese beiden Juweliere, Böhmer und Bassenge, so kunstvoll angefertigt haben, natürlich kennt sie das. Sie haben es ihr doch einmal, zweimal, dreimal für eine Million sechsmalhunderttausend Livres angeboten; selbstverständlich hätte sie dieses Prachtstück gern gehabt, aber die Minister geben doch kein Geld her, immer schwatzen sie vom Defizit. Wie können dann diese Schwindler behaupten, sie hätte es erstanden, auf Raten sogar und heimlich, und sei ihnen dafür Geld schuldig? Da muß eine tolle Verwechslung vorliegen. Allerdings, jetzt erinnert sie sich auch, vor einer Woche etwa, ist da nicht schon von diesen Juwelieren so ein sonderbarer Brief gekommen, in dem sie sich für irgend etwas bedankten und von einem kostbaren Schmuck redeten? Wo ist der Brief? Ach richtig, verbrannt. Sie pflegt Briefe ja nie gründlich zu lesen, und auch damals hat sie dieses ehrerbietige unverständliche Geschwätz sofort vernichtet. Aber was will man eigentlich von ihr? Sofort läßt Marie Antoinette von ihrem Sekretär ein Billett an Böhmer schreiben. Allerdings bestellt sie ihn nicht gleich für morgen, sondern für den 9. August; mein Gott, die Angelegenheit mit dem Narren hat doch keine solche Eile, und man braucht seinen Kopf für die Proben zum »Barbier von Sevilla«.

Am 9. August, aufgeregt, blaß, erscheint Böhmer, der Juwelier. Die Geschichte, die er erzählt, ist vollkommen unverständlich. Zuerst glaubt die Königin, einen Irrsinnigen vor sich zu haben. Eine Gräfin Valois, die intime Freundin der Königin – »Wie? Meine Freundin? Ich habe ja nie eine Dame dieses Namens vorgelassen!« –, hätte bei ihm jenen Schmuck besichtigt und erklärt, die Königin wünsche ihn heimlich zu kaufen. Und Seine Eminenz, der Herr Kardinal von Rohan – »Was, dieser widerliche Kerl, mit dem ich nie ein Wort gesprochen habe?« –, hätte ihn im Auftrag Ihrer Majestät empfangen und übernommen.

So toll sich das alles anhört, etwas muß an der Sache doch wahr sein, denn der Schweiß steht diesem armen Menschen auf der Stirn, er zittert an Händen und Füßen. Auch die Königin bebt vor Wut über den niederträchtigen Mißbrauch ihres Namens durch fremde Lumpen. Sie befiehlt dem Juwelier, unverzüglich eine genaue, schriftliche Darstellung des ganzen Falles zu verfassen. Am zwölften August hat sie dieses noch heute in den Archiven befindliche phantastische Dokument in Händen. Marie Antoinette glaubt zu träumen. Sie liest und liest, ihre Wut, ihr Zorn steigern sich von Zeile zu Zeile: ein solcher Betrug ist ohne Beispiel. Hier muß ein warnendes Exempel aufgestellt werden. Vorläufig verständigt sie noch nicht die Minister und berät sich mit keinem ihrer Freunde; ausschließlich dem König vertraut sie die ganze Affäre am 14. August an und fordert von ihm, er möge ihre Ehre verteidigen.

 

Später wird Marie Antoinette wissen: sie hätte besser getan, eine dermaßen verwirrte und hintergründige Angelegenheit sorgfältig zu überlegen. Aber gründliches Nachdenken, prüfende Besonnenheit hat nie zu den Vorzügen dieser herrisch ungeduldigen Natur gehört und am wenigsten, wenn der entscheidende Nerv ihres Wesens schon erregt war: ihr impulsiv losfahrender Stolz.

In ihrer Unbeherrschtheit liest und sieht die Königin in dieser Anklageschrift zuerst und immer nur einen Namen, jenen des Kardinals Louis von Rohan, den sie mit der ganzen Heftigkeit ihres unbändigen Herzens seit Jahren erbittert haßt und dem sie jede Leichtfertigkeit und Niedertracht unbedenklich zutraut. An und für sich hat ihr dieser weltliche Priesteredelmann niemals Böses getan, er war es sogar, der sie beim Einzug in Frankreich am Tor des Straßburger Münsters in überschwenglichster Weise willkommen hieß. Er hat ihre Kinder aus der Taufe gehoben und jede Gelegenheit gesucht, sich ihr freundschaftlich zu nähern. Im tiefsten besteht zwischen ihren Naturen durchaus kein Gegensatz; im Gegenteil, dieser Kardinal von Rohan ist eigentlich ein männliches Spiegelbild Marie Antoinettes, genau so leichtfertig, genau so oberflächlich und verschwenderisch und ebenso lässig gegenüber seinen geistlichen Pflichten wie sie gegenüber ihren königlichen, ein mondäner Priester, wie sie eine mondäne Herrscherin, Bischof des Rokoko, wie sie Königin des Rokoko. Er hätte ausgezeichnet nach Trianon gepaßt mit seinen gepflegten Manieren, seiner geistreichen Langeweile, seiner grenzenlosen Großzügigkeit, und sie hätten sich wahrscheinlich vortrefflich verstanden, der elegante, schöne, leichtfertige, angenehm frivole Kardinal und die gefallsüchtige, hübsche, spielfreudige, lebenslustige Königin. Nur ein Zufall hat die beiden zu Gegnern gemacht. Aber wie oft werden nicht, die einander im Grunde am ähnlichsten sind, die erbittertsten Feinde!

Den eigentlichen Keil hat Maria Theresia zwischen Rohan und Marie Antoinette getrieben; der Haß der Königin ist ein mütterlich ererbter, ein übernommener, ein eingeredeter Haß. Bevor Kardinal von Straßburg, war Louis von Rohan in Wien Gesandter gewesen: dort verstand er es, den maßlosen Zorn der alten Kaiserin auf sich zu ziehen. Sie erwartete einen Diplomaten und fand einen anmaßenden Schwätzer. Seine geistige Minderwertigkeit hätte Maria Theresia nun willig in Kauf genommen, denn ein einfältiger Gesandter einer fremden Macht bedeutet einen Glücksfall für die eigene Politik. Auch seinen Prunk hätte sie ihm noch verziehen, obwohl es sie arg verdroß, daß dieser eitle Diener Jesu in zwei Staatskarossen, deren jede vierzigtausend Dukaten kostete, mit einem Marstall von Pferden, mit Kammerjunkern und Kammerdienern, Heiducken und Lektoren, Hofmeistern und Haushofmeistern, mit einem bunten Wald von Federbüschen und betreßten Dienern in grüner Seide, mit einem Aufwand, der frech den kaiserlichen Hof in den Schatten stellte, in Wien eingezogen war. Aber in zwei Punkten bleibt die alte Kaiserin unerbittlich: wo es um Religion geht oder an die Sittsamkeit, da läßt sie nicht mit sich spaßen. Der Anblick eines Gottesdieners, der das heilige Kleid ablegt, um, von bezauberten Damen umringt, im braunen Rock an einem einzigen Tag 130 Stück Wild abzuknallen, erregt in der bigotten Frau maßlose Entrüstung, die sich zur ehrlichen Wut steigert, sobald sie sieht, wie das lockere, verschwenderische, frivole Betragen, statt zu empören, in Wien allgemeinen Beifall findet, in ihrem Wien der Jesuiten und Sittenkommissionen. Der ganze Adel, dem die sparsam strenge Art des Schönbrunner Hofes die Halskrause drückt, atmet in der Gesellschaft dieses noblen, eleganten Luftikus auf; vor allem drängen sich die Damen, denen die Sittenstrenge der puritanischen Witwe das Leben sauer macht, zu seinen heiteren Soupers. »Unsere Frauen,« muß die Verärgerte bekennen, »ob jung oder alt, schön oder häßlich, sind von ihm bezaubert. Er ist ihr Abgott, sie sind rein toll auf ihn, so daß er sich hier ausnehmend wohl fühlt und versichert, sogar nach dem Tode seines Onkels, des Bischofs von Straßburg, hier bleiben zu wollen.« Aber mehr noch, die gekränkte Kaiserin muß sogar sehen, wie ihr getreuer Vertrauensmann Kaunitz Rohan seinen lieben Freund nennt und ihr eigener Sohn Joseph, dem es immer Spaß macht, »Ja« zu sagen, wo die Mutter »Nein« sagt, dem Bischofskavalier sich anfreundet; sie muß mit erleben, wie dieser Elegant die Familie, den ganzen Hof, die ganze Stadt zu seiner lockern Lebenskunst verführt. Aber Maria Theresia will aus ihrem streng katholischen Wien kein frivoles Versailles, kein Trianon machen, bei ihrem Adel nicht Ehebruch und Buhlerei einreißen lassen: diese Pest darf sich in Wien nicht festsetzen, und darum muß Rohan fort. Brief auf Brief geht an Marie Antoinette, alles daranzusetzen, daß dieses »verwerfliche Individuum«, dieser »vilain évèque«, dieser »unverbesserliche Geist«, dieses »volume farci de bien de mauvais propos«, dieses »mauvais sujet«, dieses »vrai panier percé« aus ihrer Nähe komme, – man sieht, zu welchen grimmigen Worten der Zorn die besonnene Frau verleitet. Sie stöhnt, sie schreit geradezu verzweifelt, man möge sie doch endlich von diesem Sendboten des Antichrist »befreien«. Und kaum wird Marie Antoinette Königin, so setzt sie tatsächlich, gehorsam ihrer Mutter, die Rückberufung Louis Rohans vom Wiener Gesandtschaftsposten durch.

Aber wenn ein Rohan fällt, so fällt er nach oben. Für den verlorenen Gesandtenposten erhebt man ihn zum Bischof und kurz darauf zum Großalmosenier, dem obersten geistlichen Würdenträger bei Hof, aus dessen Händen alle wohltätigen Gaben des Königs verteilt werden. Unermeßlich sind seine Einkünfte; denn er wird Bischof von Straßburg und zudem Landgraf des Elsaß, Abt der sehr einträglichen Abtei von Saint-Vaast, Obervorsteher des Königlichen Spitals, Provisor der Sorbonne und überdies noch – man weiß nicht, für welche Leistung – Mitglied der französischen Akademie. Aber so gewaltig auch seine Einnahmen sich häufen, immer werden sie noch von den Ausgaben übertroffen, denn Rohan streut, gutmütig, leichtherzig und verschwenderisch, das Geld mit vollen Händen aus. Er baut für Millionen den Palast der Bischöfe in Straßburg neu, gibt die luxuriösesten Feste, er spart nicht bei Frauen, vor allem jedoch gehört Herr Cagliostro zu seinen Liebhabereien, der allein mehr kostet als sieben Mätressen. Bald bleibt es kein Geheimnis, daß die Finanzen des Bischofs äußerst traurig sind, man begegnet dem Diener Christi öfter bei jüdischen Geldverleihern als im Gotteshaus, und häufiger in Damengesellschaft als in jener gelehrter Theologen. Eben hat sich auch das Parlament mit der Schuldenwirtschaft in dem von Rohan geleiteten Spital beschäftigt: ist es da ein Wunder, wenn die Königin auf den ersten Anschein überzeugt ist, dieser Bruder Leichtfuß habe den ganzen Schwindel angezettelt, um sich auf ihren Namen Kredit zu verschaffen? »Der Kardinal hat meinen Namen mißbraucht«, schreibt sie im ersten hellen Zorn an ihren Bruder, »wie ein niedriger, ungeschickter Falschmünzer. Wahrscheinlich hat er in seiner dringenden Geldbedrängnis gehofft, die Juweliere bis zum festgesetzten Termin bezahlen zu können, ohne daß etwas ans Licht käme.« Man versteht ihren Irrtum, man versteht ihre Erbitterung, daß sie gerade diesem einen Mann nicht verzeihen will. Denn während fünfzehn Jahren, seit jener ersten Begegnung vor dem Straßburger Münster, hat Marie Antoinette getreu dem Befehl ihrer Mutter nicht ein einzigesmal das Wort an diesen Mann gerichtet, sondern ihn offen vor dem ganzen Hof brüskiert. So muß sie es als niederträchtigen Racheakt empfinden, daß gerade dieser Mann ihren Namen in ein betrügerisches Geschäft mengt; von allen Herausforderungen gegen ihre Ehre, die sie von dem französischen Hochadel erlitten, scheint ihr diese die frechste und hinterlistigste. Und mit leidenschaftlichen Worten, mit Tränen in den Augen befiehlt sie dem König, mitleidslos und exemplarisch diesen Betrüger – dafür hält sie irrigerweise den selber Betrogenen – vor der ganzen Öffentlichkeit zu bestrafen.

 

Der König, willenlos hörig seiner Frau, denkt nicht weiter nach, wenn die Königin etwas fordert, die selbst bei allen ihren Handlungen und Wünschen niemals die Folgen erwägt. Ohne die Anschuldigung zu überprüfen, Akten zu fordern, ohne den Juwelier oder den Kardinal zu befragen, macht er sich, sklavisch gehorsam, zum Handlanger eines unbedachten Frauenzorns. Am 15. August überrascht der König seinen Ministerrat mit der Absicht, den Kardinal sofort verhaften zu lassen. Den Kardinal? Den Kardinal Rohan? Die Minister staunen auf, erschrecken, blicken einander verblüfft an. Endlich wagt einer vorsichtig zu fragen, ob das nicht doch zu peinlich wirken werde, wenn man einen so hohen und gar einen geistlichen Würdenträger öffentlich festnehmen ließe wie einen gemeinen Verbrecher. Aber gerade dies, gerade die öffentliche Schmach fordert Marie Antoinette als Züchtigung. Ein weithin sichtbares Exempel soll endlich statuiert werden, daß der Name der Königin nicht zu jeder Niedertracht feil sei. Unerschütterlich besteht sie deshalb auf der öffentlichen Prozedur. Sehr ungern, sehr beunruhigt und mit üblen Vorgefühlen geben die Minister endlich nach. Wenige Stunden später entrollt sich das unerwartete Schauspiel. Da Mariä Himmelfahrt gleichzeitig der Namenstag der Königin ist, erscheint der ganze Hof in Versailles zur Gratulationscour; das Œil-de-Bœuf und die Galerieen stehen vollgedrängt mit Höflingen und hohen Würdenträgern. Auch der ahnungslose Hauptdarsteller Rohan, dem die Aufgabe zufällt, das heilige Pontifikalamt an diesem festlichen Tage zu zelebrieren, wartet in seiner scharlachenen Soutane, das Chorhemd bereits umgetan, in dem für die hohen Herrschaften, die »grandes entrées«, bestimmten Raum vor dem Zimmer des Königs.

Aber statt daß Ludwig XVI. feierlich erscheint, um mit seiner Gemahlin zur Messe zu gehen, nähert sich Rohan ein Diener. Der König lasse ihn in sein Privatzimmer bitten. Dort steht, die Lippen verbissen, mit abgewandtem Blick die Königin, ohne seinen Gruß zu erwidern, und, ebenfalls förmlich, eisigkalt und unhöflich der Minister Baron Breteuil, sein persönlicher Feind. Ehe Rohan recht überlegen kann, was man eigentlich von ihm wünsche, beginnt der König gerade und grob: »Lieber Vetter, welche Bewandtnis hat es mit dem diamantenen Halsband, das Sie im Namen der Königin gekauft haben?«

Rohan wird blaß. Darauf war er nicht gefaßt. »Sire, ich sehe, ich bin betrogen worden, aber ich selber habe nicht betrogen«, stammelt er.

»Wenn sich dies so verhält, lieber Vetter, dann haben Sie keine Sorge. Aber bitte, klären Sie all das auf.«

Rohan vermag nicht zu antworten. Er sieht stumm und drohend Marie Antoinette sich gegenüber. Das Wort versagt ihm. Seine Verwirrung erregt beim König Mitleid, er sucht einen Ausweg. »Schreiben Sie nieder, was Sie mir zu berichten haben«, sagt der König und verläßt mit Marie Antoinette und Breteuil das Zimmer. Der Kardinal, allein geblieben, bringt etwa fünfzehn Zeilen zu Papier und überreicht dem wiedereintretenden König seine Erklärung. Eine Frau namens Valois habe ihn bestimmt, dieses Halsband für die Königin zu erwerben. Er sehe jetzt ein, daß er von dieser Person betrogen worden sei.

»Wo ist diese Frau«, fragt der König.

»Sire, ich weiß es nicht.«

»Haben Sie das Halsband?«

»Es ist in den Händen dieser Frau.«

Der König läßt nun die Königin, Breteuil und den Großsiegelbewahrer rufen und die Eingabe der beiden Juweliere verlesen. Er fragt nach den Vollmachten, die angeblich von der Hand der Königin gefertigt sein sollen.

Ganz zerschmettert muß der Kardinal zugeben: »Sire, sie befinden sich in meinem Besitz. Sie sind offenbar gefälscht.«

»Das sind sie allerdings«, antwortet der König. Und obwohl der Kardinal jetzt anbietet, das Halsband zu bezahlen, schließt er streng: »Mein Herr, unter den vorliegenden Verhältnissen kann ich nicht davon abstehen, an Ihrem Haus die Siegel anbringen zu lassen und auf Ihre Person Beschlag zu legen. Der Name der Königin ist mir teuer. Er wurde kompromittiert, ich darf mich keines Versäumnisses schuldig machen.«

Rohan ersucht inständig, ihm solche Schmach zu ersparen, und besonders zu einer Stunde, da er vor das Antlitz Gottes treten und die Pontifikalmesse für den ganzen Hof lesen soll. Der König, weich und gutmütig, wird unsicher vor der offenkundigen Verzweiflung des selbst betrogenen Mannes. Aber jetzt kann sich Marie Antoinette nicht länger halten, mit Tränen des Zorns in den Augen fährt sie Rohan an, wie er habe glauben dürfen, daß sie, die acht Jahre lang ihn keines Wortes gewürdigt, ihn als Vermittler ausersehen würde, um hinter dem Rücken des Königs heimlich Geschäfte abzuschließen. Auf diesen Vorwurf findet der Kardinal keine Antwort: er versteht jetzt selbst nicht mehr, wie er sich in dieses Narrenabenteuer sinnlos verstricken lassen konnte. Der König bedauert, aber er beschließt: »Ich wünsche, daß Sie sich zu rechtfertigen vermögen! Aber ich muß tun, wozu ich als König und Gatte verpflichtet bin.«

Die Unterredung ist zu Ende. Draußen wartet in dem überfüllten Empfangszimmer schon ungeduldig und neugierig der ganze Adel. Die Messe hätte doch längst beginnen sollen, warum zögert man so lange, was geht da vor? Leise klirren die Fenster, so heftig ungeduldig gehen einige auf und ab; andere haben sich niedergesetzt und tuscheln: man spürt, irgendein Gewitter hängt in der Luft.

Plötzlich wird die Flügeltür zum Zimmer des Königs aufgerissen. Als erster erscheint der Kardinal Rohan in seiner purpurroten Soutane, blaß und die Lippen verklemmt, hinter ihm Breteuil, der alte Soldat, rot das grobe Weinbauerngesicht, seine Augen funkeln vor Erregung. In der Mitte des Zimmers brüllt er plötzlich dem Hauptmann der Leibgarde absichtlich laut zu:

»Verhaften Sie den Herrn Kardinal!«

Alles zuckt zusammen. Alles ist starr. Ein Kardinal verhaftet! Ein Rohan! Und im Vorgemach des Königs! Ist der alte Haudegen Breteuil betrunken? Aber nein, Rohan wehrt sich nicht, empört sich nicht, mit gesenkten Augen geht er gehorsam der Wache entgegen. Schauernd treten die Höflinge zur Seite, und durch diesen Spießrutengang forschender, beschämender, erbitterter Blicke schreitet von Saal zu Saal bis zur Treppe hinab der Prinz von Rohan, Großalmosenier des Königs, Kardinal der alleinseligmachenden Kirche, Reichsfürst des Elsaß, Mitglied der Akademie und Träger ungezählter Würden, und, wie hinter einem Galeerensträfling, der harte Soldat als Wächter. Während man Rohan in einem abseitigen Zimmer der Hofwache übergibt, benützt der aus der Betäubung Erwachte die allgemeine Verblüffung, um rasch mit Bleistift ein paar Zeilen auf ein Blatt Papier zu werfen, die seinen Hausabbé anweisen, alle in einer roten Brieftasche befindlichen Schriftstücke rasch zu verbrennen, – es sind, wie man später im Prozeß erfährt, die gefälschten Briefe der Königin. Unten wirft sich einer der Heiducken Rohans rasch auf das Pferd, jagt mit dem Zettel in das Hotel de Strasbourg, ehe die langsameren Polizeileute nachrücken, um die Papiere zu versiegeln, und ehe – beispiellose Schmach – der Großalmosenier von Frankreich in dem Augenblick, da er die Messe vor dem König und dem ganzen Hof lesen sollte, in die Bastille gebracht wird. Gleichzeitig ergeht der Befehl, alle seine Helfershelfer in der noch dunklen Angelegenheit festzunehmen. An diesem Tage wird in Versailles keine Messe mehr gelesen, und wozu auch? Niemand hätte mehr Andacht, ihr zuzuhören; der ganze Hof, die ganze Stadt, das ganze Land stehen betäubt unter dieser Nachricht, wie vor einem Blitz aus heiterm Himmel.

 

Hinter der verschlossenen Tür bleibt die Königin erregt zurück, ihr beben noch die Nerven vor Zorn; die Szene hat sie selber fürchterlich erregt, – aber endlich ist zumindest einer gestellt von den Verleumdern, von den hinterhältigen Meuchlern ihrer Ehre. Werden jetzt nicht alle Wohlgesinnten zu ihr eilen, sie beglückwünschen zur Festnahme dieses Schurken? Wird nicht der ganze Hof die Energie des solange schwach vermeinten Königs rühmen, der mit festem Griff diesen unwürdigsten aller Priester dingfest gemacht? Aber sonderbar: niemand kommt. Mit verlegenen Blicken weichen selbst ihre Freundinnen aus, es bleibt sehr still heute in Trianon und in Versailles. Der Adel gibt sich keine Mühe, seine Entrüstung zu verbergen, daß man einen aus seiner privilegierten Klasse derart entehrend angepackt, und der Kardinal von Rohan, dem der König Nachsicht angeboten, falls er sich seinem persönlichen Rechtspruch unterwerfe, lehnt, von seinem ersten Schrecken erholt, kühl die Gnade ab und wählt das Parlament als seinen Richter. Ein Unbehagen überkommt die Eilfertige. Marie Antoinette wird ihres Erfolges nicht froh: am Abend finden sie ihre Kammerfrauen in Tränen.

Aber bald bricht der alte Leichtsinn durch. »Was mich betrifft,« schreibt sie in törichter Selbsttäuschung ihrem Bruder Joseph, »so bin ich entzückt, daß wir nichts von dieser widerlichen Affäre mehr hören werden.« Man schreibt ja August, und der Prozeß vor dem Parlament wird bestenfalls erst im Dezember stattfinden, vielleicht sogar erst im nächsten Jahr – wozu jetzt sich weiter mit solchem Ballast den Kopf beschweren? Mögen die Leute schwätzen oder murren, was liegt daran! Also rasch den Schminktopf her und die neuen Kostüme, man wird doch nicht eine so entzückende Komödie absagen wegen einer solchen Nichtigkeit! Die Proben gehen weiter ihren Gang, die Königin studiert (statt der Akten der Polizei über jenen großen Prozeß, der vielleicht noch aufzuhalten wäre) die Rolle des muntern Rosinchens im »Barbier von Sevilla«. Aber es scheint, auch diese Rolle hat sie zu lässig geprobt. Denn sonst hätte sie doch stutzen und nachdenken müssen bei den Worten ihres Partners Basilio, der so prophetisch die Macht der Verleumdung schildert. »Die Verleumdung! Sie ahnen nicht, wen Sie in ihr verachten! Ich habe die ehrlichsten Leute ihr unterliegen sehen. Glauben Sie mir, es gibt keine noch so platte Bösartigkeit, keine Niedertracht, keine absurde Geschichte, die man nicht den Müßigen einer großen Stadt einimpfen könnte, wenn man es richtig anpackt, und wir haben hierzulande Leute von einer Geschicklichkeit! ... Erst ist es nur ein leiser Laut, der vorbeistreift wie die Schwalbe vor dem Sturm, pianissimo, nur murmelt und schwindet, aber im Flug seinen vergifteten Samen aussät. Ein Mund fängt ihn auf und flüstert ihn piano, piano geschicktestens ins Ohr. Jetzt ist das Unheil da, es wächst, es reckt sich hoch, es macht sich auf den Weg rinforzando von Mund zu Mund, es rennt wie der Teufel. Und plötzlich, weiß Gott, wie, richtet die Verleumdung sich auf, pfeift und schwillt zusehends, schwingt sich hoch, wirbelt, kreist, reißt mit, bricht als Donner aus und wird dank dem Himmel ein allgemeiner Schrei, ein öffentliches Crescendo, ein Generalchorus des Hasses und der Ächtung. Welcher Teufel könnte ihr widerstehn?«

Aber Marie Antoinette hat wie immer schlecht auf ihre Partner gehört. Sonst hätte sie begreifen müssen: hier plaudert ein scheinbar lockeres Spiel ihr eigenes Schicksal aus. Die Rokokokomödie, sie ist mit dieser letzten Vorstellung am 19. August 1785 endgültig zu Ende: incipit tragoedia.


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