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Die neue Gesellschaft

Kaum wohnt Marie Antoinette in ihrem muntern Haus, so beginnt schon kräftig der neue Besen zu kehren. Weg zunächst mit den alten Leuten – alte Leute sind langweilig und häßlich. Sie können nicht tanzen, sie können nicht amüsieren, immer predigen sie Vorsicht und Bedacht, und dieses ewige Zurückgehaltenwerden, Ermahntwerden hat die temperamentvolle Frau aus ihrer Kronprinzessinnenzeit gründlich satt. Fort also mit der steifen Erzieherin, der Madame Etikette, der Comtesse de Noailles: eine Königin braucht nicht erzogen zu werden, sie darf tun, was sie will! In gebührende Distanz den von der Mutter ihr mitgegebenen Beichtvater und Berater, Abbé Vermond, weg, weit weg mit allen, bei denen man sich geistig anstrengen muß! Ausschließlich Jugend heran, ein munteres Geschlecht, das nicht durch ein törichtes Ernstnehmen des Lebens Spiel und Spaß versäumt! Ob diese Amüsierkameraden von hohem Rang, von erster Familie sind und ehrenfeste untadelige Charaktere, kommt weniger in Betracht, auch sonderlich klug oder gebildet brauchen sie nicht zu sein – gebildete Leute sind pedantisch und kluge boshaft –, genug, wenn sie funkelnd geistreich sind, prickelnde Anekdoten zu erzählen wissen und bei Festen gute Figur machen. Unterhaltung, Unterhaltung, Unterhaltung, das ist die erste und einzige Forderung Marie Antoinettes an ihren engen Kreis. So umgibt sie sich »avec tout ce qui est de plus mauvais à Paris et de plus jeune«, wie Maria Theresia seufzt, mit einer »soi-disante société«, wie ihr Bruder, Joseph II., ärgerlich murrt, einem scheinbar lässigen, in Wirklichkeit aber höchst selbstsüchtigen Klüngel, der sich den leichten Dienst als maître de plaisir der Königin mit den gewichtigsten Pfründen bezahlen läßt und während des galanten Spiels heimlich die ergiebigsten Pensionen in seine Harlekinstaschen schiebt.

Ein einziger langweiliger Herr verunstaltet ab und zu flüchtig die lockere Gesellschaft. Aber man kann ihn nicht ohne Peinlichkeit wegweisen, denn – beinahe hätte man es vergessen – er ist ja der Ehegemahl dieser heitern Frau und außerdem der Herrscher Frankreichs. Rechtschaffen in seine bezaubernde Gattin verliebt, kommt Ludwig der Nachsichtige nach vorher eingeholter Erlaubnis manchmal nach Trianon hinüber, sieht zu, wie sich die jungen Leute amüsieren, versucht manchmal, schüchtern Vorhaltungen zu machen, wenn man die Grenzen der Konvention zu sorglos überwirbelt oder wenn die Ausgaben ins Blaue wachsen; aber dann lacht die Königin, und mit diesem Lachen ist alles abgetan. Auch die muntern Zaungäste haben für den König, der immer brav und gehorsam sein schön geschriebenes »Louis« unter all jene Dekrete setzt, mit denen die Königin ihnen die höchsten Ämter zuschiebt, eine Art herablassende Sympathie. Der Gute stört sie ja niemals lange, er bleibt immer eine Stunde, zwei Stunden, dann trollt er sich nach Versailles zurück zu seinen Büchern oder in seine Schlosserei. Einmal, als er zu lange herumsitzt und die Königin schon ungeduldig ist, mit ihrer muntern Gesellschaft nach Paris zu fahren, stellt sie heimlich die Pendeluhr um eine Stunde vor, und der König geht, den kleinen Betrug nicht merkend, lammfromm statt um elf um zehn Uhr ins Bett, und die ganze elegante Kanaille lacht sich die Schultern schief.

Der Begriff der königlichen Würde wird durch solche Späße freilich nicht erhöht. Aber was soll Trianon mit einem so ungeschickten, tölpeligen Mann anfangen? Er kann keine lockern Anekdoten erzählen, er versteht nicht zu lachen. Geängstigt und scheu, als wenn er Bauchweh hätte, sitzt er inmitten der heitern Gesellschaft und gähnt sich in seinen Schlaf, während die andern erst um Mitternacht richtig munter werden. Er geht auf keine Maskenbälle, er spielt nicht Hasard, er macht keiner Frau die Cour, – nein, man kann ihn nicht brauchen, diesen guten langweiligen Mann; in der Gesellschaft von Trianon, im Reich des Rokoko, in diesen arkadischen Gefilden des Leichtsinns und des Übermuts ist er fehl am Ort.

 

Der König zählt also als Teilnehmer überhaupt nicht mit in der neuen Gesellschaft. Auch sein Bruder, der Graf von Provence, der seinen Ehrgeiz hinter scheinbarer Gleichgültigkeit versteckt, findet es klüger, sich nicht durch den Umgang mit diesen jungen Laffen seine Würde zu verderben. Da jedoch irgendein männliches Mitglied des Hofes die Königin bei ihren Vergnügungen begleiten muß, übernimmt der jüngste Bruder Ludwigs XVI., der Graf von Artois, die Stelle des Schutzheiligen. Leichtköpfig, frivol, frech, aber geschmeidig und geschickt, leidet er an der gleichen Angst wie Marie Antoinette, nämlich sich zu langweilen oder mit ernsten Dingen zu beschäftigen. Frauenjäger, Schuldenmacher, amüsanter Elegant, Prahlhans, mehr frech als mutig, mehr sprühend als wirklich leidenschaftlich, führt er die muntere Truppe an, wo es einen neuen Sport, eine neue Mode, ein neues Vergnügen gibt, und hat bald mehr Schulden als der König, die Königin und der ganze Hof zusammen. Aber gerade so, wie er ist, paßt er ausgezeichnet zu Marie Antoinette. Sie achtet diesen frechen Leichtfuß nicht sehr, und noch weniger liebt sie ihn, obwohl die bösen Zungen dies rasch behaupten; er deckt ihr nur den Rücken. Bruder und Schwester in der Vergnügungswut, bilden die beiden bald ein unzertrennliches Paar.

Der Graf von Artois ist der gewählte Kommandant der Leibgarde, mit der Marie Antoinette ihre täglichen und nächtlichen Streifzüge in alle Provinzen des heiteren Müßigganges unternimmt; diese Truppe ist eigentlich klein und wechselt unablässig die führenden Chargen. Denn alle Vergehen verzeiht die nachsichtige Königin ihren Trabanten, Schulden und Anmaßung, herausforderndes und allzu kameradschaftliches Betragen, Liebschaften und Skandale – vertan aber hat jeder ihre Gunst, sobald er sie zu langweilen beginnt. Eine Zeitlang hat Baron Besenval die Oberhand, ein fünfzigjähriger Schweizer Edelmann mit der lauten Brüskheit eines alten Soldaten, dann fällt der Vorzug an den Herzog von Coigny, »un des plus constamment favorisés et le plus consultés«. Diesen beiden wird gleichzeitig mit dem ehrgeizigen Herzog von Guines und dem ungarischen Grafen Esterhazy die merkwürdige Aufgabe zugeteilt, die Königin während ihrer Rötelerkrankung zu betreuen, was bei Hofe zu der boshaften Frage Anlaß gibt, welche vier Hofdamen sich der König in der gleichen Situation auswählen würde. Ständig bewahrt seine Stellung der Graf von Vaudreuil, der Liebhaber der Favoritin Marie Antoinettes, der Gräfin Polignac; etwas mehr im Hintergrund bleibt der Klügste, der Feinste von allen, der Prinz von Ligne, der einzige, der aus seiner Stellung in Trianon keine einträgliche Staatsrente bezieht, der einzige auch, der dem Andenken seiner Königin noch als alter Mann in seinen Lebenserinnerungen Ehrfurcht bewahrt. Schwankende Sterne dieses arkadischen Himmels sind der »schöne« Dillon und der junge feurige Tollkopf, der Herzog von Lauzun, die beide der unfreiwillig jungfräulichen Königin eine Zeitlang recht gefährlich werden. Mit Mühe nur gelingt es den energischen Anstrengungen des Botschafters Mercy, diesen jungen Tollkopf abzudrängen, ehe er mehr erobert hat als ihre bloße Sympathie. Der Graf Adhémar wieder singt hübsch zur Harfe und spielt gut Theater: dies genügt, ihm den Gesandtschaftsposten in Brüssel und dann in London einzubringen. Die andern aber bleiben lieber daheim und fischen sich in dem künstlich aufgesprudelten Wasser die einträglichsten Stellen bei Hofe heraus. Keiner von diesen Kavalieren, der Prinz von Ligne ausgenommen, hat wirklichen geistigen Rang, keiner den Ehrgeiz, die Machtstellung, welche die Freundschaft der Königin bietet, im politischen Sinn großzügig zu nützen, keiner dieser Maskenhelden von Trianon ist ein wirklicher Heros der Geschichte geworden. Keinen von ihnen hat Marie Antoinette auch innerlich wirklich geachtet. Manchem hat die junge kokette Frau mehr gesellschaftliche Vertraulichkeit erlaubt, als der Stellung einer Königin geziemt hätte, aber keinem von diesen, und das ist entscheidend, hat sie sich weder seelisch noch als Frau völlig hingegeben. Der einzige von ihnen allen, er, der der einzige sein soll und wird, der einzige, der jemals und für immer ihr Herz erreicht, steht noch im Schatten verborgen. Und das bunte Treiben der Komparserie dient vielleicht nur, sein Nahen und seine Gegenwart besser zu verbergen.

 

Gefährlicher als diese unzuverlässigen und wechselnden Kavaliere werden der Königin ihre Freundinnen; hier treten geheimnisvoll vermengte Gefühlskräfte verhängnisvoll mit ins Spiel. Marie Antoinette ist charaktermäßig eine durchaus natürliche, eine sehr weibliche und weiche Frau voll Hingebungsbedürfnis und Zärtlichkeit, ein Bedürfnis, das bei dem schläfrigen, gefühlsstumpfen Gatten in diesen ersten Jahren unerwidert geblieben war. Aufrichtig geartet, möchte sie ihre seelischen Spannungen irgend jemandem anvertrauen, und da es um der Sitte willen ein Mann, ein Freund nicht oder noch nicht sein darf, sucht Marie Antoinette unwillkürlich von Anfang an nach einer Freundin.

Daß ein gewisser zärtlicher Ton in Marie Antoinettes Frauenfreundschaften mitschwingt, ist nur natürlich. Die sechzehnjährige, die siebzehnjährige, die achtzehnjährige Marie Antoinette, obwohl verheiratet oder vielmehr scheinverheiratet, ist seelisch im typischen Alter und in der typischen Disposition der Pensionsfreundschaften. Als Kind früh von der Mutter, von der sehr ehrlich geliebten Erzieherin weggerissen, neben einen ungeschickten, unzärtlichen Mann gestellt, hat sie jenes vertrauensselige Sich-irgend-jemand-Entgegenspannen, das zur Natur des jungen Mädchens gehört wie der Duft zur Blüte, noch nie ausströmen lassen können. All diese kindlichen Kleinigkeiten, das Hand-in-Hand-Gehen, das Sichunterfassen, das Kichern in den Ecken, das Durch-die-Zimmer-Tollen, das Sich-gegenseitig-Anhimmeln, alle diese naiven Symptome des »Frühlingserwachens« sind noch nicht herausgegoren aus ihrem kindlichen Körper. Mit sechzehn, mit siebzehn, mit achtzehn, mit neunzehn, mit zwanzig Jahren hat Marie Antoinette noch immer nicht redlich jung und kindisch verliebt sein dürfen – es ist gar nicht das Sexuelle, das sich in solchen stürmischen Wallungen auslebt, sondern sein schüchternes Vorgefühl, das Schwärmerische. So mußten auch Marie Antoinettes erste Beziehungen zu Freundinnen auf das zärtlichste gestimmt sein, und dieses unkonventionelle Benehmen einer Königin hat sofort der galante Hof auf das ärgerlichste mißdeutet. Überkultiviert und pervertiert, vermag er das Natürliche nicht zu begreifen, und bald beginnt das Raunen und Reden über sapphische Neigungen der Königin. »Man hat mir in sehr weitgehendem Maße besondere Vorliebe für Frauen und für Liebhaber zugemutet«, schreibt Marie Antoinette aus der Sicherheit ihres Gefühls ganz offen und heiter der Mutter; ihre hochmütige Aufrichtigkeit verachtet den Hof, die öffentliche Meinung, die Welt. Noch weiß sie nicht um die tausendzüngige Macht der Verleumdung, noch gibt sie sich rückhaltlos der unvermuteten Freude hin, endlich einmal lieben und vertrauen zu dürfen, und opfert jede Vorsicht auf, nur um ihren Freundinnen zu beweisen, wie unbedingt sie zu lieben vermag.

 

Die erste Favoritin der Königin, Madame de Lamballe, war eine verhältnismäßig glückliche Wahl. Einer der ersten Familien Frankreichs angehörig, und darum nicht geld- und machtgierig, eine zarte, sentimentale Natur, nicht sehr klug, aber dafür auch nicht intrigant, nicht sehr bedeutend, aber auch nicht ehrgeizig, erwidert sie die Neigung der Königin mit wirklicher Freundschaft. Ihre Sitten gelten als tadellos, ihr Einfluß beschränkt sich auf den privaten Lebenskreis der Königin, sie bettelt nicht um Protektionen für ihre Freunde, für ihre Familie, sie mischt sich nicht in das Staatswesen oder in die Politik. Sie hält keinen Spielsaal, treibt Marie Antoinette nicht tiefer in den Kreislauf der Vergnügungen hinein, sondern wahrt ihr still und unauffällig die Treue, und ein heroischer Tod prägt schließlich ihrer Freundschaft das Siegel auf.

Aber eines Abends erlischt plötzlich ihre Macht wie ein ausgeblasenes Licht. Bei einem Hof ball bemerkt im Jahre 1775 die Königin eine junge Frau, die sie noch nicht kennt, rührend in ihrer bescheidenen Anmut, engelhaft rein der blaue Blick, mädchenhaft zart die Figur; auf ihre Frage nennt man ihr den Namen, die Gräfin Jules de Polignac. Diesmal ist es nicht wie bei der Prinzessin von Lamballe eine menschliche Sympathie, die sich allmählich zur Freundschaft steigert, sondern ein plötzliches leidenschaftliches Interesse, ein coup de foudre, eine Art hitziger Verliebtheit. Marie Antoinette tritt auf die Fremde zu und fragt sie, warum sie so selten bei Hof erscheine. Sie sei zur Repräsentation nicht vermögend genug, gesteht die Gräfin Polignac ehrlich ein, und diese Offenheit entzückt die Königin, denn eine wie reine Seele muß in dieser bezaubernden Frau sich bergen, daß sie die ärgste Schande der damaligen Zeit, kein Geld zu haben, so rührend unbefangen beim ersten Wort eingesteht! Wird nicht diese für sie die ideale, die langgesuchte Freundin sein? Sofort zieht Marie Antoinette die Gräfin Polignac an den Hof, überhäuft sie mit derart auffälligen Bevorzugungen, daß sie allgemeinen Neid erregen: sie geht mit ihr öffentlich Arm in Arm, sie läßt sie in Versailles wohnen, sie nimmt sie überallhin mit und verlegt einmal sogar den ganzen Hofstaat nach Marly, nur um dem Wochenbett der vergötterten Freundin nahe sein zu können. Nach wenigen Monaten ist aus der verarmten Adeligen die Herrin Marie Antoinettes und des ganzen Hofes geworden.

Leider aber, dieser zarte, unschuldsvolle Engel stammt nicht vom Himmel, sondern aus einer schwer verschuldeten Familie, die eifrig solche unerwartete Gunst für sich ausmünzen will; bald wissen die Finanzminister ein Lied davon zu singen. Zunächst werden 400 000 Livres Schulden gezahlt, 800 000 bekommt die Tochter als Mitgift, der Schwiegersohn einen Kapitänsplatz, ein Jahr später dazu einen Gutsbesitz, der siebzigtausend Dukaten Rente trägt, der Vater eine Pension und der gefällige Gatte, den in Wirklichkeit längst ein Liebhaber ersetzt, den Herzogstitel und eine der einträglichsten Pfründen Frankreichs, die Post. Die Schwägerin Diane von Polignac wird trotz ihres elenden Rufes Ehrendame bei Hof, die Gräfin Jules selber Gouvernante der königlichen Kinder, ihr Vater nebst seiner Pension noch Gesandter, die ganze Familie schwimmt in Geld und Ehren und schüttet überdies aus vollem Füllhorn Begünstigungen an ihre Freunde aus; schließlich kostet diese eine Laune der Königin, diese eine Familie Polignac, dem Staate jährlich eine halbe Million Livres. »Es gibt kein Beispiel,« schreibt der Botschafter Mercy entsetzt nach Wien, »daß in so kurzer Zeit eine so große Summe einer einzelnen Familie zugeteilt worden wäre.« Selbst die Maintenon, die Pompadour, haben nicht mehr gekostet als diese Favoritin mit den engelhaft niedergeschlagenen Augen, als die so bescheidene, so gütige Polignac.

 

Die selbst nicht in den Strudel mitgerissen sind, stehen und staunen und begreifen die grenzenlose Nachgiebigkeit der Königin nicht, die ihren Namen, ihre Stellung, ihren Ruf zugunsten dieser unwürdigen, wertlosen und ausbeuterischen Sippe mißbrauchen läßt. Jeder weiß, daß die Königin an natürlicher Intelligenz, an innerer Kraft und an Aufrichtigkeit hundertfach diesen kleinen Kreaturen überlegen ist, die ihren täglichen Umgang bilden. Aber im Spannungsverhältnis zwischen Charakteren entscheidet niemals die Kraft, sondern die Geschicklichkeit, nicht die geistige Überlegenheit, sondern jene des Willens. Marie Antoinette ist lässig und die Polignacs streberisch, sie ist sprunghaft und jene zäh, sie steht allein, jene aber haben sich zu einem Klüngel geballt, der die Königin planvoll von dem ganzen übrigen Hofe abschließt; sie halten sie fest, indem sie sie unterhalten. Was hilft es, daß der arme alte Beichtiger Vermond seine ehemalige Schülerin mahnt: »Sie sind zu nachsichtig für die Sitten und den Ruf Ihrer Freunde und Freundinnen geworden«, daß er ihr mit bemerkenswerter Kühnheit vorhält: »Schlechtes Benehmen, üble Sitten, ein angekränkelter oder verlorener Ruf sind geradezu ein Mittel geworden, um in Ihrer Gesellschaft Aufnahme zu finden«; aber was hilft ein Wort gegen dies süße und zarte Geplauder bei untergefaßten Armen, was Klugheit gegen diese tägliche berechnende List! Die Polignac und ihr Klüngel haben den magischen Schlüssel ihres Herzens, indem sie die Königin amüsieren, indem sie ihre Langweile füttern, und nach einigen Jahren ist Marie Antoinette dieser kalt berechnenden Bande völlig hörig. Einer unterstützt im Salon der Polignac die Werbungen des andern um Posten und Stellungen, gegenseitig spielen sie sich Pfründen und Pensionen zu, jeder selbst scheinbar nur um das Wohl der andern bemüht, und so fließen unter der Hand der Königin, die nichts merkt, die letzten goldenen Quellen aus den versiegenden Schatzkammern des Staates einigen wenigen zu. Die Minister können diesem Treiben nicht wehren. »Faites parier la Reine«, – »Trachten Sie, daß die Königin zu Ihren Gunsten spricht«, antworten sie achselzuckend allen Bittstellern, denn Rang und Titel, Stellung und Pensionen verleiht in Frankreich einzig die Hand der Königin, und diese Hand wieder führt unsichtbar die Frau mit den Veilchenaugen, die schöne, die sanfte Polignac.

 

Mit diesen ständigen Vergnügungen zieht der Kreis um Marie Antoinette eine unzugängliche Schranke. Die andern bei Hof merken dies bald, sie wissen, hinter dieser Mauer ist das irdische Paradies. Dort blühen die Stellungen, dort strömen die Pensionen, dort pflückt man mit einem Scherz, einem muntern Kompliment eine Gunst, um die sich andere jahrzehntelang mit beharrlicher Leistung bemühten. In jenem seligen Jenseits herrscht ewig Heiterkeit, Sorglosigkeit und Freude, und wer in diese elysäischen Gefilde der königlichen Gunst vorgedrungen, für den sind alle Gnaden der Erde bereit. Kein Wunder, daß all jene sich immer heftiger erbittern, die diesseits der Mauer verbannt sind, die altadeligen, verdienten Geschlechter, die nicht zugelassen werden nach Trianon, deren gleichfalls gierige Hände nie der goldene Regen netzt. Ist man denn weniger als diese verarmten Polignacs, murren die Orléans, die Rohans, die Noailles, die Marsans? Hat man dazu einen jungen bescheidenen honetten König, endlich einen, der nicht Spielball seiner Mätressen ist, daß man nach der Pompadour, der Dubarry abermals von einer Favoritin, von einer Günstlingsfrau sich erbetteln soll, was einem nach Fug und Recht gehört? Soll man wirklich dieses freche Zur-Seite-geschoben-Werden, dies kühle Übersehenwerden von der jungen Österreicherin dulden, die sich mit fremden Burschen und zweifelhaften Frauen umgibt, statt mit dem angestammten, seit Jahrhunderten eingesessenen Adel? Enger scharen sich die Ausgeschlossenen zusammen, jeder Tag, jedes Jahr mehrt ihre Reihen. Und bald blickt aus den verödeten Fenstern von Versailles hundertäugiger Haß hinüber in die sorglose und ahnungslose Spielwelt der Königin.


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