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Zwanzigstes Kapitel

Die letzte Runde

1584–1585

Die Jahre fließen und fließen, Wochen, Monate, Jahre gehen wie Wolken über dies einsame Leben hinweg, scheinbar ohne es zu berühren. Aber unmerklich verwandelt die Zeit den Menschen und um ihn die Welt. Das vierzigste Jahr ist gekommen, Jahr der Wende im Leben einer Frau, und immer noch ist Maria Stuart gefangen, noch immer nicht frei. Leise schon streift sie das Alter an, der Scheitel wird grau, der Körper voller, korpulenter, die Züge ruhiger und matronenhafter, eine gewisse Schwermut beginnt sich ihrem Wesen aufzuprägen, die sich am liebsten ins Religiöse löst. Bald wird, die Frau muß es tiefinnen fühlen, die Zeit der Liebe, die Zeit des Lebens unwiederbringlich vorbei sein: was sich jetzt nicht erfüllt, wird sich nie erfüllen, der Abend ist gekommen, bereits dunkelt die nahe Nacht. Schon lange hat sich kein Werber genaht, vielleicht kommt nie mehr einer: noch kurze Zeit, und das Leben ist endgültig versäumt. Hat es da wirklich noch Sinn, zu warten und zu warten auf das Wunder der Befreiung, auf die Hilfe der nachlässig zögernden Welt? Stärker und stärker hat man in diesen späteren Jahren das Gefühl, als sei die Vielgeprüfte innerlich schon des Kampfes satt und langsam bereit zu Vergleich und Verzicht. Häufiger und häufiger kommen Stunden, da sie sich fragt, ob es nicht töricht sei, so nutzlos, so ungeliebt hinzusiechen wie eine Blume im Schatten, ob sie nicht lieber die Freiheit erkaufen solle, indem sie die Krone freiwillig ablegte von dem langsam ergrauenden Haar. Im vierzigsten Jahr beginnt Maria Stuart dieses schweren, dieses leeren Lebens immer müder zu werden, allmählich lockert sich der wilde Machtwille in eine milde, mystische Todessehnsucht; in solcher Stunde wohl schreibt sie, halb Klage, halb Gebet, die erschütternden lateinischen Zeilen auf ein Blatt:

»O Domine Deus! speravi in Te
O care mi Jesu! nunc libera me.
In dura catena, in misera poena, desidero Te;
Languendo, gemendo et genu flectendo
Adoro, imploro, ut liberes me.«

Da die Befreier zagen und zögern, wendet sie den Blick dem Erlöser zu. Lieber sterben, nur nicht weiter diese Leere, diese Ungewißheit, dies Warten und Warten und Hoffen und Sehnen und Immer-wieder-enttäuscht-Sein. Nur endlich ein Ende im Guten oder im Bösen, durch Triumph oder durch Verzicht! Unaufhaltsam nähert sich der Kampf seinem Ende, weil Maria Stuart mit aller Kraft ihrer Seele dieses Ende will.

 

Je länger dieses furchtbare, dieses tückische und grauenhafte, dieses großartige und zähe Ringen dauert, um so schroffer stehen sich nun die beiden alten Gegnerinnen gegenüber, Maria Stuart und Elisabeth. Elisabeth hat Erfolg über Erfolg in ihrer Politik. Mit Frankreich ist sie versöhnt, Spanien wagt noch immer nicht den Krieg, gegen alle Unzufriedenen hat sie die Oberhand behalten. Nur ein Feind, ein tödlich gefährlicher, lebt noch aufrecht in diesem Lande, diese eine besiegte und doch unbesiegbare Frau. Erst wenn sie diese eine, diese letzte beseitigt hat, ist sie wahrhaft Siegerin. Aber auch Maria Stuart ist niemand anderer verblieben für ihren Haß als Elisabeth. Noch einmal, in einer wilden Stunde der Verzweiflung, hat sie sich an ihre Verwandte, an ihre Schicksalsschwester gewandt und mit hinreißender Leidenschaft ihre Menschlichkeit angerufen. »Ich kann es nicht länger ertragen, Madame«, hatte sie aufgeschrien in diesem großartigen Schreiben, »und sterbend muß ich die Schuldigen an meinem Hinsiechen namhaft machen. Den niedrigsten Verbrechern in Ihren Gefängnissen ist es verstattet, zu ihrer Rechtfertigung gehört zu werden, und man nennt ihnen ihre Anschuldiger und Ankläger. Warum wird dieses Recht gerade mir verweigert, einer Königin, Ihrer nächsten Verwandten und rechtmäßigen Erbin? Ich glaube, ebendieser letzte Anspruch ist bisher die wahre Ursache von Seiten meiner Feinde gewesen ... Aber sie haben, ach, wenig Grund und gar keine Nötigung mehr, mich weiterhin aus diesem Grunde zu quälen. Denn ich schwöre bei meiner Ehre, daß ich kein anderes Königreich mehr erhoffe als das Königreich Gottes, für das ich innerlich bereit bin, weil es das beste Ende all meiner Nöte und Qualen ist.« Zum letztenmal, in aller Inbrunst der innersten Wahrhaftigkeit, hatte sie Elisabeth beschworen, sie doch aus ihrer Haft zu entlassen: »Bei der Ehre und dem schmerzlichen Leiden unseres Heilands und Erlösers rufe ich Sie noch einmal an, mir zu erlauben, aus diesem Königreich mich an irgendeine ruhige Stätte zurückzuziehen, ein wenig Rast für meinen abgemüdeten Leib zu suchen, der ganz erschöpft ist von dem unaufhörlichen Kummer, und mir zu ermöglichen, meine Seele für Gott bereitzumachen, der mich schon täglich zu sich ruft ... Gewähren Sie mir diese Gunst, bevor ich sterbe, damit meine Seele, sobald aller Zwist zwischen uns beschwichtigt ist, nicht, gelöst vom Leibe, gezwungen sei, ihre Klagen vor Gott zu tragen und Sie anzuschuldigen für das Böse, das ich hier auf Erden durch Sie erlitten habe.« Aber auf diesen erschütternden Anruf war Elisabeth stumm geblieben, sie hat sich nicht zu einem einzigen ermutigenden Wort bereit gefunden. Nun krampft auch Maria Stuart die Lippen zusammen und die Fäuste. Nur ein Gefühl kennt sie jetzt mehr, Haß, kalten und heißen, zähen und brennenden Haß gegen diese eine Frau, und dieser Haß zielt um so schärfer und tödlicher von nun ab dieser einen und einzigen entgegen, weil alle ihre anderen Feinde und Gegner dahingegangen sind; alle haben sie einander selber gefällt. Als ob die geheimnisvolle Todesdämonie, die von Maria Stuart ausgeht, jeden erreichend, der sie haßt oder der sie liebt, sich sichtbar dartun wollte, sind alle, die ihr anhingen oder die sie befeindeten, die für sie kämpften oder gegen sie kämpften, ihr vorangegangen. Alle, die sie angeklagt in York, Moray und Maitland, sind gewaltsamen Todes gestorben, alle, die sie richten sollten in York, Northumberland und Norfolk, haben ihr Haupt auf den Block gelegt, alle, die erst gegen Darnley sich verschworen und dann gegen Bothwell, haben sich gegenseitig aus dem Weg geräumt, alle die Verräter von Kirk o'Field und Carberry und Langside haben sich selbst verraten. Alle diese trotzigen Lords und Earls von Schottland, die ganze wilde, gefährliche, machtgierige Rotte, haben einer den andern erschlagen. Die Walstatt ist leer. Niemand ist mehr auf Erden, den sie noch zu hassen hat, als diese eine, Elisabeth. Das riesige Völkerringen von zwei Jahrzehnten ist zum Zweikampf geworden. Und in diesem Kampf von Frau gegen Frau gibt es kein Verhandeln mehr, nun geht es um Leben oder Tod.

Für diesen letzten Kampf, den Kampf bis aufs Messer, braucht Maria Stuart noch eine letzte Energie. Noch eine, die letzte Hoffnung muß ihr entrissen werden. Noch einmal und im tiefsten muß sie gekränkt werden, um sich zusammenzufassen zu äußerster Kraft. Denn immer findet Maria Stuart ihren großartigen Mut, ihre unbändige Entschlossenheit erst, wenn alles verloren ist oder verloren scheint. Immer wird sie erst heldisch mit dem Aussichtslosen.

Diese letzte Hoffnung, die Maria Stuart noch aus der Seele gerissen werden muß, ist die Hoffnung auf eine Verständigung mit ihrem Sohne. Denn in all den leeren, den gräßlich ereignislosen Jahren, da sie nur wartet und die Stunden dumpf um sich rieseln fühlt wie Sand von bröckelndem Gemäuer, in dieser endlosen Zeit, von der sie müde wird und alt, wächst ein Kind heran, das Kind ihres Bluts. Als einen Säugling hat sie James VI. verlassen, da sie von Stirling wegritt, da Bothwell vor den Toren Edinburghs sie mit seinen Reitern umringte und mitführte in ihr Verhängnis; in diesen zehn, in diesen fünfzehn, in diesen siebzehn Jahren ist seitdem das dumpfe Wesen ein Kind geworden, ein Knabe, ein Jüngling und beinahe ein Mann. In seinem Blut trägt James VI. manche Eigenschaften seiner Eltern, aber sehr vermengt und verschattet, ein Kind von sonderbarem Wesen, mit plumper, stammelnder Zunge, einem schweren, wuchtigen Leib und einer scheuen, ängstlichen Seele. Auf den ersten Eindruck scheint der Knabe abnorm. Er zieht sich zurück von jeder Geselligkeit, er erschrickt vor jedem offenen Messer, er fürchtet sich vor Hunden, seine Manieren sind linkisch und roh. Nichts von der Feinheit, der natürlichen Anmut seiner Mutter ist vorerst an ihm wahrzunehmen, er hat keinerlei musische Anlagen, er liebt nicht Musik, nicht Tanz, er hat auch nicht Eignung zu gefälliger und leichter Konversation. Aber er lernt ausgezeichnet Sprachen, hat ein gutes Gedächtnis und sogar eine gewisse Klugheit und Zähigkeit, sobald es seinen persönlichen Vorteil gilt. Verhängnisvoller dagegen belastet seinen Charakter die unedle Natur seines Vaters. Von Darnley erbt er die Seelenschwächlichkeit, die Unehrlichkeit und Unverläßlichkeit. »Was soll man von einem solchen doppelzüngigen Burschen erwarten«, tobt einmal Elisabeth; wie Darnley unterliegt er vollkommen jedem überlegenen Willen. Jede Generosität des Herzens ist diesem unfrohen Egoisten völlig fremd, ein kalter äußerlicher Ehrgeiz bestimmt allein seine Entschlüsse, und seine frostige Stellung zu seiner Mutter kann man nur begreifen, wenn man sie völlig jenseits aller Sentimentalität und Pietät betrachtet. Aufgezogen von den erbittertsten Feinden Maria Stuarts, in Latein unterrichtet von George Buchanan, dem Manne, der die »Detectio«, das berüchtigte Mordpamphlet, gegen seine Mutter verfaßte, hat er von dieser im Nachbarland gefangenen Frau wohl kaum etwas anderes gehört, als daß sie geholfen, seinen Vater beiseite zu schaffen, und daß sie ihm, dem gekrönten König, sein Kronrecht bestreitet. Von Anfang an war ihm eingehämmert worden, seine Mutter als eine Fremde anzusehen, als ein Hemmnis, das seiner Machtlust ärgerlich im Wege stehe. Und selbst wenn ein kindliches Gefühl sich in James VI. gesehnt hätte, endlich einmal die Frau zu sehen, die ihm das Leben geschenkt, die Wachsamkeit der englischen und schottischen Wächter hätte jede Annäherung zwischen den beiden Gefangenen verhindert – Maria Stuart, die Gefangene Elisabeths, James VI., der Gefangene der Lords und des jeweiligen Regenten. Hie und da, aber sehr selten in den vielen Jahren, geht ein Brief herüber und hinüber. Maria Stuart sendet Geschenke, Spielzeug und einmal einen kleinen Affen, aber die meisten ihrer Briefschaften und Botschaften werden nicht angenommen, weil sie in ihrem Trotz sich nicht entschließen kann, ihrem eigenen Sohn den Titel des Königs zu geben, und die Lords alle Briefe, die James VI. bloß als Prinzen ansprechen, als beleidigend zurückweisen. Über eine laue, über eine formale Beziehung kommen Mutter und Kind nicht hinaus, solange bei ihm und bei ihr die Machtlust gebieterischer spricht als die Stimme des Blutes, solange sie darauf besteht, als die alleinige Königin von Schottland zu gelten, und er wiederum, als der alleinige König.

Eine Annäherung vermag erst zu beginnen, sobald Maria Stuart nicht mehr darauf besteht, die Krönung ihres Sohnes durch die Lords als eine ungültige zu betrachten, und bereit ist, ihm ein gewisses Recht auf die Krone einzuräumen. Selbstverständlich wird sie auch jetzt noch nicht daran denken, ihren Titel als Königin preiszugeben und völlig zu verzichten. Die Krone auf dem gesalbten Haupte, will sie leben und sterben; aber um den Preis der Freiheit wäre sie jetzt bereit, den Titel mit ihrem Sohne wenigstens zu teilen. Zum erstenmal denkt sie an einen Kompromiß. Möge er herrschen und sich König nennen, wenn man ihr nur erlaubt, weiter Königin zu heißen, wenn man ihr nur eine Form findet, um mit einem leisen Glanz von Ehre ihren Verzicht zu vergolden! Allmählich kommen geheime Verhandlungen in Gang. Aber James VI., den die Barone fortwährend in seiner Freiheit bedrohen, führt sie als kalter Rechner. Vollkommen skrupellos verhandelt er gleichzeitig nach allen Seiten, er spielt Maria Stuart gegen Elisabeth, Elisabeth gegen Maria Stuart aus und eine Religion gegen die andere, er verschachert seine Gunst gleichmütig an den Meistbietenden, denn ihm ist es nicht um Ehre zu tun, sondern einzig darum, König von Schottland zu bleiben und sich gleichzeitig die Thronanwartschaft Englands zu sichern; er will nicht bloß eine dieser beiden Frauen beerben, sondern alle beide. Er ist bereit, Protestant zu bleiben, wenn es ihm Vorteil bringt, aber anderseits auch geneigt, katholisch zu werden, sofern ihm dafür ein besserer Preis gezahlt wird, ja, der Siebzehnjährige schrickt sogar, nur um rascher König von England zu werden, vor dem widerwärtigen Plan nicht zurück, Elisabeth zu heiraten, diese abgetakelte Frau, die um neun Jahre älter ist als seine Mutter und ihre erbittertste Feindin und Gegnerin. Für James VI., den Darnley-Sohn, sind alle diese Verhandlungen kalte Rechenexempel, während Maria Stuart, ewig eine Illusionistin, abgeschlossen von der wirklichen Welt, bereits glüht und aufflammt in dieser letzten Hoffnung, durch Verständigung mit ihrem Sohn frei zu werden und doch Königin zu bleiben.

Aber Elisabeth sieht eine Gefahr für sich darin, wenn Mutter und Sohn sich einigen. Das darf nicht geschehen. Rasch greift sie in das noch dünne Gespinst der Verhandlungen. Mit ihrem scharfen und zynischen Menschenblick weiß sie bald, wo sie diesen unbeständigen Burschen fassen kann: bei seinen menschlichen Schwächen. Sie schickt dem jungen König, der in die Jagd vernarrt ist, die schönsten Pferde und Hunde. Sie besticht seine Ratgeber und bietet ihm schließlich, was bei der ewigen Geldnot des schottischen Hofes ein entscheidendes Argument ist, eine jährliche Pension von fünftausend Pfund an, außerdem hält sie den bewährten Köder der englischen Thronfolge hin. Wie meistens bringt das Geld die Entscheidung. Während Maria Stuart ahnungslos weiter ins Leere diplomatisiert und mit dem Papst und den Spaniern schon Pläne für ein katholisches Schottland entwirft, unterzeichnet James VI. in aller Stille mit Elisabeth einen Bündnisvertrag, der ausführlich festlegt, was ihm dieser trübe Handel an Geld und Vorteil einbringt, keineswegs aber die zu erwartende Klausel der Freigabe seiner Mutter enthält. Nicht mit einer Zeile wird der Gefangenen gedacht, die ihm völlig gleichgültig wird, seit sie ihm nichts mehr zu bieten hat: über sie hinweg, als ob sie nicht auf der Welt wäre, verständigt sich der Sohn mit der erbittertsten Feindin seiner Mutter. Möge die Frau, die ihm das Leben geschenkt hat, jetzt, da sie ihm nichts mehr zu geben hat, weit wegbleiben von seinem Leben! Im Augenblick, da der Vertrag unterschrieben ist und der wackere Sohn sein Geld und seine Hunde im Hause hat, werden mit einem Ruck die Verhandlungen mit Maria Stuart abgebrochen. Wozu jetzt noch Höflichkeiten gegen eine Machtlose? In königlichem Auftrag wird ein harter Absagebrief verfaßt, der in grobem Kanzleiton Maria Stuart ein für allemal sowohl den Titel als auch die Rechte einer Königin von Schottland abspricht. Nun hat nach dem Reich, nach der Krone, nach der Macht, nach der Freiheit die Kinderlose ihrer Gegnerin noch das letzte entrissen: den eigenen Sohn. Nun ist sie endlich und endgültig gerächt.

Dieser Triumph Elisabeths ist der Genickfang für die letzten Träume Maria Stuarts. Nach ihrem Gatten, nach ihrem Bruder, nach ihren Untertanen ist nun der letzte, ist das eigene Kind ihres Blutes von ihr abgefallen, jetzt steht sie völlig allein. Grenzenlos wie ihre Enttäuschung ist ihre Empörung. Nun keine Rücksicht mehr! Gegen niemanden mehr Rücksicht! Da ihr Kind sie verleugnet, verleugnet sie nun ihr Kind. Da er ihr Recht auf die Krone verkauft hat, verkauft sie nun das seine. Sie nennt James VI. entartet, undankbar, ungehorsam und schlecht erzogen, sie verflucht ihn und kündigt an, daß sie ihm in ihrem Testament nicht nur die schottische Krone, sondern auch das Anrecht auf die englische Thronfolge absprechen werde. Lieber als an diesen ketzerischen, an diesen verräterischen Sohn möge die Stuartskrone an einen fremden Fürsten fallen. Entschlossen bietet sie Philipp II. das Erbrecht auf Schottland und England an, wenn er sich bereit erklären wolle, für ihre Freiheit zu kämpfen und Elisabeth, diese Mörderin all ihrer Hoffnungen, endgültig zu demütigen. Was gilt ihr noch ihr Land, was ihr Sohn! Nur mehr leben, nur mehr frei sein und siegen! Nun scheut sie nichts mehr, auch das Verwegenste ist ihr nicht mehr verwegen genug. Wer alles verloren hat, hat nichts mehr zu verlieren.

 

Jahre und Jahre lang hat sich Zorn und Erbitterung in dieser gequälten und erniedrigten Frau gehäuft, Jahre und Jahre lang hat sie gehofft und verhandelt und paktiert und konspiriert und Wege der Vermittlung gesucht. Jetzt ist das Maß voll. Wie eine Flamme fährt endlich der niedergedrückte Haß gegen die Peinigerin, gegen die Usurpatorin, die Kerkermeisterin. Nicht nur mehr Königin gegen Königin, sondern Frau gegen Frau wirft sich Maria Stuart jetzt in letzter Wut gleichsam mit gekrallten Fingernägeln Elisabeth entgegen. Ein kleinlicher Zwischenfall gibt den Anlaß: Shrewsburys Gattin, eine ränkevolle, bösartige Zwischenträgerin, hat in einem Anfall von Hysterie Maria Stuart beschuldigt, mit ihrem Gatten in zärtlichem Einvernehmen zu stehen. Das war selbstverständlich nur erbärmlicher Hinterstubenklatsch, nicht einmal von Shrewsburys Gattin ernst gemeint, aber Elisabeth, immer bemüht, das moralische Ansehen ihrer Rivalin vor der Welt herabzusetzen, hatte eilig dafür gesorgt, daß diese neue Skandalgeschichte reichlich an den fremden Höfen verbreitet werde, genau wie sie schon vordem die Schmähschrift Buchanans mit den »Kassettenbriefen« an alle Fürsten sandte. Nun schäumt Maria Stuart auf. Nicht genug also, daß man ihr die Macht, die Freiheit, die letzte Hoffnung auf ihr Kind genommen, auch noch die Ehre will man ihr heimtückisch beflecken; man versucht, sie, die ohne Lust und ohne Liebe wie eine Nonne abgeschlossen lebt, vor der Welt als Ehebrecherin anzuprangern! Rasend bäumt sich ihr verwundeter Stolz auf. Sie fordert ihr Recht, und tatsächlich muß Gräfin Shrewsbury auf den Knien die infame Lüge widerrufen. Aber Maria Stuart weiß genau, wer diese Lüge benutzt hat, um sie zu verleumden, sie hat die hämische Hand ihrer Feindin gefühlt, und gegen den Schlag, der aus dem Dunkel gegen ihre Ehre geführt wurde, schlägt sie jetzt offen zurück. Zu lange schon brennt ihr die Seele voll böser Ungeduld, dieser angeblich jungfräulichen Königin, die sich als Tugendspiegel feiern läßt, einmal Frau zu Frau ein Wort der Wahrheit zu sagen. So schreibt sie Elisabeth einen Brief, scheinbar um ihr »freundschaftlich« mitzuteilen, welche Verleumdungen die Gräfin Shrewsbury über das Privatleben Elisabeths ausstreue, in Wirklichkeit aber, um ihrer »lieben Schwester« ins Gesicht zu schreien, wie wenig gerade sie berechtigt wäre, die Sittliche und Sittenrichterin zu spielen. Hieb um Hieb hagelt nieder in diesem Brief verzweifelten Hasses. Alles, was eine Frau an grausamer Aufrichtigkeit gegen die andere sagen kann, wird hier gesagt, alle schlechten Eigenschaften Elisabeths werden ihr ins Gesicht gehöhnt, ihre letzten weiblichen Geheimnisse mitleidslos enthüllt. Maria Stuart schreibt an Elisabeth – angeblich aus liebender Freundschaft, in Wahrheit, um sie tödlich zu verletzen –, die Gräfin Shrewsbury habe von ihr gesagt, sie sei so eitel und habe von ihrer Schönheit eine so hohe Meinung, als ob sie eine Königin des Himmels wäre. Sie werde nicht satt von Schmeicheleien und zwinge ihr Hofgesinde unablässig zu den übertriebensten Bewunderungen, dabei mißhandle sie in ihren Zornanfällen ihre Hofdamen und Mägde. Einer habe sie den Finger gebrochen, einer andern, als sie schlecht bei Tisch bediente, mit dem Messer über die Hand geschlagen. Aber all dies sind noch bescheidene Anwürfe gegen die fürchterlichen Aufdeckungen aus dem intimsten, dem körperlichen Leben Elisabeths. Die Gräfin Shrewsbury, schreibt Maria Stuart, behaupte, Elisabeth habe ein eiterndes Geschwür an ihrem Bein – eine Anspielung auf das syphilitische Erbe ihres Vaters –, mit ihrer Jugend sei es vorbei, sie verliere ihre Wochen, aber dennoch lasse sie nicht nach in ihrer Lust mit Männern. Nicht nur, daß sie mit einem (Graf von Leicester) »infinies foys« geschlafen habe, sie suche auch sonst lüsterne Befriedigung an allen Ecken und Enden und wolle »jamais perdre la liberté de vous fayre l'amour et avoir vostre plésir tousjour aveques nouveaulx amoureulx«. Sie schleiche nachts zu Männern in die Kammer, nur im Hemd und Überwurf, und lasse sich diese Vergnügungen viel kosten. Maria Stuart nennt Namen um Namen und Einzelheit um Einzelheit. Aber auch den furchtbarsten Schlag in ihr geheimstes Geheimnis erspart sie der Verhaßten nicht: höhnisch hält sie ihr vor (was auch Ben Jonson am Wirtstisch offen erzählte), daß »undubitablement vous n'estiez pas comme les autres femmes, et pour ce respect c'estoit follie à tous ceulx qu'affectoient vostre mariage avec le duc d'Anjou, d'aultant qu'il ne se pourroit accomplir«. Ja, Elisabeth soll es wissen, daß ihr ängstlich gehütetes Geheimnis, daß ihre weibliche Unvollkommenheit bekannt ist, die ihr nur Lüsternheit gestattet und keine richtige Lust, nur unzulängliches Spiel und kein volles Gewähren und sie ausschließt für alle Zeiten von fürstlicher Heirat und Mutterschaft. Nie hat eine Frau auf Erden dieser mächtigsten Frau auf Erden so fürchterlich die letzte Wahrheit gesagt wie die Gefangene aus ihrem Kerker: zwanzig Jahre gefrornen Hasses, erstickten Zornes und gefesselter Kraft bäumen sich plötzlich auf zu einem fürchterlichen Prankenschlag gegen das Herz ihrer Peinigerin.

 

Nach diesem Brief rasender Wut gibt es keine Versöhnung mehr. Die Frau, die diesen Brief geschrieben, die Frau, die diesen Brief empfangen, können nicht mehr eine Luft atmen und in einem Lande weiterleben. Hasta al cuchillo, wie die Spanier sagen, Kampf bis aufs Messer, Kampf auf Leben und Tod bleibt jetzt die einzige, die letzte Möglichkeit. Nach einem Vierteljahrhundert zähen, hartnäckigen Belauerns und Befeindens ist nun endlich der welthistorische Kampf zwischen Maria Stuart und Elisabeth auf die Spitze getrieben, und wahrhaftig, man kann sagen: auf die Spitze eines Dolches. Die Gegenreformation hat alle diplomatischen Mittel erschöpft und die militärischen sind noch nicht gerüstet. Noch baut man in Spanien mühsam und langsam an der Armada, aber es fehlt trotz den indischen Schätzen an dem unseligen Hofe ewig an Geld, ewig an Entschlossenheit. Warum, denkt Philipp der Fromme, der, wie John Knox, im Wegschaffen eines ungläubigen Gegners nur eine dem Himmel wohlgefällige Tat erblickt, nicht den billigeren Weg wählen und lieber ein paar Mörder kaufen, die Elisabeth, die Schirmherrin der Ketzerei, rasch aus dem Wege räumen? Das Zeitalter Macchiavellis und seiner Schüler ist durch moralische Bedenklichkeiten, wenn es Macht gilt, wenig belastet, und hier steht eine unübersehbare Entscheidung auf dem Spiele, Glaube gegen Glauben, Süden gegen Norden, und ein einziger Dolchstoß in Elisabeths Herz kann die Welt von der Ketzerei befreien.

Hat Politik einmal den höchsten Hitzegrad der Leidenschaft erreicht, dann verdampfen alle moralischen und rechtlichen Bedenken, dann schwindet die letzte Rücksicht auf Anstand und Ehre, dann gilt selbst der Meuchelmord als herrliche Opfertat. Durch die Exkommunikation sind 1570 Elisabeth und 1580 der Prinz von Oranien, die beiden Hauptfeinde des Katholizismus, zum Freiwild erklärt, und seit der Papst die Hinschlachtung von sechstausend Menschen, die Bartholomäusnacht, als eine löbliche Sache gefeiert, weiß jeder Katholik, daß er nur eine Gott wohlgefällige Tat vollbringt, wenn er einen dieser Erbfeinde des Glaubens meuchlerisch aus dem Wege räumt. Ein mutiger und fester Stoß, ein rascher Pistolenschuß, und aus ihrer Gefangenschaft tritt Maria Stuart die Stufen des Throns empor, England und Schottland sind im rechten Glauben geeint. Bei solchem hohen Einsatz gibt es kein Zögern und Zagen: mit voller Schamlosigkeit erhebt die spanische Regierung die heimtückische Ermordung Elisabeths zu ihrer politischen Haupt- und Staatsaktion. Mendoza, der spanische Gesandte, nennt wiederholt in seinen vielen Depeschen das »killing the Queen« ein wünschenswertes Unternehmen, der Oberkommandant der Niederlande, der Herzog von Alba, erklärt ebenfalls ausdrücklich sein Einverständnis und Philipp II., Herr beider Welten, schreibt mit eigener Hand über den Mordplan, »er hoffe, daß Gott ihn begünstigen werde«. Nicht mehr mit den Künsten der Diplomatie, nicht in freiem, offenem Krieg wird jetzt die Entscheidung gesucht, sondern mit dem nackten Messer, mit dem Mörderdolch. Hüben und drüben ist man über die Methode einig: in Madrid wird die Ermordung Elisabeths im Geheimkabinett beschlossen und vom König gebilligt, in London sind Cecil, Walsingham und Leicester einig, daß man gewaltsam Schluß machen müsse mit Maria Stuart. Nun gibt es keine Umwege mehr und keine Auswege: nur mit Blut läßt sich der Strich unter die längst fällige Rechnung ziehen. Nur noch um eines handelt es sich jetzt: wer rascher handelt, die Reformation oder Gegenreformation, London oder Madrid. Ob Maria Stuart vor Elisabeth beseitigt wird oder Elisabeth vor Maria Stuart.


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