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Maria Stuart

Fünfzehntes Kapitel

Die Absetzung

Sommer 1567

Von diesem Tage der Schicksalswende, diesem 17. Juni, da die Lords ihre Königin in Lochleven hinter Schloß und Riegel setzten, wird Maria Stuart nie mehr aufhören, ein Gegenstand europäischer Unruhe zu bleiben. Denn in ihrer Person ist ein neuartiges, geradezu revolutionäres Problem von unübersehbaren Weiterungen vor die Zeit gestellt: Was hat mit einem Monarchen zu geschehen, der sich in schroffen Gegensatz zu seinem Volke stellt und der Krone als unwürdig erwiesen hat? Die Schuld liegt hier unbestreitbar auf Seiten der Herrscherin: Maria Stuart hat durch ihren leidenschaftlichen Leichtsinn einen unmöglichen, einen untragbaren Zustand geschaffen. Gegen den Willen des Adels, des Volkes, der Geistlichkeit hat sie einen Mann, und überdies einen schon verheirateten Mann zum Gatten gewählt, den die öffentliche Meinung einhellig als den Mörder des Königs von Schottland bezeichnet. Sie hat Gesetz und Sitte mißachtet, und auch jetzt weigert sie sich noch, diese unsinnige Ehe für ungültig zu erklären. Selbst die wohlmeinendsten Freunde sind sich darüber einig, daß sie mit diesem Mörder an ihrer Seite nicht weiterhin Herrscherin von Schottland bleiben kann.

Aber welche Möglichkeiten bestehen, die Königin zu zwingen, entweder Bothwell zu verlassen oder zugunsten ihres Sohnes auf die Krone zu verzichten? Die Antwort ist niederschmetternd: Keine. Denn die staatsrechtlichen Handhaben gegen einen Monarchen sind zu jener Zeit gleich Null, noch ist dem Volkswillen kein Einspruch oder Tadel gegen seinen Herrscher verstattet, alle Jurisdiktion endet vor den Stufen des Throns. Noch steht der König nicht im Raum des bürgerlichen Rechts, sondern außerhalb und oberhalb dieses Rechts. Gottgeweiht wie der Priester, darf er sein Amt weder weitergeben noch verschenken. Niemand vermag einen Gesalbten seiner Würde zu entkleiden, und eher kann man im Sinn der absolutistischen Weltanschauung einem Herrscher das Leben nehmen als die Krone. Man kann ihn ermorden, aber nicht absetzen, denn Zwang gegen ihn zu üben hieße das hierarchische Gefüge des Kosmos zerbrechen. Vor diese neuartige Entscheidung hat Maria Stuart mit ihrer verbrecherischen Ehe die Welt gestellt. In ihrem Schicksal entscheidet sich nicht nur ein einzelner Konflikt, sondern ein geistiges, ein weltanschauliches Prinzip.

Darum suchen auch die Lords, obwohl charaktermäßig alles eher denn umgänglich, so fieberhaft nach einer gütlichen Lösung. Aus der Ferne der Jahrhunderte fühlt man noch deutlich ihr Unbehagen vor der eigenen revolutionären Tat, ihre Herrscherin hinter Schloß und Riegel gesetzt zu haben, und anfangs wird tatsächlich Maria Stuart eine Rückkehr noch leicht gemacht. Es genügte, wenn sie die Heirat mit Bothwell als illegal erklärte und damit ihren Irrtum eingestände. Dann könnte sie, zwar stark geschwächt in ihrer Beliebtheit und Autorität, noch leidlich in Ehren zurückkehren, sie könnte wieder in Holyrood wohnen und einen neuen, einen würdigeren Gemahl wählen. Aber noch ist Maria Stuart der Star nicht gestochen. Noch begreift sie nicht in ihrem Unfehlbarkeitsdünkel, daß sie mit den rasch aufeinanderfolgenden Skandalen Chastelard, Rizzio, Darnley, Bothwell sich sträflichen Leichtsinns schuldig gemacht hat. Nicht zur geringsten Konzession läßt sie sich herbei. Gegen ihr eigenes Land, gegen die ganze Welt verteidigt sie den Mörder Bothwell und behauptet, nicht von ihm lassen zu können, weil sonst ihr Kind, das sie von ihm erwarte, als Bastard zur Welt kommen würde. Noch immer lebt sie in einer Wolke, noch will die Romantikerin nicht die Wirklichkeit begreifen. Aber dieser Trotz, den man ganz nach Neigung töricht nennen kann oder großartig, fordert alle Gewalttätigkeiten, die gegen sie begangen werden, gewaltsam heraus und damit eine Entscheidung, die noch über Jahrhunderte reicht: nicht nur sie, sondern auch der Enkel ihres Blutes, Karl I., wird diesen Anspruch auf unbeschränkte Fürstenwillkür mit seinem Blute bezahlen.

Allerdings: zunächst kann sie noch auf eine gewisse Hilfe rechnen. Denn ein solcher weithin sichtbarer Konflikt zwischen einer Fürstin und ihrem Volk kann die Mitbeteiligten, die Standesbrüder, die anderen Monarchen Europas keineswegs gleichgültig lassen; vor allem stellt sich Elisabeth entschlossen auf die Seite ihrer bisherigen Gegnerin. Oft und oft ist es als Zeichen der Wetterwendischkeit und Unaufrichtigkeit Elisabeths betrachtet worden, daß sie nun auf einmal so unbedingt für ihre Rivalin eintritt. Aber in Wirklichkeit ist das Verhalten Elisabeths völlig eindeutig, völlig logisch und klar. Denn wenn sie jetzt energisch zu Maria Stuart steht, so nimmt sie damit keineswegs – dieser Unterschied muß mit aller Schärfe betont werden – Partei für Maria Stuart, Partei für die Frau, Partei für ihr dunkles und mehr als verdächtiges Verhalten. Sondern sie nimmt als Königin Partei für die Königin, für die unsichtbare Idee der Unantastbarkeit des fürstlichen Rechts und damit für die eigene Sache. Elisabeth ist der Treue ihres eigenen Adels viel zuwenig gewiß, als daß sie dulden könnte, daß im Nachbarlande ungestraft das Beispiel gegeben werde, wie aufrührerische Untertanen gegen eine Königin die Waffen ergreifen und sie gefangensetzen; in schroffem Gegensatz zu ihrem Cecil, der viel lieber den protestantischen Lords Schützendienste geleistet hätte, ist sie entschlossen, die Aufrührer gegen die Königsmajestät schleunigst wieder zum Gehorsam zu zwingen, denn sie verteidigt in Maria Stuarts Geschick ihre eigene Position, und ausnahmsweise darf man ihr diesmal wirklich glauben, wenn sie sagt, sie fühle sich durch Anteilnahme bis ins Tiefste bewegt. Sofort kündigt sie der gestürzten Königin ihre schwesterliche Unterstützung an, nicht aber, ohne zugleich der Frau mit eindringlicher Schärfe ihre Schuld vorzuhalten. Deutlich scheidet sie ihre private Ansicht von ihrer staatsmännischen Haltung: »Madame«, schreibt sie ihr, »man hat es immer als einen besonderen Grundsatz der Freundschaft betrachtet, daß Glück Freunde schaffe, Unglück dagegen Freunde erprobe; und da wir jetzt eine Gelegenheit sehen, unsere Freundschaft durch die Tat zu beweisen, haben wir es sowohl wegen unserer Stellung als auch Ihretwegen für richtig erachtet, Ihnen in diesen wenigen Worten unsere Freundschaft zu bezeugen ... Madame, ich sage Ihnen ganz offen, unser Kummer ist nicht gering gewesen, daß Sie in Ihrer Heirat so wenig Zurückhaltung walten ließen und wir feststellen mußten, daß Sie keinen einzigen guten Freund in der Welt haben, der Ihr Verhalten billigt; und wir würden lügen, wenn wir Ihnen etwas anderes sagen oder schreiben würden. Denn wie hätten Sie Ihre Ehre schlimmer beflecken können, als indem Sie in solcher Hast einen Menschen heirateten, der, abgesehen von andern allgemein berüchtigten Eigenschaften, von der öffentlichen Meinung des Mordes an Ihrem verstorbenen Gatten beschuldigt wird und Sie dadurch überdies der Mitschuld verdächtigt, obwohl wir zuversichtlich hoffen, daß dies nicht wahr sei. Und unter was für Gefahren haben Sie diesen Mann geheiratet, dessen Gattin noch am Leben ist, so daß Sie weder nach göttlichem noch nach irdischem Gesetz seine rechtmäßige Frau werden können und auch Ihre Kinder nicht legitim sein werden! Sie sehen also klar, was wir von dieser Heirat denken, und wir bedauern aufrichtig, daß wir keine bessere Meinung fassen können, so stichhaltige Gründe auch Ihr Bote anführte, um uns dazu zu überreden. Wir hätten gewünscht, daß nach dem Tode Ihres Gatten Ihre erste Sorge gewesen wäre, die Mörder zu ergreifen und zu bestrafen. Wenn das tatsächlich geschehen wäre – und es wäre leicht gewesen bei einer so offenkundigen Sache –, so wären vielleicht viele Dinge in Ihrer Heirat tragbarer erschienen. So können wir aus Freundschaft zu Ihnen und wegen der natürlichen Bande des Bluts zwischen uns und Ihrem verstorbenen Gatten nur sagen, daß wir alles tun wollen, was in unserer Macht steht, den Mord gebührend zu sühnen, wer immer von Ihren Untertanen ihn begangen hat und wenn er Ihnen noch so nahe steht.«

 

Das sind klare Worte, scharf und schneidend wie ein Messer, Worte, an denen nichts zu deuten und zu deuteln ist. Sie zeigen, daß Elisabeth, die zweifelsohne die Ereignisse von Kirk o'Field durch ihre Späher und durch Morays private Mitteilungen verläßlicher kannte als Jahrhunderte später die leidenschaftlichen Weißwäscher Maria Stuarts, von der Mitschuld Maria Stuarts völlig überzeugt war. Mit ausgestrecktem Finger weist sie auf Bothwell als den Mörder hin, und es ist bedeutungsvoll, daß sie in diesem diplomatischen Briefe nur das höfliche Wort anwendet, »sie hoffe« – nicht etwa: sie sei überzeugt –, daß Maria Stuart an dem Morde nicht mitschuldig sei. »Ich hoffe« ist ein höchst laues Wort bei einem derart verbrecherischen Akt, und mit feinerem Ohr hört man aus dem Tonfall, daß Elisabeth keineswegs für die Makellosigkeit Maria Stuarts einstehen will, sondern bloß aus Solidarität wünscht, sie möge schleunig dem Skandal ein Ende bereiten. So heftig aber Elisabeth persönlich von Maria Stuarts Verhalten abrückt, um so hartnäckiger schützt sie deren Würde – sua res agitur – als Herrscherin. »Um Sie aber«, fährt sie in diesem bedeutsamen Briefe fort, »in Ihrem Unglück zu trösten, von dem wir vernommen haben, versichern wir Ihnen, daß wir alles tun wollen, was in unserer Macht steht und was wir für geeignet halten, Ihre Ehre und Sicherheit zu beschützen.«

Und Elisabeth hält tatsächlich Wort. Sie gibt ihrem Botschafter Auftrag, allen Maßnahmen der Aufrührer gegen Maria Stuart mit schroffem Protest entgegenzutreten; klar läßt sie die Lords wissen, daß sie im Falle einer Gewalttat sogar zum Kriege bereit sei. In einem schneidend harten Briefe verweist sie ihnen die Anmaßung, Gericht über eine gesalbte Königin abhalten zu wollen. »Wo findet sich in der Heiligen Schrift eine Stelle, die den Untertanen erlaubt, ihren Fürsten abzusetzen? In welcher christlichen Monarchie gibt es ein geschriebenes Gesetz, dem zufolge Untertanen die Person ihres Fürsten antasten, in Gefangenschaft setzen oder vor Gericht stellen können? ... Wir verurteilen ebensosehr wie die Lords die Ermordung unseres Vetters, des Königs, und die Heirat unserer Schwester mit Bothwell hat uns mehr unwillig gemacht als irgendeinen von ihnen. Aber wir können die spätere Handlungsweise der Lords gegen die Königin von Schottland nicht erlauben und dulden. Da nach dem Gebot Gottes sie die Untertanen sind und jene die Gebieterin, durften sie sie nicht zwingen, auf ihre Anklage zu antworten, denn es entspricht nicht der Natur, daß der Kopf den Füßen Untertan sei.«

 

Aber zum erstenmal stößt Elisabeth bei den Lords, obzwar die meisten seit Jahren heimlich in ihrem Solde stehen, auf offenen Widerstand. Seit dem Rizziomord wissen sie zu genau, was sie erwartet, wenn Maria Stuart wieder zur Herrschaft gelangte, denn keine Drohung und keine Verlockung hat sie bisher bewegen können, von Bothwell abzulassen, und die schrillen Flüche auf dem Ritt nach Edinburgh, mit denen die Gedemütigte Rache auf ihr Haupt geschworen, gellen ihnen noch unheilverkündend im Ohr. Nicht dazu haben sie erst Rizzio, dann Darnley, dann Bothwell aus dem Wege geräumt, um wieder willige und machtlose Untertanen dieser unberechenbaren Frau zu werden: für sie wäre es unermeßlich bequemer, Maria Stuarts Sohn, ein einjähriges Kind, zum König zu krönen, denn ein Kind kann nicht befehlen, und sie wären die zwei Jahrzehnte seiner Unmündigkeit wieder die unbestrittenen Herren des Landes.

Aber trotz allem würden die Lords den Mut nicht aufbringen zu offenem Widerstand gegen ihre Geldgeberin Elisabeth, spielte ihnen nicht der Zufall eine unerwartete, eine wahrhaft mörderische Waffe gegen Maria Stuart in die Hände. Sechs Tage nach der Schlacht von Carberry Hill kommt ihnen dank eines gemeinen Verrats eine höchst willkommene Nachricht zu. James Balfour, der Spießgeselle Bothwells bei Darnleys Ermordung, der jetzt, da der Wind umgeschlagen, sich unbehaglich fühlt, sieht nur eine Möglichkeit, sich zu retten: durch eine neue Schurkerei. Um sich die Freundschaft der Machthaber zu sichern, verrät er seinen geächteten Freund. Heimlich steckt er den Lords die wichtige Nachricht zu, der flüchtige Bothwell habe einen seiner Diener nach Edinburgh mit dem Auftrag entsendet, unauffällig eine zurückgelassene Kassette mit wichtigen Dokumenten aus dem Schlosse herauszuschmuggeln. Sofort wird dieser Diener, namens Dalgleish, gefaßt, scharf mit der Folter gepeinigt, und in seiner Todesangst gibt der Gequälte das Versteck an. Nach seinen Weisungen wird, unter einem Bett verborgen, eine kostbare silberne Kassette entdeckt und hervorgeholt, die seinerzeit Franz II. seiner Gattin Maria Stuart geschenkt hatte und die sie ihrerseits wie alles, was sie besaß, an den unermeßlich Geliebten, an Bothwell, gegeben. In diesem festen, nur mit kunstreichen Schlüsseln zu öffnenden Schrein pflegte Bothwell seitdem seine privaten Dokumente aufzubewahren, vermutlich auch das Heiratsversprechen, die Briefe der Königin, aber auch allerlei Dokumente, welche die Lords kompromittieren. Wahrscheinlich – nichts ist verständlicher – war es ihm zu gefährlich gewesen, Schriftstücke von solcher Wichtigkeit auf der Flucht nach Borthwick und in die Schlacht mitzunehmen. So hatte er sie lieber an sicherer Stelle im Schlosse versteckt, um sie im gegebenen Augenblick von einem verläßlichen Diener nachbringen zu lassen. Denn sowohl der »bond« mit den Lords als auch das Heiratsversprechen der Königin und ihre vertraulichen Briefe können ihm in schwierigen Augenblicken prächtig zu Erpressung oder Rechtfertigung dienen: mit solchen schriftlichen Bekenntnissen hatte er einerseits die Königin in der Hand, falls die Wetterwendische Neigung zeigen sollte, von ihm abzufallen, und andererseits die Lords, falls sie ihn des Mordes anklagen wollten. Kaum halbwegs in Sicherheit, mußte darum für den Geächteten das Wichtigste sein, sich wieder in den Besitz dieser handgreiflichen Belastungsbeweise zu setzen. Ein Glücksfall ohnegleichen ist darum gerade in diesem Augenblick für die Lords ein so unvermuteter Fang: denn jetzt können sie einerseits alles Schriftliche unkontrolliert aus der Welt schaffen, das sie selbst der Mitschuld überführt, und andererseits alles, was die Königin belastet, rücksichtslos gegen sie verwerten.

Eine Nacht behält das Haupt der Bande, der Earl of Morton, die verschlossene Kassette in seiner Hut, am nächsten Tag werden die andern Lords, darunter auch – die Tatsache ist wichtig – Katholiken und Freunde Maria Stuarts, zusammenberufen und in ihrer Gegenwart dann die verschlossene Truhe mit Gewalt aufgebrochen. Sie enthält die berühmten Kassettenbriefe sowie die Sonette von ihrer Hand. Und ohne nochmals die Frage zu erörtern, ob die gedruckten Texte mit jenen Originalen völlig übereinstimmen – eines zeigt sich sogleich, nämlich, daß der Inhalt dieser Briefe ein für Maria Stuart schwer belastender gewesen sein muß. Denn von dieser Stunde an wird das Auftreten der Lords ein anderes: kühner, sicherer, nackensteifer. Im ersten Jubel werfen sie die Nachricht rasch in die Winde, am selben Tage noch, ehe sie Zeit haben konnten, jene Dokumente abzuschreiben – geschweige denn zu fälschen –, senden sie einen Boten zu Moray nach Frankreich, um ihm mündlich den ungefähren Inhalt des hauptsächlich belastenden Briefes mitzuteilen. Sie verständigen den französischen Botschafter, sie verhören hochnotpeinlich die gefangenen Diener Bothwells und nehmen mit ihnen Protokolle auf: eine solche siegesgewisse, zielstrebige Haltung wäre undenkbar, wenn die Papiere nicht die gefährliche Verstrickung Maria Stuarts mit Bothwell prozessual überzeugend dargetan hätten. Mit einem Schlag hat sich die Situation für die Königin bedenklich verdüstert.

Denn die Entdeckung dieser Briefe in diesem kritischen Augenblick bedeutet eine ungeheure Stärkung der Position der Rebellen. Sie gibt ihnen endlich die lang ersehnte moralische Motivierung für ihre Unbotmäßigkeit. Bisher hatten sie bloß Bothwell als den Schuldigen am Königsmord bezeichnet, sich aber gleichzeitig wohl gehütet, dem Flüchtigen ernstlich nachzusetzen, aus Furcht, er könnte ihre eigene Mitschuld anprangern. Gegen die Königin dagegen hatten sie nichts anderes bisher vorbringen können, als daß sie diesen Mörder geheiratet hätte. Jetzt aber, dank dieser Briefe, »entdecken« sie mit einmal, die Unschuldigen und Ahnungslosen, daß die Königin mitschuldig gewesen, und durch ihre unvorsichtig-schriftlichen Geständnisse steht diesen geübten und zynischen Erpressern ein mächtiges Mittel zur Verfügung, um auf den Willen der Königin zu drücken. Jetzt haben sie endlich den Hebel in der Hand, sie zu zwingen, »freiwillig« die Krone auf ihren Sohn zu übertragen, oder, wenn sie sich weigert, sie öffentlich des Ehebruchs und der Mordbeihilfe anklagen zu lassen.

Anklagen zu lassen und nicht anzuklagen. Denn die Lords wissen wohl, daß Elisabeth ihnen selbst eine Jurisdiktion über ihre Königin niemals zubilligen würde. So bleiben sie vorsichtig im Hintergrund und lassen die Forderung eines öffentlichen Prozesses lieber durch Dritte instrumentieren. Dieses Geschäft, die öffentliche Meinung gegen Maria Stuart aufzureizen, übernimmt nun gerne für sie mit seiner ehrlichen harten Haßfreude John Knox. Nach der Ermordung Rizzios war der fanatische Agitator vorsichtig außer Landes gegangen. Jetzt aber, da sich all seine düsteren Prophezeiungen über die »blutige Jezabel« und das Unheil, das sie durch ihre Leichtfertigkeit anstiften werde, in verblüffender Weise erfüllt und übertroffen haben, kehrt er im Mantel des Propheten nach Edinburgh zurück. Von der Kanzel her wird nun laut und deutlich die Forderung nach einem Prozeß gegen die sündige Papistin gestellt, der biblische Priester verlangt das Gericht über die ehebrecherische Königin. Von Sonntag zu Sonntag schlagen die reformierten Prediger immer schärfere Töne an. Es dürfe ebensowenig, rufen sie von den Kanzeln herab in die begeisterte Menge, einer Königin wie der geringsten Frau im Lande Ehebruch und Mord nachgesehen werden. Klar und deutlich begehren sie die Hinrichtung Maria Stuarts, und diese ständige Aufreizung verfehlt ihre Wirkung nicht. Bald ergießt sich der Haß von der Kirche auf die Straße. Erregt von der Aussicht, eine Frau, zu der sie so lange ängstlich emporgeblickt, im Armesünderkleid zum Schafott geführt zu sehen, verlangt der Pöbel, dem bisher in Schottland noch niemals Stimme und Wort gegeben war, öffentlichen Prozeß, und mit besonderem Eifer toben die Frauen gegen die Königin. »The women were most furious and impudent against her, yet the men were bad enough.« Denn jede arme Frau in Schottland weiß, daß Pranger und Scheiterhaufen ihr Los gewesen wäre, wenn sie ehebrecherischer Lust ebenso kühn nachgegeben hätte – soll gerade diese eine Frau, weil eine Königin, ungestraft buhlen und morden dürfen und dem Feuerbrand entgehen? Immer wilder braust der Ruf: »Verbrennt die Hure!« – »Burn the whore!« – durch das Land. Und voll redlicher Angst berichtet der englische Botschafter nach London: »Es ist zu fürchten, daß diese Tragödie in der Person der Königin so enden werde, wie sie mit David, dem Italiener, und dem Gatten der Königin begonnen hat.«

 

Mehr haben die Lords nicht gewollt. Nun steht das schwere Geschütz aufgefahren, um jeden weiteren Widerstand Maria Stuarts gegen eine »freiwillige« Abdankung zu zerschmettern. Schon sind die Akten vorbereitet, um die Forderung John Knoxens nach Anklage der Königin zu erfüllen, und zwar soll Maria Stuart angeklagt werden wegen »Verletzung der Gesetze« und – man wählt ein vorsichtiges Wort – »wegen ungebührlichen Verhaltens mit Bothwell und anderen« (incontinence with Bothwell and others). Weigert sich jetzt die Königin noch immer, abzudanken, so können die in der Kassette gefundenen Briefe im offenen Gerichtssaal verlesen und ihre Schmach enthüllt werden. Damit wäre die Rebellion vor der Welt genugsam gerechtfertigt. Für eine durch ihre eigene Handschrift überführte Mordhelferin und Buhlerin würden dann auch Elisabeth und die andern Monarchen nicht mehr als Verteidiger eintreten können.

Bewaffnet mit dieser Androhung öffentlichen Tribunals, reisen Melville und Lindsay am 25. Juli nach Lochleven. Sie tragen drei ausgefertigte Pergamente mit, die Maria Stuart unterzeichnen muß, wenn sie sich vor der Schmach öffentlicher Anklage retten will. In dem ersten hat Maria Stuart zu erklären, sie sei müde des Herrschens und »zufrieden«, die Last der Krone abzulegen, die sie weder Kraft noch Neigung habe, länger zu tragen. Der zweite Akt enthält die Zustimmung zur Krönung ihres Sohnes, der dritte die Einwilligung zur Übertragung der Regentschaft auf ihren Stiefbruder Moray oder einen Ersatzregenten.

Das Wort führt Melville, von all den Lords derjenige, der ihr menschlich am nächsten steht. Zweimal war er schon vordem gekommen, um den Konflikt gütlich zu schlichten und sie zur Abkehr von Bothwell zu bereden; beide Male hatte sie abgelehnt, weil sonst das Kind, das sie von Bothwell im Schöße trage, als Bastard zur Welt käme. Jetzt aber, nach der Auffindung der Briefe, geht es hart auf hart. Zuerst leistet die Königin auf leidenschaftlichste Weise Widerstand. Sie bricht in Tränen aus, sie schwört, sie wolle lieber auf das Leben verzichten als auf die Krone, und diesen Eid hat sie durch ihr Schicksal wahr gemacht. Aber rückhaltslos und in den krassesten Farben malt ihr Melville aus, was sie erwartet: die öffentliche Verlesung der Briefe, die Vernehmung der gefangenen Diener Bothwells, das Tribunal mit Verhör und Verurteilung. Mit Schauern wird Maria Stuart ihrer Unvorsichtigkeit gewahr, und in welchen Schmutz, in welche Schande sie sich verstrickt hat. Allmählich bricht die Angst vor öffentlicher Erniedrigung ihre Kraft. Nach langem Zögern, nach wilden Ausbrüchen der Empörung, der Entrüstung, der Verzweiflung, gibt sie endlich nach und unterzeichnet die drei Dokumente.

Die Vereinbarung ist geschlossen. Aber wie immer bei schottischen »Bonds«, denkt keine der beiden Parteien ernstlich daran, sich an Eid und Wort gebunden zu halten. Die Lords werden nichtsdestoweniger die Briefe Maria Stuarts vor dem Parlament verlesen und ihre Mitschuld in die Welt posaunen, um ihr die Rückkehr unmöglich zu machen. Andererseits betrachtet sich Maria Stuart ebensowenig als entthront, weil sie einen Federstrich Tinte auf ein totes Pergament gesetzt hat. Alles, was dieser Welt Wirklichkeit und Wesen gibt, Ehre, Eid, Schwur, war allezeit für sie nichtig gegenüber der innern Wahrheit ihres Königrechts, das sie so unlösbar von ihrem Leben fühlt wie das warme, strömende Blut in ihren Adern.

 

Wenige Tage später wird der kleine König gekrönt: das Volk muß sich mit einem mindern Schauspiel begnügen, als es ein munteres Autodafé auf offenem Platze gewesen wäre. Die Zeremonie findet in Stirling statt, Lord Atholl trägt die Krone, Morton das Zepter, Glencairn das Schwert und Mar in seinen Armen den Knaben, der von dieser Stunde an James VI. von Schottland genannt wird. Und daß John Knox die Segnung vornimmt, soll vor der Welt bezeugen, daß dies Kind, dieser neugekrönte König, für alle Zeiten den Fallstricken des römischen Irrglaubens entrissen ist. Vor den Toren jubelt das Volk, festlich läuten die Glocken, Bonfires werden im ganzen Lande entzündet. Für den Augenblick – immer nur für einen Augenblick – herrscht wieder Freude und Friede in Schottland.

Nun, da alle grobe und peinliche Arbeit von den anderen besorgt ist, kann Moray, der Mann des feinen Spiels, als Triumphator heimkehren. Wieder einmal hat sich seine perfide Politik bewährt, bei gefährlichen Entscheidungen lieber im Hintergrund zu bleiben. Er war abwesend gewesen bei der Ermordung Rizzios, bei der Ermordung Darnleys, er hat nicht teilgehabt an dem Aufstand gegen seine Schwester: kein Makel befleckt seine Loyalität, kein Blut seine Hände. Alles hat für den klug Abwesenden die Zeit getan. Weil er berechnend zu warten gewußt, fällt ihm auf die ehrenhafteste Weise und ohne Mühe alles zu, was er tückisch für sich angestrebt. Einhellig bieten ihm als dem Klügsten die Lords die Regentschaft an.

Aber Moray, zum Herrscher geboren, weil er sich selbst zu beherrschen weiß, greift keineswegs gierig zu. Er ist zu klug, sich von Männern, über die er späterhin gebieten will, eine solche Würde wie eine Gnade verleihen zu lassen. Außerdem will er den Anschein vermeiden, als käme er, der liebende und unterwürfige Bruder, ein Recht zu beanspruchen, das seiner Schwester gewaltsam entrissen wurde. Sie selbst soll ihm – psychologischer Meisterstreich – diese Regentschaft aufdrängen: von beiden Parteien will er bestallt und gebeten sein, von den rebellischen Lords und der entthronten Königin.

Die Szene seines Besuches in Lochleven ist eines großen Dramatikers würdig. Impulsiv wirft sich, kaum daß sie ihn erblickt, die unglückliche Frau schluchzend in ihres Stiefbruders Arme. Jetzt hofft sie, endlich alles zu finden, Trost, Unterstützung und Freundschaft und vor allem den so lange entbehrten aufrichtigen Rat. Aber Moray blickt mit gespieltem Frost auf ihre Erregung. Er führt sie in ihr Zimmer, hält ihr mit harter Rede vor, was sie begangen, mit keinem Wort verheißt er ihr Hoffnung auf Nachsicht. Vollkommen verstört durch seine schneidende Kälte bricht die Königin in Tränen aus und versucht, sich zu entschuldigen, sich zu erklären. Aber Moray, der Ankläger, schweigt, schweigt und schweigt mit verdüsterter Stirn; er will in der verzweifelten Frau die Angst wach halten, als ob sein Schweigen eine noch bösere Botschaft verberge.

Die ganze Nacht läßt Moray seine Schwester im Fegefeuer dieser Angst; das furchtbare Gift der Unsicherheit, das er ihr eingeträufelt, soll bis tief nach innen brennen. Die schwangere Frau, unkund der Vorgänge in der äußern Welt – man hat den ausländischen Botschaftern jeden Besuch verweigert –, weiß nicht, was ihr bevorsteht, Anklage oder Gericht, Schmach oder Tod. Schlaflos verbringt sie die Nacht, und am nächsten Morgen ist ihre Widerstandskraft völlig gebrochen. Nun setzt Moray allmählich mit Milde ein. Er deutet vorsichtig an, für den Fall, daß sie keinen Versuch unternehme, zu fliehen oder sich mit auswärtigen Mächten zu verständigen, und vor allem, wenn sie nicht länger an Bothwell festhalte, könnte man vielleicht – vielleicht – er sagt es mit ungewissem Ton – noch versuchen, ihre Ehre vor der Welt zu retten. Schon dieser schüchterne Schimmer einer Hoffnung belebt die leidenschaftliche, verzweifelte Frau. Sie wirft sich in ihres Bruders Arme, sie bittet, sie fleht ihn an, er möge die Regentschaft übernehmen. Nur dann sei ihr Sohn gesichert, das Königreich wohl verwaltet und sie selber außer Gefahr. Sie bittet und bittet, und Moray läßt sich lange und vor Zeugen bitten, ehe er endlich großmütig annimmt, was aus ihrer Hand zu erhalten er einzig gekommen war. Nun kann er zufrieden weggehen, getröstet bleibt Maria Stuart zurück, denn nun, da sie die Macht in ihres Bruders Hand weiß, kann sie hoffen, daß jene Briefe Geheimnis bleiben werden und damit ihre Ehre vor der Welt gewahrt.

Aber für Machtlose gibt es kein Mitleid. Sobald Moray die Herrschaft in seinen harten Händen hat, wird es sein erstes sein, eine Rückkehr seiner Schwester für immer zu verhindern: als Regent muß er die unbequeme Prätendentin moralisch erledigen. Von einer Freilassung aus der Gefangenschaft ist keine Rede mehr, im Gegenteil, alles wird getan, Maria Stuart dauernd festzuhalten. Obgleich er sowohl Elisabeth als auch seiner Schwester versprochen hatte, deren Ehre zu schützen, duldet er doch, daß im schottischen Parlament am 15. Dezember die kompromittierenden Briefe und Sonette Marias an Bothwell aus der silbernen Kassette geholt, vorgelesen, verglichen und einhellig für eigenhändig erkannt werden. Vier Bischöfe, vierzehn Äbte, zwölf Earls, fünfzehn Lords und mehr als dreißig Angehörige des Kleinadels, darunter mehrere nahe Freunde der Königin, bekräftigen mit Ehre und Eid die Echtheit dieser Briefe und Sonette, keine einzige Stimme, selbst die ihrer Freunde nicht – wichtiges Faktum –, erhebt den mindesten Zweifel, und damit wird die Szene zum Tribunal; unsichtbar steht die Königin vor ihren Untertanen vor Gericht. Alles, was Widerrechtliches in den letzten Monaten geschehen war, der Aufstand, die Gefangenennahme, wird nach der Verlesung der Briefe nun als rechtlich gutgeheißen, ausdrücklich wird erklärt, daß die Königin ihr Schicksal verdient habe, da sie »art and part«, wissend und tätig an der Ermordung ihres rechtmäßigen Gemahls teilgenommen habe, und zwar, »sei dies erwiesen durch die Briefe, die sie mit eigener Hand vor und nach der Ausführung der Tat an Bothwell, den Haupttäter dieses Mordes, geschrieben habe, sowie durch jene unwürdige Heirat sofort nach dem Morde«. Damit außerdem noch die ganze Welt Maria Stuarts Schuld erfahre und allen kund sei, daß die biederen, ehrlichen Lords nur aus reiner moralischer Entrüstung zu Rebellen geworden seien, werden Abschriften jener Briefe an alle auswärtigen Höfe geschickt; damit ist Maria Stuart öffentlich das Brandmal der Verfemten aufgedrückt. Und mit diesem roten Zeichen auf der Stirn wird sie, so hoffen Moray und die Lords, nie mehr die Krone für ihr schuldiges Haupt zu fordern wagen.

Aber Maria Stuart ist zu sehr vermauert in ihre königliche Selbstgewißheit, als daß Schimpf oder Schande sie demütigen könnten. Kein Brandmal, so fühlt sie, kann eine Stirn entstellen, die den Kronreif getragen und die gesalbt ist mit dem heiligen Öl der Berufung. Keinem Spruch und keinem Befehl wird sie das Haupt beugen; je gewaltsamer man sie niederzwingen will in ein kleines und rechtloses Schicksal, um so entschlossener bäumt sie sich auf. Ein solcher Wille läßt sich nicht dauernd verschließen; er sprengt alle Mauern, er überflutet alle Dämme. Und legt man ihn in Ketten, so wird er ungestüm daran rütteln, daß die Wände und Herzen erbeben.


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