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April bis Juni 1567
Unwillkürlich, es ist wie ein innerer Zwang, muß man, nun die Bothwell-Tragödie ihrem Höhepunkt entgegenschreitet, immer und immer wieder an Shakespeare denken. Schon die äußere Ähnlichkeit der Situation mit jener der Hamlet-Tragödie ist unverkennbar. Da wie dort ein König, der heimtückisch von dem Liebhaber seiner Frau aus dem Wege geräumt wird, da wie dort die unziemliche Eile, in der die Witwe mit dem Mörder ihres Mannes zum Altar hastet, da wie dort die fortwirkende Kraft eines Mordes, den zu verbergen und zu verleugnen mehr Anstrengung erfordert, als vordem nötig war, ihn zu vollbringen. Schon diese Ähnlichkeit ist eine überraschende. Aber noch stärker, noch bezwingender für das Gefühl wird dann die erstaunliche Analogie mancher Szenen von Shakespeares schottischer Tragödie mit der historischen. Shakespeares Macbeth ist aus der Atmosphäre des Maria-Stuart-Dramas bewußt oder unbewußt geschaffen; was in Schloß Dunsinan dichterisch geschieht, war vordem in Schloß Holyrood in Wahrheit geschehen. Hier wie dort nach vollbrachtem Mord dieselbe Einsamkeit, die gleiche lastende Seelenfinsternis, dieselben grauenvollen Feste, bei denen niemand sich zu freuen wagt und wo einer nach dem andern sich wegschleicht, weil die schwarzen Raben des Unheils schon kreischend das Haus umflügeln. Manchmal kann man es kaum unterscheiden: ist es Maria Stuart, die dort nachts herumirrt in den Gemächern, schlaflos, verstört, todessüchtig gepeinigt von ihrem Gewissen, oder ist es Lady Macbeth, die das unsichtbare Blut abwaschen will von ihren Händen? Ist es Bothwell oder ist es Macbeth, der immer entschlossener, immer härter wird an der vollbrachten Tat, der immer kühner, immer verwegener die Feindschaft des ganzen Landes herausfordert und doch weiß, daß aller Mut vergeblich ist und immer die Gespenster stärker sind als der lebendige Mann. Hier und dort die Leidenschaft einer Frau als die treibende Kraft und der Mann als der Täter, und furchtbar ähnlich vor allem die Atmosphäre, der wuchtende Druck über den verwirrten, gequälten Seelen, Mann und Weib aneinandergekettet durch das gleiche Verbrechen, einer den andern hinabreißend in dieselbe schaurige Tiefe. Nie in der Weltgeschichte und nie in der Weltliteratur ist die Psychologie eines Verbrechens und die geheimnisvoll wirkende Gewalt des Ermordeten über einen Mörder so großartig dargetan worden wie in diesen beiden schottischen Tragödien, von denen die eine erdichtet ist und die andere erlebt.
Diese Ähnlichkeit, diese merkwürdige Analogie, ist sie wirklich nur ein Zufall? Oder ist nicht vielmehr anzunehmen, daß sich in Shakespeares Werk die Lebenstragödie Maria Stuarts gewissermaßen verdichtet und sublimiert hat? Immer haben Kindheitseindrücke eine unauslöschliche Macht über die dichterische Seele, und geheimnisvoll verwandelt der Genius frühe Anregung in später zeitüberdauernde Wirklichkeiten; unbedingt aber muß Shakespeare Kenntnis gehabt haben von allen Geschehnissen auf dem Schlosse von Holyrood. Seine ganze Kindheit am Lande muß erfüllt gewesen sein von den Erzählungen und Legenden jener romantischen Königin, die Reich und Krone durch eine unsinnige Leidenschaft verloren und die zur Strafe von einem englischen Schlosse zum andern geführt wird. Er war wahrscheinlich gerade in London, ein junger Mensch, schon halb ein Mann und ganz ein Dichter, als die Glocken jubelnd über die Gassen der Stadt schwangen, daß endlich das Haupt der großen Gegnerin Elisabeths gefallen und Darnley seine ungetreue Frau zu sich ins Grab gerissen. Wie er dann später in Holinsheds Chronik die Geschichte des finsteren Königs von Schottland fand, »hat da nicht unbewußt die Erinnerung an Maria Stuarts tragischen Untergang geheimnisvoll, in dichterischer Chemie, Stoff zu Stoff gebunden? Niemand kann es mit Sicherheit behaupten, niemand auch leugnen, daß Shakespeares Tragödie von jener Lebenstragödie Maria Stuarts bestimmt gewesen. Aber nur, wer Macbeth gelesen und durchfühlt hat, wird ganz Maria Stuart in jenen Tagen von Holyrood begreifen können, die abgründige Qual einer starken Seele, die ihrer stärksten Tat nicht gewachsen war.
Erschütternd innerhalb dieser beiden Tragödien, der gedichteten und der gelebten, ist vor allem die Ähnlichkeit in der Verwandlung Maria Stuarts und Lady Macbeths nach der vollbrachten Tat. Lady Macbeth ist vorher eine liebende, eine heiße, energische Frau, voll von Willen und Ehrgeiz. Nur ihres geliebten Mannes Größe will sie sehen, und von ihrer Hand könnten die Zeilen aus Maria Stuarts Sonetten geschrieben sein: »Pour luy je veux rechercher la grandeur ...«
Von ihrem Ehrgeiz geht alle Triebkraft aus zur Tat, listig handelt Lady Macbeth und entschlossen, solange die Tat nur Wille ist, Vorsatz und Plan, solange das heiße rote Blut noch nicht über ihre Hände, nicht über ihre Seele geströmt ist. Mit gleich schmeichlerischen Worten wie Maria Stuart Darnley nach Kirk o'Field lockt sie Duncan in das Schlafzimmer, wo der Dolch seiner wartet. Aber sofort nach der Tat ist sie eine andere, die Kraft gebrochen, der Mut zerstört. Wie ein Feuer brennt das Gewissen im lebendigen Leibe, mit starren Blicken, eine Wahnsinnige, irrt sie durch die Gemächer, ein Schauer für ihre Freunde, ein Grauen für sich selbst. Eine einzige irre Gier vergiftet ihr gequältes Gehirn: die Gier des Vergessens, eine krankhafte Sehnsucht nach dem Nicht-mehr-Wissen, nach dem Nicht-mehr-daran-denken-Müssen, nach dem Untergang. Und genau so Maria Stuart nach Darnleys Ermordung. Mit einmal ist sie verwandelt, verändert, und selbst ihre Züge zeigen eine solche Fremdheit im Vergleich zu ihrem früheren Wesen, daß Drury, der Spion Elisabeths, nach London schreibt: »Nie hat man eine Frau äußerlich in so kurzer Zeit ohne eine schwere Krankheit so verwandelt gesehen wie die Königin.« In nichts erinnert sie mehr an die heitere, besonnene, gesprächige, selbstsichere Frau, die sie noch vor einigen Wochen gewesen. Sie schließt sich ein, sie verbirgt sich, sie versteckt sich. Vielleicht hofft sie wie Macbeth und Lady Macbeth noch immer, die Welt werde schweigen, wenn sie selber schweige, und die schwarze Welle gnädig über ihr Haupt hinweggehen. Aber wie dann die Stimmen zu fragen, zu drängen beginnen, wie sie nachts von den Straßen Edinburghs die Namen der Mörder zu ihren Fenstern hinaufrufen hört, wie Lennox, der Vater des Ermordeten, und Elisabeth, ihre Feindin, und Beaton, ihr Freund, wie die ganze Welt von ihr Rede und Antwort und Richtspruch fordert, wird sie allmählich wirr. Sie weiß, sie müßte etwas tun, um die Tat zu decken, zu entschuldigen. Aber ihr fehlt die Kraft zur überzeugenden Antwort, das kluge, täuschende Wort. Gleichsam durch einen hypnotischen Schlaf hört sie die Stimmen aus London, aus Paris, aus Madrid, aus Rom reden und mahnen und warnen und kann sich nicht aufraffen aus ihrer Seelenstarre, sie vernimmt all die Rufe nur wie ein lebendig Begrabener die Schritte über der Erde, wehrlos, machtlos und verzweifelt. Sie weiß: jetzt müßte sie die trauernde Witwe spielen, die verzweifelte Gattin, laut schluchzen und klagen, damit man an ihre Unschuld glaube. Aber die Kehle ist ihr trocken, sie kann nicht mehr sprechen, sie vermag nicht noch länger sich zu verstellen. Das geht so Wochen und Wochen, und schließlich erträgt sie es nicht mehr. Wie ein Wild, von allen Seiten umstellt, sich mit dem Mut der äußersten Angst gegen die Verfolger wendet, so wie Macbeth, um sich zu sichern, neuen Mord häuft auf den Rache fordernden Mord, so rafft sich Maria Stuart jetzt endlich auf aus dieser nicht mehr zu ertragenden Starre. Vollkommen gleichgültig ist ihr geworden, was die Welt von ihr denkt, ob es klug ist oder unsinnig, was sie unternimmt. Nur dieses Stillehalten nicht mehr, nur etwas tun, nur weiter jetzt und weiter und immer rascher und immer rascher, um den Stimmen zu entfliehen, den warnenden und den drohenden. Nur vorwärts, nur vorwärts, nur nicht innehalten und nicht nachdenken, denn sonst müßte sie erkennen, daß keine Klugheit sie mehr retten kann. Immer ist es eines der Seelengeheimnisse, daß Geschwindigkeit für kurze Frist die Angst übertäubt, und wie ein Fuhrmann, wenn er die Brücke unter seinem Wagen knistern und splittern fühlt, den Pferden die Peitsche gibt, denn er weiß, nur das Vorwärtsrasen kann ihn retten, so jagt Maria Stuart das schwarze Roß ihres Schicksals verzweifelt vorwärts, um jedes Bedenken zu überrennen, jeden Einspruch zu zerstampfen. Nur nichts mehr denken, nichts mehr wissen, nichts mehr hören, nichts mehr sehen, nur weiter und weiter in den Wahnsinn hinein! Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende! Ewiges Gesetz: ein Stein fällt immer schneller, je mehr er sich dem Abgrund nähert, und so handelt auch eine Seele immer hastiger und unsinniger, wenn sie keinen Ausweg mehr weiß.
Alles, was Maria Stuart in diesen Wochen nach dem Mord unternimmt, ist mit klarer Vernunft nicht zu erklären, sondern einzig aus der Verstörung einer maßlosen Angst. Denn selbst mitten in ihrer Raserei müßte sie sich sagen, daß sie ihre Ehre für immer vernichtet und vertan hat, daß ganz Schottland, ganz Europa eine Heirat wenige Wochen nach der Ermordung und gerade mit dem Mörder ihres Gatten als beispiellose Provokation des Rechts und der Sitte empfinden müssen. Nach einem Jahr, nach zwei Jahren heimlichen Sichverhaltens hätte die Welt vielleicht jene Zusammenhänge vergessen; mit kluger diplomatischer Vorbereitung könnte man dann allerlei Gründe finden, daß sie ihn, gerade Bothwell, zu ihrem Gatten wählt. Nur eines kann und muß Maria Stuart ins Verderben stürzen, wenn sie, ohne die Trauerzeit einzuhalten, mit so provokatorischer Hast dem Mörder die Krone des Ermordeten auf das Haupt setzt. Gerade dies aber, gerade dies Wahnwitzigste sucht Maria Stuart jetzt mit der auffälligsten Eile zu erzwingen.
Für dieses unerklärliche Verhalten einer sonst klugen und leidlich besonnenen Frau gibt es nur eine einzige Erklärung: Maria Stuart steht unter einem Zwang. Offenbar kann sie nicht warten, weil etwas sie nicht warten läßt, weil Warten und Zögern ein Geheimnis unaufhaltsam verraten muß, das zur Stunde noch niemand weiß. Und man kann gar keine andere Erklärung für ihr wildes Hineinrennen in die Heirat mit Bothwell finden – und die Ereignisse werden diese Vermutung bestätigen –, als daß diese unglückliche Frau sich damals bereits schwanger wußte. Aber es ist kein Postumus, kein nachgeborener Sohn des Königs Heinrich Darnley, den sie im Schoße fühlt, sondern die Frucht verbotener, verbrecherischer Leidenschaft. Eine Königin von Schottland aber darf kein uneheliches Kind zur Welt bringen, und am wenigsten unter Umständen, die den Verdacht ihrer Schuld oder Mitschuld mit Feuerfarben an alle Wände schrieben. Denn unwiderleglich käme dann zu Tag, wie lustvoll sie mit ihrem Geliebten die Trauerzeit verbracht, und auch der schlechteste Rechner könnte an den Monaten nachzählen, ob Maria Stuart – schmählich das eine und schmählich das andere! – entweder schon vor der Ermordung Darnleys oder kurz nachher mit Bothwell bereits Umgang gehabt. Einzig rasche Legitimierung durch Ehe kann die Ehre des Kindes und halbwegs die eigene retten. Denn ist sie zu jener Zeit, da das Kind zur Welt kommt, schon Bothwells Gattin, so kann man die Vorzeitigkeit noch eher entschuldigen, und immerhin ist einer zur Stelle, diesem Kinde seinen Namen zu geben und sein Recht zu verteidigen. Jeder Monat, jede Woche, welche die Heirat mit Bothwell verzögert, ist darum unrettbar verlorene Frist. Und vielleicht erscheint ihr – furchtbare Wahl – das Ungeheuerliche, den Mörder ihres eigenen Gatten zum Gemahl zu nehmen, weniger schmachvoll, als mit einem vaterlosen Kinde ihr Vergehen der Welt einzugestehen. Nur wenn man diesen elementaren Zwang der Natur als wahrscheinlich annimmt, wird das Unnatürliche von Maria Stuarts Verhalten in diesen Wochen verständlich; alle andern Auslegungen sind künstlich und verdunkeln das seelische Bild. Nur wenn man diese Angst – eine Angst, die Millionen Frauen zu allen Zeiten erlebten und welche auch die Reinsten und Kühnsten zu irrwitzigen und verbrecherischen Taten getrieben hat – nur wenn man diese quälende Furcht vor der Aufdeckung ihrer Beziehungen durch eine unwillkommene Schwangerschaft begreift, kann man die Hast ihrer zerrütteten Seele verstehen. Nur dies, und dies allein, erschließt einen gewissen Sinn im Wahnsinn ihrer Überstürzung und gewährt zugleich einen tragischen Blick in die ganze Tiefe ihrer innern Not.
Entsetzliche, erschütternde Situation, kein Teufel könnte eine grausamere ersinnen. Einerseits drängt, weil die Königin sich schwanger fühlt, die Zeit zu äußerster Eile, und zugleich macht diese Eile sie mitschuldig. Als Königin von Schottland, als Witwe, als Frau von Anstand und Ehre, beobachtet von Stadt und Land und der ganzen europäischen Welt, darf Maria Stuart einen so berüchtigten und verdächtigen Mann wie Bothwell nicht zum Gemahl erheben. Und als hilflose Frau hat sie in ihrer ausweglosen Lage keinen anderen Retter als ihn. Sie darf ihn nicht heiraten und muß ihn doch heiraten. Um die Welt aber diesen innern Zwang zur Heirat nicht ahnen zu lassen, muß irgendein anderer äußerer erfunden werden, der ihre irrwitzige Eile etwas erklärlicher macht. Irgendein Vorwand muß ausgeklügelt werden, der dem gesetzlich und moralisch Widersinnigen einen Sinn gibt und Maria Stuart zu dieser Heirat zwingt.
Wie aber kann eine Königin gezwungen werden, einen Mann geringeren Standes zu heiraten? Nur eine Möglichkeit kennt der Ehrenkodex jener Zeit: wenn einer Frau die Ehre gewaltsam geraubt wird, dann hat der Räuber die Pflicht, die Ehre dieser Frau durch Heirat wiederherzustellen. Nur wenn sie als Frau zuvor vergewaltigt wurde, hätte Maria Stuart einen Schimmer von Entschuldigung, Bothwell zu heiraten. Denn nur dann wäre vor dem Volk die Illusion geschaffen, sie hätte nicht aus freiem Willen, sondern unter Zwang dem Unvermeidlichen nachgegeben.
Einzig aus letzter auswegloser Verzweiflung konnte ein solcher phantastischer Plan entstehen. Nur Irrwitz konnte solchen Irrwitz gebären. Selbst Maria Stuart, sonst mutig und entschlossen in entscheidenden Augenblicken, schauert zurück, als Bothwell ihr dieses tragische Possenspiel vorschlägt. »Ich wollte, ich wäre tot, denn ich sehe, alles geht schlimm aus«, schreibt die Gepeinigte. Aber wie die Moralisten auch über Bothwell denken mögen, er bleibt immer derselbe in seiner prachtvollen Desperadoverwegenheit. Ihn schreckt gar nicht, daß er vor ganz Europa den schamlosen Schurken zu spielen hat, den Vergewaltiger einer Königin, den Straßenräuber, welcher sich über Recht und Sitte zynisch hinwegsetzt. Und sollte die Hölle vor ihm offenstehen: er ist nicht der Mann, auf halbem Wege innezuhalten, wenn es eine Krone gilt. Keine Gefahr gibt es, vor der er zurückbebte, und an Mozarts Don Juan muß man denken, an seine freche und verwegene Geste, mit der er den steinernen Komtur zur tödlichen Mahlzeit herausfordert. Neben ihm schaudert sein Leporello, sein Schwager Huntly, der eben für ein paar Pfründen in die Scheidung seiner Schwester von Bothwell gewilligt hat. Diesem minder Wagemutigen graut vor dieser tollen Komödie, er eilt zur Königin und versucht, sie abzureden. Aber Bothwell ist es gleichgültig, ob noch einer mehr gegen ihn steht nach so frecher Herausforderung der ganzen Welt, ihn schreckt es auch nicht, daß der Plan des Überfalls wahrscheinlich schon verraten ist – der Spion Elisabeths meldet ihn bereits einen Tag vor der Ausführung nach London –, ihn kümmert es ganz und gar nicht, ob man diese Entführung für echt oder gespielt hält, wenn sie ihn nur seinem Ziele näher bringt, König zu werden. Was er will, das tut er – und sei es gegen Tod und Teufel – und hat dabei noch die Kraft, die Unwillige mit sich zu reißen.
Denn abermals gewahrt man aus den Kassettenbriefen, wie verzweifelt der innere Instinkt Maria Stuarts sich gegen den harten Willen ihres Herrn wehrt. Deutlich sagt ihr eine Ahnung, daß auch mit diesem neuerlichen Betrug sie nicht die Welt, sondern nur sich selber betrügen wird. Aber wie immer gehorcht die Hörige dem Manne, dem sie ihren Willen hingegeben. Gehorsam, wie sie half, Darnley aus Glasgow zu entführen, ist sie schweren Herzens bereit, sich selber »entführen« zu lassen, und Szene um Szene wird gemäß dem entworfenen Plan die Komödie dieser einverständlichen Vergewaltigung durchgeführt.
Am 21. April, nur wenige Tage nach dem erzwungenen Freispruch vor dem Adelsgericht und der »Belohnung« Bothwells im Parlament, am 21. April, knapp zwei Tage, nachdem Bothwell in Ainslies Taverne die Zustimmung der meisten Lords zu seiner Heirat abgepreßt, und genau neun Jahre, seit sie als halbes Kind dem Dauphin von Frankreich vermählt worden, empfindet Maria Stuart, bisher eine wenig besorgte Mutter, das dringende Bedürfnis, ihren kleinen Sohn in Stirling zu besuchen. Mißtrauisch empfängt sie der Graf Mar, dem der Kronprinz zur Hut anvertraut ist, denn wahrscheinlich sind schon allerhand Gerüchte durchgesickert. Nur in Begleitung anderer Frauen darf Maria Stuart ihren Sohn sehen, denn die Lords befürchten, sie könnte sich des Kindes bemächtigen und es Bothwell ausliefern; allen ist schon offenbar, daß diese Frau jedem und auch dem verbrecherischsten Befehl ihres Seelentyrannen hörig gehorcht. Nur von wenigen Reitern begleitet, darunter Huntly und Maitland, die zweifellos in den Plan verstrickt sind, reitet die Königin dann wiederum zurück. Da nähert sich, sechs Meilen vor der Stadt, plötzlich ein starker Trupp von Berittenen, Bothwell an der Spitze, und »überfällt« den Zug der Königin. Selbstverständlich kommt es zu keinem Kampf, denn Maria Stuart verbietet, »um Blutvergießen zu vermeiden«, ihren Getreuen, Widerstand zu leisten. Es genügt, daß Bothwell den Zügel ihres Pferdes faßt, und schon gibt sie sich willig »gefangen« und läßt sich zu süßer und sinnlicher Haft auf das Schloß Dunbar führen. Einem allzu eifrigen Kapitän, der Verstärkungen heranführen und die »Gefangene« befreien will, wird schleunigst abgewinkt, und auch die Mitüberfallenen, Huntly und Maitland, werden auf das liebenswürdigste entlassen. Niemandem soll die geringste Unbill geschehen, nur sie selber muß in der »Haft« des geliebten Gewalttäters zurückbleiben. Mehr als eine Woche teilt die »Vergewaltigte« das Bett des Schänders ihrer Ehre, während gleichzeitig in Edinburgh mit fliegender Hast und kräftigen Bestechungen die Scheidung Bothwells von seiner rechtmäßigen Gattin bei den geistlichen Gerichten betrieben wird, und zwar bei den protestantischen unter dem schäbigen Vorwand, er habe sich ehebrecherisch mit einer Dienstmagd vergangen, bei den katholischen wiederum mit der verspäteten Entdeckung, er sei mit seiner Frau Jane Gordon im vierten Grade verwandt. Endlich ist auch dieser dunkle Handel abgeschlossen. Nun kann der Welt gemeldet werden, Bothwell habe als frecher Wegelagerer die ahnungslose Königin überfallen und mit seiner wilden Begierde befleckt: einzig die Heirat mit dem Manne, der sie wider ihren Willen besessen, könne die Ehre der Königin von Schottland wiederherstellen.
Zu plump ist diese »Entführung« vorgetäuscht, als daß irgend jemand ernstlich glaubte, die Königin von Schottland habe sich wirklich »Gewalt antun lassen«; selbst: der spanische Gesandte, der wohlgesinnteste von allen, meldet nach Madrid, die ganze Sache sei abgekartet gewesen. Aber sonderbarerweise sind es gerade diejenigen, die den Betrug am besten durchschauen, welche jetzt tun, als ob sie an eine wirkliche »Gewalttat« glaubten: die Lords, die bereits wieder einen »Bond« zur Beseitigung Bothwells geschlossen haben, begehen die beinahe geistvolle Bosheit, die Komödie der Entführung feierlich ernst zu nehmen. Auf einmal rührend treu, verkünden sie furchtbar entrüstet, »die Königin des Landes werde gegen ihren Willen festgehalten, und damit sei die Ehre Schottlands gefährdet«. Nun sind sie plötzlich wieder einig, um als biedere Untertanen das hilflose Lamm aus den Fängen des bösen Wolfes Bothwell zu befreien. Denn jetzt ist ihnen endlich der lang gesuchte Vorwand geschenkt, unter patriotischer Maske dem Militärdiktator in den Rücken zu fallen. Hastig rotten sie sich zusammen, um Maria Stuart von Bothwell zu »befreien« und damit die Heirat zu verhindern, die sie vor knapp einer Woche selber gefördert.
Nun kann Maria Stuart nichts Peinlicheres geschehen als diese plötzliche und zudringliche Beflissenheit ihrer Lords, sie vor dem »Entführer« zu beschützen. Denn damit sind ihr die Karten aus der Hand geschlagen, die sie so betrügerisch gemischt. Da sie in Wahrheit doch nicht »befreit« sein will von Bothwell, sondern im Gegenteil ihm ewig verbunden, muß sie der Lüge, Bothwell habe sie vergewaltigt, schleunig wieder kurze Beine machen. Hatte sie ihn gestern anschwärzen wollen, so muß sie ihn heute wieder weißwaschen; der ganze Effekt der Farce ist damit vertan. Nur damit man ihren Bothwell nicht verfolge, nicht anklage, macht sie sich eilig zum beredtesten Anwalt ihres Verführers. Sie ist zwar »sonderbar behandelt worden, seitdem aber so gut, daß sie gar keinen Grund zur Klage hätte«. Da niemand ihr Beistand geleistet hätte, »wäre sie gezwungen, ihren anfänglichen Unwillen zu sänftigen und nachzudenken über seinen Vorschlag«. Immer unwürdiger wird die Situation der im Dornbusch ihrer Leidenschaft verstrickten Frau. Die letzte Hülle über ihrer Scham bleibt in diesem Gestrüpp verfangen, und wie sie sich losreißt, steht sie nackt vor dem Hohn der Welt.
Eine tiefe Bestürzung erfaßt Maria Stuarts Freunde, als sie anfangs Mai die bisher von ihnen so verehrte Königin von Edinburgh zurückkehren sehen: Bothwell hält die Zügel ihres Rosses, und um anzudeuten, daß sie ihm freiwillig folge, werfen seine Soldaten ihre Lanzen zu Boden. Vergebens suchen die wenigen, die es wirklich ehrlich mit Maria Stuart und Schottland meinen, die Verblendete zu warnen. Du Croc, der französische Gesandte, erklärt ihr, wenn sie Bothwell heirate, sei die Freundschaft mit Frankreich zu Ende, einer ihrer Getreuen, Lord Herries, wirft sich ihr zu Füßen, und der immer bewährte Melville hat Mühe, sich vor der Rache Bothwells zu retten, weil er noch im letzten Augenblick die unselige Ehe verhindern will. Allen wird das Herz schwer, diese tapfere, freie Frau wehrlos dem Willen eines wilden Abenteurers hingegeben zu wissen, voll Sorge sehen sie voraus, daß Maria Stuart durch die unsinnige Hast, den Mörder ihres Mannes zu heiraten, Krone und Ehre verlieren wird. Gute Zeit hingegen ist für ihre Gegner gekommen. Jetzt sind alle die finstren Prophezeiungen John Knoxens furchtbar wahr geworden. Sein Nachfolger John Craig weigert sich zunächst überhaupt, das sündhafte Aufgebot in der Kirche anschlagen zu lassen, er nennt, ohne sich ein Blatt vor den Mund zu nehmen, diese Ehe »odious and slanderous before the world«, und erst als Bothwell ihm mit dem Galgen droht, läßt er sich zu Verhandlungen herbei. Aber tiefer und tiefer muß Maria Stuart sich dafür unter das Joch beugen. Denn jetzt, da sie alle wissen, mit welcher Ungeduld sie die Heirat beschleunigt haben will, fordert jeder als schamloser Erpresser von ihr das Äußerste für seine Einwilligung und Hilfe. Huntly bekommt alle Güter, die an die Krone gefallen waren, dafür zurück, daß er die Scheidung seiner Schwester von Bothwell durchdrückt, der katholische Bischof läßt sich wacker mit Ämtern und Würden bezahlen; den grimmigsten Preis aber verlangt die protestantische Geistlichkeit. Als harter Richter, nicht als Untertan stellt sich der Pastor der Königin und Bothwell gegenüber und fordert öffentliche Demütigung: sie muß sich bereit erklären, sie, die katholische Fürstin, die Nichte der Guisen, die Trauung auch nach reformiertem, also ketzerischem Ritus vornehmen zu lassen. Mit diesem schmählichen Kompromiß hat Maria Stuart den letzten Halt, die letzte Karte aus der Hand gegeben, die sie noch besaß, die Förderung durch das katholische Europa, sie hat die Gunst des Papstes, die Sympathien Spaniens und Frankreichs verloren. Jetzt steht sie ganz allein gegen alle. Furchtbar wahr sind die Worte geworden aus den Sonetten:
»Pour luy depuis j'ay mesprise l'honneur,
Ce qui nous peust seul pourvoir de bonheur.
Pour luy j'ay hazardé grandeur & conscience,
Pour luy tous mes parens J'ay quitte & amis.«
Aber kein Mittel kann den erretten, der sich selber aufgegeben; sinnlose Opfer erhören die Götter nicht.
Kaum je in ihren hunderten Jahren hat die Geschichte eine tragischere Hochzeitsszene überliefert als jene des 15. Mai 1567: die ganze Erniedrigung Maria Stuarts spiegelt sich in diesem düsteren Bild. Die erste Ehe mit dem Dauphin von Frankreich war am hellen Tage geschlossen worden: Tage des Glanzes und der Ehre. Zehntausende hatten der jungen Königin zugejubelt, aus Stadt und Land waren die Edelsten Frankreichs, die Gesandten aller Länder gekommen, um zusehen zu dürfen, wie, umschart von der königlichen Familie und der Auslese der Ritterschaft, die Dauphine sich nach Notre-Dame begab. An brausenden Tribünen, an winkenden Fenstern war sie vorübergeschritten, ein ganzes Volk hatte in Verehrung und Freude zu ihr aufgeblickt. Die zweite Hochzeit war schon stiller gewesen. Nicht mehr am lichten Tage, sondern im Frühdämmer, um sechs Uhr morgens, hatte sie der Priester dem Urenkel Heinrichs VII. verbunden. Aber immerhin, der Adel war zur Stelle gewesen und die auswärtigen Gesandten, tagelang rauschten damals die Feste, lärmte die Freude in Edinburgh. Diese aber, die dritte Heirat mit Bothwell – den sie noch in letzter Stunde hastig zum Herzog von Orkney ernennt – geschieht heimlich wie ein Verbrechen. Um vier Uhr morgens, noch schläft die Stadt, noch liegt die Nacht über den Dächern, schleichen scheu ein paar Gestalten in die Schloßkapelle, in der man – noch sind nicht drei Monate vergangen, noch trägt Maria Stuart das Trauergewand – die Leiche ihres ermordeten Gatten eingesegnet. Leer bleibt diesmal der Raum. Viele Gäste hat man geladen, aber beleidigend wenige sind gekommen, niemand will Zeuge sein, wie die Königin von Schottland den Ring an den Finger der Hand steckt, die Darnley gemeuchelt. Fast alle Lords ihres Königreiches sind ohne Entschuldigung weggeblieben, Moray und Lennox haben das Land verlassen, Maitland und Huntly, selbst sie, die Halbgetreuen, halten sich fern, und der einzige Mann, dem bisher die gläubige Katholikin ihre geheimsten Gedanken anvertrauen konnte, auch ihr Beichtvater hat für immer Abschied genommen; traurig bekennt der geistliche Hüter ihres Herzens, daß er sie jetzt als verloren betrachtet. Kein Mann, der auf Ehre hält, will zusehen, wie Darnleys Mörder Darnleys Frau ehelicht und dieser Frevelsbund vom Priester Gottes geheiligt wird. Vergebens hat Maria Stuart den französischen Gesandten beschworen, er möge zur Stelle sein, um einen Schein von Repräsentation zu retten. Aber der sonst so gütige Freund weigert sich entschlossen. Seine Gegenwart würde die Zustimmung Frankreichs bedeuten, »man könnte dann glauben«, sagt er, »mein König hätte seine Hand in diesen Vorgängen gehabt«; außerdem will er Bothwell nicht als den Gemahl der Königin anerkennen. Keine Messe wird gelesen, keine Orgel braust, rasch wird die Zeremonie abgetan. Nicht werden für abends Räume zum Tanz mit Kerzen erhellt, kein Bankett ist gerüstet. Nicht wie bei Darnleys Hochzeit wird mit dem Rufe »Largesse, largesse!« Geld hinabgeworfen unter das jubelnde Volk, die Kapelle gleicht, kalt, leer und dunkel, einem Sarg, und ernst wie Leidtragende stehen die Zeugen bei diesem sonderbaren Fest. Nicht in stolzer Auffahrt durchschreitet dann der Zug die Stadt, helle Gassen des Jubels entlang: angefröstelt von dem Grauen dieser leeren Kapelle ziehen sich die Vermählten hastig in ihre Gemächer zurück hinter verriegelte Türen.
Denn gerade jetzt, da sie am Ziele ist, auf das sie so verblendet mit losen Zügeln zugejagt, bricht Maria Stuart seelisch zusammen. Ihr wildester Wunsch ist erreicht, Bothwell zu haben, zu halten; mit brennenden Augen hat sie hingefiebert auf diese Stunde der Vermählung in dem Wahn: seine Nähe, seine Liebe würde alle Angst besiegen. Aber jetzt, da sie kein Ziel mehr hat, um fiebernd darauf hinzustarren, werden ihre Augen wach, sie sieht um sich und sieht mit einmal das Leere, das Nichts. Auch zwischen ihm, dem unsinnig Geliebten, und ihr scheinen gleich nach der Vermählung Unstimmigkeiten begonnen zu haben – immer, wenn zwei Menschen einander in das Verderben gestoßen haben, gibt einer dem andern die Schuld. Schon am Nachmittag dieses tragischen Hochzeitstages findet der französische Gesandte eine völlig verstörte und verzweifelte Frau; noch ist der Abend nicht gesunken, und schon steht zwischen den beiden Gatten plötzlich ein kalter Schatten. »Schon hat die Reue begonnen«, berichtet Du Croc nach Paris, »als Donnerstag Ihre Majestät nach mir sandte, fiel mir ein sonderbares Benehmen zwischen ihr und ihrem Gatten auf. Sie wollte es entschuldigen, indem sie sagte: wenn ich sie traurig sähe, so wäre es, weil sie nie mehr Freude haben wollte und nur eines wünschte, den Tod. Gestern, wie sie in einem Zimmer mit Graf Bothwell eingeschlossen war, hörte man sie laut schreien, man solle ihr ein Messer geben, um sich zu töten. Die Leute vernahmen es im Nebenzimmer und fürchten, daß, wenn ihr Gott nicht zu Hilfe kommt, sie sich in ihrer Verzweiflung etwas antun wird«. Bald melden neuerliche Berichte schwere Unstimmigkeiten zwischen den Ehegatten, angeblich betrachtet Bothwell die Scheidung von seiner jungen hübschen Gemahlin praktisch für ungültig und verbringt die Nächte mit ihr statt mit Maria Stuart. »Vom Tage der Hochzeit an«, meldet abermals der Botschafter nach Paris, »waren der Tränen und Klagen Maria Stuarts kein Ende«. Nun, da die Verblendete alles gewonnen hat, was sie dem Schicksal so glühend abverlangt, weiß sie, daß alles verloren ist und selbst der Tod noch Erlösung wäre aus dieser selbstgeschaffenen Qual.
Drei Wochen dauert im ganzen dieser bittre Honigmond Maria Stuarts und Bothwells; er ist eine einzige Angst und Agonie. Alles, was die beiden tun, um sich zu halten, sich zu retten, bleibt vergeblich. Bothwell behandelt in der Öffentlichkeit die Königin mit demonstrativer Ehrfurcht und Zärtlichkeit, er heuchelt Liebe und Demut, aber Worte und Gebärden zählen nicht mehr nach so fürchterlicher Tat; stumm und finster sieht die Stadt auf das verbrecherische Paar. Vergeblich wirbt der Diktator um das Volk, da die Adeligen sich fernhalten, er spielt den Liberalen, den Gütigen, den Frommen; er besucht die reformierten Predigten, jedoch die protestantische Geistlichkeit bleibt ebenso feindselig wie die katholische. Er schreibt demütige Briefe an Elisabeth: sie antwortet nicht. Er schreibt nach Paris: man blickt über ihn hinweg. Maria Stuart beruft die Lords: sie bleiben in Stirling. Sie fordert ihr Kind zurück: man liefert es nicht aus. Alles schweigt, alles bleibt grauenhaft stumm zu den beiden. Um eine gewisse Sicherheit und Heiterkeit vorzutäuschen, veranstaltet Bothwell noch hastig ein Maskenspiel und eine Wasserschlacht; selber reitet er zum Turnier, auf der Tribüne lehnt blaß die Königin und lächelt ihm zu; das Volk, immer neugierig, sammelt sich in Scharen, aber es jubelt nicht. Eine Lähmung der Angst, eine grausame Starre, die bei der ersten Bewegung in Zorn und Bitterkeit umschlagen muß, liegt über dem Lande.
Bothwell ist nun kein Mann, der sich sentimentalen Täuschungen hingibt. Als erfahrener Seemann spürt er in dieser lastenden Stille schon den kommenden Sturm. Entschlossen wie immer trifft er seine Vorbereitungen. Er weiß, man will ihm an das Leben, und das letzte Wort werden bald die Waffen sprechen; hastig rafft er darum von überall Reiter und Fußvolk zusammen, um gegen den Angriff gewappnet zu sein. Bereitwillig opfert Maria Stuart alles, was sie noch zu opfern hat, für seine Söldner, sie verkauft Juwelen, sie nimmt auf Borg, schließlich läßt sie sogar – eine Schmach für die schottische, eine Beleidigung für die englische Königin – das eben erst erhaltene Patengeschenk Elisabeths, das goldene Taufbecken, einschmelzen, einzig um daraus ein paar Goldmünzen zu gewinnen und die Agonie ihrer Herrschaft zu verlängern. Aber in immer drohenderer Stummheit scharen sich die Lords zusammen, wie ein Gewölk zieht es heran gegen das Königsschloß, jeden Augenblick kann der Blitz niederfahren. Bothwell nun kennt die Hinterlist seiner Kameraden zu gut, um dieser Ruhe zu trauen, er weiß, daß die Heimtückischen einen Handstreich aus dem Dunkel gegen ihn planen; er will ihren Angriff nicht in dem unbefestigten Holyrood erwarten und flüchtet am 7. Juni, knappe drei Wochen nach dem Hochzeitstag, in das starke Kastell von Borthwick, wo er seine eigenen Leute näher weiß. Dorthin beruft auch für den 12. Juni Maria Stuart als eine Art letzten Aufgebots ihre »subjects, noblemen, knights, esquires, gentlemen and yeomen« ein, in vollen Waffen und für sechs Tage mit Proviant versorgt; offenbar plant Bothwell, mit einem blitzschnellen Angriff die ganze Bande seiner Feinde niederzuschmettern, bevor sie sich gesammelt haben.
Aber gerade diese Flucht aus Holyrood macht den Lords Mut. Rasch rücken sie auf Edinburgh los und nehmen die Stadt ohne Widerstand. Der Mordhelfer James Balfour verrät schleunigst seinen Spießgesellen, er übergibt Bothwells Feinden das uneinnehmbare Schloß, und nun können unbesorgt tausend oder zweitausend Reiter nach Borthwick jagen, um sich Bothwells zu bemächtigen, ehe er seine Truppen kampfbereit hat. Doch Bothwell läßt sich nicht wie ein Hase fangen, rasch springt er aus dem Fenster und galoppiert davon, nur die Königin ist noch im Schlosse zurückgeblieben. Gegen ihre Monarchin wollen die Lords zunächst nicht die Waffen erheben, sie versuchen bloß, sie zu bereden, von ihrem Verderber, von Bothwell, abzulassen. Noch aber ist die unselige Frau ihrem Vergewaltiger mit Leib und Seele verfallen; in der Nacht zieht sie hastig Männerkleider an, schwingt sich kühn in den Sattel und reitet ohne Begleitung, alles hinter sich zurücklassend, nach Dunbar, um mit Bothwell zu leben oder zu sterben.
Ein bedeutsamer Wink sollte die Königin belehren, daß ihre Sache rettungslos verloren ist. Am Tage der Flucht nach Borthwick Castle verschwindet plötzlich »without leave-taking« ihr letzter Berater, Maitland von Lethington, der einzige, der selbst in diesen Wochen der Verblendung ihr durch eine gewisse Wohlmeinung verbunden gewesen. Ein bedenklich langes Stück ihres schlimmen Weges war Maitland mit seiner Herrin gegangen, keiner hat vielleicht so eifrig an dem Mordnetz für Darnley mitgewoben. Aber jetzt spürt er den scharfen Wind gegen die Königin. Und als echter Diplomat, der immer zu den Machthabern und nie zu den Machtlosen sein Segel dreht, will er nicht länger auf seiten einer verlorenen Sache bleiben. Mitten im Getümmel der Übersiedlung nach Borthwick lenkt er leise sein Pferd aus dem Troß und reitet hinüber zu den Lords. Die letzte Ratte hat das sinkende Schiff verlassen.
Aber nichts kann Maria Stuart, die Unbelehrbare, jetzt noch einschüchtern oder warnen. Gefahr steigert in dieser außerordentlichen Frau immer nur jenen wilden Mut, der ihren tollsten Torheiten eine romantische Schönheit schenkt. In Dunbar findet sie, in Männerkleidern einreitend, kein königliches Gewand, keinen Harnisch, keine Rüstung. Aber gleichgültig! Vorbei ist das Hofhalten und Repräsentieren, jetzt gilt es Krieg. So borgt sich Maria Stuart von irgendeinem armen Weib die schlichte landesübliche Tracht, einen kurzen Kilt, einen roten Kittel, einen Samthut; mag sie auch unziemlich, unköniglich darin erscheinen, wenn sie nur mit ihm, nur neben dem Manne reiten kann, der jetzt für sie alles auf Erden ist, seit sie alles verloren. Bothwell schart seine improvisierte Rotte hastig zusammen. Keiner ist gekommen von den einberufenen Rittern und Edelleuten und Lords, längst hört das Land nicht mehr auf seine Königin – nur die zweihundert gemieteten Harkebusiere marschieren als Kerntruppe gegen Edinburgh, und mit ihnen trabt ein schlecht bewaffnetes Pack von Bauern und Borderers, zusammen kaum mehr als zwölfhundert Mann. Einzig Bothwells männlicher Wille treibt sie vorwärts, um den Lords zuvorzukommen. Er weiß, nur unsinnige Kühnheit kann manchmal noch retten, wo die Vernunft keinen Ausweg mehr findet.
Bei Carberry Hill, sechs Meilen von Edinburgh, begegnen einander beide Rotten (Armeen kann man sie kaum nennen). Zahlenmäßig sind die Getreuen Maria Stuarts überlegen. Aber keiner der Lords, keiner der trefflich berittenen Edelleute des Landes stellt sich unter das herausfordernd ausgebreitete Banner des königlichen Löwen; außer den gemieteten Harkebusieren leisten nur die eigenen Clansleute, schlecht gerüstet und wenig kampffroh, Bothwell Gefolgschaft. Ihnen gegenüber aber, nicht weiter als eine halbe Meile entfernt, so nahe, daß Maria Stuart jeden einzelnen ihrer Gegner erkennen kann, reihen sich jetzt auf prachtvollen Pferden die Lords zu schimmernder Schar, kriegsgewohnt und kriegsfreudig. Seltsam ist ihr Banner, das sie trotzig gegenüber der königlichen Standarte aufpflanzen. Auf der weißen Fläche ist ein Mann gemalt, der ermordet unter einem Baume liegt. Neben ihm kniet ein Kind, das weinend die Hände zum Himmel erhebt mit den Worten: »Richte und räche meine Sache, o Gott!« Damit wollen die Lords, dieselben, die Darnleys Tod mit angestiftet haben, sich mit einmal als Darnleys Rächer ankündigen und dartun, daß sie einzig gegen seinen Mörder in Waffen stehen und nicht in Rebellion gegen die Königin.
Hell und farbig flattern die beiden Standarten im Wind. Aber es ist kein rechter Mut, der die Kriegsleute hüben und drüben beseelt. Keine der beiden Rotten rückt zum Angriff über den kleinen Bach, beide bleiben sie abwartend und beobachten einander. Die hastig zusammengeholten Grenzbauern Bothwells zeigen wenig Neigung, sich für eine Sache erschlagen zu lassen, von der sie nichts wissen und nichts verstehen. Die Lords wiederum empfinden noch immer ein gewisses Unbehagen, offen und klar mit Speer und Schwert gegen die rechtmäßige Königin anzureiten. Einen König durch eine gute Verschwörung um die Ecke zu bringen – man läßt dann ein paar arme Teufel hängen und erklärt feierlich seine Unschuld –, eine solche Praktik im Dunkel hat nie das Gewissen dieser Lords sonderlich belastet. Aber am lichten Tage mit offenem Visier gegen die Monarchin ansprengen, das widerspricht doch zu peinlich der Idee der Feudalität, die noch mit ungebrochener Macht das Jahrhundert beherrscht.
Dem französischen Gesandten Du Croc, der als neutraler Beobachter auf dem Schlachtfeld erschienen ist, entgeht nicht die unkriegerische Verfassung der beiden Parteien; eilig bietet er sich als Vermittler an. Eine Parlamentärflagge wird entfaltet, und den schönen Sommertag nutzend, lagern die beiden Heerhaufen friedlich jeder auf seiner Seite. Die Reiter steigen von den Pferden, das Fußvolk legt die schweren Waffen ab und hält Mahlzeit, indes Du Croc, von einer kleinen Eskorte begleitet, den Bach überquert und zu dem Hügel der Königin reitet.
Es wird eine sonderbare Audienz. Die Königin, die sonst den Gesandten Frankreichs immer in kostbarer Robe unter dem Baldachin empfangen, sitzt auf einem Stein, mit einem bunten Bauernrock bekleidet, der kurze Kilt deckt nicht einmal die Knie. Aber die Würde und der wilde Stolz in ihr ist nicht geringer als im höfischen Gewande. Erregt, blaß und übernächtigt, kann sie ihren Zorn nicht bemeistern. Als ob sie noch Herrin der Lage wäre, Herrin des Landes, verlangt sie, daß die Lords sofort ihr Gehorsam leisten sollten. Erst hätten sie Bothwell feierlich freigesprochen, jetzt klagten sie ihn des Mordes an. Erst hätten sie ihn ihr selbst zur Heirat vorgeschlagen, nun erklären sie diese Ehe als Verbrechen. Mit ihrer Entrüstung ist Maria Stuart zweifellos im Recht; aber die Stunde des Rechts ist immer vorüber, sobald einmal die Waffen erhoben sind. Während Maria Stuart mit Du Croc verhandelt, reitet Bothwell heran. Der Gesandte grüßt ihn, aber reicht ihm nicht die Hand. Nun nimmt Bothwell das Wort. Er spricht klar und ohne Rückhalt, kein Schatten von Angst trübt seinen freien und verwegenen Blick; Du Croc muß wider seinen Willen die straffe Haltung dieses Desperados anerkennen. »Ich muß gestehen«, sagt er in seinem Bericht, »daß ich in ihm einen großen Krieger sah, der mit Selbstbewußtsein sprach und der seine Leute verwegen, kühn und geschickt zu führen wußte. Ich konnte nicht umhin, ihn zu bewundern, denn er sah, daß seine Gegner entschlossen waren und er selbst kaum auf die Hälfte seiner Leute zählen konnte. Dennoch blieb er völlig unerschüttert.« Bothwell bietet an, die ganze Angelegenheit durch einen Zweikampf mit jedem Lord gleichen Ranges zu erledigen. Seine Sache sei so gerecht, daß Gott gewiß mit ihm sein werde. Mitten in der verzweifelten Situation bleibt er sogar heiter genug, Du Croc vorzuschlagen, er möchte doch selbst von einem Hügel dem Kampf zuschauen, er werde daran seinen Spaß haben. Aber die Königin will nichts von einem Zweikampf hören. Noch immer hofft sie auf Unterwerfung, wie immer fehlt der rettungslosen Romantikerin der Sinn für die Wirklichkeit. Bald weiß Du Croc, daß sein Gang vergeblich war; der vornehme alte Mann möchte gern der Königin helfen, der die Tränen in den Augen stehen, aber solange sie von Bothwell nicht läßt, gibt es für sie keine Rettung, und von ihm will sie nicht lassen. Also ade! Höflich verbeugt er sich, langsam reitet er zu den Lords zurück.
Die Worte sind vorüber, nun sollte die Schlacht beginnen. Aber die Soldaten sind klüger als ihre Führer. Sie sehen, daß die großen Herren freundlich miteinander verhandeln. Wozu sollen dann sie, arme Schlucker, einander hinschlachten an einem so schönen und heißen Tag? Auffällig trödeln sie herum, und vergebens gebietet Maria Stuart, die ihre letzte Hoffnung sinken sieht, den Angriff. Jedoch die Leute gehorchen nicht mehr. Langsam bröckelt die zusammengetriebene Rotte, die jetzt schon sechs oder sieben Stunden lang müßig herumlungert, auseinander, und kaum bemerken dies die Lords, so lassen sie zweihundert Reiter vorrücken, um Bothwell und der Königin den Rückzug abzuschneiden. Jetzt erst begreift die Herrscherin, was ihnen droht. Und als wahrhaft Liebende denkt sie statt an sich selbst nur an den Geliebten, an Bothwell. Sie weiß, an sie selbst Hand anzulegen, wird keiner ihrer Untertanen wagen; ihn aber werden sie nicht schonen, schon damit er nicht manches ausplaudert, was den verspäteten Rächern Darnleys nicht willkommen sein könnte. So bändigt sie – zum erstenmal in all den Jahren – ihren Stolz. Sie sendet einen Boten mit einer Parlamentärflagge zu den Lords hinüber und ersucht den Führer der Reitertruppe, Kirkcaldy of Grange, allein zu ihr zu kommen.
Noch ist die Ehrfurcht vor dem geheiligten Befehl einer Königin Macht und Magie. Kirkcaldy of Grange läßt sofort seine Reiter anhalten. Er begibt sich allein zu Maria Stuart, und ehe er das Wort nimmt, beugt er untertänig das Knie. Er stellt eine letzte Bedingung: die Königin möge von Bothwell lassen und mit ihnen nach Edinburgh zurückkehren. Dann ließe man Bothwell reiten, wohin er wolle, ohne ihn zu verfolgen.
Bothwell – prachtvolle Szene, prachtvoller Mann! – steht stumm dabei. Er spricht kein Wort zu Kirkcaldy, kein Wort zur Königin, um nicht ihren Entschluß zu beeinflussen. Er wäre, man fühlt es, bereit, auch als einzelner gegen diese zweihundert anzureiten, die am Fuße des Hügels, die Hände am Zügel, nur auf das erhobene Schwert Kirkcaldys warten, um die feindliche Linie zu überrennen. Erst, da er hört, daß die Königin Kirkcaldys Vorschlag zugestimmt, tritt Bothwell auf sie zu und umarmt sie – zum letztenmal, doch sie wissen es beide nicht. Dann springt er auf sein Pferd und stiebt in scharfem Galopp, nur begleitet von ein paar Dienern, davon. Der dumpfe Traum ist zu Ende. Nun kommt das völlige, das grausame Erwachen.
Das Erwachen kommt, fürchterlich und unerbittlich. Die Lords haben Maria Stuart versprochen, sie in Ehren nach Edinburgh zurückzuführen, und wahrscheinlich war dies auch ihre redliche Absicht. Aber kaum nähert sich die gedemütigte Frau in ihrem armen bestaubten Kleid dem Troß der Söldner, so zischt schlangenzüngig der Hohn empor. Solange die eiserne Faust Bothwells die Königin schirmte, hatte der Haß des Volkes sich geduckt. Jetzt, da niemand sie mehr schützt, schlägt er frech und respektlos empor. Eine Königin, die kapituliert hat, ist für die aufständischen Soldaten keine Herrscherin mehr. Immer dichter drängen sich ihre Rotten, erst neugierig, dann herausfordernd, heran und »Verbrennt die Hure! Verbrennt die Gattenmörderin!« gellt es von allen Seiten. Vergeblich schlägt Kirkcaldy mit dem flachen Schwert drein, es hilft nichts, immer neu sammeln sich die Erbitterten, und im Triumph wird der Königin die Fahne mit dem Bildnis des ermordeten Gatten und des um Rache flehenden Kindes vorangetragen. Von sechs Uhr nachmittags bis zehn Uhr nachts, von Langside bis Edinburgh dauert dieser Spießrutengang. Aus allen Häusern, aus allen Dörfern strömt das Volk herbei, um das einzigartige Schauspiel einer eingefangenen Königin zu sehen, und manchmal wird der Zudrang der neugierigen Masse so stark, daß die Reihen der Soldaten durchbrochen werden und nur einer hinter dem andern fortmarschieren kann; niemals hat Maria Stuart tiefere Erniedrigung erfahren als an diesem Tag.
Aber man kann diese stolze Frau nur erniedrigen, man kann sie nicht beugen. Wie eine Wunde erst zu brennen beginnt, wenn sie verunreinigt wird, so spürt Maria Stuart ihre Niederlage erst, seit man sie mit Hohn vergiftet. Ihr hitziges Blut, das Blut der Stuarts, das Blut der Guisen, schäumt auf, und statt sich klug zu verstellen, macht Maria Stuart die Lords für die Schimpfreden des Volkes verantwortlich. Wie eine gereizte Löwin fährt sie auf sie los, sie werde sie hängen und ans Kreuz schlagen lassen, und plötzlich packt sie Lord Lindsays Hand, der neben ihr reitet, und droht ihm: »Ich schwöre bei dieser Hand, daß ich deinen Kopf haben werde.« Wie in allen gefährlichen Augenblicken wächst ihr überreizter Mut ins Unsinnige. Offen speit sie den Lords, obwohl sie ihr Schicksal in Händen halten, ihren Haß, ihre Verachtung entgegen, statt klug zu schweigen oder sie feige zu umschmeicheln.
Vielleicht macht diese Härte die Lords noch härter, als sie ursprünglich beabsichtigten. Denn nun, da sie merken, daß sie nie von ihr Vergebung zu erwarten haben, setzen sie alles daran, die Ungebärdige ihre Wehrlosigkeit bitter fühlen zu lassen. Statt die Königin nach Holyrood in ihr Schloß zu geleiten, das außerhalb der Stadtmauern liegt, zwingt man sie – der Weg führt an der Mordstätte von Kirk o'Field vorbei –, durch die mit Gaffern überfüllte Hauptstraße in die Stadt einzureiten. Dort, in High Street, wird sie in das Haus des Provosten wie zum Pranger geführt. Streng bleibt der Zugang verschlossen, keine einzige ihrer Edelfrauen und Dienerinnen wird eingelassen. Eine Nacht der Verzweiflung beginnt. Seit Tagen ist sie nicht aus ihren Kleidern gekommen, seit morgens hat sie keinen Bissen gegessen, Unermeßliches hat diese Frau erlebt vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne; ein Reich verloren und ihren Geliebten. Draußen sammelt sich unterhalb ihres Fensters wie vor einem Käfig eine unflätige Menge, die Wehrlose zu verhöhnen, gell prasseln die Schimpfworte des aufgereizten Pöbels zu ihr empor, und jetzt erst, da die Lords sie gedemütigt glauben, versuchen sie, zu verhandeln. Sie verlangen eigentlich nicht viel. Sie fordern nur, Maria Stuart möge sich von Bothwell endgültig lösen. Aber für eine verlorene Sache kämpft diese trotzige Frau mit noch mehr Kühnheit als für eine aussichtsreiche. Verächtlich weist sie den Vorschlag zurück, und selbst einer ihrer Gegner muß später gestehen: »Niemals habe ich eine tapferere und kühnere Frau gesehen als die Königin während dieser Szenen.«
Nachdem die Lords mit Drohungen Maria Stuart nicht zur Preisgabe Bothwells zwingen konnten, versucht es der klügste unter ihnen mit List. Maitland, ihr alter und sonst sogar treuer Berater, wendet feinere Mittel an. Er versucht, ihren Stolz, ihre Eifersucht aufzureizen, er berichtet ihr – vielleicht ist es Lüge, vielleicht ist es wahr, was weiß man bei einem Diplomaten? –, Bothwell habe ihre Liebe betrogen und sogar während der Woche seiner Vermählung den zärtlichen Umgang mit seiner jungen geschiedenen Frau noch weiter aufrechterhalten, ja ihr sogar zugeschworen, er betrachte einzig sie als seine rechtmäßige Frau und die Königin bloß als Konkubine. Aber Maria Stuart hat verlernt, irgendeinem dieser Betrüger zu glauben. Die Mitteilung steigert nur ihre Erbitterung, und so sieht Edinburgh das grauenhafte Schauspiel, daß die Königin von Schottland hinter dem vergitterten Fenster in zerrissenem Kleid, mit bloßer Brust und hängendem Haar wie eine Wahnsinnige plötzlich vorbricht und das inmitten seines Hasses doch erschütterte Volk hysterisch schluchzend anruft, man möge sie befreien, sie werde von ihren eigenen Untertanen im Gefängnis gehalten.
Allmählich wird die Situation unhaltbar. Die Lords möchten gern einlenken. Aber sie fühlen, daß sie schon zu weit gegangen sind, um noch zurückzukönnen. Nach Holyrood Maria Stuart als Königin wieder heimzuführen ist jetzt nicht mehr möglich. Im Hause des Provosten inmitten der aufgereizten Menge kann man sie gleichfalls nicht lassen, ohne ungeheure Verantwortung zu übernehmen und den Zorn Elisabeths und aller auswärtigen Souveräne herauszufordern. Der einzige, der den Mut, der die Autorität hätte, eine Entscheidung zu fällen, Moray, ist nicht im Lande; ohne ihn wagen die Lords keinen Entschluß. So beschließen sie, die Königin zunächst an eine sichere Stelle zu bringen, und als die sicherste wird das Schloß Lochleven gewählt. Denn dieses Schloß liegt inmitten eines Sees, abgeschlossen von jeder Verbindung mit dem Festlande, und seine Herrin ist Marguerite Douglas, die Mutter Morays, von der zu erwarten ist, daß sie der Tochter Maries von Guise, die ihr James V. abtrünnig gemacht, nicht allzu wohlgesinnt sein werde. Vorsichtig wird das gefährliche Wort »Gefangenschaft« in der Proklamation der Lords vermieden; die Abschließung soll nach der Verlautbarung nur dazu dienen, »die Person Ihrer Majestät von jeder Verbindung mit dem genannten Grafen Bothwell abzuhalten und sich nicht mit Leuten zu verständigen, die ihn vor der gerechten Bestrafung seines Verbrechens schützen wollten«. Es ist eine halbe, eine provisorische Maßregel, aus Angst gezeugt und mit schlechtem Gewissen geboren: noch wagt sich der Aufstand nicht Rebellion zu nennen, noch schiebt man alle Schuld auf den flüchtigen Bothwell und verbirgt feige die geheime Absicht, Maria Stuart für immer vom Throne hinabzustoßen, unter Floskeln und Phrasen. Um das Volk zu täuschen, das schon Gericht und Hinrichtung der »whore« erwartet, wird Maria Stuart am Abend des 17. Juni mit einer Garde von dreihundert Mann nach Holyrood gebracht. Kaum aber sind die Bürger zu Bett, so formt sich ein kleiner Zug, um die Königin von dort nach Lochleven zu führen, und bis zum Morgengrauen dauert dieser einsame, dieser traurige Ritt. In der frühen Morgendämmerung sieht Maria Stuart vor sich den kleinen schimmernden See und inmitten das starkbefestigte, einsame, unzugängliche Schloß, das sie – wer weiß wie lange? – in Gewahrsam halten soll. In einem Boot rudert man sie hinüber, dann schließen sich hart die eisenbeschlagenen Pforten. Die leidenschaftliche und finstere Ballade von Darnley und Bothwell ist zu Ende; nun beginnt der düster melancholische Abgesang, die Chronik einer ewigen Gefangenschaft.