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Siebzehntes Kapitel

Ein Netz wird gewoben

16. Mai bis 28. Juni 1568

Daß Elisabeth die Nachricht vom Eintreffen Maria Stuarts in England mit ehrlicher Bestürzung empfing, ist nicht zu bezweifeln. Denn dieser unerbetene Besuch bringt sie in bittere Verlegenheit. Gewiß, sie hatte während des letzten Jahres aus monarchischer Solidarität Maria Stuart gegen ihre rebellischen Untertanen zu beschirmen gesucht. Sie hatte pathetisch – Papier ist billig und geschriebene Höflichkeit fließt leicht aus diplomatischer Feder – sie ihrer Anteilnahme, ihrer Freundschaft, ihrer Liebe versichert. Überschwenglich, ach, allzu überschwenglich, hatte sie ihr versprochen, daß sie unter allen Umständen auf sie als getreue Schwester zählen könne. Aber niemals hatte Elisabeth Maria Stuart aufgefordert, nach England zu kommen, im Gegenteil, seit Jahren und Jahren hatte sie die Möglichkeit einer persönlichen Begegnung immer wieder durchkreuzt. Und nun ist die Lästige plötzlich in England gelandet, in ebendemselben England, dessen wahrhaftige Königin zu sein sie noch vor kurzem sich hochmütig gerühmt hatte. Sie ist gekommen ohne vorherige Anfrage, Einladung oder Bitte, ihr erstes Wort ist schon ein Pochen auf jenes frühere, bloß metaphorisch gemeinte Freundschaftsversprechen. Maria Stuart stellt in ihrem zweiten Brief gar nicht zur Erörterung, ob Elisabeth sie zu empfangen wünsche oder nicht, sondern sie fordert es als ihr selbstverständliches Recht: »Ich bitte Sie, mich so rasch als möglich holen zu lassen. Denn ich bin in einem Zustande, der nicht nur für eine Königin, sondern auch für eine bloße Edelfrau jämmerlich wäre. Ich habe nichts als mein Leben, das ich mir nur retten konnte, indem ich am ersten Tage sechzig Meilen über die Felder ritt. Sie werden das selbst sehen, wenn, wie ich hoffe, Sie Mitleid mit meinem unermeßlichen Mißgeschick haben werden.«

Mitleid, das ist in der Tat das erste Gefühl Elisabeths. Es muß für ihren Stolz eine großartige Genugtuung gewesen sein, daß diese Frau, die sie vom Throne stürzen wollte, sich selbst gestürzt hat, ohne daß sie ihrerseits eine Hand rühren mußte. Welch ein Schauspiel für die Welt, daß sie nun die einstmals so Stolze von den Knien aufheben und von oben herab als Protektorin in ihre Arme schließen darf! Darum ist auch ihr erster, ihr richtiger Instinkt, die Gestürzte großmütig zu sich einzuladen. »Ich habe erfahren«, schreibt der französische Botschafter, »daß die Königin im Kronrat mit aller Macht die Partei der Königin von Schottland nahm und jedem zu verstehen gab, daß sie beabsichtige, sie derart zu empfangen und zu ehren, wie es ihrer früheren Würde und Größe und nicht ihrem jetzigen Zustande entspräche.« Mit ihrem starken Empfinden für weltgeschichtliche Verantwortung will Elisabeth zu ihrem Wort stehen. Und hätte sie ihrem spontanen Impuls gefolgt, sie hätte Maria Stuart das Leben und sich die Ehre gerettet.

Aber Elisabeth ist nicht allein. Neben ihr steht Cecil, der Mann mit den stahlblauen kalten Augen, der völlig leidenschaftslos Zug um Zug auf dem politischen Schachbrett tut. Vorsorglich hat sich die temperamentvolle, von jedem Druck der Luft beeinflußbare Frau diesen nüchternen, zähen Rechner an die Seite gestellt, der, völlig amusisch, völlig unromantisch, aus dem innern Puritanismus seiner Natur das Leidenschaftliche, das Zügellose in Maria Stuart haßt, der als strenger Protestant die Katholikin verabscheut und überdies – seine privaten Notizen beweisen es – von ihrer Mitschuld und Mithelferschaft am Darnley-Morde restlos überzeugt ist. Er fällt sofort Elisabeth in den hilfreich dargebotenen Arm. Denn als Politiker übersieht er klar die weitgehenden Verpflichtungen, die sich für die englische Regierung aus der Bindung mit dieser anspruchsvollen Querulantin ergeben würden, die seit Jahren und Jahren überall, wo sie erscheint, Verwirrung stiftet. Maria Stuart mit königlichen Ehren in London zu empfangen, bedeutete implicite eine Anerkennung ihres Anspruchs auf Schottland und legte England die Pflicht auf, mit Waffen und Geld gegen Moray und die Lords aufzutreten. Dazu hat Cecil nicht die geringste Neigung, denn er selbst hat ja die Lords zu der Revolte aufgestachelt. Für ihn ist und bleibt Maria Stuart die Erbfeindin des Protestantismus, die Erzgefahr für England, und es gelingt ihm, Elisabeth von ihrer Gefährlichkeit zu überzeugen; ungern vernimmt die englische Königin, mit welchen Ehren ihre eigenen Adeligen die schottische auf ihrem Boden empfangen haben. Der mächtigste der katholischen Lords, Northumberland, hat sie auf sein Schloß geladen, der einflußreichste ihrer protestantischen Lords, Norfolk, stattet ihr einen Besuch ab. Alle scheinen von der Gefangenen bezaubert, und da Elisabeth von Natur aus mißtrauisch und als Frau eitel ist bis zur Narrheit, läßt sie bald den generösen Gedanken fallen, eine Fürstin an ihren Hof zu ziehen, die sie in Schatten stellen und den Unzufriedenen ihres Reiches als willkommene Prätendentin dienen könnte.

Es hat also nur ein paar Tage gedauert, und Elisabeth ist bereits von ihren humanen Gefühlen abgekommen und fest entschlossen, Maria Stuart weder bei Hofe vorzulassen noch anderseits aus dem Lande zu entlassen. Aber Elisabeth wäre nicht Elisabeth, wenn sie sich in irgendeinem Falle klar äußern und deutlich handeln würde. Immer ist Zweideutigkeit im Menschlichen wie im Politischen die unglücklichste Form, denn sie verwirrt die Seelen, sie beunruhigt die Welt. Und hier beginnt die große, die unleugbare Schuld Elisabeths gegenüber Maria Stuart. Auf der flachen Hand hat ihr das Schicksal den Sieg entgegengebracht, den sie seit Jahren erträumte: ihre Rivalin, die als Ehrenspiegel aller ritterlichen Tugenden gegolten, ist ohne ihr Zutun in Schmach und Schande gestürzt, die Königin, die nach ihrer Krone gegriffen, hat die eigene verloren, die Frau, die im Gefühl ihrer Legitimität ihr hochmütig entgegengetreten war, nun steht sie als Hilfesuchende vor ihr. Zweierlei dürfte Elisabeth nun tun. Sie könnte das Asyl, das England immer großherzig jedem Flüchtling gewährte, ihr als einer Bittstellerin anbieten und sie damit moralisch in die Knie drücken. Oder sie könnte ihr den Aufenthalt in ihrem Lande aus politischen Gründen verweigern. Das eine Verhalten wie das andere trüge die heilige Krone des Rechts. Man kann einen Hilfesuchenden empfangen, man kann ihn zurückweisen. Aber eines geht wider alles Recht des Himmels und der Erde: einen Hilfesuchenden heranzulocken und ihn dann gegen seinen eigenen Willen gewaltsam festzuhalten. Kein Vorwand und keine Entschuldigung läßt sich für die unentschuldbare Tücke geltend machen, daß Elisabeth Maria Stuart trotz ihrem klaren Verlangen nicht mehr gestattete, England wieder zu verlassen, sondern sie mit List und Lüge, mit perfiden Versprechungen und geheimer Gewalttätigkeit festhielt und durch dieses hinterhältige Gefangensetzen eine schon gedemütigte und besiegte Frau weiter trieb, als sie eigentlich wollte, in den finsteren Weg der Verzweiflung und Schuld.

Diese offenbare Verletzung des Rechts, und zwar in der häßlichsten, weil hinterhältigsten Weise, bleibt für immer ein dunkler Punkt in Elisabeths Charaktergeschichte und noch weniger entschuldbar als später das Todesurteil und das Schafott. Denn zur gewaltsamen Gefangenhaltung fehlt auch nur der leiseste Vorwand einer Berechtigung. Wenn Napoleon – man hat manchmal das Gegenbeispiel gewählt – auf den Bellerophon flüchtet und dort das englische Gastrecht beansprucht, durfte England dieses Verlangen als pathetische Farce ablehnen. Denn beide Nationen, Frankreich und England, standen damals im erklärten Krieg, Napoleon war der Kommandant der feindlichen Armeen und hatte durch ein Vierteljahrhundert unablässig Großbritannien nach der Schlagader gezielt. Zwischen Schottland und England dagegen besteht kein Krieg, sondern voller Friede, Elisabeth und Maria Stuart nennen einander seit Jahren Freundin und Schwester, und wenn Maria Stuart zu Elisabeth flüchtet, so kann sie den Ring ihr entgegenhalten, das »token«, das Wahrzeichen ihrer Freundschaft, sie kann sich berufen auf ihre Worte, »kein Mensch auf Erden werde ihr so herzlich Gehör schenken«. Sie kann auch darauf pochen, daß Elisabeth bisher allen ihren Untertanen, die nach England flüchteten, daß sie Moray und Morton, den Mördern Rizzios, den Mördern Darnleys, trotz ihren Verbrechen Asyl gegeben. Und schließlich: Maria Stuart kommt nicht mit dem Anspruch auf Englands Thron, sondern mit der bescheidenen Bitte, ruhig im Lande verbleiben oder, falls dies Elisabeth nicht genehm sei, nach Frankreich weiterreisen zu dürfen. Selbstverständlich weiß Elisabeth, daß sie keine Handhabe besitzt, Maria Stuart gefangenzuhalten, und sogar Cecil weiß es, wie ein Notizblatt aus seiner Hand (»Pro Regina Scotorum«) beweist. »Man muß ihr helfen«, schreibt er, »weil sie freiwillig und im Vertrauen auf die Königin in das Land kam.« Beiden ist es also in der Tiefe ihres Gewissens wohl bewußt, daß kein Faden Recht gefunden werden kann, um daraus einen so dicken Strick Unrecht zu drehen. Aber was wäre die Aufgabe des Politikers, wenn nicht die, in heiklen Situationen Vorwände und Ausflüchte zu konstruieren, aus einem Etwas ein Nichts und aus einem Nichts ein Etwas zu machen? Da kein wirklicher Anlaß zur Festhaltung der Flüchtigen vorliegt, muß einer erfunden werden; da Maria Stuart keinerlei Schuld gegen Elisabeth hat, muß sie zur Schuldigen gemacht werden. Das kann nur vorsichtig geschehen, denn außen wacht und beobachtet die Welt. Ganz leise und hinterhältig muß man das Netz über die Wehrlose ziehen, enger und enger, ehe sie die Absicht merkt. Und wenn sie dann – zu spät – versucht, sich zu befreien, wird sie sich selbst mit jeder leidenschaftlichen Bewegung noch enger verstricken.

Dieses Umgarnen und Verstricken beginnt mit Höfischkeiten und Höflichkeiten. Zwei der vornehmsten Adeligen Elisabeths, Lord Scrope und Lord Knollys, werden schleunigst – welche zarte Aufmerksamkeit! – als Ehrenkavaliere zu Maria Stuart nach Carlisle geschickt. Aber ihre wirkliche Mission ist ebenso dunkel wie vielseitig. Sie haben im Namen Elisabeths den vornehmen Gast zu begrüßen, sie haben der gestürzten Königin das Bedauern über ihr Mißgeschick auszusprechen, zugleich sollen sie die aufgeregte Frau hinhalten und kalmieren, daß sie nicht zu früh kopfscheu werde und die auswärtigen Höfe zur Hilfe anrufe. Aber der wichtigste und eigentliche Auftrag ist den beiden geheim gegeben, er befiehlt ihnen, die eigentlich schon Gefangene sorgfältig zu bewachen, alle Besuche abzustellen, die Briefsendungen zu beschlagnahmen, und nicht zufällig werden an demselben Tage fünfzig Hellebardiere nach Carlisle beordert. Außerdem haben Scrope und Knollys alles, was Maria Stuart sagt, sofort nach London zu übermitteln. Denn auf nichts wartet man dort so sehr und so ungeduldig, als daß Maria Stuart sich endlich eine Blöße gebe und man dann nachträglich einen Vorwand für die schon faktische Gefangenschaft konstruieren könne.

Die Mission des Auskundschaftens besorgt Lord Knollys auf das beste – seiner geschickten Feder danken wir eine der anschaulichsten und plastischsten Charakterzeichnungen Maria Stuarts. Immer ¦wieder wird man gewahr, daß diese Frau in den seltenen Augenblicken, da sie ihre große Energie zusammenfaßt, auch die klügsten Männer zu Respekt und Bewunderung zwingt. Sir Francis Knollys schreibt an Cecil: »Zweifellos ist sie eine hervorragende Frau, denn keine Schmeichelei kann sie tatsächlich täuschen, und ebenso scheint keine offene Aussprache sie zu kränken, wenn sie denjenigen, der sie sagt, für einen anständigen Menschen hält.« Er findet, daß sie in ihren Antworten eine beredte Zunge und einen klugen Kopf erweise, er rühmt den »aufrechten Mut« und ihr »liberal heart«, ihre umgängliche Art. Aber er merkt auch, welcher rasende Stolz diese Seele verzehrt, daß »die Sache, nach der sie am meisten dürstet, der Sieg ist und im Vergleich damit Reichtum und alle anderen Dinge der Erde ihr verächtlich und gering scheinen« – man kann sich ausdenken, mit welchen Gefühlen die mißtrauische Elisabeth diese Charakterisierung ihrer Rivalin liest und wie rasch sich ihr Herz und Hand verhärten.

Aber auch Maria Stuart hat ein feines Ohr. Sie merkt bald, daß die freundlichen Kondolenzreden und Ehrfurchtsbezeugungen dieser Gesandten nach Wind und Wasser schmecken und daß die beiden nur deshalb so eifrig und freundlich mit ihr konversieren, um etwas zu verschweigen. Erst allmählich, wie eine bittere Medizin, Tropfen um Tropfen und stark mit Komplimenten durchsüßt, teilt man ihr mit, daß Elisabeth nicht gewillt sei, sie zu empfangen, bevor sie sich nicht von allen Anschuldigungen gereinigt habe. Diese öde Ausflucht hat man glücklich inzwischen in London herausspekuliert, um der nackten, eiskalten Absicht, Maria Stuart abseits und in Gefangenschaft zu halten, ein moralisches Mäntelchen umzuhängen. Aber entweder sieht Maria Stuart wirklich nicht die Falle oder sie stellt sich so, als ob sie das Perfide dieses Aufschubs nicht verstünde. Mit einer hitzigen Begeisterung erklärt sie sich zur Rechtfertigung bereit, »aber selbstverständlich nur vor einem einzigen Menschen, den ich als ebenbürtig anerkenne, vor der Königin von England.« Je eher, je lieber, nein, sofort wolle sie kommen und »vertrauensvoll sich in ihre Arme werfen.« Dringlich bittet sie, »in aller Eile und ohne weitere Umstände in London vorgelassen zu werden, um ihre Klagen vorzubringen und die Verleumdung zu entkräften, die man gegen ihre Ehre gewagt habe.« Denn mit Freuden akzeptiere sie Elisabeth, freilich nur sie allein, als Richterin.

Mehr hat Elisabeth nicht hören wollen. Mit der prinzipiellen Zustimmung zu einer Rechtfertigung hat sie nun den ersten Haken in der Hand, diese Frau, die als Gast in ihr Land gekommen war, langsam in einen Prozeß hineinzuzerren. Selbstverständlich darf das nicht mit einem auffälligen Ruck geschehen, sondern nur ganz behutsam, damit die schon Beunruhigte nicht zu früh die Welt alarmiere; vor der entscheidenden Operation, die Maria Stuart endgültig die Ehre abtrennt, muß sie erst durch Versprechungen chloroformiert werden, damit sie sich still und ohne Widerstand unter das Messer lege. So schreibt Elisabeth einen Brief, dessen Ton ergreifend wirkte, wüßte man nicht, daß gleichzeitig der Ministerrat die Festhaltung längst beschlossen hat. In Watte wird die Ablehnung eingewickelt, Maria Stuart persönlich zu empfangen. »Madame«, schreibt die Verschlagene, »ich habe von meinem Lord Herries Ihren Wunsch vernommen, sich in meiner Gegenwart zu verteidigen gegen alle Anwürfe, die auf Ihnen lasten. Oh, Madame, es gibt keinen Menschen auf Erden, der mehr Ihre Rechtfertigung zu hören verlangte als ich selbst. Niemand würde williger sein Ohr jeder Antwort leihen, die Ihre Ehre wiederherstellen soll. Aber ich kann nicht mein eigenes Ansehen für Ihre Sache aufs Spiel setzen. Um Ihnen offen die Wahrheit zu sagen, glaubt man schon von mir, ich sei eher bereit, Ihre Sache zu verteidigen, als meine Augen zu öffnen für jene Dinge, deren Ihre Untertanen Sie anklagen.« Auf diese geschickte Ablehnung folgt aber noch raffinierter die Anlockung. Feierlich verspricht Elisabeth – man muß diese Zeile unterstreichen – »auf mein prinzliches Wort, daß weder Ihre Untertanen noch irgendein Rat, den ich von meinen Ratgebern erhalten sollte, mich veranlassen wird, irgend etwas von Ihnen zu verlangen, was Sie schädigen könnte oder Ihre Ehre berühren.« Immer dringlicher, immer beredter wird der Brief. »Scheint es Ihnen seltsam, daß ich Ihnen nicht erlaube, mich zu sehen? Ich bitte Sie, versetzen Sie sich selbst in meine Lage. Wenn Sie von diesem Verdacht freigesprochen sein werden, will ich Sie mit allen Ehren empfangen, bis dahin kann ich es nicht. Aber später, das schwöre ich bei Gott, soll es nie einen Menschen mit besserem Willen geben, und von allen irdischen Freuden soll dies die erste für mich sein.«

Das sind tröstende, warme, weiche, seelenlösende Worte. Aber sie decken eine dürre, harte Sache zu. Denn der Gesandte, der diese Botschaft bringt, hat auch den Auftrag, Maria Stuart endlich eindeutig klarzumachen, daß keineswegs eine persönliche Rechtfertigung vor Elisabeth in Aussicht genommen sei, sondern eine regelrechte Untersuchung der Vorgänge in Schottland, freilich vorläufig noch feierlich hinter dem ehrenvolleren Namen einer »Konferenz« versteckt.

Bei den Worten Prozeß, Untersuchung, Schiedsspruch zuckt der Stolz Maria Stuarts empor wie von feurigem Eisen berührt. »Ich habe keinen andern Richter als Gott«, schluchzt sie auf in zornigen Tränen, »niemand kann es unternehmen, mich zu richten. Ich weiß, wer ich bin, und kenne die Rechte meines Ranges. Es ist richtig, daß ich aus eigenem Willen und aus dem vollen Vertrauen, das ich in die Königin, meine Schwester, setze, vorgeschlagen habe, sie zur Richterin in meiner Sache zu machen. Aber wie kann dies geschehen, wenn sie nicht erlauben will, daß ich zu ihr gehe?« Drohend verkündet sie (wie wahr ist dies Wort geworden!), Elisabeth würde keinen Gewinn haben, wenn sie sie in ihrem Lande zurückhalte. Und dann nimmt sie die Feder: »Hélas, Madame«, antwortet sie erregt, »wo haben Sie je gehört, daß jemals ein Prinz getadelt werden könnte, wenn er persönlich die Klagen derer angehört hat, die Beschwerde führen, ungerechterweise angeklagt worden zu sein ... Lassen Sie, Madame, den Gedanken fallen, ich sei hierhergekommen, um mein Leben zu retten. – Weder die Welt noch ganz Schottland haben mich verleugnet – sondern ich kam, um meine Ehre wiederzugewinnen und Unterstützung zu finden, meine falschen Ankläger zu züchtigen, aber nicht, um ihnen wie als Gleichgestellten zu antworten. Ich habe Sie unter allen Fürsten als meine nächste Verwandte und »perfaicte Amye« gewählt, um jene vor Ihnen anklagen zu können, weil ich glaubte, Sie würden es als Ehre empfinden, zur Wiederherstellung der Ehre einer Königin angerufen zu werden.« Nicht dazu sei sie einem Gefängnis entronnen, um hier »quasi en un autre« zurückgehalten zu werden. Schließlich verlangt sie ungestüm gerade das, was alle Menschen von Elisabeth immer vergeblich fordern werden, nämlich Eindeutigkeit des Verhaltens, entweder Hilfe oder Freiheit. Gegen Elisabeth wolle sie sich »de bonne voglia« gerne rechtfertigen, aber nicht in der Form eines Prozesses gegen ihre Untertanen, außer wenn diese mit gebundenen Händen vorgeführt würden. In vollem Bewußtsein ihres Gottesgnadentums verweigert sie, sich mit ihren Untertanen auf eine Stufe stellen zu lassen: lieber sei sie bereit, zu sterben.

 

Dieser Standpunkt Maria Stuarts ist rechtlich unanfechtbar. Die Königin von England besitzt keinerlei Oberhoheit über die Königin von Schottland, sie hat keine Untersuchungen anzustellen über einen Mordfall, welcher in fremdem Lande geschehen ist, sie hat sich nicht einzumengen in einen Konflikt einer ausländischen Fürstin mit ihren Untertanen. Das weiß Elisabeth im tiefsten völlig genau, und darum verdoppelt sie ihre schmeichlerischen Bemühungen, um Maria Stuart aus ihrer festen und uneinnehmbaren Position herauszulocken und auf den glitschigen Grund eines Prozesses zu führen. Nein, nicht als Richterin, sondern als Freundin und Schwester wünsche sie diese Klarstellung, ach, sie sei doch nötig für ihren Herzenswunsch, endlich ihre geliebte Base von Angesicht zu sehen und sie wieder als Königin einzusetzen. Um Maria Stuart von ihrer sicheren Stellung abzudrängen, gibt Elisabeth eine wichtige Zusage nach der andern, sie tut so, als ob sie nie nur eine Minute an der Unschuld der Verleumdeten gezweifelt hätte, als ob der Prozeß gar nichts mit Maria Stuart zu tun hätte, sondern einzig gegen Moray und die andern Rebellen eingeleitet werden solle. Eine Lüge folgt der andern. Sie verpflichtet sich bindend, daß nichts bei dieser Untersuchung erörtert werden dürfe, was gegen Maria Stuarts Ehre, »against her honour« sei – man wird später sehen, wie dieses Versprechen eingehalten wurde. Und ausdrücklich täuscht Elisabeth den Unterhändlern vor, wie immer die Untersuchung ausgehe, die königliche Stellung bleibe Maria Stuart gesichert. Aber während sich Elisabeth so mit Eid und Ehre Maria Stuart verpflichtet, fährt gleichzeitig der Kanzler Cecil munter auf dem andern Geleise. Er seinerseits beruhigt unter der Hand wieder Moray, um ihn zur Untersuchung gefügig zu machen, keinesfalls sei eine Wiedereinsetzung seiner Schwester in Aussicht genommen – man sieht: die Taschenspielertechnik des doppelten Bodens ist nicht erst eine politische Erfindung unseres Jahrhunderts.

Maria Stuart merkt bald dies heimliche Zerren und Ziehen; sowenig sich Elisabeth von ihr täuschen läßt, sowenig ist sie über die Absichten ihrer lieben Base im unklaren. Sie wehrt sich und leistet Widerstand, sie schreibt bald süße, bald bittere Briefe, aber von London aus lockert man nicht mehr die Schlinge, ganz im Gegenteil, man zieht sie langsam schärfer und schneidender an. Allmählich werden, um den seelischen Druck zu verstärken, allerhand Vorkehrungen getroffen, um ihr zu zeigen, daß man entschlossen sei, im Notfall, im Streitfall, im Weigerungsfall auch Gewalt zu üben. Ihre Bequemlichkeiten werden eingeschränkt, sie darf keine Besuche aus Schottland mehr empfangen, bei jedem Ausritt begleiten sie nicht weniger als hundert Reiter, und eines Tages überrascht sie der Befehl, von Carlisle, vom offenen Meer – wo der Blick wenigstens frei in die Ferne schweifen kann und vielleicht ein hilfreiches Boot sie entführen – nach dem festen Schlosse Bolton nach Yorkshire zu übersiedeln in ein »very strong, very fair and very stately house.« Selbstverständlich ist auch dieser harte Auftrag mit Honig kandiert, noch verbirgt sich die scharfe Kralle feige hinter Samtpfoten: man versichert Maria Stuart, nur aus zärtlicher Sorge, sie näher zu wissen, und um den Austausch der Briefe zu beschleunigen, habe Elisabeth diese Übersiedlung angeordnet. Hier in Bolton würde sie »mehr Freude und Freiheit haben und gänzlich vor jeder Gefährdung von Seiten ihrer Feinde geborgen sein.« Maria Stuart ist nicht so naiv, an so viel Liebe zu glauben, sie wehrt und weigert sich noch immer, obzwar sie weiß, daß sie verspielt hat. Aber was bleibt ihr übrig? Nach Schottland kann sie nicht mehr zurück, nach Frankreich darf sie nicht hinüber, und ihre äußere Lage wird immer unwürdiger: sie lebt von fremdem Brot, und die Kleider, die sie trägt, sind geborgt von Elisabeth. Völlig allein, von allen wirklichen Freunden abgeschlossen, nur von Untertanen ihrer Gegnerin umgeben, wird Maria Stuart allmählich unsicher in ihrem Widerstand.

Endlich, und darauf hat Cecil gerechnet, begeht sie den großen Fehler, auf den Elisabeth so ungeduldig wartet; in einem Augenblick der Lässigkeit erklärt sich Maria Stuart mit einer Untersuchung einverstanden. Es ist der größte, der unverzeihlichste Fehler, den sie je begangen hat, sich von ihrem unantastbaren Standpunkt abdrängen zu lassen, daß Elisabeth sie nicht richten und nicht ihrer Freiheit berauben dürfe, daß sie als Königin und als Gast keinem fremden Schiedsspruch sich zu unterwerfen habe. Aber Maria Stuart hat immer nur kurzatmige feurige Ausbrüche von Mut und nie die einer Fürstin so nötige Kraft des zähen Durchhaltens. Vergebens sucht sie, im Gefühl, daß sie den Boden unter den Füßen verloren hat, nachträglich noch Bedingungen zu stellen und, nachdem sie die Zusage sich entlocken ließ, sich wenigstens an den Arm anzuklammern, der sie in die Tiefe stößt. »Es gibt nichts«, schreibt sie am 28. Juni, »was ich nicht auf Ihr Wort hin unternehmen würde, denn ich habe niemals an Ihrer Ehre und königlichen Treue gezweifelt.«

Aber wer sich einmal auf Gnade und Ungnade ergeben, dem hilft nachträglich kein Wort, keine Bitte mehr. Der Sieg will sein Recht, und immer wandelt es sich zu Unrecht für den Besiegten. Vae victis!


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