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1566, 1567
Die Leidenschaft Maria Stuarts zu Bothwell gehört zu den denkwürdigsten der Geschichte; kaum die antiken und sprichwörtlich gewordenen übertreffen sie an Wildheit und Wucht. Wie eine jähe Stichflamme schießt sie empor, bis in die purpurnen Zonen der Ekstase, bis in die nachtdunklen des Verbrechens schleudert sie ihre rasende Glut. Erreichen aber Seelenzustände einmal ein solches Übermaß, so handelte man einfältig, sie nach Logik und Vernunft zu bemessen, denn immer gehört es zum Wesen unzähmbarer Triebe, daß sie widervernünftig sich äußern. Leidenschaften wie Krankheiten kann man weder anklagen noch entschuldigen: man kann sie nur beschreiben mit jenem immer neuen Erstaunen, dem ein leises Grauen sich beimengt vor der Urkraft des Elementaren, das manchmal in der Natur, manchmal in einem Menschen gewitterhaft zum Ausbruch gelangt. Immer sind Leidenschaften dieses äußersten Grades nicht mehr der Willensfähigkeit des Menschen Untertan, den sie befallen, sie gehören mit allen ihren Äußerungen und Folgerungen nicht mehr in die Sphäre seines bewußten Lebens, sondern geschehen gleichsam über ihn hinweg und jenseits seiner Verantwortlichkeit. Einen dermaßen von seiner Leidenschaft überwältigten Menschen moralisch beurteilen zu wollen bedeutete gleiche Sinnlosigkeit, als wollte man ein Gewitter zur Rechenschaft ziehen oder einen Vulkan vor Gericht stellen. So kann man auch Maria Stuart während ihres Zustandes sinnlich-seelischer Hörigkeit kaum für ihre Handlungsweise verantwortlich machen, denn ihr unsinniges Handeln in jener Zeit liegt völlig außerhalb ihrer sonstigen normalen und eher gemäßigten Lebensverfassung; alles wird von ihren berauschten Sinnen ohne und sogar gegen ihren Willen getan. Verschlossenen Auges, tauben Ohres geht sie wie eine Traumwandlerin, angezogen von der magnetischen Macht, ihren Weg in Verhängnis und Verbrechen. Kein Rat kann sie erreichen, kein Ruf sie erwecken, und erst sobald die innere Flamme in ihrem Blute sich aufgezehrt hat, wird sie wieder erwachen, aber ausgebrannt und zerstört. Wer einmal durch eine solche Glut gegangen, dem verbrennt sie das Leben.
Denn niemals wiederholt sich eine Leidenschaft solchen Übermaßes in ein und demselben Menschen ein zweites Mal. So wie eine Explosion den ganzen Vorrat an Sprengstoff, verbraucht ein solcher Ausbruch immer und für immer den innern Vorrat des Gefühls. Bei Maria Stuart dauert die Weißglut der Ekstase kaum länger als ein halbes Jahr. Aber in dieser knappen Frist steigert und spannt sich ihre Seele empor zu solchen Feurigkeiten, daß sie später nur mehr Schatten sein kann dieses unmäßig lodernden Lichts. Wie manche Dichter (Rimbaud), manche Musiker (Mascagni) in einem einzigen genialen Werk sich völlig ausgeben und nachher kraftlos und verbraucht in sich zurückstürzen, so gibt es Frauen, die in einem einzigen Anfall von Leidenschaft auf einmal ihre ganze Liebesmöglichkeit verschwenden, statt sie wie die maßvolleren, die bürgerlichen Naturen sparsam auf Jahre und Jahre zu verteilen. In einem Extrakt genießen sie zusammengepreßt die ganze Liebe ihres Lebens, in einem Sturz werfen sich solche Frauen, Genies der Selbstverschwendung, in jene letzte Tiefe der Leidenschaft, aus der es nicht mehr Rettung gibt und Wiederkehr. Für eine solche Art der Liebe, die, weil sie Gefahr und Tod nicht scheut, man wahrhaft die heldische nennen kann, wird Maria Stuart immer ein vollendetes Beispiel sein, sie, die nur einmal eine Leidenschaft zu erleben wußte, diese aber bis zu dem letzten Ende des Gefühls: bis zur Selbstauflösung und Selbstzerstörung.
Auf den ersten Blick mag es befremdlich erscheinen, daß eine derartig elementare Leidenschaft wie jene Maria Stuarts zu Bothwell so rasch ihrer früheren Neigung zu Darnley folgt. Und doch ist gerade diese Entwicklung die einzige logische und natürliche. Denn wie jede andere große Kunst will auch Liebe gelernt, geprobt und erfahren sein. Nie oder beinahe nie findet – genau wie in der Kunst – der erste Griff schon die ganz vollendete Lösung: dieses ewig gültige Gesetz der Seelenkunde, daß fast immer eine Leidenschaft höchsten Grades eine frühere und geringere als Stufe voraussetzt, hat Shakespeare, der beste Seelenwisser, großartig in seiner Dichtung aufgetan. Es ist vielleicht der genialste Griff seiner unsterblichen Liebestragödie, daß er sie nicht (wie es ein geringerer Künstler und Kenner gestaltet hätte) mit der blitzhaften Zündung der Liebe Romeos zu Julia einsetzen läßt, sondern scheinbar paradoxerweise mit Romeos Verliebtheit in irgendeine Rosalinde. Bewußt ist hier ein Irrtum des Herzens vor die heiße Wahrheit gesetzt, ein Vorzustand, ein schülerhafter und halb unbewußter, geht der Meisterschaft voraus; Shakespeare zeigt an seinem herrlichen Beispiel, daß es keine Erkenntnis gibt ohne frühere Ahnung, keine Lust ohne Vorlust und daß ein Gefühl, um seine Flamme bis ins Unendliche zu erheben, schon vordem einmal erregt und entzündet gewesen sein muß. Nur weil Romeo sich innerlich in einem Spannungszustand befindet, weil seine starke und leidenschaftliche Seele sich nach Leidenschaft sehnt, greift der Liebeswille in ihm zunächst töricht und blind nach dem ersten Anlaß, nach der durchaus zufälligen Rosalinde, um dann erst, sehend und wissend geworden, die halbe Liebe rasch gegen die ganze, Rosalinde gegen Julia, zu vertauschen. Genau so war Maria Stuart mit noch blindem Gefühl zunächst Darnley entgegengegangen, nur weil er, jung und hübsch, wie er war, in der rechten Stunde kam. Aber sein matter Atem war zu schwach, ihre innere Glut zu nähren. Er vermochte sie nicht aufschlagen zu lassen in die Himmel der Ekstase, sie konnte sich nicht ausbrennen und nicht auflodern. So schwelte diese Glut dunkel weiter, die Sinne erregend und doch die Seele enttäuschend, ein qualvoller Zustand des Nach-innen-Brennens mit erstickter Flamme. Sobald aber der Richtige kam, er, dem es gegeben war, diese Qual zu erlösen, der dieser in sich selbst erstickten Glut Luft und Nahrung schenkte, so schlug die niedergepreßte Flamme in einer einzigen Lohe bis in alle Himmel und Höllen. Genau wie Romeos Gefühl für Rosalinde sich spurlos auflöst in seiner wahren Leidenschaft für Julia, so vergißt Maria Stuart die sinnliche Neigung für Darnley sofort in der restlosen und ekstatischen für Bothwell. Denn immer ist es Form und Sinn jeder letzten Leidenschaft, daß sie sich an allen früheren nur nährt und steigert. Immer wird alles, was ein Mensch vordem an Leidenschaft sich vortäuschte, erst in einer wirklichen Liebe wahr.
Für die Geschichte der Leidenschaft Maria Stuarts zu Bothwell haben wir zweierlei Urkunden. Die ersten sind die zeitgenössischen Annalen, Chroniken und Dokumente, die anderen eine Reihe überlieferter Briefe und Verse, die ihr zugeschrieben werden; beide Formen, die äußere Projektion der Tatsachen und das innere Zeugnis des seelischen Antriebs, passen haarscharf ineinander. Dennoch weigern sich aber all jene, die meinen, Maria Stuart im Namen einer nachträglichen Moral verteidigen zu müssen gegen eine Leidenschaft, gegen die sie sich selbst nicht zu verteidigen wußte, die Echtheit jener Briefe und Gedichte anzuerkennen. Sie nennen sie glattweg gefälscht und historisch unzuverlässig. Dafür haben sie im prozessualen Sinne zweifellos eine gewisse Handhabe. Denn jene Briefe und Sonette Maria Stuarts sind nur in übersetzten und sogar vielleicht verstümmelten Texten auf uns gekommen. Die Originale fehlen und werden niemals mehr ans Licht kommen, die eigenen Handschriften Maria Stuarts, also das letzte, unwidersprechliche Zeugnis, sind vernichtet, und man weiß auch durch wen. James I., ihr Sohn, hat sofort, nachdem er zur Herrschaft gelangt, diese für die Frauenehre seiner Mutter im bürgerlichen Sinne belastenden Schriftstücke dem Feuer überliefert. Seitdem geht um die Echtheit oder Unechtheit dieser sogenannten »Kassettenbriefe« ein erbitterter Streit mit der ganzen Parteilichkeit, die sich aus religiösen und nationalen Gründen in der Beurteilung Maria Stuarts herausgebildet hat; gerade für den parteilosen Darsteller ist es darum notwendig, Beweis gegen Beweis abzuwägen. Seine Entscheidung wird aber immer eine persönliche, eine individuelle sein müssen, weil der letzte wissenschaftliche oder gerichtsmäßig gültige Beweis, die Vorweisung der Originale, nicht mehr möglich ist und nur logisch, nur psychologisch ihre Echtheit behauptet oder geleugnet werden kann.
Dennoch: wer Maria Stuart wahr sehen und in ihrem innern Wesen darstellen will, muß sich entscheiden, ob er diese Gedichte, diese Briefe für echt hält oder nicht. Er darf nicht mit einem achselzuckenden »Forse che si, forse che no«, mit einem scheuen »Vielleicht, vielleicht auch nicht« an dieser Frage vorbeischleichen, denn hier liegt der seelische Kernpunkt der inneren Entwicklung; er muß mit voller Verantwortlichkeit das Für und Wider abwägen, und wenn er sich für die Echtheit entscheidet und jene Gedichte als gültige Zeugnisse in seiner Darstellung verwertet, so hat er seine Überzeugung offen und klar zu begründen.
»Kassettenbriefe« werden jene Briefe und Sonette genannt, weil sie nach Bothwells überstürzter Flucht in einer verschlossenen silbernen Kassette gefunden wurden. Daß tatsächlich Maria Stuart jene Kassette, die sie von Franz II., ihrem ersten Gemahl, empfangen hatte, Bothwell wie alles andere geschenkt, steht außer Zweifel, und ebenso, daß Bothwell in diesem sicheren Schrein seine geheimsten Dokumente aufbewahrt hatte, darunter selbstverständlich die Briefe Maria Stuarts. Ebensowenig ist fraglich, daß jene Mitteilungen Maria Stuarts an ihren Geliebten unvorsichtige und kompromittierende gewesen sein müssen, denn erstens war Maria Stuart zeitlebens eine wagemutige, unbedenkliche Frau und hat niemals verstanden, in Wort oder Schrift ihre Gefühle zurückzuhalten. Zweitens bezeugt die maßlose Freude ihrer Gegner bei der Auffindung dieser Briefe, daß sie irgend etwas Belastendes oder Beschämendes für Maria Stuart enthalten mußten. Aber die Verteidiger der Fälschungshypothese streiten das Vorhandensein solcher Briefe und Gedichte gar nicht mehr ernstlich ab, sondern behaupten nur, daß die Lords in den wenigen Tagen zwischen der gemeinsamen Überprüfung bis zur Vorlegung im Parlament statt der Originale böswillige Fälschungen eingeschmuggelt hätten, daß also jene veröffentlichten Briefe keineswegs dieselben gewesen seien wie die in dem verschlossenen Schrein ursprünglich vorgefundenen.
Hier nun setzt die Frage ein: Wer von den Zeitgenossen hat diese Anschuldigung erhoben? Und die Antwort lautet belastenderweise: Eigentlich niemand. Die Lords haben gemeinsam am Tage, nachdem die Kassette in Mortons Hände gefallen war, sie eröffnet und die Echtheit beschworen, das versammelte Parlament hat sie noch einmal geprüft (darunter nächste Freunde Maria Stuarts) und keinen Zweifel geäußert, sie wurden ein drittes, ein viertes Mal in York und Hampton Court gezeigt, mit anderen Originalen von der Hand Maria Stuarts verglichen und als echt befunden. Vor allem aber fällt überzeugend ins Gewicht, daß Elisabeth den Druck der Texte an alle Höfe sandte, und so dubios ihr Charakter auch sein mag, eine offene freche Fälschung, welche irgendeiner der Teilnehmer irgendeines Tages hätte aufdecken können, hätte die Königin von England nie patronisiert: diese Politikerin war zu vorsichtig, bei kleinem Betrug sich ertappen zu lassen. Die einzige Person, die damals um ihrer Ehre willen verpflichtet gewesen wäre, die ganze Welt angesichts einer Fälschung zu ihrer Hilfe anzurufen, Maria Stuart, die Hauptbeteiligte, die angeblich schuldlos Verleumdete, hat – man staunt – nur ganz, ganz lau und gar nicht überzeugend protestiert. Zunächst sucht sie durch geheime Verhandlungen zu verhindern, daß die Briefe in York überhaupt vorgelegt werden – warum, muß man fragen, denn eine nachweisbare Fälschung hätte ihre Stellung nur gestärkt! –, und wenn sie schließlich ihren Vertretern Auftrag gibt, im vorhinein alles, was man gegen sie vorbringen könnte, »en bloc« als unwahrhaftig zurückzuweisen, so bedeutet das bei Maria Stuart nicht viel, die sich in politischen Dingen wenig an die Wahrheit gehalten hat und einfach verlangte, daß ihre »parole de prince« mehr zu gelten habe als alle Beweise. Aber selbst dann, als in dem Libell Buchanans die Briefe gedruckt werden und anklägerisch in alle Winde wehen, an allen Höfen begierig gelesen werden, erhebt sie keinerlei wilden Protest, sie beschwert sich mit keiner Silbe über eine Fälschung ihrer Dokumente, sondern nennt Buchanan bloß ganz allgemein einen »abscheulichen Atheisten«. In keinem Briefe, nicht an den Papst, nicht an Frankreichs König, nicht an ihre Verwandten, schreibt sie ein Wort, man hätte Briefe und Gedichte von ihr gefälscht, und ebensowenig hat je der französische Hof, der schon von der ersten Stunde an Kopien der Originale in Händen hatte, in einer so aufsehenerregenden Sache für Maria Stuart Stellung genommen. Niemand der Zeitgenossen hat also einen Augenblick an der Echtheit gezweifelt, keiner der zeitgenössischen Freunde ein so ungeheures Unrecht öffentlich behauptet, wie es die Unterschiebung falscher Dokumente doch dargestellt hätte. Erst hundert, erst zweihundert Jahre später, als die Originale von ihrem Sohne längst vernichtet waren, hat sich die Fälschungshypothese im Zusammenhang mit der Bemühung, diese kühne und unbändige Frau als ahnungsloses und makelloses Opfer einer niederträchtigen Konspiration hinzustellen, allmählich vorgewagt.
Die Haltung der Zeitgenossen, das historische Argument, spricht also unbedingt für die Echtheit und ebenso deutlich meines Erachtens das philologische, das psychologische. Denn – um zuerst die Gedichte ins Auge zu fassen – wer, muß man fragen, im damaligen Schottland wäre fähig gewesen, in so knapper Frist in einer fremden, in französischer Sprache einen Zyklus Sonette zu dichten, die allerintimste Kenntnis der privaten Vorgänge in Maria Stuarts Leben voraussetzen? Zwar kennt die Weltgeschichte zahllose Fälle von untergeschobenen Dokumenten und Briefen, auch in der Literatur sind allerhand apokryphe Dichtungen oft geheimnisvoll aufgetaucht, aber dann handelt es sich wie bei Macphersons Ossian-Gedichten oder bei der Fälschung der Königinhofer Handschrift immer um philologische Rekonstruktionen aus verschollenen jahrhundertweiten Epochen. Niemals aber war versucht worden, einem lebenden Menschen einen ganzen Zyklus Gedichte zu unterschieben. Und wie absurd auch der Gedanke, schottische Landjunker, denen Dichtung das Fremdeste auf Erden war, würden, um ihre Königin zu kompromittieren, rasch elf Sonette in französischer Sprache dichten! Wer also war der namenlose Zauberer – die Frage hat keiner der Paladine je beantwortet –, der in einer fremden Sprache so vollendet und stilgenau eine Gedichtreihe der Königin unterschieben konnte, die Wort für Wort, Gefühl um Gefühl mit dem Geheimsten dieser Frau in Einklang steht? Selbst ein Ronsard, ein Du Bellay hätten dies nicht so rasch und so seelenwahr vermocht, und wie da erst die Mortons, die Argylls und Hamiltons und Gordons, die allenfalls das Schwert, aber schwerlich ein Tischgespräch in französischer Sprache zu führen wußten!
Ist aber die Echtheit der Gedichte gewiß (und sie wird heute kaum ernstlich mehr geleugnet), so ist man genötigt, sich auch zur Echtheit der Briefe zu bekennen. Zugegeben sei, daß durch die Rückübersetzung ins Lateinische und Schottische (nur zwei Briefe sind in der Originalsprache erhalten) einige Einzelheiten verändert sein mögen, vielleicht ist tatsächlich sogar eine oder die andere Stelle eingefügt. Aber im ganzen sprechen dieselben Argumente überzeugend für die Echtheit der Briefe und ganz besonders ein letztes, ein psychologisches. Denn wenn ein angebliches »Verbrecherkonsortium« aus Haß belastende Briefe hätte fälschen wollen, so wäre es doch selbstverständlich gewesen, daß es eindeutige Geständnisse fabriziert hätte, welche Maria Stuart verächtlich machten und sie als liebeslüsterne, heimtückische, bösartige Frau darstellten. Völlig widersinnig aber war das Absurdum, daß man, um Maria Stuart zu schaden, Briefe und Gedichte erfunden hätte wie die überlieferten, die sie eher entschuldigen als beschuldigen, weil sie menschlich erschütternd vor allem das Grauen Maria Stuarts vor dem Mitwissen und der Mithilfe am Verbrechen zum Ausdruck bringen. Denn nicht die Lust dieser Leidenschaft, sondern ihre grimmigste Not offenbaren diese Briefe, die wie erstickte Schreie sind eines bei lebendigem Leibe Brennenden und Verbrennenden. Gerade daß sie mit solcher Ungeschicklichkeit, in so wirrer Gedankenflucht, daß sie in so sichtlicher Hast und Verstörung hingeworfen sind von einer Hand, die, man spürt es, im Schreiben vor Erregung zittert, gerade dies entspricht vollkommen jenem überreizten Seelenzustand, den Maria Stuarts Handlungen in jenen Tagen bezeugen; nur ein Seelenwisser genialsten Ranges hätte derart vollendet eine solche psychologische Untermalung zu den offenbaren Tatsachen erdichten können. Moray, Maitland und Buchanan, die abwechselnd aufs Geratewohl von den professionellen Ehrenrettern Maria Stuarts der Fälschung beschuldigt werden, sie aber waren keine Shakespeares, keine Balzacs, keine Dostojewskis, sondern kleine Seelen, wohl fähig kleiner schuftiger Betrügereien, aber nicht fähig, in ihren Tintenstuben ein Gebilde von so erschütternder seelischer Wahrhaftigkeit aufzubauen, wie es diese Briefschaften Maria Stuarts für alle Zeiten sind; der Genius, der diese Briefe erfunden haben sollte, müßte erst gefunden werden. Und so darf der Unbefangene einzig Maria Stuart, welche immer nur die Not und der innerste Druck der Seele zur Dichterin schuf, guten Gewissens als die Verfasserin jener Briefe und Gedichte anerkennen und als sicherste Zeugin ihrer bittersten Stunde anrufen.
Einzig durch den Selbstverrat im Gedicht kennt man vor allem den Beginn dieser unseligen Leidenschaft. Einzig dank jener glühenden Zeilen weiß man, daß nicht langsam und kristallinisch diese Liebe sich gebildet, sondern mit einem Ruck sich über die ahnungslose Frau geworfen und sie für immer an sich gerissen hat. Den unmittelbaren Anlaß bildet ein grober körperlicher Akt, ein Überfall Bothwells, eine halbe oder ganze Vergewaltigung. Wie ein Blitz erhellen die Verse in ihrem Sonett das Dunkel:
»Pour luy aussi j'ay jette mainte larme,
Premier qu'il fust de ce corps possesseur,
Duquel alors il n'avoit pas le coeur.«
»Für ihn hab' manche Träne ich vergossen,
Zuerst, da er sich meines Leibs bemächtigt,
Des damals er noch nicht das Herz besaß.«
Mit einem Schlage sieht man die ganze Situation. Maria Stuart ist seit Wochen mehr und mehr mit Bothwell zusammen gewesen; er hat sie als erster Berater des Reichs, als der Kommandant ihrer Heermacht auf Reisen und Lustfahrten von Schloß zu Schloß begleitet. Aber keinen Augenblick hat sie, die doch eben selbst für diesen Mann eine schöne adelige Frau gewählt und seiner Hochzeit beigewohnt hat, in diesem jungen Ehegatten einen Werbenden erblickt; doppelt gesichert und unantastbar mußte sie sich durch jene Ehe gegenüber ihrem getreuen Vasallen empfinden. Arglos konnte sie mit ihm reisen, unbedenklich mit ihm beisammen sein. Aber immer wird Maria Stuarts unvorsichtig vertrauendes Sicherheitsgefühl, gerade die wertvollste Eigenschaft ihres Charakters, ihr zur Gefahr. Wahrscheinlich, man glaubt die Szene zu sehen, erlaubt sie sich gelegentlich mit ihm eine jener lässigen Vertraulichkeiten, jener weiblichen koketten Achtlosigkeiten, wie sie ihr schon bei Chastelard, schon bei Rizzio verhängnisvoll geworden sind. Sie bleibt vielleicht lange mit ihm allein in den Gemächern, sie plaudert vertraulicher, als es die Vorsicht gebietet, sie scherzt, sie spielt, sie spaßt mit ihm. Aber dieser Bothwell ist kein Chastelard, kein romantischer Lautenschläger und Troubadour, kein Rizzio, kein schmeichlerischer Emporkömmling: Bothwell ist ein Mann mit heißen Sinnen und harten Muskeln, ein Triebmensch und Instinktmensch, der vor keinerlei Verwegenheit zurückschreckt. Ein solcher Mann läßt sich nicht leichtfertig herausfordern und reizen. Schroff greift er zu, er packt die Frau, die sich längst schon in einem schwankenden und irritierten Seelenzustand befindet, deren Sinne durch die erste törichte Neigung erregt und doch nicht beschwichtigt sind. »II se fait de ce corps possesseur«, er überrumpelt sie oder vergewaltigt sie. (Wer kann den Unterschied messen in solchen Momenten, da Wollen und Sich-Wehren rauschhaft zusammenfließen?) Man kann kaum zweifeln: auch von seiten Bothwells war dieser Überfall gewiß kein vorbedacht geplanter, nicht Erfüllung einer lange zurückgehaltenen Zärtlichkeit, sondern eine impulsive Lusthandlung ohne jede Seelenbetonung, ein rein körperlicher, ein rein physischer Gewaltakt.
Doch die Wirkung auf Maria Stuart ist blitzhaft hinschmetternd. Etwas völlig Neues bricht wie Sturm in ihr ruhiges Leben: mit ihrem Körper hat Bothwell auch ihr Gefühl vergewaltigt. In beiden Gatten, dem fünfzehnjährigen Kindgemahl Franz II. und dem unbärtigen Darnley, war sie bislang nur halbmännlichen Charakteren begegnet, Weichlingen und Schwächlingen. Schon war es ihr selbstverständlich geworden, die Schenkende, die großmütig Beglückende, die Herrin und Herrscherin auch in dieser geheimsten Sphäre zu sein und niemals die Nehmende, die Genommene, die Überwältigte. In diesem brutalen Gewaltakt aber ist sie plötzlich – und ihre Sinne taumeln betäubt unter dieser Überraschung – einem wirklichen Manne begegnet, endlich einem, der alle ihre weiblichen Kräfte, ihre Scham, ihren Stolz, ihr Sicherheitsgefühl zerschlagen hat, endlich einem, der ihr die eigene, bisher noch nicht bewußte vulkanische Welt lustvoll aufgetan. Noch ehe sie die Gefahr erkannt, noch ehe sie versucht, Widerstand zu leisten, ist sie schon besiegt, die strenge Schale ist zerbrochen, und verzehrend, verbrennend überströmt die innere Glut. Wahrscheinlich ist ihr erstes Gefühl bei dieser Überrumplung nur Zorn, nur Empörung, nur wütender, tödlicher Haß gegen diesen Lustmörder ihres Frauenstolzes. Aber dies bleibt ja allezeit eines der tiefsten Geheimnisse der Natur, daß die Pole der äußersten Empfindung einander berühren. So wie die Haut äußerste Kälte und äußerste Hitze kaum mehr zu unterscheiden vermag, so wie Frost brennen kann, als ob er Feuer wäre, so fließen die entgegengesetzten Gefühle manchmal jäh ineinander. In einem Augenblick kann in der Seele einer Frau Haß überspringen in Liebe und beleidigter Stolz in rasende Demut, kann ihr Körper mit letzter Gier wollen und bejahen, was er vor einer Sekunde noch mit letztem Widerwillen verweigert. Jedenfalls, von dieser Stunde an steht diese bisher leidlich besonnene Frau in Feuer und brennt und verbrennt sich völlig an diesen inneren Flammen. Alle die Pfeiler, die bisher ihr Leben getragen, Ehre, Würde, Anstand, Stolz, Selbstsicherheit und Vernunft, brechen zusammen: einmal niedergeworfen und hingeschleudert, will sie nur immer tiefer sinken und sinken, nur noch fallen und sich verlieren. Eine neue, eine fremde Lust ist über sie gekommen, und sie kostet sie bis zur Selbstauflösung aus, gierig und berauscht: demütig küßt sie die Hand des Mannes, der ihr den Stolz ihres Frauentums vernichtet und sie dafür die neue Ekstase der Hingabe gelehrt.
Unermeßlich reicht diese neue, diese unüberbietbare Leidenschaft über die erste zu Darnley hinaus. An Darnley hatte ihre Hingebelust sich nur entdeckt und versucht, nun erst lebt sie sich aus; mit Darnley wollte sie nur teilen, die Krone, die Macht, das Leben. Bothwell aber will sie nichts Einzelnes mehr geben, nicht dies und das, sondern alles und alles, was sie auf Erden besitzt, sich arm machen, um ihn zu bereichern, sich lustvoll erniedrigen, um ihn zu erhöhen. In einer geheimnisvollen Verzückung schleudert sie alles weg, was sie bindet und einengt, um ihn, den Einen, zu fassen und zu halten. Sie weiß, daß ihre Freunde sie verlassen werden, die Welt sie schmähen und verachten wird, aber gerade dies schenkt ihr für ihren zertretenen Stolz eine neuen Stolz, und begeistert bekundet sie:
»Pour luy depuis j'ay mesprise l'honneur,
Ce qui nous peust seul pourvoir de bonheur.
Pour luy j'ay hazarde grandeur & conscience,
Pour luy tous mes parens J'ay quitte & amis,
Et tous autres respectz sont a part mis.
Pour luy tous mes amis, j'estime moins que rien,
Et de mes ennemis je veux esperer bien.
J'ay hazardé pour luy nom & conscience,
Je veux pour luy au monde renoncer,
Je veux mourir pour le faire avancer.«
»Für ihn hab' ich seitdem der Ehre abgesagt,
Die einzig wahres Glück erschafft im Leben,
Für ihn Gewissen und Gewalt dahingewagt,
Für ihn Verwandtschaft, Freundschaft weggegeben,
Jedwede Rücksicht mußte vor ihm weichen.
Kein Freund zählt mehr, wenn seiner ich gedenke,
Kein Feind, kein Haß macht fürder mich erbeben,
Lust war mir's, all dies für ihn wegzuschenken,
Denn seinetwillen will ich gern der Welt entsagen
Und sterben, daß er höhern Rang erreiche.«
Nichts mehr nun für sich, alles nur für ihn, in dem sie sich zum ersten Male ganz hingegeben empfindet:
»Pour luy je veux rechercher la grandeur,
Et feray tant que de vray congnoistra
Que je n'ay bien, heur, ne contentement,
Qu'a l'obeir & servir loyaument.
Pour luy j'attendz toute bonne fortune,
Pour luy je veux garder sante & vie,
Pour luy tout vertu de suivre j'ay envie,
Et sans changer me trouvera tout' une.«
»Für ihn will ich den höchsten Preis gewinnen
Und nimmer ruhn, bis endlich er erkenne,
Daß keine andre Lust mein Herz entbrenne,
Denn unablässig und unstillbar ihm zu dienen.
Um seinetwillen mög' das Schicksal mich bewahren,
Für ihn nur Glück, Gesundheit lange sparen,
Daß ich ihm folgen kann und an ihn binden
Und ewig als die Eine, Seine finden.«
Alles, was sie besitzt, alles, was sie ist, ihr Königtum, ihre Ehre, ihren Körper, ihre Seele, schleudert sie hinab in den Abgrund ihrer Leidenschaft, und in der Tiefe ihres Sturzes genießt sie zugleich den ganzen Überschwang ihres Gefühls.
Eine solche rasende Spannung und Überspannung des Empfindens muß eine Seele verwandeln. Unbekannte und einmalige Kräfte reißt das Übermaß der Leidenschaft aus dieser bisher lässigen und zurückhaltenden Frau. Verzehnfacht lebt sich ihr Körper, ihre Seele in diesen Wochen aus, Möglichkeiten und Fähigkeiten brechen aus ihr vor, die sie vordem und nachdem nie wieder erreichte. In diesen Wochen kann Maria Stuart achtzehn Stunden galoppieren und dann noch die Nacht durch ohne Müdigkeit wachen und Briefe schreiben. Sie vermag, sonst nur Dichterin knapper Epigramme und flüchtiger Gelegenheitsverse, in einem Zuge feurigster Inspiration jene elf Sonette hinzuschreiben, in denen sie alle ihre Lust und Qual mit einer nie vordem, nie später wieder gegebenen Wortkraft und Beredsamkeit aussagt. Sie ist fähig, sie, die sonst Unvorsichtige und Sorglose, sich so vollkommen vor den Menschen zu verstellen, daß durch Monate niemand ihre Beziehungen zu Bothwell bemerkt. Sie kann vor den Menschen mit dem Manne, vor dessen leisester Berührung sie glühend erbebt, kühl und kalt wie mit einem Untergebenen sprechen, sie vermag heiter zu tun, während innen die Nerven zucken und brennen und ihr die Seele vor Verzweiflung vergeht. Ein dämonisches, ein Über-Ich ist plötzlich in ihr entstanden und reißt sie weit über ihre eigene Kraft hinaus.
Aber diese Überleistungen des Gefühls, gewaltsam dem Willen abgezwungen, sind bezahlt mit furchtbaren Niederbrüchen. Tagelang liegt sie dann wieder schwach und erschöpft auf ihrem Bette, stundenlang irrt sie in den Zimmern herum mit betäubten Sinnen, schluchzend stöhnt sie auf ihrem Lager: »Ich möchte tot sein« und schreit nach einem Dolche, sich selbst zu morden. Wie sie gekommen, diese Überkraft, so schwindet sie in manchen Stunden wieder geheimnisvoll fort. Denn ihr Körper kann auf die Dauer dieses wütende Sich-selbst-Übersteigern, dieses rasende Aus-sich-heraus-Wollen nicht mehr ertragen, er revoltiert, er rebelliert, die Nerven brennen und beben. Nichts zeigt deutlicher, bis zu welchem äußersten Ende ihr Leib durch den maßlosen Exzeß der Leidenschaft erschüttert ist, als die berühmte Episode von Jedburgh. Am 7. Oktober ist Bothwell im Kampf mit einem Wilddieb lebensgefährlich verwundet worden; die Nachricht erreicht Maria Stuart in Jedburgh, wo sie Landgerichtstag abhält. Um kein Aufsehen zu erregen, sieht sie davon ab, sich sofort in den Sattel zu schwingen und die fünfundzwanzig Meilen nach Hermitage Castle zu jagen. Aber es ist kein Zweifel, daß sie die schlimme Botschaft völlig verstört, denn der unparteiischeste Beobachter in ihrer Umgebung, der Botschafter Du Croc, der damals noch nicht die mindeste Ahnung einer intimeren Beziehung zu Bothwell haben kann, meldet nach Paris: »Ce ne luy eust esté peu de perte de le perdre.« Auch Maitland merkt ihre Geistesabwesenheit und Verworrenheit, aber gleichfalls in Unkenntnis der wirklichen Ursache meint er, daß »diese trüben Gedanken und dieses Mißvergnügen ihren Grund in der Beziehung zum König hätten«. Erst ein paar Tage später sprengt in wildem Ritt die Königin zu Bothwell hinüber, begleitet von Lord Moray sowie einigen Edelleuten. Zwei Stunden bleibt sie am Bette des Verwundeten und jagt dann ebenso toll zurück, um in dieser rasenden Jagd ihre qualvolle Unruhe zu überrennen. Aber nun sackt ihr von nach innen brennender Leidenschaft unterhöhlter Körper zusammen. Wie man sie vom Sattel hebt, fällt sie ohnmächtig hin und bleibt zwei Stunden liegen. Dann bricht ein Fieber aus, ein typisches Nervenfieber, sie schlägt um sich und deliriert. Hierauf erstarrt plötzlich der Körper, sie sieht, sie fühlt nichts mehr, ratlos umstehen die Edelleute und der Arzt die rätselhaft Kranke. Boten werden nach allen Richtungen gesendet, den König zu holen und den Bischof, damit er ihr für alle Fälle die Letzte Ölung spende. Acht Tage liegt so Maria Stuart zwischen Leben und Tod. Es ist, als ob der geheime Wille, nicht mehr leben zu wollen, in einer furchtbaren Explosion ihre Nerven zerrissen, ihre Kräfte zerstört hätte. Doch – und dies zeigt mit klinischer Deutlichkeit, daß dieser Zusammenbruch im wesentlichen ein seelischer, ein typisch hysterischer gewesen – kaum bringt man auf einem Leiterwagen den genesenden Bothwell heran, fühlt sie sich besser, und – abermaliges Wunder – zwei Wochen später sitzt die schon Totgemeinte neuerdings im Sattel. Von innen her ist die Gefahr gekommen, von innen her hat die Gefährdete sie überwunden.
Aber wenn auch körperlich gesundet, bleibt die Königin doch in den nächsten Wochen verändert und verstört. Sogar die Fremdesten merken, daß sie »eine andere« geworden ist. Etwas in ihren Zügen, ihrem Wesen hat sich dauernd umgefärbt, die gewohnte Leichtigkeit und Sicherheit ist von ihr abgefallen. Sie geht und lebt und handelt wie nur ein Mensch unter einem schweren Druck. Sie schließt sich ein in ihr Zimmer, und durch die Türen hören die Dienerinnen sie schluchzen und stöhnen. Jedoch sonst vertrauensvoll, vertraut sie sich diesmal niemandem an. Ihre Lippen bleiben versiegelt, und niemand ahnt das furchtbare Geheimnis, das sie durch ihre Tage und Nächte trägt und das ihr allmählich die Seele erdrückt.
Denn ein Furchtbares ist in dieser Leidenschaft, etwas, was sie zugleich so großartig und grauenhaft macht – das unüberbietbar Furchtbare, daß die Königin vom ersten Augenblicke weiß, daß ihre Liebeswahl eine verbrecherische und eine völlig ausweglose ist. Entsetzlich muß das Erwachen schon aus der ersten Umarmung gewesen sein, ein Tristansaugenblick, da sie, vergiftet von dem Liebestrank, aus dem Taumel auffahren und beide sich erinnern, daß sie nicht allein leben in der Unendlichkeit ihres Gefühls, sondern gebunden sind an diese Welt, an Pflicht und Recht. Entsetzliches Erwachen, da die Sinne sich wieder sammeln und grell die Erkenntnis aufblendet, welchem Wahn sie verfallen. Denn sie, die sich hingegeben, ist doch Gattin eines andern Mannes, und er, dem sie sich hingegeben, Gemahl einer anderen Frau. Es ist Ehebruch, doppelter Ehebruch, den ihre rasenden Sinne begangen haben, und wie viele Tage ist es erst her, vierzehn, zwanzig oder dreißig, da hat sie selbst, Maria Stuart, als Königin von Schottland ein Edikt feierlich erlassen und unterzeichnet, das Ehebruch und jede andere Form unerlaubter Lust in ihrem Lande mit dem Tode ahndet. Schon vom ersten Augenblick an ist diese Leidenschaft gebrandmarkt als eine verbrecherische, sie kann sich nur durch neue und neue Verbrechen, wenn sie dauern will, behaupten und betätigen. Um sich beide ewig binden zu können, müssen beide sich erst mit Gewalt lösen, die eine vom Gatten, der andere von der Gattin. Nur vergiftete Frucht kann diese sündige Liebe tragen, und Maria Stuart weiß mit grauenhafter Wachheit von der ersten Stunde an, daß es für sie von nun ab keine Ruhe mehr gibt und keine Rettung. Aber gerade in solchen verzweifelten Augenblicken erwacht in Maria Stuart ein letzter Mut, auch das Unsinnig-Vergebliche zu versuchen und das Schicksal herauszufordern. Nicht feige wird sie zurückweichen und sich verbergen und verstecken, sondern aufrechten Hauptes den Weg zu Ende gehen bis zum Abgrund. Mag alles verloren sein, ihr Glück in dieser Qual ist, daß es um seinetwillen geopfert ist.
»Entre ses mains, & en son plain pouvoir,
Je mets mon fils, mon honneur, & ma vie,
Mon pais, mes subjets, mon ame assubjettie
Est tout à luy, & n'ay autre vouloir
Pour mon objet, que sans le decevoir
Suivre je veux, malgré toute l'envie
Qu'issir en peut.«
»In seine Hände und in sein Ermessen
Lege ich alles, was ich irdisch je besessen,
Mein Kind, mein Land, Leben, Glück und Ehre,
Denn ihm allein und unbedingt sein eigen
Will meine Seele ewig sich erzeigen,
Nur ihm sich bindend, selig seiner Nähe,
Treu bis zum Tod, was immer auch geschehe.«
»Was immer auch geschehe«, sie wird den Weg ins Aussichtslose wagen. Da sie sich ganz, Leib, Seele und Schicksal, an ihn, den unsäglich Geliebten, verloren hat, fürchtet diese maßlos Liebende nur eines mehr auf Erden: ihn zu verlieren.
Aber das Furchtbarste in diesem Furchtbaren, die äußerste Qual in dieser Qual ist für Maria Stuart noch aufgespart. Denn in all ihrer Torheit ist sie zu hellsichtig, um nicht bald zu erkennen, daß sie sich auch diesmal wieder vergebens verschwendet, daß der Mann, dem nun alle ihre Sinne entgegenbrennen, sie gar nicht wirklich liebt. Bothwell hat sie genommen wie viele andere Frauen: sinnlich, rasch und brutal. Doch er ist bereit, sie ebenso gleichgültig zu verlassen, wie er alle die anderen Frauen nach der ersten Abkühlung der Sinne weggeworfen hat. Für ihn ist dieser Gewaltakt ein heißer Augenblick, ein rasches Abenteuer gewesen, und daß dieser geliebte Herr ihrer Sinne keinerlei sonderliche Verehrung für sie empfindet, muß die Unselige sich bald selbst eingestehen:
»Vous m'estimez legiere, que je voy,
Et si n'avez en moy nulle asseurance,
Et soupconnez mon coeur sans apparence,
Vous meffiant a trop grand tort de moy.
Vous ignorez l'amour que je vous porte.
Vous soupconnez qu'autre amour me transporte.
Vous despeignez de cire mon las coeur.
Vous me pensez femme sans jugement;
Et tout cela augmente mon ardeur.«
»Ihr meint mich leichten Sinns und seid
– Ich fühl' es – meines Wesens nicht gewiß.
Ihr glaubt – o weh, wie Ihr mir Unrecht tut! –
Mein Herz von Wachs und ohne Stetigkeit.
Ihr ahnt die Liebe nicht, so ich Euch hege,
Meint, daß auch möglich andre mich bewege,
Ihr glaubt mich schwach und schwank. Allein
All Euer Zweifel mehrt nur meine Glut
Und läßt mich heißer nur verschworen sein.«
Aber statt sich stolz von dem Undankbaren abzuwenden – statt sich zu beherrschen und zu bezähmen, wirft sich diese von ihrer Leidenschaft trunkene Frau vor dem Gleichgültigen in die Knie, um ihn festzuhalten. Unheimlich ist ihr einstiger Hochmut in eine rasende Selbsterniedrigung verwandelt. Sie fleht, sie bettelt, sie preist sich an, wie eine Ware bietet sie sich dem Geliebten dar, der sie nicht lieben will. So vollkommen, so bis zur letzten Demütigung hat sie das Gefühl für Würde verloren, daß sie, die einst so Königliche, ihm wie ein Marktweib feilschend vorrechnet, was sie für ihn hingeopfert, daß sie immer wieder eindringlich – und man muß sogar sagen: zudringlich – ihn der sklavischesten Unterwürfigkeit versichert:
»Car c'est le seul desir de vostre chere amie,
De vous servier, & loyaument aimer,
Et tous malheurs moins que rien estimer,
Et vostre volonte de la mienne suivre
Vous cognoistrez aveques obeissance,
De mon loyal devoir n'obmettant la science,
A quoy J'estudiray pour tousjours vous complaire.
Sans aimer rien que vous, soubs la subjection
De qui je veux san nulle fiction,
Vivre & mourir.«
»Denn Eurer Freundin einzigstes Verlangen
Ist, liebend, dienend treu Euch anzuhangen,
Den eignen Willen völlig Eurem anzugleichen
Und keiner Not um Euretwillen auszuweichen,
Ihr werdet sehn, wie hörig hingegeben,
Mit welchem Eifer, welchem gierigen Streben
Ich lernen will, mich dienend zu erfüllen,
Geliebte und gelöst in Eurem Willen, –
Nur diesem Preis will sterben ich und leben.«
Schauervoll und erschütternd ist diese völlige Vernichtung des Selbstgefühls in dieser aufrechten Frau, die bisher von keinem Herrscher der Welt und keiner irdischen Gefahr Furcht empfunden und nun sich erniedrigt zu den schmählichsten Praktiken einer neidischen und hämischen Eifersucht. An irgendwelchen Anzeichen muß Maria Stuart gemerkt haben, daß Bothwell seiner eigenen jungen Frau, die sie ihm selbst ahnungslos ausgewählt, innerlich mehr zugetan sei als ihr und daß er nicht daran denke, jener um ihretwillen untreu zu werden. Und nun versucht sie – es ist grauenhaft, wie gerade ein großes Gefühl eine Frau kleinlich zu machen vermag – in der unedelsten, kläglichsten, böswilligsten Weise seine Gattin herabzusetzen. Sie trachtet, seine männlich-erotische Eitelkeit aufzureizen, indem sie ihn (offenbar auf Grund intimer Mitteilungen) daran erinnert, daß seine Frau nicht genug Glut in seiner Umarmung bezeige, daß sie sich ihm, statt mit vollster leidenschaftlicher Inbrunst, nur halb zögernd hingebe. Sie vergleicht, sie, die einst ganz Hochmut gewesen, in erbärmlichem Selbstlob, wieviel mehr sie, die Ehebrecherin, für Bothwell opfere und preisgebe als dessen eigene Frau, die doch nur Vorteile und Vergnügen an seiner Größe habe. Nein, bei ihr, bei Maria Stuart, solle er bleiben, bei ihr allein, und sich nicht täuschen lassen von Briefen und Tränen und Beschwörungen dieser »falschen« Frau.
»Et maintenant elle commence à voir,
Qu'elle estoit bien de mauvais jugement,
De n'estimer l'amour d'un tel amant,
Et voudroit bien mon amy decevoir
Par les ecrits tous fardez de scavoir ...
Et toutes fois ses paroles fardeez,
Ses pleurs, ses plaincts remplis de fictions,
Et ses hautz cris & lamentations,
On tant gaigné, que par vous sont gardeez
Ses lettres, escrites, ausquels vous donnez foy,
Et si l'aimez, & croiez plus que moy.«
»Doch jetzt beginnt sie, ernstlich zu betrachten,
Wie schlecht von sich beraten sie gewesen,
Die Liebe solches Liebsten zu mißachten.
Mit falschen Briefen sucht sie jetzt erschrocken
Den Freund von mir zu sich zurückzulocken,
Und weh, schon sehe ich, gelingt es ihr,
Mit lügnerischen Tränen, Schrei und Klagen
Dich abermals ins alte Netz zu schlagen,
Denn Du bewahrst die falschen Briefe auf bei Dir
Und glaubst geschriebnem Heuchelworte mehr als mir.«
Immer verzweifelter werden ihre Schreie. Er solle doch sie, die einzig Würdige, nicht mit der Unwürdigen verwechseln, er möge jene verstoßen, um sich ihr zu verbinden, denn sie sei bereit, was immer auch geschehe, durch Leben und Tod mit ihm zu gehen. Alles möge er, so fleht sie ihn auf den Knien an, von ihr als Beweis der Treue und ewigen Ergebenheit fordern, alles sei sie bereit zu opfern: Haus, Heim, Habe, Krone, Ehre und ihr Kind. Alles, alles möge er nehmen und nur sie behalten, die ganz an ihn, den Geliebten, verloren ist.
Nun lichtet sich zum erstenmal der Hintergrund dieser tragischen Landschaft. Durch Maria Stuarts überschwengliche Selbstgeständnisse wird die Szene völlig klar. Bothwell hat sie gelegentlich genommen, wie viele andere Frauen, und damit wäre eigentlich für ihn das Abenteuer zu Ende. Aber Maria Stuart, ihm verfallen mit Seele und Sinnen, ganz Feuer und Ekstase, will ihn halten und für ewig halten. Ein bloßes Liebesverhältnis hat aber für den glücklich verheirateten, ehrgeizigen Mann wenig Reiz. Bothwell würde bestenfalls um des Vorteils, um der Bequemlichkeit willen die Beziehung zu einer Frau, die alle Würden und Ehren Schottlands zu vergeben hat, noch einige Zeit fortsetzen, er würde Maria Stuart vielleicht noch neben seiner Frau als Konkubine weiterdulden. Aber dies kann einer Königin mit der Seele einer Königin nicht genug sein und ebensowenig einer Frau, die nicht teilen, die in ihrer Leidenschaft doch diesen Einen für sich allein haben will. Wie aber ihn halten? Wie ihn ewig an sich fesseln, diesen wilden, zügellosen Abenteurer? Versprechungen grenzenloser Treue und Demut können einen Mann solcher Art nur langweilen und wenig locken, er hat sie zu oft von anderen Frauen gehört. Nur ein einziger Preis kann diesen Gierigen reizen, der höchste Preis, um den so viele geworben und gebuhlt: die Krone. So gleichgültig es Bothwell sein mag, weiterhin der Geliebte einer Frau zu bleiben, die er innerlich nicht liebt – mächtige Verführung geht doch aus von dem Gedanken, daß diese Frau Königin ist und er an ihrer Seite König werden könnte von Schottland.
Zwar: dieser Gedanke scheint auf den ersten Blick unsinnig. Denn Maria Stuarts rechtmäßiger Gemahl, Henry Darnley, lebt noch: für einen zweiten König ist kein Raum. Und doch ist dieser unsinnige Gedanke der einzige, der Maria Stuart und Bothwell von diesem Augenblick an verkettet, denn sie hat, die Unselige, keine andere Lockung, um den Unbändigen festzuhalten. Nichts auf Erden gab es, um dessentwillen dieser freie, unabhängige Machtmensch sich sonst von einer ihm völlig hörigen Frau hätte kaufen und lieben lassen, als die Krone. Und es gibt keinen Preis, den die Trunkene, die Ehre, Ansehen, Würde, Gesetz längst vergessen hat, nicht bereit gewesen wäre zu zahlen. Selbst wenn Maria Stuart mit einem Verbrechen Bothwell diese Krone erkaufen müßte, wird sie, verblendet von ihrer Leidenschaft, dieses Verbrechen nicht scheuen.
Denn sowenig Macbeth eine andere Möglichkeit hat, König zu werden, um die teuflische Weissagung der Hexen zu erfüllen, als die blutige der gewaltsamen Wegräumung des ganzen Königsgeschlechts, sowenig kann Bothwell je auf ehrliche, auf rechtliche Weise König von Schottland werden. Nur über die Leiche Darnleys geht dieser Weg. Damit Blut und Blut sich einen können, muß Blut vergossen werden.
Daß er von Maria Stuart keinen ernstlichen Widerstand zu erwarten hat, wenn er nach ihrer Befreiung von Darnley ihre Hand und ihre Krone fordert, weiß Bothwell zweifellos mit äußerster Sicherheit. Selbst wenn jenes ausdrückliche, schriftlich gegebene Versprechen, das angeblich in der berühmten Silberkassette gefunden wurde und in dem sie zusagt, ihn auch »gegen jeden Einspruch von seiten ihrer Verwandten und anderer Personen zu ehelichen«, apokryph wäre oder eine Fälschung – auch ohne Brief und Siegel ist er ihrer Hörigkeit gewiß. Zu oft hat sie ihm – wie allen andern – geklagt, wie sehr sie unter dem drückenden Gedanken leide, daß Darnley ihr Gatte sei, zu glühend in den Sonetten und vielleicht noch glühender in manchen Liebesstunden bekundet, wie sehr sie danach verlange, sich ihm, Bothwell, auf immer und ewig zu verbinden, als daß er nicht das Äußerste wagen, nicht das Unsinnigste für sie versuchen dürfte.
Aber auch der – zumindest schweigenden – Zustimmung der Lords hat sich Bothwell zweifelsohne versichert. Er weiß, daß sie alle einig sind in ihrem Haß gegen den unbequemen, unerträglichen Jungen, der sie alle verraten hat, und daß nichts Lieberes ihnen geschehen könnte, als wenn er baldigst auf irgendeine Weise aus Schottland entfernt würde. Selber hat ja Bothwell jener merkwürdigen Besprechung beigewohnt, die im Monat November im Schlosse Craigmillar in Gegenwart Maria Stuarts stattfand und wo gleichsam mit verdeckten Würfeln um Darnleys Schicksal gespielt wurde. Die höchsten Würdenträger des Reiches, Moray, Maitland, Argyll, Huntly und Bothwell, hatten sich damals geeinigt, der Königin ein sonderbares Geschäft vorzuschlagen: wenn sie sich entschließen könnte, die verbannten Adeligen, die Rizzio-Mörder Morton, Lindsay und Ruthven zurückzurufen, so würden sie ihrerseits sich anheischig machen, sie von Darnley zu befreien. Vor der Königin selbst wird zunächst nur von der legalen Form, »to make her quit of him«, gesprochen, von einer Ehescheidung. Aber Maria Stuart stellt die Bedingung, diese Loslösung müsse in einer Form erfolgen, die einerseits gesetzmäßig sei, andrerseits kein Präjudiz für ihren Sohn schaffe. Darauf erwidert nun Maitland in sonderbar dunkler Weise, sie solle die Form und Art nur ihnen überlassen, sie würden die Sache schon so besorgen, daß ihr Sohn keinen Nachteil davon habe, und auch Moray, obwohl als Protestant weniger heikel (scrupulous) in diesen Fragen, würde »durch die Finger sehen«. Sonderbare Ankündigung dies, so sonderbar, daß Maria Stuart nochmals betont, es solle nichts unternommen werden, was »ihrer Ehre oder ihrem Gewissen zur Last fallen könne«. Hinter diesen dunklen Reden birgt sich – und Bothwell wäre der letzte gewesen, es nicht zu bemerken – ein dunkler Sinn. Klar aber ist nur eines, daß schon damals alle, Maria Stuart, Moray, Maitland, Bothwell, die Hauptakteure der Tragödie, einig waren, Darnley fortzuschaffen, und bloß darüber noch nicht einig, auf welche Weise man sich seiner am besten entledigte, ob durch Güte oder Geschicklichkeit oder mit Gewalt.
Bothwell als der ungeduldigste und verwegenste ist für die Gewalt. Er kann und will nicht warten, denn ihm ist es nicht nur, wie den anderen, darum zu tun, den lästigen Jungen abzudrängen, sondern von ihm Krone und Reich zu erben. Er muß, während die andern nur wünschen und warten, entschlossen handeln; es scheint, daß er in irgendeiner verdeckten Weise schon frühzeitig Mittäter und Helfer unter den Lords gesucht hat. Aber hier brennen die historischen Lichter abermals trübe, immer geschieht ja die Vorbereitung eines Verbrechens im Schatten oder Zwielicht. Nie wird man erfahren, wie viele und welche der Lords in sein Vorhaben eingeweiht waren und welche er wirklich zur Mithilfe oder Duldung gewonnen hat. Moray scheint davon gewußt und sich nicht beteiligt zu haben, Maitland sich unvorsichtiger vorgewagt. Verläßlich ist dagegen die Aussage Mortons, die er auf seinem Sterbebette gemacht hat. Ihm, der eben erst aus der Verbannung zurückgekehrt und gegen Darnley, der ihn verraten hat, tödlichen Haß hegt, reitet Bothwell entgegen und schlägt ihm schlank und offen die gemeinsame Ermordung Darnleys vor. Aber Morton ist nach dem letzten Unternehmen, bei dem ihn seine Spießgesellen im Stich gelassen, vorsichtig geworden. Er zögert mit seiner Zusage und verlangt Sicherung. Er erkundigt sich zuerst, ob die Königin mit dem Morde einverstanden sei. Das bejaht, um ihn scharfzumachen, Bothwell mit voller Unbedenklichkeit. Doch Morton weiß seit dem Rizziomord, wie flink post festum mündliche Vereinbarungen abgeleugnet werden, und darum verlangt er, ehe er sich bindet, die schriftliche Zustimmung der Königin schwarz auf weiß zu sehen. Er will nach guter schottischer Sitte einen regelrechten »bond«, den er im Falle unangenehmer Weiterungen zu seiner Entlastung vorzeigen kann. Auch dies verspricht ihm Bothwell. Aber selbstverständlich kann er den »bond« niemals beibringen, denn eine zukünftige Heirat ist nur möglich, wenn Maria Stuart völlig im Hintergrunde bleibt und von den Ereignissen »überrascht« scheinen kann.
So fällt die Tat wieder auf Bothwell, den Ungeduldigsten, den Verwegensten, zurück, und er ist entschlossen genug, sie allein zu vollbringen. Immerhin hat er aber aus der zweideutigen Art, wie Morton, wie Moray, wie Maitland seinen Plan aufnahmen, schon gespürt, daß von den Lords kein offener Widerstand zu erwarten ist. Wenn nicht mit Siegel und Brief, so haben sich doch alle durch verständnisvolles Schweigen und freundliches Beiseitestehen einverstanden erklärt. Und von diesem Tage an, da Maria Stuart und Bothwell und die Lords eines Sinnes sind, trägt Darnley bei lebendigem Leibe sein Totenhemd.
Alles wäre nun bereit. Bothwell hat sich mit einigen seiner verläßlichsten Spießgesellen schon ins Einvernehmen gesetzt, Ort und Art des Mordes sind in geheimen Besprechungen festgelegt. Aber für die Opferung fehlt noch eines: das Opfer. Denn Darnley, so töricht er sein mag, muß irgendwie dumpf geahnt haben, was ihm bevorsteht. Schon Wochen vordem hat er sich geweigert, Holyrood zu betreten, solange die Lords noch gerüstet im Hause waren; auch auf dem Schlosse von Stirling fühlt er sich nicht mehr sicher, seitdem die Mörder Rizzios, die er im Stich gelassen, dank jenes vieldeutigen Gnadenakts Maria Stuarts wieder im Lande sind. Unerschütterlich gegen alle Ladungen und Lockungen bleibt er in Glasgow. Dort ist sein Vater, der Earl of Lennox, dort seine Getreuen, ein festes, verläßliches Haus und im Notfall, wenn seine Feinde mit Gewalt anrücken sollten, ein Schiff im Hafen, auf dem er flüchten kann. Und als ob das Schicksal ihn im gefährlichsten Augenblicke schützen wollte, schickt es ihm noch in den ersten Tagen des Januar die Pocken und damit einen willkommenen Vorwand, Wochen und Wochen in Glasgow zu bleiben, in seinem sicheren Hort und Port.
Diese Krankheit durchkreuzt unerwartet die schon weit gediehenen Pläne Bothwells, der ungeduldig in Edinburgh auf das Opfer wartet. Aus irgendwelchem Grunde, den wir nicht wissen und nur zu ahnen vermögen, muß Bothwell es eilig gehabt haben mit seiner Tat, sei es, daß ihn die Ungeduld nach der Krone drängte, sei es, daß er mit Recht fürchtete, eine Verschwörung mit so viel unverläßlichen Mitwissern könne bei längerer Dauer verraten werden, sei es, daß seine intimen Beziehungen zu Maria Stuart ihre Folgen zu zeigen begannen – jedenfalls, er will nicht mehr warten. Aber wie den Kranken, den Mißtrauischen an den Mordplatz locken? Wie ihn herausholen aus dem Bett und dem vermauerten Haus? Eine öffentliche Berufung würde Darnley stutzig machen, und weder Moray noch Maitland noch irgendein anderer an diesem Hofe stehen dem Verfemten, dem Verhaßten menschlich nahe genug, um ihn bewegen zu können, freiwillig zurückzukehren. Nur eine, eine einzige hat über diesen Schwächling Gewalt. Zweimal ist es ihr gelungen, diesen Unseligen, der ihr mit Leib und Seele hörig ist, ihrem Willen gefügig zu machen; Maria Stuart, sie allein kann, wenn sie Liebe heuchelt zu dem, der nichts als ihre Liebe will, vielleicht den Mißtrauischen in sein Verhängnis ziehen. Nur sie, und nur sie allein unter allen Menschen der Erde, hat die Möglichkeit zu diesem ungeheuerlichen Betrug. Und da sie wiederum selbst nicht mehr Herrin ihres Willens ist, sondern hörig jedem Gebot ihres Zwingherrn, braucht Bothwell nur zu befehlen, und das Unglaubliche oder vielmehr das, was sich das Gefühl zu glauben weigert, geschieht: am 22. Januar reitet Maria Stuart, die seit Wochen jedes Zusammensein mit Darnley ängstlich vermieden, nach Glasgow, angeblich um ihren kranken Gatten zu besuchen, in Wahrheit aber, um ihn auf Befehl Bothwells heimzulocken in die Stadt Edinburgh, wo der Tod mit geschliffenem Dolche schon seiner ungeduldig wartet.