Fedor von Zobeltitz
Der Kurier des Kaisers
Fedor von Zobeltitz

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Elftes Kapitel.

Nachricht aus Queretaro.

Durch Nacht und Neben. – Im Lager Orevalos. – Graf Hodeggs Mission. – Wieder in der Hacienda Panisca.

Die beabsichtigte Flucht bot hundert Gefahren, aber dafür auch den einzigen Weg der Rettung. So, wie die Dinge lagen, konnte Fritz nicht einen Tag länger in Iquilisco verweilen. Gewiß war die Idee eines gewaltigen Indianeraufstands zu Gunsten eines neuen Inkareiches, wie der Pamahäuptling es plante, die Ausgeburt eines fieberhaft erregten Hirns; der Erfüllung dieses Gedankens standen so unabsehbare Schwierigkeiten gegenüber, daß an ein Zustandekommen sicher nicht zu denken war. Eine indianische Revolution an sich aber war keine Unmöglichkeit, konnte das Land in neue unermeßliche Wirren stürzen und mußte vor allem dem Kaisertum den Todesstoß 139 versetzen. Den Kaiserlichen, die vergebens auf die Unterstützung der Pamas und die Hilfe Orevalos gerechnet hatten, Rettung zu bringen, galt Fritz als nächste Notwendigkeit. So wurde denn alles zur Flucht vorbereitet. Merola erwies sich auch diesmal als eine überaus geschickte Helferin. Fritz und Ana hatten alle Ursache, ihr dankbar zu sein – ohne sie wäre eine Rettung aus allen Nöten undenkbar gewesen.

Es war um die nächste Mitternacht, als zwei Mädchen die Ruinen des Catascotl-Tempels verließen. Am Himmel hingen schwere Wolkenmassen; seit dem Gewitter der letzten Nacht war das Wetter unfreundlich geblieben.

Hinter einem Riesenblock aus magnesischem Kalkstein, der unweit des Hauptportals lag, erhob sich schattenhaft die Gestalt eines Indianers.

»Wer da und wohin?« fragte eine Stimme.

Merola lachte leicht und silbern auf.

»Geh, Iwauha – was erschreckst du uns!« sagte sie heiter. »Sind wir Diebinnen? Kennst du Merola und Jaquina nicht? – Und was fragst du nach unserm Begehr? Wer hat uns befohlen, dir Rede zu stehen?«

»Geht's dich an?« grunzte der Wächter ärgerlich. »Ich stehe hier an des Häuptlings Statt.«

»So bleibe stehen, bis dir die Sonne ins Antlitz lacht,« gab Merola zurück. »Wir wollen in die Salpeterhöhlen, da du so neugierig fragst – ist das verboten und seit wann?«

»Schert euch fort und macht, was ihr wollt!« Der Wächter streckte sich wieder neben den Block. Er schien beruhigt zu sein; gerade in letzter Zeit wurde auf Wohannas Befehl mehr als sonst an Salpeter gesammelt, und die meisten der jungen Dirnen benutzten die Nächte dazu, wenn der Haushalt sie frei gab. Der Häuptling zahlte sie gut; in dem einfachen Arsenal von Iquilisco wurde fieberhaft gearbeitet – es fehlte an Pulver.

Und die Mädchen schritten weiter. Sie sprachen kein Wort miteinander. Ein leiser Wind strich über das Plateau; die 140 Käuzchen schrieen. Wie eine schwarze Wand stieg der Piñal vor den beiden auf. Eine Männergestalt löste sich aus dem Dunkel und trat den Mädchen entgegen.

»Gott sei gelobt, Doña Ana –«

»Und Gott schirme uns auch fürderhin,« fiel die Angeredete ein. Sie war mit ihrem braunrot gefärbten Teint ebenso schwer wieder zu erkennen als Fritz, der auch sein blondes Haar geschwärzt und indianische Tracht angelegt hatte.

»Wo sind die Pferde, Herr?« fragte Merola eilends; »hast du sie gefunden?«

»Ja – aber wir haben Unglück gehabt. Einer der Gäule hat sich losgerissen – es bleiben uns nur noch zwei.«

»So setze ich mich mit auf das deine. Es muß gehen; ich bin leicht und gewandt und eine gute Reiterin.«

An den Rand des Waldes schlossen sich die Koppeln für die Pferde des Häuptlings. Sie wurden nicht bewacht; es gab keine Diebe unter den Pamas. In dem kleinen indianischen Reiche herrschte eine ungleich straffere Zucht als im Unterland.

In dem Augenblick, da Merola die beiden angepflöckten Pferde losbinden wollte, schrie Ana leise auf. Jäh wandte sich Fritz um – eine dunkle Gestalt stand vor ihm, ein Indianer – der Wächter, der die flüchtenden Mädchen vorhin angesprochen hatte. Vielleicht hatte ihn die Sorge gepackt, daß die gefangene Weiße entweichen könne, und deshalb war er den Mädchen gefolgt – vielleicht auch nur die Eifersucht, denn es hieß, er habe Merola gern.

So plötzlich tauchte die Erscheinung zwischen den dreien auf, daß Fritz wie Merola einen Moment gleichsam erstarrt dastanden. Aber dann warf sich Fritz mit furchtbarer Gewalt auf den Indianer und riß ihn zu Boden. Seine Hand griff nach dem Messer, um es dem Feinde in die Kehle zu stoßen, denn er fürchtete, der andre werde um Hilfe rufen. Aber er irrte sich; der Indianer stieß keinen Laut aus – groß und 141 stumm und anklagend waren seine Augen auf Merola gerichtet. Und jetzt kannte auch Fritz ihn wieder – das war jener junge Pama, der die Franzosen in die Höhle am Nordhange des Pic von Orizaba geführt, wo sie ihm und Wohanna die Pferde geraubt hatten.

Die kleine Hand Merolas berührte Bergers Schulter.

»Laß ihn am Leben,« sagte das Mädchen, »und feßle und kneble ihn nur!«

Sie warf Fritz die Stricke zu, mit denen die Gäule angebunden worden waren, und kniete dann selbst nieder, um Iwauha ein Stück Tuch, das sie von ihrem Kleide abgerissen hatte, in den Mund zu stopfen. Und seltsam genug; der Pama, der sich anfänglich wie ein Rasender gewehrt hatte, ließ nunmehr alles mit sich geschehen. Nur seine großen Augen wichen nicht vom Antlitz Merolas.

Fritz zog den Gebundenen einige Schritte in den Wald hinein und warf ihn zwischen üppig wucherndes Tamariskengebüsch, das seine Gestalt völlig verdeckte. Dann schwang er sich eilig auf sein Pferd und nahm Merola vor sich. Es war keine Zeit zu verlieren. Die Gäule trugen nur sogenannte Wassertrensen und statt der Sättel kurze, arg zerrissene Wolldecken, an denen Bügel aus Bastgeflecht befestigt waren. Ana mußte nach Männerart reiten; das war ihr nichts neues, sie hatte auf Anraten Merolas auch ihre Kleidung darauf eingerichtet. In den Weidetriften der Hacienda Panisca pflegte sie sich häufig, in knappem Jäckchen und Pluderhosen, rittlings auf ihr Pferd zu schwingen und wie toll über die Wiesen zu jagen.

Man ritt anfänglich langsam und vorsichtig vorwärts. Erst als die drei das Plateau hinter sich hatten, spornten sie die Gäule zu scharfem Trabe an.

Merola wußte gut Bescheid, und da es unausgesetzt bergab ging, so war auch der Weg nicht allzu beschwerlich. Bald nahm die Reitenden dichter Nadelwald auf, der auf der einen Seite zu schroffer Höhe anstieg. Hin und wieder vernahm man den Schrei eines 142 Hirsches oder ein fernes Geheul, aber Fritz hatte glücklicherweise niemals nötig, von seiner Büchse Gebrauch zu machen.

Von Zeit zu Zeit wandte er sich mit einer Frage nach dem Ergehen an Ana. Sie antwortete stets kurz und dankend; es war zweifellos, daß der scharfe Ritt sie anstrengte, aber sie verlor den Mut nicht. Der Weg wurde steiniger und schlechter; es begann leise zu regnen. Als man die ersten Grashalden des Terrassenlandes erreichte, goß es in Strömen vom Himmel. Das war nicht nur höchst unbehaglich, sondern auch gefährlich. Der Weg war durch die dichte Regenwand kaum noch zu erkennen. Auch Merola ängstigte sich; sie wußte nicht, ob sie sich noch auf rechter Fährte befand. Indessen hatte der Regen auch seine gute Seite; er verwusch die Spuren der Flüchtigen, falls sie verfolgt werden sollten.

Als der Morgen zu grauen begann, heiterte der Himmel sich langsam wieder auf. Die Grenze der Nadelholzregion war erreicht. Ginster, Heidelbeeren und Ebereschen wuchsen am Wege. Aber man mußte das Daregothal längst vor sich haben – es war kaum noch daran zu zweifeln, daß man im Regen den Pfad verloren hatte. Fritz getraute sich nicht, seiner Sorge Ausdruck zu geben, nur dann und wann warf er einen mitleidigen Blick auf die arme Ana, die in triefenden Kleidern auf ihrem Pferde hing.

Aus roten Nebelmassen stieg die Sonne empor – und plötzlich stieß der Gaul Fritzens ein schmetterndes Wiehern aus. Ein Felsenpaß öffnete sich vor den Flüchtlingen, eine dunkle Schlucht, und dann lag wie mit einem Zauberschlage ein grünes, sonniges Thal vor ihnen, durch das ein Bergbach rauschend seine Wasser wälzte.

Ein drohendes »Halt!« scholl den Reitern entgegen. Drei Soldaten mit den Feldabzeichen der kaiserlichen Armee sprengten heran. Und tief unten im Thale flimmerte und glitzerte es – Hunderte von Menschen wimmelten bunt durcheinander, der 143 Rauch der Lagerfeuer stieg in die frische Morgenluft – das war das Corps Orevalos.

»Gut Freund!« antwortete Fritz auf das »Halt« der Posten. »Ein Kurier des Kaisers mit wichtigen Nachrichten. Wo ist der Oberst Orevalo?«

Der Oberst hatte die Ankömmlinge bereits bemerkt und ritt in Begleitung mehrerer seiner Offiziere vom Lagerplatz aus an sie heran.

»Eheu – was haben wir denn da vor uns?« rief er erstaunt.

Fritz stellte sich vor, zog seine Brieftasche und überreichte Orevalo als Legitimation seine von Graf Hodegg ausgefertigte Kurierbestallung.

»Zu meinem Leidwesen ist es mir bisher nicht möglich gewesen, Sie zu erreichen, Herr Oberst,« fuhr er hastig fort. »Die Pamas – oder vielmehr ihr Häuptling hat schurkisch und treulos gehandelt; er ist vom Kaisertum abgefallen, will die gesamten Indianer im Territorium sowohl gegen die Monarchie wie gegen die Republik rebellisch machen und hat demzufolge auch die von Queretaro und von mir an Sie gesandten Boten abfangen und ermorden lassen. Sein Bundesgenosse aber, einer der größten Schurken in diesem an Schurken reich gesegneten Lande, steht dort drüben!«

Die ausgestreckte Hand wies auf Diego Fuerto, der der Gruppe der Offiziere, gleichfalls zu Pferde, gefolgt war. Er hatte anfänglich weder Ana noch Fritz in ihrer Verkleidung und mit den gefärbten Gesichtern erkannt und suchte nunmehr, weiß wie Kalk im Antlitz, sein Heil in schleuniger Flucht. Aber schnell wie er waren auch die Offiziere; drei, vier setzten ihm in voller Carriere nach – vom Lagerplatz aus stürmten die zu Hilfe gerufenen Soldaten herbei – man fiel dem schäumenden Pferde in die Zügel, riß Fuerto herab und schnürte dem wahnsinnig Fluchenden Arme und Beine zusammen.

144 Oberst Orevalo wollte gleichfalls zu ihm hinüber galoppieren, doch Fritz hielt ihn noch einen Augenblick zurück.

»Verzeihung, Herr Oberst,« sagte er, »ehe Sie als Richter Ihres Amtes walten, noch eine Bitte! Diese junge Dame hier ist die Tochter des Haciendero de Hallstädt – auch ihr Schicksal hat jener Schuft auf dem Gewissen. Ich habe sie aus der Gewalt der Pamas retten können und bitte für sie wie für unsre treue Führerin um Obdach.«

»Mit Freuden gewährt,« entgegnete der Oberst. »Viel Komfort kann ich Ihnen allerdings nicht anbieten, Señora, aber meine Marketenderinnen sollen Ihnen wenigstens trockene Kleidung geben und ein Zelt anweisen.«

Er rief eine Ordonnanz herbei, der die beiden erschöpften Mädchen nach dem Lager geleitete.

Fuerto wurde in ein verlassenes Blockhaus am Flußufer geworfen und ein Posten vor die Thür gestellt. Dann ritt auch Fritz nach dem Lagerplatz, wo bei loderndem Feuer ein Frühstück bereitet wurde, das dem Ausgehungerten trefflich mundete. Dabei erzählte er denn von seinen Abenteuern bei den Kaiserlichen und den Pamas, von den Schurkenstreichen Wohannas und Fuertos und dem schließlichen Rettungsweg, den er der braven Merola zu danken hatte. Doch während noch die beiden in Gemeinsamkeit mit den übrigen Offizieren des Corps darüber verhandelten, was man zunächst unternehmen solle, um den in Queretaro eingeschlossenen Kaiserlichen Hilfe zu bringen, trat ein neues Ereignis ein, das alle weitern Dispositionen über den Haufen stoßen sollte.

Die Vorposten hatten das Nahen eines Reiters gemeldet, der von Süden her, von der Seite der Tierra Fria, kam. Er sprengte, von dem Kommandeur der Vorpostenwache begleitet, über die Wiesentrift – ein junger Mann in bestaubter und zerrissener Rancherotracht.

Fritz fuhr, als der Reiter näher kam, erstaunt und erschreckt von seinem Sitze empor.

145 »Großer Gott,« stammelte er erbleichend, »täuschen mich meine Augen nicht oder ist das in Wahrheit Graf Hodegg?!«

In der That – er war es, und er brachte traurige Mär. Da keiner der in die Sierra Gorda gesandten Kuriere zurückkehrte, so hatte man sich auf jede Gefahr hin zu einem Durchbruch nach dem Gebirge entschlossen. Alles war vorbereitet, und vielleicht wäre der Gewaltstreich geglückt – da aber fand sich in den eignen Reihen ein Verräter, der dem General Escobedo gegen einen Judaslohn den Plan mitteilte und ihm in der Nacht vor dem beabsichtigten Ausfall die Thore der Festung öffnete. Hodegg nannte auch den Namen jenes Schurken, den später die ganze Welt gebrandmarkt hat: es war der Kommandeur des Regiments Kaiserhusaren, der Oberst Miguel Lopez – und ein zweiter Offizier, der Kapitän Jablonsky, war der Helfershelfer bei der Schandthat gewesen . . . Wie stürmte es durch die Brust Fritz Bergers, als er die Namen nennen hörte! Als wäre es gestern gewesen, so deutlich stand jene Nacht in Queretaro vor seinen Augen, da er die Unterhaltung der Beiden im Nebenzimmer belauschen konnte, dieser Elenden, die um schnödes Geld ihren Herrn verrieten und die Uniform, die sie trugen, mit Schande bedeckten. Ohne Schwertstreich mußte sich die kaiserliche Armee ergeben – der Kaiser selbst aber und seine Generale Mejia und Miramon wurden gefangen genommen. Ein Kriegsgericht sollte sie aburteilen, und die Gefahr lag nahe, daß die Juaristen alle drei ohne Ansehn der Person zum Tode verurteilen würden. Einem der Mitgefangenen, dem Obersten Prinzen zu Salm, war es nunmehr geglückt, einen feindlichen Offizier, Hauptmann Villanueva, zu bestechen; Villanueva wollte den Kaiser entweichen lassen, verlangte aber dafür die Summe von fünfhunderttausend Pesetos. Das Geld war nicht aufzutreiben, und so war denn Graf Hodegg mit Villanuevas Hilfe geflohen, um die Bestechungssumme von dem Besitzer der Hacienda Panisca zu erlangen. Ein glückliches Ungefähr hatte ihn unterwegs in das Lager Orevalos und wieder mit seinem 146 alten jungen Freunde Fritz Berger zusammengeführt. Über den schmählichen Verrat von Lopez und Jablonsky herrschte selbst im feindlichen Lager nur eine Stimme. Die schlechten Vermögensverhältnisse des Obersten Lopez waren allgemein bekannt. Von vielen Seiten wurde behauptet, er hätte sich durch das Blutgeld retten wollen, andre wieder meinten, die Furcht vor der Gefangenschaft und dem Tode durch Erschießen wären die maßgebenden Beweggründe für seinen Verrat gewesen, und wieder andre wollten in Jablonsky seinen bösen Dämon sehen. Auch die Juaristischen Offiziere spieen vor den Beiden aus – und mit Schimpf bedeckt, wie von Furien gehetzt, flohen die Verräter aus Queretaro, und Fluch und Schande hafteten sich an ihren Namen . . .

Mit raschen Worten tauschte man seine Eindrücke aus. Graf Hodegg wußte des Kaisers Kaltblütigkeit, seinen Mut und seine Unerschrockenheit nicht genug zu rühmen – »er geht wie ein Held dem Tode entgegen,« so erzählte der junge Offizier. »Übrigens, lieber Berger,« fügte er an, »auch für Sie habe ich noch einen Auftrag. Nachdem ich von Potosi aus unter hundert Gefahren glücklich nach Queretaro gekommen, erzählte ich Seiner Majestät von Ihrem tapfern Verhalten, und da geruhte der Kaiser, Sie zum Lieutenant zu ernennen und Ihnen die silberne Medaille zu verleihen. Patent und Dekoration habe ich natürlich nicht bei mir, aber Sie werden meinem Worte auch so glauben – lassen Sie sich als Kamerad begrüßen!«

Nicht ohne tiefe innere Bewegung nahm Fritz die ihm entgegengestreckte Hand an. Wie gern hätte er sein Leben für den edeln Habsburger in die Schanze geschlagen! Aber kein Blut mehr konnte den Kaiser retten – sondern nur elendes Gold!

Der Entschluß Fritzens stand fest – er wollte Hodegg nach der Hacienda Panisca begleiten, und diesmal mußte der alte Hallstädt seinen Säckel öffnen! Inzwischen hatten sich auch Doña Ana und Merola eingefunden, beide in trockener Kleidung, 147 gestärkt und gekräftigt. Merola war wie närrisch vor Freude, als sie Hodegg wiedersah, stürzte zu seinen Füßen nieder und bedeckte seine Hände mit unzähligen Küssen. Als sie hörte, daß der Graf und Fritz in Bälde nach Panisca aufbrechen wollten, bat sie, die beiden führen zu dürfen, was man ihr selbstverständlich gern gewährte.

Es handelte sich nunmehr nur noch um die Zukunft Anas. Nach der Hacienda wollte sie nicht zurück; die Gefahr eines neuen Überfalls durch die Pamas war auch durchaus nicht ausgeschlossen. Oberst Orevalo erbot sich daher, sie nach der Hafenstadt Tampico zu bringen, wo sie in sicherm Schutze die Entwicklung der weitern Angelegenheiten abwarten konnte. Aber sie selbst war andrer Meinung.

»Nichts von alledem, meine Herren,« sagte sie. »Ich bin Ihnen, den Kaiserlichen, Dank schuldig – und ich kann ihn nicht besser abtragen, als daß auch ich versuche, Ihren Herrscher zu retten. General Escobedo wie der Diktator Juarez sind mir gut bekannt; ich will zu ihnen und zu ihren Füßen für das Leben und die Freiheit des Kaisers flehen!«

Mit Begeisterung wurde der Vorschlag aufgenommen. Ein Detachement des Orevaloschen Corps mit weißen Parlamentärbinden um die Arme sollte Ana nach Queretaro geleiten. Sie war auf der Stelle zum Aufbruch bereit, und in der That, die Zeit drängte. Orevalo ließ ihr ein gutes Pferd stellen und vertraute sie dem Schutze seiner erprobtesten Leute an. Sie verabschiedete sich rasch und trat dann mit Fritz noch einige Schritte abseits, um auch ihm ihr Adieu zu sagen.

»Leben Sie wohl, Herr Berger,« sprach sie mit zitternder Empfindung im Ton. »Sie haben Blut und Leben für mich gewagt – ich werde Ihnen das nie vergessen! Behüte Sie Gott – ich werde zu ihm beten, daß er uns glücklich wieder zusammenführen möge! Und grüßen Sie meinen Vater. Der Himmel über Sie, mein Freund!«

Fest drückte sie seine Hand; dann stieg sie zu Roß.

148 »Noch ein letztes« – und sie beugte sich vom Pferde herab – »sagen Sie Orevalo, er möge Diego laufen lassen. Selbst die Kugel ist zu gut für ihn. Hasta la vista, Señor!«

Sie winkte mit der Hand und sprengte ihrer Eskorte voran – und lange, lange schaute Fritz ihr nach. Es tönte so seltsam in seiner Brust, als habe eine Geisterhand da drinnen an unbekannte Saiten gerührt.

Doña Ana hatte recht: eine ehrliche Kugel verdiente Fuerto nicht! Die Offiziere traten zu einem Kriegsgericht über den Verräter zusammen: Tod durch den Strang lautete ihr Verdikt. Als Fritz, Hodegg und Merola um die Mittagszeit die Weiterreise nach der Hacienda Panisca antraten, führte ihr Weg sie durch einen nahen Mangohain. Und da hing mit auf den Rücken geschnürten Armen und einem über das Gesicht gebundenen Tuch eine Männergestalt am Baum – regungslos – und ein Schwarm Geier krächzte nebenan im felsigen Grunde.

Die Vergeltung schreitet schnell! –

 

Ungefährdet gelangten unser Held, Hodegg und das Pamamädchen bis in die Nähe der Hacienda Panisca. Aber in dem riesenhaften Eichenwalde, der das Minenterrain umgab, wurde Merola unruhig. Ihr war, als habe sie plötzlich in der Ferne den Lockruf der Holztaube vernommen – und sie wußte, was das zu bedeuten hatte.

Fritz versuchte, die Ängstliche zu trösten.

»Ich glaube wahrhaftig, auch du fängst bereits an, nervös zu werden, Kleine,« sagte er lachend. »Kann das nicht wirklich eine Holztaube gewesen sein, die ihren Täuberich ruft? Wie sollen jetzt gerade die Pamas hierherkommen?«

»Es ist nicht unmöglich, Herr,« erwiderte Merola kopfschüttelnd. »Wenn sie den nähern Weg jenseits der Paßhöhe gewählt haben und bald nach unsrer Flucht aufgebrochen sind – – da, hört nur – wieder der Taubenschrei!«

149 »Vorwärts!« kommandierte Graf Hodegg; »in einer halben Stunde sind wir im Parke! Ich kenne den Brückenweg!«

Gewaltig griffen die Pferde aus; Sand und Steine stäubten hinter ihnen empor.

Gottlob – endlich die Schlucht – der Waldpark – und da die Zinnen der Felsenburg! »Ho–i–oh!«

Die Diener stürzten herbei, und schon wenige Minuten später saßen Fritz und Hodegg mit Herrn von Hallstädt in der Halle des Schlosses. Fritz berichtete kurz über das Ergehen und die freiwillig übernommene Mission Anas nach Queretaro. Der alte Herr stöhnte und jammerte, daß er seine Tochter nie wiedersehen würde – aber Graf Hodegg schnitt ihm das Wort ab.

»Sie ist in Queretaro in besserer Obhut als hier, Herr von Hallstädt,« sagte er, »daran ist gar nicht zu zweifeln! Jetzt handelt es sich um etwas andres. Der Kaiser kann gerettet werden, wenn es uns gelingt, eine halbe Million Pesetos als Bestechungssumme flüssig zu machen. Wir sind hier, um sie von Ihnen zu leihen; als Unterlage bringe ich Ihnen ein vom Kaiser selbst vollzogenes Accept mit. Der Hof in Wien wird keinen Augenblick zögern, es einzulösen.«

Das Jammern des geizigen Mannes begann von neuem. Nur mit tiefstem Ekelempfinden konnte Fritz es anhören. Was nützten jenem armseligen Manne all seine gewonnenen Schätze? Ihr Besitz, an dem er mit aller Leidenschaft und allen Fibern seiner Seele hing, hatten ihm sein Kind entfremdet und damit das letzte Glück seines Lebens geraubt. Und auch jetzt, da er mit seinem Golde eine große, gute und edle That begehen, da er ein gekröntes Haupt vor Schmach und Schande bewahren, ein leuchtendes Menschendasein von dem Untergange erretten konnte – auch jetzt wieder krallte der Geiz sich mit Spinnenfingern in seine Seele ein. Wohl ist die Freude am erworbenen Besitz erklärlich, und mit vollem Recht nennt man die Sparsamkeit der Tugenden eine; von allen Lastern aber ist die 150 häßlichste und widerwärtigste, weil alle vornehmen Instinkte in der Menschenbrust hemmende, der Geiz!

Schließlich vermochte Fritz nicht länger das Jammern des Alten zu ertragen; empört sprang er auf.

»Hören Sie zu, Herr von Hallstädt!« rief er. »Ich weiß, daß ich der Erbe Ihres verstorbenen Vetters Otto bin – ich als der letzte und einzige meines Geschlechts! Leugnen Sie es, wenn Sie können – ich werde mir mein Recht zu verschaffen wissen! Mein Erbteil beträgt mehr als jene halbe Million, die den Kaiser erretten soll – ich verlange die Summe aus meinem Besitzstande; Oberst Villanueva, der dem Kaiser die Flucht ermöglichen will, giebt sich zufrieden, wenn Sie dem kaiserlichen Wechsel Ihre Unterschrift zufügen.«

Totenbleich war Hallstädt auf seinen Stuhl zurückgesunken. Er rang nach Atem und vermochte nur unzusammenhängende Laute zu stammeln. Aber er schnellte wie vom Blitze getroffen wieder empor, als Merola, gefolgt von einer Anzahl schreiender Domestiken, in die Halle stürzte.

»Die Pamas!«

Hodegg und Fritz sahen ein, daß sie in der Gefahr dieser Stunde die Initiative ergreifen mußten. Rasch wurde der Befehl erteilt, Thore und Thüren zu schließen, die Ausgänge zu verrammeln, die Waffen zu laden. Ein ungeheures Leben entwickelte sich im Schlosse, während man vom Parke her bereits das Kriegsgeheul der nahenden Pamas vernahm.

Hallstädt zerrte, an allen Gliedern zitternd, Fritz und den Grafen in sein Arbeitskabinett.

»Wir müssen uns retten, meine Herren,« flüsterte er den beiden voll Todesangst zu; »der geheime Gang, durch den ich derzeitig Juarez und seine Generale flüchten ließ, bringt uns ungefährdet nach der Estancia Jacinto. Von dort aus haben wir telegraphische Verbindung nach Potosi und können militärische Hilfe requirieren. So lange aber werden meine Leute sich halten können!«

151 Er öffnete die Thür seines Geldschrankes und steckte Papiere und einige Rollen Gold zu sich.

»Mein Testament und meine Depotscheine,« sagte er. »Ich trage sie in der Brusttasche – sie gehören meiner Tochter, wenn mir etwas Menschliches zustoßen sollte! – Und nun kommen Sie, meine Herren – ich will Sie in den Keller führen –«

»Noch nicht,« fiel Graf Hodegg ein. »Wir können Ihre Leute nicht ohne weiteres im Stich lassen – wir müssen wenigstens hören, auf was es die verdammten Rothäute abgesehen haben! Darf ich Sie bitten, die weiße Flagge auf dem Turme aufziehen zu lassen, Herr von Hallstädt!«

Hallstädt hatte hundert Einwendungen, aber Hodegg bestand darauf, mit den Pamas zu unterhandeln. So wurde denn die weiße Flagge gehißt, und die drei bestiegen den Turm. Nur der Mayordomo und Merola folgten ihnen.

In den innern Hof hatten die Indianer, da die Eisenthore geschlossen worden und die hohen Mauern mit einer Stachelkrönung versehen waren, noch nicht eindringen können; sie schienen auch zunächst auf eine Verständigung zu warten, denn sie zeigten vorderhand keinerlei Feindseligkeiten, sondern füllten in unabsehbarer Menge den Garten und die Rasenplätze vor dem Waldpark.

Als die weiße Fahne aufstieg, löste sich die Gestalt Wohannas aus dem übrigen Haufen und ritt näher an die Mauer heran.

»Wohanna grüßt euch!« rief er mit lauter Stimme nach dem Wartturm hinüber. »Deutscher, ich wußte, daß Sie hierher flüchten würden, aber meine Augen sind scharf und meine Pferde flink. Ich habe Sie gastlich in Iquilisco aufgenommen, und Sie lohnten mir damit, daß Sie die Geisel entführten, die ich in ehrlichem Kampfe gefangen nahm. Aber der Verrat soll Ihnen vergeben werden und die Señora frei sein, wenn Sie die Thore öffnen lassen. Der Caballero möge wohl überlegen. Mein halber Stamm steht hinter mir. Sturmböcke rennen die 152 Mauern nieder, und eure Verschanzungen retten euch nicht vor der Übermacht. Und wehe euch, fallt ihr lebend in unsre Gewalt! Doch kein Haar soll einem von euch gekrümmt werden, laßt ihr uns freiwillig ein! Ich fordere nichts als eine Unterredung mit dem Haciendero.«

»Er wird mich martern lassen,« ächzte Hallstädt, in die Knie sinkend, »um mich zur Herausgabe meines Geldes zu zwingen! Glaubt doch den Schurken nicht!«

Fritz drängte den Alten zur Seite.

»Wohanna, du lügst!« donnerte er von oben herab. »Treuloser, der du vom Glauben Christi abgefallen bist und dich wieder den alten Götzen zugewandt hast, der du Menschenopfer bringst, um dir deine blutigen Idole gefügig zu machen, der du dem Kaiser, deinem Herrn, den Treueid brachst – ich kenne dich und deine finstern Geheimnisse! Ziehe ab mit den Deinen oder fürchte die Strafe des Gesetzes und des Himmels!«

Gras Hodegg war dicht an die Seite Fritzens getreten.

»In Potosi weiß man bereits von euerm Überfall,« rief auch er mit weithin hallender Stimme; »die Truppen rücken heran, um euch zu zermalmen! Für dich, schurkischer Häuptling, aber ist der Strick schon gedreht –«

Ein Schuß krachte. In blinder Wut hatte Wohanna die Büchse an die Wange gerissen. Mit einem Aufschrei war Merola zur Deckung Hodeggs vor diesen gestürzt – und nun ruhte sie blutend an seiner Brust.

Aber die Schandthat sollte im Augenblick Sühnung finden. Schon lag auch die Büchse Fritz Bergers im Anschlag – und plötzlich warf Wohanna die Arme in die Luft und stürzte lautlos vom Pferde.

Ein tosendes Geschrei folgte – von allen Seiten stürmten die Pamas ihrem getöteten Führer zu, während auch oben auf der Warte des Turms, unter der im Winde wehenden weißen Flagge, ein junges Leben Abschied nahm.

153 Die Kugel Wohannas hatte gut getroffen. Die brechenden Augen Merolas suchten noch einmal das Antlitz Hodeggs, und ein unbeschreiblich süßes Lächeln huschte um ihren Mund. Und so lächelnd starb sie.

Graf Hodegg bettete sie, den Blick feucht und das Herz zuckend voll tiefer Erschütterung, zur Erde, küßte sie auf die Stirn und löste sodann die weiße Flagge vom Mast, um sie über das tote Mädchen zu legen.

»Wir müssen fort, Herr,« drängte der Mayordomo. »Wenn auch die Pamas nach dem Fall ihres Häuptlings wirklich noch einen Angriff wagen sollten – bis morgen Abend trotzen ihnen unsre Mauern. Dann aber kann das Militär aus Potosi längst hier sein.«

»Vorwärts!« sagte Hodegg, entschlossen und finster. »Der Kaiser wartet auf uns. »Herr von Hallstädt, führen Sie uns!«

Der Alte befand sich in einem Zustande so hochgradiger Nervenerregung, daß Fritz und der Mayordomo ihn stützen mußten, als man die Treppen hinabschritt. Um die übrigen Domestiken nicht zu beunruhigen, war allein dem ältesten Diener, einem vernünftigen Mann, mitgeteilt worden, daß man von der Estancia Jacinto aus Hilfe herbeidepeschieren wollte. Nur im Moment höchster Gefahr sollte auch von der übrigen Dienerschaft der geheime Gang als Fluchtweg benutzt werden. Man wollte die Hacienda nicht verteidigungslos der Zerstörungswut der Indianer überlassen.

Die Laternen waren angezündet worden, der Stein, der den Eingang in den Felsenschacht öffnete, hatte sich zurückgeschoben. Der Mayordomo wollte seinem Herrn den Vortritt lassen. Aber Hallstädts Fuß stockte plötzlich; ein Röcheln quoll aus seiner Brust, fahle Blässe bedeckte sein Gesicht und dann eine tiefbraune Färbung – er griff nach dem Herzen und schlug der Länge nach hin.

Fritz sprang ihm zu Hilfe. Es war vergebens. Die Aufregung der letzten Stunden war für die angegriffene 154 Gesundheit des alten Herrn zu viel gewesen. Ein Herzschlag hatte ihn niedergestreckt.

»Gott sei seiner Seele gnädig,« sagte Gras Hodegg ernst und neigte den Kopf zu einem stillen Gebet. Dann aber verlangte das Leben wieder seine vollen Rechte. »Nehmen Sie die Papiere Hallstädts an sich, Berger,« fuhr der Graf fort, »und händigen Sie sie seiner Tochter aus. Sie ist seine Erbin, und ich hoffe, auch ihr Wort und ihre Unterschrift werden Villanueva genügen. Und nun vorwärts!«

Der Mayordomo hatte die Leiche seines Herrn in eine Ecke des Kellers getragen und leuchtete jetzt den beiden andern voran. Mit leisem Knirschen schloß sich der Stein hinter ihnen. 155

 


 


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