Fedor von Zobeltitz
Der Kurier des Kaisers
Fedor von Zobeltitz

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.

Das Geheimnis Merolas.

Doña Ana findet Gelegenheit, Fritz ihr Herz auszuschütten, der mit Hilfe Merolas einer Verschwörung der Pamas auf die Spur kommt.

Fritz war so abgespannt, daß er schon nach wenigen Minuten, ohne sich über die warnende Bewegung Merolas klar zu werden, in festen und tiefen Schlummer versank. Der Tag war sonnenhell, als er wieder erwachte. Von draußen herein scholl der Lärm der Festfreude; die Frühlingsfeier hatte begonnen.

Fritz suchte Wohanna auf, der ihn freundlich empfing, frühstückte mit ihm und fertigte den Boten für den Obersten Orevalo ab. Sodann ließ er sich zu Fräulein von Hallstädt führen, die ein zwischen den Tempelruinen liegendes, aus alten 122 Steintrümmern erbautes kleines Haus bewohnte. Drei Vertraute des Häuptlings geleiteten ihn dorthin.

Der Weg war nur kurz, aber es gab für Fritz trotzdem mancherlei zu sehen, was ihn interessierte. In einem großen Gebäude außerhalb des Dorfes, einer Art von Speicher, wurden die Salpetervorräte aufbewahrt, welche die Pamas in den Höhlen der Sierra sammelten und aus denen sie sich ihr eignes Schießpulver fabrizierten. Das war im Unterlande verboten, aber der Kaiser hatte bei seinem Regierungsantritt den Gebirgsindianern die alte Abgabenfreiheit belassen; so durften sie auch Tabak bauen, ohne dafür Steuer zahlen zu brauchen. Und die Pamas schienen leidenschaftliche Raucher zu sein; selbst die jungen Dirnen hatten qualmende Thonpfeifen im Munde. Dafür schienen sie das Laster des Trunks, dem so viele Indianerstämme anheim fallen, nicht zu kennen. Überall sah Fritz fröhliche Mienen und heiter blitzende Augen. Die »Fiesta de Mayo«, das Frühlingsfest der Pamas, gleicht gewissermaßen unserm Ostern, dem jüdischen Laubhüttenfest oder den altrömischen Luperkalien. Straßen, Häuser und Gehöfte prangten in jungem Grün, und auf Weg und Steg traf Fritz auf müßig umherschlendernde, lustig plaudernde und singende Gruppen, die nach der Arena zogen, wo um die Mittagsstunde die Spiele und zugleich auch das große Festmahl beginnen sollten.

Fritz war erstaunt über die Riesenhaftigkeit der uralten Ruinen, die vor ihm aufstiegen – eine Front aus leuchtendem Marmor, hinter der sich ein gewaltiges Viereck anschloß, das ursprünglich in mächtige Hallen geteilt worden sein mußte, denn überall sah man noch die Fundamente, die der Zerstörungswut der spanischen Konquistadoren und den Stürmen der Zeit durch Jahrhunderte getrotzt hatten. Diese Hallen, Säulen, Mauern und halbzertrümmerten Götzenbilder, die zerstörten Altäre, Pilaster und Rostren hatten ehemals zu dem Tempelbau des Gottes Catascotl gehört, des Feuergottes der indianischen Mythologie, und wenn ein Erdbeben die Berge erschütterte, so hatten die 123 alten toltekischen Feueranbeter geglaubt, die Stimme ihres Pluto spräche zu ihnen. –

Mexiko ist vielleicht das ruinenreichste Land der Welt. Gerade in der Zeit, da unsre Erzählung spielt, in der Epoche des Maximilianischen Kaiserreichs, waren ungeheure neue Trümmerfelder erschlossen worden, die blendende Lichter auf die hohe Kulturstufe jener untergegangenen Völkerschaften warfen, die Mexiko dereinst bewohnt haben mußten. Nicht nur der Azteken, der ersten historischen Bewohner des Landes, die einst Cortez unterjochte und in deren Kulturwesen unsre Wissenschaft bereits tiefer eingedrungen ist – sondern von Völkern, die viel, viel früher hier ansässig gewesen sein mußten und deren Städte vielleicht schon in Trümmern lagen, als sich die Azteken mit andern Stämmen der großen Nahuafamilie vom Süden her, aus dem Reiche des Weißen Reihers, der mythischen Urheimat, auf die Wanderschaft machten und das Thal von Mexiko besetzten. In den Urwäldern von Yucatan war bereits in den zwanziger Jahren durch Zufall ein neues Pompeji entdeckt worden, die Ruinen von Uxmal, hundert- und tausendmal großartiger und schöner als alle übrigen Altertümer der Neuen Welt, eine Stadt von Palästen, die unter Schichten von Muschelkalk, auf denen der Wald sich erhob, vielleicht noch zahlreiche Menschenalter länger geschlummert haben würden, wenn eben nicht ein glücklicher Zufall die Entdeckung herbeigeführt hätte. Aber erst unter dem Kaiserreiche begannen die ersten Ausgrabungen, und nun stellte sich heraus, daß die Ringmauern jener alten Stadt den riesigen Umkreis von wenigstens zwölf englischen Quadratmeilen umschlossen. Und gigantisch, wie das Trümmerfeld selbst, war die Arbeit der Ausgrabung, denn es galt, den ganzen Landstrich vom vielverschlungenen Wurzelwerk des Baumwuchses eines Jahrtausends und von gewaltigen Schichten Pflanzenmoders zu säubern. Aus dem Moder aber erstand die versunkene Pracht in gespensterhafter Größe: Reihen von Palästen, Tempelbauten, Statuen, Riesentreppen, Portalen und Säulengängen – 124 cyklopische Bauten, mit Basreliefs und Mosaiken von zum Teil großer künstlerischer Schönheit bedeckt. Und wer hatte diese Riesenstadt erbaut, wer bewohnt, wer herrschte hier? – Bisher hat kein Mensch dies Rätsel lösen können, denn die Tempelinschriften von Uxmal haben keinerlei Gemeinsames mit den westmexikanischen Hieroglyphen. Nun das steht fest, daß die alte Stadt schon in einer Zeit erbaut worden sein muß, zu der auch die ältesten Überlieferungen der amerikanischen Urvölker nicht heranreichen – weit vor der Aztekenherrschaft und von einem Volke, von dem nicht einmal mehr der Schatten eines Namens übrig geblieben ist. Aber ein glänzendes Kulturvolk war es – das beweisen die Trümmerhaufen, die des Menschen Hand und der Grabscheit der Civilisation zwischen den Wurzeln des Urwaldes hervor und aus dem Moder der Jahrhunderte zu Tage gefördert haben.

Die europäischen Zeitungen hatten schon Ende des Jahres 1866 viel von den neuentdeckten Ruinen Yucatans zu berichten gewußt, und daran mußte Fritz denken, als er die Trümmer von Iquilisco vor sich sah.

Innerhalb des Mauernvierecks stand ein Haus, das sich im ersten Viertel des Jahrhunderts ein Missionar, der unter den Pamas thätig gewesen war, hatte erbauen lassen. Fräulein von Hallstädt schien Fritz bereits erwartet zu haben, denn sie stand vor der Thür und winkte ihm – und Fritz eilte ihr beflügelten Fußes entgegen, ihre Hand zu küssen und sie mit herzlichen Worten zu begrüßen.

Doña Ana sah zwar blaß und verhärmt aus, aber doch minder elend, als Fritz erwartet hatte. Schon in aller Frühe hatte man ihr zugetragen, daß ein fremder Weißer im Dorfe erschienen sei, um mit dem Häuptling über ihre Auslösung zu verhandeln – und seltsamerweise hatte sie dabei sofort an den gedacht, den sie im Parke von Panisca zum erstenmale in ihrem Leben gesehen hatte, ohne ein Wort mit ihm wechseln zu können.

125 Die beiden blieben auf die Bitte des jungen Mädchens hin im Freien und ließen sich auf zwei Marmorblöcken nieder. Sie sprachen deutsch miteinander, damit die stets in ihrer Nähe bleibenden Pamas sie nicht verstehen konnten. Ana erzählte, daß Wohanna sie in der That mit großem Respekt behandle. Sie wurde gut verpflegt und bedient, jedoch auf Schritt und Tritt beobachtet. Eine Flucht ohne männliche Beihilfe war nach Lage der Dinge sowieso eine Unmöglichkeit für sie. Fuerto hatte sie nur ein einziges Mal besucht. Sie hatte ihm indessen auf alle seine Fragen und Anerbietungen keiner Antwort gewürdigt, so daß er schließlich mit wilden Drohungen wieder davongestürmt war. Wo er sich aufhielt, wußte Ana nicht; sie vermutete ihn aber in der Nähe.

Fritz suchte das Mädchen mit schonender Vorsicht in die schandbaren Pläne des Häuptlings und Fuertos einzuweihen.

»Sie sehen, wie scharf die braunen Halunken selbst unser Mienenspiel beobachten, gnädiges Fräulein,« sagte er; »ich bitte also, daß Sie sich in keiner Weise merken lassen, wie nahe Ihnen meine Mitteilungen gehen. Aus Wohanna bin ich noch nicht so recht klug geworden; ich glaube, er verfolgt noch andre Pläne als die einer gemeinen Erpressung – aber ich werde dahinterkommen. Fraglos kann Sie nur eine Flucht aus seinen und Fuertos Händen retten. Aber sie muß mit List und großer Vorsicht eingeleitet werden; jede Gewaltmaßregel zu verfrühter Stunde würde Ihr wie mein Leben bedrohen. Ich hoffe, in Oberst Orevalo einen zuverlässigen Bundesgenossen zu finden; in acht Tagen spätestens kann der Bote, den ich zu ihm geschickt habe, zurück sein. Bis dahin müssen wir uns fügen.«

»Ich thue es mit Freuden, Herr Berger,« entgegnete Ana; »schon der Gedanke, wieder in Freiheit zu kommen, macht mich so glücklich, daß ich Ihnen gar nicht genug Dank sagen kann für die Hilfe, die Sie mir gewähren wollen. Ich sehe selber ein, daß auf dem Wege gütlicher Verhandlungen nichts zu erreichen ist. Die Forderung Wohannas ist wahnsinnig, 126 und fast glaube ich, mein Vater würde eher – mich zum Opfer bringen, ehe er sich von seinen Schätzen und Gütern trennen könnte. Das klingt unkindlich, Herr Berger – es soll es aber nicht sein. Mein Vater hängt mit Leib und Seele an dem schwer Erworbenen, an seinem Golde – das liegt ihm in der Natur, über die keiner von uns hinauskann.« Sie riß von einem Rhododendronbusch, der neben dem Marmorblock wucherte, eine Blume ab und zerpflückte sie gedankenlos. »Sie haben mir erzählt,« fuhr sie fort, »auf welche Weise Sie Ihren Namen meinem Vater in das Gedächtnis zurückgerufen haben. Ich kenne diesen Namen lange, und hundertmal habe ich den Vater gebeten, nach den Erben jenes Lieutenant Berger zu forschen, der durch meinen Oheim so unglücklich geworden ist. Immer wieder verschob er es – unter der Begründung, er wolle selber mit mir nach Europa reisen, sobald die politischen Verhältnisse in Mexiko sich so geklärt haben würden, daß er für seine Besitztümer nichts mehr zu fürchten habe. Du lieber Gott – wann wird Frieden in Mexiko herrschen! Und das Vermögen meines Oheims, das er der Familie Berger verschrieben hat, ist sehr, sehr bedeutend – es beträgt an« –

»Vierzigtausend preußische Thaler, gnädiges Fräulein,« fiel Fritz lebhaft ein, »für mich armen Teufel allerdings ein Kapital! Ihr Herr Vater hat mir die Auszahlung übrigens ohne weiteres zugesagt.«

Eine helle Röte stieg in die Wangen der jungen Dame.

»Da muß ein Irrtum vorliegen, Herr Berger«, entgegnete sie. »Ich weiß zufällig genau, daß mein Oheim Otto Hallstädt, da er keine direkten Erben hinterließ und mit seinem Stiefsohn Diego zerfallen war, seine gesamte Hinterlassenschaft dem Lieutenant Berger und seinen Nachkommen vermacht hat.«

Fritz horchte auf.

»Aber Señor Fuerto erzählte mir,« warf er ein, »daß Otto Hallstädt arm wie eine Kirchenmaus verstorben sei.«

127 »Er wird seinen guten Grund gehabt haben, Ihnen dies vorzulügen.«

»Und auch Ihr Vater, Fräulein Ana, sagte mir ähnliches!«

Abermals färbte sich das Antlitz des Mädchens dunkler.

»Ich kann Ihnen nur die Wahrheit gestehen, Herr Berger. Und die ist folgende: Mein Ohm Otto kam ganz arm nach Amerika, aber er hatte hier Glück. Er war anfänglich Angestellter in den Minen meines Vaters, kaufte sich dann selbst an, associierte sich später mit dem Vater und hat mindestens ein Vermögen von zwei Millionen Piastern hinterlassen. Dieses Vermögen aber sollte den Bergers als Abtragung einer schweren Schuld zufallen – und mein Vater wurde in dem Testament des Ohms unter weitreichenden Vollmachten zum Vollstrecker jenes letzten Willens ernannt. Sie haben also nicht nur Anspruch auf jene vierzigtausend preußische Thaler, sondern auf erheblich mehr!«

Fritz vermochte nicht sogleich zu antworten. Die Gedanken überstürmten ihn.

»Aber Ihr Vater – Ihr Vater, Fräulein Ana!« stammelte er tonlos, und mit niedergeschlagenen Augen erwiderte das Mädchen kurz:

»Lassen Sie ihn aus dem Spiel, Herr Berger, und seien Sie überzeugt, daß ich die Ausfolgung Ihrer Erbschaft durchsetzen werde, sobald ich erst in Freiheit bin! Sie haben also auch noch persönlich gewichtige Gründe, darauf hinzuarbeiten!«

»Ich würde mich Ihrer ohne die in Aussicht stehende Erbschaft nicht minder warm annehmen, gnädiges Fräulein,« entgegnete Fritz. »Ich bin der Sohn eines Offiziers und weiß, daß die Ritterpflicht zu den am höchsten stehenden Tugenden des Mannes gehört. Aber wir dürfen nichts übereilen. Ich komme täglich zu Ihnen. Noch einmal, Fräulein Ana: Vorsicht und Abwarten!«

128 Sie reichten sich die Hände. Fritz kehrte wieder in das Dorf zurück, wo ihn Wohanna empfing, um ihn als seinen Gast in feierlichem Zuge mit den Stammesältesten, den Heilkünstlern – Medizinmännern, wie man sie immer noch nannte – und den Beamten dieses kleinen indianischen Reichs, das sich unter allen Bergvölkern Spanisch-Amerikas noch am meisten seine politische Unabhängigkeit erhalten hatte, nach der Arena zu führen.

 

In fröhlichem Festgetümmel verging der Tag. Vergeblich hatte Fritz nach Merola ausgespäht – er sah sie nicht. Aber in tiefer Nacht hörte er, aus unruhigem Schlummer emporschreckend, ein leises kratzendes Geräusch an seiner Thür. Rasch erhob er sich und öffnete die Thür. Merola stand vor ihm.

»Still,« flüsterte sie ihm zu; »sprich nicht. Herr – laß mich sprechen! Du schwebst in Gefahr – Wohanna meint es nicht ehrlich mit dir! Aber thu so, als merkest du nichts – ich wache über dich, und mein Blick ist hell. Geh nie ohne Waffen aus und sei doppelt vorsichtig, wenn du die Doña im Tempel besuchst!«

Sie huschte davon. Fritz legte sich wieder nieder, aber der Schlummer floh ihm. Die Warnung Merolas kam ihm nicht überraschend. Daß Wohanna irgend welche geheime Absichten gegen ihn verfolgte, glaubte er schon am ersten Abend instinktiv gefühlt zu haben. Aber wie sich dagegen schützen? Fritz war nicht minder in der Gewalt des listereichen Häuptlings als die unglückliche Ana, die er befreien sollte und wollte! Befreien – großer Gott, waren ihm denn nicht selbst die Hände gebunden?! Seine einzige Hoffnung ruhte auf der baldigen Rückkehr des Boten, den er an Oberst Orevalo gesandt hatte. Mit tausend Mann Kaiserlicher getraute er sich schon, es mit der ganzen Bande der Pamas aufzunehmen! –

Die Tage verstrichen. In jeder Morgenstunde ging Fritz zu den Ruinen, um Ana zu besuchen. Stets begleiteten ihn 129 drei Wächter, die sich aber immer in ehrfurchtsvoller Entfernung von ihm hielten. Fritz hatte, um Ana nicht zu beunruhigen, dieser kein Wort von der geheimen Warnung Merolas mitgeteilt; im Gegenteil – er bemühte sich nach Kräften, das arme Mädchen mutvoll und guter Dinge zu erhalten. Und die Hoffnung auf Freiheit, auf Erlösung aus dieser nervenaufreibenden Gefangenschaft wirkte in der That auf das Allgemeinbefinden Anas förmlich belebend ein. In ihre Wangen kehrte allgemach die Röte der Genesung zurück, ihre Augen blickten freier und sorgenloser, ihr Wesen verlor an Niedergeschlagenheit. Sie plauderte oft heiter und unbefangen mit Fritz, während sie mit ihm dabei in dem wildwuchernden Blumenmeer des Tempelvierecks auf und ab schritt. Die Frühlingstage hier oben in der krystallklaren Luft der Berge waren wundervoll, der Himmel fast ewig blau, nur selten einmal mit langen Zügen feiner, schneeweißer Federwölkchen übersät.

In diesen Plauderstunden schaute Fritz der Gefangenen tief in das arme, junge Herz hinein. Er fühlte, daß sie nicht glücklich war. Ihr Vater gehörte gewissermaßen einer andern Menschenart an als sie; die seelische Brücke, die sie mit ihm verband, war so locker, daß sie bei der leichtesten Erschütterung gänzlich zusammenbrechen konnte. Ana stand allein auf der Welt, vereinsamt, nur auf sich selbst angewiesen. Das rote Gold, das ihr Vater so über alles liebte, verachtete sie schon deshalb, weil es ihn so selbstsüchtig gemacht hatte; ihr aber brachte der Reichtum nichts. Unbefriedigt schritt sie zwischen allen Schätzen weiter durch das Leben. Sie hörte es gern, wenn Fritz ihr von Europa, von seiner Heimat, seinem Leben und seinen Zukunftshoffnungen sprach. Und gerade mit seiner Zukunft hatte er sich in dieser Zeit am wenigsten beschäftigt. Vorläufig stand er noch in kaiserlich-mexikanischen Diensten. Was mit ihm werden sollte, wenn das Kaiserreich wirklich zusammenbrach, wußte er nicht. Gelangte er in den Besitz der Erbschaft Otto von Hallstädts, so kehrte er als Millionär in die Heimat zurück – aber auch diese 130 Millionen – darüber war er sich klar – sollten ihm nicht den Kopf verwirren! Er war noch jung; vielleicht ließ sich noch in letzter Stunde sein Lieblingswunsch erfüllen, einer deutschen Armee als Offizier anzugehören. –

Wohanna blieb Fritz gegenüber nach wie vor gleich freundlich und gemessen in seinem Benehmen. Um ihn nicht mißtrauisch zu machen, hatte Fritz ihm gesagt, daß er sofort nach Verständigung mit dem Obersten Orevalo nach der Hacienda Panisca zurückkehren werde, um Hallstädt zu einer persönlichen Verhandlung mit dem Häuptling zu bewegen. Auch nach dem gegenwärtigen Aufenthalt Fuertos hatte er sich erkundigt, ohne ihn erfahren zu können. Wohanna bewegte sich sichtlich in Ausflüchten; er erklärte einfach, daß er nicht wisse, wo sich die »Glattzunge« derzeitig umhertreibe.

 

Acht und zehn Tage verflossen – der ausgesandte Bote kehrte nicht zurück. Fritz begann unruhig zu werden und bat den Häuptling, einen zweiten Boten nachzusenden. Bereitwillig ging Wohanna auf diesen Wunsch ein – und wieder verstrich Tag um Tag in ertötender Gleichförmigkeit. Anfänglich hatte Fritz das Leben im Indianerdorfe höchlichst interessiert. Er hatte manches Neue kennen gelernt und klagte nicht über Langeweile. Aber je mehr die Unruhe in ihm wuchs, um so stärker sehnte er sich nach Thätigkeit. Auch die Sorge um das Schicksal der kaiserlichen Armee, von der keinerlei Nachricht in die Sierra drang, bedrückte ihn.

Es war in einer schwülen Gewitternacht, und leise rollte der Donner in der Ferne, als Fritz es, wie schon einmal, an der Thür seiner Schlafkammer kratzen hörte. Merola huschte in das Zimmer.

»Steh auf, Herr,« flüsterte sie. »Ich will dich auf geheimem Wege an einen Ort führen, wo du erfahren sollst, was dein Schicksal ist und das des tapfern Heeres, dem du angehörst! Aber laß die Stiefel zurück, damit du leiser auftreten kannst 131 – und was du auch siehst und hörst – gieb keinen Laut von dir, so dir dein und mein Leben lieb ist!«

Sie faßte Fritz an der Hand, und willig folgte er ihr. Das Haus des Häuptlings war wie ausgestorben in dieser Nacht. Kein Laut war zu vernehmen, nur das drohende Rollen des Wetters in weiter Ferne. Merola führte Fritz eine Kellertreppe hinab in einen ganz dunkeln Raum und entzündete hier eine kleine einfache Laterne. Dann stieg man weiter in die Tiefe der Erde, mächtige in den felsigen Boden gehauene Stufen hinab. Im fahlen, unruhigen Schimmer des Lichts sah Fritz rechts und links die feucht schimmernden Wände; die Luft war erstickend heiß, und ein eigentümlicher Schwefelgeruch beengte ihm den Atem. Nun führte die Felsenwölbung geradeaus weiter, der Gang stieg an. Fernes Geräusch ließ sich vernehmen, wie ein heiliger Gesang – stark anschwellend und dann plötzlich verstummend. Aber jetzt hörte man deutlich eine einzelne kraftvolle Männerstimme – und gleichzeitig zitterte ein scharfroter Lichtstreif durch das Dunkel. Irgend etwas Schwarzes, Massiges, Kolossales stieg vor Fritz empor und hemmte ihn am Weiterschreiten.

»Bleib stehen,« flüsterte Merola. »Der Felsblock verschließt die Höhlung – aber lege dein Auge an die Stelle, wo du den Lichtschein siehst – es ist eine Öffnung im Felsen, ein Spalt zwischen den Steinen – und dann schaue und lausche, aber rede nicht!«

Fritz that, wie ihm geheißen worden – doch er hatte Mühe, den Ausruf des Staunens zu unterdrücken, der sich auf seine Lippen drängte. Er sah in einen ungeheuern unterirdischen Raum hinein, eine Höhle von riesiger Ausdehnung. Gewaltig hoch wölbte sie sich kuppelartig, und hier und da an den Seiten gähnten weite Öffnungen, die in Schachte zu führen schienen. Der Schwefelgeruch hatte sich verstärkt, und er war erklärlich; über das Gestein rieselte eine trübe, dampfende Feuchtigkeit – eine Schwefelquelle, die sich in der Tiefe verlor.

132 Im Hintergrunde der Höhle erhob sich eine furchtbare Gestalt: ein Götzenbild aus schwarzem Stein mit gelben Augen, roh gearbeitet, aber dennoch nicht ohne das Geschick, Grauen zu erwecken. Es war das nationale Palladium der Pamas, ehe sie christlich geworden, der Gott Catascotl, der schreckliche Feuergott, eine Art Moloch, dem ehemals alljährlich zur Sonnenwende eine Anzahl Menschenopfer gebracht werden mußten, damit er nicht seine Stimme erhebe und die Berge erzittern lasse. Ursprünglich hatte das Idol in der Vorhalle des alten Tempels gestanden, und als die Missionäre kamen und die heidnischen Altäre stürzten, war es plötzlich verschwunden. Die Priester und Medizinmänner hatten es beiseite geschafft, und nur in ihrer Nachkommenschaft bewahrte man das Geheimnis des Aufenthaltsorts dieses furchtbaren Götzen, nach dem die Archäologen bisher vergebens geforscht hatten.

Ein schwarzer Marmorblock stand vor dem Palladium, eine Art Opferstein, und vor diesem wiederum ein Mann: Wohanna, der Häuptling. Dreißig bis vierzig andre Männer kauerten vor ihm im Kreise, und vor jedem einzelnen brannte ein kleines Feuer, während in der Mitte des Kreises ein großer brennender Holzstoß lodernde Flammen trieb. Neben diesem Holzstoß stand das einzige Weib der Versammlung und warf in gewissen Zwischenräumen abwechselnd schwarze und rote Beeren in die Flammen; auch das Weib erkannte Fritz auf der Stelle, dies häßliche, zusammengeschrumpfte, fast hundertjährige Indianerweib – es war die Mutter Wohannas, sein böser Geist.

Und der Häuptling sprach:

»Die Stunde naht, da das Reich der Weißen zusammenbrechen wird wie ein Baum, den der Sturm gefällt hat. Der Sturm aber werden wir sein, wir Männer der roten Farbe, und uns Pamas haben die Götter begnadet, den Anstoß zu der gewaltigen Indianerrevolution zu geben, die das ganze Mexiko vom Norden bis zum Süden und von einem Meere bis zum andern überfluten soll. Die Otanis und Mazahuas, die 133 Tarascas und die Stämme der Matlazincas, die Totonacas in der Provinz Veracruz, die Nahuas und Zapotecas und im Isthmus die Völker der Mixes und der Zoques – sie alle sind bereit, sich uns anzuschließen, sobald wir als die ersten zu den Waffen greifen! Und diesmal gilt unser Kriegspfad allen Weißen, die zwischen den Grenzpfählen Mexikos wohnen, des Landes, das unsern Vätern gehörte und das man ihnen stahl, um uns, ihre Söhne, zu Knechten zu machen! Was kümmert uns das neue Kaiserreich, das ein fremder Fürst auf dem heiligen Boden unsrer Götter errichtete – was die Republik des Juarez und seiner Generäle! Dem Kaiser wie dem Präsidenten sei gleiche Vernichtung geschworen – Vernichtung ihren Heeren, ihren Beamten, ihrer Polizei – Vernichtung der ganzen weißen Welt, die sich in unsrer Heimat festgesetzt hat! Der Aufstand wird zünden; Hunderttausende unsrer roten Brüder stehen schon heute zu uns, und neue Hunderttausende werden ihnen folgen. Auch an den Grenzen wird es sich regen – hinauf bis zu den Apachen und Comanchen und Sioux und Pawnees, und im Süden bis zu den Tahamis und den Chocostämmen. Aus allen Teilen des großen Amerika werden die Indianer uns zuströmen und an unserm Vernichtungskampfe teilnehmen, bis wir auf den Trümmern dieser totgebornen Monarchie und der nicht leben könnenden Republik mit unsern alten Göttern wieder das alte Reich errichtet haben! Und ob dann gleich über das Meer neue Eroberer ziehen werden – sie werden es nicht so leicht haben, wie vor vierhundert Jahren, um uns abermals zu Sklaven zu machen!«

Wohanna schwieg eine kurze Minute, um dann von neuem zu beginnen:

»Ich habe Euch noch über die letzten Geschehnisse Bericht abzulegen. Die Kaiserlichen können aus Queretaro nicht mehr entweichen. Sie beabsichtigen einen Durchbruch nach der Sierra Gorda und einen Anschluß an uns und die Truppe des Obersten Orevalo. Das mußte vermieden werden. Ich habe deshalb 134 ihre Boten empfangen und töten lassen. Nur einen behielt ich zurück; er ist zum Opfer bestimmt worden. Desgleichen sind die Boten, die der in unserm Dorfe weilende Kurier des Kaisers an den Obersten Orevalo senden wollte, nicht fortgelassen, sondern zurückgehalten worden. Oberst Orevalo lagert derzeitig in unsrer unmittelbaren Nähe – im Daregothale. Es liegt die Gefahr nahe, daß neue kaiserliche Boten ihn erreichen. Don Fuerto, unser Verbündeter, hat sich deshalb zu ihm begeben, um ihm eine gefälschte Ordre zu überreichen, die ihm befiehlt, sich zum Schutze von Tampico nach der Küste zurückzuziehen. Zu gleicher Zeit hat Don Fuerto sich eine Verbindung mit Queretaro zu verschaffen gewußt, um den Fall der Festung zu beschleunigen. Das Vermögen Don Hallstädts, dessen wir dringend bedürfen, um uns und unsre Bundesgenossen neu zu bewaffnen, ist uns noch nicht völlig sicher. Der Geiz des Mannes ist groß; es ist nicht ausgeschlossen, daß er eher seine eigne Tochter zum Opfer bringt als daß er seine Reichtümer für sie hingiebt. Doch selbst für diesen Fall werden wir Mittel finden, ihn zur Herausgabe seines Goldes zu zwingen. Unsre Späher durchstreifen das Land bis zu den Mauern von Queretaro. Sobald uns Bericht wird, daß Queretaro gefallen ist, stürzen wir uns auf die siegestrunkene republikanische Armee. Das ist das Zeichen für unsre roten Brüder, uns aus allen Himmelsrichtungen zu Hilfe zu eilen. Zu gleicher Zeit wird eine Schar von uns die Hacienda Panisca überfallen und uns die Schätze Hallstädts sichern. Auch mit dieser Aufgabe ist Don Fuerto beauftragt worden; als Beute habe ich ihm den Besitz der Hallstädtschen Minen und die Tochter des Haciendero zugesagt.«

Merola legte in diesem Augenblick ihre kleine Hand auf den Mund Fritz Bergers, um das grimmige Stöhnen zu unterdrücken, das aus der Brust unsres Helden quoll. Er war totenbleich geworden; mit Anstrengung krampften sich seine zitternden Hände an dem feuchten Felsgestein fest. Aber die Vorgänge 135 in der Höhle hielten ihn doch so völlig im Bann des Interesses, daß er sein glühendes Auge nicht von dem Lugloch fortzubringen vermochte.

Ein seltsamer Ton, wie ein Posaunenstoß, dröhnte durch das Gewölbe, und dann vernahm Fritz die schrille, schreiende Stimme des alten Indianerweibes.

»Häuptling, es lodert das Feuer, und die Flammen warten des Opfers! Hundertmal warf ich Beeren hinein, die unsre jungen Weiber zu Füßen der Pyramide von Magapan pflückten, wo Catascotl zum letztenmal seine Stimme erschallen ließ. Jede Beere trank Menschenblut, und bei heiligem Feuer ließ ich sie dörren. Und über jede Beere sprach ich mein Gebet, auf daß der Gott uns erhören, unsre Feinde vernichten und uns siegen lassen möge. Gieb Catascotl das versprochene Opfer, wie unsre Vorfahren es hielten!«

Wohanna winkte und trat seitwärts des Opfersteins aus schwarzem Marmor. Ein alter Indianer im Kreise erhob sich. Er war gräßlich anzusehn mit der blutroten Malerei auf seinem Gesicht, in das die weißen Haarsträhnen fielen. In der Rechten hielt er ein langes, blitzendes Messer.

Die Feueranbeter im Kreise begannen eine eintönige Weise, während man aus dem Dunkel einen gebundenen und geknebelten nackten Mann schleppte und ihn auf dem Opferstein niederlegte.

Mit Grauen erkannte Fritz in ihm einen Weißen. Siedend stieg ihm das Blut zum Gehirn.

»Merola – sie morden einen Menschen!« schrie er auf. Aber in einem neuen gewaltigen Posaunenstoß, ähnlich dem Rufe des Nebelhorns auf hoher See, verklang der gelle Schrei. Angstvoll zerrte Merola den halb ohnmächtigen Fritz den Felsengang zurück. Fritz taumelte – es wogte wie Wolken vor seinen Augen. Todmüde und gleichsam gebrochen an allen Gliedern brach er auf seinem Lager zusammen; er wußte kaum, wie er wieder in sein Schlafgemach gekommen war.

136 Merola kniete neben ihm und hielt seine Hände fest.

»Herr, komme zu dir,« jammerte sie leise. »Noch eine halbe Stunde, und der Häuptling kehrt wieder zurück! O – warum zeigte ich dir, was dein Auge und dein Herz nicht zu ertragen vermochten!«

Mit Anspannung aller moralischen Kraft richtete Fritz sich auf.

»Zürne mir nicht, Kind,« sagte er. »Ich muß dir dankbar sein, daß du mir die Binde von den Augen nahmst und mir Wohanna in seiner ganzen Falschheit und Schrecklichkeit zeigtest. Aber ich poche weiter auf deine Liebe. Du bist nicht wie jene – du glaubst an den Gott der Christen – nicht wahr, Merola – es ist so?«

»Ja, Herr, es ist so,« schluchzte das Mädchen, »und Nacht für Nacht habe ich zu der heiligen Jungfrau gebetet, daß sie dich schützen möge und den jungen Grafen, der in Potosi gefangen lag, und das weiße Mädchen – –«

»Recht so, Merola,« fiel Fritz ein und umspannte mit heißer Hand die Rechte des Mädchens. »Ich weiß, du bist gut und wirst uns weiter helfen. Hör aufmerksam zu – die Zeit drängt. Wie weit ist es von hier bis zum Daregothale?«

»Einen halben Tagemarsch, Herr – auf flinken Pferden.«

»So werde ich morgen Nacht versuchen, mit Doña Ana zu flüchten – und du wirst uns beistehen. Sorge dafür, daß wir uns Gesicht und Haar färben können und sorge für indianische Kleidung. Wird es möglich sein, uns zwei schnelle Pferde zu beschaffen?«

»Die Pferde des Häuptlings weiden in der Koppel am Piñal, kaum eine Stunde von hier.«

»Schön – aber wer soll uns führen? Du selbst?«

Merola küßte die Hand des jungen Mannes.

»Laß mich nicht zurück, Herr,« flehte sie, »Wohanna ist 137 bereits mißtrauisch gegen mich geworden – er wird mich umbringen lassen, wenn er erfährt, daß ich Euch zur Flucht verholfen habe! Und ich fürchte mich unter diesen heimlichen Mördern und Götzenanbetern. Herr, wenn Euch jemand die Wege weisen kann, bin ich es allein. Ich kenne jeden Steg auf Meilen hinaus, weiß auch, wie wir am schnellsten den Darego erreichen können. Ich will dir eine gute Führerin sein – –«

Sie brach erschreckt ab. Ein leises Geräusch wurde hörbar. »Geh, Kind,« drängte Fritz. »Man kommt zurück! Auf morgen!«

Merola huschte davon. 138

 


 


 << zurück weiter >>