Fedor von Zobeltitz
Der Kurier des Kaisers
Fedor von Zobeltitz

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Siebentes Kapitel.

Don Hallstädt.

Ein Vater, der seine Tochter verloren hat. – Unsern Helden erwächst ein gefährlicher Feind.

In der großen Halle empfing sie Hallstädt.

»Ich kann nur wiederholen, meine Herren,« begann er, »was ich Ihnen sagte: Juarez ist mit den Seinen geflüchtet!«

»Das ist eine Unmöglichkeit, Herr von Hallstädt,« gab Graf Hodegg zurück; »er kann gar nicht entkommen sein; die Berge ringsum sind von unsern Truppen besetzt.«

»So wird er dennoch in die Gewalt der Ihrigen fallen, mein Herr. Die Thatsache, daß Juarez nicht mehr in meinem Hause weilt, steht jedenfalls fest. Bitte, lassen Sie die Räume durchsuchen!« . . .

Hodegg gab den entsprechenden Befehl und wandte sich sodann an Hallstädt zurück.

»Ich bedauere lebhaft, Ihnen Unbequemlichkeiten machen zu müssen,« sagte er, »aber à la guerre comme à la guerre 86 – das ist nun einmal der Krieg. Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle: Graf Hodegg – und dies hier der Fahnenjunker des Regiments, Offiziersaspirant Berger – der Sohn eines deutschen Kameraden, Herr von Hallstädt.«

»Berger?« – und der Angeredete hob den Kopf. »Ein – etwa gar ein Sohn jenes Berger, der ehemals im hessischen Leibregiment diente?«

»Desselben Berger, Herr von Hallstädt, der mit Ihrem verstorbenen Vetter befreundet war.«

»Ah« . . . Der alte Herr strich sich über seine Stirn. Wie wunderlich spielte wieder einmal das Geschick! . . . »Es ist ein seltsamer Zufall, der Sie mir in die Arme führt, Herr Berger,« fuhr er fort; »ich bitte mir späterhin eine Rücksprache mit Ihnen unter vier Augen aus – vorerst aber lassen Sie mich eine Frage an Sie richten, deren Beantwortung einem bekümmerten Vater das Herz erleichtern helfen soll. Meine Tochter, mein einziges Kind, hat in der Morgenfrühe einen Spaziergang durch den Waldpark gemacht und ist bisher nicht zurückgekehrt. Ich fürchte, es könne ihr in der Unruhe des Tages ein Unglück widerfahren sein – – sind Sie ihr nicht begegnet? Sie ist rotblond und dunkeläugig und trug ein weißes Kleid . . .«

Hodegg und Berger schauten sich an . . .

»Das kann nur das Mädchen gewesen sein, Herr Graf,« sagte der neuernannte Junker, »das Señor Fuerto vorhin im Parke festhalten ließ« – –

Wie von plötzlichem Wahnsinn gepackt stürzte sich Hallstädt auf den Sprechenden.

»Fuerto?!« schrie er; »Diego Fuerto, mein Neffe?! Und er – er hat sich an meinem Kinde vergriffen?!« . . .

Mit beruhigender Handbewegung trat Graf Hodegg zwischen die beiden.

»Seien Sie außer Sorge, Herr von Hallstädt,« sagte er; 87 »Señor Fuerto hat uns sein Wort verpfändet, daß er für die Sicherheit des Fräuleins Sorge tragen werde« – – –

In diesem Augenblick erschien der, von dem man sprach, selbst in der Thür der Halle. Ehe Hodegg und Berger ihn zurückhalten konnten, sprang der Haciendero seinem Neffen entgegen und packte ihn an die Gurgel.

»Schuft du – wo hast du mein Kind?!« –

Mit Leichtigkeit schüttelte der Mexikaner den alten Mann ab.

»Was soll das heißen?« fragte er, die Stirne runzelnd. »Ich gehöre zu den Verbündeten Seiner Kaiserlichen Majestät, und Sie, Ohm, haben kein Recht mehr, mich von Ihrem Hofe jagen zu lassen – wie einstmals! Die Zeiten sind andre geworden.«

Hallstädt hob die Hände bittend zu Fuerto empor.

»Diego,« sagte er in flehendem Tone, »lassen wir die Vergangenheit ruhen! Ich will wieder gut zu machen versuchen, wenn ich dir Böses gethan habe. Nur spanne mich nicht länger auf die Folter und sage mir, wo ich meine Tochter wiederfinde! Du siehst ja, wie ich mich sorge um sie!«

Das Auge Fritz Bergers richtete sich drohend, gewissermaßen Antwort befehlend, auf den jungen Mann, der gleichmütig mit seiner Reitgerte wippte.

»Ihrer Tochter wegen bin ich hier,« antwortete er, »ich würde Ihnen in anderm Falle meinen verhaßten Anblick erspart haben. Ihr ist in der That ein Unglück zugestoßen. Eine Rotte der Pamas unter ihrem rebellierenden Häuptling Wohanna hat Doña Ana entführt, ehe ich es verhindern konnte. Aber da man es zweifellos auf eine Erpressung abgesehen hat, so ist nicht zu fürchten, daß man sie mit Unbill behandeln wird. Außerdem steh' ich selbst im Begriff, den Pamas nachzusetzen.«

Hallstädt hatte schweigend zugehört, aber langsam stieg eine heiße Glut in sein Gesicht und seine Hände ballten sich. Auch über die Wangen Bergers flammte ein lichtes Rot.

88 »Vergebung, Señor,« sagte er zu Fuerto gewendet; »das, was Sie da erzählen, scheint mir den Thatsachen nicht ganz zu entsprechen. Graf Hodegg wie ich waren Zeuge, als Sie das Mädchen im Parke überfallen und knebeln ließen. Sie riefen uns zu, es sei irgend eine Zofe aus dem Schlosse und man werde sie schnell wieder entlassen« –

»Ganz richtig,« fiel Graf Hodegg drohenden Tones ein, »und nur aus diesem Grunde hielten wir uns nicht länger auf, sondern suchten noch des Diktators habhaft zu werden – nur aus diesem Grunde und weil wir Ihrem Ehrenwort vertrauten! Wenn Sie wußten, daß das Mädchen Fräulein von Hallstädt, die Tochter Ihres Ohms war – weshalb wehrten Sie da nicht den räuberischen Absichten der Pamas?!«

»Weil er mit ihnen im Bunde steht,« rief Hallstädt außer sich und hob die Hände wie anklagend gen Himmel; »weil er der Anstifter des ganzen Verbrechens ist – ein Ehrloser, ein niedriger Bube« –

»Genug, Ohm!« schrie Fuerto, und in wildem Jähzorn erhob er die Hand mit der Reitpeitsche gegen den Alten. Aber im Nu hatte Berger ihn gepackt und ihm die Gerte entrissen, sie weit von sich schleudernd.

»Wahrlich, der Greis hat recht!« sagte er scharf. »Wie soll man den nennen, der ein wehrloses Mädchen überfallen und entführen läßt? Der unter dem Deckmantel einer politischen Intrigue erbärmlich selbstsüchtige Pläne verfolgt? Wie anders als einen elenden Schurken?!«

»Brav gesprochen, Berger!« fiel Graf Hodegg ein. »Und nun, mein Herr, keine Ausflüchte weiter! Die Wahrheit wollen wir wissen! Wohin haben Sie die Señora schleppen lassen?!«

Fuerto hatte sich Schritt für Schritt zurückgezogen. Er stand jetzt an der offenen Thür der Halle. Seine Augen sprühten haßerfüllt, seine Stimme bebte.

89 »Sucht sie Euch, Ihr Herren!« rief er. »Und auch Sie, Ohm: lassen Sie sie nur suchen! Und wenn Sie doch noch meiner Hilfe bedürfen sollten – im Pamadorfe Iquilisco wird man Ihnen jederzeit sagen können, wo ich zu finden bin!«

Er stürzte davon.

»Haltet ihn – haltet ihn! Er muß mir mein Kind wiedergeben – mein einziges Kind!« schrie jammernd der Alte. Hodegg und Berger sprangen dem Mexikaner nach, aber sie kamen zu spät. Fuerto hatte sich auf seinen Rappen geworfen und riß aus der Brustseite seines Lederkollers einen an einer Schnur hängenden seltsamen Gegenstand, ihn hoch in der Rechten schwingend. So sprengte er in den Burghof.

»Auf Eure Pferde, Pamas!« befahl er. »Im Namen Wohannas, Eures Häuptlings! Seht hier sein Stammeszeichen, das er mir gab, damit Ihr meine Befehle befolgt! Die Kaiserlichen sind zu unsern Feinden geworden – sie beschimpfen und schmähen uns und weigern uns den bedungenen Sold! Auf Eure Pferde und zurück in die Sierra!« . . .

Im Augenblick saßen die Indianer auf ihren kleinen Rossen. Das Amulet des großen Atuko, des Stammeshelden der Pamas, das Wohanna aus den Händen seiner Mutter zurückempfangen hatte, sicherte Fuerto unbedingten Gehorsam. Ehe noch Graf Hodegg gleichfalls den Befehl zum Aufsitzen geben konnte, sprengte der Mexikaner mit den Rothäuten unter wildem Geschrei bereits wieder von dannen.

Hodegg wandte sich mit finsterer Miene an Berger zurück.

»Es wäre Thorheit, die Burschen verfolgen zu lassen,« sagte er; »ich kann meine kleine Truppe nicht zersplittern. Wir werden ein andermal Gelegenheit finden, mit diesen braunen Schuften abzurechnen!«

»Aber das Mädchen?« fragte Fritz. »Und der unglückliche Vater?«

»Lieber Berger, Sie sehen doch selbst ein, daß wir uns 90 unter den obwaltenden Umständen nicht weiter um die beiden kümmern können! Ich würde es ja gern thun, aber ich habe gebundene Marschroute und muß noch vor Abend nach Potosi aufbrechen.«

Berger nickte schweigend; er sah ein, daß sich gegen die dienstlichen Vorschriften nicht ankämpfen ließ. Aber sein Herz schmerzte; es schien ihm immer noch, als ruhten die dunkeln, verängstigten Augen des jungen Mädchens hilfeflehend und vorwurfsvoll auf ihm . . . .

Inzwischen war die Patrouille, die die Haussuchung vorgenommen, zurückgekehrt. Man hatte jeden Raum im Schlosse bis auf die Bodenkammern und die Keller durchstöbert – von Juarez und seinen Generälen war nichts zu entdecken gewesen.

Gras Hodegg begriff das nicht; er bat Hallstädt, der sich über den Raub seiner Tochter anfänglich wie ein Verzweifelter gebärdet hatte und dann in vollständige Apathie versunken war, daher um eine nochmalige Unterredung. Aber der alte Herr wehrte ab, sich auf ein weiteres Verhör einzulassen.

»Lassen Sie mich, Herr Graf,« antwortete er. »Ich bin nicht mehr fähig, Ihnen Rede zu stehen. Mein Wort, daß Juarez mit seinem Stabe rechtzeitig geflüchtet ist, muß Ihnen genügen . . . . Sie baten darum, mit Ihren Leuten in der Hacienda übernachten zu dürfen. Es steht Ihnen zur Verfügung, was Sie wünschen – mein Mayordomo hat bereits die nötigen Anweisungen empfangen. Als Gegenleistung bitte ich nur um die Erlaubnis, mit Ihrem Junker dort drüben ein paar Worte im Vertrauen wechseln zu dürfen« . . .

Hodegg sagte selbstverständlich zu, und Berger blieb mit dem Haciendero allein. Der alte Mann hatte nicht in vollem Maße seine Sympathien, aber die vergrämten Züge Hallstädts und sein kummervolles Auge erschütterten ihn doch.

»Ich kenne die Leidensgeschichte Ihres Herrn Vaters,« begann Hallstädt, »wenigstens bis zu einem gewissen Punkte. 91 Mein Vetter Otto hat mir seine Schuld gebeichtet, und obwohl ich nicht dazu verpflichtet bin, für den Leichtsinn seiner Jugend aufzukommen, bin ich dennoch mit Freuden bereit, Ihnen als den Erben Ihres Vaters jene Summe zurückzuzahlen, die Vetter Otto einst – einst von ihm entlieh. Ich kann dies, ohne daß der Verlust mich schädigt – aber ich verlange eine Gegengefälligkeit von Ihnen, junger Herr. Wollen Sie mir diese zusagen?«

»Wenn ihre Erfüllung in meiner Macht steht, Herr von Hallstädt, und Sie nichts Unbilliges fordern – gewiß,« entgegnete Fritz. »Ich gestehe Ihnen offen, daß ich mich aus freien Stücken nicht an Sie gewendet haben würde; ich wollte mein Recht haben, kein Almosen. Und so, wie Sie mir die Rückerstattung der Ihrem Vetter – ich will bei Ihrem Ausdruck bleiben – ›geliehenen Summe‹ zusagen, dünkt mich das gleichfalls kaum anders als ein Almosen. Indessen – sprechen Sie, wenn ich bitten darf: womit kann ich Ihnen dienlich sein?«

Hallstädt haschte nach der Hand des jungen Mannes und hielt sie geraume Zeit hindurch fest.

»Kennen Sie den General Mejia?« fragte er.

»Ja, Señor, und es scheint auch, als habe er Interesse für mich.«

»Um so besser. Mejias Stammeltern waren Pamas – er selbst gilt noch heute den Indios der Sierra Gorda als Abgott. Sie achten ihn mehr als ihren Häuptling. Nur er vermag mir mein Kind zurückzuschaffen. Sagen Sie ihm, er möge sich mit mir in Verbindung setzen; ich bin bereit, dem Kaiserreiche zu einer neuen Anleihe zu verhelfen, die finanziellen Schwierigkeiten des Landes zu ebnen und damit den Thron Maximilians zu stützen – wenn Mejia mir durch Güte oder Gewalt, List oder offenen Krieg mein Kind befreien hilft!«

»Ich will gern Ihren Wunsch erfüllen, Herr von Hallstädt,« erwiderte Berger, »zumal ich das unglückliche Mädchen gleichfalls von ganzem Herzen bemitleide. Aber wäre es nicht zweckmäßiger – gestatten Sie mir diese Frage – wenn Sie selbst mit Ihrem Neffen in Unterhandlung treten wollten? Vielleicht genügen ein paar tausend Pesetos, das Unheil rückgängig zu machen!«

Hallstädt schüttelte den Kopf.

»Nein, mein junger Herr – das genügt Fuerto nicht. Er ist ein abgefeimter Schuft, dem es nicht nur nach meinem Gelde gelüstet, der die Hand meiner Tochter begehrt, der Erbin all meiner Habe. Und mehr noch: sein Schurkenstreich ist zugleich ein Racheakt. Er wollte mich ins Herz treffen – und er traf gut! . . . Mejia allein kann mir helfen; die Pamas haben bisher stets zum Kaiser gehalten, aber es scheint, als habe der schlechte Einfluß Wohannas sie umgestimmt. Ich kenne auch diesen Wohanna. Sein Bruder war ein räuberischer Wegelagerer, dem es zeitweilig Vergnügen machte, unter meinen Rinderherden aufzuräumen, und der mir meinen besten Hirten heimtückisch erschoß. Da legte ich mich eines Tages auf die Lauer und schoß den Burschen nieder. Von dieser Zeit ab haßt mich Wohanna als Todfeind. Er war mehrere Jahre verschollen, aber wenn auch ein Menschenalter verronnen wäre – ein Indios vergißt seine Rache nie. Und so einten sich denn die zwei, Fuerto und Wohanna, mich zu verderben! Und beim ewigen Gott – sie haben es beinahe erreicht!« . . .

Thränen perlten über die Wangen des Greises. Fritz konnte sich eines tiefen Mitempfindens nicht verschließen. Er reichte dem Haciendero die Hand.

»Die Cazadores, zu denen ich gehöre,« entgegnete er, »treffen morgen mit dem Gros der Armee zusammen. Dann werde ich mir eine Audienz bei General Mejia erbitten und ihm Ihr Anliegen vortragen. Ich zweifle nicht daran, daß er Ihnen willfahren wird – und sei es auch nur um der Menschlichkeit willen!«

Er hatte sich bei den letzten Worten erhoben und wollte sich nun verabschieden. Aber Hallstädt hielt ihn noch einmal zurück.

93 »Heißesten Dank, junger Freund,« sagte er; »Gott wird Ihnen lohnen! . . . Wann darf ich Ihnen die Schuld meines verstorbenen Vetters auszahlen lassen? Sie steht jederzeit zu Ihrer Verfügung.«

»Ich bedarf des Geldes im Augenblick nicht, Herr von Hallstädt,« erwiderte Fritz. »Ihre Zusage genügt mir. Hätte ich Sie vor acht Wochen sprechen können, dann wäre ich vielleicht heute schon wieder auf der Rückreise nach Europa. Aber mein Geschick wollte es anders. Jetzt habe ich selbst nicht mehr über mich zu bestimmen, sondern mein Herr, der Kaiser. Leben Sie wohl, Señor!«

Er ging – und noch im Abgehen hörte er die jammernde Stimme des Alten:

»Schaffen Sie mir meine Tochter zurück – meine Ana – mein einziges, heißgeliebtes Kind!« . . . 94

 


 


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