Fedor von Zobeltitz
Der Kurier des Kaisers
Fedor von Zobeltitz

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Viertes Kapitel.

Ein neuer Freiwilliger.

Señor Fuertos Pläne. – Fritz sieht ein, daß seine Mission nutzlos ist und nimmt Kriegsdienste.

Fritz schwieg, und Oberst von Leuthen, der mit wachsendem Interesse zugehört hatte, reichte ihm über den Tisch herüber die Rechte. »Zunächst einen Händedruck, lieber Herr Berger,« sagte er. »Ich glaube, Sie können sich Glück wünschen, daß thörichter Übereifer Sie hier festgehalten hat. Vor kaum einer halben Stunde wurde in diesem selben Zelte der Name Hallstädt mehrfach genannt. Gestatten Sie, daß ich Sie mit einer Persönlichkeit bekannt mache, die zwar keine sonderlich sympathischen Eindrücke erweckt, Ihnen aber vielleicht bei Ihrer schwierigen Mission behilflich sein kann.«

Er schlug die vor dem Zelt hängende Decke zurück und trat hinaus ins Freie. – – –

Diego Fuerto, der Mexikaner, der den Kaiserlichen die Überrumpelung der feindlichen Truppen ermöglichen wollte, hatte 41 sich in unmittelbarer Nähe des Zeltes des Kommandierenden sein Lager anweisen lassen. Man hatte ihm auf seinen Wunsch einige wollene Decken gegeben, die er auf der Erde ausbreitete; dann hing er seinem an den nächsten Baum gebundenen Pferde den Futtersack über den Kopf und streckte sich nieder, um, dicht in einen Woylach gehüllt, anscheinend sofort in tiefen Schlummer zu versinken.

Aber der Mann schlief nicht. Rastlos wanderten seine dunkeln Augen umher. Es lag ihm daran, sich vorerst zu orientieren. Wir sagten bereits, daß das Zelt zwischen zwei riesigen Lärchenbäumen ausgespannt war. Dahinter stieg allmählich der Schluchthang an, von Lorbeergebüsch und niedrigem Tamariskengesträuch umwuchert. Diese ganze Seite des Thals lag in tiefem Dunkel. Drüben, auf der andern Seite, brannten noch vereinzelte Wachtfeuer und sandten ihre Funkengarben in die Luft. Von dort her scholl auch noch Geräusch, leises Stimmengewirr und der verwehende Klang einer Harmonika, die einer der Jäger spielte.

Fuerto warf seine Decke ab und spähte nochmals vorsichtig umher. Kein Mensch in der Nähe und ringsum die Schatten der Nacht. Der Mexikaner kroch, sich wie eine Schlange flach an den Erdboden schmiegend, durch das Gebüsch und bis dicht an die Rückseite des Zeltes heran. Die Leinwand war hier an kleinen, in den moosigen Untergrund gerammten Pflöcken befestigt worden, so daß man nicht in das Innere des Zeltes schauen konnte. Aber das wollte Fuerto auch nicht. Ihm lag nur daran, zu erlauschen, was man da drinnen sprach – und das war nicht schwer. Der Mexikaner brauchte nur sein Ohr an die untere Zeltwand zu lehnen, und er verstand jedes Wort von dem, was zwischen dem Kommandeur und dem angeblichen Spion verhandelt wurde.

Er hatte anfänglich in der That geglaubt, Fritz Berger sei ein Spion, und er hatte gefürchtet, der junge Mann werde vielleicht seine Pläne stören. Aus der Erzählung Bergers hörte 42 er indessen sofort, daß es nicht der Fall war; dafür interessierte ihn diese Erzählung aber nicht minder. Wäre es heller gewesen, so hätte man sehen können, welcher Sturm wechselnder Empfindungen in dem verlebten Gesicht des Mexikaners Ausdruck fand. Von Zeit zu Zeit zischte er eine leise Verwünschung oder einen häßlichen Fluch über seine Lippen, richtete sich zuweilen auch ein wenig höher empor, um bequemer lauschen zu können, und dann blitzte ein wildes Feuer in seinen Augen auf.

Endlich schien es ihm an der Zeit, sich zurückzuziehen. Er warf sich, dabei immer platt auf dem Leibe liegen bleibend, mit dem ganzen Körper herum – und zuckte plötzlich jählings zusammen. Vor ihm stand, hoch aufgerichtet, die dunkle Gestalt Wohannas. Der leuchtende Blick des Indios schien zu phosphorescieren und das Dunkel durchdringen zu wollen.

»Hat Glattzunge hören können, was sie erlauschen wollte?« fragte der Indianer halblaut, ohne sich dabei vom Platze zu rühren.

Fuerto antwortete nicht sogleich. Die ganze Erscheinung des Wilden war ihm vorhin schon, als er ihn in das Zelt hatte treten sehen, bekannt vorgekommen, und auch sein sonores, eigentümlich metallisch klingendes Organ weckte allerhand Erinnerungen in ihm.

»Glattzunge kennt Wohanna, den Fliegenden Pfeil der Pamas, nicht wieder?«

Ein Blitz der Erkenntnis zuckte über des andern Gesicht. Hastig richtete er sich auf den Knieen empor.

»Wo hatte ich meine Augen – du bist's, Wohanna?!« rief er lebhaft. »Verbirg dich im Gebüsch – man wird mich rufen – ich habe Wichtiges mit dir zu besprechen! Aber erst später – rasch, rasch – –«

Die Stimme des Obersts von Leuthen rief nach der Ordonnanz. Wohanna duckte sich nieder, und Fuerto hüllte sich wieder in seine Decken und heuchelte tiefen Schlaf.

Ein Soldat trat an ihn heran.

43 »Señor – entschuldigen Sie –«

Der Mexikaner fuhr auf.

»He – was giebt's? Wer ruft mich?«

Der Soldat salutierte. »Der Herr Oberst hat mich beauftragt, nachzusehen, ob der Señor schon schlafe. Der Herr Oberst möchte den Señor gern noch einmal sprechen.«

»Ich komme!« – Fuerto erhob sich und folgte der Ordonnanz. Herr von Leuthen empfing ihn mit einer liebenswürdigen Entschuldigung.

»Hoffentlich hat man Sie nicht aus der Ruhe aufgestört, Don Fuerto,« sagte er. »Erzählten Sie mir nicht, Sie seien ein Neffe des Besitzers der Hacienda Panisca, eines Deutschen Namens Hallstädt?«

»So ist es, Herr Oberst. Freilich, die Verwandtschaft ist eine so weitläufige, daß man sie kaum noch als solche bezeichnen kann. Ich bin der Stiefsohn eines gleichnamigen Vetters des Don Hallstädt.«

»Und dieser Hallstädt lebt noch?« fiel Berger mit Lebhaftigkeit ein; er war nicht mehr im stande, seiner Ungeduld Zügel anzulegen. »War er nicht ehemals Offizier in hessischen Diensten? Und wissen Sie Näheres über ihn, Señor? – Verzeihen Sie meine Unbescheidenheit, aber sie wird Ihnen erklärlich scheinen, wenn ich Ihnen sage, daß ich lediglich zu dem Zweck, jenen Herrn von Hallstädt aufzusuchen, aus Europa herübergekommen bin.«

Der Mexikaner neigte verbindlich den Kopf.

»Ich stehe Ihnen gern Rede und Antwort, Señor,« erwiderte er, »aber ich weiß vorläufig noch nicht, welchen der beiden Vettern Hallstädt Sie meinen. Kennen Sie seinen Vornamen nicht?«

»O gewiß – er hieß Otto!«

»Das war mein Stiefvater.«

»War? Also er lebt nicht mehr?!«

44 »Er ist vor drei Jahren an den Folgen des gelben Fiebers gestorben, mein Herr.«

Fritz biß sich auf die Lippen. Die Kunde war niederschmetternd für ihn.

»Und wer ist sein Erbe geworden, Señor?« fragte er mit leisem Zögern. »Soviel mir bekannt, hat Herr von Hallstädt große Reichtümer erworben – und ich habe aus dem Nachlasse meines Vaters noch eine Forderung an ihn – –«

Er stockte, denn er sah etwas wie ein mitleidiges Lächeln um den Mund des Mexikaners huschen.

»Wenn Sie nur deshalb nach Mexiko gekommen sind, mein Herr,« entgegnete Fuerto, »um diese Forderung einzukassieren, so haben Sie sich leider vergeblich auf den Weg gemacht. Auch dem Hallstädtschen Reichtum liegt eine Verwechslung zu Grunde. Nicht Otto, sondern Erwin von Hallstädt, sein Vetter, ist der Krösus der Gordaberge, der Silberkönig der Sierra. Mein Stiefvater hatte nur eine Beamtenstellung bei ihm und ist als ganz armer Mann gestorben.«

Fritz senkte unwillkürlich den Kopf. Daß er leichtsinnig gehandelt hatte, als er ohne genaueste vorhergehende Erkundigungen die weite Reise angetreten, daran dachte er im Augenblick nicht. Die völlige Zerschmetterung aller seiner Hoffnungen aber lähmte doch förmlich sein Denken.

Oberst von Leuthen legte die Hand liebevoll auf die Schulter des jungen Mannes.

»Nur nicht verzagen, mein Freund,« sagte er mitleidig. »Sie hören, daß Erwin von Hallstädt noch lebt und große Reichtümer besitzt. Wenn er ein Ehrenmann ist, so wird er gern die alte Ehrenschuld seines Bluts- und Namensvetters tilgen – ich zweifle nicht daran.«

»Aber ich will nicht betteln,« fuhr Fritz empor. »Ich hatte ein Recht zu beanspruchen – und mit dem Tode des Schuldners meines Vaters ist es erloschen. Ich muß mich fügen.«

45 »Vielleicht hat Hallstädt Erben hinterlassen,« warf Leuthen ein, »die zu Vermögen gekommen sind. Señor Fuerto – Sie müssen die Familienverhältnisse des Verstorbenen am besten kennen und werden uns Aufschluß geben können.«

»Gewiß, Herr Oberst,« entgegnete der Mexikaner. »Die Ehe meines Stiefvaters war kinderlos; ich selbst stamme aus der ersten Ehe meiner Mutter mit Don Fuerto y Carabuenos, der seiner Zeit Gouverneur von Durango war. Meine Mutter starb schon drei Jahre vor meinem Stiefvater; auch sie hinterließ mir nichts als ihren guten Namen, sonst würde ich nicht zögern, die Forderung zu begleichen, die der Señor noch an meinen Stiefvater hat.«

»Und Don Erwin Hallstädt?« fragte der Oberst weiter. »Würde er nicht geneigt sein –«

Ein leichtes Auflachen unterbrach ihn.

»O, Herr Oberst,« rief der Mexikaner, »man merkt, daß Sie von diesem Mann noch nie etwas gehört haben! Es giebt keinen zwischen den beiden Oceanen, der geiziger wäre als er! Wie er meine Mutter darben ließ, so läßt er auch mich hungern, obschon er selber im Überfluß lebt. Wagen Sie es, junger Herr, ihm mit Ihrer Bitte zu kommen, so wette ich tausend gegen eins: es wird Ihnen gleich mir ergehen, und er wird seine Hunde auf Sie hetzen lassen!«

Auf der Stirn Fritz Bergers schwollen drohende Falten an.

»Ich habe nicht die Absicht, ihn zu belästigen,« antwortete er finster. »Aber nichtsdestoweniger danke ich Ihnen für Ihre Aufklärung, Señor!«

Der Mexikaner verneigte sich leicht.

»Es war gern geschehen. Colonello, bedürfen Sie meiner noch? Ich bin sehr müde und sehne mich nach ein paar Stunden Schlaf.«

Der Oberst verabschiedete Fuerto dankend und wandte sich sodann an Berger zurück.

46 »Was nun, mein Junge?« fragte er. »Wollen Sie Kehrt machen und wieder in die Heimat reisen?«

Fritz schüttelte hastig den Kopf.

»Nein – o nein!« Und halblaut fügte er hinzu: »Ich – schäme mich, daß ich so leichtgläubig und so voreilig war!«

Herr von Leuthen ließ den Blick musternd und nicht ohne Wohlgefallen über die stattliche Erscheinung des Burschen schweifen.

»Ich will Ihnen einen Vorschlag machen, Berger,« sagte er. »Wir brauchen tüchtige Leute in unserm Heere. Ich bin bereit, Sie als Freiwilligen bei den Cazadores a Caballo einzustellen.«

Fritz zuckte empor, und seine Augen leuchteten auf. Er ergriff mit warmem Drucke die Rechte Leuthens.

»Wenn Sie das thun wollten, Herr Oberst – ich wüßte nicht, wie ich Ihnen meine Dankbarkeit beweisen sollte!« rief er. »Ich habe daheim mit brennendem Interesse die Berichte über die Kämpfe in Mexiko in den Zeitungen verfolgt, und oft genug hat mir das Herz geblutet, wenn ich von dem schnöden Undank las, mit dem man hier Ihrem edeln Herrscher gelohnt hat! Und ich müßte selber kein Deutscher sein und nicht mit Leib und Seele deutsch fühlen und empfinden, wenn ich nicht ein begeisterter Anhänger Kaiser Maximilians sein wollte! Ja, Herr Oberst – und um so begeisterter jetzt, da ich weiß, daß ihn die Franzosen schmählich im Stich gelassen, und da ich den Marschall Bazaine, seinen treulosen Bundesgenossen, selber kennen gelernt habe! . . . Herr Oberst, so wahr ich Ihnen in dieser Minute Hand in Hand gegenüberstehe: ich will mit Blut und Leben der Sache Ihres Kaisers dienen, denn ich weiß, daß das für Mexiko die Sache der Freiheit und Unabhängigkeit ist – nicht jener Scheinfreiheit, die unter den Fahnen der Republik zum Schlachtruf erhoben wurde. Ich weiß, daß Ihr Herrscher das Beste des Landes will, und meine schwachen Kräfte sollen ihm helfen, die Ideale zur Wahrheit werden zu lassen, mit denen er über das Meer zog, um auf diesem blutigen Boden 47 ein Reich des Friedens zu gründen! Ich stamme aus einer Soldatenfamilie, und ich träumte mich schon als Kind in den bunten Rock hinein; es würde für mich der beste und schönste Ersatz für eine verlorene Hoffnung sein, wenn Sie Ihren Vorschlag ausführen und mich in die Reihen Ihrer Truppen aufnehmen wollten!«

Ein rasches und leises Lächeln spielte bei dem unwillkürlichen Pathos des begeisterten jungen Menschen um den Mund des Obersten. Aber es verschwand sofort wieder, um einem tiefen Ernst Platz zu machen. Noch immer hielt Herr von Leuthen die Hand Fritzens in der seinen.

»Gut denn,« sagte er, »so sind Sie geworben! Sie treten vorläufig als Gemeiner bei den reitenden Jägern ein, aber Sie werden rasch befördert werden, wenn Sie sich gut führen und auszeichnen. Nur eins noch, Berger: Sie sind noch jung, und Ihr Kopf ist phantastischer Pläne voll. Aber nicht die Phantasie herrscht in diesem unseligen Lande, sondern das Leben mit all seinen tausend Bitternissen! Wir sehen täglich und stündlich dem Tode entgegen, und oft genug nicht einmal dem ehrlichen Tode auf dem Schlachtfelde, sondern dem der Schmach in erbarmungsloser Gefangenschaft. Von allen Seiten umlauern uns die Gefahren. Wir führen keinen Krieg, wie es in schweren Zeiten drüben in Europa üblich ist, wo die Heere Brust gegen Brust in das Feld treten; Schwärme von Freibeutern ziehen durch das Land und setzen sich in den Bergen und im Busche fest – hier regieren die Anarchie und ihr treuester Bundesgenosse, der Mord! Wir leben nicht in Verhältnissen, die selbst in wilden Kriegsläufen noch immer gesittete sind, wie daheim – sondern in zucht- und regellosen. Es ist ein blutiger Lorbeer, den wir uns hier holen können, und er ist schwer zu erringen. Ich muß Ihnen das sagen, damit Sie nicht mit falschen Ideen unter unsre Fahnen treten. Schauen Sie mir ins Auge, Berger! Wird Ihre Begeisterung für Kaiser und Krone und Monarchie groß und stark genug sein, allen Gefahren zu trotzen?«

48 Der Blick Bergers senkte sich tief in das Auge des braven Offiziers.

»Herr Oberst,« entgegnete er, »ich habe weder Vater noch Mutter mehr, habe keine Geschwister, habe kaum einen Freund – mich zieht nichts nach der alten Heimat zurück. Und bin ich auch noch jung, so habe ich in der Schule des Lebens doch schon reif und ernst denken gelernt. Ich fürchte keine Gefahr – keine! Ich fürchte auch den Tod nicht, wenn ich im Dienste dessen, dem mein Leben fürderhin gehört, sterben sollte. Glauben Sie mir, daß ich es wahr und ehrlich meine: ich will mit voller Begeisterung Soldat des Kaisers werden!«

Leuthen ließ die Hand Fritzens los. Er füllte nochmals die Becher.

»So sei es denn,« sagte er. »Ich werde Ihnen morgen früh den Fahneneid abnehmen und Ihnen die Armeebinde anlegen lassen, bis Sie in der nächsten Garnison Uniform erhalten. Sie sollen dem Zuge des Grafen Hodegg zuerteilt werden; er ist jung und enthusiastisch wie Sie, und ich hoffe, Sie werden sich gut begehen. Nun nehmen Sie den Becher und stoßen Sie mit mir an! Es lebe der Kaiser!«

»Es lebe der Kaiser!« wiederholte Fritz und leerte den Becher. Seine Brust war wieder weit geworden, und sein Herz jubelte. Für das verlorene Ziel hatte er ein größeres, schöneres und edleres gefunden! – – –

 

Señor Fuerto war aus dem Zelte getreten und hatte sich im Tamariskengebüsch von neuem auf seinen Decken ausgestreckt. Es währte nicht lange, so knackte und raschelte es leise in seiner Nähe – eine dunkle Gestalt kauerte sich an seinem Lager nieder.

»Bist du es, Wohanna?« flüsterte Fuerto.

»Glattzunge ist blind, wenn der Mond nicht scheint,« gab die Stimme des Indianers zurück.

Der Mexikaner knirschte mit den Zähnen.

49 »Laß den verdammten Spottnamen, Rothaut!« zischte er. »Du weißt, daß ich ihn verabscheue!«

»Wer hat ihn erfunden, Señor? Nicht ich!«

»Ich weiß es. Dein Bruder war's, den die Büchse meines Ohms zu Boden streckte, so daß er für immer das Aufstehn vergaß.«

»Was erinnerst du mich daran, daß ich noch immer nicht Sühne gefunden habe für das Blut Jojutas?«

»Weil die Zeit da ist, wo du an Hallstädt Rache nehmen kannst, Narr!«

»Der Herr, unser Gott, verbietet seinen Christen, blutige Rache zu üben.«

Fuerto lachte leise und höhnisch auf.

»Du kennst die Bibel gut, Rothaut, seit man dich in der Mission San Angelos getauft hat. Aber hat dir die Taufe auch das Empfinden der Rachsucht aus dem Herzen gewaschen? Hat sie dich vergessen gelehrt?«

Der Indianer zuckte zusammen.

»Vergessen? – Nein, Wohanna vergißt nichts, weder Gutes noch Böses.«

»Und sehnst du dich nicht danach, wieder an die Spitze deines Stammes zu treten und dein Haar von neuem mit den Geierfedern der Häuptlingsschaft zu schmücken? Wer führt jetzt deine Pamas? Ein schwächlicher Knabe, ein Werkzeug in den Händen schuftiger Medizinmänner, die deinen Stamm wieder zu den alten Götzen zurückführen und die berühmten Pamas, aus deren Reihen des Kaisers Bester und Treuester, der General Mejia, hervorging, wieder zu Heiden machen möchten. Wohanna, greif an dein Herz! Spürst du sein rascheres Klopfen?«

Ein Aufstöhnen antwortete dem Mexikaner.

»Was quälst du mich, Herr?« antwortete Wohanna. »Haben die Pamas auch ihre alten Altäre gestürzt – die Gebräuche der Väter sind ihnen dennoch heilig geblieben! Und du weißt es wie ich: ich darf nicht zurück zu meinem Stamm, 50 ehe das Blut meines gemordeten Bruders nicht gerächt worden ist! Meine Mutter hat mich verflucht, und mein Weib spie mich an, als ich ihnen erklärte, ich sei ein Christ und wolle nicht töten – und da floh ich, um der Schande zu entgehen.«

Fuerto drängte sich dichter an den Pama heran.

»Ich will dir deinen Glauben lassen, Wohanna,« flüsterte er. »Du sollst nicht töten – aber rächen sollst du dich dennoch! Nicht immer ist der Tod eine Sühne für ein begangenes Verbrechen – auch das Leben kann rächen . . . Du hassest Hallstädt – habe ich recht?«

»Ich hasse ihn so, daß ich ihn stückweise zerfleischen könnte, wenn – ich nicht ein Christ wäre!«

»Und würde es nicht nur gerecht sein, nach göttlicher und menschlicher Satzung, wenn Hallstädt für seinen Mord aus Reichtum und Üppigkeit in Armut, Elend und Verzweiflung gestürzt werden würde?«

»Wahrlich – das wäre gerecht, und mich dünkt, es wäre auch härter für ihn als der Tod!«

Fuerto lachte.

»Muy bien, das meine ich auch, wackere Rothaut! Nun denn – wir haben es in der Hand, ihn zu strafen – wir beide, du und ich! Hör zu! Hallstädt, den ich nicht minder und nicht weniger bitter hasse als du, hat eine Tochter, Doña Ana. Ich habe um sie geworben, denn ich war toll und voll in das Mädchen verliebt, aber der Alte warf mich vor die Thür. Ich will meine Rache für diese Schmach haben – wie du für den Mord deines Bruders! Ich führe die Kaiserlichen auf Schleichwegen nach der Hacienda Panisca. Und unterwegs werden sich uns die Pamas anschließen, die schon lange darauf warten, an den Juaristen, ihren Henkern, blutige Vergeltung zu nehmen. Kehre in Eile zu ihnen zurück – zeig dich von neuem deinem Volke und lasse ausrufen, die Zeit sei gekommen, da du für die Tötung Jojutas Rechenschaft fordern wolltest. Man wird dich mit heller Begeisterung empfangen, denn ich weiß, 51 daß die Stammesältesten unzufrieden mit der Herrschaft der Medizinmänner sind und deine Rückkehr herbeisehnen. Im Kampfe aber um die Hacienda entführst du Doña Ana und schleppst sie mit dir in eure unzugänglichen Berge. Als Geisel nur, ohne daß ihr ein Haar gekrümmt wird – doch ihr Vater soll fürchten und zittern für sie! Und er soll sein Vermögen opfern – alles, was sein ist, um die Tochter zurück zu bekommen – und er wird es, denn er vergöttert sein Kind! Dann haben wir erreicht, was wir wollten: der Millionär ist zum Bettler geworden.«

Eine kurze Minute verstrich, ehe der Indianer erwiderte:

»Mit Bedacht hat man dich Glattzunge genannt – und wahrlich, es träufelt wie Öl von deinen Lippen! Und alle Funken in meiner Seele weißt du zu Flammen anzufachen und alle bösen Geister in mir zu erwecken. Und doch kennst du nicht einmal meine Leiden in der Fremde! Ich, der ich der Enkel des großen Atuko bin, von dessen Heldenthaten sich noch heute seine grimmigsten Feinde, die Comanchen in der Sonora, erzählen – ich diente als Führer und Packknecht in Veracruz, um mir mein Brot zu schaffen. Verachtet, getreten, mißhandelt – und doch rollt das Blut Atukos in meinen Adern! Und tausendmal hat sich dies Blut empört, und all mein Sehnen zog mich in die Gordaberge zurück, deren weiße Gipfel und grüne Schluchten ich hatte verlassen müssen. – – Señor, ich will dir nicht erzählen, welche Qualen es mich gekostet hat, mich nicht rächen zu dürfen!«

»Thor du – biete ich dir nicht die Gelegenheit dazu?«

»Ich hatte sowieso die Absicht, mich mit den Meinen auszusöhnen. Ich hatte deshalb den Auftrag des jungen Deutschen angenommen, ihn über die Sierra Gorda nach Potosi zu führen. Weißt du, daß auch er nach der Hacienda Panisca wollte?«

»Ja – aber er suchte meinen längst verstorbenen Stiefvater, nicht den Ohm. Hast du ihm gesagt, daß du den Haciendero kennst?«

52 Der Indianer schüttelte das Haupt.

»Ich verbarg es ihm, und mit Absicht. Ich wußte nicht, wie mein Stamm mich aufnehmen würde, und – und ich wollte nicht, daß der Deutsche in mir einen Todfeind Hallstädts witterte.«

Fuerto richtete den Kopf in die Höhe.

»Wohanna, gestehe – du trugst dich schon damals mit Rachegedanken?«

»Kannst du in meine Brust schauen?«

»Nein – aber ich kenne die Menschen, auch die braunen; ich habe zwei Jahre in der Sierra gelebt. Und nun gieb mir Antwort: willst du mir behilflich sein, deinen Feind zu vernichten? Sagst du nein, so thu, was du willst; ich führe sodann meinen Plan allein aus. Es wird mir auch so gelingen.«

»Was soll aus dem Vermögen Hallstädts werden, wenn er die Auslösungssumme für seine Tochter zahlt?«

»Die eine Hälfte für mich, die zweite sei dein!«

»Mich dürstet nicht nach Gold.«

»So wirf es in den Rio Panuco, Narr – ich weiß es besser zu schätzen!«

»Auch der Deutsche wollte, wenn ich ihn recht verstand, Anspruch auf Hallstädtsches Gold erheben.«

»Er wollte, aber er thut es nicht mehr! Ich habe ihm tausend Lügen erzählt, damit er nicht meinen Plan stört. Er wird dir deinen Lohn zahlen und dich entlassen. Dann bist du frei – und in drei Tagen kannst du bei den Deinen sein!«

»Bei meinen Pamas!« . . . Der Ton, in dem der Wilde dies sagte, klang herzzerreißend. Eine ganze Welt heißer Sehnsucht lag in diesen Worten. Und es schien, als schäme er sich seiner Schwäche. Er blieb still, und erst nach geraumer Zeit nahm er von neuem das Wort.

»Es wird ein gefährliches Abenteuer sein, Señor,« sagte er. »Wohl kommt aus meinen Bergen nicht leicht ein Gefangener heraus, den wir festhalten wollen. Aber Hallstädt hat 53 die Macht des roten Goldes in den Händen. Das ganze Land wird gegen uns sein!«

»Laß es! Wir können keine günstigere Zeit für das Unternehmen wählen als die jetzige, wo der Krieg alle Gemüter in Anspruch nimmt. Wer schert sich in unsern Tagen um die Interessen eines einzelnen?! Nicht einmal mehr die Justiz und die Polizei! Raub, Mord und Plünderung sind an der Tagesordnung, und hinter jedem Busch lauert ein Bandit. Oder hast du Furcht, Häuptling?«

»Spottest du meiner?«

»Es gab Zeiten, in denen du dich minder schwankend bezeigtest!«

»Ich schwanke nicht mehr. Es spricht auch noch andres mit als der Durst der Rache, was mich vorwärts drängt. Die Zeiten sind wild. Der neue Kaisermantel wird durch Staub und Schmutz geschleift, aber auch die Juaristische Republik wird diesem armen Lande kein Heil bringen. Wenn das Jahrhundert sich dem Ende neigt, wird die alte Prophezeiung, daß an Stelle des weißen Mannes wieder der rote – der Indios – über Mexiko herrscht, seiner Erfüllung nahe sein.«

Don Fuerto räusperte sich spöttisch.

»Hast du deinem politischen Ehrgeiz noch immer kein Ziel gesteckt, Wohanna?« fragte er. »Hast du vergessen, daß es dir schon einmal übel bekommen ist, dich in die Fragen der hohen Staatsweisheit zu mischen?«

»Ich sagte dir bereits, daß ich nie etwas vergesse. Ich halte auch die Augen offen – und ich sehe, daß die rote Rasse im Wachsen ist. Eine große Anzahl kaiserlicher Generale stammt aus indianischem Blut; Indianer sind zahllose Heerführer des Juarez – Juarez selbst ist einer der unsern. Auch im Beamtentum gewinnen wir von Jahr zu Jahr an Ansehn. Sind das nicht beredte Zeichen?«

»Streiten wir nicht darüber, Wohanna. Es soll mir auch gleich sein, was für Sonderpläne du in deinem Ehrgeiz 54 verfolgst. Ich dränge mich nicht in deine Interessen – aber ich gebe dir zu bedenken, daß die Millionen Hallstädts sie nur fördern können. Mit Gold vermag man viel in der Welt – und alles in Mexiko! . . . Still! Kriech auf deinen Schlummerplatz zurück – – man kommt!«

Der Pamahäuptling huschte lautlos davon. Unter einer Sykomore lag seine Wolldecke, auf der er sich ausstreckte, Schlummer erheuchelnd wie sein Genosse.

Der Fuß Fritz Bergers berührte seine Hüfte.

»Wohanna – auf ein Wort! Du mußt entschuldigen, daß ich deine Ruhe störe, aber ich habe dir Wichtiges mitzuteilen. Wir sind keine Gefangene mehr – hier eine Paßkarte für dich, die dir freien Durchzug durch die Linien der kaiserlichen Truppen sichert! Ich bleibe zurück – du kannst gehen, wann und wohin du willst!«

Wohanna hatte sich erhoben.

»Der Señor will nicht weiter nach San Luis Potosi?«

»Nein, Wohanna – ich hab' es mir anders überlegt; ich muß dich entlassen. Aber ich danke dir für deine umsichtige Führung. Und noch einmal: was schulde ich dir?«

»Ich kann nicht den ganzen Lohn verlangen, Señor, wenn Sie meiner nicht mehr bedürfen.«

»Ah bah – was kannst du dafür? Haben wir nicht hundert Pesetos ausbedungen?«

»So ist es, Herr!«

»Da sind sie« – und Berger zog das Lederbeutelchen hervor, das er an einer Schnur auf der bloßen Brust trug – »und zwanzig Pesetos dazu als Zehrgeld! Und nun lebe wohl, Wohanna! Willst du bis zum Morgen hierbleiben, so hat der Oberst nichts dawider.«

Der Indianer küßte die Hand, die ihm das Geld reichte.

»Der Mond steigt auf, und die Nacht wird hell,« erwiderte er. »Da wandert es sich am besten. Und ich säume ungern, 55 denn meine Zeit ist knapp. Die Heiligen mögen mit Ihnen sein, Señor!« . . .

Er legte begrüßend die Rechte auf seine Brust, raffte seine Decke auf und schlug sie sich um die Schultern. Noch einmal erhob er die Hand wie zu einem letzten winkenden Lebewohl, dann stieg er starken Schrittes den Hang hinan und verschwand zwischen den Föhren und Weiden.

Eine kurze Weile schaute ihm Berger, in Sinnen versunken, nach. Irgendwoher erscholl, dreimal wiederholt, der Lockruf einer Holztaube.

Auch Don Fuerto hörte ihn, und er war zufrieden, denn er wußte, nur ihm galt das Zeichen. Es war der Ruf der Pamas, wenn sie sich auf dem Kriegspfade befanden . . . . 56

 


 


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