Fedor von Zobeltitz
Der Kurier des Kaisers
Fedor von Zobeltitz

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Sechstes Kapitel.

Hacienda Panisca.

Ein Sonderling und seine Tochter. – Dei Pamas überfallen die Hacienda. – Rettung der Juaristen.

Auf den Nordwesthängen der wilden und zerklüfteten Sierra Gorda lagen die Silberminen und lag auch die Hacienda des Herrn von Hallstädt, in weiter Umgegend gewöhnlich »il conde« – »der Graf«, zuweilen auch kurzweg »der Deutsche« genannt. Er war vor etwa vierzig Jahren als junger Ingenieur in das Land gekommen, hatte durch einen glücklichen Zufall den Silberreichtum einzelner kleiner, in den Rio Panuco abfließenden Gewässer der Sierra entdeckt, das Land käuflich erworben und war dann an die Arbeit gegangen, die Schätze der Natur 71 zu heben. Man sagte, die Minen seien erschöpft und die Silberadern geleert und deshalb habe »il conde« auch die meisten seiner Arbeiter entlassen; jedenfalls konnte Hallstädt dieses Versiegen seiner Schatzquellen – das übrigens vorauszusehen gewesen war – ruhig ertragen, denn er mußte im Laufe der Jahre viele Millionen angesammelt haben.

Von diesem ungeheuern Reichtum zeugte auch die Hacienda Panisca – eine Art mittelalterliche Burg, die sich Hallstädt, der stets ein gewisses Sonderlingswesen zur Schau getragen, inmitten einer großartig wilden und grausig romantischen Gebirgsnatur hatte errichten lassen. Jahrelang hatten ungezählte Menschenkräfte daran gearbeitet, diese Stein gewordene Laune des Silberkönigs fertigzustellen. Und nun schaute die Felsenburg von der Höhe eines steilen Bergkegels majestätisch zu Thal, umrauscht von wilden Gebirgswassern, an deren Ufern Rhexiabüsche, Wachspalmen und Feigengesträuch wuchsen. Nach Süden zu senkte der Felsenkegel sich weniger schroff zum Thale des Rio Panuco, und hier war aus dem ehemaligen Dickicht des Urwalds mit seinen traumhaften Purpurschatten ein Park von wunderbarer Schönheit geschaffen worden, in dem die ganze üppige Flora der heißen Zone tausendblütig ihre schimmernden Wunder trieb.

Seit drei Tagen waren in der Hacienda die Führer der Juaristischen Armee zu Gast: Juarez selbst mit seinen Generalen Corona, Trevino, Riva Palacio und dem blutigen Escobedo. Sie warteten hier die Vereinigung ihrer Truppen ab, die Juarez aus allen Teilen des Reichs zusammenzog, um durch einen gewaltigen Vorstoß nach Queretaro den Versuch zu wagen, mit einem letzten Schlage das Kaiserreich gänzlich zu zertrümmern.

Auf der westlichen Terrasse des Schlosses, von der aus man einen weiten Blick über die sonnigen Abhänge der Vorhügel mit ihren goldgelben Orchideenfeldern und ihren Indigoplantagen hatte, gingen zu früher Morgenstunde ein alter Herr und ein junges Mädchen auf und ab. Der Herr schritt, 72 obwohl er noch ziemlich rüstig schien, auf einem Krückstock gelehnt und hatte seinen rechten Arm in den des Mädchens geschoben, seiner einzigen siebzehnjährigen Tochter Doña Ana. Sie war eine eigentümliche Erscheinung. Das helle Gewand, das sie umhüllte, hob ihre schlanke Gestalt noch mehr hervor. Rotblondes Haar leuchtete über ihrer Stirn, und mit dieser satten Goldfarbe kontrastierte seltsam das dunkle, sinnende Augenpaar, über dem sich ein paar schwarze, kräftig gezeichnete Brauen wölbten.

»Ich würde nicht immer wieder auf meine Bitte zurückkommen, Vater,« sagte sie, einen Augenblick zur Seite des alten Herrn stehen bleibend, »wenn ich der unglücklichen Kaiserin, die jetzt fern von ihrem Gemahl an schwerer Krankheit dahinsiecht, nicht ein so treues Gedächtnis bewahrte. Ich entsinne mich noch gut jenes Tages, da sie das Land bereiste, und auch wir sie in Potosi begrüßen konnten. Ich hatte ihr einen Blumenstrauß zu reichen, und ihr freundliches, huldreiches Lächeln und die lieben und gütigen Worte, die sie damals an mich richtete, werden mir unvergeßlich sein.«

Don Hallstädt nickte zustimmend.

»Ich widerspreche dir nicht, mein Kind,« antwortete er, »umsoweniger, als ich im innersten Herzen warme Sympathien für Maximilian hege, der mehr als jeder andre geeignet wäre, dem Lande Glück und Frieden zu schaffen. Aber der Erfolg liegt doch nun einmal auf Seiten der republikanischen Partei, und wenn ich nicht mein Vermögen mit Beschlag belegt und meine Minen und Silberwäschereien von dem räuberischen Schwarm der Juaristen zerstört haben will, so muß ich mich fügen und die Dinge ihren Lauf gehen lassen!«

Ana hob unmutig den Kopf.

»Ich verlange ja gar nicht, daß du dich in die politischen Interessen hineinmischst,« erwiderte sie; »im Gegenteil, es war sicher nur klug von dir, daß du dich von allem Parteitreiben ferngehalten hast. Aber das ist kein Grund, bei Don Juarez 73 nicht ein gutes Wort für den Kaiser einzulegen. Ich weiß, daß er gestern mit seinen Generalen oben im gelben Saale Kriegsrat gehalten hat. Queretaro soll eingeschlossen und ausgehungert – und dann, wenn sich die Stadt ergeben hat, Gericht über den Kaiser gehalten werden. Alle hassen ihn grimmig; sie hassen das Fürstenblut in seinen Adern, hassen den Habsburgischen Namen, hassen die Krone auf seinem Haupt und den Purpur der Majestät. Sie werden ihn töten, Vater, wenn er in ihre Hände fällt – und das darf nicht sein – großer Gott, giebt es denn gar keine Hilfe für diesen unglücklichen, edeln Mann?!«

Der alte Herr schaute sich mit verlegener Miene um. Ein leises Angstgefühl prägte sich auf seinen Zügen aus.

»Nicht so laut, Liebling,« flüsterte er; »so lange die Juaristen bei uns weilen, sind wir von Spionen umgeben! . . . Juarez selbst hat mich zwar gern. Er hofft immer noch, ich würde meine Kassen seiner Sache opfern – und auch er braucht Geld – wie der Kaiser. Ich habe gestern mit ihm über Maximilian gesprochen – nur wenige Worte – aber er verschloß mir sofort den Mund mit der Entgegnung, daß das Schicksal des Kaisers einem Kriegsgericht unterbreitet werden würde. Im übrigen, Ana« – und nun traf ein lauernder Blick das junge Mädchen – »es ist nicht unmöglich, daß du dir selbst einen gewissen Einfluß über das Geschick Maximilians sichern könntest.«

»Ich – und wodurch?«

»Dadurch, daß du dich der Werbung des Generals Escobedo ein klein wenig geneigt zeigst« –

»Vater!?«

Das Wort wurde in zornigem Tone gesprochen, und eine rasche Flamme loderte in den schönen Augen des Mädchens auf.

»Das kann unmöglich dein Ernst sein, Vater,« fuhr Ana fort, gewaltsam ihre Erregung niederkämpfend. »Escobedo ist vor kurzem erst zum drittenmale Witwer geworden – ist zweimal so alt wie ich selbst – ist ein gefürchteter Henker« –

74 »Halt, Ana! Ein Henker und ein Bluthund – so urteilt man im Kaiserlichen Lager über ihn. Aber jedes Ding hat zwei Seiten. Er ist der beste Heerführer des Juarez und wird zur Macht kommen, wenn erst die Republik wieder hergestellt worden ist – und das wird nicht lange mehr währen. Und, Ana, ich habe große Rücksichten auf die jeweilige Regierung zu nehmen, die mich durch Zölle und Steuern und Abgaben tot machen kann – und schließlich: auf wen wartest du noch? Dein Vetter Fuerto« –

»Schweig mir von ihm, Vater!« rief Ana lebhaft. »Er ist mir genau so zuwider wie dir – und ich fürchte, er wird uns noch genug Unannehmlichkeiten bereiten! Es wäre das Beste gewesen, du hättest ihm das hinterlassene Vermögen seines Stiefvaters, deines Vetters, auszahlen lassen und dann erst davongejagt!«

Hallstädt lachte heiser auf.

»Ich bin kein Narr,« entgegnete er finster. »Otto hat Diego seines schlechten Lebenswandels wegen enterbt und ihn auf ein Legat gesetzt. Über sein Vermögen habe ich zu verfügen, ich allein« –

»Mit der Bestimmung, die Erben jenes Lieutenants Berger aufsuchen zu lassen, deren Schuldner er war,« fiel Ana festen Tones ein. »Aber du hast den Willen Onkel Ottos bisher noch nicht erfüllt, Vater. Es ist der einzige Vorwurf, den ich dir machen kann, daß du zu fest an deinen Reichtümern hängst.«

Die Hand Hallstädts umspannte fest ihren Arm.

»Still jetzt,« flüsterte er, »die Herren kommen!« . . .

Die Thür zu der großen Halle im Parterregeschoß hatte sich geöffnet, und Juarez mit den Generalen Palacio und Escobedo trat ins Freie. Der berühmte Diktator war damals schon ein Sechzigjähriger, ein kleiner Mann mit intelligentem Indianergesicht, in einen langen schwarzen, schlecht sitzenden Rock gekleidet, hohen Kragen, sogenannten »Vatermördern« um den Hals, ein spanisches Rohr in der Hand. Bei weitem 75 stattlicher sah Escobedo aus, der es vom Maultiertreiber zum General gebracht hatte; er trug auch Uniform – eine überreich mit Gold gestickte Uniform, die aber unglaublich schmutzig war; nur die lackierten Schäfte seiner Kniestiefeln, an denen silberne Sporen klirrten, glänzten hell in der Sonne.

Während Juarez und Palacia sich Hallstädt zugesellten, trat Escobedo mit ungeschickter Verneigung an Ana heran.

»So früh auf, Señora?« sagte er mit einem Lächeln, das verbindlich sein sollte. »Freilich – die Sonne steht schon über dem Horizont, und da hat es auch die, die der Sonne ähnelt, nicht länger im Stübchen geduldet!«

»Sie sind galant wie immer, General,« erwiderte Ana kühl. »Aber Ihr Kompliment hinkt. Die Sonne leuchtet nicht nur, sie brennt auch zuweilen wie Nesseln – und das ist unangenehm. . . . Verzeihen Sie, wenn ich Ihre liebenswürdige Gesellschaft aufgeben muß – mich rufen häusliche Pflichten!« . . .

Sie ließ den verblüfften Corpsführer stehen und sprang davon – durch den kleinen Burggarten und das offenstehende, riesige schmiedeeiserne Thor, das diesen von dem Waldpark schied.

Sie eilte beflügelten Fußes, mit gelösten Hutbändern, den Sonnenschirm in der Rechten schwingend, den Weg hinab, bis dämmernder Schatten sie umfing. Dann erst atmete sie tief auf und hemmte den hastigen Lauf.

Hier, in der tiefen Einsamkeit der Natur, fühlte sie sich am wohlsten. Sie liebte weite Spaziergänge und wanderte oft stundenweit im Parke umher. Von ihrer Kinderzeit ab war sie viel auf sich selbst angewiesen gewesen. Ihre kreolische Mutter hatte sie wenig verstanden, und auch mit dem Vater stand sie sich nicht recht. Es lag etwas wie eine unsichtbare Welt zwischen ihm und ihr. Hallstädt war egoistisch geworden in den Stürmen des Lebens. Er liebte zwar sein Kind, doch auf selbstsüchtige Weise; er hielt sie von allem fern – sie sollte allein für ihn auf der Welt sein, für ihn, dem die Arbeit und ihr Ertrag: 76 das blinkende Gold, das Höchste war, und der ideale Ziele nie kennen gelernt hatte. . . .

Um diese Tageszeit, am frühen Morgen, war es gefahrlos im Parke, während es in der Nacht zuweilen vorkam, daß sich aus dem Hochwalde ein reißendes Tier, ein Jaguar oder ein Puma, hierher verirrte. Die Sonne konnte das dichte junge Blättergewirr der Baumkronen kaum durchbrechen und zitterte nur hie und da einmal in einem verlorenen Goldstreifen, lichtgrün getönt wie Patina, über den Boden. Der Frühling brach überall jauchzend hervor. Die Magnolien blühten, und über die Aloen, Sassafrasbäume und Oleanderbüsche gaukelten die ersten Schmetterlinge. Dann und wann öffneten sich rechts und links vom Wege Arkaden von wilden Feigenbäumen, die sich weit in der Ferne verloren, oder ein Bach plätscherte vorüber, über dem sich hoch oben das Schlingpflanzengeschlecht der Lianen wie eine Domkuppel vereinigte.

Plötzlich stockte der Fuß Anas . . . . Was war das? – Der Schrei einer wilden Taube – und sie lächelte im Weiterschreiten . . . . Und abermals blieb sie stehen. Hörte es sich nicht an, als erschalle Pferdegetrappel in der Ferne? . . . Wie kam das hierher? – Das tosende Wildwasser des Rio Yucca, eines Nebenflusses des Panuco, schloß den Waldpark sicherer ab als eine chinesische Mauer. Nur eine einzige eiserne Hängebrücke führte über den Yuccabach, und die lag, wohl bewacht, an einer schwer erreichbaren, nur den Insassen der Hacienda bekannten Stelle mitten in einer Wirrnis von Felsen.

Es war seltsam, wie häufig sich heute der Lockruf der Holztaube wiederholte. Ana fiel es auf, daß dieser scharfe, weithin klingende Gurrlaut bald nah, bald fern von ihr ertönte. Ihr Herz begann unwillkürlich rascher zu schlagen; das unbewußte Ahnen kommender Gefahr überschlich sie. Sie drückte ihre Hände fest gegen die Brust. Es knackte da und dort im Gezweige, es rauschte und raschelte im Buschwerk – und plötzlich schrie Ana kurz und gellend auf. Sie hatte deutlich im 77 Dämmer eines Laubverstecks das braune, bemalte Antlitz eines Indianers gesehen.

Zitternd blieb sie abermals stehen, aber dabei kam doch allgemach eine gewisse Ruhe über sie. Sie überlegte nicht, was dies braune Gesicht bedeuten könne – sie dachte nicht einmal an einen Überfall durch Indianer, denn man lebte mit allen Stämmen der Umgegend seit langen Jahren im tiefsten Frieden – sie dachte nur an die beste und schnellste Art der Rettung aus der drohenden Gefahr. Die Burg lag wohl eine Stunde weit hinter ihr; aber wenn sie rechtsseitlich einen Nebenweg einschlug, konnte sie in zwanzig Minuten in der Nähe der Orangerien sein, wo die Gärtner arbeiteten und sie Hilfe finden mußte.

Sie wandte sich um – – und im selben Augenblick stürzte sie längshin zu Boden. Aus dem Dickicht war eine geschickt geworfene Schlinge, ein Lasso, um ihren Leib gefallen und hatte sie umgerissen. In der nächsten Sekunde sprangen von allen Seiten vierzig, fünfzig, hundert braune Gestalten herbei – ein paar Reiter galloppierten gleichzeitig den breiten Weg durch die Waldhalde hinan . . . Der plötzliche Schrecken hatte Ana anfänglich der Sprache beraubt – nun aber scholl ihr Geschrei weithin durch den Park: »Auxilio! Auxilio!« – und dann in der Sprache ihres Vaters, mit dem sie sich gewöhnlich deutsch unterhielt: »Zu Hilfe! Zu Hilfe!« . . .

Die Reiter brausten heran – weitere folgten – ein ganzer Schwarm. Die Erde dröhnte, und die Waffen klirrten. Der Schrei der wilden Tauben gellte unaufhörlich durch den Wald.

»Sacristi, Don Fuerto – war das nicht ein deutscher Laut?! Was geht da vorne vor?!«

»Eine Privatsache, Señor zu dienen – nichts weiter!«

»Aber es war eine Weiberstimme, die um Hilfe schrie! Die braunen Schufte werden doch nicht« –

»Ah bah, Señor – ein Dirnlein aus der Hacienda wird sich im Parke umhergetrieben haben, und man stopft ihr den 78 Mund, damit sie uns nicht verrät! Ich bleibe zurück und werde Obacht geben, daß ihr nichts geschieht – mein Wort zum Pfande! Aber beeilen Sie sich, wenn Sie Juarez noch erwischen wollen – – von Maria di Rio sind bereits Kuriere nach der Hacienda unterwegs!«

Graf Hodegg und der Junker an seiner Seite – Fritz Berger, unser Held – gruben die Sporen tiefer in die Flanken ihrer Gäule ein, die wie der Sturmwind den Weg hinabrasten, gefolgt von einer Halbschwadron reitender Jäger. Sie sahen noch, wie die Indianer das überfallene Mädchen in das Gebüsch schleppten; ein Knebel verschloß Anas Mund – sie vermochte nicht mehr zu schreien, aber der Blick ihrer dunkeln Augen traf in verzehrender Angst den vorübergaloppierenden Berger.

»Herr Graf – Vergebung – aber sollen wir das Mädchen in den Händen der Rothäute lassen?!«

»Junker, wir haben keine Minute zu versäumen – das Kaiserreich steht auf dem Spiel! Die Pamas sind unsre Verbündete und haben geschworen, jedes unnötige Blutvergießen zu vermeiden. Und Fuerto gab uns sein Wort! Man wird das Mädchen knebeln und liegen lassen, bis wir wieder zurück sind – es geschieht ihr nichts! Vorwärts – vorwärts!« . . .

Und weiter brauste die Reiterschar. Ein Schwarm wilder Hühner, die im Gebüsch genistet, flog aufgescheucht vor ihnen von dannen. – –

Fuerto war vom Pferde gesprungen.

»Nichts für ungut, schöne Cousine,« sagte er, seinen breitrandigen mexikanischen Rundhut vom Haupte ziehend. »Man geht etwas stürmisch vor, aber ich gab das Versprechen, daß Ihnen kein Leid geschehen soll, und ich werde es halten. Nur müssen Sie sich gedulden. Die Pamaindianer sind ehrenwerte Caballeros, keine schmutzigen Apachen oder Yaquis; sie werden Sie sicher in ihre Berge geleiten – und dort, Doña Ana, hoffe ich Sie wiederzusehen! . . . Wohanna?!«

79 Der Häuptling trat aus dem Kreise der übrigen.

»Señor?«

»Wo sind die Sechs, die die Doña nach Iquilisco bringen sollen?«

»Sie stehen an der Brücke bereit; bis dahin führe ich die Señora selbst. Mein Pferd ist stark genug, auch noch ihre leichte Last zu tragen.«

»Gut! Nimm mit, wen du brauchst – die andern mögen mir folgen. Es wird gut sein, dem Ohm mit einem gehörigen Schrecken zu dienen . . . Addio, Cousine, und fürchten Sie nichts – Sie sind in bester Obhut, wenn Sie vernünftig sind! Hasta la vista! . . .«

Er schwang sich wieder auf sein unruhig den Erdboden zerstampfendes Pferd. – – – –

Auch auf der Schloßterrasse der Hacienda hatte sich unmittelbar nach dem Fortgange Anas eine erregte Scene abgespielt. General Escobedo näherte sich soeben Hallstädt, Juarez und Palacio, als einer der Diener in größter Hast aus dem Schlosse stürzte und dem Diktator entgegeneilte.

»Excellenza,« keuchte der Mann, »ein Bote aus Santa Maria di Rio ist soeben eingetroffen« – –

Aber schon folgte der Kurier dem Diener auf dem Fuße – ein stämmiger Kerl mit der Feldbinde der Republikaner um den rechten Arm, über und über mit Staub bedeckt.

»Excellenza – ein großes Unglück,« – und er riß den Hut vom Kopfe. »Der Feind hat unser Heer unweit Zacatecas überrumpelt und vollständig in die Flucht gejagt« – –

Totenbleich im Antlitz hatte Juarez den Menschen an die Schultern gepackt.

»Bist du wahnsinnig?!« schrie er. »Die Kaiserlichen sind noch in Queretaro« –

»Nein, Herr – so wahr ich vor Ihnen stehe: ich spreche die Wahrheit! Irgend ein Schuft hat unsre Bewegungen dem 80 Feinde verraten. General Miramon ist in Eilmärschen von Queretaro aus aufgebrochen. Unsre Armee ist in alle Winde zerstreut worden und überflutet führerlos das Plateau von San Luis« . . .

Ein neuer Zwischenfall unterbrach den Meldenden. In der Hacienda war es plötzlich lebendig geworden – ein ganzer Haufen von Dienern stürzte in wildem Geschrei auf die Terrasse.

»Die Indianer kommen!« – »Die Pamas!« – »Ein Regiment kaiserlicher Jäger jagt durch den Park!« – »Sie sind schon am Gitter des Burggartens!« – »Verrammelt die Thüren!« – »Herr – wir sind alle verloren!« . . .

Die Stimme Escobedos übertönte das Jammern.

»Zum Geier – haltet die Mäuler!« schrie er. »Nur einer soll sprechen! Was giebt es?!«

Waffenklirren, das Schnauben verängstigter Pferde, Stimmengewirr und Kommandorufe aus dem Burggarten herüber gaben ihm Antwort.

»Wir sind verloren,« sagte auch Juarez, gefaßt und kalt. »Gleichviel – wir werden unser Leben teuer verkaufen! Zurück in das Schloß! Lassen Sie die Thore schließen, Don Hallstädt, und die Böller auf den Dächern in Bereitschaft halten! Wir wollen die Herren mit einer Freudensalve empfangen!« . . .

General Escobedo hatte sich dicht an die Seite Hallstädts gedrängt.

»Giebt es keine Aussicht auf Rettung, Señor?« fragte er hastig und leise. »Mein Wort zum Pfande – ich würde es Ihnen nie vergessen!«

Hallstädt hatte mit finsterer Mine zugehört.

»Kommen Sie!« sagte er kurz; dann wandte er sich an die Dienerschaft. »Die Eisen vor Thüren und Thore!« befahl er. »Und öffnet die Waffenkammer! Zwanzig Mann an die Schießscharten!«

81 Im Augenblick waren seine Befehle befolgt. Die mächtigen Eichenholzthüren fielen in die Schlösser, und starke eiserne Querstangen wurden von innen vorgeschoben. Auf den Dächern der Thürme wurde es lebendig; man lud die Böller, und über die Schießscharten des Mauerwerks hinüber drohten Büchsenläufe.

Hallstädt selbst hatte inzwischen die Generale in seinen Weinkeller geführt. Faß an Faß ruhte hier an den Wänden, und dazwischen lagerten Tausende von Flaschen. Nur ein einziger Diener, der Mayordomo des Hauses, hatte die Herren begleitet.

»Es giebt eine Rettung für Sie, meine Herren,« sagte Hallstädt, »und sie ist nur mit geringer Gefahr verbunden. Von diesem Keller aus führt ein unterirdischer Gang nach einer mir gehörigen EstanciaEine Estancia ist ein Gehöft im Walde zur Unterkunft für die Hirten, Holzfäller u. dergl. im Walde von Chalapa. Ich habe die Verbindung beim Bau des Schlosses anlegen lassen, um mich vor einem Überfall durch die Indianer zu sichern. Von der Estancia aus können Sie in wenigen Minuten meine Hacienda Jacinto erreichen, wo Sie genügend Kleidung vorfinden werden, um sich unkenntlich zu machen. Das weitere aber muß ich Ihnen überlassen. Geben Sie acht!«

Er winkte dem Mayordomo, der eines der riesigen Fässer – es war leer und nur leicht gezimmert – beiseite schob und damit einen Ring in der Mauer freigab. Der Ring ließ sich drehen, der Quaderstein schob sich zur Seite, und eine tiefe, gähnende Höhlung wurde sichtbar.

»Die Lampen!« befahl Hallstädt.

Der Mayordomo überreichte jedem der Vier eine brennende Laterne.

»Das Licht genügt,« fuhr der Haciendero fort. »Der Weg ist eben und senkt sich nur wenig; verborgene 82 Luftschachte reinigen die Atmosphäre. In zwei Stunden werden Sie bei kräftigem Ausschreiten das Ende des Ganges erreicht haben. Ein Stein verschließt den Ausgang, und wie hier, so muß auch dort der Ring nach rechts gedreht werden. Sie gelangen sodann in den Keller der Estancia; eine Klingel ruft den Wächter herbei, der ohne weiteres thun wird, was sie ihm anbefehlen, wenn Sie ihm diese Zeile von meiner Hand geben.«

Er reichte Juarez ein verschlossenes Couvert.

Es war keine Zeit mehr zu langen Danksagungen. Von oben her hörte man bereits das Knattern der Flintensalven und das Geschrei der im Hofe verbliebenen Leute. Die Vier drückten Hallstädt schweigend die Hand, dann stieg Juarez voran in das Dunkel des Schachts. . . . Lautlos schloß sich der Stein hinter Escobedo. Als letzter hatte er nochmals die Rechte Hallstädts ergriffen und ihm zugeflüstert:

»Ich hoffe mich dankbar erweisen zu können, Señor! Grüßen Sie mir Doña Ana!«

Doña Ana! – Jetzt erst dachte der Haciendero an seine Tochter. Sie mußte im Hause sein – wo sollte sie sonst weilen!? Und doch ergriff Hallstädt mit einem Male eine peinigende Unruhe.

»Hast du die Señora gesehen?« fragte er den Mayordomo.

Der Alte zuckte mit den Schultern.

»Nein, Herr – sie schlug vor zwei Stunden den Weg nach dem Parke ein.«

Hallstädt fuhr zurück.

»Nach dem Parke?! Um Gotteswillen – wenn sie in die Hände« – –

Er beendete nicht, sondern stürzte eilends aus dem Souterrain hinauf in die Wohnzimmer. Die Thore des Schlosses waren zur rechten Zeit verrammelt worden. Auch gegen eine regelrechte Belagerung konnte sich die Burg auf diese Weise wenigstens eine Reihe von Stunden verteidigen. Aber auf eine 83 Belagerung schien es gar nicht abgesehen zu sein, obwohl bereits Schüsse gewechselt worden waren. Der Lärm schwieg – man hörte nur noch einzelne, laut befehlende Stimmen.

Hallstädt hatte die Sorge um sein Kind keine Ruhe gelassen. Kein Mensch wußte, wo Ana weilte; nur das eine stand fest: im Hause war sie nicht. Das Herz des alten Herrn krampfte sich voll banger Ungewißheit schmerzlich zusammen. Er befahl, auf der Höhe des Wartturms die weiße Fahne aufziehen zu lassen, und stieg selbst mit zitternden Gliedern die Wendeltreppe hinauf, die auf die Plattform führte.

Weithin konnte man von hier aus die Umgegend überschauen: den Waldpark mit seinen Hängen und Triften, die Minenlager der Vorberge und die zahlreich in hellem Grün verstreuten kleineren Haciendas des Silberkönigs.

Tief unten im Hofe sah Hallstädt die feindliche Truppe: kaiserliche Jäger und zwischen ihnen Rotten bewaffneter Indianer, an der Kriegsmalerei ihrer Gesichter als Pamas aus der Sierra Gorda erkennbar. Man hatte das Aufziehen der Parlamentärflagge bemerkt; zwei junge Herren hielten zu Pferde in unmittelbarer Nähe des Mauerwerks.

»Señor,« schrie der eine von ihnen, »ich denke, ich darf deutsch reden, da Sie ein Landsmann sind! Wir sind nicht gewillt, Ihnen oder einem der Ihren ein Leid zuzufügen, obwohl wir mit Flintenschüssen empfangen worden sind, als wären wir räubernde Strolche und keine kaiserlichen Soldaten. Aber wir wissen, daß Don Juarez mit einigen seiner Generäle in der Hacienda weilt, und es gelüstet uns, die Herren gefangen zu nehmen. Wir sind in der Übermacht – also bitte, lassen Sie uns ein!« . . .

Hallstädt neigte sich tief über die Mauerbrüstung hinab.

»Auch ich führe keinen Krieg gegen den Kaiser,« rief er zurück. »Ich bin auch bereit, Ihnen das Hans öffnen zu lassen, – doch Sie werden nicht finden, was Sie suchen, meine Herren: Juarez mit seiner Eskorte war hier, aber er ist es nicht mehr! 84 Und nun treten Sie ein – ich habe Wichtigeres mit Ihnen zu verhandeln, als mich die Gefangennahme Ihrer Feinde dünkt« . . .

Die Thore wurden geöffnet. Während die Indianer und das Gros der Schwadron im Hofe, freilich unter Waffen, zum Lagern rüstete, traten Graf Hodegg und der Junker Berger mit sechs Jägern in das Haus. 85

 


 


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