Fedor von Zobeltitz
Der Kurier des Kaisers
Fedor von Zobeltitz

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Drittes Kapitel.

Im Lager der Kaiserlichen.

Am Rio Blanco. – Die Lebensgeschichte Fritz Bergers. – Señor Diego stellt sich vor.

Das Thal des Rio Blanco, in dem die Kaiserlichen lagerten, war ziemlich breit. Der Fluß strömte über Sandsteinklippen und verlor sich sodann in einem schmalen Felsenpaß. Die Hänge stiegen terrassenförmig an, mit dichtem Gebüsch besetzt; nach Nordwesten zu erhob, sich tiefschwarz vom Abendhimmel abzeichnend, die Sierra Mesika ihren umbuschten Kamm.

Das Lager bestand aus einem Regiment Cazadores a Caballo, Jägern zu Pferde, und einem Bataillon Infanterie von dem fast nur aus deutschen Freiwilligen sich zusammensetzenden Regimente Hammerstein. Die Truppe hatte den Abzug der Garnison von Medellin, die sich gegen die Übermacht des Feindes nicht mehr zu halten vermochte, schützen sollen, war jedoch von Juaristischen Guerillaschwärmen aufgehalten worden und befand sich nunmehr auf dem Rückmarsche nach Puebla.

27 Die Wachtfeuer loderten. Die von den anstrengenden Märschen der letzten Tage ermüdeten Soldaten hatten sich bereits teilweise, in Mäntel oder Woylachs gehüllt, auf die Erde gestreckt, andre saßen plaudernd am Feuer, über dem die Kessel hingen, oder brieten sich ein unterwegs erlegtes Wildhuhn. Man hatte aus Vorsicht ziemlich starke Postenketten ausgestellt, obschon kaum zu fürchten war, daß man in diesem entlegenen Teile der Sierra von Gegnern überrascht werden würde.

Zwischen einigen riesenhaften Lärchenbäumen war das Zelt des Kommandierenden aufgeschlagen worden. Auch er war ein Deutscher; schon der Name – Oberst von Leuthen – besagte es. Neben ihm, einer hohen, schlanken Gestalt mit vornehmen, etwas abgespannten Gesichtszügen, saßen auf Feldstühlen zwei seiner Offiziere, der Rittmeister Alonzo Cuerna und der Lieutenant Graf Hodegg. Als Tisch diente ein dicker Baumstumpf, auf den ein Brett genagelt worden war, und auf diesem stand eine leere Flasche, in deren Halse ein brennendes Licht steckte.

Noch eine vierte Persönlichkeit befand sich in dem Zelte, ein Mann, dem man seine südländische Abstammung ohne weiteres ansah. Er saß den Offizieren gegenüber auf einem riesigen gebleichten Ochsenschädel; seine Gestalt war hager, aber sehnig und kraftvoll, das Gesicht gebräunt, mit stark hervortretenden Backenknochen, schwarzen Augen von tückischem Ausdruck und buschigen Brauen darüber. Ein kleiner, dunkler Schnurrbart beschattete die Oberlippe, die ein wenig kurz war, so daß man ständig die schneeweißen Zähne des vielleicht dreiundzwanzigjährigen Mannes sah.

»Ich habe Ihren Namen vergessen, Señor,« sagte der Oberst von Leuthen; »er thut ja allerdings nichts zur Sache, aber Sie werden begreifen, daß ich bei der Wichtigkeit Ihrer Mitteilungen wenigstens einigermaßen informiert sein muß. Es ist selbstverständlich, daß Sie auf unsre Verschwiegenheit rechnen dürfen.«

»Ich verlange dies nur in bedingtem Maße, Herr Oberst,« erwiderte der Angeredete, »nämlich bis zu dem Augenblick, da 28 mir der Zutritt in die Hacienda Panisca ermöglicht worden ist. Mein Name ist Fuerto – Diego Fuerto y Carabuenos.«

Herr von Leuthen neigte leicht den bereits ergrauten Kopf, während Graf Hodegg, sein Adjutant, den Namen des Mexikaners in sein Notizbuch eintrug.

»Und nun wiederholen Sie mir,« nahm der Oberst von neuem das Wort, »wenn ich bitten darf, nochmals Ihre Vorschläge, mein Herr!«

»Es ist rasch geschehen, Señor. Das juaristische Heer sammelt sich unter den Generalen Escobedo und Riva Palacio nördlich von Queretaro oder, besser gesagt, zwischen Queretaro und Zacatecas, um von dort aus einen gewaltigen Vorstoß gegen die Hauptstadt zu versuchen. Juarez selbst wird mit den hervorragendsten seiner Offiziere in der Hacienda Panisca Quartier nehmen. Ich bin nun bereit, die kaiserliche Armee auf Wegen, die nur mir allein bekannt sind, so nach Panisca zu führen, daß eine Überrumpelung des Gegners und die Gefangennahme des Juarez mit seinen Generalen ohne jedwede Schwierigkeit bewerkstelligt werden kann. Das ist alles.«

»Wo liegt die Hacienda Panisca?«

»Auf den nördlichen Ausläufern der Sierra Gorda, Señor, und zwar so geschützt, daß sie einer fast uneinnehmbaren Festung gleicht.«

»Und wem gehört sie?«

»Dem Don Hallstädt.«

»Das ist ein deutsch klingender Name.«

»Señor Hallstädt, mein Oheim, ist Deutscher – Rheinländer von Geburt, aber schon seit vierzig Jahren und darüber in Mexiko ansässig.«

»Gehört er zur kaiserlichen Partei?«

Señor Fuerto zog die Schultern hoch.

»Er hält sich geflissentlich vom politischen Leben fern, seitdem Mexiko eine Monarchie geworden ist, ist aber ein persönlicher Freund des Juarez und hat vor sieben Jahren seinen 29 ganzen Einfluß und seine reichen Mittel aufgeboten, um ihm zur Präsidentschaft zu verhelfen.«

Der Oberst ließ die Finger seiner Rechten spielend durch seinen starken Schnurrbart laufen.

»Gestatten Sie mir noch eine letzte Frage, Señor,« sagte er. »Ist wirklich der einzige Lohn, den Sie für Ihren Dienst beanspruchen, der Zutritt in die Hacienda?«

»Der einzige,« erwiderte der Mexikaner rasch, während eine leichte Röte über sein Gesicht flog. »Ich bin – aus Gründen, deren nähere Erläuterung nicht zur Sache gehört – mit meinem Onkel zerfallen. Er verwehrt mir jede Annäherung; ich würde mich der Gefahr aussetzen, mit Hunden von seinem Hofe gehetzt zu werden, wenn ich mir den Zutritt erzwingen wollte. Und doch muß ich ihn in dringenden Familienangelegenheiten sprechen! Das kann ich nur erreichen, wenn sich die Thore seiner Hacienda der bewaffneten Macht öffnen.«

Herr von Leuthen schaute sich im Kreise um.

»Was sagen die Herren zu den Vorschlägen des Don Fuerto?« fragte er.

»Ich meine, wir würden Thoren sein, wenn wir sie ablehnen wollten,« entgegnete Rittmeister Cuerna, und Graf Hodegg, ein blutjunger Österreicher mit frischem, noch halb knabenhaftem Gesicht, fügte hinzu:

»Ich teile die Meinung des Herrn Rittmeisters, möchte dem Herrn Oberst aber ganz gehorsamst zu bedenken geben, daß es vielleicht gut sein würde, die Angelegenheit zunächst dem Oberkommando zu melden.«

»Wogegen ich für mein Teil durchaus nichts einzuwenden hätte,« fiel der Mexikaner lebhaft ein. »Nur muß ich um dringende Beschleunigung bitten, da das republikanische Heer sich bereits zusammen zu ziehen beginnt.«

Der Oberst nickte.

»Wir hatten die Absicht, nach Puebla zu rücken,« sagte er, »um uns dort mit dem Corps des Generals Marquez zu 30 vereinigen. Der Plan muß aufgegeben werden. Ich halte es für zweckmäßiger, wir marschieren direkt nach Queretaro, wo die Generale Mejia und Miramon den Hauptteil unsrer Armee zusammengezogen haben. General Miramon hat den Oberbefehl – er mag das Weitere veranlassen. Graf Hodegg, wollen Sie, bitte, veranlassen, daß um zwei Uhr nachts zum Abmarsch geblasen wird; die Truppen sollen sich daher rechtzeitig zur Ruhe legen. Wir wählen den Weg über Tlaxala und Pachuca.«

In diesem Augenblick wurde der Zeltvorhang zurückgeschlagen, ein alter, eisgrauer Wachtmeister mit gewaltigem Knebelbart trat ein.

»Was giebt's?« fragte Leuthen.

»Verzeihen Herr Oberst – die Posten haben zwei Leute, einen Deutschen, wie es scheint, und einen Indios als der Spionage verdächtig angehalten und gefangen genommen. Was soll mit den beiden geschehen?«

»Wenn es in der That Spione sind, werden wir mit ihnen nicht lange fackeln und sie an den nächsten Baum knüpfen lassen. Die Herren Juaristen pflegen mit wehrlosen Gefangenen ähnlich zu verfahren. Aber zunächst lassen Sie die beiden Strolche einmal vorführen.«

»Hierher, Colonello?«

»Ja . . . Señor Fuerto, haben Sie die Güte, sich ein Lager bereiten zu lassen. Ich denke, es wird Ihnen recht sein, daß Sie uns nach Queretaro begleiten?«

Der Mexikaner erhob sich.

»Durchaus, Herr Oberst; Queretaro liegt mir wie Ihnen auf dem Wege, und wenn die militärischen Operationen richtig geleitet werden, garantiere ich Ihnen, daß die Kaiserlichen binnen heute und drei Wochen die Herren von ganz Mexiko sind . . . Darf ich Sie nur bitten, mir für die Nachtruhe ein paar Decken und für mein Pferd etwas Futter geben zu lassen. Mehr verlangen wir beide nicht,« fügte er lächelnd hinzu.

31 Der Oberst gab dem dicken Wachtmeister einige entsprechende Befehle, der sich sodann mit Señor Fuerto entfernte.

»Mir sagt der Mann nicht sonderlich zu,« bemerkte Herr von Leuthen, als der Mexikaner das Zelt verlassen hatte, »aber ich meine, wir sind jedenfalls verpflichtet, das Oberkommando von seinen Mitteilungen in Kenntnis zu setzen. Solange wir uns seiner Person versichert halten, werden wir einen Verrat von seiner Seite kaum zu fürchten haben.«

»Ich glaube auch nicht an einen solchen,« entgegnete Rittmeister Cuerna, sich eine Cigarette in Brand setzend. »Dem Manne scheint in der That lediglich daran zu liegen, Einlaß in die Hacienda Panisca zu bekommen – vielleicht will er bei dieser Gelegenheit ein persönliches Racheempfinden befriedigen – wer kann es wissen! Ich bin selbst Mexikaner und kenne meine verehrten Landsleute. Jedenfalls aber dünkt es mich angebracht, ihn auf dem Wege nach Queretaro scharf beobachten zu lassen . . .«

Der Eintritt der beiden Spione schnitt die Antwort des Obersten ab. Der gleiche Ausdruck von Erstaunen flog über die Züge der drei Offiziere, als sie die Gefangenen sahen. Es war zweifellos, daß die ganze typisch deutsche Erscheinung Fritz Bergers einen unerwartet günstigen Eindruck auf sie machte.

Während Wohanna in bescheidener Ruhe am Zelteingang stehen blieb, trat der junge Mann voll sichtlicher Erregung bis an den Tisch heran und sagte hastig in seinem schlechten Spanisch:

»Wenn ich die Ehre habe, den Kommandanten des Lagers vor mir zu haben, so bitte ich um Schutz gegen die Vergewaltigung, die man mir hat zu teil werden lassen. Ich bin kein Spion, wie man behauptet, sondern in der That ein harmloser Reisender. Seit wann ist es in Mexiko erlaubt, einen solchen, der unter Begleitung eines Führers durch das Land reist, wie einen Verbrecher zu behandeln?«

Der Oberst winkte dem Aufgeregten abwehrend mit der Hand.

»Gemach, junger Herr – nur immer gemach,« entgegnete er. »Wir leben in schwerer Kriegszeit und unter eisernen 32 Gesetzen. Wenn Ihnen unrecht geschehen ist, so wird es auch wieder gut zu machen sein. Im übrigen sehen Sie einen Landsmann vor sich – Sie können also halt schon gleich mir deutsch sprechen.«

Diese Worte übten einen sichtlich besänftigenden Eindruck auf Fritz aus. In sein blasses Gesicht kehrte langsam die Farbe zurück; er nahm die Mütze vom Kopf und verbeugte sich leicht.

»Vergebung, Herr Oberst,« erwiderte er, »wenn ich mich zu unnötiger Heftigkeit hinreißen ließ. Ich komme von Veracruz und will nach dem Norden. Bis Orizaba konnte ich die Post benutzen; von dort aus aber mußte ich zu Pferde weiter, da die Postfahrten infolge der Unruhe im Lande unterbrochen sind. Beim ersten Nachtlager wurden wir von Banditen überfallen, die uns die Pferde raubten. Diese Banditen waren freilich französische Soldaten, aber auch sie hätten uns unser Eigentum nicht wiedergegeben, wenn wir nicht eine List gebraucht haben würden. Und nun werden wir von neuem festgehalten – diesmal von Kaiserlichen – unter der wahnsinnigen Behauptung, daß wir Spione seien! Welch Unverstand!«

»Der Gefangene führt Karten und Pläne und ein an Juarez gerichtetes Schreiben bei sich,« warf der Wachtmeister ein. »Lieutenant Hauer, der Kommandeur der Vorpostenwache, hatte bestimmten Befehl gegeben, die beiden nicht eher zu entlassen, ehe sie von dem Herrn Oberst gründlich untersucht worden seien.«

»Ich stelle mich zur Verfügung,« sagte Fritz mit einem gewissen Trotz. »Die Karten, die ich bei mir trage, habe ich mir erst in Veracruz gekauft, um mich besser orientieren zu können, und das Handschreiben an Herrn Juarez, das ich zu verleugnen gar keine Ursache habe, datiert vier Jahre zurück.«

Oberst von Leuthen schüttelte den Kopf.

»Ich verstehe das nicht recht,« entgegnete er. »Wer ist der Absender respektive der Verfasser jenes Schreibens?«

»Ein Herr Giuseppe Mazzini.«

Der Oberst fuhr erstaunt zurück.

33 »Mazzini – der berüchtigte italienische Revolutionär?!«

Eine sichtliche Verlegenheit prägte sich auf dem hübschen Gesicht des jungen Deutschen aus.

»Ich hörte allerdings auch schon daheim,« sagte er, »daß Mazzini eine gefährliche Persönlichkeit sein solle. Aber seine revolutionäre Gesinnung hat mit der Angelegenheit, um derenwillen ich nach Mexiko gekommen bin und mit der sich auch der Brief an Juarez beschäftigt, nichts zu thun. Wenn der Herr Oberst die Güte haben wollen, mich in Ruhe anzuhören, bin ich bereit, Ihnen der Wahrheit gemäß die Gründe, die mich hierher geführt haben, zu erzählen. Ich möchte in diesem Falle nur bitten, mit dem Herrn Oberst allein bleiben zu dürfen.«

Graf Hodegg und Rittmeister Cuerna erhoben sich sofort. Auf einen Wink Leuthens mußten auch der Wachtmeister und der indianische Führer das Zelt verlassen, dann bat der Oberst den jungen Mann, neben ihm Platz zu nehmen.

»Nun sprechen Sie,« sagte er. »Wie ist Ihr Name?«

»Fritz Berger,« entgegnete der Angeredete, und nachdem er der Aufforderung Leuthens gefolgt war und sich neben diesen gesetzt hatte, fuhr er fort:

»Ich bin aus dem Rheinland gebürtig. Mein Vater war Offizier in hessischen Diensten, mußte aber einer Ehrensache wegen frühzeitig den Abschied nehmen. Ich selbst war damals noch ein Kind, doch es gab zu jener Zeit so aufregende Auftritte zwischen dem Vater und meiner guten Mutter, daß mir verschiedene Einzelheiten lebhaft im Gedächtnis geblieben sind. Späterhin hat meine Mutter mir freiwillig Aufschluß über die Gründe gegeben, die den Vater zur Dienstentlassung zwangen. Er war mit einem jungen Kameraden, einem Lieutenant von Hallstädt, auf das innigste befreundet. Dieser hatte ihn eines Tages um seine Unterschrift auf einen Schuldschein gebeten, und obwohl es sich um eine verhältnismäßig große Summe handelte, war der Vater doch gutmütig genug, sie ihm zu geben. Bald darauf verschwand Hallstädt, und kein Mensch wußte wohin. 34 Anfänglich hieß es, er habe Selbstmord begangen, bis es bekannt wurde, daß er nach dem Auslande geflüchtet sei. Auf allen Seiten meldeten sich Gläubiger – der gewissenlose Mensch hatte die Summe, die er bei einem Berliner Wucherer auf den Schuldschein meines als wohlhabend bekannten Vaters hin erhalten hatte, nicht zur Begleichung seiner Verpflichtungen benutzt, sondern sich mit ihr vor seiner Flucht noch ein kleines Kapital sichern wollen. Da das Vermögen meines Vaters nicht ausreichte, den Schuldschein völlig zu decken, und da er trotz aller Bemühungen auch keine andre Hilfe fand, so blieb ihm nichts übrig, als seinen Abschied zu nehmen. Die abscheuliche Handlungsweise dessen, den er für seinen besten Freund gehalten, der plötzliche Wechsel in seiner gesellschaftlichen Stellung und die Hetzjagd, die der unbefriedigt gebliebene Wucherer auf ihn veranstaltete – all das aber drückte meinen armen Vater so schmerzlich nieder, daß es auch ihn nicht länger im Lande litt, zumal er hier nicht die gewinnbringende Beschäftigung fand, die er suchte, um seine Familie erhalten zu können. So wanderte er denn aus. Von dieser Zeit ab habe ich ihn nicht wieder gesehen. Meine Mutter erhielt, anfänglich aus Tirol, später aus Italien, Frankreich und auch England eine so reichhaltige Unterstützung von ihm, daß sie mir eine gute Erziehung zu teil werden lassen konnte. Ich sollte Kaufmann werden, obwohl ich mehr Neigung zum Soldatendienst hatte, und ich nahm mich so zusammen und war so fleißig, daß ich es bald in einem großen Bonner Geschäftshause zu einer Art Vertrauensstellung brachte.

»Jahrelang hatte mich der Gedanke beschäftigt: was treibt mein Vater? – Meine Mutter wußte nicht mehr als ich. Er schrieb nur sehr selten – und stets kurz – immer nur einige Zeilen, in denen die Versicherung, daß es ihm gut ergehe und er baldigst heim zu kommen hoffe, wiederzukehren pflegte. Die für die Mutter bestimmten Gelder wurden dieser von verschiedenen Bankhäusern ausgezahlt, gewöhnlich durch Rothschild in Frankfurt am Main, oft trafen sie auch direkt, ohne Begleitbrief, aus 35 weiter Ferne ein: aus Turin, Neapel und Genua, aus Paris und London. Es war also klar, daß der Vater ein unstetes und ruheloses Leben führen mußte. Ich traf die Mutter oft in Thränen gebadet vor – es war ersichtlich, daß sie sich um den Vater sorgte und grämte, obschon man aus den Summen, die er uns zusandte, darauf schließen konnte, daß er einen guten Verdienst fand.

»Vor etwa vier Jahren erschien meine Mutter eines Tages sehr bleich, aber gefaßt und ruhig in dem Geschäft, in dem ich thätig war, und teilte mir mit, daß sie auf einige Zeit verreisen müsse. Der Vater liege schwer krank in einem kleinen Städtchen an der französisch-italienischen Grenze darnieder und bedürfe ihrer Hilfe und Pflege; er habe ihr telegraphiert. Ich erbot mich, obschon es um die Weihnachtszeit war und mich das Geschäft mehr als sonst in Anspruch nahm, sie zu begleiten – aber sie wehrte mir energisch ab. Sie wollte allein reisen. Schweren Herzens ließ ich sie ziehen. Sie blieb nicht lange. Schon nach fünf oder sechs Tagen kehrte sie zurück – als Witwe. Der Vater war – infolge einer Erkältung, so erzählte sie mir – an einer Lungenentzündung gestorben – in ihren Armen, und sie hatte ihn auch beerdigen lassen und an seinem Grabe ihr Gebet gesprochen.

»Von diesem Zeitpunkt ab kränkelte die Mutter. Ich sprach nie wieder mit ihr von dem Verstorbenen, nachdem ich gemerkt hatte, daß sie dies Thema in hochgradige Aufregung versetzte. Wir wohnten zusammen, und ich war glücklich darüber, daß ich sie beschützen und erhalten und ihre letzten Tage sorgenfrei gestalten konnte. Aber mit ihrem zarten Körper verzehrte sich auch ihr Geist. Sie wurde immer trübsinniger, und schließlich nahm ihre Melancholie so überhand, daß ich sie in eine Anstalt schaffen lassen mußte, um sie vor Selbstmord zu bewahren. Erst kurz vor ihrem Tode, der für die liebe, arme Mutter« – und unwillkürlich stockte dabei die Stimme des Sprechenden und Thränen füllten seine Augen – »als Erlöser kam, lichtete sich 36 ihr Geist noch einmal. Ich mußte zu ihr kommen. Sie lag im Bette, schneeweiß im Gesicht, abgezehrt und mit großen, offenen Augen, aber noch umspannten ihre hagern Hände die meinen fest und innig, als ich vor ihr niederkniete und sie mit Küssen bedeckte.

»›Ich weiß, daß ich bald zu Gott eingehen werde,‹ sagte sie mit leiser und schwacher Stimme. ›Und ich danke meinem Gott für diese Gnade, denn ich bin müde, sehr müde. Ich sehne mich nach der ewigen Ruhe. Das Leben hat mir viel bittere Enttäuschungen gebracht, aber auch ein großes Glück, und das bist du, mein Fritz! Du wirst dir ein besseres Schicksal zu schaffen wissen, als es dein unglücklicher Vater verstanden hat, sich selbst zu schaffen. Ja, Fritz – dein Vater ist als ein Unglücklicher gestorben – und als ein Verfemter! Ich habe dir nie davon gesprochen, denn ich wollte dir die Erinnerung an den Toten nicht kümmern – aber ich kann nicht aus dieser Welt des Elends scheiden, ohne ehrlich gegen dich gewesen zu sein. Und deshalb höre mich an!‹« . . .

Tiefaufatmend schwieg der Erzählende. Er war so bewegt, daß ihm schon die letzten Worte schwer geworden waren. Vielleicht sah er im Geiste die mit dem Tode ringende geliebte Mutter vor sich, ihr weißes Gesicht mit den überirdisch leuchtenden Augen, und hörte den Ton ihrer brechenden Stimme. Er hatte den Kopf geneigt, damit der Oberst seine tropfenden Augen nicht sehen könne.

Der hatte sich lautlos erhoben und dem Posten vor dem Zelte einige Worte zugerufen.

Eine Ordonnanz brachte einen Ziegenschlauch mit Wein und ein paar Feldbecher.

»Trinken Sie und stärken Sie sich zunächst einmal, mein lieber Junge,« sagte der Oberst gütig, mit seiner Rechten über die heiße Stirn Bergers streichend. »Sie sind erschöpft – das ist kein Wunder! Der Wein ist nicht übel – er wird Ihnen gut thun. Prosit – auf Ihre Zukunft!«

37 Der Oberst hatte selbst einen Becher ergriffen und trank Fritz zu. Der junge Mann fuhr rasch mit der Hand über die noch feuchten Augen. Er schämte sich seiner Thränen nicht, aber er wollte wieder Mann sein. Und so griff auch er nach dem Becher und nahm einen herzhaften Schluck. Der kräftige Landwein ließ seine Pulse rascher schlagen und trieb ihm das Blut in die Wangen zurück.

»Ich danke, Herr Oberst,« sagte er, mit tiefem Aufatmen den Becher auf den Tisch zurücksetzend. »Wahrhaftig – das hat mir wohlgethan! Und nun will ich in Ruhe fortfahren und mich bemühen, meiner Aufregung Herr zu werden. Ich bin sonst keine allzu weiche Natur, doch es giebt Erinnerungen, die – – aber ich will bei der Sache bleiben! – Meine Mutter teilte mir mit, daß mein Vater in seinen letzten Lebensjahren ein Hauptagent Mazzinis gewesen sei und als solcher Spionendienste in verschiedenen Ländern für den berühmten Verschwörer verrichtet habe. Der Name Mazzini klang mir damals ziemlich fremd an das Ohr. Erst später hörte ich, daß er ein erbitterter Feind der Monarchie und ein begeisterter Anhänger der republikanischen Staatsverfassung sein sollte, für die er im geheimen mit schonungsloser Energie wirkte; ich hörte auch, daß über dem Haupte dieses Mannes, den mein armer Vater als Freund gewonnen, sechs Todesurteile schwebten. Es war nur natürlich, daß ich von dieser Zeit ab mit brennendem Interesse alles, was ich über Mazzini erlangen konnte, verfolgte, und manches von dem, was ich über ihn las, stimmte mit den Äußerungen meines Vaters in seinen hinterlassenen Papieren überein. Daß sich Mazzini meinem Vater gegenüber stets hilfreich, gütig und freundschaftlich gezeigt, steht fest – auch in den Zeitungen, die seinen politischen Fanatismus herbe verurteilten, habe ich häufig die Ehrenhaftigkeit seines Charakters gerühmt gefunden. Es steht mir nicht zu, über das letzte traurige Gewerbe meines Vaters ein Urteil zu fällen – lassen Sie mich darüber schweigen, Herr Oberst! Fehlte er, so hat er für uns gefehlt, für seine 38 Familie, die er nicht darben lassen wollte . . . Nun zur Hauptsache! Den Brief an Juarez, den man mir abgenommen hat, übergab mein Vater der Mutter, als sie ihn an seinem Sterbelager besuchte. Mein Vater hatte Mazzini gelegentlich die Geschichte seines Lebens erzählt, und Mazzini hatte durch seine Agenten in Amerika sich nach dem Verbleib des Herrn von Hallstädt erkundigen lassen. Da war denn nun Merkwürdiges an den Tag gekommen. Hallstädt hatte hier in Mexiko einen Vetter gleichen Namens gefunden, dem es gelungen war, sich durch eine Heirat mit einer reichen Spanierin aus seiner verkrachten Existenz wieder zu regelrechtem Erwerb aufzuraffen. Die beiden Vettern verbanden sich zum Zwecke der Ausbeutung umfangreicher Silberminen, deren Terrain sie erworben hatten, und sollen dabei zu großem Vermögen gekommen sein. Mazzini riet nun meinem Vater, selbst nach Mexiko zu reisen, um sich von dem ungetreuen Freunde das erstohlene Geld zurückzuholen, und gab ihm zu diesem Zwecke jenen Brief an den ihm befreundeten Juarez, der damals noch Präsident von Mexiko war. Die Krankheit, die meinen Vater rasch dem Tode entgegenführte, verhinderte die Ausführung – meine Mutter aber mochte fürchten, daß ich die Mission übernehmen und ihr dann gleichfalls verloren gehen würde – und so sprach sie mir erst in ihren letzten Stunden davon.

»Das Kapital, um welches es sich handelt, beträgt nach preußischem Gelde vierzigtausend Thaler – für mich ein Vermögen. Nun bin ich in Wahrheit nicht geldgierig, Herr Oberst, und ich würde dem verlorenen Posten keine Thräne nachweinen und keine Hand rühren, ihn wieder zu gewinnen, wenn die Verhältnisse anders lägen. Aber der Gedanke, daß der Ehrlose, der meinen Vater ins Verderben gestürzt, zu Reichtum gekommen, ohne seiner Pflichten zu gedenken, empörte mich so, daß ich mich rasch entschloß, ihm auf eigne Faust das erstohlene Kapital wieder abzujagen. Ich will ehrlich sein, Herr Oberst, und zugestehen, daß auch das Romantische und Abenteuerliche mich lockte. Ich 39 that meine Pflicht im Geschäft, aber ich war doch nur gezwungen Kaufmann. Ich sehnte mich mit allen Fibern in die Welt hinaus – ich lechzte nach Abwechslung. Noch ein drittes kam hinzu. Mein Vater hatte Schulden hinterlassen. Wir hatten sie bisher nicht bezahlen können, doch es drängte mich, auf der Ehre unsers Namens keinen Flecken zu wissen. So zog ich denn in die Weite. Mein Chef streckte mir, obschon er mich thöricht nannte und meinen Plan belächelte, bereitwillig das nötige Reisegeld vor – und ich reiste ab. Ich wußte nichts weiter, als daß die Silberminen der Hallstädts in der Provinz Potosi liegen sollten – und dorthin wollte ich mich von meinem Führer geleiten lassen« . . . 40

 


 


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