Fedor von Zobeltitz
Der Kurier des Kaisers
Fedor von Zobeltitz

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Fünftes Kapitel.

In Queretaro.

Don Fuerto findet alte Bekannte. – Fritz belauscht eine Unterhaltung, die ihm wenig gefällt. – Abmarsch nach Norden.

In der kleinen Felsenstadt Queretaro, wo im Mai Achtundvierzig der greise Revolutionär Hidalgo Frieden mit Nordamerika schloß und auf dessen ödem Gestein die Todesrosen Maximilians erblühen sollten, herrschte ein buntes militärisches Leben und Treiben. Außer den Kaiserhusaren, die hier in Garnison standen, waren noch zahlreiche Regimenter eingetroffen; der Kaiser selbst wurde in nächster Zeit erwartet, und schon hatte man mit der Ausschmückung der Straßen begonnen, um ihn würdig zu empfangen – Queretaro wollte seinem alten Ruhm, zu den treuesten Städten des Reichs zu gehören, bei dieser Gelegenheit einen doppelt feierlichen Ausdruck geben.

57 Unweit der Hauptkirche, dessen ganz aus massivem Silber bestehender Altar ihr eine gewisse Berühmtheit sicherte, lag ein kleines französisches Kaffeehaus, das um diese Stunde – es war gegen acht Uhr abends – bis auf den letzten Platz gefüllt zu sein schien. Alle Tische waren besetzt; die meisten Offiziere speisten hier zur Nacht. In das auf- und niederschwirrende Stimmengewirr mischte sich das Klappern der Teller und der Messer und Gabeln.

Hinter dem Zimmer, das Monsieur Dieulafou, der Wirt, bewohnte, ein verschmitzter Pariser, der mit Bazaine nach Mexiko gekommen war, hier sein Glück zu suchen, lag noch ein kleines Kabinett, dessen Ausgang nach dem Hofe führte. In diesem Gemach hatte es sich Don Fuerto bequem gemacht.

Man sah, daß er zu leben verstand. Er saß vor einem sauber gedeckten Tische und verspeiste soeben mit großem Appetit den Flügel eines Fasans. Neben ihm stand in einem mit Schnee gefüllten Kübel eine Flasche Champagner, der er häufig zusprach. Auf seinem Gesichte lag der Ausdruck völliger Zufriedenheit, und in der That, er konnte sich nicht beklagen: alles ging nach Wunsch, und traten nicht unerwartete Schwierigkeiten ein, so war er binnen heute und vier Wochen ein gemachter Mann. Aber auch mit diesen Schwierigkeiten rechnete er. Er war kein Phantast, sondern pflegte reiflich zu überlegen; klappte nicht alles, wie es klappen sollte, so mußte er versuchen, auf Umwegen zum Ziele zu gelangen. Und auch für diesen Fall hatte er bereits seine Pläne entworfen.

Er hatte sein Souper beendet und war soeben im Begriffe, sich eine Cigarette anzustecken, als nach kurzem Anklopfen ein stattlicher Offizier in der Oberstenuniform der Kaiserhusaren in das Zimmer trat.

»Zum Geier, Oberst Lopez,« rief Fuerto ihm entgegen, »Sie haben mich lange warten lassen! Aber ich hatte gute Gesellschaft« – und er deutete vor sich auf den Tisch – »einen delikaten Fasan und eine Veuve Clicquot

58 Der Angeredete warf mit ärgerlicher Bewegung sein Käppi auf den nächsten Stuhl und nahm Fuerto gegenüber Platz.

»Fünf Stunden Kriegsrat – hintereinander,« brummte er, »ohne Pause – ohne eine Erfrischung – das halte der Geier aus! Ich bin wie gerädert. Geben Sie mir ein Glas Champagner, Diego!«

Fuerto nahm ein Wasserglas und füllte es bis zum Rande mit dem schäumenden bernsteingelben Wein. In langen Zügen leerte es Lopez.

»Gottlob – nun werde ich allmählich wieder Mensch,« sagte er, mit der Serviette seinen Schnurrbart wischend. »Um drei Uhr soll zum Aufbruch geblasen werden – sehr lange Zeit werden Sie nicht zum Ausruhen haben!«

»Lieber Freund, ich habe in der Sierra häufig drei Tage und drei Nächte lang nicht geschlafen. Ich bin an die Rastlosigkeit gewöhnt. Aber mir scheint's, Sie weniger – he?«

Der Oberst seufzte auf.

»Mein ganzes Leben ist Rastlosigkeit,« erwiderte er. »Die Schulden fressen mich auf. Ich reiße hier ein Loch auf, um dort ein andres zuzustopfen. Als ich das letzte Mal mit Ihnen zusammenkam, mein werter Don Fuerto – Sie wissen, bei welcher Gelegenheit –«

»Ganz genau. Ich war wegen Schmuggelns angeklagt worden, und Sie rissen mich aus der Patsche –«

»Weil meine Frau eine Verwandte Ihrer verstorbenen Mutter ist, und ich zudem eine kleine Gegengefälligkeit von Ihnen erhoffte. Sie versprachen mir damals auch, sich einmal an Ihren Oheim wenden zu wollen; er ist reich genug, meine Verhältnisse zu ordnen – mit dreimalhunderttausend Pesetos ist es gemacht – aber ich habe das Empfinden, mein guter Diego, als seien auch bei Ihnen Versprechen und Halten zweierlei Dinge!«

Fuerto bot dem Offizier seine Cigarettendose.

»Ich habe Sie nicht hierher gebeten, um mir von Ihnen Vorwürfe machen zu lassen, Don Miguel,« sagte er. »Sie 59 haben mir ein Freundschaftsstück erwiesen, und das vergesse ich nicht so leicht. Aber es ist schwer, für einen andern zu wirken, wenn einem selbst die Hände gebunden sind. Mein Ohm Hallstädt hat mich abscheulich behandelt, und ich will mich nun dafür rächen.«

Der Oberst nickte.

»Ich dachte es mir, als mir Ihr Plan bekannt wurde,« entgegnete er. »Diego Fuerto thut nichts ohne Absicht und Vorbedacht. Aber was gehen mich Ihre Sonderinteressen – was Ihr Zank mit dem Gordakrösus an?«

»Viel, mein Lieber. Haben Sie schon einmal etwas von Wohanna, dem Häuptling der Pamas, gehört?«

»Von dem braunen Satan, vor dem uns Mejia zum öfteren gewarnt hat? Ich glaube, er hat vor zwei Jahren einmal den Versuch gemacht, seine Rotte dem Juarez zuzuführen, scheiterte aber an dem Widerstand der Seinen.«

»Nun also – von diesem spreche ich –«

»Aber Wohanna ist längst nicht mehr Häuptling der Pamas. Man hat ihn an die Luft gesetzt, sonst würde sein Volk sich wohl kaum so schnell bereit erklärt haben, sich unserm Zuge nach Zacatecas anzuschließen.«

»Pardon, lieber Lopez – ich weiß es besser. Wohanna ist freiwillig in die Verbannung gegangen – aus persönlichen Gründen – aber vor kurzem wieder heimgekehrt. Und das ist wichtig – für mich und Sie.«

Der Oberst zuckte mit den Achseln.

»Ich wüßte nicht, was mir gleichgültiger wäre. Zum Teufel, Fuerto – was schert mich der Pamahäuptling! Gehen Sie nicht wie die Katze um den heißen Brei herum, sondern erklären Sie sich deutlich! Weshalb haben Sie mich herbestellt?«

»Also kurz: weil ich mit Ihnen in Verbindung bleiben möchte. Mein gegen Hallstädt gerichteter Coup kann gelingen, kann aber auch fehlschlagen. Für den letzteren Fall muß ich mir neue Brücken bauen. Denn, Freundchen, es ist genau so mit 60 mir wie mit Ihnen: ich bin abgebrannt bis auf den letzten Piaster und muß mir neue Gelder zu schaffen suchen. Auf sogenannte redliche Weise geht es den Umständen gemäß leider nicht –«

»Sprechen Sie leiser!« – und unwillkürlich erblaßte der Oberst.

»Ah bah – hier hört uns kein Mensch! . . . Nehmen Sie einmal an, der geplante Überfall mißlänge, die Kaiserlichen würden in die Pfanne gehauen, Juarez bliebe Sieger. Das wäre Grund genug für mich, neuerlich abzuschwenken – wer könnte es mir verdenken?«

»Machen Sie, was Sie wollen – Sie sind ja Ihr freier Herr!«

»Gott sei Dank, daß ich das bin! Bei den Juaristen ist aber leider ebensowenig zu holen wie bei den Kaiserlichen. Wahrhaft gewinnen kann unsereiner nur im Strudel der Verwirrung, der gänzlichen Gesetzlosigkeit!«

Und während Fuerto dies sprach, leuchteten seine Augen auf. Er beugte sich über den Tisch, weit herüber zu Lopez, und dämpfte seine Stimme zu leisem Flüstern ab.

»Eine große, allgemeine Revolution würde es uns leicht ermöglichen,« fuhr er fort, »Panisca zu überfallen und Hallstädt gefügig zu machen. Sein Geiz ist himmelschreiend. Wenn ich auch wirklich sein hoffärtiges Töchterlein in meine Gewalt bekomme – es ist fraglich, ob der Halunke nicht lieber sein Fleisch und Blut opfert, ehe er sich von seinen Schätzen trennt. Aber« – und die Zähne des Sprechenden knirschten zusammen – »fällt er mir selbst einmal zwischen die Finger, dann Gnade ihm Gott! Dann soll er herausrücken mit seinem Mammon, und wenn ich ihm Daumschrauben anlegen müßte – –«

Er füllte die Gläser von neuem; eine zweite Flasche stand unter dem Tisch.

»Also Revolution, wenn es nicht anders sein kann,« wiederholte er in ruhigerem Tone. »Ich meine, Sie haben 61 nicht viel einzubüßen, Vetter; Sie sitzen sozusagen auf einem Pulverfaß. Auch Ihnen könnte ein allgemeiner Wirrwarr nur dienlich sein.«

Schwere Schweißtropfen standen auf des Obersten Stirn.

»Ich bin Kaiserlicher Offizier,« murmelte er tonlos, »vergessen Sie das nicht –«

Diego lachte.

»Und Maximilian ist der Pate Ihres Jungen,« fügte er hinzu; »das haben Sie damals auch gesagt, als wir den Erlös meines Schmuggelgeschäfts teilten. Aber die paar Tausend Pesos steckten Sie trotzdem ein!«

»Ich war in furchtbarer Not, Diego – erinnern Sie mich nicht daran –«

»Lächerlich! Ich will Ihnen ja helfen! Hören Sie zu! Wohanna ist ein Teufelskerl; ich weiß, was er vorhat. Nicht mehr und nicht weniger als einen allgemeinen indianischen Aufstand –«

Lopez wollte erregt aufspringen, Don Fuerto drückte ihn nieder.

»Ruhe, Miguel – keine unnötigen Nerven! So lange ich noch Hoffnung habe, auf andre Weise zum Ziele zu kommen, werde ich die tolle Idee Wohannas nicht unterstützen. Das ist selbstverständlich, denn ich verhehle mir nicht, daß ein Indianeraufstand ganz Mexiko in ein Meer von Blut verwandeln würde. Es geht schon jetzt wüst genug her, aber dann könnten sich Freund und Feind gratulieren. Ganz gleich – auch diese Möglichkeit muß ins Auge gefaßt werden; sie bietet uns – Ihnen wie mir – Aussicht auf lohnenden Gewinn.«

Der Oberst hatte sich erhoben.

»Ich will gehen, Fuerto,« sagte er; er war weiß im Gesicht wie Kalk. »Was Sie planen, ist Hochverrat, ist ungeheuerlich. Lassen Sie mich aus dem Spiel –«

»Eh bien, Bester, so gehen Sie und verhungern Sie mit samt Ihrem Kaiser!«

62 Die Hand, die schon nach dem Käppi greifen wollte, zog sich wieder zurück.

»Im Grunde genommen bin ich mir noch immer nicht darüber im klaren, was Sie eigentlich von mir wollen, Don Fuerto. Daß ich Ihnen nicht die tolle Revolution entfachen helfen kann, wissen Sie so gut wie ich selbst. Es handelt sich nicht um eine Flamme, in die man nur hineinzublasen braucht, um sie auflodern zu lassen. All das ist Wahnsinn!«

»Aber es ist Methode in diesem Wahnsinn. Und es ist in der That so: es bedarf nur des Blasens, und die Revolution ist da. Sie irren sich, lieber Lopez – Sie unterschätzen auch die Macht der roten Rasse. Sie gleicht einem gefesselten Tiger. Lösen Sie die Fesseln, und die Bestie bricht los! – Aber das sind Zukunftsideen. Die Revolution wird erst dann zweckbringend sein, wenn Kaisertum und Republikanismus gleichmäßig vernichtet sind, wenn Raum für die Anarchie da ist, sich auszubreiten.«

»Ich wiederhole meine Frage: was wollen Sie von mir?«

»Ihre Mithilfe.«

»Und wie denken Sie sich diese?«

»Sie sollen beiden Teilen dienen, den Juaristen und den Kaiserlichen, und, wenn es nötig ist, beide verraten, um beide zum Untergang zu bringen.«

Lopez sprang an den Tisch heran und erhob die geballte Hand.

»Schuft!« stieß er hervor; »schauen Sie meinen Rock an? Ist's nicht des Kaisers Kleid?!«

Fuerto lächelte.

»Dank für den Schuft,« sagte er. »Das berührt mich nicht. Aber nehmen Sie die Hand fort, Vetter Lopez, damit ich mich nicht um meinen Revolver zu bemühen brauche. Wer ist denn Ihr Kaiser? Ein fremder Mann, der aus Europa kam, sich hier festzusetzen – ein Gleichgültiger –«

»Nein!« rief Lopez. »Einer, dem ich Treue schwor!«

63 »Treue?! Pah! – Ist Ihnen der Hauptmann Jablonsky bekannt, wenn ich fragen darf?«

»Er war zwei Jahre hindurch mein Adjutant. Was soll es mit ihm?«

»Halten Sie Jablonsky auch für einen von denen, die auf ihre Treue pochen?«

»Ganz gewiß. Er gehört gleich mir zu des Kaisers Lieblingen.«

»Und wenn ich Ihnen nun erzählen würde, daß ich mit Jablonsky gewisse Abmachungen getroffen habe für den Fall, daß es uns nötig erscheinen dürfte, das Kriegsglück späterhin wieder einmal auf Seite des Juaristischen Heeres zu lenken – Abmachungen, die hier an diesem Orte und zu dieser Stunde noch näher besprochen werden sollen –«

»Dann würde ich Sie auslachen, lieber Herr, denn ich kenne Jablonsky besser als Sie. Darf ich fragen, zu wann Sie den Kapitän hierher bestellt haben – Sie, der Sie das Reich in der Tasche zu haben meinen?«

»Zu neun Uhr, bester Vetter.«

Lopez zog seinen Chronometer aus der Tasche und ließ ihn repetieren.

,.Es ist neun vorüber,« sagte er. »Und nun noch ein letztes Wort als Beweis dafür, daß Sie ein schmählicher Lügner sind. Vor etwa zwei Stunden hat sich Jablonsky Urlaub für den Abend erbeten, um nach der Hacienda Sylva zu reiten und sich dort von seiner Braut zu verabschieden. Der Urlaub ist ihm bis Mitternacht bewilligt worden –«

Er brach ab, denn in diesem Moment klopfte es an der Thür.

Fuerto warf einen triumphierenden Blick auf den Obersten, der sich in eine Ecke des Zimmers zurückzog, und rief dann mit lauter Stimme:

»Herein!«

Ein Civilist trat ein, eine große hagere Erscheinung, in 64 einen dunklen spanischen Mantel gehüllt, einen breitkrämpigen Sombrero auf dem Haupte, der das Gesicht beschattete.

»Buenas tardes – guten Abend,« sagte der Fremde, den Hut abnehmend; »ah – sieh da – Oberst Lopez . . .«

Der Angeredete taumelte, sich an die Stirne greifend, zurück. Vor ihm stand der, von dem man soeben gesprochen, den er selbst als Platzkommandant vor zwei Stunden beurlaubt hatte – lächelnd und unbefangen – der Hauptmann Jablonsky. – – –

 

Fritz Berger war erst in Queretaro eingekleidet worden, das heißt, er hatte sich für sein eignes Geld von einem Schneider die Uniform seines Truppenteils anfertigen lassen. Sie stand ihm prächtig, diese dunkelgrüne, reich verschnürte Uniform, und er war auch nicht wenig stolz darauf. Der Dienst war während des Marsches ein ziemlich anstrengender gewesen – hier in Queretaro aber gönnte man sich ein paar Ruhetage. Die Nachricht, daß sich die Juaristen in der Nähe von Zacatecas konzentrierten und daß General Miramon befohlen hatte, ihnen in Eilmärschen entgegenzurücken, um nach altklassischer strategischer Regel »den Feind zu schlagen, wo man ihn trifft«, hatte sich in der ganzen Stadt verbreitet. Aber man wußte noch nicht, wann aufgebrochen werden sollte; Tag und Stunde wurden vorläufig geheim gehalten.

Mit lebhaftem Interesse nahm Fritz die ihm werdenden und ständig wechselnden Eindrücke auf. Mit noch einer Anzahl in den letzten Tagen angeworbener Freiwilliger wurde er durch Oberst von Leuthen seinem Corpskommandanten, dem General Mejia, vorgestellt. Es war dies ein kleiner schmächtiger Herr mit gelbem Indianergesicht und feurigen dunklen Augen; er richtete einige warmherzige Worte an die Freiwilligen, sprach dann mit jedem einzelnen und eingehender mit Fritz, über dessen Schicksale ihn Herr von Leuthen unterrichtet hatte. Wenn er sich tüchtig erweise, so solle er nach der ersten Schlacht zum 65 Fahnenjunker befördert werden, das war das Versprechen, mit dem Fritz entlassen wurde.

Im allgemeinen machte die Disziplin in der Nationalarmee keinen allzuschlechten Eindruck auf den scharf beobachtenden Fritz. Aber es schien doch, als ob gerade bei den mexikanischen Regimentern die rechte patriotische Begeisterung fehlte. Traf irgend eine günstige Nachricht vom Kriegsschauplatze ein, so flammte der Enthusiasmus hoch empor; dann wurde Viva geschrieen und man zog singend durch die Straßen, und Feuerwerke wurden abgebrannt – dann war der Jubel allgemein. Aber Strapazen und die Anstrengungen des Dienstes ertrug man nicht gern. Es kam dazu, daß die Lohnverhältnisse schlecht und die Verpflegung mangelhaft waren; wie ein Hauch von Unzufriedenheit ging es zuweilen durch die Armee. Auch allerhand entmutigende Gerüchte tauchten dann und wann auf – von dem Übertritt einiger Offiziere zum Juaristischen Heere, von zahlreichen Desertionen und dergleichen mehr . . .

In Queretaro gehörte die Seifen- und Cigarrenfabrikation derzeitig zu den ausgebreitetsten Industriezweigen. Bei einem Cigarrenfabrikanten lag auch Fritz in Quartier. Graf Hodegg hatte ihm den freundschaftlichen Rat gegeben, sich früh zu Bett zu legen, da aller Wahrscheinlichkeit nach zur Zeit der Morgendämmerung Alarm geschlagen werden würde, und Fritz hatte den Rat befolgt.

Er schlief auch bald ein. Aber er konnte noch nicht lange geschlummert haben, als er wieder erwachte. Ihm war, als höre er Stimmen. Er sah nach der Uhr; es war in wenigen Minuten elf. Und in der That – als er sich im Bette aufrichtete und lauschte, vernahm er ganz deutlich, daß sich in seiner unmittelbaren Nähe, wahrscheinlich Wand an Wand mit ihm, zwei Leute, zwei Männer miteinander unterhielten. Er legte sich auf die andre Seite und wollte weiter schlafen, als der Name »Fuerto« an sein Ohr schlug. Das machte ihn stutzig – er wußte selbst nicht weshalb. Abermals richtete er 66 sich auf und horchte. Es war richtig; die Stimmen kamen von nebenan; soviel er wußte, logierte dort ein Offizier, dessen Name ihm unbekannt war. Er erhob sich und folgte dem Schall der Stimmen. In der Mitte der Querwand, seinem Bett gegenüber, stand ein Kleiderschrank, der sich, da er leer war, leicht zur Seite rücken ließ – und nun erklärte sich Fritz auch die auffallend starke Schallübertragung. Hinter dem Schranke war ehemals wahrscheinlich eine Thür gewesen; jetzt aber hatte man sie mit dünnen Brettern verschlagen und mit Tapete überklebt. So war fast jedes Wort zu verstehen, das man im Nebenzimmer wechselte.

Ein eigentümliches Empfinden veranlaßte Fritz, sich nicht wieder zu Bett zu legen. Es gab keinen ausgesprochenen Grund für ihn, die beiden im Nebenzimmer zu belauschen; nicht einmal die Neugierde trieb ihn dazu – er folgte lediglich einer Eingebung des Augenblicks, über die er sich keine Rechenschaft ablegte.

Man sprach spanisch nebenan; Fritz vermochte der Unterhaltung daher nicht in allen Einzelheiten zu folgen – aber das Meiste verstand er doch.

»Ich traue dem Menschen nicht, Kapitän,« sagte die eine Stimme; »er ist im stande, uns einfach preiszugeben, wenn wir ihm nicht mehr genehm sind.«

»Vorläufig können wir ihm nur nützen, Don Miguel,« entgegnete die zweite Stimme; »und dann vergessen Sie, bitte, nicht, daß wir nichts zu verlieren haben – weder Sie noch ich.«

»Gott sei geklagt, daß es so ist! . . . Mein armes Weib – meine armen Kinder!«

»Um aller Heiligen willen, Freund – werden Sie nur nicht sentimental! Das ganze Leben ist Krieg, und die meisten Menschen hier sind Räuber. Keiner gönnt dem andern das Seine – jeder sieht zu, wo er die beste Beute erwischt. Haben Sie gehört, daß Oberst Carracas mit seinem ganzen Bataillon bei Piombonegro zum Feinde übergegangen ist?«

»Man erzählte es sich.«

67 »Der Mann hat recht gethan. Was kann uns diese Kaiserkomödie noch bieten? Wenn uns die Juaristen gefangen nehmen, werden wir erbarmungslos niedergeknallt. Und glauben Sie mir: schließlich siegen die Republikaner doch! Es ist für uns alle nur ein Hinhalten, ein langsames Sterben.«

»Miramon ist ein tüchtiger General, Kapitän. Wenn er die Juaristische Armee erreicht, ehe sie Aufstellung genommen hat – so, wie er es hofft – kann er sie leicht zersplittern.«

»Auch Juarez hat treffliche Feldherrn, lieber Oberst. Und eine Niederlage ist noch nicht die Beendigung des Krieges. Ich sage Ihnen offen: ich freue mich, daß ich hier bleiben kann. Juarez steht mir näher als der Kaiser.«

»Sie haben aus Ihrer republikanischen Gesinnung freilich nie ein Hehl gemacht.«

»Niemals – auch Maximilian gegenüber nicht.«

»Ich glaube, er schätzt diese Offenheit. Übrigens ist Maximilian im Grunde genommen nichts weiter als ein Präsident mit der Kaiserkrone.«

»Streiten wir nicht darüber. Als er in das Land kam, lag Juarez am Boden; man hatte ihn über die Grenze getrieben – kein Mensch dachte daran, daß er es von neuem zu Erfolgen bringen würde. Das Kaisertum bot mir bessere Gelegenheit zum Vorwärtskommen als die Republik – damals – heute ist es anders geworden.«

»Wollen Sie damit sagen, daß Sie geneigt wären, dem Beispiele des Obersten Carracas zu folgen?«

»Nein – wenigstens vorläufig nicht. Ich will erst einmal abwarten, was Fuerto auszurichten vermag. Es ist immer gut, wenn man zwei Eisen im Feuer hat. Sehe ich Sie morgen?«

»Ich denke, wir speisen zusammen. Es ist mir auch nicht unlieb, daß ich hier bleiben kann. Der Rheumatismus sitzt mir in allen Knochen.«

»Wann erwartet man den Kaiser?«

»Es ist noch unbestimmt. Er soll leidend sein.«

68 »Glaub's wohl. Der Jammer ist groß. Ich habe nichts gegen seine Person. Aber seien wir ehrlich – er hat sich auf ein gefährliches Experiment eingelassen. Und er wird daran glauben müssen.«

»Es sollte mir leid thun. Nur um seinetwillen, nicht wegen seiner Umgebung, die ich hasse. Die deutschen Schufte haben ihn völlig umgarnt.«

»Ach nein, lieber Freund – der Wahrheit die Ehre: die Einheimischen sind schlimmer!«

»Aber man kann sich ihrer wenigstens besser erwehren. . . . Auf Wiedersehen, Kapitän – ich bin hundemüde.«

»Hasta luego!« . . .

Das Gespräch verstummte.

Blaß und fröstelnd legte sich Fritz wieder in sein Bett. Das Erlauschte erregte ihn. So sprachen zwei Offiziere von ihrem Kaiser und Kriegsherrn! War die Stimmung im ganzen Offizierkorps keine bessere, dann allerdings sah es traurig aus um die Zukunft des Reichs.

Und noch ein andrer Gedanke beunruhigte ihn: welche geheimnisvolle Rolle spielte Don Fuerto? In welcher Verbindung stand er mit den beiden Offizieren? –

Er grübelte und grübelte, bis die Natur ihr Recht verlangte und der Schlaf ihn von neuem übermannte. – –

Trommelrasseln und geller Trompetenton weckten ihn zum zweitenmale. Das war der erwartete Alarm. Sein Bursche stürzte in das Zimmer, um ihm beim Packen des Mantelsacks behilflich zu sein. In sieben Minuten war Fritz marschfertig. Als er vor dem Hause zu Pferde stieg, sah er einen hochgewachsenen Offizier aus der Thür treten, dem er salutierte. Der Offizier sah ihn scharf an und dankte mit lässiger Handbewegung.

Es dämmerte noch. Graublaue Lichter fluteten durch die Straßen, mit goldigen Reflexen gemischt. Der ganze östliche Himmel leuchtete im Frührot. Unaufhörlich erklang der 69 Gleichschritt des Militärs auf dem Pflaster. Die Fenster öffneten sich; neugierige, noch halb verschlafene Gesichter lugten hinaus.

Auf dem Cerro de las Campañas fuhr die Artillerie auf. Dort glitzerten auch die reichen Uniformen der hohen Generalität.

Als Fritz mit seinem Burschen um die nächste Straßenecke bog, um sich auf den Sammelplatz seines Regiments zu begeben, sah er abermals den großen hageren Offizier, der mit ihm in einem Hause gewohnt hatte. Ein Husarenoffizier, eine sehr schöne und stattliche Erscheinung, unter der Ordensreihe auf der Brust auch das Kreuz der französischen Ehrenlegion, ritt neben ihm.

Fritz neigte sich zu seinem Burschen herüber.

»José, mein Junge,« flüsterte er, »sag mir, wer sind die beiden?«

»Oberst Don Miguel Lopez, Señor,« antwortete der Jäger, »der Kommandeur der Kaiserhusaren, und der andre ist der Kapitän Jablonsky vom dritten Linienregiment« . . .

Monate später – zu einer schrecklichen Stunde – sollte Fritz diese beiden unseligen Namen noch einmal nennen hören! – –

Als die Sonne aufging, war die Kolonne bereits in Bewegung. In langer Linie rückte sie über die Brücke des Rio Blanco, die unter den festen Schritten der Tausende leise zu erzittern schien, gen Norden. Denn dort oben im Norden stand der Feind! 70

 


 


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