Joseph Christian von Zedlitz
Waldfräulein
Joseph Christian von Zedlitz

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Vierzehntes Abentheuer.

Wie Waldfräulein beim Einsiedel herbergt.

Es zieht in sicherem Geleite
Die Maid an des Einsiedels Seite
Durch Berg' und Waldeskrümmen hin.
Noch bebt und zittert sie, und lang
Fliegt noch ihr Busen ängstlich, bang;
Doch endlich heitert sich ihr Sinn.
Einsiedet spricht ihr trostreich zu,
Und bringt ihr scheu Gemüth zur Ruh'! –
Waldfräulein fühlt sich neu gestärkt,
Und im gottseligen Gespräche
Sie kaum den rauhen Pfad bemerkt,
Der aus des wald'gen Thales Fläche,
An einem breiten, wilden Bach
Sie aufwärts führet, allgemach,
Ueber Geröll und Steingedräng,
Durch eine Schlucht, den Felsweg eng. –
»Wie dank' ich Euch, ehrwürd'ger Mann,
Daß Ihr in meinen Kümmernissen
Mich aufzurichten so beflissen!«
Spricht sie und blickt gerührt ihn an.
Einsiedel seufzte tief und schwieg,
Das Blut ihm in die Wange stieg! –
Sie gingen weiter, und im Gehn
Waldfräulein hold, bald hier bald da,
Etwas, das sie nicht kannte, sah
Und blieb dabei verweilend stehn;
Frug bald um dieß, frug bald um das,
Bald war's ein Blümlein, bald ein Gras;
Des Wissens hatte sie Begehr,
Und frug so immer mehr und mehr;
Und ihre Sprache wie Gesang
Einsiedel in die Ohren klang!
»Was tönt doch Eurer Stimme Laut
So lieblich, Jungfrau, und so traut!«
Waldfräulein drauf: »Ihr scherzt fürwahr,
Die Eure klingt noch eins so klar;
Wie sich die Honigwab' ergießt,
Die fromme Lehr' vom Mund Euch fließt!«
Der fromme Mann beschämet spricht:
»Mein Wort ist ungelehrt und schlicht!« –

So klimmten sie am Waldstrom fort!
Stets wonnevoller ward der Ort;
Die Felsen schlossen dicht und dichter
Zusammen sich; die farb'gen Lichter
Spielten in bunten Flimmern drein,
Durch dunkles Laub, durch wild Gestein;
Und immer schwoll das Wasser mehr,
Und immer lauter schoß es her,
Und stäubt mit Diamantenglanz
In wildem immer wild'rem Tanz;
Und wie sie gehn noch wenig Schritte,
Da stehn sie in der Felsschlucht Mitte,
Und steil herab den Flutenschwall
Stürzt, donnergleich, der Wasserfall,
Und füllt des Felsenbeckens Raum
Mit weißem Perlengischt und Schaum;
Und in den Wasserstaub hinein
Fällt licht der Sonnenstrahlen Schein,
Daß, eine Brücke, drüber hin
Zwei farb'ge Regenbogen ziehn! –
Waldfräulein überwältigt ganz
Von dieser hehren Wunder Glanz,
In neuem staunenden Entzücken
Weiß ihre Lust nicht auszudrücken;
Hält sprachlos fest Einsiedels Hand
Und blickt hin nach der Felsenwand,
Von der der Lichtschaum bis zum Grund
Hinabstürzt aus dem schwarzen Schlund,
Und, wie das Becken überfließt,
Ein wilder Strom in's Thal sich gießt! –
Einsiedel, in Gedanken, spielt
Sanft mit dem Händchen, das er hielt,
Läßt einen Finger nach dem andern
Betrachtend durch die seinen wandern,
Bewundernd, wie sie glatt und zart,
Indeß die seinen rauh und hart. –
Waldfräulein endlich zu ihm spricht:
»Wie seid Ihr so in Euch versunken,
Indeß ich vor Entzücken trunken? –
Man sieht Euch, frommer Vater, an,
Daß Ihr das Ird'sche abgethan,
Nach jenseits nur den Blick gericht't!
Euch kümmert wenig mehr die Welt,
Ihr habt auf dort den Sinn gestellt.« –
Einsiedel auf Waldfräulein sieht,
Und nicht des Weges, den er zieht,
Und weil ein Baum lag über Quer,
Er gleitend bald gefallen wär'! –

Waldfräulein, die sich noch nicht satt
Am Wassersturz gesehen hat,
Möcht' gerne hier noch länger weilen;
Einsiedel aber mahnt zu eilen:
»Wir haben noch ein weit Stück Weg,
Und nirgend wo getriebnen Steg;
Beschwerlich ist es hier zu steigen,
Auch wird sich bald die Sonne neigen!
Der Weg ist rauh, o Jungfrau huldig,
Doch stützet Euch auf mich geduldig,
Ich leit' Euch, seid drum ohne Sorgen,
Zu meiner Klause wohlgeborgen.
Ein schlechtes Dach für solchen Gast,
Doch räum' ich sie Euch gern zur Rast!
Ich halt' indeß in warmer Nacht
Da draußen eine fromme Wacht;
Betrachtend, wie die Sterne gehn,
Und sich in ew'gen Kreisen drehn;
Wie sich in jenem goldnen Reigen
Die Allmacht wollt' so herrlich zeigen,
Daß nie an dieser Bilder Schein
Das Auge mag gesättigt sein;
Der Mensch in ihrem tiefsten Wesen
Von Neuem fort und fort möcht' lesen;
Die räthselvolle Zeichenschrift
Nach wahrem Sinne möchte deuten;
Den Hirten sehn der ew'gen Trift
Mit goldnem Stab die Heerde leiten!«

Indeß Einsiedel also spricht,
Vergißt er nicht des Führers Pflicht;
Und wo von Steinen eingeengt
Der Pfad, das Dorngebüsch gedrängt,
Bricht er der Jungfrau eine Bahn,
Leitet sie das Geröll hinan –
Faßt bald die Hand und bald den Arm,
Muß sie bald stützen und bald heben,
Muß halten ihren Leib umfaßt;
Und wie er hält die holde Last,
Fühlt er der sanften Glieder Beben,
Und ihren Athem fächeln warm!
Einsiedel seufzte tief und schwieg,
Das Blut ihm in die Wange stieg! –
Und in Gesprächen mancherlei
Kam so des Weges End' herbei;
Waldfräulein that von ihrem Herzen,
Von ihrem Gram und Liebesschmerzen,
Ablegen ihm aufricht'ge Beicht',
Zu machen ihren Busen leicht.
Und als sie dacht' der Zeit zurück,
Da rief sie mit verklärtem Blick:
»Ich habe viel seither gelitten,
Mit Elend und mit Noth gestritten;
Und sah, zu enden meine Pein,
Nicht Rettung, als im Tod allein;
Und doch, wenn ich an ihn gedenke,
Mich in sein wonnig Bild versenke,
In seines Blickes Ewigkeit,
Und denk' der Worte, die er sprach,
Als ich in seinen Armen lag,
Und wie mir seiner Stimme Klang,
Bis in die tiefste Seele drang,
Ein Zauber mich bezwang, mit Schweigen
Zu werden seinem Willen eigen –
Dann dünkt für diese Seligkeit
Jedweder Preis mir nur gering,
Und in der Schöpfung weitem Ring
Nur noch ein Wunsch, ein Glück allein:
In seiner Arme Haft zu sein!«

Einsiedel in der Wüstenei
Wußte noch nicht, was Liebe sei;
Doch wie er so die Maid gewahrt,
In seliger Begeist'rung ganz,
Schwimmend ihr Aug' im feuchten Glanz;
Sah, wie ihr purpurn von der Wang'
Ein tiefes Roth zum Nacken drang, –
Da, in den Rosen dieser Wangen,
Schien ihm itzt von der Liebe Art
Ein leises Ahnen aufgegangen!
Er fühlt's in seinen Adern kochen,
Das Herz laut an die Rippen pochen,
Ihm war in seinem Haupt zu Sinn,
Als schwärm' ein Immenstock darin! –
Wie sie bald rastend stille stehn,
Bald wieder rüst'gen Schrittes gehn,
Sind endlich sie gelangt zur Stelle
Und standen vor der stillen Zelle. –
Am stillsten Ort im ganzen Wald
War des Einsiedels Aufenthalt.
An eines kleinen Brünnleins Rand,
Von Holze roh gezimmert, stand
Die Klaus', acht Schuh kaum im Geviert,
Mit Geisblatt ihre Wand geziert.
Und auf dem Dach ein Glöcklein klein,
Das tönt mit heller Summe fein,
Daß es weit in die Ferne drang,
Wenn Sonntags froh anzog den Strang
Einsiedel – durch sein frommes Läuten –
Ob's selten auch ein Ohr vernahm,
Da Niemand in die Oede kam,
Den Tag des Herren anzudeuten!
Im engen Raum der Klause steht
Ein Schrein und Schemel zum Gebet;
Kein Hausrath sonst, und nur von Heu,
Statt allem Bett, lag frische Streu.
Ein Teller, Becher, irdner Krug,
Schien des Geschirres schon genug! –

Eh in die Klause, eng und klein,
Einsiedel führt die Jungfrau ein,
Hieß er sie ruhen auf der Bank,
Unter des Geisblatts duft'ger Rank',
Daß sich die zarte, wegesmatt,
Erst kärglich stärk', und esse satt.
Bringt Brod und Milch, und Honig her,
Stellt vor sie hin die rothe Beer',
Und sieht mit stillem Wohlgefallen
Sie essen von den Gaben allen.
Einsiedel mit Gesprächen würzt
Das Mahl, und ihr die Zeit verkürzt!
Ihm schien, es sei ein selig Leben
Zu zween in Gottesfurcht zu weben! –
So kam die Nacht herbei gemach.
Einsiedel zu der Jungfrau sprach:
»Geht ein mit Gott, habt gute Ruh,
Schließ' Euch der Schlaf die Augen zu;
Macht's Euch, so gut Ihr könnt, bequem,
Ich meine Stätt' hier außen nehm!
Und rufen Euch die Vöglein wach,
Dann führ' ich morgen aus dem Wald
Euch auf den freien Heerweg bald!«
So schlief Waldfräulein in der Zelle,
Einsiedel wachte auf der Schwelle! –

Sein heißes Auge floh der Schlaf?
Was ist's, das seine Seele traf?
Was treibt ihn aus des Gleichmuths Bahn
Und facht den Sturm im Busen an?
Wie ist selbst über diesen Frommen
Der innre Krieg und Zwiespalt kommen?
Er möchte sammeln seinen Geist,
Möcht' in Betrachtung sich versenken,
Die Herrlichkeit der Nacht bedenken; –
Vergebens! immer wieder ziehn
Zur Klaus' ihn dunkle Wünsche hin,
Und wie er wandelnd geht und denkt,
Er stets zum offnen Fenster lenkt!
Es warf des Mondes hellster Schein
Den Strahl grad in die Zell' hinein,
Und überdeckt mit seinem Licht
Waldfräuleins selig Angesicht! –
Wie sie in sanftem Schlummer liegt,
Den Fuß sie etwas vorwärts biegt;
Einsiedel kommt, und geht, und blickt,
Bleibt endlich stehn und ruft entzückt:
»Wie zierlich hat des Herren Gnade
Geformt doch dieser Jungfrau Wade!« –

Je mehr auf den viel lieben Gast
Sein Aug' betrachtend ruht, erfaßt
Ein stumm Entzücken ihn, die Brust
Durchflutet unbekannte Lust;
Er wußte nicht wie ihm geschah,
Ihm däucht, er sei dem Sterben nah,
Und zu ihm komm' ein lichtes Schemen,
Um seine Seele heim zu nehmen;
Es sei die Welt um ihn zerstoben,
Und von den Engelschaaren droben
Der schönste zu ihm abgesandt,
Zu leiten ihn an seiner Hand,
Nachdem das ird'sche Sein zerronnen,
Ihm aufzuthun das Land der Wonnen! –
Und langsam kehrt er um und sinnt,
Setzt sich dann, wo das Brünnlein rinnt,
Und thut ein fromm Gebet dem Herrn,
Zu halten die Versuchung fern!
Und wie er also hat gethan,
Erwartet er des Tages Nahn!


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