Joseph Christian von Zedlitz
Waldfräulein
Joseph Christian von Zedlitz

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Sechstes Abentheuer.

Wie Waldfräulein dienen muß.

Waldfräulein, als Nothburga's Magd,
Hat schwere Zeit, wird viel geplagt;
Bald muß sie jäten in dem Garten,
Bald muß sie sonst der Wirtschaft warten;
Jetzt muß sie Wasser holen gehn,
Dann wieder vor dem Herde stehn;
Muß kochen, backen, nähen, weben.
Den Ferkelchen ihr Futter geben,
Bald wieder melken gehn die Geis;
Bald, auf der Köhlerin Geheiß,
Begann der Kater zu miaun,
Dem garst'gen Thier die Ohren kraun! –
Und was sie that, nichts that sie recht,
Die Alte findet alles schlecht,
Und schilt sie aus den ganzen Tag,
Was sie auch immer schaffen mag.
Waldfräulein hat die beste Zeit,
Führt sie die Ziegen auf die Weid';
Dann in der tiefen Einsamkeit,
Gedenkt sie der Vergangenheit,
Und sein, der jeglichen Gedanken
Allein erfüllet, ohne Schranken;
Mit dessen Geist der ihre schwebt,
Von dessen Athem sie noch lebt! –
»Dies Alles – ruft sie inniglich –
Geliebter Mann, leid' ich für dich!
Und wär's noch mehr, ich trüg' es gern,
O du mein König, du mein Stern!
O daß ich dich erblicken könnt,
O wär' mir einmal nur vergönnt,
Noch meinen Arm um dich zu stricken,
Mein Herz an deines anzudrücken,
Zu fühlen den tief innern Drang,
Der mich bethörte, mich verschlang –
Ich wollte jauchzen, statt zu klagen,
Wollt' alle Wehn der Erd' ertragen!
Ja, hört' ich nur dein trunken Wort,
Sah' ich dein Auge nur, mein Hort,
Ich wollte sein ein selig Weib!
Ich wollt' abhärten meinen Leib;
Nahm', wie das scheue Wild im Wald,
Im Dickicht meinen Aufenthalt;
Wollt ruhen bei den Hirschen schnell;
Von wildem Honig, Wurzeln, Beeren,
Wollt' ich mich kümmerlich ernähren,
Zum Labetrunk den frischen Quell –
Säh' ich nur dich, nur dich, nur dich!
Nähmst du in deine Arme mich,
Und schlügen deiner Minne Flammen
Noch einmal über mir zusammen!« –

Wie so der Wünsche luft'ger Wagen
Von Raum zu Raum, von Stern zu Stern,
Durch alle Himmel sie getragen,
Bis zu des Lichtes tiefstem Kern,
Hört sie von fern Nothburga schrein
»Waldfräulein, treib' die Ziegen ein!«
Da plötzlich sank der Fittig wieder
Vom höchsten Flug zur Erde nieder,
Und vor ihr stand im gröbsten Kleid
Die allerrauhste Wirklichkeit;
Die harte Mühsal Tag um Tag,
Jedweder Stund' absondre Plag! –
»Ist denn kein Ende meiner Pein,
– Ruft sie mit thränenvollem Blick,
Und ist's bestimmt mir vom Geschick,
Daß mit Nothburgen im Verein
Ich meine Tage soll vollbringen?
Nein! nimmermehr! will lieber springen
In tiefsten Abgrunds finstres Grab!«
Beschlossen ist's: sie will entfliehn;
Sie weiß zwar freilich nicht wohin,
Doch ruft ihr Herz mit mächt'gen Schlägen:
»Zu ihm, zu ihm!« ihr laut entgegen!
Und wie sie mit der kleinen Heerd'
Am Abend wieder heimgekehrt,
Der Hahn mit seiner Hühner Schaar
Auf's Holz schon aufgeflogen war,
Sie Alles wie sie sollt' gepflegt,
Den Kater auf das Pfühl gelegt;
Da hing die Alte vor das Thor
Den schweren Bolzen wieder vor,
Und ging in ihre Kammer ein;
Waldfräulein aber blieb allein. –

'S war eine schöne, warme Nacht,
Vom Himmel schien in stiller Pracht
Der Mond durch's offne Fensterlein,
Waldfräulein recht in's Herz hinein;
Und lockend sang in süßem Fall
Ihr Lieblingslied die Nachtigall,
Ausschmetternd aus der kleinen Brust
All ihre Glut und Sommerlust! –
Waldfräulein faßt ein Herz sich kühn!
Sie schleicht vom Lager, heimlich, leise,
Zum Fenster, wo die Bohnen blühn;
Sie steigt hindurch vorsicht'ger Weise.
Zwar ist es klein, doch ist sie schlank.
Schon steht sie draußen auf der Bank
Mit einem Fuß, und zieht gemach
Das andre zarte Füßchen nach –
Jetzt ist sie frei – sie eilt davon! –
Da, plötzlich, wie mit einem Ton,
Wird in dem Hof und unterm Dach
Die ganze kleine Wirtschaft wach!
Es krähet, was er krähen kann,
Zu ungewohnter Zeit der Hahn;
Die Hennen fliegen, aufgeschreckt,
Vom Holz und gackern; meckernd streckt
Die Geis das Ohr; die Zicklein schrein;
Und laut miaut der Kater drein! –

So wird vom Lärm Nothburga wach;
Sie ahnt die Flucht, steht auf, und kaum
Durchschritt die Maid den Wiesenraum,
Springt rüstig ihr die Alte nach;
Und eh' die Jungfrau sich's versah,
Steht sie schon zürnend vor ihr da,
Und schlägt sie tüchtig hinter's Ohr.
»Das nimm für deine Flucht zum Lohn!«
Ruft ihr Nothburga zu mit Hohn –
»Gefällt dir schon mein Dienst nicht mehr?
Mich zu betrügen meinest du?
Mein Kind, damit hat's gute Ruh'.
Drum hüte dich, ich rath' dir gut,
Und laß vergehn dir solchen Muth!« –
So treibt sie scheltend vor sich her
Das arme Kind, das wohl die Flucht
Zum zweitenmale nicht versucht;
Zu Haus hängt sie den Bolzen ein,
Und schließt die Thüre wie zuvor,
Dann kehrt sie in ihr Kämmerlein!
Waldfräulein wünscht in ihrer Noth
Verzweiflungsvoll sich jetzt den Tod!
Doch als sie lang genug geweint,
Daß ein so hartes Loos sie traf,
Für das nicht Trost, nicht Hoffnung scheint,
Kam endlich statt dem Tod – der Schlaf!
Das ist der Jugend beste Gabe,
Daß, was sie auch zu leiden habe,
Was immer auch das Herz ihr quält,
Doch nie deshalb der Schlaf ihr fehlt! –


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