Joseph Christian von Zedlitz
Waldfräulein
Joseph Christian von Zedlitz

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Drittes Abentheuer.

Wie Waldfräulein schläft und die Fee erscheint.

So lebt am abgeschiednen Ort
Waldfräulein zwar vergnüglich fort,
Doch wie der Saft im Rebstock kreist,
So innen emsig wirkt der Geist.
Das ist die Zeit, wo die Natur
Einhergeht auf der Liebe Spur;
Wo, jede Hülle weggeweht,
Die Erd' im Brautgewande steht;
Geheimnißvoller Zauber webt,
Verwandtes zu Verwandtem strebt,
Und neue Kraft und neues Leben
Jedweder Kreatur gegeben! –
Der Heuschreck in dem Halmen hüpft,
Die Eidechs durch die Gräser schlüpft;
Durchzuckt vom Liebesstrahl der Sonne
Erschleußt der Kelche duft'ger Schooß
In Wald und Feld die Blumenwonne!
Es regt sich Lust im kleinsten Moos,
Die Quelle singt ihr Murmellied,
Das Fischlein nach dem Fischlein zieht;
Die Stute läßt die Weid' am Bach
Und eilt zum kühlen Waldesdach;
Sie sucht der Hengst, und wiehert laut,
Und hebt den stolzen Hals und schaut,
Und scharrt den Grund, und streckt den Schweif,
Und lauscht, und hält die Ohren steif
Und hoch die Nüstern in der Luft,
Und flüchtig über Strauch und Kluft,
Gleich wie der Sturm ohn' Aufenthalt,
Jagt hin das edle Roß zum Wald! –
So überall vom Halm zur Eiche,
In der Natur gesammtem Reiche,
Im Felde, wo die Lerchen steigen,
In allen Büschen, allen Zweigen,
Singt es der Vögel lauter Chor,
Ruft es der Quell dem Hain in's Ohr,
Der Wind dem Felsen es erzählt,
Daß Lenz der Erde sich vermählt!

Dieß ist die Zeit, wo die Natur
Einhergeht auf der Liebe Spur!

Waldfräulein fühlt's wie Lenzesdrängen! –
In ihres Busens stillen Engen
Schlägt bald das junge Herze laut,
Das Auge bald voll Wehmuth schaut;
Die Wange glüht; der Sehnsucht Brand –
Sie hat ihn nie zuvor gekannt!
Sie weiß nicht, was sie seufzen macht,
Sie will nicht, sträubt sich, singt und lacht –
Da fühlt sie in der Wimper schwer
Die erste Thrän' – o sagt woher?
Der Saft ist's, der der Reb' enttropft,
Wenn Lenzglut ihr im Herzen klopft;
Es ist die Zeit, wo die Natur
Einhergeht auf der Liebe Spur! –

Und wo am einsamsten der Forst,
Am dichtesten, und Alles stumm,
Kein Laut gehört wird rings herum,
Als wenn, umkreisend seinen Horst
Der Adler schreit aus hoher Luft
Und heisern Tons die Gattin ruft, –
Da weilt sie jetzt am meisten fast,
Da ist Waldfräuleins liebste Rast.
Dort sitzt sie still, blickt vor sich hin
Und seufzt, und denkt in ihrem Sinn:
Die Adler dort, sie sind zu Zwei'n,
Warum bin denn nur ich allein? –
Und als sie einst so in Gedanken,
Die Wimpern langsam niedersanken;
Die Augen fallen zu, geschlossen,
Die Glieder ruhen schlafumflossen! –
Sie schlummert sanft – da, horch! – ein Klingen,
Als hörte man die Engel singen,
Als tönten Harfen in der Luft;
Rings hauchen Rosen ihren Duft,
Die Silberquellen springen leuchtend,
Das Moos mit Demantregen feuchtend,
Und ziehn durch Blumenwiesen Kreise,
Anmuthig rieselnd, holderweise.
Zum Garten wird die Wildniß rund;
In Baumesgipfeln girren Tauben,
Die blüh'nden Ranken winden bunt
Sich um die frisch entsproßten Lauben,
Aus denen süß die Nachtigallen,
Die kleinen Frühlingsorgeln, schallen.
Und sieh! die mächt'gen Felsen spalten
Geheimnißvoller Macht Gewalten;
Sie sinken hin von beiden Seiten,
Zu goldnem Saale sich zu breiten;
Und licht strahlt auf der Marmorschwelle
Die Spessartfee, in Sonnenhelle! –
Es blendet selbst den Schlaf die Pracht!
Waldfräulein regt sich und erwacht;
Die sich auf kühlen Grund gestreckt,
Sieht, daß jetzt Sammt ihr Lager deckt,
Daß Blumen sich zum Baldachin
Ob ihrem Haupte wölbend ziehn.
Sie bebt! Da naht die Fee und spricht:
»Mein trautes Kind, erschrecke nicht!
Heut eben sind es sechzehn Jahr,
Seit in dem Grab, die dich gebar,
Seit schirmend dich mein Dach gehegt,
Dich mütterlich mein Herz gepflegt.
Zeit ist's, daß von der Mutter Loos
Dir Kunde werde, nun du groß!«
So nun die ganze Herzensnoth,
Der Mutter Gram und bittern Tod,
Und wie die Lieb' ihr bracht' Verderben
Und zeitig sie dem Grab vermählt,
Die gute Fee der Maid erzählt;
Auch läßt sie sie ein Zeichen erben;
Und jenen Goldschuh, den sie fand
Am Fuß der Todten, als der zweite
Dem Wolf geworden war zur Beute,
Sie um den Hals der Tochter band.
»Nimm, sprach sie, nimm ihn wohl in Acht!
So lang' du dieses Kleinod pflegst,
Niemanden giebst, nie von dir legst,
Hat Liebe über dich nicht Macht.
So lang' der Schuh dein eigen ist,
Wenn du mich rufst, wo ich auch sei,
Komm ich zu deiner Hilf' herbei;
Doch wird er je von dir vermißt,
Dann sind geschieden wir für immer;
Wie du auch rufst, du siehst mich nimmer;
Denn mit dem Schuhe kam und schwindet
Der Einfluß, der mich dir verbindet! –
Drum wahr' ihn wie dein Augenlicht,
Und wachend, schlafend, lass' ihn nicht!
Und thust du nicht nach dem Gebot,
Und wirst umstrickt von Liebesgarnen,
Trägst selbst die Schuld du deiner Noth;
Laß dich der Mutter Beispiel warnen!« –

Und unter Thränen, heißen, herben,
Vernahm Waldfräulein diese Mähr,
Was Liebe für ein Unglück wär'!
Noch unbekannt mit ihren Thaten,
Könnt' sie es nimmermehr errathen.
»O sag mir – schluchzte sie – ich fleh',
Was ist denn Liebe für ein Weh'?«
Die Fee darauf: »Mein liebes Kind,
Du lernst es wohl noch zu geschwind!
Lieb' ist ein Feuer, das den Herd
Sogar, auf dem es brennt, verzehrt;
Lieb' ist ein Giftkraut: wer es ißt,
Dem bald der Gram das Herz zerfrißt;
Lieb' ist ein Ungethüm, das gleißt,
Und schnell den, der ihm naht, zerreißt. –
Erschrecke nicht, versteh' mich recht:
Nicht alle Liebe, Kind, ist schlecht!
Die ächte Lieb', o Töchterlein,
Ist wolkenloser Himmelsschein,
Ist Rosenduft und Rosenglanz,
Ist aller Freuden lichter Kranz,
Ist aller Wonnen Blüthezeit,
Ist Seel'- und Leibesherrlichkeit!
Wohl kommt die Zeit, wenn meine Hand
Dir knüpfen wird das Liebesband.
Ein Jahr lang dauert dieser Bann;
Sobald sein letzter Tag verrann,
Und du gethan, wie ich befahl,
Erschein' ich dir zum zweitenmal;
Nicht ich allein: ich führe dann
Dir selber zu den schönsten Mann.
Drum geh' nicht nach der schlechten aus,
Die ächte Lieb' steht dir in's Haus« –
Waldfräulein will sich neigen tief –
Da sieh – zerrinnt die Fee in Luft;
Vorbei der Spuk, wie Nebelduft;
Sie ist am Ort, wo sie entschlief;
Die erst die Sinne ihr gebunden,
Die Zauber alle sind entschwunden;
Sie aber steht und denkt dem nach,
Was eben erst die Fee versprach.
»Ach – seufzt sie – steht mir Lieb' in's Haus,
Bleib sie nur nicht zu lang' mir aus!« –
Und findet ihr es nicht gescheit,
Daß von der Liebe vor der Zeit
Die Fee geschwatzt, mich geht's nichts an!
Der Maid sogleich den rechten Mann
Zu zeigen, statt in schlechten Bildern
Ihr Liebeslust und Weh zu schildern,
Wär' klüger wohl! – Fragt ihr, warum
Sie's nicht gethan, scheltet sie d'rum, –
Kann ich euch drauf nicht Antwort sagen;
Genug – so hat sich's zugetragen! –


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