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IX.

Während sich diese Komödie zwischen den drei Beteiligten abspielte, empfing der Hausherr im Laboratorium den Besuch seines Freundes Linder. Die Nervosität und Rastlosigkeit, die der junge Rechtsanwalt schon letzthin an den Tag gelegt, schienen inzwischen noch eine erhebliche Steigerung erfahren zu haben.

Nachdem er Steinbach flüchtig einen »guten Morgen« gewünscht, fuhr er ihn ohne weiteres, seine Worte mit heftigen Gestikulationen begleitend, aufgeregt an: »Hör mal, Du bist mir ein netter Freund! Ich beschwöre Dich gestern mit aller Dringlichkeit, zur Adolfi zu gehen und mein Tagebuch von ihr zurückzufordern. Natürlich wage ich mich keinen Schritt aus dem Hause, ich sitze wie auf Kohlen und warte, denkend: Jetzt kommt er, jetzt bringt er es Dir!«

»Was soll ich Dir bringen?« fragte der Chemiker, der nur zerstreut zugehört hatte, denn die Sorge um Mila beschäftigte ihn innerlich.

»Mein Tagebuch!« schrie Linder ärgerlich. »Was denn sonst! Her damit! Wo hast Du's?«

»Dein Tagebuch? – O – weh!« Steinbach kratzte sich hinter den Ohren. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht.

»Wie?« fuhr der Rechtsanwalt erschreckt auf.

»Armer Freund!« Der Sprechende zeigte eine Miene des Bedauerns, die des andern Ärger immer mehr entflammte.

»Mensch! Mache mich nicht rasend mit Deinem Leichenbittergesicht!« rief er zornig. »Hat sie Dir das Buch etwa verweigert?«

Steinbach schüttelte mit dem Kopf.

»Nicht? Ja warum hast Du's denn nicht? Oder hast Du's doch?« Er packte den Freund mit beiden Händen an den Schultern und rüttelte ihn heftig. »So sprich doch!«

»Ich bin ja noch gar nicht bei ihr gewesen,« gestand der Chemiker kleinlaut.

»Nicht – bei ihr?« Linder taumelte entsetzt ein paar Schritte zurück. Dann erhob er pathetisch die Hände. »Es giebt keine Freunde mehr!«

»Du thust mir Unrecht,« verteidigte sich Steinbach. »Wüßtest Du nur –! Doch davon ein andermal!« Es widerstrebte ihm, von dem, was sich seit gestern zwischen ihm und seiner Frau abgespielt, dem Freunde Mitteilung zu machen.

Linder fuhr wie ein Verzweifelter im Zimmer umher. »O – oh!« stöhnte er. »Vielleicht ist das Unglücksbuch längst in Elses Händen!«

»Unsinn!« bemühte sich der Chemiker, den geknickten Freund wieder aufzurichten. »Ich bin überzeugt, die Adolfi denkt an die dumme Geschichte gar nicht mehr. Ich an Deiner Stelle würde die Sache ruhig auf sich beruhen lassen.«

»Auf sich!« Der Rechtsanwalt lachte bitter auf. »Denkst Du, ich könnte noch eine ruhige Stunde haben in dieser furchtbaren Ungewißheit, in der beständigen Angst – ewig dieses dräuende Damoklesschwert über dem Haupte? Gewißheit muß ich haben, Gewißheit!«

Steinbach stand auf und sah nach der Uhr. »Nun, dann giebt's nur ein Mittel,« erklärte er resigniert.

»Und das wäre?«

»In einer Viertelstunde geht der Kourierzug, mit dem die Adolfi nach Berlin zurückkehrt. Wenn wir uns beeilen, treffen wir sie noch. Am besten, Du stellst sie in meiner Gegenwart selbst zur Rede – auf dem Bahnhof kann sie Dir nicht ausweichen.«

Linder ergriff den Vorschlag des Freundes mit der krampfhaften Entschlossenheit eines zum Tode Verurteilten, der einen Weg zur Rettung sieht.

»Komm!« rief er ungestüm, und stürmte zur Thür. »Haben muß ich das Buch, wenn nicht mit Güte, so mit Gewalt!«

*

Nachdem Oswald Kramm das Haus verlassen, um zur Publizierung seiner Verlobung in die Druckerei des »Anzeiger« zu eilen, hatte sich die glückliche Braut in die Einsamkeit ihres Zimmers zurückgezogen, um sich ungestört mit geschäftiger Phantasie in die süßesten Zukunftsträume zu versenken. Braut – welche Seligkeit! Junge Frau aber –: der Gipfel des Glücks! –

Frau Mila saß in ihrem Salon. Die Ereignisse der letzten Stunden hatten sie zum Nachdenken angeregt. Sie erinnerte sich der eigenen Brautzeit, der köstlichen Zeit ihrer jungen Liebe: des Sehnens und Verlangens, des Suchens und Findens. Das Herz wurde ihr warm, eine weiche Stimmung überkam sie, die Sehnsucht nach dem Anblick des geliebten Mannes, nach seinem Händedruck, nach seinem Kusse.

Schon hatte sie sich erhoben, da glitt es wie ein Schatten über ihre noch eben schwärmerisch verklärten Züge. Hatten sie sich nicht erzürnt? War es nicht seine Pflicht, diesmal den ersten Schritt zu thun? Hatte sie nicht allen Grund, ihm böse zu sein? Abscheulich war er gegen sie gewesen, herzlos. Er hatte ein Geheimnis vor ihr. Was für ein Geheimnis?

Das Mißtrauen fraß sich von neuem in ihre Seele. Vielleicht war das nur ein Vorwand gewesen, der dazu dienen sollte, ihren Verdacht einzuschläfern.

Was hatte er bei der Schauspielerin zu thun? Gewiß war sie nicht besser, als alle diese Komödiantinnen, die sicherlich nicht ohne Grund in dem Verdacht des Leichtsinns und der Frivolität standen.

Hatte nicht Else sie gewarnt? Hatte sie ihr nicht zugeflüstert, vor der Adolfi auf der Hut zu sein? Was bedeutete das? Wenn sie nur etwas Genaueres wüßte! Wenn sie Else fragen könnte – – –?

Es war, als wenn der Gott des Zufalls Mitleid mit den Qualen der von innerer Unruhe und Eifersucht Verzehrten habe, denn gerade in diesem Augenblick klopfte es an der Thür und gleich darauf trat Else Willbrand hastigen Schrittes und mit andern äußeren Zeichen einer ungewöhnlichen Erregung in das Zimmer. Sie umarmte die ihr entgegen Eilende stumm und brach dann in den ungestümen Ausruf aus: »O Mila, Mila, ich bin außer mir, ich bin sehr – sehr unglücklich!«

Frau Mila umfaßte die Aufgeregte sanft und zog sie neben sich auf das Sofa. »Was hast Du denn?« fragte sie teilnehmend. »Erzähle!«

»Denke Dir«, stieß Else leidenschaftlich hervor, der Freundin beide Hände fassend, »Kurt ist gestern wieder nicht bei uns gewesen: das ist nun schon der vierte Tag!«

»Aber er wird zu thun haben«, entgegnete Frau Mila zerstreut, denn die eigene Sorge ging ihr im Kopf herum.

»Zu thun? Wenn er eine Braut hat! Giebt es da etwas Wichtigeres – –? Wenigstens des Abends hätte er doch kommen können.«

»Freilich, des Abends.«

Else Willbrand zupfte nervös an den Bändern ihres Kapothütchens. »Ich weiß, wo er seine freie Zeit zubringt«, erklärte sie.

»So? Wo denn?«

»Im weißen Schwan.« Sie legte einen besonderen höhnischen Nachdruck auf diese Worte.

Frau Mila aber blickte die Aufgeregte verständnislos an. »Im weißen Schwan?« erkundigte sie sich. »Was macht er denn da?«

»Ahnst Du denn nicht!« rief die andere ungeduldig und heftig. »Merkst Du denn nicht?«

»Nicht das geringste.«

»Im weißen Schwan wohnt die Adolfi!«

»Ah!« Die junge Frau richtete sich stark interessiert auf. »Und Du meinst –?« forschte sie, zitternd vor Erwartung.

»Ich meine – nein, ich weiß es, ganz gewiß weiß ich es«, erklärte Else mit energischem Kopfnicken.

Frau Mila atmete unwillkürlich auf. Also Linder war es! Und so hatte ihr also Arno doch nicht die Unwahrheit gesagt, als er behauptete, daß er in der Angelegenheit eines anderen – – »Du, das ist mir sehr lieb!« entfuhr es ihr unwillkürlich, während ihre Augen freudig aufleuchteten.

»Wie?« machte die andere erstaunt.

»Ich meine«, verbesserte sich die junge Frau verwirrt, »ich wollte sagen: es ist doch gut, daß die Adolfi schon wieder abreist.«

Else zuckte mir trüber Miene die Achseln. »Was nützt mir das? Mit dem Stachel in der Seele kann ich doch nie wieder froh werden.«

»Du glaubst also wirklich –?«

»Daß Kurt ihr nahe gestanden während seiner Berliner Zeit.«

Frau Mila lächelte. Also nur auf die Vergangenheit war Else eifersüchtig.

»Aber damals kannte er Dich ja noch gar nicht, Du Närrchen!« rief sie, Elses Schulter zärtlich umfassend und ihr mit der andern Hand das auf die Brust gesunkene Kinn wieder aufrichtend.

Das junge Mädchen aber wies den dargebotenen Trost entschieden zurück. »Was nützt mir das?« erwiderte sie heftig. »Meinst Du, ich hätte den Ehrgeiz, Fräulein Adolfis Nachfolgerin zu werden?«

Frau Mila schüttelte mißbilligend den Kopf. Sie nahm eine straffe Haltung an und steckte eine wichtige Miene auf. »Weißt Du, Else«, belehrte sie die unverheiratete Freundin mit der ganzen Überlegenheit einer jungen Frau, »was seine Vergangenheit anbetrifft, da hast Du eigentlich gar kein Recht –«

»Kein Recht?« Die Sprechende schlug in staunender Entrüstung die Hände zusammen. »Erlaube mal«, protestierte sie, indem sie sich kerzengerade aufrichtete: »Du kennst meine Grundsätze. Ich wundere mich nur, daß Du –«

Frau Mila schlug die Augen vor dem vorwurfsvoll auf sie gerichteten Blick der Freundin nieder. Dann ergriff sie plötzlich deren beide Hände und sagte: »Liebe Else, ich will Dir ein Geständnis machen.«

»Ein Geständnis?«

»Höre nur: Es war im ersten Jahre meiner Ehe, als ich eines Tages im Schreibtisch meines Mannes kramte –«

»Aha!« Das junge Mädchen lächelte mokant.

»Du mußt nicht denken«, verteidigte sich die junge Frau lebhaft, »daß ich neugierig war. Gott bewahre!«

Else Willbrand unterbrach die Sprechende ungeduldig. »Du kramtest also und fandest –?«

»Die Photographie eines jungen Mädchens.«

»Ah!« Das Interesse der Zuhörenden wurde durch die letzte Mitteilung in hohem Grade angefacht. »Du, wie sah sie aus?« forschte sie neugierig, indem sie ganz dicht an die Freundin heranrückte.

»Hübsch! Sehr hübsch, so hübsch, daß –«

»Daß Du eifersüchtig wurdest.«

»Ja. Und als Arno nach Hause kam –«

»Da stelltest Du ihn zur Rede!« vollendete Else Willbrand energisch.

Die junge Frau nickte. In des jungen Mädchens Antlitz prägte sich ein Zug unendlicher Geringschätzung aus.

»Er leugnete natürlich alles!« forschte sie weiter.

»Gar nichts leugnete er. Er lachte –«

»Wie?«

»Und sagte: Das war ein früherer Schatz von mir.«

Else Willbrand war starr. »Ein Schatz?« entrang es sich in tiefster Entrüstung ihren Lippen. Dann sprang sie hastig auf. »Aber das ist ja – empörend ist das!« rief sie, den in ihr arbeitenden Gefühlen durch lebhaftes Auf- und Abgehen Luft machend.

»Das sagte auch ich ihm«, fuhr die junge Frau in ihrem Bericht fort. »Er aber lachte mich aus und rief: Das war vor Deiner Zeit, das geht Dich nichts an!«

»Und Du?« Das junge Mädchen blieb vor der Erzählenden stehen und blickte ihr erwartungsvoll ins Gesicht.

»Ich? Ich ging zu meiner Mutter.«

Else Willbrand nickte energisch.

»Und erzählte ihr alles.«

»Das war recht«, pflichtete Else bei. »Und Deine Mutter?«

»Faßte mich an der Hand und führte mich wieder zu Arno zurück.«

Das junge Mädchen machte ein Gesicht, als erblicke sie plötzlich etwas ganz Ungewöhnliches, noch nie Dagewesenes.

»Führte Dich –?« stammelte sie mechanisch.

»Führte mich wieder zu Arno zurück«, bestätigte Frau Mila resigniert.

Else Willbrand setzte sich, wie betäubt von dem Gehörten. »So ohne weiteres?« fragte sie.

»Wir hatten vorher noch eine lange Auseinandersetzung.«

»Du und Deine Mutter?«

»Ja. Sie sagte mir: Kind, die Erfahrung, die Du gemacht hast, die machen alle Frauen.«

Das junge Mädchen erhob entsetzt die Hände. »Alle?«

Frau Mila nickte bejahend. »Alle«, erklärte sie, »oder doch fast alle. Und wenn mal eine Frau wirklich diese Erfahrung nicht macht – so sagte Mama –, so hat sie gar keinen Grund, auf ihren Mann stolz zu sein.«

Else Willbrands Empörung flammte von neuem auf. »Keinen Grund?« rief sie, bebend vor Ärger und Enttäuschung.

»Nein! Denn ein Mann, der vor seiner Ehe noch nie geliebt worden, müßte doch ein rechter Stockfisch sein.«

»Ein Stockfisch?«

»Ein Stockfisch«, bejahte die junge Frau mit vieler Bestimmtheit.

Das junge Mädchen sprang von neuem auf und packte die Freundin erregt an beiden Schultern.

»Und Du – Du?«

»Ich?« Frau Mila zuckte mit den Achseln. »Ich habe eingesehen«, gestand sie mit ruhigem Lächeln, »daß Mama recht hat.«

Else Willbrand ließ die Freundin entrüstet los und trat tief verstimmt an das Fenster. Die unerwarteten Geständnisse Milas versetzten sie in eine ungeheure Erregung, wühlten ihre Seele von Grund aus auf. Verschiedenartige, einander widerstreitende Empfindungen und Gedanken rangen in ihr um die Oberhand. Das, was ihr bis dahin als etwas Heiliges, Unantastbares gegolten, sah sie durch die Mitteilungen der Freundin in den Staub gezogen. Die süßeste, die stolzeste, die reinste Illusion ihres Mädchenherzens sollte sie aufgeben? Und daß gerade Mila es war, die solches von ihr forderte, die bewunderte, ältere Freundin, zu der sie immer wie zu einem nachahmungswerten Vorbild, zu einem Muster aller Frauentugenden hinaufgeblickt?!

Sie preßte stöhnend die Hände gegen die schmerzende Stirn. Wie ein Labyrinth lag die Zukunft vor ihr. Wie sollte sie sich zurechtfinden in dem Chaos der auf sie eindringenden Gefühle und Ideen? Wer hatte recht, wem sollte sie folgen: dem berühmten Dichter, der in seiner Svava ein bewundernswertes Idealbild geschaffen, dem, wie sie bis zum heutigen Tage gemeint, jedes andere junge Mädchen nachzustreben die Pflicht habe, oder der Freundin, die aus eigener Erfahrung heraus sprach und sich ihre Anschauungen und Grundsätze aus der Praxis des Lebens geschöpft hatte?

Noch ehe sie zu irgend einer klaren, bestimmten Ansicht gelangen konnte, veranlaßte ein Geräusch sie, sich umzuwenden. Das Stubenmädchen des Steinbachschen Hauses war in das Zimmer getreten. In der Hand trug sie einen nicht gerade umfangreichen, in Papier gehüllten Gegenstand.

»Nun, was haben Sie, Bertha?« redete Frau Mila, ärgerlich über die Störung, die Eintretende an.

»Ein Paket, das soeben für den Herrn abgegeben wurde«, meldete das Mädchen.

»Wer brachte es?«

»Ein Hoteldiener vom weißen Schwan.«

Ein doppelter, a tempo ausgestoßener Schrei folgte dieser Auskunft. Gleichzeitig stürzten Frau Mila und Else Willbrand zu dem ganz erschreckt dastehenden Mädchen hin und packten mit beiden Händen jede ein Teil des geheimnisvollen, aus dem »weißen Schwan« kommenden Etwas.

Das Mädchen ließ das Paket fahren und machte sich verwundert und bestürzt davon.

»Gieb!« rief Mila und versuchte der Freundin das Paket zu entwinden.

»Nein, gieb mir!« beharrte diese hartnäckig. Da das Paket aus dem »weißen Schwan« kam, so konnte es nur von der Adolfi herrühren, und wenn die Adolfi irgend etwas an Steinbach gelangen ließ, so ging das sicherlich seinen Freund Linder mehr an, als den Empfänger selbst.

»Aber es ist an meinen Mann!« – wandte Frau Mila ein.

Dieser Hinweis, noch mehr der Ton, in welchem er gegeben wurde, genügte. Else Willbrand zog ihre Hände zurück.

»Du wirst es doch öffnen?« fragte sie mit ängstlich forschendem Blick.

»Natürlich!«

Es kam Frau Mila gar nicht einmal in den Sinn, ihr Verlangen, zu erfahren, was man aus dem »weißen Schwan« ihrem Gatten mitzuteilen habe, zu unterdrücken. Ein paar Funken des Argwohns glimmten immer noch leise in ihrer Seele. Jedenfalls glaubte sie, hier ein Mittel in der Hand zu haben, sich zu vergewissern, ob ihre Eifersucht gegen die Schauspielerin berechtigt gewesen oder nicht.

Nachdem sie die Umhüllung mit flinken Fingern entfernt hatte, hielt sie ein Buch in der Hand. Sie machte eine ziemlich enttäuschte Miene. Else Willbrand aber schlug sehr neugierig den Deckel auf.

»Da liegt ja ein Brief darin!« rief sie, stark interessiert, aus.

Während nun Frau Mila, ebenfalls neugierig geworden, das Schreiben entfaltete, blickte ihr Else voll Eifer über die Schulter.

Frau Mila las:

»Herrn Direktor Steinbach.

Mein Herr!

Ich bedaure lebhaft, mich in Ihnen getäuscht zu haben. Gestatten Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß es nicht gerade höflich ist, eine Dame ohne jede Entschuldigung vergebens auf sich warten zu lassen. Wenn ich nun trotz Ihres mir gestern bewiesenen Mangels an Höflichkeit Ihren Wunsch erfülle und Ihnen den Gegenstand Ihrer unbändigen Neugier freiwillig ins Haus schicke, so geschieht das aus dem einfachen Grunde, weil ich durch nichts, durch gar nichts mehr an Ihr Krähwinkel, dessen Staub ich aufatmend von meinen Füßen schüttle, erinnert sein will. Damit bin ich fertig, ein für allemal, ebenso wie mit Ihrem edlen Freund, diesem Herrn Linder –«

Else Willbrand, der sich das Blut zum Kopfe drängte und deren Augen vor fieberhafter Spannung blitzten, konnte sich nicht enthalten, einen Laut ungeduldiger Erwartung auszustoßen.

»– diesem Herr Linder«, fuhr Frau Mila, die unwillkürlich eine Pause gemacht hatte, im Lesen fort: »der, seit er sich jenes fade Gänseblümchen ins Knopfloch gesteckt hat –«

Ein Schrei der Entrüstung ertönte aus Elses Mund. »Ah, das ist –!« rief sie, zornig die Hände ballend.

Frau Mila verbiß ein Lächeln. »Wie, Du glaubst –?«

»Daß sie mich mit dem Gänseblümchen meint, natürlich!« rief das erregte junge Mädchen. Frau Mila aber nahm rasch die Lektüre wieder auf:

»– ins Knopfloch gesteckt hat, für mich nur noch ein Gegenstand des Mitleidens ist. Doch – passons là-dessus!«

»Schau, sie kann auch Französisch«, schaltete hier die Leserin bewundernd ein.

Else Willbrand winkte ihr ungeduldig, weiterzulesen.

»Daß dieser liederliche Ex-Don-Juan in Ihrem Krähwinkel, dessen dumpfe Atmosphäre auch Sie, geschätzter Herr Steinbach, ein wenig angesäuert zu haben scheint, an der Seite vorerwähnten Gänseblümchens zeitlebens Ehestudien zu machen verdammt ist, das ist für mich die beste Genugthuung. Mit diesem letzten Wort an Ihren Freund bin ich, mein Herr, auf Nimmerwiedersehen,

Ihre ergebene

Lilly Adolfi.«

Frau Mila warf das Buch mit einer Gebärde lebhafter Entrüstung auf den Tisch.

»Diese boshafte, diese perfide Person!« drängte es sich, in ehrlicher Herzensmeinung, über Else Willbrands Lippen.

»Nicht wahr! Angesäuert – Arno!« sekundierte die junge Frau mit Unwillen. Nachdem sie so ihrem Ärger gegen die Absenderin Luft gemacht, erwachte in beiden die Neugier, zu erfahren, was es mit dem zierlich eingebundenen, ziemlich umfangreichen Buch für eine Bewandtnis habe.

Else Willbrand hob den Deckel von neuem und wandte die ersten Blätter um: mit entsetzten Blicken starrte sie auf die in kalligraphisch schöner Schrift sich auf dem zweiten Blatt präsentierenden Titelworte:

»Meine Don Juan-Fahrten, offene Bekenntnisse von Kurt Linder.«

»Du, das klingt kolossal interessant!« rief Frau Mila mit Eifer und Interesse.

»Abscheulich klingt's!« versetzte Else und ließ sich auf dem nahen Sessel nieder. Sie fühlte sich angegriffen unter dem Einfluß der unnatürlich starken Anspannung ihrer Nerven während der letzten halben Stunde. Eine momentane Schwäche wandelte sie an. Zweierlei Empfindungen bekämpften einander in ihrer Brust: Widerwille und Neugier, Furcht und Verlangen. Ein lautes Auflachen der Freundin entriß sie ihrem stillen Brüten. Die Neugier siegte – .

»Was hast Du!« fragte sie und guckte der jungen Frau, die, Linders Tagebuch auf dem Schoß, neben ihr Platz genommen hatte, über die Schulter.

»Denke Dir«, gab jene, noch immer lachend, zur Antwort, »die Don Juan-Fahrten haben ordentlich eine Vorrede. Ist das nicht köstlich?«

Und in einen komisch-pathetischen Ton übergehend, begann sie zu lesen:

»In der Ehe soll der Mann – so bestimmt es das göttliche und menschliche Gesetz – das Regiment führen; er ist berufen, das Eheschiff zu steuern, daß es nicht strande auf Klippen und Riffen. Mit sicherer, kundiger Hand soll er die Genossin seiner Ehe leiten durch alle Fährnisse des Lebens hindurch. Wie aber kann er dieser schwierigen Aufgabe gerecht werden, wenn er das komplizierteste, geheimnisvollste Ding der Welt, das Frauenherz, nicht kennt? Nicht aber aus Büchern, durch theoretisches Studium kann sich der zukünftige Ehemann solche Wissenschaft aneignen, sondern allein aus praktischem Wege, d. h. im Umgang mit den verschiedensten Spezies des genus feminini, mit Brünetten und Blonden, mit Sanften und Herrschsüchtigen, mit Lustigen und Sentimentalen – «

»Du, die Vorrede ist vielversprechend!« bemerke Frau Mita und schlug erwartungsvoll das Blatt um.

Dem jungen Mädchen an ihrer Seite stieg das Blut ins Gesicht. Sie rückte dicht an die Freundin heran. Das Herz klopfte ihr fast hörbar. Was würde sie zu hören bekommen?

Schon die Titelüberschrift des ersten Abschnitts der Linderschen Memoiren erregte beider tiefstes Interesse. Dicht aneinandergeschmiegt, mit erhitzten Wangen und funkelnden Augen, lasen sie:

»Mein erstes Rendezvous!

Achtzehn Jahre war ich alt, als ich in Berlin die Universität bezog. Gott, was für ein blöder Junge ich doch damals war! Drei volle Monate schon hatte meine Bekanntschaft mit der blonden Anna, der niedlichen Ladenmamsell im Kravatten- und Handschuhgeschäft, gedauert, bis ich mir endlich ein Herz faßte und sie zu einein Rendezvous einlud. Wir fuhren nach dem Grunewald, am Ufer des Grunewaldsees lagerten nur uns. Es war ein wunderschöner Augustabend. Eine poetische Stimmung überkam mich. Ich zog meinen Heine, den ich vorsorglich zu mir gesteckt, aus der Tasche und fing an zu deklamieren: »Im wunderschönen Monat Mai – «

Frau Mila unterbrach sich und schlug das Blatt um. »Ach, das ist langweiliges Zeug!« rief sie geringschätzig.

Else Willbrand aber protestierte lebhaft. Ihr schwärmerisches Gemüt fühlte sich von der poetisch gefärbten Schilderung unwillkürlich angezogen, die Situation packte sie. Zwei Liebende, die in idyllischer Waldesruhe sich an dem »Buch der Lieder« berauschten! Wie poetisch! Wie zart! Eifersucht, Groll – alles war vergessen, nur der eine Gedanke durchglühte ihr schwärmerisches Mädchenherz, das Verlangen, die anziehende Schilderung reinen, köstlichen Liebesglückes bis zum letzten Buchstaben kennen zu lernen. Hastig schlug sie das Blatt wieder zurück und versenkte sich mit naivem Eifer in die Lektüre.

»Ah, das ist himmlisch, das ist einzig!« riet sie begeistert. »Das mußt Du hören. Mila!«

Und mit purpurnen Wangen, mit leuchtenden Augen las sie laut:

»Ich hatte geendet. Als ich aufblicke, was sehen meine Augen? Ännchen in Thränen! Ihre Hände hat sie vor das Gesicht geschlagen, und sie weint und schluchzt, daß es mir das Herz zerreißt. Ich ganz dicht zu ihr hin, auf meinen Knieen. »Ännchen, süßes Ännchen, was ist Ihnen?« frage ich sie. Sie aber giebt keine Antwort und schluchzt nur immer. Da kann ich mich nicht länger halten, ich ziehe ihr die Hände vom Gesicht, reiße sie an meine Brust und küsse sie, küsse sie immer wieder. Sie hängt an meinem Halse, weinend und lachend, und jeden meiner Küsse erwidert sie mit Glut und Innigkeit.«

Das junge Mädchen ließ das Buch in den Schoß sinken. Das Herz war ihr übervoll.

»Mit Glut und Innigkeit!« wiederholte sie leise, wie verzückt, und brach dann in den ungestümen, naiv begeisterten Ausruf aus: »Ach, Mila, Mila, ist das nicht wunderschön?«

Und als ihr die Freundin mit stillem Lächeln in das erhitzte, glühende Gesicht sah, fügte sie mit triumphierender Stimme, während ihr Stolz und Begeisterung aus den strahlenden Augen blitzten, hinzu: »Siehst Du, Kurt war doch kein Stockfisch!«

Noch ehe Frau Mila Zeit hatte, ihrem Erstaunen über diese Umwandlung in den Empfindungen der Freundin Ausdruck zu geben, beschäftigte diese sich schon mit dem nächsten Kapitel. Aber hier erregte bereits die Überschrift ihr staunendes Befremden.

»Höre nur«, sagte sie, zu Mila gewandt, mit dem Finger auf die betreffende Stelle deutend. »Meine junge Witwe!« Verstehst Du das?«

Die Gefragte schüttelte nachdenklich den Kopf.

»Seine junge Witwe!« lachte das junge Mädchen. »Klingt das nicht zu komisch?« Sie beugte sich wieder über das Buch. »Laß sehen, vielleicht finden wir hier eine Erklärung.«

Sie wollte eben zu lesen beginnen, als ihr Fran Mila plötzlich mit schnellem Griff das Buch entriß. Der jungen Frau war doch schließlich ein Bedenken gekommen. Seine junge Witwe! Wer weiß, was das zu bedeuten hatte? Möglicherweise irgend ein loser Streich, von dem ein junges Mädchen besser nichts erführe.

»Aber was fällt Dir ein!« ärgerte sich Else Willbrand und blickte entrüstet zu der Freundin auf. Frau Mila hatte schnell die betreffende Seite des Buches überflogen. Empört sprang sie auf, klappte das Buch zu und schleuderte dasselbe mit einer Gebärde des Unwillens weit von sich.

Bestürzt sah Elsa Willbrand zu. Sie wußte nicht recht, was sie von dem Verfahren der Freundin zu halten habe. Verlangende Blicke warf sie nach dem Buch hinüber, das mitten im Zimmer lag. Endlich erhob sie sich entschlossen. Frau Mila aber zog sie alsbald wieder auf ihren Sitz zurück.

»Du darfst nicht«, sagte sie mit so strenger Miene, daß das junge Mädchen betreten von ihrem Vorhaben abstand.

»Aber wir können doch das Buch da nicht liegen lassen!« versetzte Else nach einer Pause nachdenklichen Schweigens.

Frau Mila erhob sich, schritt zu dem Buch hinüber und hob es auf.

»Ich will es einschließen«, sagte sie, an den kleinen, zierlichen Damentisch tretend, der unweit des Fensters stand.

Das junge Mädchen sah mit enttäuschter trübseliger Miene zu, wie die Freundin den Schlüssel in das Schloß steckte, wie sie die Schublade herauszog und sich anschickte, das interessante Buch hineinzulegen.

»Mila!« rief sie, noch ehe die Freundin Linders Memoiren in die Tiefe des Kastens versenkt hatte.

»Nun?«

»Könnten wir nicht das Kapitel überschlagen?«

Es kam zaghaft, aber mit einem eindringlichen, bittenden Ausdruck über die Lippen der Sprechenden, die mit ängstlicher Miene zu der älteren Freundin hinübersah.

Frau Mila lächelte, bedachte sich einen Augenblick, und kam dann, mit dem Buch in der Hand, zu dem jungen Mädchen zurück.

»Du hast recht!« sagte sie – – »Laß uns weiter sehen!«

Else bemächtigte sich mit hastigem Eifer des Memoirenwerkes, blätterte eine Weile und rief dann, zur Freundin gewandt: »Da – das ist gewiß nichts Bedenkliches! »Ein Roman in sechs Briefen« – meinst Du nicht?«

Frau Mila nickte. Beide beugten sich über das Buch und lasen leise, jede für sich. Die Wirkung, welche das Kapitel auf die beiden Lesenden hervorbrachte, war eine verschiedenartige. Während Frau Mila eine ironisch lächelnde Miene zeigte, schien Elsa Willbrand immer mehr in Begeisterung zu geraten.

Den letzten der sechs gefühlvollen Briefe konnte sich das junge Mädchen, enthusiastischen Herzens, nicht enthalten, mit pathetischer Stimme laut vor sich hin zu deklamieren:

»Seit ich, Du Teurer, von Dir habe scheiden müssen, ist dunkle Nacht um mich. Kein Stern der Hoffnung leuchtet mir, da Du, meine Sonne, mir nicht mehr scheinst. Was soll mir das Leben noch? Weinen muß ich, immerfort weinen, sterben möchte ich, sterben. Stürzte ich doch in einen Abgrund, verschlänge mich doch das Meer!«

Hier konnte Frau Mila sich nicht länger hallen. Sie platzte laut heraus.

»Hahaha! Das ist drollig!«

»Aber!« Else Willbrand blickte ebenso überrascht wie entrüstet auf. Ich begreife nicht, was da zu lachen ist. Im Gegenteil!«

»Aber sieh doch nur,« stieß die junge Frau hervor, sich förmlich windend in heftigen Lachanfällen: »Verschlänge mich doch das Mehr – mit einem »h«!«

Verdutzt blickte das junge Mädchen auf die Stelle, welche Frau Mila mit dem Finger bezeichnete. Wahrhaftig, da stand's: »M–e–h–r!«

»Das ist einfach ein Schreibfehler,« erklärte sie empfindlich, »das kann jedem mal passieren.«

»Du, das war gewiß eine gebildete Putzmacherin!« rief Frau Mila, noch immer in vollem Lachen.

Else Willbrand aber fing an, ernstlich ärgerlich zu werden. »Weißt Du,« grollte sie, »ich finde es abscheulich von Dir – «

Frau Mila umfaßte die Zürnende begütigend. »Nun, nun, nur nicht gleich böse! Laß uns weiter sehen!«

Sie blätterten weiter und stießen auf eine Photographie, die auf einem der Blätter festgeklebt war. »Ist sie nicht hübsch?« rief das junge Mädchen, sich mit allen Sinnen in den Anblick des pikanten Gesichtchens versenkend.

»Gar nicht übel!« pflichtete die junge Frau bei.

»Und wie »chic« sie gekleidet ist! Du, das war gewiß eine Kommerzienratstochter.«

Frau Mila lachte laut aus. Ihre Vermutung bewegte sich nach einer ganz anderen Richtung, aber sie hütete sich, derselben der Enthusiastin gegenüber Ausdruck zu geben.

In Else Willbrand schien eine vollständige Umwandlung vorgegangen zu sein. Ihre theoretisch angeeigneten Grundsätze waren der natürlichen Empfindung des Weibes gewichen, in dessen Bewunderung und Wertschätzung der Mann um so höher steigt, je tiefer und leidenschaftlicher er von anderen Töchtern Evas geliebt worden.

Sie schlug das Blatt um. Auf der Rückseite befanden sich einige Zeilen.

»Ein Vers, ein Vers!« rief sie eifrig, »Mila, sie hat an ihn gedichtet.« Und sie las:

»Rosen, Tulpen. Nelken,
Die drei Blumen welken.
Marmor, Stein und Eisen bricht.
Aber meine Liebe nicht!«

»Du, das habe ich schon mal auf einem Pfefferkuchenherz gelesen,« fiel Mila lachend ein. Else Willbrand war eben im Begriff, ärgerlich aufzubrausen, als man die Korridorthür aufschließen und öffnen hörte und gleich darauf Schritte, die sich dem Zimmer näherten.

Frau Mila sprang rasch auf, um das Buch in Sicherheit zu bringen, aber sie war noch nicht bis zum Schreibtisch damit gekommen, als die Thür aufgerissen wurde und Steinbach und Linder auf der Schwelle erschienen.

Aufs höchste entsetzt prallte Linder bei dem Anblick Elses zurück. Mit einem Blick erfaßte er die Situation.

»Zu spät,« ächzte er, als er sein Buch in Frau Milas Händen sah.

Am liebsten hätte er sein Heil in schleuniger Flucht gesucht, aber der Arm des Freundes hielt ihn fest. Steinbach zog ihn mit in das Zimmer hinein.

»Mut!« flüsterte er dem Furchtsamen zu.

Else Willbrand befand sich in einer unbeschreiblichen Erregung. Ihre Brust wogte stürmisch, ihre Wangen glühten, ihre Augen hefteten sich mit einem Gemisch von Staunen, Neugier und Bewunderung auf Linder, als erscheine er ihr heute anders als sonst.

Plötzlich breitete sie die Arme gegen ihn aus. »Kurt, mein einziggeliebter Kurt!« rief sie und sank ihm hingebend an die Brust.

Sie hatte in diesem Augenblick nur das eine Empfinden enthusiastischer Bewunderung.

Wie war er geliebt, bewundert, angebetet und angeschwärmt worden! Und von allen, die in ihm den begehrenswertesten, den anbetungswürdigsten Mann erblickt, hatte er sie erwählt – sie!

Linder wußte nicht, wie ihm geschah. Ganz fassungslos stand er da und wagte kaum die schlanke Gestalt, die an seinem Herzen ruhte, in seinen Armen festzuhalten.

»O Kurt, ich bin so stolz, so glücklich!« jubelte das junge Mädchen.

Linder machte ein so verdutztes Gesicht, daß Steinbach ein kurzes Auflachen nicht unterdrücken konnte.

»Und da – das?« stammelte er, ängstlich aus sein Memoirenwerk deutend, in dem Steinbach eben blätterte.

»O das – das war ja vor meiner Zeit,« erklärte Else Willbrand lächelnd und mit überlegener, altkluger Miene fügte sie bei: »Weißt Du, was die Zeit vor mir betrifft, dazu habe ich eigentlich gar kein Recht – «

Erst jetzt begriff der junge Rechtsanwalt vollständig, erst jetzt überzeugte er sich, daß alles keine Täuschung, kein Irrtum war, sondern daß in Elses Sinnesweise ein eben so jäher, wie vollkommener Umschwung geschehen.

»Nicht wahr?« rief er glücklich, das geliebte Mädchen zärtlich an sich ziehend. »Heute liebe ich ja nur Dich – Dich allein!«

»Brav, Fräulein Else,« lobte nun auch Steinbach, herzutretend, »brav, daß Sie sich die Svava-Grille aus dem Kopf geschlagen haben. Sie sollen sehen, Kurt wird noch einmal der solideste, musterhafteste Ehemann. Gerade aus solchem Holz werden die besten Ehemänner geschnitzt.«

»Solche, wie Sie?« lächelte das junge Mädchen schelmisch, und sich den Armen ihres Verlobten entwindend, trat sie an Frau Mila heran und umarmte dieselbe mit stürmischer Innigkeit.

Nachdem sich das glücklich miteinander ausgesöhnte Brautpaar verabschiedet hatte, um Arm in Arm Elses elterliches Haus aufzusuchen, fand zwischen dem Ehepaar Steinbach eine kurze Auseinandersetzung statt.

»Verzeihe mir, Arno,« bat Frau Mila, sich ihrem Gatten mit demütiger Miene nähernd. »Ich sehe ein, daß ich Dir Unrecht that. Es war ja nur Linders wegen, daß Du die Adolfi aufsuchen wolltest.«

»Du warst also eifersüchtig?« fragte Steinbach.

Die Gefragte senkte beschämt ihr Haupt auf die Brust. »Ja« – gestand sie kleinlaut. »Nicht wahr, wie dumm von mir?«

Der Chemiker warf einen blitzschnellen, beobachtenden Blick auf seine junge Frau. Dann richtete er sich aus und entgegnete mit fester Stimme: »Doch nicht vielleicht so sehr, wie Du in diesem Augenblick meinst.«

»Wie?« Frau Mila hob erstaunt den Blick.

Steinbach atmete tief. Er sagte sich, daß der geeignete Zeitpunkt da war, eine Radikalkur mit Mila vorzunehmen, sie ein für allemal von ihrer Grille, die beinahe das Glück ihrer Zukunft zu Grunde gerichtet, abzubringen.

»Vielleicht war es doch nicht die Sorge um den Freund,« antwortete er entschlossen, »die mir keine Ruhe ließ, die in mir gährte und mich hinaustrieb.«

»Was war es denn?« In angstvoller Spannung erwartete sie seine Antwort.

»Die Schönheit war es,« stieß er leidenschaftlich hervor, »die lockernde, schimmernde Schönheit, die ich zu Hause nicht mehr fand und die ich deshalb anderswo suchte. Klage Dich selbst an, denn Du warst es, die zuerst ihrer Aufgabe untreu wurde: Schönheit, Licht und Freude in mein Leben zu tragen. Damit hattest Du auch mich in die Gefahr gebracht, meiner Pflicht untreu zu werden.«

»O Arno – Arno!« rief sie schmerzlich, das Gesicht in den Händen verbergend. Steinbach aber ließ sich nicht beirren. »Thörinnen, die Ihr seid,« sprach er mit strenger Miene weiter, »die Ihr nicht wißt, daß Ihr eine Kulturaufgabe erfüllt, wenn Ihr schön seid. Wie trocken, wie schal, wie traurig würde das Leben sein, wenn nicht Frauenschönheit und Frauenanmut verklärende, erhebende, beseligende Poesie in unser arbeitsvolles, sorgenschweres Dasein strahlten! Schönheit ist Heiterkeit. Schönsein heißt uns einen Dienst erweisen, sagt ein großer Dichter. Schönsein ist die natürliche Aufgabe der Frau.«

Auf die junge Frau machten diese Worte, die mit erhobener, bewegter Stimme gesprochen wurden, offenbar einen tiefen Eindruck. Unschlüssig stand sie; in ihren Mienen arbeitete es heftig, der Ausdruck ängstlicher Spannung, der Zug von Schmerz und Zorn wich.

Steinbach schritt der Thür zu, um sich in sein Laboratorium zu begeben.

»Arno!« kam es zaghaft, flehend von ihren Lippen.

Er wandte sich nach ihr um. »Willst Du mitkommen,« sagte er mit leisem, ironischem Klang in seiner Stimme, »Sauerstoffgas entwickeln?«

»Nie. nie mehr!« rief sie hastig. Und dann – dann streckte sie mit einem hinreißenden Gemisch von Verschämtheit und liebevoller Hingabe die Arme nach ihm aus und flüsterte: »Ich will schön sein!«

Mit einem Sprung war er bei ihr und zog sie stürmisch in seine Arme und küßte sie, küßte sie immer wieder.

*

Mit Lilly Adolfi, der Berliner Schauspielerin, war der Ibsen-Enthusiasmus aus der Stadt geschwunden. Die litterarischen Abende bei Frau Mila fanden nicht mehr die begeisterte Teilnahme wie früher, die Hauptteilnehmer fehlten: Oswald Kramm und Martha Gründler, die ebenfalls die Stadt verlassen hatten, und Else Willbrand und Kurt Linder, die zur Zeit besseres zu thun hatten, als sich mit grauen Kunsttheorien und trocknen litterarischen Erörterungen zu langweilen.

Frau Mila setzte entschlossen Ibsen und Björnson von der Tagesordnung ab und kehrte reumütig zur deutschen Litteratur zurück. Mit der eifrig in Angriff genommenen Lektüre moderner deutscher Dichtungen hoffte sie, ihren litterarischen Abenden einen neuen Aufschwung zu geben.

»Der Ibsen-Bund hat sich in Wohlgefallen ausgelöst,« scherzte Herr Steinbach befriedigt.

 

 

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Gedruckt bei Fiedler & Kluge Wittenberg–Berlin.


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