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VI.

Steinbach war zu seiner Arbeit zurückgekehrt.

Die beiden Damen saßen plaudernd im Salon. Else krauste mehrmals ihr schnupperndes Näschen. Der Duft, welcher an Milas Blouse haftete, war nichts weniger als wohlthuend für die Geruchsnerven. Die junge Frau aber erzählte mit froher Genugthuung von der Wendung zum besseren, die neuerdings ihre Beziehungen zu ihrem Gatten genommen.

»Oswald Kramm hat mir die Augen geöffnet,« erklärte sie strahlenden Antlitzes, »Ibsen mir auf den rechten Weg geholfen. Seit ich Nora gelesen, habe ich strenge Selbsteinkehr gehalten, bin eine andere geworden. Ich bin es müde, immer nur im Modejournal und in seichten Romanen zu blättern, mich zu putzen und spazieren zu gehen. Ich will auch etwas sein, etwas bedeuten.«

»Und Dein Mann?«

»O, der sträubte sich anfangs, aber ich ließ nicht nach und – glaube mir, im stillen bewundert er mich, wenn er es sich auch nicht merken läßt.«

»So – so?« Else lächelte leise vor sich hin. Der Chemiker war ihr nichts weniger als glücklich und zufrieden vorgekommen. »Weißt Du,« fuhr sie, auf die Drahtmaske deutend, die Mila auf den Schreibtisch gelegt hatte, mit ernster Miene fort, »ich an Deiner Stelle würde mich fürchten.«

»Mit der Maske vorm Gesicht?«

»Freilich.«

Mila lächelte überlegen. »Aber da braucht man sich ja eben nicht zu fürchten.«

»Doch, doch! Wenn man sich so furchtbar entstellt! Dein Mann –«

»Ah!« Frau Mila unterbrach die Sprechende entrüstet. Erst jetzt erkannte sie den eigentlichen Sinn von Elses warnenden Worten. »Pfui, Else, wie garstig, wie niedrig! Glaubst Du denn, daß wir Frauen einem Manne nicht auch geistig imponieren können?«

Das junge Mädchen lächelte bitter. Sie gedachte der Erfahrungen, die sie in der letzten Woche gemacht: ihres Bräutigams scheues, ängstliches Wesen, seine seltenen Besuche und nun das Gerücht, das in der Stadt umging und auch ihr zu Ohren gekommen: Linder täglicher Gast in dem Hotel, in dem die Berliner Schauspielerin logierte!

Ihr instinktives Ahnen, das gleich bei der ersten Begrüßung zwischen der Adolfi und Linder über sie gekommen, hatte sie also nicht betrogen. Wer weiß, welcher Art die Berliner Beziehungen zwischen der Schauspielerin und Kurt gewesen!

Das Blut Svavas regte sich in dem jungen Mädchen und sie war eben im Begriffe, der Freundin rückhaltslos ihr schwer bedrücktes Herz zu öffnen, als Milas Stubenmädchen den Besuch von Fräulein Lilly Adolfi meldete.

Else Willbrand schnellte von ihrem Sitz empor, als habe ein giftiges Insekt sie berührt. Frau Mila aber ging der Eintretenden freudig entgegen.

Beim Anblick von Linders Braut zuckte die Schauspielerin unter einer unangenehmen Empfindung zusammen. Doch schon im nächsten Augenblick hatte sie diese Anwandlung überwunden. Sie machte der ihr gegenüber Stehenden eine höfliche, sehr förmliche Verbeugung, die Else ebenso frostig und kalt erwiderte.

Frau Mila lud zum Sitzen ein. Lilly Adolfi nahm das Wort:

»Sie haben mir so viel Freundlichkeit erwiesen,« sagte sie verbindlich, zu Mila gewandt, »daß ich es für eine angenehme Pflicht erachte, Ihnen bei meinem Scheiden noch einmal persönlich Dank zu sagen.«

Die anderen beiden Frauen blickten überrascht auf, Else mit der Empfindung ungestümer Freude.

»Wie? Sie wollen uns schon verlassen?« gab Mila ihrer Verwunderung Ausdruck. »Aber Ihr Gastspiel –«

»Nimmt mit der heutigen Vorstellung sein Ende,« fiel die Schauspielerin ein. »Meinen Kontrakt, der mich noch auf zwei weitere Wochen verpflichtete, habe ich auf gütlichem Wege gelöst.«

Nichts hätte Else Willbrand mehr Freude bereiten können, als diese Mitteilung. In das Gefühl der Genugthuung, das sie bei dem Gedanken an die bevorstehende Abreise Lilly Adolfis durchströmte, mischte sich noch eine Dosis Schadenfreude über den ungünstigen Verlauf des Gastspiels der Verhaßten.

»Vermutlich das mangelnde Interesse des Publikums,« konnte sie sich nicht enthalten zu bemerken, in einem so mokanten, spitzen Ton, daß Frau Mila erstaunt und unangenehm berührt aufsah. Lilly Adolfi aber verriet weder in Wort noch Gebärde irgend welche Empfindlichkeit.

»Ja, man scheint hier Ibsen noch nicht das rechte Interesse entgegen zu bringen,« entgegnete sie, äußerlich durchaus ruhig und gemessen.

Aber gerade diese Ruhe empörte das junge Mädchen, und sie kam immer mehr in die Versuchung, die Gebote des guten Tones zu vergessen und ihre Animosität gegen die Schauspielerin allzu offen an den Tag zu legen. Ihre Lippen zuckten malitiös. »Die Ibsen-Vorträge Doktor Kramms waren immer sehr gut besucht,« sagte sie in einem Tone, der ebenfalls so beleidigend war wie die Worte selbst. Frau Mila hustete verlegen, die Situation bereitete ihr ungemeine Pein; sie erblickte die Freundin, die neben ihr saß, verstohlen von der Seite an, um ihr durch ein Zeichen ihren Unwillen auszudrücken.

Lilly Adolfi errötete vor Ärger, aber auch diesmal gelang es ihr, ihren Unwillen zu unterdrücken. »Freilich,« gab sie gelassen zur Antwort, »zum Teil mag auch die mangelhafte Darstellung schuld sein. Die Kräfte des Stadttheaters sind eben so hohen Aufgaben nicht gewachsen.«

Else Willbrand aber konnte sich noch nicht beruhigen. Ohne von den Bemühungen ihrer Freundin Notiz zu nehmen, fügte sie ihren vorherigen Bosheiten noch die Bemerkung hinzu: »O, das Stadttheater hat unseren bescheidenen Wünschen noch immer genügt.«

Ein heftiger Druck, den die Sprechende in diesem Augenblick von Milas Hand auf ihrem Arm empfand, brachte sie endlich zur Erkenntnis ihrer Unhöflichkeit, und da sie fühlte, daß sie zu erregt war, um mit der Verhaßten eine in ruhigen Bahnen sich bewegende Unterhaltung zu führen, so erhob sie sich, um sich zu verabschieden.

Als sie Mila umarmte, konnte die letztere nicht umhin, ihr vorwurfsvoll zuzuraunen: »Du warst geradezu beleidigend,« worauf ihr Else ingrimmig zwischen den Zähnen zuzischte: »Vergiften könnt' ich sie. Ich sage Dir, sei auf Deiner Hut vor dieser Kokette!«

Als sich die Thür hinter der Fortgehenden geschlossen, bemerkte Lilly Adolfi, ihr nachblickend, mit leiser Ironie im Ton ihrer Stimme: »Eine sehr liebenswürdige, junge Dame!«

»Nur manchmal ein wenig nervös,« glaubte Frau Mila entschuldigen zu müssen.

Eine Pause der Verlegenheit entstand, die durch Martha Gründlers Eintritt, der das Stubenmädchen des Hauses mit einem Paket auf dem Fuße folgte, zu Frau Milas lebhafter Befriedigung ein schnelles Ende fand.

»Aus Berlin – für Dich, Mila,« meldete die Stütze der Hausfrau, nachdem sie die Schauspielerin begrüßt hatte.

Frau Mila war froh, daß ihr der Zufall zu Hilfe kam, um der peinlichen Befangenheit, welche seit Elses Fortgang noch immer auf ihr lastete, zu entrinnen.

»Gewiß mein Kostüm?« rief sie lebhaft aus und sich erklärend an ihren Besuch wendend, erzählte sie, daß sie auf den Rat ihres Gatten sich ein Maskenkostüm aus Berlin verschrieben habe, da in der Provinzialstadt doch nichts Passendes zu haben sei.

Lilly Adolfi erhob sich sogleich voll Interesse. »Ah, das ist interessant!« sagte sie, »lassen Sie doch einmal sehen!«

Das Paket wurde geöffnet; ein Kostüm in italienischem Charakter kam zum Vorschein. Buntes, Phantastisches.

»Wie prächtig Du darin aussehen wirst!« konnte sich Martha Gründler nicht enthalten, mit einem Anflug von Neid auszurufen.

Die Schauspielerin lächelte überrascht. »Ist das nicht das Kostüm der Nora?«

»Ganz recht,« gestand Frau Mila, ein wenig errötend, »als neapolitanisches Fischermädchen, im dritten, als sie vor ihrem Gatten die Tarantella tanzt.«

»Ihr Herr Gemahl,« knüpfte die Schauspielerin an die letzte Bemerkung an, »ist vermutlich beschäftigt. Ich hätte ihm noch gern persönlich Adieu gesagt.«

Frau Mila schritt sogleich auf die Thür zu. »Er ist in seinem Laboratorium – wenn Sie gestatten.«

Als der Chemiker hörte, wer im Salon sei, kam er mit einer auffallenden Eile herein. Mila hieß er ihn so lange im Laboratorium vertreten. Er wechselte anfangs ein paar artige Phrasen mit der Schauspielerin, erkundigte sich nach ihrem Befinden und legte ein höfliches Bedauern an den Tag, als er von ihrer bevorstehenden Abreise vernahm.

Mehrmals sah er sich dabei, ärgerlich hüstelnd, nach Martha Gründler um, welche noch immer im Salon weilte und die beiden mit argwöhnischen Blicken beobachtete. Im Interesse seines Freundes hätte er gern die Gelegenheit benutzt, die zwischen Linder und der Adolfi schwebende delikate Angelegenheit zu schlichten und die Schauspielerin zur Herausgabe des verräterischen Tagebuches zu bewegen, aber nun ließ ihn die Anwesenheit der alten Jungfer davon abstehen, die sich noch immer mit Milas Kostüm, das sie mit absichtlicher Langsamkeit zusammenlegte und wieder einpackte, zu schaffen machte.

Endlich riß ihm die Geduld, er faßte einen energischen Entschluß.

»Was haben sie denn da, Fräulein Martha?« erkundigte er sich. »Ah, Milas Kostüm? Meinen sie nicht, daß es gut wäre, das Kostüm gleich ein wenig auszubügeln – ich meine wegen der Falten! Vielleicht haben sie die Güte –!«

Einer so bestimmt ausgesprochenen Aufforderung konnte die Stütze sich nicht verschließen. Innerlich wütend ergriff sie das Paket und entfernte sich mit süß-saurem Lächeln, entschlossen, draußen ihr Ohr an die Thürspalte zu legen, um von der Unterhaltung, bei der ihre Gegenwart offenbar für überflüssig gehalten wurde, so viel als möglich zu erlauschen.

Lilly Adolfi erhob sich, um, wie man in der Theatersprache sagt, einen falschen Abgang zu machen. Sie hatte wohl die geflissentliche Bemühung Steinbachs, die alte Jungfer aus dem Zimmer zu bringen, wahrgenommen, und sie war selbst gespannt, was der stattliche, imponierende Mann ihr unter vier Augen zu sagen hatte.

Steinbach nötigte die Schauspielerin höflich, wieder Platz zu nehmen. »Nur ein paar Minuten, bitte, schenken Sie mir Gehör, gnädiges Fräulein,« sagte er verbindlich und fuhr dann, nachdem Lilly Adolfi erwartungsvoll, äußerlich die Befremdete spielend, sich wieder gesetzt hatte, seinem Gegenüber voll ins Gesicht schauend, galant fort: »Wenn man sie anblickt, gnädiges Fräulein, Ihre freundlichen Züge, Ihr liebenswürdiges Lächeln, Ihr mildstrahlendes Auge, so hält man es gar nicht für möglich, daß Sie ein so unempfindliches Herz haben.«

Die Angeredete unterdrückte ein Lächeln. »Aber ich bitte –« glaubte sie abwehren zu müssen.

»Sie haben meinen Freund Linder recht hart, recht grausam behandelt,« ging der Chemiker nunmehr direkt auf sein Ziel los.

Lilly Adolfi fühlte sich einigermaßen enttäuscht. »Nicht anders, als er es um mich verdient hat,« entfuhr es ihr unwillkürlich.

Steinbach lächelte ein wenig malitiös. »Um Ihre Freundin, meinen Sie.«

»Nein, um mich!« antwortete die Schauspielerin, ärgerlich über sich und das Thema, das Steinbach angeschlagen. »Wozu noch die Komödie! Sie wissen ja doch und Sie werden nun auch begreifen –«

Der Chemiker sah, daß er ein faux pas gemacht. Da hieß es, rasch wieder einlenken, wieder gut machen, was er versehen.

»Nein, nie werde ich begreifen«, rief er pathetisch, seinem Gegenüber mit seinem Sessel ein wenig näher rückend und das Auge mit ostentativer Bewunderung zu ihr erhebend, »nie werde ich begreifen, wie der Thor sich selbst von so viel Schönheit und Liebenswürdigkeit verbannen konnte. Es müßte denn sein, daß er, in Erkenntnis des eigenen Unwertes, sich sagte: Du bist ihrer nicht würdig. Du verdienst nicht –«

Lilly Adolfi unterbrach den Sprechenden. »O, Sie werden mich durch Ihre Schmeichelei für Ihren Freund nicht günstiger stimmen«, sagte sie, scheinbar noch schmollend, innerlich aber nicht unempfänglich für die Galanterie Steinbachs.

»Schmeicheln – ich?« erklärte dieser mit einem Pathos, das diesmal schon weniger erkünstelt war. »Nie bin ich so wahrheitsliebend gewesen, wie in diesem Augenblicke!«

Die Nähe der Schauspielerin, von der ein eigentümlich scharfes, berauschendes Parfüm ausströmte, fing an, ihren Einfluß auf ihn auszuüben.

Ihre Blicke, die bald den Boden suchten, bald kokett den seinen begegneten, machten ihn warm. Ihre in reizvoller Üppigkeit prangende Figur, die durch ein mit raffiniertem Chic gearbeitetes Kostüm wesentlich gehoben wurde und hie und da wohl auch erst das richtige Ebenmaß erhielt, entzückte ihn. Sein durch Frau Milas Arbeitskostüm seit Wochen mißhandelter Schönheitssinn belebte sich, ja, richtete sich förmlich auf an der koketten Grazie der Schauspielerin. Er ergriff ihre Hand und führte sie an seine Lippen.

»Sie sollten sich glücklich schätzen, gnädiges Fräulein« fuhr er in leidenschaftlichem Tone fort, »daß ein zünftiges Geschick Sie bewahrte, an der Seite eines Unwürdigen –«

Sie lachte spöttisch auf: »Glauben Sie etwa, daß ich bedaure? O, keineswegs! Aber –« setzte sie mit heuchlerischem Emporziehen der fein gewölbten Brauen hinzu – »soll ich ruhig zusehen, wie eine andere, blind, ahnungslos, in ihr Verderben rennt? – Ist es nicht meine Pflicht –«

Steinbach erschrak. »Wie – Sie wollten –?«

»Der Bedauernswerten die Augen öffnen – ganz gewiß will ich das, durch Übersendung sehr überzeugender Dokumente, und ich hoffe, damit ein gutes Werk zu thun.«

Lilly Adolfi war es mit ihrer Drohung wirklich Ernst. Sie konnte sich so mit einem Schlage zu gleicher Zeit an Linder und zugleich an der malitiösen Else Willbrand rächen, die sich unterstanden hatte, ihren Zorn herauszufordern.

Steinbach hielt es für gut, eine andere Taktik einzuschlagen, denn er befürchtete, auf geradem Wege nicht zum Ziel zu kommen.

»Sie sprechen von Linders Tagebuch.« bemerkte er, »ja, mein Freund hat mir davon erzählt. Wissen Sie, gnädiges Fräulein, ich denke mir Linders Memoiren hochinteressant.« Er neigte sich lächelnd zu ihr hinüber. »Sie glauben gar nicht, wie sehr mich die Neugier verzehrt. Wenn Sie die Freundlichkeit hätten, mir das Buch auf ein paar Tage zu leihen –!«

Sie erwiderte sein Lächeln mit einem koketten Blick. »Sie können so eindringlich bitten«, entgegnete sie schelmisch, »daß man sich wirklich versucht fühlt – «

Schon glaubte er gewonnenes Spiel zu haben. »Nicht wahr, Sie geben es mir«, rief er, stürmisch ihre Hand ergreifend. »Im voraus tausend Dank!«

Sie entwand ihm ihre Hand und rückte ihren Sessel ein wenig von ihm hinweg. »Oho, nicht so ungestüm, mein Herr! Wer garantiert mir, daß ich das Buch von Ihnen zurückerhalte, daß es nicht – nun sagen wir: bei Ihnen verloren geht?«

»O, wie können Sie denken!«

»Nun, nun, es scheint mir doch in jedem Fall sicherer, wenn ich es zuvor an Fräulein Willbrand –«

»Sprechen wir nicht von ihr!« unterbrach Steinbach lebhaft. »Wissen Sie, gnädiges Fräulein, es giebt Menschen, die in ihrer Blindheit glücklich sind und die es einem gar nicht Dank wissen, wenn man ihnen die Augen öffnet. Und dann – so lange halte ich es ja gar nicht aus. Ich sterbe vor Neugier!«

Sie erhob in komischem Entsetzen die Hände. »O, o, Sie erschrecken mich!«

»Ganz gewiß!« Der Chemiker rückte seinem Gegenüber wieder einen Schritt näher. »Gnädiges Fräulein, lassen Sie sich erbitten! Sehen Sie mich an – ich verschmachte.«

Sie streifte ihn mit einem Blick, der ihn in Flammen setzte. »Sie Ärmster!« lachte sie. »Wirklich, Sie haben mich schon ganz weich gestimmt, und wenn ich das Buch bei mir hätte, wer weiß –«

»Sie haben es in Ihrem Hotel!« warf Steinbach hastig ein. Eine Idee blitzte in ihm auf, die ihn entzückte, ihn berauschte, ihn ganz und gar gefangen nahm.

»Allerdings.«

»So gestatten Sie«, rief er lebhaft aus, während ihm das Herz vor Erwartung und geheimer Erregung klopfte, »daß ich Ihnen meine Aufwartung mache und Sie versprechen mir –«

In den Augen der Schauspielerin leuchtete es blitzartig auf. Im nächsten Moment zeigte sie wieder eine ruhige Miene.

»Nichts verspreche ich«, antwortete sie lächelnd. »Wir werden ja sehen. Ihr Besuch ist mir jedenfalls angenehm. Ein so liebenswürdiger Gesellschafter!«

Ihre Blicke tauchten bei den letzten Worten zündend in die seinen. Stürmisch küßte er ihre Hand. »Sie sind – von einer entzückenden Liebenswürdigkeit«, stammelte er. »Und wann darf ich mir gestatten?«

»Lassen Sie sehen.« Lilly Adolfi erhob sich und sah nach der Stutzuhr auf dem Sopha hinüber. »Es ist in der fünften Stunde. Um sechs Uhr muß ich ins Theater. Morgen in aller Frühe reise ich. Es bleibt also nur die Stunde zwischen fünf und sechs.« Sie blickte fragend und zugleich mit einem allerliebsten, schelmischen Ausdruck in ihren beweglichen Mienen zu ihm auf. »Es sollte mir aufrichtig leid thun«, sagte sie langsam und in einem Ton, der ihm das Blut in die Wangen trieb, »wenn Ihre Zeit Ihnen nicht erlauben sollte –«

»O ich komme«, rief er feurig, »auf jeden Fall komme ich – in zehn Minuten sehen Sie mich bittend zu Ihren Füßen.«

Die beiden schritten zur Flurthür und ihr ganzes Interesse war gegenseitig voneinander derart in Anspruch genommen, daß ihnen der leise, unterdrückte Schrei, der von der Thür links in diesem Augenblick ertönte, gänzlich entging.

Während der Chemiker der Schauspielerin durch den Korridor das Geleit gab, trat Martha Gründler in einem Zustand unbeschreiblicher Erregung in den Salon. Ihre Augen flammten, ihre Hände ballten sich.

»Schändlich!« zischte es zwischen den zornig aufeinander gebissenen Zähnen hindurch. »Also darum –!«

Ein Rendezvous war es, das zwischen beiden verabredet worden. Ganz deutlich hatte sie es gehört.

Zorn, Eifersucht, Schmerz wühlten in der Brust der verbitterten alten Jungfer, die seit Monaten still eine glühende, verzehrende Neigung zu dem Manne im Herzen trug, der kalt, gleichgültig sich ihr gegenüber gezeigt, und der nun im ersten Ansturm den Künsten der Komödiantin erlag.

Aber sie, die Verschmähte, würde beiden einen Strich durch die Rechnung machen. Mila sollte alles erfahren, und dann –

Entschlossen schritt Martha Gründler auf die Thür los, die in das Laboratorium führte. Da kehrte Steinbach in den Salon zurück, und zugleich trat auch Mila ein, der die geheimnisvoll klingende Warnung Elses vor Lilly Adolfi im Kopf herumgegangen war und die inzwischen unruhig geworden.

»Wo ist Fräulein Adolfi?« fragte sie, den Blick erstaunt und forschend auf ihren Gatten heftend, der unwillkürlich die Augen vor ihr senkte.

»Sie läßt sich bei Dir entschuldigen«, entgegnete er, sich zur Thür wendend, »ihre Zeit erlaubte es ihr nicht länger –«

»Und Du willst nun an die Arbeit zurückkehren?«

»Ich? Nein! Ich will mich ein wenig umkleiden – habe noch einen geschäftlichen Gang vor.«

Steinbach verließ hastig das Zimmer, während Frau Mila ihm unruhig nachblickte und nicht wußte, sollte sie ihm folgen oder in das Laboratorium zurückkehren. Da fiel ihr Blick auf Martha, die ihre ungestüme Erregung nicht länger beherrschen konnte.

»Er geht zu ihr – zur Adolfi!« stieß sie heiser hervor.

»Zur Adolfi?« Frau Mila starrte die Sprechende aufs höchste erstaunt und erschreckt an.

»Zwischen fünf und sechs Uhr erwartet sie ihn«, gab Martha mit starkem Nachdruck zurück.

Frau Mila konnte das Unglaubliche noch immer nicht fassen.

»Arno? Unmöglich!« – stammelte sie mit bleichen Lippen.

»Wie eine Schlange hat sie sich hier eingeschlichen«, zischte Martha Gründler vor Wut und Ärger hervor, »hat intriguiert, kokettiert, bis sie ihn in ihr Netz gezogen!«

»Du irrst – Du lügst!« rief die junge Frau in wachsender Erregung, den Arm der vor ihr Stehenden mit beiden Händen packend und heftig pressend.

Die alte Jungfer war seelisch zu sehr bewegt und beschäftigt, als daß ihr der körperliche Schmerz zum Bewußtsein gekommen wäre.

»Dort – dort stand ich«, entgegnete sie, mit der ausgestreckten Hand nach der Thür deutend, hinter der sie den Vorgang zwischen Steinbach und der Schauspielerin beobachtet, »und war Zeugin, wie sie alle Listen der Koketterie anwandte, wie sie schmachtete und süße Augen machte –«

»Und er?« unterbrach sie Frau Mila, zitternd vor Aufregung.

»Er küßte ihr die Hand und rief: Ich komme – in zehn Minuten sehen Sie mich zu Ihren Füßen.«

Die junge Frau stieß einen Schmerzenslaut aus und ließ sich schwach auf den ihr nahe stehenden Sessel nieder. Das alles war so plötzlich, so überraschend und unerwartet auf sie eingedrungen, daß sie eine Weile verwirrt, wie betäubt vor sich hinstarrte. Erst nach und nach, während sie sich mehr und mehr in das eben Gehörte versenkte, kam sie zur vollen Erkenntnis ihrer Lage und des Unglücks, das sie bedrohte.

Martha Gründler stand lauernd beiseite und spähte zwischen den gesenkten Augenlidern hervor scharf nach der ganz in ihr Leid Versunkenen hinüber. Nachdem sich ihre erste eifersüchtige Zornesaufwallung gelegt, kam die klügelnde Berechnung bei ihr zur Geltung. Eine diabolische Idee durchzuckte sie. Sie näherte sich der Freundin, die in fassungslosem Schmerz die Hände rang, und rüttelte sie am Arm.

»Er handelt schimpflich, schmachvoll gegen Dich«, sagte sie in hartem, aufstachelndem Ton. »Er ist Deiner unwert und Du solltest – «

Frau Mila strich sich mit der Hand über die Stirn. Die ganze Größe des ihr drohenden Verlustes kam ihr zum Bewußtsein, und zugleich flammte ein leidenschaftlicher Zorn gegen die Schauspielerin in ihr auf.

»Nein, nein, es soll ihr nicht gelingen«, stieß sie, aufspringend, heraus, »ich will ihr das kokette Spiel verderben, sie soll nicht triumphieren über mich.«

Martha erschrak. »Was willst Du thun?« forschte sie mit unruhig fixierendem Blick.

In der aufs tiefste erschütterten jungen Frau gewann die Angst, die Verzweiflung immer mehr die Oberhand über den Zorn. Die Furcht, den geliebten Mann zu verlieren, stieg heiß in ihr auf und erstickte jede Regung von Scham und Selbstgefühl im Keime. Wie ein Aufschrei ihres gequälten Herzens rang es sich von ihren Lippen: »Ich will mich an ihn hängen, ihn bitten, ihn beschwören – ich lasse ihn nicht von mir!«

In den Augen der alten Jungfer zuckte es ärgerlich auf, ihre Stirn legte sich in finstere Falten.

»Aber bedenke«, mahnte sie dringend, »wie unwürdig, wie demütigend für Dich! Wenn Du nur einen Funken von Noras Blut in Dir hast, so wirst Du wissen, wie eine rechte Frau in Deiner Lage handelt.«

»Nora?« Die Angeredete blickte verwirrt um sich. Nora? Hatte sie nicht Heim und Familie verlassen, sich von ihrem Gatten losgesagt, als sie seinen Unwert erkannt? Und nun sollte auch sie von Arno gehen?

»Nein, nein«, rief sie, leidenschaftlich erregt im Zimmer auf- und abgehend und die Hände ringend. »Ich liebe Arno, ich kann nicht leben ohne ihn, und ich sollte ihn aufgeben, freiwillig, damit jene um so leichter –?«

Wieder wallte flammende Empörung in ihr auf. Überwältigt von den in ihr gährenden und miteinander ringenden Gefühlen stürzte sie zu dem Spiegel hin. »Bin ich nicht jung? Bin ich denn weniger schön als sie? – Ah!«

Unwillig, entsetzt fuhr sie zurück beim Anblick ihres Spiegelbildes, das in dem unförmlichen Drahtpanzer, den sie noch trug, einen nicht weniger als anziehenden Eindruck machte. Mit ungestümen Händen riß sie das entstellende Drahtgeflecht herab und warf es, ebenso wie die Drahtmaske, die auf dem Tische lag, mit einer Gebärde heftigen Abscheues weit von sich. Dann wandte sie sich entschlossen zu der Thür des Laboratoriums.

Mit geheimer Wut hatte Martha Gründler mit angesehen, wie all die schönen, theoretisch gewonnenen Anschauungen von Frauenstolz und Selbstgefühl vor dem ersten Ansturm der rauhen Wirklichkeit in nichts zerrannen. Schon hatte sie das Ziel ihrer heißesten Wünsche in greifbare Nähe gerückt gesehen, schon glaubte sie den Weg zum Glück, nach dem sie sich seit Jahren in ungestilltem Sehnen verzehrte, gefunden zu haben, und nun – nun machte Milas Schwäche und Inkonsequenz ihre kühne Hoffnung zu Schanden.

Ihre Enttäuschung, ihre Erbitterung war eine so heftige, daß sie sich der Davoneilenden in den Weg stellte und sie zornig am Arm zurückhielt.

»Mila, so komm doch zu Dir!« fuhr sie eindringlich auf sie los. »Bedenke –!«

Aber die Angeredete schenkte ihr kein Gehör. »Laß mich!« rief sie und riß sich ungestüm von ihr los.

Martha Gründler taumelte zurück, glühende Röte schoß ihr ins Gesicht, ihre Finger zuckten krampfhaft. Sie stand im Begriff, alle Rücksicht, alle Überlegung zu vergessen, ihre Brust wogte stürmisch, ihre Lippen bewegten sich – doch im letzten Augenblick bezwang sie sich. Mit einem haßerfüllten Blick auf Mila stürzte sie aus dem Zimmer.

Mila hatte fast die Thür erreicht, als dieselbe von innen geöffnet wurde und Steinbach, im dunklen Anzug, den Hut in der Hand, über die Schwelle trat.

»Du willst also wirklich gehen?« rief ihm Mila, schreckensvoll zusammenzuckend, zu.

»Natürlich – wichtige Geschäfte –«. Steinbach wollte eilig an der ihm gegenüber Stehenden vorüber, aber sie hing sich an ihn und umfaßte ihn mit flehender Gebärde. Der Chemiker wich hastig zurück und schob sie etwas unsanft von sich.

»Oho – so sei doch vorsichtig.«

Er deutete mit der Hand auf ihre mit allerlei chemischen Flüssigkeiten befleckte Bluse und betrachtete ängstlich forschend seinen Rock. Mila fühlte sich, ohnedies aufs tiefste erschüttert und erregt, empfindlich gekränkt. Mit heftiger Gebärde riß sie die Bluse, unter der sie ein schlichtes Hauskleid trug, vorn auf, entledigte sich ihrer und warf sie zornig zu Boden.

Steinbach blickte erstaunt auf. »So sei doch nicht gleich so empfindlich.«

Erst jetzt bemerkte er den befremdenden Zustand, in dem sie sich befand.

»Was hast Du denn?« fragte er in milderem Ton, während er ihr sich wieder näherte.

In Milas Seele stürmte es; in dem Chaos der Empfindungen und Gefühle, welche ihre Brust durchwogten, konnte sie keinen klaren Gedanken fassen, zu keinem festen Entschluß kommen. Sie fühlte sich versucht, ihm alles zu sagen, mit grollenden Worten der Anklage, der tiefen Empörung, welche sie minutenlang beherrschte, vor ihn hinzutreten. Dennoch hielt ein unüberwindliches Schamempfinden sie ab, diesem Impulse zu folgen. Und als Arno jetzt dicht an sie herantrat und ihr liebevoll besorgt mit der Hand über das erhitzte Gesicht strich, da löste sich ihre zornige Erregung wieder in Weichheit, und nur das eine Verlangen, den geliebten Mann um jeden Preis zurückzuhalten, beherrschte sie.

Mit konvulsivischer Heftigkeit schlang sie die Arme um seinen Hals und klammerte sich an ihn.

»Arno, ich bitte Dich, ich beschwöre Dich: bleibe bei mir! Geh nicht, heute nicht!«

Steinbachs Erstaunen wuchs. »Aber Du kleine Närrin«, sagte er kopfschüttelnd, »in einer Stunde bin ich ja zurück.«

Er bemühte sich, sie durch Liebkosungen und milden Zuspruch zu beruhigen.

»So sei doch vernünftig!« sagte er und versuchte, sich sanft von ihr los zu machen. Sie aber hielt ihn fest mit der Entschlossenheit der Verzweiflung. Arno fing an, ungeduldig zu werden; die ihm unerklärlichen Bemühungen, ihn am Ausgehen zu verhindern, erregten seinen Unmut.

»So laß mich doch!« herrschte er sie ärgerlich an.

Der scheltende Ton fachte von neuem ihren Zorn, ihren Unmut an.

»Nein!« rief sie heftig, schrill.

Er blickte sie im ersten Moment ganz bestürzt, betreten an, dann machte sich die in ihm wachsende Empörung Luft: »Aber Mila! Was soll denn das heißen? Was fällt Dir ein?«

»Ich?«

Sie ließ ihn los und ihr flammender Blick bohrte sich fest in den seinen. In ihrer Brust spann sich ein kurzer, heftiger Kampf ab: Zorn und Empörung rangen mit Schmerz und Angst um die Oberhand; ihre Wangen färbten sich mit fieberhafter Röte, ihre Hände ballten sich, in ihrer Kehle ein Würgen und Schlucken, als dränge es unaufhaltsam herauf. Aber dieser fieberhaften Anspannung der Nerven folgte blitzschnell die Reaktion. Ueber ihr Gesicht ging ein krampfhaftes Zucken, ihre Augen füllten sich mit Thränen, und in ein hysterisches Schluchzen ausbrechend, warf sie sich ihm an die Brust.

»Arno, ich – ich bin krank!« stieß sie in abgerissenen Lauten hervor. »Laß mich nicht allein! Ich fürchte mich!«

Steinbach ließ die Weinende eine Weile gewähren, dann führte er sie sanft zu dem nahen Divan und hieß sie, sich setzen. Er redete ihr wie einem kranken Kinde zu, indem er den Nervenanfall – als solchen erklärte er sich ihren Zustand – geistiger Überanstrengung zuschrieb. »So – nun ruh Dich aus! Und wenn ich zurückkomme, so bist Du wieder frisch und munter. Es ist die höchste Zeit, daß ich gehe.«

Er wandte sich zur Thür. Mila saß wie erstarrt, ratlos. Was sollte sie thun?« Er ging und alles war vorüber. Glück und Freude für immer dahin, ihre ganze Zukunft vernichtet.

Da durchzuckte sie plötzlich eine Idee, die Rettung verhieß. Lebhaft sprang sie auf.

»Arno!«

Er drehte sich nach ihr um. »Nun?«

»Mein Maskenanzug aus Berlin ist angekommen.«

»Ich weiß.«

»Was meinst Du: soll ich ihn nicht anprobieren?«

»Gewiß – morgen!« Er wandte sich von neuem zur Thür.

»Dann ist es vielleicht zu spät!« rief sie hastig, flehend. »Lieber heute, damit ich ihn zurückschicken kann, wenn er Dir nicht gefällt.«

Er machte eine Gebärde der Ungeduld. »Aber Du weißt doch, daß ich fort muß.«

»Nur zehn Minuten.« Sie trat dicht an ihn heran und schmiegte sich schmeichlerisch an ihn. »Bitte, bitte!« sagte sie und sah ihm demütig flehend in die Augen.

Der Chemiker war im Grunde ärgerlich über diesen erneuten Versuch, ihn zurückzuhalten. Schon zu viel Zeit hatte er verloren. Aber der rührend bittende Ton, ihre Sanftmut in Wort und Gebärde entwaffneten ihn. Unschlüssig zupfte er an seinem Bart.

»Sieh«, fuhr die junge Frau, ihren Vorteil wahrnehmend, rasch fort: »ich bin so neugierig, und Du? Bist Du denn gar nicht ein wenig begierig?«

Sie griff nach seinem Hut und suchte ihm denselben zu entwinden.

»Nun meinetwegen«, gab er endlich nach. »Aber spute dich!«

Mila stieß einen Freudenschrei aus; aus tiefster Brust atmete sie auf, ihr Gesicht strahlte.

»Ich eile«, rief sie, »ich fliege –!«

Sie legte Arnos Hut auf den Tisch und sprang zur Thür. Schon hatte sie die Hand auf der Klinke, da kam ihr ein Bedenken. Rasch eilte sie an den Tisch zurück, nahm Steinbachs Hut, nickte ihm schelmisch lächelnd zu und verschwand aus dem Zimmer.

Der Chemiker stand eine Weile unbeweglich und blickte nachdenklich vor sich hin. Wie rührend sie ihn gebeten hatte! Was mochte sie nur haben? Eigentümlich! Ob sie wohl ahnte? Unsinn!

Mir einem energischen Ruck drehte sich der Grübelnde um und ließ sich auf einen der Fauteuils an dem Tisch fallen. »Ich bin kindisch«, murmelte er in sich hinein. »Hallucinationen!«

Er stemmte die Ellenbogen auf den Tisch und stützte sein Haupt gedankenvoll in die Hände. Doch die Unruhe, die in ihm gährte, trieb ihn nach einer Weile wieder empor, und erregt ging er im Zimmer auf und ab.

Wie ihm das Herz klopfte! Dazu diese prickelnde Rastlosigkeit, die ihm in allen Fibern zuckte. Bald heiß, bald kalt durchschauerte es ihn. Ihm war zu Mute wie einem Schulknaben, der vor seinem Examen stand.

Fürchtete er sich etwa vor der Adolfi! Lächerlich! Er hatte ein gutes Gewissen. Es war im Dienst der Freundschaft, um Linders Sache, daß er –

Der Grübler blieb plötzlich stehen. »Heuchler!« rief er, sich selbst scheltend, und runzelte die Stirn.

Er blickte eine Weile düster vor sich hin. War es wirklich allein des Freundes wegen, daß er es gar nicht erwarten konnte, die Schauspielerin aufzusuchen? Warum schlug ihm das Herz bei dem Gedanken an den bevorstehenden Besuch so stürmisch, daß er es bis zum Halse hinauf verspürte?

Waren es nicht die Augen der Schauspielerin, die ihn lockten, ihre süße, einschmeichelnde Stimme, ihr verführerisches, bestrickendes Wesen?

Ein verklärendes Lächeln erschien in dem sich plötzlich aufhellenden Gesicht. Seine Augen blickten träumerisch in die Weite. Die graziöse, geschmeidige Gestalt der Adolfi erschien vor ihm, und das Verlangen, sie zu sehen, den Klang ihrer Stimme zu hören, das eigenartig anregende, reizvolle konversationelle Geplänkel mit ihr wieder aufzunehmen, schlug wie eine lodernde Flamme in ihm auf.

Ein Blick nach der Stutzuhr ließ ihn erschreckt zusammenfahren. Fast halb sechs!

Und Mila war noch nicht zurück. Verwünscht wie lange das dauerte!

Eine fieberhafte Unruhe kam über ihn. Der Angstschweiß trat ihm auf die Stirn bei dem Gedanken, daß er die Adolfi verfehlen könnte! Um sechs Uhr mußte sie ins Theater. Und morgen in der Frühe reiste sie.

Verwünschte Nachgiebigkeit! Konnte er Milas Kostüm nicht ebensogut ein andermal – – –? Und was sollte die Schauspielerin von ihm denken? Hatte er nicht fest zugesagt zu kommen? Gewiß ging sie in ihrem Zimmer voll Ungeduld auf und ab, ihn erwartend und er – er, anstatt zu eilen, blieb, wartete – ah, Dummheit! War er denn ein Narr, daß er einer Laune wegen – –

Ungestüm näherte er sich der Thür, die in Milas Zimmer führte.

»Mila, meinen Hut!« rief er laut, hastig.

Da öffnete sich, noch bevor er sie erreicht, die Thür und mit tänzelnden Schritten erschien Mila aus der Schwelle.

Ein staunendes »Ah!« entfuhr dem unwillkürlich mehrere Schritte Zurückweichenden. Die Farbenpracht ihres Kostüms blendete ihn, der Schnitt desselben ließ ebensowohl den edelgeformten Hals und die schimmernden, sanft gerundeten Schultern hervorleuchten, wie er die zierlichen Füßchen bis über die zarten Fesseln hinaus dem bewundernden Blick preisgab.

Sie stemmte kokett die Arme auf die Hüften und drehte sich graziös auf dem Absatz herum.

»Gefalle ich Dir?« lächelte sie ihn an.

»Entzückend! Großartig!« stieß er ekstasisch hervor. »Ich sage Dir, Du wirst allen Männern die Köpfe verdrehen!«

Sie zuckte geringschätzig die Achseln. »Bah, daran liegt mir auch was recht's!«

Seine Augen weideten sich noch immer an den Reizen und deren Folie. Für den Augenblick vergaß er ganz seinen Ärger.

»Du,« sagte er gut gelaunt, ihr schelmisch mit dem Finger drohend. »Nicht heucheln! Ihr Frauen kennt keinen höh'ren Ehrgeiz, als den Männern die Köpfe zu verdrehen, nicht einem, sondern allen.«

Sie zeigte eine Schmollmiene, die ihr allerliebst stand.

»Wenn Du so garstig sprichst, gehe ich lieber.«

Sie that wirklich, als ob es ihr mit dieser Drohung ernst sei. Er hielt sie hastig zurück und umfaßte sie sanft. Sie zeigte sich sogleich versöhnt. Schmeichlerisch ihren Kopf an seine Schultern lehnend, schmiegte sie sich hingebend an ihn und blickte ihm zärtlich in die Augen.

»Nur einem will ich gefallen, niemandem sonst«, flüsterte sie zu ihm empor.

Er preßte sie leidenschaftlich an sich. Mila, meine süße, schöne Mila!« rief er begeistert.

Er beugte sich herab, um sie zu küssen. Schon durchströmte das Gefühl des Triumphes ihre Brust, schon jubelte sie innerlich, da ertönte der helle, metallische Schlag der Uhr.

»Halb sechs!« schrie er aus. Der elektrisierende Klang entriß ihn seinem Rausche. Ernüchtert schnellte er empor und befreite sich mit einem schnellen Ruck aus ihren Armen.

»Rasch, Mila, meinen Hut! Es ist die höchste Zeit!«

Sie unterdrückte mit Mühe die Angst, welche ihr wieder die Kehle zuschnüren wollte, welche sie erbeben ließ.

»Noch eine Minute!« flehte sie und drängte sich von neuem schmeichlerisch an ihn. »Du hast mich ja noch gar nicht ordentlich betrachtet.«

Sie zeigte auf das Tuch, das ihr vom Kopf auf die Schulter herabhing. »Wie gefällt Dir das? Nicht wahr, etwas bunt?«

Aber Steinbach hatte keine Ohren, keine Augen mehr für sie.

»Nachher!« beschied er sie kurz, »in einer Stunde bin ich zurück.«

Sie haschte hastig nach der Hand des Zurückweichenden. »Aber ich kann doch nicht bis dahin in diesem Kostüm – «

Er achtete nicht mehr auf das, was sie sagte. Ganz nur von dem einen Gedanken beherrscht, so schnell als möglich in das Hotel der Adolfi zu gelangen, stürzte er zur Thür, um seinen Hut aus dem Nebenzimmer selbst zu holen. In der nächsten Sekunde hatte er die Schwelle überschritten.

Frau Mila stand wie betäubt, starr und regungslos. Ein unendlicher Schmerz prägte sich in ihren zuckenden Mienen aus; sie preßte die Hand auf die Augen und stöhnte aus tiefster Seele auf; schon hörte sie die Schritte des Zurückkommenden. Da packte sie die Verzweiflung. Er durfte nicht fort, um keinen Preis. Zwischen fünf und sechs erwartete ihn die Komödiantin. Morgen reiste sie und alle Gefahr war vorbei. Noch eine halbe Stunde galt es, ihn zurückzuhalten mit allen Mitteln. Vor diesem einen, sie voll und ganz beherrschenden Verlangen traten alle anderen Bedenken zurück.

Mit einem Satz war sie an der Thür und noch ehe er von der anderen Seite öffnen konnte, drehte sie mit einem Ruck den Schlüssel herum. Dann sank sie erschöpft auf den nächsten Stuhl.

Der Chemiker stand einen Moment lang erstaunt, verblüfft. Dann rüttelte er heftig an der Klinke. »Mach doch auf, Mika!« rief er mit verhaltenem Zorn. »Was soll denn das heißen? Sei doch nicht kindisch!«

Sie antwortete nicht. Die in ihr tobende Erregung hinderte sie am Sprechen. Das Herz schlug ihr, daß sie glaubte, es müsse ihr die Brust zersprengen.

»Mila! Bist Du denn nicht da?« erscholl es wieder aus dem anderen Zimmer.

»Ja!« brachte sie mühsam hervor.

Das Rütteln an der Klinke ließ sich von neuem vernehmen. »So mach doch auf – schnell!«

Sie nahm alle ihre Kraft und ihren Mut zusammen.

»Wenn Du mir versprichst«, – begann sie.

Wütend unterbrach er sie. »Gar nichts – nichts verspreche ich Dir, wenn Du Dich so albern benimmst. Gleich mach auf – hörst Du!«

Sie sprang empor. Mit einer Gebärde der Verzweiflung breitete sie die Arme über die Thür aus, als wollte sie den dahinter Stehenden umfassen; dann preßte sie ihren Mund an die Thürritze und wisperte flehentlich, eindringlich hindurch: »Arno, mein lieber, mein süßer Arno – ich bitte Dich, bleibe, nur eine halbe Stunde bleibe noch! Siehst Du, Du mußt mir doch erst sagen – «

Ein erneutes, heftiges Rütteln an der Thür und ein lauter, kräftiger Schlag gegen dieselbe erstickten ihre Stimme.

»Mach auf – auf der Stelle, sag' ich Dir!« schrie Steinbach, von seinem Zorn völlig übermannt. Erschreckt fuhr sie zurück. Er hatte sich mit seiner ganzen Körperkraft gegen die Thür geworfen, daß sie in allen Fugen krachte.

»Soll ich die Thür einbrechen? Willst Du uns zum Gespött der Stadt machen? Soll ich zum Fenster hinausrufen?«

Daß das letzte keine bloße Drohung, hörte sie an seinen Schritten, die sich jetzt von der Thür nach der entgegengesetzten Richtung hin entfernten. Sie kannte seine Entschlossenheit, die in Momenten großer Erregung keine Rücksicht nahm. Blitzschnell drehte sie den Schlüssel zurück und sprang von der Thür hinweg in die Mitte des Zimmers. Sie schwenkte ein Tamburin, das sie als zum Charakter ihres Kostüms gehörig in der Hand getragen, über ihrem Haupte und begann den Tanz, den sie, um Arno zu überraschen, schon seit Wochen heimlich eingeübt hatte.

In diesem Augenblick stürzte Steinbach über die Schwelle, zornbebend, dunkelrot von der Anstrengung und Aufregung. Als er die Tanzende erblickte, blieb er wie angewurzelt stehen. Sie tanzte mit einer Leidenschaft, mit einer Glut, der sie sich selbst nicht für fähig gehalten. Sie tanzte mit dem Eifer der Verzweiflung. Sie wußte es instinktiv, daß von der Macht ihrer Reize, von der verführerischen Kraft, die sie ihrem Tanz zu verleihen wußte, ihre Rettung, das Glück ihres Lebens abhing. Vergessen war alles, was noch vor kurzem ihre Seele erfüllt, ihren Ehrgeiz ausgemacht. Nur Weib fühlte sie sich, hingebendes, lockendes, verführerisches Weib.

Steinbachs Befremdung und Staunen schlug jäh in glühende Bewunderung, ja, in förmliche Begeisterung um. Sein Gesicht strahlte; keinen Blick ließ er von ihren immer glutvoller werdenden Bewegungen.

»Das ist ja – die Tarantella ist das, nicht?« rief er. »Wo hast Du denn das her? Heimlich einstudiert?« Sie nickte ihm lächelnd zu.

Sein Herz schwoll vor Entzücken. Die Grazie, die Glut ihres Tanzes nahm ihn ganz gefangen und verdrängte jeden anderen Gedanken, jede andere Empfindung in ihm. Sein Enthusiasmus sprudelte in lebhaften, kurzen Ausrufen hervor: »Das ist ja – berauschend ist das! – – Wunderbar – – Welch ein Feuer! – Wer hätte das von Dir – –! Nicht so wild doch! Du tanzt Dich ja ganz außer Atem!!«

Mit einer Wildheit, die nicht natürlich war, hatte Mila getanzt, nur von dem einen Bestreben getrieben, Arno zur Bewunderung zu zwingen. Jetzt fühlte sie ihre Kräfte schwinden; ganz außer Atem warf sie sich auf ein Fauteuil und schloß, überwältigt von Aufregung und Ermattung, die Augen.

Steinbach aber warf sich begeistert auf die Knie vor ihr nieder, faßte enthusiastisch ihre Hände und bedeckte sie mit Küssen.

»Mila – Du – Du –« stammelte er, hingerissen von dem Sturm seiner Gefühle. Zärtlich blickte er zu ihr auf. Als er sie wie ohnmächtig im Fauteuil liegen sah, sprang er angstvoll auf seine Füße und beugte sich besorgt über sie.

»Was ist Dir? Siehst Du, nun – nun hast Du Dich – –! Mila, meine liebe, süße Mila, hörst Du mich denn nicht?«

Sie schlug die Augen auf und blickte, wie aus bösem Traum erwachend, um sich. Dann schlang sie mit leidenschaftlicher Gebärde die Arme um seinen Hals und brach in ein nervöses Weinen aus.

»Mila, teures, geliebtes Kind!« rief er erschüttert.

Sie preßte sich heftig an ihn. »O Arno«, stieß sie schluchzend, fiebernd vor Erregung hervor: »Geh nicht – bleib – bleib bei mir!«

»Immer – immer!« rief er stürmisch und bedeckte ihr Mund, Wangen und Augen mit leidenschaftlichen Küssen.

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