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IV.

Frau Mila hatte ihre Toilette beendet. Es war dicht vor neun Uhr, die höchste Zeit zum Ball. Eilig durchschritt sie die zwischen ihrem Schlafgemach und dem Laboratorium ihres Mannes liegenden Zimmer. Sie wußte, daß er sich bei seiner Arbeit nicht gern stören ließ und sein Laboratorium als einen durch wissenschaftliche Arbeit geheiligten Raum betrachtet wissen wollte, zu dem die anderen Hausgenossen außer ihm und einem ihm zuweilen assistierenden Gehilfen keinen Zutritt hatten. Hier durfte niemand schalten und walten, als er, und wenn er seinen wissenschaftlichen Versuchen oblag, durfte niemand sich unterfangen, ihn abzurufen und mit anderen Dingen behelligen zu wollen.

Ebensowenig aber liebte er es, sobald er seinem Laboratorium den Rücken gekehrt, um Ruhe und Erholung zu suchen, mit Fragen über seine Arbeiten und mit der trockenen Erörterung von Berufsangelegenheiten sich plagen zu lassen. Außerhalb seines Arbeitsraums war er ein anderer, fühlte er sich nicht als Fachmann, sondern lediglich als Mensch, der nach des Tages Last und Mühen die Freuden des Lebens genießen und durch Zerstreuungen den ermüdeten Geist vom Grübeln über wissenschaftliche Probleme ablenken will. Er kannte dann nur das eine Bestreben, Körper und Geist zu erfrischen und die angespannten Nerven ausruhen zu lassen.

Oft genug hatte Frau Mila das schmerzlich empfunden. Wohl hundertmal hatte sie versucht, in die Geheimnisse seines Laboratoriums zu dringen, sich von ihm in seine Arbeiten einweihen zu lassen und an den Interessen seines Berufes teilzunehmen. Aber bisher immer vergebens. Entweder mit einem Scherzwort oder aber mit der kurzen Erklärung: »Das ist nichts für meine kleine Mila!« wies er alle derartigen Versuche zurück.

Sie solle nicht seine Gehilfin sein, sondern sein liebes, schönes, angebetetes Weibchen. Nicht eine Genossin der Arbeit suche er in ihr, sondern die Freude, die Schönheit, die Heiterkeit. Das Element des Frohsinns solle sie in seinem Leben darstellen. Die weiße Glätte ihrer Stirn, den strahlenden Glanz ihrer Augen wolle er nicht den Sorgen und Mühen der trockenen Berufsarbeit preisgeben. Schön solle sie sein, schön und heiter.

Nie halten solche Äußerungen den Unwillen der ehrgeizigen jungen Frau in so hohem Grade erregt, wie während der letzten Wochen, seit sie durch Oswald Kramm in eine neue Gedankenwelt eingeführt worden. Nie hatte sie so bitter empfunden, daß sie, ähnlich wie Nora, für ihren Mann nur die »lustige Lerche« war, eine mit buntem Flitterkram behängte Puppe, in der man geistige Eigenschaften nicht sucht, sondern die nur dazu dient, durch äußere Reize das Auge zu erfreuen.

Als Frau Mila die Schwelle des Laboratoriums überschritt, stand der Chemiker am Fenster und hielt einen kleinen, ovalen Glasbehälter, in welchem er mit einem Glasstabe herumrührte, gegen das Licht.

»Arno – noch nicht fertig? So beeile Dich doch!« redete ihn die Eintretende an und näherte sich ihm rasch. Ihre Wißbegierde wurde sogleich rege.

Er blickte auf, seine Stirn runzelte sich, aber als er sie in ihrer strahlenden, durch die festliche Toilette noch gehobenen Schönheit vor sich sah, da erhellte sich sein Gesicht und ein unwillkürliches »Ah!« der Bewunderung entschlüpfte seinen Lippen. »Wie schön sich meine kleine Mila gemacht hat!«

Sie hörte nicht auf ihn, sondern sah nur immer voll Neugier auf den Glasbehälter in seiner Hand.

»Was hast Du denn da, Arno?«

»Ach, nur ein Reagenzglas«, antwortete er kurz. Seine Augen leuchteten und ruhten bewundernd auf ihrer anmutigen Erscheinung.

Sie achtete nicht darauf. Ihr ganzes Interesse wurde durch das Glas in seiner Hand in Anspruch genommen. Auf ihre Zehenspitzen sich erhebend, deutete sie auf die helle Flüssigkeit in dem Glase, in welchem ein kleiner dunkler Körper schwamm.

»Was ist das da?«

»Königswasser«, stieß er, ärgerlich über ihre Hartnäckigkeit, heraus. Dann versenkte er sich von neuem in ihren Anblick. Die nach der Mode knappe, anschmiegende, tief dekolletierte Ballrobe ließ ihre Formen, die trotz ihrer Zartheit doch der jugendfrischen Rundung nicht entbehrten, plastisch hervortreten.

»Weißt Du, Mila, ein schönes Weib in Balltoilette, das ist geradezu blendend – berauschend!«

Hingerissen von ihrer Schönheit, beugte er sich vor und berührte mit seinen Lippen die wie glühender Schnee leuchtenden Schultern.

Sie zuckte zusammen und trat unwillkürlich einen Schritt zurück. »Pfui, Arno!«

Doch in der nächsten Sekunde näherte sie sich wieder ganz dicht. Sie wollte die günstige Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen lassen. Sie fühlte, daß er in diesem Augenblick nachgiebig und schwach war. Ihre Begierde, sich über die Dinge, welche das Hauptinteresse seines Lebens in Anspruch nahmen, belehren zu lassen, ließ sich nicht mehr zügeln. Sie wollte endlich einmal ihren Willen durchsetzen.

»Königswasser? Was ist denn das, Königswasser?«

Er setzte das Glas hin und machte eine Bewegung der Ungeduld. »Ach, laß das langweilige Zeug!«

Dann ergriff er sie an beiden Händen und betrachtete entzückt ihre nur bis zum Ellenbogen durch Handschuhe bekleideten Arme.

»Sieh nur, diese klassisch schöne Linie!« rief er in ehrlicher Bewunderung, »da oben von der Wurzel bis herab zum Ellenbogen!«

Frau Mila konnte ihre Ungeduld nicht bändigen. Zornig stampfte sie mit dem in weißem Atlasschuh steckenden Füßchen auf den Boden. »Willst Du mir nicht endlich erklären – «

Steinbach hatte ihren rechten Arm ein wenig emporgehoben und durch einen hastigen Kuß seiner glühenden Bewunderung Luft gemacht.

»Was?« fragte er, aus seiner Verzückung erwachend und ihren Arm loslassend.

»Woraus dieses Königswasser besteht!«

»Salzsäure und Salpetersäure – sei froh, daß Du mit diesem häßlichen Zeug nichts zu schaffen hast!«

Er ergriff sie von neuem an den Armen und drehte sie sanft ein wenig zur Seite. Voll Entzücken ließ er seine Blicke auf den schneeigen Schultern und auf dem herrlich gewölbten, blendenden Nacken weilen, da plötzlich stieg in seinem erregten Geiste eine Vision auf, die ihm ein quälendes Unbehagen bereitete.

Steinbach sah Mila im Ballsaal, von hundert Lichtern bestrahlt, von hundert frivolen Männeraugen begafft, und während ein Fremder sie im Taumel des Tanzes in seinem Arm hielt, Brust an Brust, war ihm, dem Ehemann, nur aus der Ferne ein flüchtiger Blick verstattet.

Ein lauter Seufzer entfuhr ihm, ein lebhafter Unmut ergriff ihn, ein heftiger Widerwille, sie, die in der unbelauschten Häuslichkeit immer nur in züchtig bis zum Halse schließendem Kleid erschien, in all der bezaubernden Pracht ihrer unverhüllten Schönheit an den öffentlichen Ort zu führen und indiskreten, lüsternen Männerblicken preiszugeben.

»Mila,« rief er in aufflammender Entschlossenheit, ganz von der ihn plötzlich packenden Idee beherrscht: »Laß uns zu Hause bleiben! Thue mir die Liebe, nur dieses eine Mal verzichte auf den Ball!«

Sie blickte ihn überrascht, erstaunt an, aber er ließ ihr keine Zeit zu einer Erwiderung und sie schmeichlerisch umfangend, fuhr er fort, sich immer mehr an seinem wunderlichen Einfall berauschend: »Sieh, ich denke es mir entzückend: Du richtest uns schnell ein kleines Souper her, ein paar Leckerbissen, ich hole uns schnell ein paar Flaschen Wein aus dem Keller, Champagner! Wir soupieren, wir pokulieren – Du und ich, in traulichem tête-à-tête – Du im Ballkleid, ich im feierlichen Frack! Für niemand blühen diese Reize heute abend, für niemand als mich allein!«

Er beugte sich herab und küßte sie glutvoll auf Schultern und Arme. Frau Mila aber riß sich heftig, zornbebend, aufs tiefste verletzt, aus seiner Umarmung los. All der Ärger über die vermeintliche Geringschätzung ihrer geistigen Eigenschaften, der seit Wochen, seit Monaten in ihr gebohrt und gearbeitet, kam jetzt zum jähen, stürmischen Ausbruch.

»Weißt Du,« rief sie mit funkelnden Augen, »daß alles, was Du da sagst, was Du von mir verlangst, empörend, beleidigend, ja, eine Beschimpfung für mich ist. Daß Du es mir so unverhüllt zeigst, was Du in mir siehst, was Du an mir liebst! Wie erniedrigend, wie demütigend für mich!«

Er blickte sie ganz entsetzt an, wortlos; ihr aber drängte die flammende Empörung, die sie an allen Gliedern erzittern ließ, weitere einander überhastende Worte über die Lippen: »Während ich darnach lechze, Dir geistig etwas zu sein, während ich mich bemühe, an Deinem Schaffen verständnisvollen Anteil zu nehmen, siehst Du in mir nur – oh, wie beschämend! Bin ich denn in Deinen Augen nichts als ein seelenloser Körper, nur Fleisch und Blut?!«

Erschöpft von der in ihr tobenden Aufregung warf sie sich in einen ihr nahestehenden Sessel, und nach Frauenart brach sie in ein thränenreiches Weinen aus.

Steinbach stand bestürzt hinter ihr. Das hatte ihn vollkommen überrumpelt. Aber er ahnte den Zusammenhang, erkannte den psychologischen Prozeß, der in der Seele seiner romantisch angeregten kleinen Frau sich abgespielt und sah die treibende Kraft desselben.

In stillem Ingrimm ballte er die Fäuste. Oswald Kramm – Ibsen – Nora – schwirrte es durch seinen Kopf. Zum Henker, nun war es am Ende noch eine Sünde, sich an der Schönheit seiner Frau zu erfreuen, anstatt sie im Laboratorium sich die zarten Fingerchen und den rosigen Teint verderben zu sehen.

Er schluckte die heftige Entgegnung hinunter, die ihm auf die Zunge treten wollte. Sie war am Ende doch nur die Irregeleitete und es wäre albern gewesen, das, was im Grunde doch nur der Ausfluß einer vorübergehenden Laune war, gar zu tragisch zu nehmen.

Er trat dicht an sie heran und löste ihr sanft die Hände von dem thränenüberströmten Gesicht.

»Mila, thörichtes Kind,« redete er sie besänftigenden Tones an, »Du wirst mir doch nicht übel nehmen wollen, daß ich Dich schön finde?«

»Aber ich will mehr sein als schön.« Sie stieß es trotzig heraus, hin und wieder durch einen schluchzenden, stoßenden Laut unterbrochen, wie ein unartiges Kind.

Der Chemiker lächelte und strich ihr liebkosend Stirn und Haar, während er einschmeichelnd entgegnete; »O, meine Mila ist auch klug; sie weiß, daß wir Männer nun einmal bei einer Frau das schöne Gesicht mehr lieben als den schönen Geist.«

Nun umfaßte er sie mit beiden Armen, drückte ihr Köpfchen an seine Brust und küßte ihr die Wangen und die feuchtschimmernden Augen. »Geh, sei gut, sei lieb! Willst Du?«

Sie hörte auf zu weinen, von ihrer zornigen Erregung keine Spur mehr. Nur die aufgeworfenen Lippen gaben ihrem Gesicht einen schmollenden Ausdruck. »Mir liegt nichts an dem dummen Ball.«

»Also!« Ein freudiges Leuchten ging über sein Gesicht. »So laß uns zu Hause bleiben, soupieren zu zweien! Ja?«

Sie nickte und lächelte wieder zu ihm empor, und ein Seufzer der Erleichterung löste sich von seiner aufatmenden Brust.

»Gut!« erklärte sie. Bleiben wir! Aber –« sie wand den runden, schimmernden Arm um seine Schulter und schmiegte sich schmeichlerisch an ihn. »Zuvor mußt Du mir etwas versprechen, Arno!«

Instinktiv wußte sie ihren Vorteil wahrzunehmen. In einer verführerischen Gebärde näherte sie ihre Lippen den seinen. Dem Chemiker wurde warm ums Herz. Ihre Nachgiebigkeit, ihre hinreißende Liebenswürdigkeit bezwangen ihn. Stürmisch küßte er sie auf den Mund. »Alles, was Du willst!« rief er begeistert.

»Von morgen an gestattest Du mir den unbeschränkten Zutritt zu Deinem Laboratorium, von morgen an lässest Du mich teilnehmen an allen Deinen Arbeiten.«

Sie hatte es in raschem Fluß gesprochen, als fürchte sie von ihm unterbrochen zu werden. Jetzt zog sie mit einer reizenden Gebärde seinen Kopf zu sich nieder und küßte ihn wiederholt auf den Mund.

»Aber bedenke,« erwiderte er, in den Pausen zwischen den Küssen nur schwach protestierend, »bedenke: die Luft in solch einem Laboratorium! Dazu die Gefahr: Gift – Explosion!«

Sie lachte. »O damit schreckst Du mich nicht!« Und schnell ernst werdend und die Lippen wieder leicht aufwerfend, erklärte sie, durch energisches Kopfnicken hin und wieder ihren Worten mehr Nachdruck gebend: »Ich will nicht mehr Deine bloße Puppe sein, Dein Spielzeug, gut zur Unterhaltung in müßigen Stunden. Ich will nicht, daß Du mit mir immer tändelst und scherzest. Ich will, daß Du mich ernst nimmst! Ich will Dein –«

»Assistent sein?« fiel er lachend ein.

»Wenn Du es so nennen willst, ja!«

Er preßte seine Wange an die ihrige. »Du kleine Närrin!« sagte er lächelnd. Ihm lag vor allem daran, eine Wiederholung des heftigen Auftritts von vorher zu vermeiden und sich den in Aussicht stehenden schönen Abend nicht trüben zu lassen. Der Klügere giebt nach, dachte er. Vor der nüchternen Wirklichkeit würde sich ja ihre theoretische Laune sehr bald verflüchtigen.

»Also meinetwegen. Es wird Dir bald genug wieder leid werden.«

Sie schüttelte sehr entschieden das Köpfchen. Steinbach aber hätte jetzt um keinen Preis von neuem ihren Widerspruch herausgefordert. Rasch richtete er sich auf, zog sie mit sich empor und legte ihren Arm in den seinen.

»Jetzt aber – komm, zu unserm Souper!«

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