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II.

Am andern Morgen um die neunte Stunde, als sich Steinbach eben in sein Privatlaboratorium begab, das er sich in seiner Wohnung hatte einrichten lassen, ertönte plötzlich der schrille Ton der heftig gezogenen Flurglocke. Gleich darauf trat Linder ein, erhitzt und laut schnaufend, und warf sich, nach Atem ringend, auf einen der drei Sessel, welche zu dem wenigen Mobiliar dieses mit Schränken und chemischen Apparaten gefüllten Raumes gehörten.

Kopfschüttelnd beobachtete Steinbach den Freund, der sich in einer ganz außergewöhnlichen Aufregung befinden mußte, denn er hatte sogar den üblichen Morgengruß vergessen.

Im nächsten Augenblick aber sprang der Sitzende wieder ungestüm auf.

»Arno – Freund«, rief er exaltiert aus, während er Steinbach mit beiden Händen an den Schultern packte. »Mit mir ist's aus, ich bin verloren!«

»So?« machte der andere mit einer zu der Aufgeregtheit Linders in einem komischen Gegensatz stehenden Gemütlichkeit. »Na, wenn Du Dich wieder gefunden hast, kannst Du mir ja in aller Ruhe erzählen, was Dir so Furchtbares passiert ist.«

Der junge Rechtsanwalt, ohne viel auf die Worte des Freundes zu hören, schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn und machte seiner Gemütsstimmung in dem drastischen Ausdruck Lust: »O ich Esel – ich Esel!«

Steinbach lachte laut auf. »Höre mal, das ist beleidigend!« –

»Beleidigend?« Der Sprechende zeigte eine verblüffte Miene. »Beleidigend für Dich?«

»Nun ja, es ist doch am Ende nicht angenehm, wenn man einen Esel zum Freunde hat.«

Diese lächelnden Mundes gegebene Erklärung erregte die lebhafte Indignation des Rechtsanwalts. »Pfui! Du kannst noch schlechte Witze machen, während ich – denke Dir, diese Neumann –«

»Du meinst die Adolfi?« warf Steinbach ein, dessen Interesse jetzt erwachte.

»Sie hat es in der Hand, mich zu verderben.«

»Aha!« Steinbach nickte. Linders letzte Bemerkung brachte ihm mit einem Male das rechte Verständnis für die ihm am Abend vorher durch die Schauspielerin gewordenen interessanten Mitteilungen. »Ja, ja«, bemerkte er mehr zu sich selbst, als zu dem Freund. »Ich hätte mir gleich denken können, daß sie selbst ihre beste Freundin ist.«

»Wie?«

»Du hattest Beziehungen zu ihr«, sagte der Chemiker, ohne Linders Frage zu beachten – »ich meine zärtliche Beziehungen?«

Im ersten Moment sah der Gefragte den anderen sprachlos, mit einem nicht gerade intelligenten Ausdruck an, brach dann aber in den ärgerlich klingenden Ausruf aus: »Natürlich – frage doch nicht so naiv!«

Und sich wieder seiner früheren Mutlosigkeit überlassend, mit verzweiflungsvoll erhobenen Händen: »Und ihr, ihr bin ich auf Gnade und Ungnade überliefert!«

Steinbach zuckte die Achseln. »Höre mal. Du übertreibst. Was ist denn da weiter? Du hast mit der Adolfi eine kleine Liebelei gehabt. Wer hätte dergleichen in seiner Junggesellenzeit nicht gehabt!«

Linder warf sich in einen Sessel und ließ kleinmütig den Kopf sinken. »Wenn es nur das wäre!«

»Sie hat Briefe von Dir?«

Der Gefragte nickte zerknirscht. »Mehr!« gestand er seufzend.

»Mehr?«

Steinbach blickte den wie ein Bild des Jammers Dasitzenden erstaunt an und dachte einen Augenblick nach.

»Sie hat Deine Photographie!« forschte er lächelnd, »mit zärtlicher Widmung: Seiner innig geliebten Lilly ihr ewig treuer Kurt? Ich wette, die Ewigkeit Deiner Treue hat keine drei Monate gedauert.«

»Mensch – laß doch die schlechten Witze!« fuhr Linder ärgerlich auf. Und, heftig aufspringend, trat er dicht vor Steinbach, erfaßte ihn am Rockaufschlag und sprudelte erregt hervor: »Denke Dir: heute morgen, als ich meine ehemaligen Beziehungen zur Adolfi, die der Teufel hierhergeführt hat, noch einmal in meiner Erinnerung überdenke und durchforsche, da fällt mir plötzlich ein: Linder, Unglücksmensch, sie, die Du schnöde verlassen mit französischem Abschied, sie hat ja noch Dein Tagebuch, das Du ihr einst in einer übermütigen Stunde gegeben.«

»Dein Tagebuch?«

»Richtiger, das Tagebuch meiner galanten Abenteuer.« Und den Rock des Freundes fahren lassend, fuhr er sich mit einer Gebärde völliger Verzweiflung in die Haare: »O, verwünschter Einfall.«

Steinbach aber brach in ein lautes Lachen aus. »Wie? Darüber hast Du Buch geführt? Na höre mal!«

Linder nickte trübselig. »Noch dazu mit aller Ausführlichkeit. Nichts ausgelassen, nichts vergessen. Dazu die nötigen Beweisstücke: Briefe, Photographien u. s. w.«

Der Sprechende ging aufgeregt im Zimmer hin und her und machte seiner gepreßten Seele in weiteren Bekenntnissen Luft: »Das Buch umfaßt den Zeitraum von meinem achtzehnten bis zu meinem sechsundzwanzigsten Lebensjahre; alle möglichen Kategorien eroberungssüchtiger Berlinerinnen sind darin vertreten: es enthält nicht weniger als fünfundzwanzig Nummern.«

Steinbach zeigte eine komisch-ernsthafte Miene und erhob schaudernd die Hände. »Fünfundzwanzig! O – o!«

Linder aber, der irgend einen guten Rat, zum mindesten ein ehrliches Mitgefühl mit seiner bedenklichen Lage erwartet, fuhr zornig auf ihn los: »Mensch, wenn Du jetzt auch noch anfängst, Entrüstung zu heucheln, so – –! Als ob Du's anders getrieben hättest!«

»Nun ja«, lenkte Steinbach ein, »man ist eben auch einmal jung und leichtsinnig gewesen.«

»Dieses Berlin!« stöhnte der andere, sich wieder wie geknickt und ganz niedergeschmettert in den Sessel fallen lassend.

»Und diese Berliner Mädchen«, sekundierte der Chemiker, seiner in Berlin verlebten lustigen Studienjahre gedenkend, »das lächelt und lockt und girrt.«

»Der Teufel soll da ein Cato bleiben«, fuhr Linder fort, in dem Bestreben, die Leichtlebigkeit seiner Jugendzeit vor sich zu entschuldigen.

»Nicht wahr? Und wenn man die Sache im rechten Licht betrachtet – «

»So sind wir gar nicht so schuldig«, schloß der junge Rechtsanwalt und stand auf, um von neuem das Zimmer zu durchwandern, denn die in ihm gährende Unruhe litt ihn nicht lange still an einem Platze.

Eine Pause entstand, während welcher jeder der beiden Freunde schweigend seinen Gedanken nachhing. Nach einer Weile nahm Steinbach wieder das Wort. »Wie konntest Du auch so etwas dem indiskreten Papier anvertrauen?« bemerkte er kopfschüttelnd.

»Freilich, freilich«, gab Linder kleinlaut zu, »es war ja eine verrückte Idee, aber die Sache machte mir damals unbändigen Spaß. Nun muß ich's büßen. Wenn die Adolfi nun aus Rachsucht meiner Braut das Buch in die Hände spielt!«

»Hm, hm!« Der Chemiker versenkte sich in ein stummes Grübeln. Er erinnerte sich gewisser Erfahrungen aus seiner eigenen Brautzeit, aus der ersten Zeit seiner Ehe. Eine plötzliche Idee kam ihm.

»Weißt Du«, rief er lebhaft aus, »die Frauen sind in diesen Dingen manchmal ungeheuer vernünftig. Vielleicht nimmt die Else die ganze Geschichte gar nicht so tragisch, ja, vielleicht imponiert ihr das gerade. Man hat Beispiele – «

Der andere unterbrach ihn mit einer heftig protestierenden Handbewegung. »Unsinn! Else mit ihrer Svavabegeisterung!«

»Ja so. Siehst Du, das hast Du nun von Deiner Schwärmerei für die Norweger.«

»Ich?« Der Rechtsanwalt blieb ärgerlich vor dem Freunde stehen. »Ich – schwärmen? Dummes Zeug! Ich mache ja nur die Mode mit.«

»Ich habe es immer gesagt«, spann der materialistisch angelegte und sehr realistisch denkende Chemiker seine Gedanken weiter: »Dieser Oswald Kramm mit seinen Vorträgen über Nora und Svava und über die Emanzipation des Weibes ist ein gemeinschädlicher Mensch, der uns unsere Frauen und Mädchen in Grund und Boden verdirbt.«

»Ja, aber wovon soll denn solch ein armer deutscher Schriftsteller leben«, bemerkte Linder mit einem Anflug von Bosheit und Galgenhumor, »wenn nicht von der ausländischen Litteratur?«

Steinbach lachte laut auf. »Du hast recht«, entgegnete er. »Aber Du bist nun das Opferlamm, Du steckst nun in der Patsche. Ich bin neugierig, wie Du Dich herauswickeln wirst.«

Dem Bedrängten, der sich der Worte, die seine Braut in Bezug auf Svava und Alf gestern zu ihm geäußert, mit Schaudern erinnerte, kam ein kühner Gedanke. »Ob ich zu ihr gehe?«

»Du?« Der Chemiker schüttelte abratend den Kopf. »Sie ist wütend auf Dich.« Seine Augen blitzten vor lustiger Schelmerei, während er mit Lilly Adolfis Pathos fortfuhr: »Du hast alles in ihr getödtet: Liebe, Treue, Glauben!« Linder glaubte nicht anders, als daß der Freund seiner Angst spotten wolle, und steckte eine grimmige Miene auf. Steinbach aber nahm keine Notiz davon. »Die Sache will überlegt sein«, sagte er, »jedenfalls mußt Du warten, bis sich ihr erster Zorn gelegt hat. Übrigens –« er sah nach der Wanduhr hinüber – »hast Du heute keinen Termin?«

Der junge Jurist folgte mit seinen Augen dem Blick des Freundes. »Teufel, schon dreiviertel zehn!« rief er erschreckt aus. »Ich müßte längst auf dem Gericht sein. Adieu!«

Er reichte dem Chemiker die Hand, ergriff eilig seinen Hut und stürmte zum Zimmer hinaus, während ihm Steinbach ein schallendes »Auf Wiedersehn!« nachrief.

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