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Den beiden Liebespaaren verstrichen die Wochen und Monate in ungetrübtem Glück. Ortwin Ladenburg dichtete fleißig an den letzten beiden Akten seines Dramas, und als er sie vollendet hatte, arbeitete er das Ganze noch einmal gründlich durch, um mancherlei noch knapper und dramatischer und wirkungsvoller zu gestalten. Im Dezember ließ er sich einige Abschriften anfertigen und Anfang Januar reichte er sein Drama einer Berliner Bühne und einigen größeren auswärtigen Theatern ein. In Spannung erwartete er die Antwort.

Inzwischen rückte das Stiftungsfest des Junggesellinnenklubs heran. Die Damen hatten beschlossen, den Jahrestag der Gründung durch ein großes Souper mit anschließendem Ball zu feiern. Jedes Klubmitglied hatte das Recht, einen Herrn einzuführen. Am Abend vorher waren die beiden Liebespaare im Theater gewesen und hatten darauf in einem Restaurant gemeinsam gespeist. Während der Unterhaltung über die Theatervorstellung war auch auf Ladenburgs Drama die Rede gekommen, und Else Hauf hatte den Wunsch geäußert, das Stück zu lesen. Der junge Dichter war sehr erfreut über das Interesse des Fräulein Doktor, deren Intelligenz und Urteil er sehr schätzte, und freudig erbot er sich, ihr das eine Exemplar, das er von den Reinschriften zurückbehalten hatte, zu schicken.

»Das einfachste ist«, sagte Else Hauf, »Sie bringen es mir morgen mit. Übermorgen ist Sonntag, da bin ich dienstfrei und kann es in Ruhe hintereinander lesen.«

Am folgenden Abend saßen dann während des Soupers der Chemiker und Else mit dem anderen Liebespaar in einer Reihe, so daß Lisbeth Glümer zu ihrer Linken ihren Geliebten, und zu ihrer Rechten Dr. Moeller hatte, während zur Linken des Dichters die Schauspielerin saß, die sich einen Kollegen als ihren Tischnachbarn mitgebracht hatte. Als die Künstlerin bei der Vorstellung Ortwin Ladenburgs Namen hörte, forschte sie in ihrem Gedächtnis.

»Ladenburg? Den Namen kenne ich. Ja, jetzt erinnere ich mich. Ich habe einen Gedichtzyklus gelesen: ›Die Ostsee‹ von Ortwin Ladenburg.«

Sie sah den vor Vergnügen errötenden jungen Mann mit dem blondgelockten Haar und den schwärmerischen blauen Augen mit Interesse an.

»Habe ich vielleicht die Freude, den von mir sehr verehrten Dichter vor mir zu sehen?«

Ortwin Ladenburg bejahte geschmeichelt. Die dunklen Augen der lebhaften Schauspielerin funkelten, und sie streckte ihm ihre Rechte, an der einige Brillantringe blitzten, liebenswürdig entgegen.

»Ich drücke Ihnen meine Bewunderung aus und meinen Dank«, sagte sie. »Sie haben mir mit Ihrer herrlichen Dichtung ein paar sehr angeregte Stunden bereitet. Ich bin eine große Bewunderin der Ostsee und verlebte meine Ferien meistens in Heringsdorf oder in Misdroy.«

Sie zitierte einige Verse aus dem Zyklus, während er einhalf, wenn ihr Gedächtnis sie im Stich ließ.

Der junge Dichter strahlte vor Stolz und Vergnügen, und sie plauderten so angelegentlich, daß der Tischherr an der anderen Seite der Schauspielerin mit den Augen rollte und sich ein über das andere Mal mahnend räusperte, und daß auch Lisbeth nervös wurde und ihn verstohlen am Ärmel zupfte.

»Du hast mir noch nicht einmal Wein eingeschenkt«, sagte sie schmollend, als er sich mit fragendem Blick zu ihr kehrte.

»Verzeihe!« entschuldigte er sich. »Denke dir nur – !«

Und er berichtete flüsternd von seiner freudigen Überraschung und den schmeichelhaften Worten, die seine Nachbarin zur Linken zu ihm gesprochen hatte.

Der gekränkte Mime benutzte die Gelegenheit, seiner Freundin und Kollegin in seinem heimischen Dialekt, dessen er sich außerhalb der Bühne, besonders bei Gemütserregungen bediente, zuzuraunen: »Hast mi deshalb gelad'n, daß i zuschau, wie du mit andern schön tust?«

»Sei nit fad!« gab sie, ebenfalls Österreicherin, zurück. »Mußt denn immer gleich schalu sein, wenn i mal mit einem andern a bisserl plausch?«

Es entging Lisbeth Glümer nicht, daß ihr Geliebter zerstreut war und mit seinen Gedanken immer bei seiner anderen Tischnachbarin zu sein schien. Sie war klug genug, ihm keine Empfindlichkeit zu zeigen, sondern sie bot im Gegenteil alle ihre Lebhaftigkeit und Liebenswürdigkeit auf, um seine Aufmerksamkeit zu fesseln. Er aber hörte nur mit halbem Ohr hin, während ihm allerlei durch den Kopf schoß. Wenn die Schauspielerin wüßte, daß er sich auch als Dramatiker versucht hatte, dann würde ihr Interesse an seiner dichterischen Arbeit sich sicherlich noch erheblich steigern. Draußen im Überzieher stak die Abschrift; er hatte vor, sie nachher vor dem Nachhausegehen Lisbeths Kusine zu geben. Er zermarterte nun sein Hirn, wie er, ohne aufdringlich und eitel zu erscheinen, der Schauspielerin sich auch als Dramatiker offenbaren könnte. Da gewahrte er, daß sie eine Bewegung zu ihm machte, und im nächsten Moment vernahm er die Frage: »Haben Sie sich noch nie als Dramatiker versucht, Herr Ladenburg? Soviel ich weiß, gibt es keinen Lyriker, den es nicht auch nach den Lorbeeren des Dramatikers verlangte.«

Er lächelte verschämt, wie ein junges Mädchen, an das die Frage gerichtet wird, ob es noch nie geliebt habe.

»Gewiß«, erwiderte er zwischen Befangenheit und Genugtuung, »den Versuch habe ich gewagt, aber ich weiß nicht, ob er mir gelungen ist.«

»Ah, das interessiert mich sehr«, sagte die Künstlerin lebhaft. Sie sah ihm forschend in das von Freude und Gehobenheit verklärte Antlitz. »Wahrscheinlich etwas Ernstes, ein großes Drama in Jamben – ?«

Er verneinte.

»In Versen – nein! Aber freilich ein Drama mit einem modernen Vorwurf und in Prosa.«

Sie nickte zufrieden.

»Desto besser! Wissen Sie: man will heute nicht mehr den klassischen Stil. Ich meinerseits trete ungern im Versdrama und überhaupt in so stilisierten Sachen auf. Ich ziehe das moderne Gesellschaftsdrama vor. Um welchen Vorwurf handelt es sich denn, wenn man fragen darf?«

Er zögerte einen Augenblick, aber das Bewußtsein, daß es ja eine Künstlerin war, gab ihm Mut.

»Ich habe ein sehr modernes Thema behandelt, das der freien Ehe und des Selbstbestimmungsrechts der modernen Frau.«

»Das ist ja sehr interessant und zeitgemäß. Vermutlich ist die Heldin ein junges Mädchen, das gegen den Willen der Eltern das Vaterhaus verläßt, um dem Manne ihrer Liebe zu folgen?«

»Nein, die Heldin des Stückes ist eine Frau, die von ihren Eltern an einen ihr unsympathischen Mann verheiratet worden ist. Sie ist das Opfer der Selbstsucht ihres Vaters, der sich aus finanziellen Schwierigkeiten durch die Heirat seiner Tochter retten will. Das junge Mädchen, das ja noch keinen rechten Begriff von dem Wesen der Ehe hat, läßt sich überreden. Erst während des Zusammenlebens erkennt die junge Frau, welchen Entwürdigungen sie ausgesetzt ist, und welchen schmachvollen Handel man mit ihr getrieben hat. Zwischen ihr und einem Manne ihres Verkehrskreises, dessen geistige Persönlichkeit und ernster Charakter ihr die höchste Achtung abgewinnt, spinnen sich zarte Fäden an. Ein häßlicher Auftritt mit ihrem Gatten veranlaßt sie, das Anerbieten ihres Verehrers, der die Heißgeliebte nicht länger in unwürdigen Banden schmachten lassen will, gemeinsam mit ihm zu fliehen, anzunehmen. Sie leben an einem stillen, ländlichen Ort, ganz ihrer Liebe hingegeben. Einen Schatten auf ihr Glück wirft die beharrliche Weigerung ihres Mannes, sich von ihr scheiden zu lassen. Die junge Frau beobachtet, daß das einförmige, geistig nicht eben anregende Leben auf dem Lande auf die Dauer den Geliebten schwermütig macht. Er ist Landtagsabgeordneter und an einen starken Verkehr mit Publikum und anderen geistig hochstehenden Männern gewöhnt. Er leidet sehr unter seiner Abgeschiedenheit, und so bestimmt sie ihn schweren Herzens und banger Ahnungen voll zur Rückkehr in die Hauptstadt, obgleich er ihr zuliebe auf sein Mandat zu verzichten bereit ist –«

»Aha! Ich sehe schon den Konflikt!« unterbrach die Schauspielerin, während der Schauspieler, der mit angestrengter Aufmerksamkeit der Schilderung gefolgt war, spöttisch lächelte und Lisbeth im stillen das Ende des Berichtes herbeisehnte.

»Bitte weiter!« drängte die Künstlerin.

»Der betrogene Gatte tut, was er kann, um dem Liebespaar Schwierigkeiten zu bereiten und es gesellschaftlich zu isolieren. Er selbst gehört zur politischen Partei des Abgeordneten und schürt hier natürlich mit allen Kräften gegen ihn. Da er ein reicher Großindustrieller ist und vielen Einfluß hat, gelingt es ihm bald, eine feindliche Stimmung gegen den Abgeordneten gerade bei den ausschlaggebenden Mitgliedern der Partei zu erzeugen. Selbstverständlich wird gegen das Paar, das dem öffentlichen Anstand und den maßgebenden Anschauungen durch sein Zusammenleben so schamlos ins Gesicht schlägt, der gesellschaftliche Boykott verhängt. Auch der größte Teil seiner Fraktionsmitglieder zieht sich von dem in freier Ehe lebenden Abgeordneten zurück, und der rachsüchtige Ehemann bringt sogar eine Bewegung in Gang, die bezweckt, den Abgeordneten zur Niederlegung seines Mandats zu zwingen.«

»Famos! Großartig! Das dringt natürlich nicht nur auf den Mann, sondern auch auf die Frau ein, auf letztere vielleicht noch quälender, zermürbender als auf den Mann.« Die Schauspielerin war ganz Feuer und Flamme; ihre Augen strahlten und ihre lebhaften Züge vibrierten heftig. »In gewaltigen seelischen Kämpfen ringt sie; sie will den Mann ihrer Liebe glücklich machen und muß doch erkennen, daß er durch sie unglücklich geworden ist. Kolossal gespannt bin ich, welche Lösung Sie bringen, Herr Dichter.«

Sie neigte sich weit vor und sah ihn mit ihren dunklen, brennenden Augen aus nächster Nähe in das Gesicht.

Der Schauspieler brummte etwas Unverständliches vor sich hin und rückte mit unwirschem Gesicht auf seinem Stuhl hin und her; es kostete ihm offenbar Mühe, sein heißblütiges Temperament zu zügeln. Auch Lisbeth Glümer konnte sich eines ärgerlichen Gefühls und einer eifersüchtigen Regung nicht erwehren. Sie hatte sich so sehr auf das Fest gefreut, um so mehr, als sie es an der Seite des schwärmerisch Geliebten erleben durfte, auf den sie so stolz war. Und nun hatte sie fast gar nichts von ihm; nun gehörte sein ganzes Interesse der koketten Künstlerin, der es ein Vergnügen zu bereiten schien, ihn an ihren Triumphwagen zu spannen. Natürlich diesen Damen war ja das Kokettieren zur zweiten Natur geworden; sie mußten immer Komödie spielen und konnten nie genug Verehrer haben.

»Ich kann mir vorstellen«, fuhr des Dichters Tischnachbarin zur Linken fort, »wie packend Ihr Stück besonders in dem betreffenden Akt sein muß: wie sie mit sich ringt und kämpft zwischen Liebe und Entsagung. Ich fiebere vor Neugier, wie sie sich aus diesem Konflikt zieht.«

Der junge Dichter fühlte sich außerordentlich geschmeichelt und gehoben, daß die gefeierte Künstlerin, die im Kunstleben Berlins eine hervorragende Stellung einnahm, einen solchen Anteil an seiner Dichtung nahm.

»Nach meinem Empfinden gab es für die ideal angelegte Frauennatur nur eins«, erwiderte er, »sie müßte ihr eigenes Glück zurückstellen hinter das Interesse des Geliebten.«

Die Künstlerin nickte.

»Ganz recht. Das ist auch meine Ansicht. Sie entsagt. Ich denke mir das ungeheuer wirksam.«

»Sie gibt ihn nicht nur frei, sie tut noch mehr, denn sie ist überzeugt, daß der Geliebte auf eine Trennung nie und nimmer eingehen, daß er lieber auf seine politische Laufbahn und seine gesellschaftliche Stellung verzichten würde als auf sie. Und so –«

»Tötete sie sich!« fiel die gespannt Zuhörende ein. »Habe ich recht?«

»Jawohl, gnädiges Fräulein. Ich freue mich, daß auch Sie die Notwendigkeit dieses Schrittes erkennen.«

»Gewiß. Anders kann sie ja gar nicht handeln. Damit steigern Sie die Sympathie des Publikums für die Heldin Ihres Dramas ganz enorm. Aber welches Mittel wählt sie? Gift?«

»Nein. Den Revolver. Sie weiß es so einzurichten, daß er annehmen muß, die Waffe, die ihm gehört, und die sie in seinen Koffer gepackt hat – denn er wollte mit ihr die Hauptstadt verlassen – , habe sich durch ihre Unvorsichtigkeit entladen.«

»Ausgezeichnet!« lobte die Schauspielerin. »Vortrefflich! Das entsetzliche Ringen mit sich selbst, während sie sich entschließt, sich zu opfern, und das stumme Spiel vor der Ausführung der Tat, der Kampf zwischen der Todesfurcht und dem Wunsch, den Geliebten zu erlösen – ganz brillant!«

Das bewegliche Mienenspiel der von dem Gegenstand gepackten Künstlerin gab die Situation wieder, die sie soeben geschildert hatte. Dann wandte sie sich wieder an den ihr bewundernd Zuschauenden.

»Haben Sie schon Schritte unternommen, das Stück zur Aufführung zu bringen?«

Er berichtete, daß er sein Drama schon verschiedenen Bühnen, darunter auch einem Berliner Theater, zugeschickt hatte.

»Sie haben es selbst direkt eingereicht?« fragte sie.

Er bejahte.

»Da werden Sie kaum eine Antwort erhalten!« bemerkte sie darauf. »Sie sagten, daß es Ihr Erstlingsdrama sei? Stücke von unbekannten Autoren aber pflegen die Direktoren gar nicht zu lesen.«

Der junge Dichter, den die Anteilnahme der Schauspielerin in die rosigste, hoffnungsvollste Stimmung versetzt hatte, erbleichte.

»Meinen Sie wirklich?« stammelte er, ganz geknickt.

Sie nickte.

»Bedenken Sie, wie viele Hunderte von Manuskripten jedes Jahr bei solch einer Theaterdirektion eingehen, während doch höchstens, wenn es sehr hoch kommt, zehn Novitäten in der Saison gespielt werden. Die Dramaturgen und Direktoren pflegen nur solche Stücke zu prüfen, die ihnen von renommierten Agenturen oder von sonst einflußreichen Leuten empfohlen werden.«

»Also dann – dann müßte ich jede Hoffnung aufgeben?«

Die Schauspielerin sah dem neben ihr Sitzenden mit einem langen Blick in das hübsche, jugendlich-frische Gesicht; wie eine Flamme loderte es ihm eine Sekunde lang aus ihren großen, dunklen, ausdrucksvollen Augen entgegen, so daß er unwillkürlich sein Antlitz senkte, in das ihm purpurne Glut schoß.

»Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Ladenburg!« entgegnete sie. »Ihr Drama interessiert mich; ich glaube, daß die Rolle der Heldin mir liegt. Wollen Sie mir Ihr Stück einmal vorlesen?«

»Gern!« beeilte er sich zu versichern, voll Eifer. »Ich werde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie mir gestatten.«

Er war aufrichtig entzückt. Sie war eine beliebte Schauspielerin an einem der ersten Theater Berlins. Wenn sie sich seines Dramas annahm, dann war ihm ja der Weg zur Bühne geebnet. Sein Herz klopfte hoch auf vor Freude und Dankbarkeit.

»Also dann bringen Sie mir Ihr Opus! Haben Sie morgen Zeit?«

»Ich habe es in meinem Überzieher, in der Garderobe!« entfuhr es ihm in seiner Aufregung. »Ich wollte es jemand mitgeben – Fräulein Doktor Hauf. Sie wollte es morgen lesen.«

»Ah!« In den Augen der Künstlerin blitzte es auf wie ein Wetterleuchten. »Desto besser!« Nach dem Ball begleiten Sie mich, trinken eine Tasse Kaffee bei mir und lesen mir dabei Ihr Drama vor. Morgen können Sie es dann ja Fräulein Hauf überbringen. Sind Sie damit einverstanden?«

Er starrte sie betroffen an. Nach dem Ball? Mitten in der Nacht?

»Nach dem Ball kann ich ohnehin nicht gleich schlafen!« sagte sie. »Die Nerven vibrieren noch, ich pflege dann immer noch ein Stündchen zu lesen. Geht es Ihnen nicht auch so? Aber freilich –« sie lächelte, während er noch immer schwieg im Widerstreit seiner Empfindungen – »Sie haben wohl noch bessere Nerven als ich und sehnen sich nach dem Tanzen nach Ruhe. Dann können wir ja ein andermal –« Ihre Stirn legte sich in Falten des Bedauerns. »Schade immerhin«, fügte sie rasch hinzu, noch ehe er sich zu einer Antwort aufgeschwungen hatte, »es trifft sich nämlich wunderbar, wir haben morgen mittag eine Besprechung mit dem Oberregisseur, die ersten Mitglieder unserer Bühne; bei der Gelegenheit hätte ich von Ihrem Stück sprechen und den Oberregisseur dafür interessieren können. Sie glauben nicht, wieviel beim Theater persönliche Fürsprache vermag.«

Er hatte seine Verwunderung überwunden. Das erste instinktive Befremden trat zurück vor dem Freudenrausch, der ihn bei ihren Worten erfaßte, vor dem heißen Begehren, den günstigen Zufall nicht ungenützt vorübergehen zu lassen.

»Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung!« stieß er in der Furcht, durch sein Zögern sie schon verletzt zu haben, hastig hervor. »Es ist überaus liebenswürdig, daß Sie mir Ihre kostbare Zeit widmen wollen und mir Ihre freundliche Verwendung in Aussicht stellen. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.«

»Also abgemacht, nach dem Ball!«

Mit einem bestrickenden Lächeln sah sie ihm in die Augen, während sie ihm ihre Rechte entgegenstreckte, die er glücklich ergriff und ehrfurchtsvoll an seine Lippen führte.

»Hm, hm!« murmelte der Schauspieler und zupfte nervös, mit grimmiger Miene an seiner weißen Krawatte, während Lisbeth Glümer, die nicht verstanden hatte, aus welcher Veranlassung Ortwin der koketten Künstlerin die Hand küßte, vor Eifersucht fast verging.

*

Ortwin Ladenburg befand sich in einer sehr peinlichen Lage. Seine Seele war ganz erfüllt von der liebenswürdigen Teilnahme der berühmten Schauspielerin und von ihrem Versprechen. Er mußte es geradezu als einen unerhörten Glückszufall betrachten, daß er ihr Tischnachbar gewesen und daß sie so animiert miteinander geplaudert hatten. Als wenn ihm das große Los in den Schoß gefallen wäre! Daß es nicht ganz leicht war, ein Theaterstück bei einer größeren Bühne anzubringen, wußte er ja ohnedies. Aber daß diese Aussicht so gut wie Null war, wenn man nicht Beziehungen hatte, das hatte er nicht geahnt, das hatte er erst durch die Künstlerin, die es ja wissen mußte, erfahren. Mit welchem Eifer sie sich seiner Sache annahm! Ein heißes Dankgefühl durchströmte ihn, und er hätte sich als den glücklichsten Menschen der Welt betrachtet, wenn sich nicht die Schwierigkeit ergeben hätte, daß er Lisbeth nun nicht nach Hause begleiten konnte. Wie sollte er es ihr nur beibringen? Sie war ja schon ärgerlich und eifersüchtig genug gewesen, daß er sie bei Tisch so stark vernachlässigt hatte. Nun hatte sie ihm, gut und lieb, wie sie war, verziehen und sofort wieder ein freundliches Gesicht gezeigt, als er ihr nach Aufhebung der Tafel mitteilte, daß seine Tischnachbarin zur Linken sein Drama lesen und sich für die Aufführung verwenden wollte, ja, daß sie sich freuen würde, die Hauptrolle zu kreieren, wenn ihr das Stück gefiele, was sie nach der Inhaltsangabe und nach Kenntnis seines Ostsee-Zyklus keineswegs bezweifle. Vergessen war alle Empfindlichkeit, alle Zurücksetzung während der Tafel, wußte sie ja nun, daß er lediglich seine dichterische Zukunft im Auge gehabt, und daß es ja auch in ihrem Interesse lag, wenn die Schauspielerin sich des Stückes annahm. Denn wenn das Drama großen Erfolg hatte und ihn berühmt und reich machte, dann war es ja gewiß, daß er ihren und seinen Wunsch, sich auch vor der Welt einander anzugehören, erfüllte.

Eine Einzelheit aber hatte der junge Dichter der Geliebten verschwiegen, nämlich, daß er seine liebenswürdige Gönnerin nach dem Ball in ihr Heim begleiten würde, um ihr noch in der Nacht sein Werk vorzulesen. Wenn er selbst auch gar keinen Nebengedanken damit verband, denn er war ja überzeugt, daß es nur im Interesse seines Stückes geschah, von dem sie dem Oberregisseur noch am Sonntagmittag sprechen wollte, so war es ihm doch ebenso gewiß, daß Lisbeth sich durch diese Nebensächlichkeit äußerst beunruhigt fühlen und, wie die Frauen nun einmal waren, ein gewisses anderes Motiv ihm oder der Schauspielerin unterlegen würde. Ihn selbst durchschauerte es im stillen, während er sich der merkwürdigen Blicke erinnerte, die seine Nachbarin zur Linken ein paarmal auf ihn geheftet hatte, aber er schalt sich selbst wegen des instinktiven Bangens, das ihn in der Erinnerung überkam. Wie konnte er nur denken, daß er für die Vielbewunderte, der es an Verehrern gewiß nicht fehlte, als Mensch, als Mann etwas bedeutete. Nein, ihr Interesse galt lediglich seiner Eigenschaft als Literat, und ihre bewunderungsvollen Blicke hatten doch nur besagen wollen: Sollte in dir, dem unscheinbaren jungen Menschen, wirklich ein großer Dichter stecken? In jedem Fall aber schien es ihm ratsam, Lisbeth nicht zu verraten, daß er der Schauspielerin zugesagt hatte, ihr unmittelbar nach dem Ball, mitten in der Nacht, einen Besuch abzustatten. Sie, die noch nie Berührungen mit Künstlerinnen gehabt hatte, würde mißtrauisch sein gegenüber dem Eifer seiner Gönnerin und würde es nicht begreifen und nicht würdigen, daß derartige Launen und Einfälle bei Künstlerinnen nichts Auffälliges waren und nichts weiter zu bedeuten hatten.

Es war gegen halb eins, als Ortwin an die Schauspielerin herantrat und sie zum Menuett aufforderte.

»Es ist Zeit für uns!« sagte sie. »Am besten, wir empfehlen uns mit französischem Abschied. Mein Kollege hat eben auf meinen Wunsch Fräulein Glümer aufgefordert. Eine günstige Gelegenheit, uns unbemerkt aus dem Staube zu machen!«

Ihm pochte das Herz bänglich, und unwillkürlich flog sein Blick zu der ahnungslos Tanzenden hinüber; ein instinktives Widerstreben, eine schmerzliche Empfindung regte sich in ihm. Aber er hatte nicht den Mut, zu widersprechen. So stahlen sie sich auf verschiedenen Wegen in die Garderobe und verließen von da eilig den Festsaal. Unten stiegen sie in eines der vor dem Hause haltenden Autos, um nach der Wohnung der Künstlerin zu fahren.

»Famos! Das haben wir famos gemacht!« rief sie und faßte nach seiner Hand, die sie herzlich drückte. »Sie glauben nicht, ein wie eifersüchtiger Mensch dieser Halden ist. Und Ihre Dame?«

Sie schaute ihn lächelnd an.

Er seufzte leise. Sie lachte laut auf, und abermals fühlte er den Druck ihrer Hand.

»Nun, nun!« tröstete sie. »Das Fräulein wird Ihnen verzeihen, wenn die Zeitungen die Annahme Ihres Dramas melden werden.«

*

Lisbeth Glümer suchte im Saal und in allen Nebenräumen. Sie fragte ihre Kusine und Dr. Moeller. Auch sie konnten keinen Bescheid geben, wo Ortwin Ladenburg geblieben war. Daß er das Fest verlassen hatte, glaubte sie kaum, denn sonst würde er sich doch von ihnen verabschiedet haben und von ihr – Lisbeth – doch erst recht. Sie wartete und trat von neuem ihre Wanderung an. Da trat der Schauspieler an sie heran.

»Sie brauchen nicht zu suchen«, sagte er, während Zorn und Spott in seinen Mienen vibrierten. »Herr Ladenburg ist mit Fräulein Lingen verschwunden.«

Sie starrte ihn an, als habe sie nicht recht gehört.

»Ver – schwunden? Ich verstehe Sie nicht.«

»Er hat sie nach Hause begleitet, vermutlich, um ihr sein Drama vorzulesen.«

Er lachte höhnisch bei dieser Erklärung. »Die Sache scheint ihnen beiden sehr eilig.«

Es zuckte sarkastisch um seine Lippen.

Das junge Mädchen stand wie zur Bildsäule erstarrt.

»Um ihr sein Drama vorzulesen?« wiederholte sie mechanisch.

Dann machte sie eine heftig verneinende Kopfbewegung und sah den ihr Gegenüberstehenden mißtrauisch an. Er hatte wohl beobachtet, wie sie nach Ortwin gesucht hatte, und wollte sich nun über sie lustig machen.

»Sie scherzen wohl«, stieß sie ärgerlich hervor und wollte ihm den Rücken drehen.

»Nein, mir ist gar nicht zum Scherzen zumute«, erwiderte er.

Sie hielt unwillkürlich ihre Schritte an. Aus dem Ton seiner Stimme klang deutlich Bitterkeit und Schmerz. Sie sah ihn aufmerksam an; seine Zähne nagten heftig an der Unterlippe, und seine Augen blickten düster und zornig.

»Wenn Sie mir nicht glauben«, fuhr er fort, »kann ich Sie leicht überzeugen. Kommen Sie!«

Er führte sie zur Garderobe.

»Fräulein Lingen ist schon gegangen, nicht wahr?«

»Die Schauspielerin? Jawohl.«

»Mit einem Herrn?«

»Natürlich doch.«

»Können Sie den Herrn beschreiben? Ein junger Mann?«

»Jawohl. Mitte Zwanzig, so ungefähr. Hübscher Mann, blondgelocktes Haar, blaue Augen. Sah aus wie – –« sie suchte nach einer Bezeichnung – »na, wie'n Studierter.«

»Glauben Sie mir nun?« fragte der Schauspieler, während sie durch den leeren Vorsaal schritten. Und als sie, ganz verwirrt, ganz benommen, wie betäubt, schweigend vor ihm stand, machte sich seine leidenschaftliche Eifersucht, seine schäumende Wut Luft.

»Sehen Sie, dieses Weib, diese Mänade, diese Messalina kann es sich nicht versagen. Wenn ein Mann durch irgend etwas, das sie anzieht, ihre Sinne reizt, dann läßt sie nicht locker, dann bietet sie all ihre bestrickende Liebenswürdigkeit, all ihre komödiantische List und Verstellungs- und Überredungskunst auf, bis sie ihn gefügig gemacht hat. Das mit dem Vorlesen ist natürlich nur ein Trick von ihr.«

Der Sprechende, der sich in eine immer größere Aufregung hineinredete, schlug sich mit der flachen Hand wiederholt auf die Stirn.

»Mitten in der Nacht, ausgerechnet nach einem Ball, fordert sie ihn auf, ihr sein Drama vorzulesen! Natürlich nur ein Vorwand, den sie gebraucht, um den Ahnungslosen in ihre Netze zu locken. Ich glaube ja, er macht ganz den Eindruck, daß er selbst nur an sein Stück denkt. Was tut ein junger Dichter nicht, wenn ihm die Seligkeit winkt, aufgeführt zu werden! Aber wenn er erst einmal bei ihr ist, wird er ihr nicht entrinnen.«

Lisbeth Glümer stöhnte aus tiefster Seele, und sie machte eine instinktive Bewegung zurück, nach der Garderobe hin. Er begleitete sie und stimmte ihr zu.

»Ja, kommen Sie! Sie werden ebensowenig wie ich aufgelegt sein zum Tanzen.«

Sie traten, Seite an Seite, beide von demselben Impulse beherrscht, auf die Straße. Und als er ein Auto heranrief, stieg sie ohne weiteres ein, und er, nachdem er dem Chauffeur eine Adresse zugerufen hatte, setzte sich an ihre Seite, als verstände sich das von selbst. Es schien ihm Bedürfnis, einer gleichgestimmten Seele das, was in ihm tobte, zu offenbaren.

»Seit zehn Jahren kenne und liebe ich die Lingen. Ein halbes dutzendmal habe ich sie gebeten, sie angefleht, mein Weib zu werden. Sie lehnt es ab, sie verspottet mich. ›Mich an einen Mann zu binden, dir das Recht geben, jeden meiner Schritte zu bewachen, Rechenschaft von mir zu verlangen von jedem Blick, den ich mit einem anderen Mann, der mir gefällt, wechsle, von jedem Wort, das ich zu einem spreche?! Denke ja nicht daran! Ich bin frei, frei will ich bleiben, tun, was mir beliebt.‹ Und so muß ich mitansehen, muß es mir gefallen lassen, daß sie bald mit dem, bald mit jenem schön tut und ihn in ihre Netze zieht, wenn ihr die Laune danach steht. So ist dieses Weib! Verachten müßte ich sie, mich für immer von ihr lossagen, aber ich kann es nicht, ich komme nicht von ihr los.«

Die Stimme des Schauspielers brach; er drückte seine Rechte gegen die Augen, und sie hörte ihn aufschluchzen. Mit unwillkürlichem Griff faßte sie nach seiner Hand, denn sein Schmerz, der ein Echo war des ihren, schnitt ihr in die Seele.

*


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